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Die abenteuerliche Geschichte unseres Essens - aufrüttelnd, informativ und unterhaltsam. Als der Journalist Peter Laufer in seinem Supermarkt in Oregon "biologische" Walnüsse kauft, ist er verblüfft: Sie stammen aus - Kasachstan! Dies veranlasst ihn, tiefer hinter die Kulissen zu blicken. Er macht sich auf die Reise um die ganze Welt, um herauszufinden, wo seine täglich konsumierten Nahrungsmittel wie Kaffee und Gemüse eigentlich herkommen. Seine Erlebnisse in Deutschland, Österreich, Italien, Spanien, Bolivien und den USA zeigen, wie leicht wir dazu verführt werden, "Bio"-Produkte zu kaufen und den Kennzeichnungen blind zu vertrauen. Dieses Buch deckt Missstände auf und zeigt, wo es gerade bei uns auch positive Beispiele gibt.
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Seitenzahl: 427
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Peter Laufer
Aus dem Amerikanischenvon Karin Miedler und Sigrid Schmid
Nachwort von Thomas Weber
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
www.residenzverlag.at
© 2015 Residenz Verlagim Niederösterreichischen PressehausDruck- und Verlagsgesellschaft mbHSt. Pölten – Salzburg – Wien
Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.Keine unerlaubte Vervielfältigung!
ISBN eBook:978-3-7017-4502-9
ISBN Printausgabe:978-3-7017-3359-0
Vorwort
Bio?
Einleitung
Nüsse und Bohnen
Kapitel eins
Betrüger Joe
Kapitel zwei
Kennzeichnung der Bio-Branche
Kapitel drei
Frisch im Ruhestand und gesprächig
Kapitel vier
Der Mann hinter USDA Organic
Kapitel fünf
Bio in der Alten Welt
Kapitel sechs
Nicht zertifiziert und selbst zertifiziert. Ein Aufenthalt in Costa Rica
Kapitel sieben
Die NSA ≠ Bio
Kapitel acht
Die Großväter der Öko-Bewegung in Europa
Kapitel neun
Wir und die anderen
Kapitel zehn
Mehr als nur Nüsse und Bohnen
Kapitel elf
Auf der Seidenstraße … zu den Walnüssen
Kapitel zwölf
Die Zertifizierung bei Oregon Tilth
Kapitel dreizehn
Der Mais-Fälscher
Kapitel vierzehn
Der tunesische Olivendichter und der ungarische Maisverbrenner
Kapitel fünfzehn
Sic transit Italia
Kapitel sechzehn
Wir wissen nicht die Bohne über unsere Bohnen
Kapitel siebzehn
Meine Bohnen kommen nach Hause
Epilog
Nachwort
Zweierlei Zurück zum Ursprung
Danksagung
Quellen und Literatur
Index
Mit Liebe für Sheila.Sie hat meinen Appetit, der für dieses Buch notwendig war,mit etwa 14 235 Mahlzeiten unterstützt.
Neunzig Prozent der bekannten Krankheiten werden durch billige Nahrungsmittel verursacht. Man ist, was man isst.
– Aus einer Werbeanzeige für Rindfleisch im Bridgeport (CT) Telegram; wahrscheinlich der Ursprung dieses Sprichworts, 1923
Aus theoretischer Sicht kann man sich über Big Brother beklagen und darüber, dass dieses Programm aus dem Ruder gelaufen ist, aber wenn man die Details betrachtet, haben wir meiner Meinung nach eine gute Balance gefunden.
– Barack Obama verteidigt die bis dato geheime Überwachung von Telefongesprächen und Internetnutzung der US-Bürger durch die Regierung, 2013
Es gibt kein Verbrechen, keinen Kniff, keinen Trick, keinen Schwindel, kein Laster, das nicht von Geheimhaltung lebt.
– Joseph Pulitzer in seinem Leitbild für das Columbia University College of Journalism, 1903
Wir, die wir das Glück haben, uns nicht um unsere nächste Mahlzeit sorgen zu müssen, verhalten uns trotzdem oft zwanghaft, wenn es um unsere Ernährung geht. Wir prüfen, wie viele Kalorien dieses und wie viel Fett (und welche Art von Fett) jenes enthält. Wir sind krankhaft übergewichtig, weil wir zu viel essen, und wir sind magersüchtig wie Karen Carpenter aus Angst, wir könnten in diesen Hosen zu dick aussehen. Wir stürzen uns auf die neuesten Trends, wenn sie uns nur sofort Energie und ein langes Leben versprechen, vom übel schmeckenden, zähen Grünkohl bis hin zu Zaubertränken aus Spirulina. Wir stehen Schlange in überteuerten Restaurants, nur weil ein angesagter Kritiker deren Gerichte heiß empfohlen hat, auch wenn im Restaurant gegenüber, das ebenfalls hervorragendes Essen anbietet, noch Tische frei sind. Wir blicken gebannt auf Kochwettbewerbe, wo uns sogenannte Starköche die Zubereitung komplizierter Gerichte vorführen, die wir niemals in unserer eigenen Küche ausprobieren werden. Wir wechseln launisch von strikt veganer Ernährung zu ausschweifenden Schweinefleisch-vom-Rüssel-bis-zum-Ringelschwanz-Orgien. Und immer und überall sind wir auf der Suche nach Biolebensmitteln, was auch immer »Bio« bedeuten mag.
Ich lade Sie ein, liebe Leserin, lieber Leser, mich zu begleiten. Ich verfolge einige in der Dritten Welt produzierte Nahrungsmittel vom Regal in meinem Lebensmittelladen zurück zu ihrem Ursprung. Begleiten Sie mich auch auf meiner Recherche, ob wir als Kunden, Köche und Esser vom verführerischen Wort »Bio« getäuscht werden.
Vom zunehmenden Bewusstsein für Qualität, Wert und Unbedenklichkeit der Nahrungsmittel profitiert die wachsende Biolebensmittelbranche. Große Einzelhandelsketten bieten in ihren »Bio«-Abteilungen Produkte an, die den Bio-Standard für sich beanspruchen. Zusätzlich zu Verwirrung und Uneinheitlichkeit in den formalen Definitionen für »Bio« bei Lebensmitteln kommen durch die Globalisierung Produkte von weither auf den Markt, aus Regionen, wo im politischen wie im wirtschaftlichen Bereich Korruption herrscht.
Um die Echtheit von Nahrungsmitteln mit der Bezeichnung »Bio« zu überprüfen, die aus Regionen stammen, deren Geschichte diesen Anspruch fragwürdig erscheinen lässt, startete ich ein Projekt: Ich wollte Bohnen und Nüsse von meiner bescheidenen Küche aus dorthin zurückverfolgen, wo sie angebaut und verarbeitet wurden. Dieses Buch soll nicht die Dritte Welt verunglimpfen und auch nicht Bioprodukte verdammen. Ich halte Biolebensmittel für die ideale Ernährung und weiß, dass auch in der Ersten Welt Korruption herrscht. Auf diesen Seiten kommt auch die Geschichte eines Lebensmitteleinzelhändlers aus meinem eigenen County in Oregon zur Sprache, der wegen Verstoßes gegen die Vorschriften zur Lebensmittelkennzeichnung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Skepsis ist angebracht in der gesamten Lebensmittelbranche.
Dies ist eine Recherche. Ich will wissen, was tatsächlich hinter dem Modewort »Bio« steckt, außerhalb der privilegierten kulinarischen Umgebung, in der ich lebe. Denn es steht auf immer mehr Nahrungsmitteln – dazu mit Preisen, die erheblich über denen von Bananen, Bohnen oder Walnüssen aus »konventionellem Anbau« liegen, was zunehmend einen abwertenden Klang annimmt.
Es scheint selbstverständlich, doch man muss es einmal aussprechen: Wir alle essen. Vielleicht erklärt das den andauernden und zunehmenden Erfolg von Büchern über Nahrungsmittel, besonders solcher Bücher, die dazu beitragen zu verstehen, was wir essen und warum. Im Bücherregal gibt es jedoch noch wenig über das entscheidende Thema der Herkunft. Kaum einmal erforschen wir die Herkunft der meisten Bionahrungsmittel, die wir konsumieren. Diese ist bestenfalls verdächtig und schlimmstenfalls gefälscht. Es ist an der Zeit, die Diskussion zu verlagern, von: »Ist Bio besser?« auf: »Ist das, was als Bio verkauft wird, wirklich Bio?« Wir müssen die Öko-Versprechungen der Marktes an Konsumenten, die Höchstpreise für Biolebensmittel hinblättern, wir müssen die Integrität der Bio-Nahrungskette in Frage stellen und die moralische Vertretbarkeit hinterfragen, wenn hochpreisige Lebensmittel in Regionen erzeugt werden, wo die Arbeiter in der Landwirtschaft unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften. Wenn wir sind, was wir essen, dann müssen wir wissen, was wir essen und wie es auf unsere Teller kam.
