Black Dahlia - Die schwarze Dahlie - James Ellroy - E-Book
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Black Dahlia - Die schwarze Dahlie E-Book

James Ellroy

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Beschreibung

»Ellroy ist der wichtigste zeitgenössische Krimiautor.« Der Spiegel Los Angeles 1947: Auf einem verlassenen Grundstück wird die Leiche einer jungen Frau entdeckt – nackt und bestialisch zugerichtet. Der Mord der Schwarzen Dahlie macht Schlagzeilen und löst die größte Verbrecherjagd in der Geschichte Kaliforniens aus. Für Bucky Bleichert und Lee Blanchard vom Los Angeles Police Department wird die Suche nach dem Mörder zur Obsession.  Band 1 des berühmten L.A.-Quartetts. Lesen Sie auch Die Rothaarige. Die Suche nach dem Mörder meiner Mutter - James Ellroys wichtigsten autobiographischen Text; ein Klassiker der Kriminalliteratur.

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Das Buch

Am 15. Januar 1947 wird auf einem verlassenen Parkgrundstück in Los Angeles die Leiche einer jungen Frau entdeckt – nackt und bestialisch zugerichtet. Erste Ermittlungen ergeben, daß es sich bei der Toten um die junge Elizabeth Short handelt, ein Mädchen, das wie so viele andere den Traum vom Ruhm in Hollywood suchte. Sie landete zunächst auf dem Strich, brachte es jedoch aufgrund ihrer Aufmachung – sie trug ausschließlich schwarze Kleidung und färbte ihr Haar lackschwarz – zu bescheidenem Bekanntheitsgrad. Nach ihrem Tod gab ihr ein findiger Reporter den Namen »Die Schwarze Dahlie« und kreierte damit ein unglaubliches Medienereignis. Wochenlang beherrschte der Mordfall die Titelseiten sämtlicher Zeitungen. Die Suche nach dem Mörder führt die Polizisten Blanchard und Bleichert tief in die Abgründe der Unterwelt von Los Angeles.

Der Autor

James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1979 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, etliche seiner Bücher wurden verfilmt, darunter L. A. Confidential und Die Schwarze Dahlie (Black Dahlia)

Von James Ellroy sind in unserem Hause bereits erschienen:

Die Underworld-Trilogie:

Ein amerikanischer Thriller

Ein amerikanischer Albtraum

Blut will fließen

Die L.A-Serie:

Die Schwarze Dahlie

Blutschatten

L. A. Confidential

White Jazz

Außerdem:

Crime Wave

Der Hilliker-Fluch

Perfidia

Besuchen Sie uns im Internet:

www.ullstein-taschenbuch.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen,wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung,Speicherung oder Übertragungkönnen zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch

1. Auflage Oktober 2006

4. Auflage 2013

© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage, Berlin 2006

© 2001 für die deutsche Ausgabe

Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München

© 1988 für die deutsche Ausgabe

Ullstein Buchverlage GmbH & Co. KG, Berlin

© 1987 by James Ellroy

Titel der amerikanischen Originalausgabe: The Black Dahlia

Nachwort © 2006 by James Ellroy

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Titelabbildung: mauritius images / © Francis Specker

E-Book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

E-Book ISBN 978-3-8437-1022-0

Für

Geneva Hilliker Ellroy

1915-1958

Mutter:

Neunundzwanzig Jahre später

Dieses in Blut geschriebene Lebewohl

Jetzt lege ich dich ab, mein Trunkenbold,mein Steuermann, mein erst verlorener Hüter,um zu beschaun und dich zu lieben später.

Anne Sexton

PROLOG

Lebend bin ich ihr nie begegnet. Sie existiert für mich durch andere, bezeugt ihr Leben mittelbar in den Folgen, in die ihr Tod jene getrieben hat. Mich in die Vergangenheit zurückarbeitend, einzig um Tatsachen bemüht, erstand sie vor mir als ein trauriges kleines Mädchen und eine Hure, bestenfalls jemand, aus dem etwas hätte werden können – ein Etikett, das möglicherweise auch auf mich zutrifft. Ginge es nach meinen Wünschen, ich hätte ihr ein Ende in Anonymität zugebilligt, sie abgeschoben in den Abschlußbericht eines Ermittlers der Mordkommission, ein paar knappe, karge Worte, Durchschlag an die Staatsanwaltschaft und dann noch ein bißchen mehr Papierkram, der ihre letzte Fahrt zum Schindanger begleitet. Das einzige, was an diesem Wunsch nicht stimmen kann, ist, daß sie es selbst nicht so gewollt hätte. So brutal, wie die Fakten waren, hätte sie darauf bestanden, daß sie alle bekannt werden. Und weil ich ihr eine Menge schulde und der einzige bin, der die ganze Geschichte kennt, habe ich es übernommen, diese Erinnerungen zu schreiben.

Aber vor der Dahlie war die Partnerschaft, und davor waren der Krieg und militärische Gängeleien und die Manöver bei der Central Division, die uns daran erinnern sollten, daß auch Polizisten Soldaten sind, selbst wenn wir weitaus weniger populär waren als diejenigen, die gegen die Deutschen und die Japse kämpften. Nach dem Tagesdienst war jeder Streifenmann verpflichtet, an Luftschutzübungen, Verdunklungsübungen und Brandräumungsübungen teilzunehmen, bei denen wir in Habachtstellung in der Los Angeles Street standen und den Angriff einer Messerschmitt ersehnten, damit wir uns weniger wie Narren fühlen müßten. Der Tagesappell verlangte Aufstellung in alphabetischer Reihenfolge, und kurz nach meinem Abschluß an der Polizeiakademie im August ’42 begegnete ich daher auch Lee.

Ich kannte seinen Ruf, und unsere jeweiligen Kampfberichte wußte ich auswendig herzusagen: Lee Blanchard, 43-4-2 im Schwergewicht, ehemalige Dauerattraktion im Hollywood Legion Stadium; und ich: Bucky Bleichert, Halbschwergewicht, 36-0-0, ehemals auf Rang 10 in der Boxzeitschrift Ring geführt, wahrscheinlich weil Nat Fleischer von der Art und Weise belustigt war, wie ich Gegner mit meinen großen Raffzähnen höhnisch angrinste. Dennoch ließen die Statistiken einiges aus. Blanchard hatte einen knallharten Schlag, steckte sechs weg, um einen auszuteilen, der klassische Kopfjäger; ich tänzelte und konterte und schlug Leberhaken, stets die Deckung oben behaltend, aus Angst, daß das Wegstecken zu vieler Kopftreffer meinem Aussehen noch mehr schaden würde, als es bereits meinen Zähnen geschadet hatte. Stilistisch gesehen, waren Lee und ich wie Öl und Wasser, und jedesmal, wenn beim Appell unsere Schultern aneinanderstießen, mußte ich mich fragen: wer würde wohl gewinnen?

Fast ein volles Jahr lang umkreisten wir einander. Wir sprachen nie über Boxen oder Polizeiarbeit und beschränkten unsere Unterhaltung auf ein paar Worte über das Wetter. Körperlich waren wir so gegensätzlich, wie es zwei große Männer nur sein konnten: Blanchard war ein Rotblonder, ein Meter achtzig groß, mit mächtigem Brustkorb und Schultern, stämmigen O-Beinen und beginnendem Bauchansatz; ich war blaß und dunkelhaarig, ein Meter neunzig lang und nichts als Knochen und Muskeln. Wer würde wohl gewinnen?

Ich gab es schließlich auf, einen Sieger vorauszusagen. Doch andere Cops griffen die Frage auf, und während dieses ersten Jahres im Central bekam ich zig Meinungen zu hören: Blanchard durch vorzeitigen K. O.; Bleichert nach Punkten; Blanchard Abbruchsieger nach Verletzung – Verlierer durch Abbruch – alles, nur nicht Bleichert Sieger durch K. O.

Sobald ich außer Sichtweite war, hörte ich Geflüster über unsere Taten außerhalb des Rings: Lee, der zum Los Angeles Police Department mit dem Versprechen rascher Beförderung gegangen war, weil er auf geschlossenen Saufgelagen, die von der Polizeiführung und ihren politischen Freunden veranstaltet wurden, geboxt hatte, der den Bankraub in der Boulevard-Citizens-Bank, damals im Jahre ’39, geknackt und sich dann in die Freundin eines der Bankräuber verliebt hatte, sich eine sichere Versetzung zur Kriminalabteilung vermasselte, indem er mit der Mieze zusammengezogen war – in klarer Verletzung der Dienstvorschriften über wilde Ehen –, und die ihn dann auch noch gebeten hatte, das Boxen aufzugeben. Die Gerüchte über Blanchard trafen mich wie kleine, angetäuschte linke Gerade, und ich fragte mich, was daran wahr sein mochte. Die Bruchstücke meiner eigenen Geschichte wirkten dagegen wie volle Körpertreffer, denn sie waren hundertprozentig reiner Stoff: Dwight Bleichert, der auf der Flucht vor übermächtigen Zeitumständen zur Polizei geht, bedroht vom Rausschmiß aus der Academy, als die Mitgliedschaft seines Vaters im Deutsch-Amerikanischen Bund bekannt wird, dazu genötigt, die japanischen Jungen, mit denen er aufgewachsen war, für die Alien Squad, die Ausländerpolizei, zu verpfeifen, um seine Anstellung beim L.A.P.D. zu sichern. Nicht gefragt bei Schaukämpfen auf Privatparties, weil er kein K. O.-Schläger war.

Blanchard und Bleichert: ein Held und ein Spitzel.

Wenn ich daran zurückdenke, wie Sam Murakami und Hideo Ashida mit Handschellen gefesselt unterwegs nach Manzanar waren, mochte es leicht erscheinen, beide, ihn und mich, auf einen Nenner zu bringen – jedenfalls zunächst. Dann traten wir beide Seite an Seite in Aktion, und meine anfänglichen Vorstellungen über Lee – und über mich selbst – zerstoben auf einen Schlag.

Es war Anfang Juni ‘43. In der Woche davor hatten Matrosen am Lick Pier in Venice Streit mit Mexikanern angefangen, die die berühmten Zoot-Suits, Anzüge mit taillierten Jacken und Röhrenhosen, trugen. Das Gerücht ging um, daß einer der Blaujacken ein Auge verloren hätte. Jetzt kam es auch im Hinterland zu Scharmützeln: Mannschaften vom Marinestützpunkt Chavez Ravine gegen Pachucos in Alpine und Palo Verde. Die Zeitungen machten Andeutungen, daß die Zooters nicht nur Springmesser, sondern auch Nazi-Embleme mit sich führten. Und Hunderte von uniformierten Matrosen und Marineinfanteristen fielen in die Innenstadt von Los Angeles ein, bewaffnet mit Totschlägern und Baseballknüppeln. Man ging davon aus, daß eine etwa gleiche Anzahl von Pachucos sich vermutlich in der Nähe der Brew 102 Brewery in Boyle Heights, ausgerüstet mit vergleichbarer Bewaffnung, zusammenrottete. Jeder Streifenmann der Central Division wurde zum Bereitschaftsdienst abkommandiert. Man verpaßte ihnen Stahlhelme aus dem Ersten Weltkrieg und übergroße Schlagstöcke, die als Nigger Knocker bekannt waren.

Im Morgengrauen wurden wir in Bereitschaftswagen, die von der Army ausgeliehen worden waren, zum Schlachtfeld gekarrt, und die einzige Order lautete: die Ordnung wiederherstellen! Unsere Dienstrevolver waren uns in der Einsatzzentrale abgenommen worden; die Führung wollte nicht, daß die 38er den Lackaffen, Kacklaffen, Zierbengeln, mexikanischen Gangstern mit Entenschwanzfrisuren in die Hände fielen. Als ich Ecke Evergreen und Wabash vom Wagen heruntersprang, mit nichts als einem dreipfündigen Knüppel mit umwickeltem Handgriff ausgerüstet, hatte ich zehnmal mehr Angst, als ich je im Ring ausgestanden hatte, und das nicht, weil das Chaos von allen Seiten über uns hereinbrach.

Ich hatte Angst, weil die netten Jungs in Wirklichkeit die bösen Jungs waren.

Die Seeleute traten überall entlang der Evergreen Fenster ein; Marineinfanteristen in Uniform zerschmissen systematisch Laternen, um sich möglichst große Dunkelheit für das zu schaffen, was sie vorhatten. Alle Eifersüchteleien zwischen Waffengattungen und Diensträngen waren vergessen. Soldaten und Kommißköppe stürzten Autos um, die vor einer Bodega geparkt waren, während Kadetten in kurzärmeligen weißen Hemden und weit ausgestellten weißen Hosen mit Knüppeln die Scheiße aus einer zahlenmäßig hoffnungslos unterlegenen Gruppe von Zooters auf dem Bürgersteig ein Haus weiter herausprügelten. Am Rand des Geschehens konnte ich mit ansehen, wie Trüppchen meiner Kollegen mit Schlägern der Küstenwache und Militärpolizisten fraternisierten.

Ich weiß nicht, wie lange ich so benommen herumstand und mich fragte, was ich tun sollte. Schließlich schaute ich die Wabash entlang in Richtung First Street, sah dort kleine Häuser, Bäume und keine Pachucos, Cops oder blutrünstige G. I.s. Bevor ich wußte, was ich tat, rannte ich im Eiltempo darauf zu. Ich hätte weiterrennen können, bis ich umgefallen wäre, doch ein meckerndes Lachen aus einem Hauseingang brachte mich schlagartig dazu, stehenzubleiben.

Ich ging auf die Stimme zu. In schrillen Tönen rief sie mir entgegen: »Du bist schon der zweite junge Copper, der sich aus dem Schlamassel verdünnisiert. Kann’s dir nicht verdenken! Schwer zu sagen, wem man eigentlich die Armbänder anlegen soll, wie?«

Ich stand vor der Veranda und schaute zu dem alten Mann hoch. Er sagte weiter: »Im Radio sagen sie, die Taxifahrer machen Touren hoch zum U. S. O. oben in Hollywood und fahren die Matrosen dann hierher. Der KFI nennt es einen ›Marineeinsatz‹ und spielt alle halbe Stunde »Anchors Aweigh«. Die Straße runter habe ich Ledernacken gesehen. Glaubst du, daß das hier das ist, was man ein Landungsunternehmen nennt?«

»Ich weiß auch nicht, was es ist, aber ich gehe zurück.«

»Du bist nicht der einzige, der den Schwanz eingekniffen hat, weißt du. Auch ein anderer großer Kerl kam pronto hier vorbeigerannt.«

Der Alte sah jetzt aus wie eine verschlagene listige Ausgabe meines eigenen Vaters.

»Es gibt da ein paar Pachucos, denen man Ordnung beibringen muß.«

»Meinst du denn, daß das so einfach ist, Jungchen?«

»Dann werde ich es eben so einfach machen.«

Der alte Mann lachte meckernd vor Vergnügen. Ich machte auf dem Absatz kehrt, wollte zurück zum Dienst, schlug mit dem Knüppel nervös gegen mein Bein. Die Laternen waren alle demoliert; es war fast unmöglich, Zooters und G. I.s auseinanderzuhalten. Als ich das begriff, half mir die Erleichterung darüber aus meinem Dilemma, und ich war jetzt bereit, loszuschlagen. Dann hörte ich hinter mir: »Bleichert!« rufen und wußte, wer der andere Schnelläufer gewesen war.

Ich lief zurück. Da war Lee Blanchard. »Im Süden wachsen Bäume in den Himmel, doch nicht für jeden weißen Lümmel!« Er focht mit drei Marines in Blaujacken und einem Pachuco in schicker Ludenkluft. Im Mittelgang eines heruntergekommenen Bungalow-Innenhofs hatte er sie in eine Ecke gestellt und hielt sie sich mit Ausfällen seines Nigger Knockers vom Leibe. Die Marines mit ihren Totschlägern versuchten wilde Rundumschläge zu landen, doch sie verfehlten Blanchard, der ihnen mit Sidesteps auswich, in sie hineinging und ihnen auf schnellen Beinen zurücktänzelnd kein Ziel bot. Mit entsetzten Blicken befingerte der Pachuco die Devotionalien, die um seinen Hals hingen.

»Bleichert, Code drei!«

Jetzt mischte ich mit, stieß mit meinem Schlagstock zu, traf auf glänzende Messingknöpfe und Kampfspangen. Ich fing ungeschickt ausgeführte Hiebe auf meine Arme und Schultern mit den Totschlägern ab und ging so dicht in meine Gegner hinein, daß die Marines keinen Platz hatten, richtig auszuholen. Es war wie ein Clinch mit einem Kraken, ohne Ringrichter und Drei-Minuten-Gong, und fast instinktiv ließ ich meinen Schlagstock fallen, senkte den Kopf und schlug Körperhaken, wobei ich spürte, wie meine Schläge sich in weiche Gabardine-Bäuche bohrten. Dann hörte ich Lee rufen: »Bleichert, geh aus dem Mann raus!«

Das tat ich auch, und dann ging Lee Blanchard vor, den Nigger Knocker hoch über dem Kopf schwingend. Die angeschlagenen Marines erstarrten; der Knüppel ging nieder: einmal, zweimal, dreimal, sauber gezielte Schläge auf die Schultern. Als das Trio nur noch ein hilfloses Knäuel aus blauen Uniformen war, sagte Blanchard: »Und jetzt auf zu den Hallen von Tripoli, ihr Scheißer.« Dann wandte er sich zu dem Pachuco. »Hola, Tomas.«

Ich schüttelte den Kopf und reckte mich. Meine Arme und der Rücken taten mir weh; in den Knöcheln meiner Rechten pochte Schmerz. Blanchard legte dem Zooter Handschellen an, und alles, was ich herausbringen konnte, war: »Was hat das alles zu bedeuten?«

Blanchard lächelte. »Bitte ergebenst um Entschuldigung für meine schlechten Manieren. Officer Bucky Bleichert, darf ich Ihnen Señor Tomas Dos Santos vorstellen, per Fahndungsbefehl gesucht wegen Totschlags, begangen bei der Durchführung eines Schwerverbrechens der Kategorie B. Tomas schnappte sich die Handtasche einer alten Schachtel Ecke 6th und Alvarado, die kriegte einen Herzanfall und klappte zusammen, Tomas ließ die Handtasche fallen, rannte weg wie der Teufel, hinterließ dabei einen vollen Satz wunderschöner Fingerabdrücke auf der Handtasche, Augenzeugen jede Menge.« Blanchard stieß den Mann an. »Habla Ingles, Tomas?«

Dos Santos schüttelte verneinend den Kopf; Blanchard nahm es mit traurigem Kopfnicken zur Kenntnis. »Der ist schon so gut wie tot. Totschlag zweiten Grades bedeutet für einen Mex die Gaskammer. Unser Gockelchen hier hat noch ungefähr sechs Wochen bis zum großen Adios.«

Ich hörte Schüsse aus Richtung Evergreen und Wabash. Mich auf Zehenspitzen hochreckend, sah ich aus einer Reihe eingeschlagener Fenster Flammen herausschießen, die sich in knisternde blaue Funken und weiße Lichtpunkte auflösten, als sie auf die Oberleitungen der Straßenbahn und Telefonkabel trafen. Ich schaute hinunter auf das Bündel Marines, und einer von ihnen zeigte mir den Finger. Ich sagte: »Ich hoffe nur, daß keiner dieser Vögel deine Markennummer hat.«