Der jährliche Umsatz mit Biolebensmitteln in den Vereinigten Staaten stieg von einer Milliarde Dollar Anfang der Neunzigerjahre auf etwa 27 Milliarden in den folgenden 20 Jahren (US-Landwirtschaftsministerium USDA).
Wenn irgendwo Geld zu verdienen ist, sind Betrüger nicht weit.
Meine Frau Sheila brachte eine Tüte Walnüsse mit der Aufschrift »Bio« von Trader Joe’s nach Hause und sie schmeckten ranzig. Das ist keine große Sache. So etwas kommt vor. Ehe ich sie zurück in den Laden in der Stadt brachte, las ich die Aufschrift. Walnüsse waren es auf jeden Fall, und laut Etikett handelte es sich um Bioware. Das Kleingedruckte erregte meine Aufmerksamkeit: Ein Bioprodukt aus [theatralische Pause] Kasachstan.
Sie können mich als Skeptiker oder Zyniker bezeichnen, doch an dieser Stelle erwachte mein journalistischer Spürsinn. Auf dem Weg zum Geschäft dachte ich an das autoritäre Regime in Kasachstan, die Bauern, die dort ums Überleben kämpfen, und die Kultur von Bestechung und Korruption, die in den meisten ehemaligen Sowjetrepubliken herrscht. Ich fragte mich, ob irgendetwas an den verdorbenen Nüssen in der Cellophantüte »Bio« war.
Natürlich bekam ich bei Trader Joe’s mein Geld zurück. Mit dem kollegial wirkenden Angestellten scherzte ich über die Vertrauenswürdigkeit der kasachischen Biolebensmittelbranche. Ich ging nach Hause mit einer Tüte konventionell angebauter Walnüsse aus Kalifornien und vergaß den Zwischenfall weitgehend.
Einige Monate später sah sich Sheila das Etikett auf einer Dose schwarzer Bio-Bohnen an, die Marke hieß Natural Directions, und Sheila war besorgt wegen Bisphenol A (BPA). Sie versucht BPA aus unserem Haushalt fernzuhalten, denn sie befürchtet gesundheitliche Risiken durch die Kunststoffbeschichtung in Dosen. Sie telefonierte mit einem Vertreter von Natural Directions. Der sagte ihr, um feststellen zu können, was für eine Dose das sei, müsse man den Ursprung des Produkts kennen. Der Deckel trug den Stempel »Product of Bolivia«.
Sofort musste ich an die Walnüsse denken. Das Szenario war dasselbe. Eine Produktverpackung, die Verbraucher wie Sheila und mich dazu verführt, es aus dem Regal zu nehmen – »Bio« lautet das Codewort – zieht uns an wie eine Leuchtreklame die Fliegen. Und dann das Herkunftsland, Bolivien – so unglaublich wie Kasachstan. Bolivien, wo wegen des massiven Kokainhandels Korruption herrscht. Bolivien, eines der ärmsten Länder der westlichen Hemisphäre. Auch hier wurde meine Gutgläubigkeit stark strapaziert.
Ich schreibe das in meinem Haus im amerikanischen Bundesstaat Oregon, der berühmt ist für seine Biolebensmittelbranche. Aus Oregon stammt Oregon Tilth, eines der ältesten, größten und (zumindest in den alten Bio-Zeiten) strengsten Bio-Zertifikate der USA und Vorbild für ähnliche Institutionen. Aus Oregon stammt auch der 55-jährige Harold Chase, der zu über zwei Jahren Gefängnisstrafe verurteilt wurde, weil er über zwei Millionen Kilo konventionell angebauten Mais an einen Großhändler verkaufte. Sein Verbrechen? Er behauptete, der Mais sei Bioware, erhöhte den Preis und verdoppelte so seine Einkünfte.
Wir besorgten Verbraucher sind bemüht, uns gut zu informieren, was auf den Tisch kommt. Doch wem können wir vertrauen, wenn es um die Herkunft unserer Nahrungsmittel geht? Für die meisten von uns ist es nicht machbar, jeden Artikel von unserer Speisekarte zu seinem Ursprung zurückzuverfolgen.
Dabei fällt mir eine Szene aus der satirischen TV-Serie Portlandia ein: Ein Paar befragt die Kellnerin zu dem Huhn, das sie bestellen wollen, und diese zieht eine Liste heraus und teilt ihnen seinen Namen – Colin – sowie seinen Stammbaum mit. Das Paar ist nicht zufrieden und verlässt das Restaurant, um sich auf dem Hof anzusehen, ob das Tier auch artgerecht gehalten wurde.
Doch wenn Wal-Mart seine Regale mit Lebensmitteln mit der Bezeichnung Bio füllt, wenn Trader Joe’s uns Nüsse aus Kasachstan anbietet und Natural Directions angibt, Bohnen aus Bolivien zu importieren, fühle ich mich geradezu aufgefordert, die Probe aufs Exempel zu machen und diese Walnüsse zu ihrem Erzeuger in Kasachstan und diese Bohnen bis zum bolivianischen Bohnenfeld zurückzuverfolgen. Das tat ich dann auch. Doch dieses Buch ist nicht nur ein Reisetagebuch. Mein Ziel ist es, die Geschichte der Nüsse und Bohnen zurückzuverfolgen – und unsere gesamte Bio-Speisekarte. Was geschieht zwischen Anpflanzung und Ernte bis zur Verarbeitung und Verpackung, was geschieht beim Transport und schließlich bei der Auslieferung zur Verkaufsstelle? Wie kamen diese Worte auf diese Tüte und diese Dose?
Sind diese globalisierten Nüsse und Bohnen (wie auch andere globalisierte Lebensmittel) das, wofür wir unser Geld ausgeben wollen und was wir uns einverleiben wollen? Wer zertifiziert sie als Bioware? Können wir diesem Gütesiegel trauen? Selbst wenn wir das können, was halten wir von den Arbeitsbedingungen auf dem Weg der Nahrungsmittel bis auf unseren Teller? Und sind diese Nüsse und Bohnen ein Beispiel für globales »Greenwashing«, das sich hinter dem glitzernden Wort auf dem Etikett versteckt?
Das dritte Element meiner Recherche in diesem Buch ereignet sich ganz in der Nähe meines Wohnorts Eugene. Ist der Betrüger Harold Chase eine Ausnahme, oder besteht für uns die Gefahr, dass wir Höchstpreise für heimatliche Nahrungsmittel ausgeben, die wir für Bio halten, die aber eigentlich etwas anderes sind?
Woher stammen diese Nahrungsmittel, die ich esse? Kann ich dem Etikett trauen? Was bedeutet das Etikett? Ist das nur ein schlauer Werbetrick?
Ich verließ meine gemütliche, verschlafene kleine Collegestadt und machte mich auf eine journalistische und gastronomische Odyssee, um die Walnüsse und die Bohnen vom Regal meines Geschäfts vor Ort zurückzuverfolgen zu den Bäumen und Feldern, woher sie angeblich stammten.
Nach über einem Jahr und zahlreichen Interviews und Stapeln von Studien fand ich die Antworten und stellte weitere Fragen.
Als ich im Jahr 2010 nach Eugene im Bundesstaat Oregon zog, wurde unübersehbar für eine Ausstellung im Lane County Historical Museum geworben. In denselben unscharfen und bekannten Schrifttypen, die mich in den Sechzigerjahren zu Konzerten in San Francisco im Avalon Ballroom und im Fillmore riefen, verkündeten die Plakate: »Schnurbatik und Tofu: Wie das etablierte Eugene zu einem Hafen der Gegenkultur wurde.« Ein VW-Bus, ganz ähnlich wie der, den ich in den Jahren besessen hatte, war ein Kristallisationspunkt der Ausstellung. Aus seinem Radio tönten Janis Joplin und Jimi Hendrix. Andere Ikonen der Zeit waren ausgestellt – von ausgewaschenen Blue Jeans bis hin zu »Underground«-Zeitungen – Relikte, für die ich keine Eintrittskarte kaufen musste. Ich habe die Zeit nicht nur selbst miterlebt, sondern viele der Exponate waren bei meiner Frau und mir zu Hause immer noch im Gebrauch.
»Schnurbatik und Tofu« dokumentierte die Entstehung der Bewegung zurück aufs Land in Oregon und die Ursprünge der damals alternativen Lebensmittelmarken. Unternehmen wie die Molkerei Springfield Creamery boten Produkte an, die man in Supermärkten nicht fand, zum Beispiel Nancy’s Organic Yogurt. Biolebensmittel wurden im County Lane wie im Rest der USA in flippigen sogenannten Health Food Stores angeboten, die Einzelhändlern vor Ort gehörten. Einer dieser Läden lag im texanischen Austin und nannte sich Whole Foods.