»Ach was, die können mich kreuzweise.«

Ich zeigte zu einer Gruppe Palmen hinüber, deren Kronen sich gerade in Feuerbälle verwandelten. »Wir schaffen das nie im Leben, ihn noch heute abend einzuliefern. Bist du hierher gerannt, um die da auch hopszunehmen? Hast du gedacht –«

Blanchard brachte mich mit einer spielerisch leichten Geraden zum Verstummen, die kurz unterhalb meiner Erkennungsmarke landete. »Ich bin hergerannt, weil ich wußte, daß ich absolut nichts tun konnte, um die Ordnung wiederherzustellen. Und falls ich bloß rumgestanden hätte, wäre ich womöglich umgekommen. Kommt dir das bekannt vor?«

Ich lachte. »Yeah. Dann bist du also –«

»Dann sah ich, wie die Scheißkerle unseren Beau hier jagten, der dem dringenden Verdächtigen laut Haftbefehl Nr. 411-43 verdächtig ähnlich sah. Die haben mich hier in die Mangel genommen, und dann sah ich dich zurücklaufen, um ordentlich eins aufs Dach zu kriegen. Also dachte ich, wenn du dir schon eins verpassen lassen willst, dann wenigstens mit gutem Grund. Klingt das vernünftig?«

»Es hat geklappt.«

Zweien der Marines war es gelungen, sich hochzurappeln, und sie halfen dem dritten auf. Als sie sich als schwankende Dreiergruppe auf den Weg machen wollten, verpaßte Tomas Dos Santos dem größten der drei Ärsche einen kräftigen Fußtritt. Der fette Maat, dem er gehörte, drehte sich zu seinem Angreifer um; ich machte einen Schritt auf ihn zu. Die drei räumten das Schlachtfeld in Los Angeles Ost und liefen den von Revolverschüssen hallenden Straßen und wie Fackeln brennenden Bäumen entgegen. Blanchard strubbelte Dos Santos’ Haar. »Und du hübscher kleiner Scheißer bist ein toter Mann. Komm, Bleichert, suchen wir uns einen Platz, wo wir die Geschichte aussitzen können.«

Einige Straßenzüge weiter entdeckten wir ein Haus mit einem großen Zeitungsstapel auf der Veranda und brachen ein. Im Küchenschrank war noch ein ordentlicher Schluck Cutty Sark, und Blanchard löste Dos Santos die Handschellen, schloß sie statt dessen um seine Fußgelenke, damit er die Hände frei hatte, um sich einen zu genehmigen. Bis ich Schinken-Sandwiches und Highballs zurechtgemacht hatte, hatte der Pachuco schon die Hälfte des Stoffs verdrückt und grölte »Cielito Lindo« und eine Mex-Version von »Chattanooga Choo Choo«. Eine Stunde später war die Flasche ganz alle und Tomas total hinüber. Ich hievte ihn auf die Couch, warf eine Steppdecke über ihn, und Blanchard sagte: »Das ist mein neunter Schwerverbrecher 1943. In sechs Wochen wird er Gas schlucken, und innerhalb von drei Jahren werde ich entweder im North-East oder für Central Warrants als Hauptfahnder arbeiten.«

Seine Gewißheit wurmte mich. »Ach nee! Du bist noch viel zu jung. Du bist noch nicht mal Sergeant. Du machst mit einer Frau rum. Du hast deine Beziehung zu den hohen Tieren verloren, seit du mit den Schaukämpfen aufgehört hast. Und du hast keine Erfahrungen als Zivilbulle. Du –«

Ich hörte auf, als Blanchard grinste, zum Wohnzimmerfenster ging und hinaussah. »Feuer drüben an der Michigan und Soto. Hübsch.«

»Hübsch?«

»Ja, hübsch. Du weißt eine Menge über mich, Bleichert.«

»Die Leute reden über dich.«

»Die reden auch über dich.«

»Was sagen sie denn?«

»Daß dein Alter ein verrückter Nazi ist. Daß du deinen besten Freund an die Alien Squad verpfiffen hast, um zur Polizei zu kommen. Daß du deinen Listenplatz frisiert hast, indem du aufgepäppelte Mittelgewichtler geboxt hast.«

Die Worte hingen in der Luft wie ein Schuldspruch in drei Anklagepunkten. »Ist das alles?«

Blanchard wandte sich zu mir. »Nein. Man sagt dir nach, daß du nicht gerade scharf darauf bist, dir Freunde zu machen. Und man sagt auch, du glaubst, du könntest es mit mir aufnehmen.«

Ich nahm die Herausforderung an. »All das stimmt auch.«

»Soso, aber genauso alles, was du über mich gehört hast. Außer, daß noch meine Beförderung zum Sergeant bevorsteht, ich schon auf der Liste bin, man mich im August zur Highland Park Vice versetzt, und daß es da einen stellvertretenden jüdischen Bezirksanwalt gibt, der sich vor Begeisterung für Boxer die Hosen naßmacht. Er hat mir die nächste Stelle bei der Fahndung versprochen, auf die er mich bugsieren kann.«

»Ich bin beeindruckt.«

»Yeah? Möchtest du noch was hören, das sogar noch ein Stück beeindruckender ist?«

»Nur zu.«

»Meine ersten zwanzig K. O.-Schläge waren gegen Fallobst, handverlesen von meinem Manager. Mein Mädchen hat dich im Olympic boxen sehen und behauptet, du könntest ganz hübsch sein, falls du dir die Zähne richten läßt. Und daß du es vielleicht mit mir aufnehmen könntest.«

Ich konnte nicht sagen, ob der Mann nur auf Streit aus war oder auf Freundschaft; ob er mich auf die Probe stellte oder mich verhöhnte oder Informationen aus mir herausholen wollte. Ich zeigte auf Tomas Dos Santos, der sich in seinem trunkenen Schlaf herumwarf. »Was wird aus dem Mex?«

»Wir liefern ihn morgen früh ein.«

»Du lieferst ihn ein.«

»Zur Hälfte gehört er dir.«

»Oh nein. Danke, nein!«

»Na schön, Partner.«

»Ich bin nicht dein Partner.«

»Irgendwann vielleicht doch.«

»Vielleicht auch nie, Blanchard. Vielleicht gehst du zur Fahndung, spielst den Eintreiber oder den Tipgeber für die feinen Dektektiv-Büros in der Innenstadt. Und ich, ich reiße vielleicht meine zwanzig Jahre runter, nehm’ die Pension mit und suche mir irgendwo einen bequemen Job.«

»Du könntest zur Bundespolizei gehen. Ich weiß, daß du gute Kumpel bei der Alien Squad hast.«

»Komm mir bloß nicht noch mal damit!«

Blanchard schaute wieder aus dem Fenster. »Hübsch. Daraus könnte man eine gute Ansichtskarte machen. Liebe Mom, ich wünsche mir, du könntest hier sein, bei mir und dem farbenprächtigen Aufruhr in Los Angeles Ost.«

Tomas Dos Santos bewegte sich unruhig und murmelte: »Inez? Inez? Que? Inez?«

Blanchard ging zu einem Wandschrank im Flur, fand einen abgetragenen wollenen Mantel und breitete ihn über ihn. Die zusätzliche Wärme schien ihn zu beruhigen; das Gemurmel hörte auf. Blanchard sagte: »Cherchez la femme, wie, Bucky?«

»Was?«

»Sieh dich nach der Frau um. Nicht mal jetzt, voll bis zum Stehkragen, kann der alte Tomas hier von Inez lassen. Ich wette zehn zu eins, daß sie, wenn er für die Gaskammer reif ist, bestimmt bei ihm sein wird.«

»Vielleicht bekommt er eine Begnadigung durch, lebenslänglich plus 15 Jahre, und dann in zwanzig Jahren draußen.«

»Nein, er ist ein toter Mann. Cherchez la femme, Bucky. Denk immer dran.«

Auf der Suche nach einem Platz zum Schlafen wanderte ich durch das Haus, fand dann schließlich unten das Schlafzimmer mit einem zerwühlten Bett, das für meine Beine viel zu kurz war. Ausgestreckt daliegend horchte ich auf die fernen Polizeisirenen und Schüsse. Langsam döste ich ein und träumte von den wenigen und viel zu seltenen Frauen in meinem Leben.

Gegen Morgen hatten sich die Unruhen gelegt; am Himmel hingen noch Qualmwolken, die Straßen waren noch übersät mit Scherben von Schnapsflaschen und hastig weggeworfenen Tot- und Baseballschlägern. Blanchard forderte bei der Hollenbeck Station einen Schwarzweißen an, um seinen neunten festgenommenen Schwerverbrecher des Jahres 1943 zum Gefängnis der Hall of Justice zu befördern. Und Tomas Dos Santos weinte, als die Bullen in der Minna kamen und ihn uns entrissen. Blanchard und ich verabschiedeten uns auf dem Bürgersteig und gingen auf getrennten Wegen zurück in die Innenstadt, er zum Büro des Bezirksanwalts, um seinen Bericht über die Festnahme des Handtaschendiebes zu schreiben, ich zur Central Station, um mich für meinen nächsten Dienst einteilen zu lassen.

Der Stadtrat von Los Angeles erklärte das Tragen des Zoot-Suit für ungesetzlich, und Blanchard und ich beschränkten uns fortan auf höfliche Unterhaltung beim Appell. Und alles, was er in jener Nacht in dem leeren Haus mit so aufreizender Selbstsicherheit vorgebracht hatte, bewahrheitete sich.

Blanchard wurde zum Sergeant befördert, Anfang August Highland Park Vice überstellt, und eine Woche später kam Tomas Dos Santos in die Gaskammer. So vergingen drei Jahre, in denen ich unentwegt Funkstreife in der Central Division fuhr. Dann schaute ich eines Morgens hoch zu dem Brett, auf dem Versetzungen und Beförderungen angezeigt wurden, und las ganz zuoberst: Blanchard, Leland C., Sergeant; von Highland Park Vice zur Hauptfahndung mit Wirksamkeit vom 15. 9. 46.