Heute gibt es Lebensmittel mit der Bezeichnung Bio natürlich überall, bei Trader Joe’s und sogar bei Wal-Mart. Biolebensmittel sind ein Milliardengeschäft. 27 Milliarden Dollar im Jahr – allein in den USA (das sind weniger als 4 Prozent der Gesamtausgaben für Lebensmittel in den USA).1
Erstklassige Beispiele bietet meine Küche.
Der Tee mit Mangogeschmack, den ich trinke, ist von French St. Dalfour. Ich mag den Geschmack, die Verpackung und den Preis (relativ günstig für Bio). Jede Schachtel enthält 25 Teebeutel, die alle einzeln in Folie versiegelt sind, damit sie frisch bleiben. (Wie viel unnötiger Abfall entsteht bei der Herstellung und nach Gebrauch dieser Beutel?) Mich hat das Etikett verführt. Ich denke mir, in Teeplantagen – weit entfernt von den meisten Verbrauchern – könnten allerlei böse Düngemittel, Herbizide, Fungizide und Insektizide zum Einsatz kommen. Das Wort Bio ist wie eine Versicherung. Die Verpackung verspricht, das Produkt sei vom Institut für Marktökologie/Institut d’ecommerce aus der Schweiz überprüft (klingt eindrucksvoll – die Schweiz ist so sauber!) und von Oregon Tilth zertifiziert.
Ich esse Haferflocken von Old Wessex Ltd, Brand Irish Style. Sie sind bio-zertifiziert von Quality Assurance International in San Diego. Im Schrank neben den Haferflocken steht eine Flasche tunesisches Olivenöl. Der Anspruch Bio wird laut Etikett von Ecocert bestätigt. Daneben steht eine halb volle Schachtel Bio-Cracker der Marke Doctor Kracker, dessen Versprechen vom Landwirtschaftsministerium in Texas bestätigt wird. Dasselbe steht auch auf einer Schachtel Bio-Zerealien von Arrowhead Mills mit der Bezeichnung Rice and Shine. Ein Glas Bio-Feigenaufstrich – hergestellt für Whole Foods von Hermes International in Kroatien – trägt eine Zertifizierung von IMO Switzerland, vielleicht die Abkürzung des Instituts von der Teeschachtel. Eine Plastikdose von United mit Medjool-Datteln der Marke Earth (»saftig frisch« – ein eigenartiges Verkaufsargument für ein getrocknetes Produkt) wird von der CCOF als Bio zertifiziert.
Auf einer Dose Zimt der Marke Flying Bird steht »bio-zertifiziert« ohne Angaben zum Zertifizierer, zu den Bedingungen und weiteren Einzelheiten. »Bio« bedeutet natürlich vieles. Das ist das Problem.
Im Kühlschrank steht ein Glas brauner Reissirup von Lundberg Farms mit der Bezeichnung »aus Bio-Anbau« und einer Bestätigung »Projekt ohne Gentechnik«. Ein Karton von Organic Valley verspricht, die großen braunen Eier darin wurden von »Bio-Hennen« gelegt, die »100 % bio-vegetarisch« ernährt wurden, zertifiziert von Oregon Tilth. Das Öl aus geröstetem Sesam von Spectrum Naturals ist als Bio ausgezeichnet und schmückt sich mit dem Bio-Zeichen des USDA, liefert aber keine Hinweise, wer diesen Anspruch als Dritter überprüft.
Zwei Maiskolben im Gemüsefach tragen ein Plastikband, das garantiert, dass sie aus Bio-Anbau stammen, aber ebenfalls keine Quelle für diese Behauptung liefert. Auf dem Ketchup sowie der Gemüsebrühe und dem griechischen Joghurt ist das stilisierte Q von Quality Assurance International zu sehen.
Mein Trader Joe’s-Geschäft vor Ort befindet sich gegenüber vom Willamette River auf dem Campus der University of Oregon. »Ich kaufe dort ein, weil mir die Aufmachung ihrer Produkte gefällt«, sagt einer meiner Journalistik-Studenten, und das sagt schon alles über das Image von TJ aus. Ich gebe zu, mir gefällt der tanzbare Rock ’n’ Roll, der im Geschäft läuft, und mich locken die günstigen Preise. Außerdem gibt es einige Produkte, die ich woanders nicht bekomme. Das in Olivenöl gebratene Popcorn zum Beispiel. Man wird süchtig davon. Laut Etikett ist es Bio. Wie die gebackenen (nicht frittierten) Maischips, die ich esse, gibt mir das Bio-Popcorn das Gefühl, mich gesund zu ernähren.
In eine ranzige Walnuss zu beißen ist unangenehm. Doch als ich die volle Packung Nüsse aus Kasachstan in mein Trader Joe’s-Geschäft zurückbrachte, lächelte der Geschäftsführer ebenso wie sonst immer die Verkäufer. Die Angestellten scheinen mit ihrer Arbeit zufrieden. Ehe ich das Geschäft mit einer Tüte frischer kalifornischer Walnüsse verließ, fragte ich den Geschäftsführer, warum die Walnüsse aus Kasachstan nicht mehr im Regal waren. Er sagte, ich sollte über die Website der Firma in der Zentrale nachfragen, und das tat ich von zu Hause aus auch.
Eine Antwort kam kurz darauf mit der für Trader Joe’s typischen Lässigkeit oder Gleichgültigkeit – je nach Standpunkt.
»Diese automatisch generierte Antwort bestätigt, dass Ihre E-Mail erfolgreich an Trader Joe’s versandt wurde«, wurde mir mitgeteilt.
Wir schätzen Ihre Anmerkungen und werden Ihnen sobald als möglich antworten. (Denn einige wenige Menschen lesen und beantworten ALLE tollen Rückmeldungen unserer Kunden.) Wenn es sich um eine dringende Angelegenheit handelt, wenden Sie sich bitte an die Mitarbeiter Ihres Trader Joe’s-Geschäfts vor Ort. Auf diese Weise erhalten Sie am schnellsten eine Antwort, und vielleicht erzählen sie Ihnen auch noch einen guten Witz.
Natürlich war es ein Mitarbeiter, der mir geraten hatte, zunächst über die Homepage mein Glück zu versuchen. Die Nachricht endete mit dem hawaiianischen Dank »Mahalo«.
Einige Tage später schickte mir ein/e »Kerry« von der Kundenbetreuung eine persönlichere Antwort.
»Ich entschuldige mich für die Enttäuschung, die Sie erlebt haben«, schrieb sie/er, »und ich bin so froh, dass Sie von unserem Rückgaberecht Gebrauch gemacht haben.« Kerry erklärte, die kasachischen Nüsse seien im Angebot gewesen, weil die Nachfrage nach Walnüssen das Angebot an einheimischen überstiegen habe. »Wir kaufen alle kalifornischen Bio-Walnüsse, die wir kriegen. Wenn die ausverkauft sind, bieten wir Walnüsse aus anderen Teilen der Welt an, auch aus der Republik Kasachstan.« Doch meine spezielle Frage zur Qualitätskontrolle – wer garantiert, dass es sich um Bio-Nüsse handelt – beantwortete Kerry mit vagem Unternehmensblabla:
Für Trader Joe’s ist die Sicherheit der Lebensmittel von größter Bedeutung. Neben unseren eigenen strengen Qualitätsanforderungen an alle unsere Produkte – aus Bio- und konventioneller Produktion – (wir werden keinen Artikel anbieten, den wir bei Trader Joe’s nicht selbst kaufen und verzehren würden!) sind unsere internationalen Lieferanten denselben hohen Bio-Zertifizierungen und Sicherheitsvorschriften der Lebensmittelbehörde unterworfen. Wir haben auch Verträge mit unabhängigen Zertifizierungsunternehmen in den USA, die für absolute Sicherheit sorgen, dass die Sicherheitsbestimmungen unserer nationalen und internationalen Lieferanten höchsten Ansprüchen genügen. Wir arbeiten mit vertrauenswürdigen Händlern, die alle von den Behörden vorgeschriebenen Richtlinien einhalten, und wir stehen im ständigen Kontakt mit den besonderen Lieferanten, die diese Richtlinien beachten (unsere Einkäufer führen sogar weltweit Besuche vor Ort durch).
Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen!
Mit freundlichen Grüßen
Kerry
Es gab keine Postanschrift von »Kerry«, keine Telefonnummer und keine E-Mail-Adresse außer der rätselhaften [email protected].
Ich ging in die nächste Runde mit Kerry. Ich schrieb ihr/ihm, dass ich als Journalist über die Herkunft von Biolebensmitteln recherchiere und gern einen ihrer Einkäufer bei einem Besuch bei einem Lieferanten von Trader Joe’s begleiten wollte. Ich bat, eine solche Reise für mich zu arrangieren.
Es überraschte mich nicht, dass ich nie wieder etwas von Kerry hörte (vielleicht war sie/er ein computergenerierter Avatar?).