Und natürlich wurden wir auch Partner. Rückschauend weiß ich, daß der Mann keine hellseherischen Gaben hatte; er plante ganz einfach energisch seine Zukunft, während ich nur unsicher meiner eigenen entgegentrieb. Doch es war sein wegwerfend vorgebrachtes »Cherchez la femme«, das mich bis heute verfolgt. Denn unsere Partnerschaft führte uns auf den verpfuschten Weg zur Dahlie. Und am Ende war sie es, die vollständig von uns Besitz ergriff.

IFEUER UND EIS

1. KAPITEL

Der Weg zur Partnerschaft begann, ohne daß ich davon Kenntnis hatte. Und er eröffnete sich durch ein Wiederaufleben des Geredes um einen Kampf Blanchard-Bleichert, das mir schließlich hinterbracht wurde.

Ich kam gerade von einem langen Einsatz, einem ermüdenden Dienst in einer Mausefalle am Bunker Hill, wo ich auf Verkehrssünder Jagd gemacht hatte. Ich hatte reichlich Strafmandate gesammelt, und nach den acht Stunden, in denen ich die Kreuzung zwischen 2nd Street und Beaudry unablässig im Auge behalten hatte, war mein Gehirn abgestumpft. Als ich durch den Bereitschaftsraum und die Menge blau Uniformierter, die auf die Verbrechensmeldungen aus dem Präsidium warteten, schlenderte, hätte ich fast Johnny Vogels Bemerkung überhört: »Die haben seit Jahren nicht mehr gekämpft, und Horrall hat Schaukämpfe auf Privatgesellschaften verboten. Also kann ich einfach nicht daran glauben! Mein Alter ist ein dicker Freund von dem Jiddenbengel, und der hat gesagt, der Kerl da hätte sogar Joe Louis herausgefordert, wenn der ein Weißer wäre.«

Tom Joslin stieß mir den Ellenbogen in die Seite: »Sie reden von dir, Bleichert.«

Ich schaute hinüber zu Vogel, der ein paar Schritte abseits stand und sich mit einem anderen Cop unterhielt. »Ist doch Quark, Tommy!«

Joslin lächelte. »Du kennst Lee Blanchard?«

»Kennt der Papst Jesus?«

»Na, der ist doch jetzt bei der Hauptfahndung.«

»Erzähl mir doch mal was, das ich noch nicht weiß.«

»Wie wär’s denn hiermit: Blanchards Partner hat seine zwanzig Jahre runtergerissen. Niemand hätte geglaubt, daß er diesen Schlauch durchhält. Aber er hat es geschafft. Der Chef bei der Fahndung, nun, das ist dieser Bezirksanwalt bei der Kammer für Schwerverbrechen. Der hat Blanchard seine Anstellung verschafft. Und jetzt hält er Ausschau nach einem hellen Jungen, den er ihm zum Partner geben kann. Gerüchtweise hört man, daß er ganz wild auf Boxer ist und dich haben will. Vogels alter Herr ist im Detective Bureau. Er steht auf Duzfuß mit Loew und setzt alle Hebel in Bewegung, damit sein Bengel den Job bekommt. Offen gesagt: Ich finde, daß keiner von euch beiden dafür geeignet ist. Wenn du mich dagegen nimmst…«

Mir wurde ganz flau, aber ich schaffte es trotzdem, ihn mit einem trockenen Konter abzufangen, um Joslin zu zeigen, daß mir überhaupt nichts daran lag. »Deine Zähne sind zu klein. Die taugen nicht dafür, im Clinch zuzubeißen. Und bei der Fahndung bist du dauernd im Clinch.«

Mir lag aber durchaus etwas daran.

An diesem Abend saß ich draußen vor meinem Apartment auf den Stufen und blickte hinüber zur Garage, wo Sandsack und Birne aufgebaut waren, wo ich eine Mappe aufbewahrte mit Zeitungsausschnitten, Boxprogrammen und Vorankündigungen. Ich hielt mich für gut, aber nicht für gut genug, dachte daran, warum ich eigentlich mein Gewicht niedrig hielt, obwohl ich mit zehn Pfund mehr gegen Schwergewichtler hätte antreten können. Dachte daran zurück, wie ich in der Eagle Rock Legion Hall, wo mein Alter auch zu den Treffen des Deutsch-Amerikanischen Bundes ging, gegen mexikanische Mittelgewichtler geboxt hatte, die sich mit Tortillas aufgepäppelt hatten. Halbschwergewicht ist eine Gewichtsklasse irgendwo im Niemandsland, und sehr schnell hatte ich begriffen, daß sie für mich wie maßgeschneidert war. Mit 175 Pfund auf der Waage konnte ich den ganzen Abend durchtanzen, konnte präzise Körpertreffer, als Cross geschlagen, landen, und nur ein Bulldozer wäre gegen meine linke Deckungshand durchgekommen.

Doch es gab im Halbschwergewicht keine Bulldozer, denn jeder hungrige Fighter, der 175 Pfund brachte, würde soviel Kartoffeln in sich reinschaufeln, bis er im Schwergewicht war, auch wenn er dadurch die Hälfte seiner Schnelligkeit und beträchtlich an Schlagkraft einbüßte. Das Halbschwergewicht war sicher. Halbschwergewicht bedeutete eine garantierte Gage von fünfzig Dollar, ohne daß man Verletzungen befürchten mußte. Halbschwergewicht brachte einem Gratiswerbung durch die Times von Braven Dyer ein, Lobhudeleien von meinem Alten und seinen judenfressenden Spezis. Und man blieb die Nummer eins, solange man nicht aus Glassell Park und Lincoln Heights wegzog. So verlief alles reibungslos und in geordneten Bahnen – ohne daß mein Heldenmut auf die Probe gestellt wurde.

Dann kam mir Ronnie Cordero in die Quere.

Er war ein mexikanischer Mittelgewichtler aus El Monte, sehr schnell, mit ungeheurer Schlagkraft in beiden Armen und einer Deckung wie Krebsscheren, die Fäuste oben, Ellenbogen eng an die Seiten gepreßt, um Körpertreffer abzulenken. Erst neunzehn Jahre alt, hatte er für sein Gewicht einen gewaltigen Knochenbau, mit hinreichendem Wachstumspotential, um zwei Klassen höher ins Schwergewicht und damit zum großen Geld aufzusteigen. Er verzeichnete vierzehn kurzrundige K. O.-Siege in Folge, alle im Olympic, in denen er die führenden Mittelgewichtler von Los Angeles aus dem Ring gefegt hatte. Immer weiter aufsteigend und brennend interessiert, die Qualität seiner Gegner zu steigern, hatte mir Cordero über die Sportseiten des Herald eine Herausforderung zukommen lassen.

Ich wußte, daß er mich bei lebendigem Leib auffressen würde. Ich wußte, falls ich gegen einen Tortillakneter verlor, wäre mein lokaler Ruhm im Eimer. Ich wußte, daß Davonlaufen mir wehtun, Kämpfen mich aber umbringen würde. Ich hielt Ausschau nach einem sicheren Plätzchen, wohin ich mich verdrücken konnte. Die Army, die Navy, die Marineinfanterie schienen gut, doch dann wurde Pearl Harbor bombardiert, und jetzt schienen sie gewaltig. Dann hatte mein alter Herr einen Schlaganfall, verlor seinen Job und seine Pension und mußte sich durch einen Strohhalm Babynahrung reinziehen. Ich wurde als Härtefall vom Wehrdienst zurückgestellt und trat dem Los Angeles Police Department bei.

Jetzt wurden meine Erinnerungen bedrängend. Kerle vom FBI waren aufgetaucht und hatten mir die Frage gestellt, ob ich mich als Deutschen oder guten Amerikaner betrachtete und ob ich denn gewillt sei, meinen Patriotismus unter Beweis zu stellen, indem ich ihnen ein bißchen zu Hilfe käme. Gewaltsam unterdrückte ich jetzt die Erinnerung an das, was danach kam, indem ich mich auf den Kater meiner Vermieterin konzentrierte, der auf dem Garagendach eine Amsel beschlich. Als er zuschlug, mußte ich mir eingestehen, wie dringend ich mir wünschte, daß Johnny Vogels Gerücht wahr wäre.

Bei der Fahndung war man als Cop eine lokale Berühmtheit. Fahndung bedeutete Zivil, ohne Anzug- und Krawattenzwang, Romantik und Kilometergeld pro Tag für den eigenen Wagen. Fahndung, das hieß, hinter den wirklich schweren Jungs her sein und nicht Wermutbrüder, Schwanzschwenker und Pisser vor der Inneren Mission festnehmen. Fahndung bedeutete Arbeit für das Büro der Bezirksstaatsanwaltschaft, mit einem Bein in der Kriminalabteilung, Nachtessen mit Bürgermeister Bowron, auf denen er mächtig in Fahrt kam und Kriegsabenteuer hören wollte.

Allein daran zu denken verursachte mir Pein. Ich ging hinunter zur Garage und schlug auf den Punching Ball ein, bis mir die Arme fast abfielen.

Während der nächsten Wochen fuhr ich Streife an der Nordgrenze unseres Amtsbezirks. Ich mußte einen großmäuligen Anfänger namens Sidwell einweisen, einen Knaben, der gerade eine dreijährige Dienstzeit bei der Militärpolizei in der Kanalzone hinter sich hatte. Er hing mit der sklavischen Aufdringlichkeit eines Schoßhündchens an meinen Lippen und war so hingerissen vom Polizeidienst, daß er sogar noch nach dem Ende unserer Schicht auf dem Revier herumhing, lauter Bockmist mit Festgenommenen in den Haftzellen quatschte, im Umkleideraum mit Handtüchern gegen die Fahndungsplakate drosch und gewöhnlich allen so lange auf die Nerven fiel, bis jemand ihn dringend aufforderte, nach Hause zu gehen.