O HEILIGE MARIA, DIE OHNE SÜNDE EMPFING, BITTE FÜR UNS steht über dem Eingang zur Kirche der Unbefleckten Empfängnis in der Shamrock Avenue. Gegenüber auf der anderen Straßenseite stehen die ausgeblichenen Zapfsäulen einer ausgedienten Flying A-Tankstelle. Der Preis an einer Zapfsäule zeigt das Alter an: 33 Cent für eine Gallone. Eine Straße weiter steht ein viktorianisches Privathaus mit einem weißen Lattenzaun davor. Ich bin in Monrovia in Kalifornien, in der Nähe des Hauptsitzes von Trader Joe’s in der Shamrock Avenue 800, gegenüber der Kirche der Unbefleckten Empfängnis.
Der Morgennebel hebt sich vom südkalifornischen Himmel, doch nicht von der undurchsichtigen Unternehmensphilosophie, zu der auch die Anonymität seines Verwaltungsgebäudes passt. Nichts weist darauf hin, dass das unauffällige eingeschossige Gebäude, neben dem die amerikanische Flagge in einer leichten Brise über dem Parkplatz weht, den Hauptsitz von Trader Joe’s beherbergt, mal abgesehen von den unfreundlichen Kein-Zutritt-Schildern am Eingang zum Parkplatz: »Verstöße werden mit voller gesetzlicher Härte verfolgt«. Und schnüffelnde Journalisten sind ebenfalls unwillkommen. »Danke, dass Sie sich an Trader Joe’s gewandt haben«, schrieb Alison Mochizuki aus dem Büro des CEO von Trader Joe’s, Dan Bane, als ich ein Treffen vorschlug. »Leider müssen wir diese Gelegenheit verstreichen lassen, da wir nicht an Recherche- oder Buchprojekten teilnehmen. Vielen Dank noch einmal, und alles Gute für Sie.« Bane ist in der Geschäftswelt bekannt dafür, dass er nicht für Fragen und Kommentare zu seinem Unternehmen zur Verfügung steht.
In einem Bericht in der Zeitschrift Fortune über Trader Joe’s spekulierte die Reporterin Beth Kowitt: »Die übertriebene Geheimhaltung vonseiten der Führung könnte daraus resultieren, dass die Geschäftspraktiken von Trader Joe’s oft im starken Gegensatz zu seinem Image als flippiges Geschäft um die Ecke steht, in dem es Waren von einheimischen Bauernhöfen und mit Handarbeit hergestellte Lebensmittel gibt.« Kowitt schreibt, manche Waren mögen einheimisch sein, andere Eigenmarken von Trader Joe’s dagegen stammten von Lebensmittel-Großkonzernen wie PepsiCo (zum Beispiel die Pitachips von TJ). Das Magazin zitierte aus einer Kopie einer Übereinkunft von Trader Joe’s, die alle Lieferanten des Einzelhändlers unterzeichnen müssen: »Der Lieferant darf seine Geschäftsbeziehung mit TJ in keiner Weise öffentlich machen.«2
In einem Buch über seine Erfahrungen als Mitarbeiter bei Trader Joe’s in Kansas City zitiert Mark Gardiner den CEO Bane aus dem Handbuch für Mitarbeiter des Unternehmens: »Der Auftrag von Trader Joe’s ist es, unseren Kunden hochwertigste Nahrungsmittel und Getränke anzubieten und ihnen die notwendigen Informationen für fundierte Kaufentscheidungen zu liefern.«
Wer genau in Kasachstan angibt, Bio-Walnüsse anzubauen – und warum in aller Welt ich dieser Behauptung Glauben schenken soll, wird offensichtlich nicht als Information betrachtet, die ich für eine fundierte Kaufentscheidung benötige. Ein weiteres Zitat aus dem Handbuch, das Gardiner Bane zuschreibt, sagt den Angestellten: »Wir sehen uns als Einkäufer von Lebensmitteln und Getränken für intelligente, gebildete und wissbegierige Personen.«3
Solange diese »wissbegierigen Personen« nicht wissen wollen, wo diese Walnüsse angebaut wurden, und unter welchen Bedingungen und von wem.
Nur wenige Straßen westlich vom Hauptquartier von Trader Joe’s schlendere ich am Huntington Boulevard in einem ganz normalen, typischen südkalifornischen Einkaufszentrum (mit kleinen Geschäftsfassaden) und mit endlos vielen Parkplätzen in eine einladende Trader Joe’s-Filiale. Aus der Musikanlage ertönt »Winter Wonderland«, um mich auf Weihnachten einzustimmen. Ich greife nach meinen üblichen Einkäufen bei Trader Joe’s: Ein Becher Hummus und eine Tüte dieser Pita-Chips von Pepsi »mit weniger Schuldgefühlen« dazu, die Scharfen Linsen-Wrap mit der Scharfen Tahinasoße von Trader Joe’s Eigenmarke, das abhängig machende Bio-Popcorn mit Olivenöl sowie eine Plastikflasche mit dem teureren Bio-Karottensaft. Meine E-Mail-Begegnung mit Kerry wirft für mich die Frage auf, ob Joe’s nur denselben Saft in verschiedene Flaschen mit unterschiedlichen Etiketten füllt. Ehe ich das Geschäft verlasse, schaue ich wie jedes Mal, wenn ich an einem TJ vorbeikomme, noch nach Bio-Walnüssen. Ich suche eine weitere Packung dieser kasachischen Nüsse. Doch auf denen hier in Monrovia steht Kalifornien, also lasse ich sie im Regal.
Charles Deitz, Lehrbeauftragter der University of Oregon, der mich bei der Recherche zu diesem Buch unterstützt, steht in Oregon auf dem Parkplatz der Trader Joe’s-Filiale in der Coburg Road. Seine Aufgabe ist es, zufällig ausgewählte Kunden anzuhalten, ihnen Fragen über den Inhalt ihrer Einkaufstaschen zu stellen und nach Begründungen für ihren Kauf zu fragen.
»Kaufen Sie Biolebensmittel?«, fragt er Dee.
»Ja«, sagt sie, und äußert die Hoffnung, darin seien weniger Pestizide enthalten. Doch sie ist skeptisch, was die Versprechungen auf den Etiketten angeht. »Auf manchem steht Bio, aber ich weiß, dass nicht alles zertifizierte Bioware ist. Es ist nicht alles wahr, was auf den Etiketten steht.«
Auf seine Frage, ob sie amerikanische Produkte bei ihrer Suche nach Biolebensmitteln vorziehe, äußert sie sich unentschieden. »Ich glaube, ich würde amerikanischen Bioprodukten eher vertrauen als Produkten aus anderen Ländern, doch ich kaufe auch Biolebensmittel aus Mexiko.« Sie überlegt noch einen Moment und fügt dann hinzu: »Wer weiß? Vielleicht gibt es in anderen Ländern bessere Bio-Standards als bei uns.« Sie räumt die Übermacht weltweiten Handels ein, wenn es um Einzelheiten ihrer Nahrungsmittel geht. »Ich weiß nicht, wie man das als Verbraucher je wissen kann.«
Deitz begrüßt Kelly. Sie sagt, sie kauft, was sie will, und achtet nicht auf Labels. Wenn Lebensmittel als Bioware gekennzeichnet sind, geht sie davon aus, dass sie »natürlich angebaut worden sind, ohne Chemikalien, Insektizide und Düngemittel«.
Marsha sucht eine reife Wassermelone und klopft mit der Faust an die Früchte, als Deitz sie anspricht. Sie sagt, sie kauft Bioware, wenn sie die Wahl hat. Doch sie kennt sich mit den Labels nicht aus, wie sich aus ihrer Aussage ergibt: »Ich dachte, es gibt so eine Art übergeordnete Organisation, die so etwas wie ein Siegel vergibt, doch ich glaube nicht, dass das etwas Staatliches ist – ich weiß es nicht.«
Steve verstaut seine Bio-Einkäufe auf seinem alten Pick-up und sagt, das sei der Einfluss seiner Freundin. »Sie bestimmt das«, sagt er. »Ich kaufe Bioware, wenn ich kann. Alles, was über der Erde wächst, versuchen wir aus ökologischem Anbau zu kaufen. Doch wir essen nicht nur Biolebensmittel. Wurzelgemüse ist nicht so wichtig für uns.« Die Nähe ist wichtig. »Ich kaufe gerne Nahrungsmittel möglichst aus der Nähe, um Unternehmen vor Ort zu unterstützen.« Doch er würde nicht unbedingt Nüsse aus Kasachstan oder Bohnen aus Bolivien meiden. »Wir legen ein gewisses Vertrauen in Trader Joe’s, dass Qualitätsprodukte eingekauft werden, dass es sich auch sicher um Bioware handelt. Das basiert auf Vertrauen. Man kauft dort, wo man Vertrauen hat, um nicht jedes Produkt im Geschäft überprüfen zu müssen. Die Bezeichnung ›Bio‹ sollte genügen. Doch es ist auch sehr beruhigend, wenn ›zertifiziert von Oregon Tilth‹ daraufsteht.«
»Nicht wenn sie viel teurer sind als die konventionellen«, sagt Maureen über ihre Kaufentscheidungen für Biolebensmittel in ihrem Einkaufswagen. »Ich glaube, das ist besser für mich. Ich weiß, man kann all die Pestizide von Beeren und Kirschen und anderem, das man roh isst, nicht abwaschen.« Bio bedeutet laut Maureen keine Pestizide. »Und vielleicht hat das auch mit der Qualität des Bodens zu tun.« Und wer entscheidet das? »Ich glaube, es gibt da eine Art Ausschuss oder Kommission, die das entscheidet.«
Ein weiterer Mann belädt seinen Pick-up, als Deitz ihn anspricht. »Kaufen Sie Produkte mit der Bezeichnung ›Bio‹?«
»Ja«, antwortet der ältere Mann.
»Warum vertrauen Sie den Labels?«
Die Antwort ist einfach. »Ich vertraue ihnen nicht.«
»Und wenn auf einem Produkt Bio steht, und es kommt aus Kasachstan oder Bolivien, macht Sie das misstrauisch?«
»Ja.«
»Wie heißen Sie?«, fragt Deitz. Wir versuchen die Interviews wenigstens anhand der Vornamen zu ordnen.
»Das geht Sie nichts an«, antwortet der Griesgram und lässt Charles Deitz mit derselben Schroffheit stehen, mit der Trader Joe’s gezielte Verbraucherfragen abwehrt.
Trader Joe’s, Wal-Mart und andere etablierte Einzelhandelsketten sowie der allgegenwärtige Whole Foods verdienen an Verbrauchertrends und den Ängsten, indem sie Produkte mit Bio-Bezeichnung liefern – und für Höchstpreise verkaufen.
Um meine Recherche zu objektivieren, stelle ich einige grundlegende Fragen zusammen, die ich beantwortet haben will: Wie unterscheiden sich die Anforderungen für den Anbau, die Verarbeitung und die Bezeichnung von Lebensmitteln als Bio angesichts widersprüchlicher Gesetze, unterschiedlicher Zertifizierungsprogramme und Verbrauchererwartungen? Wer überwacht den Einsatz des Begriffs »Bio« in der Lebensmittelindustrie? Warum bedeutet ein Aufkleber des US-Land-wirtschaftsministeriums, der Nahrungsmittel als Bioware kennzeichnet, nicht, dass es sich um hundertprozentige Bioware handelt?
Ich denke über die tatsächliche Herkunft der Bio-Walnüsse aus Kasachstan oder der Bio-Bohnen aus Bolivien nach, vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen als Journalist im ehemaligen Ostblock und in Südamerika. Ich lese Kommentare anonymer Kunden von Trader Joe’s über dessen Bio-Ansprüche. Es sind Kunden, die ihre Meinung auf verschiedenen Webseiten zum Thema Nahrungsmittel posten. Vom übersprudelnden »Trader Joe’s ist der beste Ort, um zu sehen und gesehen zu werden, wie bei Chili’s und Applebee’s« bis zu »TJ sollte wirklich mehr über den Ursprung seiner Nahrungsmittel offenlegen«. Diese Kommentare zeigen, welche folkloristische Nische sich das Geschäft in der amerikanischen Gesellschaft geschaffen hat.
KAUFT HÄSSLICHES, ES IST BIO stand auf dem Schild in der Obst- und Gemüseabteilung im Bethesda Coop in Cabin John in Maryland. In den Achtzigerjahren, als ich NBC-Korrespondent in Washington war, wohnten wir in derselben Straße. Wir kauften das Hässliche. Damals wie heute zahlen wir normalerweise mehr für das Hässliche (wenn auch Bioprodukte mit weiter entwickelten Anbautechniken schöner werden). Das Bio-Zeichen bedeutete für uns, dass die Äpfel und Birnen, die Zucchini und Tomaten ohne chemische Unkrautvernichter, Pestizide und Dünger angebaut wurden, auf Höfen, die bereits lange genug ohne solche Zusätze gearbeitet hatten, dass die Böden auch nicht belastet waren. Wir vertrauten der Kooperative und fragten nie, woher unsere Nahrungsmittel kamen. Ich bin mir nicht sicher, warum wir ihren Zeichen vertrauten. Vielleicht war das damals so. Der Laden sah gesund aus, und wir wollten glauben. Und ich glaube es immer noch: Ich glaube, dass die Produkte, die man uns in den Achtzigerjahren verkaufte, höchstwahrscheinlich von Familienbetrieben in Maryland und Virginia stammten und dass das verschrumpelte Gemüse und das fleckige Obst frei von Giften war.
Das hässliche Aussehen machte das glaubhafter, ebenso der ernsthafte Gesichtsausdruck von Jeans tragenden Verkäufern mit politischen Slogans auf ihren T-Shirts. Einer unserer Söhne arbeitete dort und räumte Regale ein. Wir waren Mitglieder.
Doch meine Bio-Walnüsse und Bio-Bohnen weichen eindeutig von diesen Waren aus den frühen Jahren der Kooperative in Bethesda ab. Seit damals ist das Wort »Bio« unvermeidlich, fast ein Klischee geworden. Als Indikator für das, was wir essen, ist es eine bewegliche Größe. Sehen wir uns zum Beispiel die Definition des US-Landwirtschaftsministeriums an. Wenn Sie etwas mit dessen Bio-Abzeichen essen, bedeutet das nur, dass mindestens 95 Prozent aller Zutaten die Anforderungen der Regierung für Bioprodukte erfüllen.
Die 95-Prozent-Regel gilt auch in der Europäischen Union. Bio bedeutet auf beiden Seiten des Atlantiks, dass die Zutaten frei von chemischen Unkrautvernichtern und Pestiziden und frei von gentechnisch veränderten Organismen und nicht bestrahlt oder voller chemischer Konservierungsmittel sind. Bis auf die verbleibenden fünf Prozent. Und welche Geheimnisse bergen diese fünf Prozent?
Andere Labels verwirren und sind irreführender. Was ist nicht einheimisch im Düsenzeitalter? Wie frei ist Freiland? »Natürlich« bedeutet, was auch immer Sie oder ich uns darunter vorstellen wollen, obwohl das amerikanische Landwirtschaftsministerium den Gebrauch des Begriffs reguliert, wenn er sich auf Fleisch und Eier bezieht.* Was kommt nicht aus der Natur, einschließlich einem besseren Leben durch die chemische Industrie, wie das Chemieunternehmen DuPont immer sagte?
*Fleisch und Eier, die als Bio zertifiziert sind, dürfen, laut USDA (eine vage Einschränkung) »minimal behandelt« werden und keine »künstlichen Zusatzstoffe« beinhalten.
Ein weiteres bodenständiges Lebensmittelgeschäft aus meiner Vergangenheit war das gute alte Good Earth in Marin County in Kalifornien. Das früher unscheinbare Geschäft ist heute ein strahlender Biolebensmittel-Palast. Am Ende eines langen, beschwerlichen Weges, der seinen Anfang in dem Ladengeschäft nahm, in dem ich Ende der Sechzigerjahre erstmals einkaufte, begrüßen mich die Eigentümer Janet DiGiovanna und Danny Rubenstein nun in ihrem weitläufigen Wohnzimmer – ein spektakulärer Ort mit raumhohen Fenstern, die mir das Gefühl vermitteln, wir schwebten über Mount Tamalpais, während wir auf den weißen Ledersofas sitzen. Der Tag ist stürmisch, und als die beeindruckende Aussicht sich von grau und regnerisch zu hellblauem Himmel mit kleinen weißen Wölkchen wandelt, fällt es mir schwer, meinen Blick auf den beiden zu halten, trotz ihrer ernüchternden Geschichten aus ihren Jahren als Marketingberater in der Biolebensmittelbranche – der »Hippiezeit«, wie sie die Sechziger nennen.
Janet und Dannys Kundenliste liest sich wie ein Einkaufszettel für Whole Foods: Tazo- und Numi-Tees, Odwalla, Driscoll’s Berries, Naked Juice und POM Wonderful. Whole Foods steht tatsächlich auch auf der Liste. Das Paar ist bereit, mich über die Zertifizierung von Biolebensmitteln aus ihrer Perspektive als Berater der Branche zu informieren. Sie sind auf die Beratung von Unternehmen spezialisiert, die florieren, weil das Wort »Bio« ihre Verpackungen ziert. Die beiden strahlen Begeisterung für Essen aus, doch in diese Leidenschaft mischt sich Verachtung für die ihrer Ansicht nach korrupte Moral in der Branche. Sie schwelgen in Erinnerungen an ein Unternehmen, dessen Führung sich mehr für gesunde Ernährung als für dicke Brieftaschen interessierte.