Er war völlig distanzlos und redete mit jedem über Gott und die Welt. Ich war eines seiner bevorzugten Opfer, und er gab alle Gerüchte, die er auf dem Revier aufschnappte, brühwarm an mich weiter.

Die meisten dieser Gerüchte hakte ich als pure Erfindung ab: daß Chief Horrall eine Boxmannschaft aus allen Bezirken zusammenstellen und mich bei der Fahndung haben wollte, damit ich mich gemeinsam mit Blanchard einschriebe; von Ellis Loew, dem Karriereanwalt bei der Kammer für Schwerkriminalität, wurde gemunkelt, er habe früher, noch vor dem Krieg, bei einer Wette auf mich gesetzt und einen ganzen Batzen Geld gewonnen, wofür er mich jetzt nachträglich belohnen wolle; daß Horrall seine Anordnung, mit der Schaukämpfe auf Privatgesellschaften verboten wurden, zurückgenommen habe und irgendein hochgestellter Drahtzieher mich glücklich sehen wolle, damit er auf mich setzen und sich die Taschen füllen könne. Diese Geschichten erschienen mir allzu weit hergeholt, obwohl ich ahnte, daß das Boxen irgend etwas mit meiner Favoritenrolle zu tun haben mußte. Ganz sicher war ich mir, daß für die offene Stelle bei der Fahndung nur noch Johnny Vogel oder ich in die engere Wahl gezogen wurden.

Vogel hatte einen Vater, der in der Kriminalhauptabteilung arbeitete; ich war nur die Nummer 36-0-0 im Niemandsland der Abteilung, wie schon vor fünf Jahren. Ich steckte fest. Da ich wußte, daß die einzige Möglichkeit, mich erfolgreich gegen den Nepotismus zu behaupten, darin bestand, weiter abzuspecken, in Form zu bleiben, hämmerte ich auf Sandsack und Birne ein, ließ Mahlzeiten aus und sprang Seil, bis ich wieder ein netter, sicherer Halbschwergewichtler war. Dann wartete ich ab.

2. KAPITEL

Eine Woche hielt ich nun schon das Einhundertfünfundsiebzig-Pfund-Limit, hatte das Training satt und träumte jede Nacht von Steaks, Chili-Burgers und Kokos-Sahnetorten. Meine Hoffnungen auf den Job bei der Fahndung hatten sich bis zu dem Punkt verflüchtigt, daß ich bereit gewesen wäre, sie für Schweinekoteletts im Pacific Dining Car in den Wind zu schießen. Und der Nachbar, der sich für zwei Zehner im Monat um den alten Mann kümmerte, hatte überdies noch angerufen, um mir mitzuteilen, daß er wieder verrückt spiele, mit seiner Luftdruckpistole auf die Hunde der Nachbarschaft schieße und seinen Scheck von der Fürsorge für Pornomagazine und Modellflugzeuge verpulvere. Der Punkt war erreicht, an dem ich seinetwegen unbedingt etwas unternehmen mußte. Und jeder zahnlose alte Knabe, an dem ich auf Streife vorüberfuhr, erschien vor meinen Augen wie eine Schreckensvision von Crazy Dolph Bleichert. Ich sah gerade wieder einen die 3rd Street zur Hill Street hinübertorkeln, als ich über Funk eine Meldung bekam, die mein Leben von Grund auf ändern sollte.

»11-A-23, Zentrale zurückrufen! Wiederhole: 11-A-23, Zentrale zurückrufen!«

Sidwell stieß mich an. »Da kam eben ein Funkspruch, Bucky.«

»Gib durch, daß du verstanden hast.«

»Die Zentrale sagt aber, du sollst zurückrufen.«

Ich fuhr einfach links rüber, parkte ein und zeigte auf die Polizeirufsäule an der Ecke. »Benutz den kleinen Schlüssel, der gleich neben deinen Handschellen hängt.«

Sidwell gehorchte und kam wenige Augenblicke später mit sorgenvoller Miene zum Streifenwagen zurückgetrottet. »Du sollst dich sofort beim Leiter der Kriminalabteilung melden«, sagte er.

Mein erster Gedanke war, daß es sich um den alten Mann handeln mußte. Mit Bleifuß fuhr ich sechs Querstraßen weiter bis zur City Hall, übergab den Schwarzweißen Sidwell, nahm dann den Aufzug zu Chief Thad Greens Büro im vierten Stock. Eine Sekretärin geleitete mich in das innere Heiligtum des Chief, und dort saßen in aufeinander abgestimmten Ledersesseln Lee Blanchard, mehr hohe Tiere, als ich je auf einem Haufen versammelt gesehen hatte, und ein spindeldürrer Mann in einem dreiteiligen Tweedanzug.

Die Sekretärin sagte: »Officer Bleichert«, und ließ mich einfach stehen, wobei mir peinlich bewußt wurde, daß meine Uniform wie ein Zelt an meinem ausgehungerten Körper hing. Dann übernahm Blanchard, der Cordhosen und ein kastanienbraunes Sportsakko trug, die Vorstellung.

»Gentlemen, Bucky Bleichert! Bucky, von rechts nach links, in Uniform, – darf ich dich mit Inspektor Malloy, Inspektor Stensland und Chief Green bekannt machen. Der Herr in Zivil ist stellvertretender Bezirksanwalt Ellis Loew.«

Ich nickte, und Thad Green wies mir einen Sessel zu, in dem ich der Versammlung direkt gegenübersaß. Ich ließ mich hineinsinken; Stensland reichte mir ein paar lose Blätter. »Lesen Sie das, Officer. Das ist Braven Dyers Aufmacher in der kommenden Samstagausgabe der Times.«

Das oberste Blatt trug das Datum 14/10/46 und eine Titelzeile in Großbuchstaben – »Feuer und Eis: Erste Klasse in Los Angeles« – und darunter dann der maschinengeschriebene Text:

Vor dem Krieg wurden der Stadt der Engel zwei einheimische Boxkämpfer beschert, geboren und aufgewachsen nur ein paar Kilometer voneinander entfernt, Faustkämpfer, die sich in ihrem Stil so sehr voneinander unterscheiden wie Feuer und Eis. Lee Blanchard war eine krummbeinige Windmühle in Boxhandschuhen, und wenn er Schläge austeilte, flogen die Fetzen bis zu den Ringplätzen. Bucky Bleichert bestieg den Ring so kühl und gesammelt, daß man gern glauben mochte, er sei gegen Schweißausbrüche immun. Er war im Ring ein besserer Stepptänzer als Bojangles Robinson, und seine florettartigen Geraden zeichneten die Gesichter seiner Gegner, bis sie aussahen wie das Steak tartare in Mike Lymans Grill. Beide Männer waren Poeten: Blanchard der Poet roher Kraft. Dagegen Bleichert ein Poet der Behendigkeit und Raffinesse. Zusammengenommen gewannen sie insgesamt 79 Kämpfe und verloren nur vier. Im Ring wie in der Tafel der Elemente sind Feuer und Eis nur schwer zu schlagen.

Mr. Feuer und Mr. Eis haben nie gegeneinander gekämpft. Sie waren in unterschiedlichen Gewichtsklassen. Doch Pflichtgefühl hat sie im Geiste zusammengebracht, und beide Männer schlossen sich den Polizeikräften von Los Angeles an, um außerhalb des Ringes weiterzukämpfen – diesmal im Krieg gegen das Verbrechen. Blanchard knackte 1939 den aufsehenerregenden Raubüberfall auf die Boulevard-Citizens Bank und faßte den Angstkiller Tomas Dos Santos; Bleichert tat sich hervor während der Zoot-Suit-Unruhen von ’43. Und beide sind jetzt Officer in der Central Division: Mr. Feuer, 32, als Sergeant in der angesehenen Fahndungsabteilung; Mr. Eis, 29, als Streifenpolizist in einem gefährlichen Revier der Innenstadt von L. A. Erst kürzlich fragte ich Feuer und Eis, warum sie ihre besten Ringjahre verschenkt hätten, um Cops zu werden. Ihre Antworten sind ein lebhafter Beweis dafür, was für noble Männer beide sind:

Sergeant Blanchard: »Die Karriere eines Boxers dauert nicht ewig, doch sehr wohl die Befriedigung darüber, im Dienst für die Gemeinschaft seinen Mann zu stehen.«

Officer Bleichert: »Ich wollte gefährlichere Gegner bekämpfen, nämlich Kriminelle und Kommunisten.« Lee Blanchard und Bucky Bleichert brachten ein großes Opfer, um ihrer Stadt zu dienen, und zum Wahltag am 5. November wird man der Wählerschaft von Los Angeles dasselbe abverlangen – für eine Fünf-Millionen-Dollar-Anleihe zu stimmen, um die Ausrüstung des L.A.P.D. auf den neuesten Stand zu bringen und eine achtprozentige Gehaltserhöhung für alle Beschäftigten durchzusetzen. Denken Sie dabei stets an das Beispiel von Mr. Feuer und Mr. Eis. Stimmen Sie am Wahltag mit »Ja« für Liste B!