Ich treffe mich mit Janet und Danny, weil ich aus ihren Erfahrungen lernen will und auch, um von ihrer beträchtlichen Adresssammlung zu profitieren. Zwischen der Nennung der wichtigsten Größen im Biosektor sparen Janet und Danny nicht mit kritischen Kommentaren über die Branche, zu deren Aufbau sie erheblich beigetragen haben. Diese Bemerkungen kommen fast schneller, als ich mitschreiben kann. Sie erinnern mich an ein Paar Comedians – außer dass das Gehörte nicht lustig ist.
»Ihre These, dass es viel Gier und Mist in der Biobranche gibt, stimmt«, sagen sie. »Es ist eine Schande, dass Bio nicht mehr dasselbe bedeutet wie früher.« Die gute alte Zeit, an die sie sich erinnern, liegt schon einige Zeit zurück: In den Sechziger- und Siebzigerjahren, als die gesamte Gegenkultur von Bohème, Hippies und Vietnamgegnern der Babyboom-Generation über dem Katalog von Whole Earth und Mother Earth News saß und von alternativen Lebensstilen träumte oder welche schuf, wurden alternative Lebensstile von anderem als von Fertigprodukten wie Cheez Whiz und Wonder Bread genährt. In diesen Tagen wurden die California Certified Organic Farmers (wir kennen die CCOF-Etiketten aus unserer Küche) und Oregon Tilth* gegründet.
Diese frühen Zertifizierer waren keine gewinnorientierten Unternehmen (für Oregon Tilth trifft das immer noch zu; CCOF hat seine Zertifizierungsabteilung in den gewinnorientierten Bereich ausgegliedert), doch viel eher sieht man heute den stilisierten Buchstaben Q auf dem Etikett verpackter Biolebensmittel. Unternehmer, die hier schon früh die Möglichkeit zum Geldverdienen witterten, wenn man ein Gütesiegel auf Bioprodukte drückt, gründeten die Quality Assurance International. QAI ist ein gewinnorientiertes Unternehmen, das Janet und Danny als »erste Delle im Harnisch« dieser ersten Welle von Bioernährungsaposteln bezeichnen, die ursprünglich einmal Puristen mit einer Mission waren.
»Die Amerikaner haben keinen Schimmer, was Biolebensmittel ausmacht«, sagen sie. »Es herrscht viel Verwirrung, und es gibt viele Missverständnisse. Fragen Sie jemanden, was Bio bedeutet. Sie glauben, es bedeutet ohne Einsatz von Herbiziden und Pestiziden«. Doch das sind nur zwei Kriterien. Wenn man sicher wissen will, was man sich in den Mund schiebt, braucht man »eine Papierspur vom Acker bis zum Tisch«.
Janet und Danny nennen ein paar Beispiele, was uns Sorgen bereiten sollte. Wenn nun neben dem unverdorbenen Land ein Hüttenwerk liegt? Wenn das zur Bewässerung verwendete Wasser mit Blei kontaminiert ist? Sie verweisen mit besonderer Sorge auf landwirtschaftliche Produkte aus Mexiko. »Folge dem Wasser«, raten sie, in Abwandlung des Ratschlags »Folge dem Geld«, von Woodward und Bernstein, den vielleicht berühmtesten und unerschrockensten Reportern aller Zeiten. Welche Qualität hat das Wasser, das für biozertifizierte landwirtschaftliche Produkte in Mexiko verwendet wird? Wer testet das Wasser und auf welche Stoffe? Wird das Wasser untersucht?
Weitere Fragen ergeben sich nach der Ernte, wenn die Produkte den Hof verlassen, wo sie wohl tatsächlich angebaut wurden. Dann wird die Ernte, zum Beispiel die schwarzen Bohnen in meiner Dose von Natural Directions, verarbeitet. Welche Reinigungsprodukte werden für die Verarbeitungsgeräte verwendet? Welche Geschmacksstoffe und anderen Hilfsstoffe für die Verarbeitung werden hinzugefügt?
Janet, Danny und ich blicken auf die beeindruckende Aussicht und den stürmischen Tag. »Die Biolebensmittelbranche gehört den amerikanischen Konzernen«, seufzen beide. Und mit einem weiteren resignierten Seufzer beklagen sie den globalisierten Biohandel. »In China geschieht bei Bioprodukten der größte Betrug, den man sich vorstellen kann.«
Mein Notizbuch ist jetzt voller Namen, darunter auch drei, die Janet und Danny als »Gold Standard« der Branche bezeichnen – die Guten. Der Apfel- und Birnenerzeuger Gene Kahn, der Pionier, der Muir Glen, Cascadian Farms und Fantastic Foods gründete – und sie dann alle an General Mills verkaufte. Gary Hirshberg, Gründer von Stonyfield Farms – jetzt im Besitz von Danone, dem internationalen Joghurtkonzern. Andy Berliner und seine Frau Rachel, die ihr Unternehmen für Fertigprodukte nach ihrer Tochter Amy Amy’s Kitchen nannten.
Doch beim Abschied warnen mich Janet und Danny. »Die Leute wissen nicht, was unbelastet ist. Diese Branche basiert auf Vertrauen. Es gibt hier viele hässliche Geschichten.« Bei den Bio-Standards gibt es Fehler, Nachlässigkeit und Gier. Als erstes Beispiel für die degradierte und korrupte Biolebensmittelbranche führen sie die USDA-Bio-Standards an. Der Sektor sei so schnell gewachsen, dass er von den amerikanischen Unternehmen und ihrer mächtigen Lobbymaschine übernommen wurde.
Als ich in Berlin lebte, wohnte ich mit meiner Familie bei Freunden, ehe wir eine eigene Wohnung fanden. Gerade um die Ecke war ein Aldi-Markt. Es war für mich immer ein Abenteuer, bei Aldi einzukaufen, denn das Angebot änderte sich von Tag zu Tag. Wir lernten, immer gleich größere Mengen zu kaufen, wenn wir ein Produkt entdeckten, das wir wirklich mochten. Am nächsten Tag könnte es nicht mehr verfügbar sein.
Dieser Aldi in der Nähe vom Bundesplatz war eindeutig auf den Massenmarkt ausgerichtet. Die Waren waren in ihren ursprünglichen Versandkartons gestapelt, die nur so weit aufgerissen waren, dass man an den Aufschriften erkennen konnte, was darin war. Es gab keine verführerischen Auslagen, sondern nur Waren, die die engen Gänge versperrten. Die Schlangen an der Kasse waren immer lang. Die Angestellten waren meistens mürrisch und warfen die Waren an der Kasse vorbei, während sie die Preise eingaben; es wurde erwartet, dass wir Kunden unsere Einkäufe bezahlten und einpackten, ehe der Angestellte die Sachen des nächsten Kunden auf unseren Stapel werfen konnte. Der Einkauf war stressig, geradezu lächerlich aus der Sicht eines amerikanischen Kunden, der es gewohnt war, von den Einzelhändlern bedient zu werden. Lächerlich und ärgerlich.
Doch es war auch billig. Immer zum besten Preis versprach Aldi – und Aldi bietet niedrige Preise. Die Brüder Karl und Theo Albrecht entwickelten die Einzelhandelskette nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem elterlichen Geschäft und teilten die Diskounterkette (Aldi ist die Abkürzung von Albrecht Discount) 1960 in Aldi Nord (Theo) und Aldi Süd (Karl); Aldi Nord ist der Eigentümer von Trader Joe’s. Wie Trader Joe’s ist Aldi berühmt für seine Geheimhaltungspolitik, was das Unternehmen angeht. In jüngster Vergangenheit zog eine für viele Kunden weitaus schlimmere Geschichte als die fragwürdige Herkunft von Walnüssen die Aufmerksamkeit auf sich: der Verkauf von Pferdefleisch, das als Rindfleisch deklariert war.
Der Pferdefleischskandal aus dem Jahr 2013 – Pferdefleisch in Tiefkühl-Lasagne, Pferdefleisch in Hamburgern, die neben Aldi von den weitverbreiteten europäischen Supermarktketten wie Tesco und Lidl verkauft wurden, war ein Kennzeichnungsskandal. Die Schuld wurde in der Nahrungskette weitergeschoben. Nicht dass am Verzehr von Pferdefleisch etwas falsch wäre, wenn man Fleischesser ist. Solange man diskret vorgeht, was die Fleischauswahl angeht. Der Pferdefleischskandal erinnerte die Verbraucher weltweit daran, dass man Etiketten nicht unbedingt vertrauen sollte.