Nachdem ich zu Ende gelesen hatte, reichte ich Inspektor Stensland die Seiten zurück. Er setzte schon zum Sprechen an, doch Thad Green brachte ihn zum Verstummen, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte. »Sagen Sie uns selbst, was Sie davon denken, Officer! Seien Sie dabei ganz offen.«

Ich schluckte, um meiner Stimme mehr Festigkeit zu geben. »Es ist raffiniert.«

Stensland wurde rot, Green und Malloy grinsten. Blanchard platzte lauthals heraus. Ellis Loew sagte: »Liste B wird sang- und klanglos verlieren, doch es gibt die Möglichkeit, sie in den Nachwahlen im nächsten Frühjahr wieder aufzustellen. Worum es uns –«

»Ellis, bitte!« unterbrach ihn Green und wandte sich dann wieder mir zu. »Einer der Gründe, weswegen die Anleihe scheitern wird, ist der, daß die Öffentlichkeit alles andere als zufrieden mit dem Dienst ist, den wir ihr zu bieten haben. Wir haben während des Krieges unter Personalmangel gelitten, und einige der Männer, die wir angeheuert haben, um diesen Mangel zu beheben, erwiesen sich als faule Äpfel und ließen uns sehr schlecht aussehen. Außerdem gibt es seit Kriegsende einen Ansturm von Anfängern, und eine Menge guter Leute sind in den Ruhestand getreten. Zwei Reviergebäude müssen umgebaut werden, und wir müßten höhere Anfangsgehälter bieten können, um einen Anreiz für bessere Männer zu schaffen. All das erfordert Geld, und die Wähler sind nicht gewillt, es uns im November zu geben.«

Langsam wurde das Bild für mich klarer. Dann warf Malloy ein: »Es war Ihre Idee, Herr Staatsanwalt. Sagen Sie es ihm!«

Loew sagte: »Ich setze Dollars gegen Pfannkuchen, daß wir den Vorschlag in den Nachwahlen von ’47 durchbringen. Doch wir müssen ein bißchen Begeisterung für das Department schüren, um das zu schaffen. Wir müssen die Moral im Department selbst wieder aufrichten, und wir müssen die Wählerschaft mit der Qualität unserer Männer beeindrucken können. Reinrassige weiße Boxer sind eine große Zugnummer, Bleichert. Das wissen Sie ja selbst!«

Ich schaute zu Blanchard hinüber. »Also du und ich, wie?«

Blanchard zwinkerte mir zu: »Feuer und Eis. Erzählen Sie ihm nun auch noch den Rest, Ellis.«

Loew wand sich, als er sich beim Vornamen angeredet hörte, und fuhr dann fort: »Von heute an in genau drei Wochen – ein Zehn-Runden-Kampf im Academy Gym. Braven Dyer ist ein enger persönlicher Freund von mir, und er wird in seiner Kolumne ordentlich die Trommel rühren. Eintrittskarten zwei Dollar das Stück. Die Hälfte des Kontingents für Polizeiangehörige und ihre Familien, die andere Hälfte für Zivilisten. Die Einnahmen fallen dem Hilfsfonds der Polizei zu. Mit dem Geld werden wir aus dem ganzen Stadtgebiet eine Boxmannschaft zusammenstellen, alles gute, waschechte weiße Jungs; die Mitglieder der Mannschaft sind einen Tag in der Woche vom Dienst befreit, um unterprivilegierte Kinder in der Kunst der Selbstverteidigung zu unterrichten. Das alles begleitet von großer Publicity, die bis zu den 47er Nachwahlen halten wird.«

Alle Augen ruhten jetzt auf mir. Ich hielt den Atem an, erwartete das Angebot für die freie Stelle in der Fahndung. Als niemand ein Wort darüber fallen ließ, warf ich Blanchard einen schnellen Seitenblick zu. Sein Oberkörper war von brutaler Kraft, doch seine Bauchmuskulatur war schlaff geworden, und ich war zudem jünger, größer und wahrscheinlich um einiges schneller. Bevor ich mir noch Gründe zurechtlegen konnte, einen Rückzieher zu machen, sagte ich: »Ich bin dabei.«

Die leitenden Herren quittierten meine Entscheidung mit Beifallsklatschen; Ellis Loew lächelte und entblößte dabei Zähne, die aussahen, als gehörten sie einem jungen Haifisch. »Dafür festgesetzt ist der 29. Oktober, also eine Woche vor der Wahl«, erklärte er. »Und beide haben Sie uneingeschränkten Zugang zu den Sport- und Trainingsräumen der Academy. Zehn Runden, das ist viel verlangt von Männern, die so lange wie Sie nicht aktiv gewesen sind, aber alles andere wären Kinkerlitzchen. Sind Sie meiner Meinung?«

Blanchard schnaubte: »Oder kommunistisch.« Loew schnitt eine schiefmäulige Haifischgrimasse. Ich sagte: »Ja, Sir«, und Inspektor Malloy zückte seine Kamera und zirpte: »Guck mal da – das Vögelchen, mein Söhnchen.«

Ich stand auf und lächelte, ohne dabei die Lippen zu öffnen und meine schadhaften Zähne vorzuführen; ein Blitzlicht verpuffte. Ich sah Sterne, mir wurde auf den Rücken geklopft. Und als die Verbrüderung zu Ende war und ich wieder klar sehen konnte, stand Ellis Loew vor mir und sagte: »Ich setze darauf, daß ich große Dinge von Ihnen erwarten darf. Und falls ich mit meiner Wette nicht schief liege, erwarte ich, daß wir bald Kollegen sein werden.«

Ich dachte: »Was für ein raffinierter Hund du doch bist!« Doch ich erwiderte nur: »Ja, Sir.« Loew verabschiedete sich mit einem schlaffen Händedruck und ging. Ich rieb mir noch einmal die Augen, und dann fand ich mich mit einem Mal allein im Zimmer.

Ich nahm den Fahrstuhl hinunter zum Erdgeschoß und dachte dabei fortwährend an die schmackhaftesten Methoden, wieder so viel Gewicht zuzulegen, wie ich verloren hatte. Blanchard wog vermutlich 100 Kilo, und falls ich mit meinen ganzen 175 Pfund gegen ihn antreten würde, hätte er mich sicher sehr bald zermürbt, und das jedesmal, wenn es ihm gelang zu klammern. Ich war gerade dabei abzuwägen, ob ich in die Pantry oder Little Joe’s gehen sollte, als ich auf dem Parkplatz meinen künftigen Gegner in Fleisch und Blut sah – er plauderte mit einer Frau, die Rauchringe in den postkartenblauen Himmel blies.

Ich ging weiter. Blanchard stand gegen einen ungekennzeichneten Streifenwagen gelehnt, sprach gestikulierend auf die Frau ein, die noch immer konzentriert Ringe rauchte, durch die er spielerisch seinen Finger stach. Als ich näher kam, konnte ich sie im Profil sehen, den zurückgeworfenen Kopf, einen durchgebogenen Rücken, eine Hand stützend auf die Wagentür gelegt, kastanienbraunes Haar in einer Pagenfrisur streifte ihre Schultern und einen langen, schlanken Hals; der Sitz ihrer Eisenhower-Jacke und der Wollrock verrieten mir, daß sie überall sehr schlank war.

Blanchard entdeckte mich und stieß sie leicht an. Nach einem kräftigen Lungenzug Rauch ausblasend, drehte sie sich zu mir um. Aus der Nähe sah ich jetzt ein kraftvolles, nicht eigentlich hübsches Gesicht, dessen einzelne Partien alle nicht zusammenpaßten: eine hohe Stirn, zu der die Frisur einen Kontrast bildete, eine gebogene Nase, volle Lippen und große, schwarzbraune Augen.

Blanchard stellte uns einander vor: »Kay, das ist Bucky Bleichert. Kay Lake!«

Die Frau trat ihre Zigarette aus. Ich sagte: »Hallo«, und fragte mich im selben Augenblick, ob dies wohl die Freundin sein konnte, der Blanchard beim Prozeß um den Boulevard-Citizens Bankraub begegnet war. Sie gab sich nicht wie die Mieze eines Ganoven, auch wenn sie seit Jahren mit einem Cop ein Verhältnis hatte und mit ihm zusammenlebte.

Ihre Stimme hatte einen leichten Beiklang von Prärie. »Ich habe Sie einige Male boxen sehen. Sie haben gewonnen.«

»Ich habe immer gewonnen. Sind Sie ein Boxfan?«

Kay Lake schüttelte den Kopf. »Lee hat mich mitgeschleift. Vor dem Krieg hatte ich Kunst studiert, also brachte ich immer meinen Skizzenblock mit, und ich zeichnete die Boxer.«

Blanchard legte einen Arm um ihre Schultern. »Sie hat mich dazu gebracht, mit den Showkämpfen aufzuhören. Sie hätte keine Lust, mich mit einer Matschbirne herumtaumeln zu sehen, sagte sie.« Er legte die Imitation eines angeschlagenen Boxers hin, der mit den Armen rudert, und Kay Lake zuckte vor ihm zurück. Blanchard warf ihr einen schnellen Seitenblick zu und feuerte dann einige linke Gerade und einen rechten Cross in die Luft. Die Schläge waren für mich wie eine Botschaft, und in Gedanken konterte ich mit einer Eins-Zwei-Kombination an Kinn und Solar Plexus.

Ich sagte: »Ich will versuchen, dich nicht zu verletzen.«

Kay nahm diese Bemerkung mit düsterer Miene zur Kenntnis; Blanchard grinste. »Ich habe Wochen gebraucht, bis sie endlich zugestimmt hat. Ich habe ihr ein neues Auto versprochen, wenn sie nicht allzusehr schmollt.«

»Mach keine Versprechungen, die du wieder nicht einhalten kannst.«

Blanchard lachte und hängte sich bei Kay ein. Ich fragte: »Wer hat sich das eigentlich alles ausgedacht?«

»Ellis Loew. Er hat mich zur Fahndung geholt. Dann hat vor kurzem mein Partner seine Papiere abgeholt, und Loew fing an, sich Gedanken darüber zu machen, ob er dich nicht als Ersatz nimmt. Er hat Braven Dyer dazu gebracht, diesen Mist über Feuer und Eis hinzuschmieren. Dann ging er mit dieser Schnapsidee zu Horrall. Er hätte sich sonst wohl nie darauf eingelassen, doch aus allen Meinungsumfragen ging hervor, daß die Sache mit der Anleihe immer weniger Liebhaber fand. Also willigte er schließlich ein.«

»Und er hat Geld auf mich gesetzt? Und falls ich gewinne, komme ich auch zur Fahndung?«

»Irgend sowas. Der Bezirksanwalt hält selbst nicht viel von der Idee, meint, wir beide würden als Partner nicht zusammenpassen. Aber er zieht trotzdem mit – Horrall und Thad Green haben ihn überzeugt. Persönlich möchte ich fast hoffen, daß du gewinnst. Falls du es nämlich nicht schaffst, bekomme ich diesen Johnny Vogel. Er ist fett, er furzt, sein Atem stinkt, und sein Papi ist die größte Nervensäge in der Kriminalhauptabteilung, der ständig Bettelgänge für seinen Jiddenbengel macht. Übrigens –«

Ganz leicht tippte ich mit meinem Zeigefinger gegen Blanchards Brust. »Was springt für dich dabei raus?«

»Wetten laufen schließlich in zwei Richtungen. Mein Mädchen findet Geschmack an hübschen Dingen, und ich kann es mir nicht leisten, sie zu enttäuschen. Stimmt’s, Schatz?«

Kay schnappte zurück: »Mach nur so weiter, von mir in der dritten Person zu reden. Das bringt mich zur Weißglut.«

Blanchard hob in gespielter Kapitulation die Hände; Kays dunkle Augen brannten. Neugierig, wie ich nun einmal auf die Frau geworden war, fragte ich: »Wie denken Sie über die ganze Sache, Miss Lake?«

Jetzt tanzte es koboldhaft in ihren Augen. »Aus ästhetischen Gründen hoffe ich, daß ihr beide auch ohne Hemd gut aussehen werdet. Aus moralischen Gründen hoffe ich, daß das Los Angeles Police Department dafür ausgelacht wird, eine derartige Farce zu inszenieren. Aus finanziellen Gründen hoffe ich, daß Lee gewinnt.«

Blanchard lachte auf und schlug auf die Motorhaube des Schlittens; ich vergaß alle Eitelkeit und lächelte mit offenem Mund. Kay Lake starrte mir direkt in die Augen, und jetzt, zum ersten Mal – befremdlich, aber gewiß – spürte ich, daß Mr. Feuer und ich Freunde werden würden. Meine Hand ausstreckend sagte ich: »Viel Glück, auch ohne Sieg«; Lee schlug ein und erwiderte: »Dasselbe gilt für dich.«

Kay schloß uns beide in einen Blick ein, der wohl besagen sollte, daß wir närrische Kinder seien. Zum Abschied tippte ich an meine Hutkrempe und machte mich auf den Weg. Kay rief mich zurück. »He, Dwight!«, und ich fragte mich, woher sie meinen richtigen Namen wußte. Als ich mich umdrehte, sagte sie: »Sie könnten recht hübsch aussehen, wenn Sie sich die Zähne richten ließen.«

3. KAPITEL

Wegen des Kampfes stand zuerst das ganze Department Kopf, dann Los Angeles, und die Sporthalle der Academy war innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach Ankündigung des Ereignisses durch Braven Dyer auf den Sportseiten der Times ausverkauft. Der Lieutenant von der 77th Street, der zum offiziellen Buchmacher des L.A.P.D. ernannt worden war, setzte Blanchard als 3 zu 1 Favoriten nach kurzrundigem Kampf, während die echten Buchmacher Mr. Feuer mit 21/2 zu 1 als K. O.-Sieger favorisierten und ihn im Falle einer Punktentscheidung mit 5 zu 3 vorn hatten. Auf allen Revieren wurde wie wild gewettet. Und auf jeder Polizeistation bildeten sich Wettgemeinschaften. Dyer und Morrie Ryskind vom Mirror verbrieten Schwachsinn in ihren Kolumnen, und ein Disk-Jockey vom Sender KMPC komponierte ein Liedchen mit dem Titel: Feuer- und Eis-Tango. Untermalt von einer Jazz-Combo hauchte ein schwuler Sopran:

»Feuer und Eis

sind nicht Milch mit Reis.

Vierhundert Pfund hinter Fäusten – da wird’s richtig heiß.

Mr. Feuer brennt Fackeln an

Mr. Eis kühlt mich ab.

Und ich mach die Nacht durch

und fahr mächtig ab.«

Mit einem Mal war ich wieder eine lokale Berühmtheit.

Bei der Einsatzbesprechung konnte ich mit ansehen, wie Wettscheine den Besitzer wechselten, und bekam aufmunternde Zurufe von Cops, die ich noch nie gesehen hatte; Fat Johnny Vogel warf mir jedesmal, wenn er im Umkleideraum an mir vorbei mußte, einen schiefen Blick zu. Sidwell, wie eh und je am Gerüchtemachen, erklärte, daß zwei Streifenpolizisten von der Nachtschicht ihre Autos verwettet hätten, und der Revierleiter, Captain Harwell, hielt die Entscheidung über die Versetzung zurück bis nach dem Kampf. Die Bullen von Administrative Vice hatten ihre Razzien bei Buchmachern ausgesetzt, da Mickey Cohen mit Wettscheinen tägliche Einnahmen von zehn Riesen machte und davon fünf Prozent an die Werbeagentur abführte, die von der Stadt beauftragt worden war, für das Durchbringen der Anleihe Reklame zu machen. Harry Cohn, der Großmacker bei Columbia Pictures, hatte ein hübsches Sümmchen auf meinen Punktsieg gesetzt, und falls ich spurte, stand mir ein heißes Wochenende mit Rita Hayworth bevor.

All das schien unsinnig, doch es machte ein gutes Gefühl, und ich bewahrte mich davor, verrückt zu werden, indem ich härter trainierte als je zuvor.

Jeden Tag nach Dienstschluß machte ich mich direkt auf den Weg zur Sporthalle und schuftete. Ich tat so, als seien Blanchard, seine lobhudelnde Gefolgschaft und die dienstfreien Cops, die um mich herumwimmelten, Luft für mich. Ich schlug auf den Sandsack ein, linke Gerade – rechter Cross – linker Haken, das jeweils fünf Minuten lang, beweglich tänzelnd auf schnellen Beinen; ich sparrte mit meinem alten Kumpel Pete Lukins und schlug wirbelnde Serien an der Birne, links, rechts, bis Schweiß mich blendete und meine Arme wie Gummi wurden. Ich sprang Seil und rannte über die Hügel von Elysian Park, Zweipfundgewichte um die Fußgelenke geschnallt, schoß gestochene Gerade gegen Baumäste und Büsche ab, gewann den Wettlauf gegen die in Abfallkörben wühlenden Köter, die dort herumstreunten, um Längen. Zu Hause dann schlang ich Leber, Porterhouse-Steak und Spinat in mich hinein und schlief ein, bevor ich noch aus den Kleidern steigen konnte.

Dann besuchte ich neun Tage vor dem Kampf den alten Mann und faßte den Entschluß, den Griff nach dem Geld zu wagen.

Der Auslöser dafür war mein Pflichtbesuch, den ich einmal im Monat machte. Und als ich jetzt nach Lincoln Heights hinausfuhr, hatte ich Schuldgefühle, weil ich mich nicht früher gezeigt hatte, obwohl man mir die Nachricht gesteckt hatte, daß er wieder verrückt spielte. Ich brachte Geschenke mit, um diese Schuldgefühle zu beschwichtigen: Leckereien in Dosen, die ich von Ladenbesitzern auf meiner Tour abgestaubt hatte, und beschlagnahmte Pornohefte. Als ich vor dem Haus vorfuhr, mußte ich erkennen, daß das nicht ausreichen würde.

Der alte Mann saß auf der Veranda und trank aus einer Flasche Hustensirup. In der anderen Hand hielt er seine K. K.-Pistole, mit der er abwesend Schüsse auf eine Formation von Flugzeugmodellen aus Balsaholz abgab, die er auf dem Rasen aufgebaut hatte. Ich parkte ein und ging auf ihn zu. Seine Kleidung war voller Kotzflecken, und die Knochen darunter standen heraus, als wären sie alle im falschen Winkel in ihre Gelenke eingepaßt. Sein Atem stank, seine Augen waren gelb und schlierig, und die Haut, die ich unter seinem verfilzten weißen Bart erkennen konnte, war von geplatzten Blutgefäßen rot geädert. Ich reichte ihm eine Hand hinunter, um ihm auf die Füße zu helfen; er krallte sich in meine Hand und sabberte auf deutsch: »Scheißkopf, kleiner Scheißkopf.«

Ich zog den alten Mann in eine aufrechte Stellung. Er ließ die K. K.-Pistole und die Flasche Expectolar fallen und sagte: »Guten Tag, Dwight«, als habe er mich gestern erst gesehen.

Ich wischte mir Tränen aus den Augen. »Sprich Englisch, Papa!«

Der alte Mann hieb seine Linke in die rechte Armbeuge und schüttelte zackig die Faust nach mir, als übe er Bälleschlagen beim Baseball. »Englische Scheißer! Churchill Scheißer! Amerikanische Juden Scheißer!«

Ich ließ ihn auf der Veranda stehen und machte einen Rundgang durch das Haus. Das Wohnzimmer war übersät von Bauteilen für Modellflugzeuge und offenen Büchsen mit Bohnen, um die Fliegen summten; das Schlafzimmer war gepflastert mit Käsekuchenpapptellern, die Mehrzahl mit der Oberseite nach unten. Das Badezimmer stank nach alter Pisse, und in der Küche kauerten, die Mäuler in halbleere Thunfischdosen gesteckt, drei Katzen. Sie fauchten mich an, als ich mich näherte; ich warf einen Stuhl nach ihnen und ging wieder hinaus zu meinem Vater. Er stand an das Geländer der Veranda gelehnt und befummelte seinen Bart. Aus Angst, er könne umkippen, hielt ich ihn am Arm fest; aus Angst ich könne gleich hemmungslos zu heulen anfangen, sagte ich: »Sag etwas, Papa. Mach mich wild. Erzähl mir, wie du es geschafft hast, das Haus innerhalb eines Monats so einzusauen.«

Mein Vater versuchte sich loszureißen. Ich packte fester zu, lockerte dann jedoch meinen Griff, aus Angst, sein Arm könne wie ein morscher Zweig brechen. Er sagte: »Du, Dwight, du?« Und da wußte ich, daß er einen zweiten Schlaganfall gehabt und sein Englisch wieder völlig vergessen hatte. Ich suchte in meinem Gedächtnis nach deutschen Wörtern und fand keins. Als Junge hatte ich diesen Menschen so sehr gehaßt, daß ich mir systematisch die Sprache ausgetrieben hatte, die er mich gelehrt hatte.