»Das ist wirklich schockierend, völlig inakzeptabel«, war die Reaktion des britischen Premierministers David Cameron, der richtig ausführte: »Es geht nicht um Gesundheitsgefährdung, sondern um die korrekte Kennzeichnung, um die korrekte Praxis im Einzelhandel. Und es ärgert die Leute, wenn sie erfahren, dass sie statt des vermeintlichen Rindfleischs Pferdefleisch gegessen haben.«4
Als der Pferdefleischskandal durch Europa galoppierte, nahm Aldi Tiefkühlkost mit der Bezeichnung »Rindfleisch-Lasagne« und »Spaghetti Bolognese« aus den Regalen. Das Unternehmen gab bekannt, Untersuchungen hätten ergeben, das Fleisch in diesen Fertiggerichten habe Pferdefleisch enthalten – bis zu 100 Prozent. Aldis erschöpfte PR-Vertreter verkündeten, die Supermarktkette sei »verärgert und enttäuscht« über seinen Lieferanten der Lasagne und der Spaghetti, den riesigen französischen Lebensmittelhersteller Comigel. Die offizielle Auskunft des Unternehmens lautete: »Wenn auf dem Produkt Rindfleisch steht, erwarten unsere Kunden auch Rindfleisch.« Comigel schob die Schuld auf seinen Rindfleisch-Lieferanten Spanghero. Comigel gab an, es beziehe laut Vertrag französisches Rindfleisch von Spanghero, doch nach Bekanntwerden des Skandals gab Comigel an, Spanghero habe seine Aussagen geändert, das Fleisch stamme nicht aus Frankreich, sondern aus Rumänien.5
Wenn Aldi von seinen Lieferanten betrogen wurde und aus Rumänien als Rindfleisch ausgezeichnetes Pferdefleisch erhielt, wie viel Vertrauen können die Kunden, die beim Tochterunternehmen Trader Joe’s einkaufen, in die Lebensmittel in den Regalen haben? In der spanischen Zeitung El País ging ein Editorial mit der Überschrift »Mehr als nur Betrug« der Frage entlang der gesamten Nahrungsmittelkette nach. »Die Entdeckung von Pferdefleisch in als Rindfleisch gekennzeichneten Produkten hat eine betrügerische Praxis offengelegt, die so weit verbreitet ist, dass schwerwiegende Mängel im Kontrollsystem für Lebensmittel offenbar werden, die der Öffentlichkeit verkauft werden«, berichtete die Zeitung, die sich weiter für eine strenge Reaktion vonseiten der Regierung einsetzt. »Die Tatsache, dass das Etikett auf der Verpackung nicht dem realen Inhalt entspricht, ist eine betrügerische Praxis, die verfolgt und bestraft werden muss.«
Es sei nicht falsch, Pferdefleisch zu essen, so El País weiter. »Es ist das Ausmaß von Betrug, das uns auf die beunruhigende Verletzlichkeit des Nahrungsmittelvertriebssystems aufmerksam macht. Die Stationen Produktion, Verpackung und Vertrieb eines Hamburgers oder Fleischkloßes sind so komplex, weitläufig und so häufig an weitere Subunternehmen vergeben, dass die Überwachung immer schwieriger wird. In manchen Fällen war es nicht einmal möglich zu sagen, woher das Fleisch stammt«, beklagte die Zeitung.6
Der dem Kunden unbekannte Ursprung der gefälschten Hamburger und Fleischklöße passt zu den Walnüssen bei Trader Joe’s. Dort wird alles Mögliche unternommen, um zu verhindern, dass die Kunden erfahren, wer diese Nüsse wo angebaut hat. Es gibt viele Orte, wo man in Kasachstan nachsehen könnte – es ist ein riesiges Land, so groß wie Westeuropa. Allein anhand der Aufschrift »Produkt aus Kasachstan« auf einer Plastiktüte ohne Nachweis oder Angaben – dazu noch die undurchsichtige Unternehmenskultur bei Trader Joe’s, was die Herkunft ihrer Produkte angeht – ist es unmöglich, die Nüsse bis zu ihrem Anbauort zurückzuverfolgen.
Ich denke über die Seriosität der weltweiten Lebensmittelversorgung nach, während ich in einem Café in Barcelona den El País lese; der Tag ist warm genug, dass ich meinen té verde an einem Tisch draußen trinken kann. Die Global Food Safety Conference bringt mich nach Spanien – die Organisatoren versprechen »ein einzigartiges jährlich stattfindendes Ereignis, das über 1000 führende Experten zur Lebensmittelsicherheit aus über 60 Ländern weltweit zusammenbringt, um die Lebensmittelsicherheit weltweit voranzubringen«. Diese Aussage weckt in mir die Erwartung, dass sich meine Anwesenheit hier für meine laufenden Recherchen lohnt.
Doch heute ist Sonntag, ich genieße den südländischen Lebensstil, lese Zeitung, genieße die Stadt und beobachte das Leben auf der Straße. Die helle mediterrane Sonne fühlt sich gut an, und ich fotografiere ein Stillleben auf dem Tisch: Das Glas mit Tee wirft einen Schatten auf meine Zeitung. Ich habe mich hier, einige Blocks von der berühmten von Bäumen gesäumten Flaniermeile La Rambla entfernt, niedergelassen, weil ich den Touristen entgehen wollte. Die Atmosphäre auf der Carrer d’en Robador ist entspannt, es dominieren Einheimische – zumindest zu dieser noch recht frühen Stunde. Kleidung hängt auf den Balkonen in der engen Straße zum Trocknen, und je mehr es auf Mittag zugeht, desto mehr Frauen sieht man auf den Gehwegen auf und ab gehen – eine zum Beispiel im superkurzen Minirock, mit hochhackigen knielangen Stiefeln und Netzstrümpfen. Die Geschäfte in der Nähe, wo sie entlangschlendert und auf Kunden wartet, bieten »Afro-Latino-Haarschnitte«, Tandoori und Couscous (»Stir It Up« von Bob Marley ist aus einem Couscous-Restaurant zu hören), und eine Carnisseria Islamica verkauft Halal-Fleisch. An einem Lebensmittelgeschäft an der Ecke warnt ein Graffiti: »Hoy no curra nadie«, »heute läuft hier nichts« – und das bezieht sich nicht auf den heutigen Feiertag, sondern auf die andauernde Wirtschaftskrise in Spanien. Ich sehe einige Geschäfte, die aufgegeben wurden. Ich trinke meinen grünen Tee und warte, bis das Restaurant +Organic öffnet, um dort das Mittagessen zu probieren, das in den meisten Reiseführern für die empfohlen wird, die la carne in den Mahlzeiten weglassen. »Wir verwenden Bioprodukte, mikrogefiltertes Wasser und viel Liebe«, verspricht der Prospekt des Restaurants. Es ist schon nach Mittag, als ich eintrete, doch ich bin der erste Kunde an diesem Tag in dieser Stadt, wo spät gegessen wird. »Zu früh?«, frage ich die Kellnerin. »Un poco temprano«, sagt sie, doch ich darf bleiben und etwas essen. Der Koch trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift »Organic is Orgasmic« (deutsch: »Bio ist orgasmisch«). Für mich besteht das Mittagessen aus einer Spinat- und Karottensuppe vom Buffet, einem Salat (Endivien, Tomaten und Oliven) und gekochten Kartoffeln mit Zwiebeln. Köstlich.
Ich frage den Geschäftsführer, was ich esse.
»Alles ist Bio«, versichert er mir.
»Wie können Sie das wissen?«, frage ich.
»Es ist von der katalanischen Regierung zertifiziert«, sagt er und dass er den Erzeugern und verarbeitenden Betrieben, die +Organic beliefern, vertraut. Die Musikanlage wird eingeschaltet und eine gitarrenlastige, schmalzige Version von »Can’t Take My Eyes Off You« auf Spanisch eines leidenschaftlich singenden Duos tönt durch die hohe, leere Speisehalle. Ich spüle meine Mahlzeit mit einem Glas frischem Karottensaft hinunter. Doch auf meinem Weg zu el baño finde ich Anzeichen dafür, dass das +-Zeichen im Restaurantnamen wohl diskret darauf hinweist, dass Ausnahmen möglich sind. Ich komme an einem Kühlschrank vorbei, hinter dessen Glastür die Fächer gefüllt sind mit einem allgegenwärtigen amerikanischen Import, von dem es noch keine Bio-Variante gibt: Coca Cola.
Wenn man in Barcelona ein Bioprodukt kauft, das aus Katalonien stammt, wird es wahrscheinlich nicht nur das Biosiegel der Europäischen Union tragen (ein stilisiertes Blatt, dessen Umrisse von den Europasternen gebildet werden, auf grünem Grund), sondern auch das Siegel des Katalanischen Rates für Bioproduktion – das Regierungsgremium, das Bioprodukte der Region zertifiziert.
In einem Arbeiterviertel weit entfernt von Gaudis sich hoch erhebender Kathedrale Sagrada Família und den Souvenirhändlern von La Rambla treffen ich mich im Gesundheitsministerium mit Isidre Martínez, dem Verantwortlichen für die Zertifizierung von Biolebensmitteln in Katalonien. Sein Auftritt im Büro wirkt informell: Cordhemd mit offenem Kragen, dichter Lockenschopf und ein lässiges Lächeln.
»Null Risiko ist momentan weltweit nicht zu haben«, sagt Martínez über die Vertrauenswürdigkeit von Biolebensmitteln, die nach Spanien importiert werden. »Es geschehen Fehler, und Kriminelle gibt es überall. Immer.« Doch das ist nicht seine einzige Sorge – und er glaubt, Betrug sei in der Bionahrungskette nicht sehr verbreitet. Auch wenn Martínez überzeugt ist, dass ein Produkt aus Indien oder China alle Gesundheitsund Sicherheitsanforderungen für Biolebensmittel erfüllt, muss es auch seine ganzheitlichen Anforderungen erfüllen, um ihn zufriedenzustellen.
Martínez beschäftigt sich seit seiner Studentenzeit mit der Produktion von Biolebensmitteln und hat sein gesamtes Arbeitsleben diesem Bereich gewidmet. Im Gegensatz zu Oregon ist die Kontrollbehörde, die katalanische Höfe und Erzeuger zertifiziert, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Wie in den USA müssen die Höfe und Erzeuger die Zertifizierungsstelle für die Dienstleistung bezahlen. Doch Martínez ist überzeugt, dass es, weil die Regierung für die Zertifizierung verantwortlich ist, keinen Interessenkonflikt gibt, denn es gibt keinen Wettbewerb zwischen einzelnen Zertifizierungsstellen. »Wir haben uns dafür entschieden, um Interessenkonflikte zu vermeiden«, sagt er. Das zusätzliche katalanische Siegel auf Biolebensmitteln, die in Katalonien produziert und zertifiziert wurden, weist den Verbraucher darauf hin, dass das Produkt laut Martínez strengeren Kontrollen unterworfen war, als es die europäischen Vorschriften erfordern, und dass es aus Katalonien stammt. »Wenn der Verbraucher Zweifel hat, kann er seine Fragen an die Kontrollbehörde richten.«
Zum Beispiel: Wo zum Kuckuck kommen diese Bohnen und Walnüsse her? Martínez sagt, die katalanische Regierung gibt ihren Bürgern Namen und Ort der Lieferanten, und er ist überzeugt, wenn sie die Wahl haben, werden sie die katalanischen Produkte den Importen vorziehen. Seine Behörde hat die Bio-Verbraucher sogar befragt, ob sie Bioprodukte aus anderen Teilen der Welt den katalanischen konventionell erzeugten Produkten aus Katalonien vorziehen würden. »60 Prozent der befragten Verbraucher würden das katalanische Produkt wählen.«
»Auch wenn es nicht Bio ist?« Ich frage, weil ich sicher sein will, dass ich ihn richtig verstanden habe. Ich denke an die Märkte in Oregon mit Obst- und Gemüseabteilungen voller angeblichem Bio-Obst und -Gemüse aus der ganzen Welt.
»Ja«, sagt er, »denn ökologisch, wie wir die Bioware nennen, umfasst mehr als nur die Regeln für die Produktion.« Die Biokonzepte können sich auf die Vermarktung erstrecken, und die Nähe von Bauernhof und Markt gehört zu seiner Definition von Biolebensmitteln. »Die meisten Konsumenten von Biolebensmitteln verhalten sich ökologisch und ziehen lokale Produkte vor.«
Ich frage: »Ist das ein nationalistisches Verhalten?« Katalonien ist ein autonomer Teil Spaniens und sieht sich selbst als nationale Einheit.7 Nationalistische katalanische Politiker sind gerade dabei, die Region zu größerer Unabhängigkeit von Madrid zu führen. In ganz Barcelona wehen katalanische Flaggen von den Balkonen.
»Ich glaube nicht, dass das nationalistisch ist«, sagt er und findet diese Theorie zu einschränkend. »Das hat ökologische Gründe.«
»Keinen Spargel aus Peru, der mit einem umweltschädlichen Flugzeug nach Barcelona kam?«
»Das ist verrückt«, sagt er über die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die über weite Strecken transportiert werden. Doch in Spanien gibt es das ganze Jahr über Landwirtschaft; es gibt eine Fülle frischer lokaler Produkte im Dezember in ganz Katalonien. Versuchen Sie das einmal zur Weihnachtszeit in Duluth oder Lansing oder Rochester. »Ökologie ist ein stärkeres Argument als die Politik.« Das motiviert Martínez, Einzelhändler für sein Obst und Gemüse zu meiden und direkt von den Bauern zu kaufen. »Ich bevorzuge Leute, die vor Ort auf kleinen Höfen um Barcelona produzieren. Ich wähle Bioprodukte, weil sie keine Chemikalien einsetzen. Und bei Produkten wie Tomaten natürlich auch wegen des Geschmacks.«
Am nächsten Tag nehme ich meinen Anstecker und begebe mich in das Gedränge beim Treffen der Interessengruppen zur Global Food Safety. Die Lebensmittelhändler investieren weltweit viel, damit wir nicht krank werden, wenn wir ihre Waren essen. Für die Lebensmittelbranche gibt es nichts Schlimmeres, als wenn Kunden krank werden und sterben durch das, was sie essen. Ich schlendere durch die Ausstellungsstände, bis ich den Stand der NSF finde. NSF International (»Live Safer« ist ihr Motto) ist das Mutterschiff von Quality Assurance International. Laut der offiziellen Unternehmensgeschichte wurde die NSF an der School of Public Health an der University of Michigan als die National Sanitation Foundation gegründet. Im Jahr 1989 wurde sie umbenannt in NSF International und kaufte im Jahr 2004 die profitorientierte Quality Assurance International (QAI).
Der Vertreter der NSF, Dan Fone, scheint im Gespräch am Stand begeistert von der Idee, mir bei der Rückverfolgung meiner Bohnen und Nüsse zu ihrem Ursprung zu helfen. Wir sprechen über Barcelona, über Essen, Biolebensmittel und die Ducks, das ist das Footballteam meiner Universität.
»Ich denke, das wäre großartig, die Sache mit diesem unabhängigen Blick zu betrachten«, sagte Fone über mein Projekt. »Nicht umsonst werden sie alle als Marken des Vertrauens bezeichnet.« »Trust mark« ist der Fachjargon (kein wissenschaftlicher Begriff) für die allgegenwärtigen Siegel, die heute die Verpackungen zieren, von nachhaltigem diesem bis zu fair gehandeltem jenem. Wir tauschen unsere Visitenkarten, und ich gebe ihm einen meiner Kugelschreiber, die ich immer dabeihabe, um meine Kontakte an die Begegnung mit mir zu erinnern. Er ist hellgelb mit einem kleinen Entenkopf darauf. Drückt man auf den Kopf, quakt der Stift.
Doch im Verlauf eines Monats schürt mein E-Mail-Kontakt mit Greta Houlahan, der Leiterin der Unternehmenskommunikation der NSF (und somit auch der QAI) meine anfängliche Skepsis, was die existierenden Sicherheitsbestimmungen für die Echtheit von als Bio gekennzeichneten Nahrungsmitteln betrifft.
Die erste Notiz geht von Fone an Jaclyn Bowen. Bowen ist Geschäftsführerin von QAI, nach Veröffentlichungen des Unternehmens ist es ihre Aufgabe, die Einhaltung der Regeln des USDA National Organic Program zu überprüfen.
»Jackie«, schreibt Dan Fone
Darf ich Ihnen Peter Laufer von der U. of Oregon (Vorwärts, Ducks!) vorstellen. Peter untersucht ein paar mit dem Q als Bioprodukte gekennzeichnete Artikel von Trader Joe’s zurück bis zum Baum oder Feld, wo sie gewachsen sind. Wären Sie so freundlich, nächste Woche Kontakt zu ihm aufzunehmen, um die Sache weiter zu besprechen?
So weit so gut. Routine.
Ich bedanke mich bei Dan, mit Kopie an Jackie (wir sind hier alle ganz zwanglos in Amerika) und einer direkten Bestätigung: »Jackie, ich freue mich auf den Kontakt mit Ihnen in der kommenden Woche.«
Jackie antwortet sofort: »Peter, ich bin auf dem Weg in den Urlaub. Sind Sie heute am Morgen erreichbar? Freue mich auf das Gespräch mit Ihnen.«
»Kommen Sie nach Barcelona in Urlaub, Jackie«, antworte ich. »Der Regen hat aufgehört, es ist ein wunderbarer Abend, und es ist fast Zeit für tapas und vino tinto.« Dann schlage ich einige Termine für ein erstes Telefongespräch vor.
Sie sagt höflich, dass sie nach Australien fahre, und reicht mich dann an Houlahan weiter, die Leiterin der Unternehmenskommunikation, mit der verständlichen Entschuldigung, dass sie noch einiges zu erledigen habe, ehe sie nach Down Under abreist.