»Wo ist Greta? Wo ist Mutti?«

Ich legte meine Arme um den alten Mann. »Mama ist tot. Du warst zu geizig, ihr eine Flasche schwarzen Schnaps zu kaufen. Also beschaffte sie sich von den Niggern in den Flats irgend etwas Trinkbares. Es war Alkohol zum Einreiben, Papa. Sie wurde davon blind. Du hast sie ins Krankenhaus gesteckt, und sie ist vom Dach gesprungen.«

»Greta.«

Ich hielt ihn fester. »Ssssh. Das war vor vierzehn Jahren, Papa, lange Zeit her.«

Der alte Mann versuchte mich wegzustoßen; ich drückte ihn gegen einen Pfosten und nagelte ihn fest. Seine Lippen zuckten, er wollte einen Fluch hervorstoßen, doch dann wurde sein Gesicht ausdruckslos, und ich wußte, daß er die Worte nicht finden konnte. Ich schloß die Augen und fand statt seiner Worte für ihn: »Weißt du, was du mich gekostet hast, du Dreckskerl? Ich hätte mit sauberen Händen zur Polizei gehen können, doch sie fanden heraus, daß mein Vater ein verdammter Subversiver ist. Sie zwangen mich, Sammy und Ashidas zu denunzieren, und Sammy starb in Manzanar. Ich weiß, daß du dem Bund bloß beigetreten bist, um große Reden zu schwingen und die Sau rauszulassen. Aber du hättest es besser wissen müssen, ich konnte das damals noch nicht.«

Ich machte die Augen wieder auf und stellte fest, daß sie trocken geblieben waren; die Augen meines Alten waren völlig leer. Ich ließ seine Schultern los und sagte: »Nein, du wußtest es wohl nicht besser, und für die Denunziation bin ich ganz allein verantwortlich. Aber du bist ein geiziges, schmieriges Stück Dreck gewesen. Du hast Mama umgebracht, und das ist ganz allein dein Werk.«

Mir kam ein Einfall, wie ich mit all diesem Elend Schluß machen konnte: »Du legst dich jetzt hin, Papa. Ich werde mich um dich kümmern.«

An diesem Nachmittag beobachtete ich Lee Blanchard beim Training. Sein Programm waren Vier-Minuten-Runden mit aufgeschossenen Halbschwergewichtlern, die er sich aus dem Main Street Gym ausgeliehen hatte, und sein Stil war auf totalen Angriff eingestellt. Im Vorwärtsgang pendelte er mit dem Oberkörper, täuschte; seine Gerade war überraschend gut. Er war ganz und gar nicht der Kopfjäger oder die bleierne Ente, wie ich erwartet hatte. Und wenn er Haken zum Kopf schlug, konnte ich die Schläge zwanzig Meter weiter selbst spüren. Was dagegen das Geld anbelangte, war er keine sichere Bank, und für mich war es jetzt Geld, worum es bei unserem Kampf ging.

Um an das Geld zu kommen, mußte ich es mit Schiebung versuchen.

Ich fuhr nach Hause und rief den pensionierten Postboten an, der ein Auge auf meinen Vater gehabt hatte, bot ihm einen Hunderter an, damit er das Haus sauber machte und sich bis nach dem Kampf an die Fersen meines Alten heftete. Er willigte ein, und danach rief ich einen alten Mitschüler von der Academy an, der jetzt bei Hollywood Vice arbeitete und fragte ihn nach den Namen einiger Buchmacher. In dem Glauben, daß ich Wetten auf mich selbst abschließen wollte, gab er mir die Namen zweier Unabhängiger, von denen der eine mit Mickey Cohen und der andere mit der Bande von Jack Dragna zusammenarbeitete. Die unabhängigen und der Buchmacher von Cohen notierten Blanchard als klaren 2 zu 1 Favoriten, doch bei den Dragna-Leuten standen die Wetten pari für Bleichert und/oder Blanchard. Und aus den regelmäßig einlaufenden Berichten der Späher ging hervor, daß man mich für schnell und schlagstark hielt. Ich konnte also gut jeden Dollar verdoppeln, den ich einsetzte.

Am nächsten Morgen meldete ich mich krank, und der Einsatzleiter der Tagschicht kaufte es mir ab, weil ich eine lokale Berühmtheit war und Captain Harwell nicht wollte, daß jemand an meinem eisenharten Trainingsprogramm rüttelte. Nachdem ich den Dienstplan vom Hals hatte, löste ich mein Sparkonto auf, machte meine Schatzbriefe flüssig und nahm einen Bankkredit über zweitausend Dollar auf, für den ich meinen fast neuen 46er Chevy mit Faltdach als Sicherheit bot. Von der Bank war es nur ein kurzer Abstecher bis Lincoln Heights, wo ich mich mit Pete Lukins beraten konnte. Er willigte in alles ein, was ich von ihm wollte, und zwei Stunden später gab er mir die Ergebnisse seiner Nachforschungen durch.

Der Dragna-Buchmacher, zu dem ich ihn geschickt hatte, hatte sein Geld auf einen K. O.-Sieg Blanchards in den letzten Runden gesetzt. Falls ich zwischen den Runden acht und zehn auf die Bretter ging, würde ich mit netto 8640 Dollar Gewinn die Platte putzen – genug, meinen Alten über zwei oder drei Jahre in einem guten Pflegeheim untergebracht zu wissen. So hatte ich die Fahndungsabteilung dagegen verpfändet, mich von schlimmen alten Schulden freizukaufen, und die Festlegung auf eine der letzten Runden war gerade noch riskant genug, daß ich mich nicht allzu feige fühlen mußte. Doch beim Bezahlen für dieses Freikaufen würde mir jemand helfen müssen. Und dieser jemand war Lee Blanchard.

In den sieben Tagen vor dem Kampf, die mir noch blieben, futterte ich mir einhundertzweiundneunzig Pfund an, steigerte die Länge meiner täglichen Rennstrecke und dehnte meine Arbeit am Sandsack auf Sechs-Minuten-Runden aus. Duane Fisk, der Kollege, der mir als Trainer und Sekundant zugewiesen war, warnte mich vor dem Übertrainieren, doch ich ignorierte ihn und führte mein Programm bis achtundvierzig Stunden vor dem Kampf weiter. Dann ließ ich mich austrudeln, beschränkte mich auf leichte Gymnastik, studierte meinen Gegner.

Aus dem hinteren Teil der Sporthalle beobachtete ich Blanchard im Hauptring beim Sparring. Ich versuchte, Mängel in seiner Angriffstechnik zu finden und maß seine Reaktionszeit, wenn seine Sparringspartner zurückschlugen. Ich sah, daß seine Ellenbogen im Clinch dicht an den Leib gezogen waren, um Körpertreffer abzulenken und daß er dabei offen war für gestochene kleine Aufwärtshaken, die ihn zwingen würden, die Deckung hochzuziehen, so daß mein Haken in der Rippengegend landen konnte. Ich entdeckte, daß sein bester Schlag, der rechte Cross, jeweils durch zwei Tänzelschritte nach links und eine Täuschung mit dem Kopf vorher angekündigt wurde. Ich erkannte, daß er in den Seilen tödlich war, daß er leichtere Gegner dort festnageln konnte, sie mit den Ellenbogen hielt und abwechselnd kurze Haken zum Körper schlug. Näherkommend bemerkte ich Narbengewebe an den Augenbrauen, die ich meiden mußte, um einen vorzeitigen technischen K. O. zu vermeiden. Das war schade, doch eine lange Narbe, die sich linksseitig seinen Brustkorb hinabzog, schien eine vorzügliche Stelle, ihm eine Menge Schmerz zu bereiten.

»Immerhin sieht er ohne Hemd gut aus.«

Ich wandte mich zu der Stimme um. Kay Lake starrte mich an; aus den Augenwinkeln beobachtete ich Blanchard, der auf seinem Stuhl saß und zu uns herüberstarrte. »Wo ist Ihr Skizzenblock?«, fragte ich.

Kay winkte Blanchard zu; beidhändig, die Fäuste in schweren Trainingshandschuhen steckend, warf er ihr eine Kußhand zu. Der Gong ertönte, und er und sein Partner bewegten sich in der Ringmitte aufeinander zu, setzten die Führhand ein, tasteten einander ab. »Ich habe es aufgegeben«, sagte Kay. »Ich war nicht sehr gut, also habe ich das Fach gewechselt.«

»Und das wäre?«

»Ein Semester Medizin, dann Psychologie, dann englische Literatur, danach Geschichte.«

»Ich mag Frauen, die wissen, was sie wollen.«

Kay lächelte. »Ich auch. Nur kenne ich keine. Was wollen Sie denn?«

Ich warf einen Blick in die Runde. Dreißig oder vierzig Zuschauer saßen auf Klappstühlen um den Hauptring gruppiert, die meisten von ihnen dienstfreie Polizisten und Reporter, die meisten von ihnen rauchend. Dunstschleier stiegen über dem Ring auf, und das Scheinwerferlicht von der Decke tauchte alles in einen schwefeligen Dunst. Alle Augen hingen an Blanchard und seinem Prügelknaben. Und alle aufmunternden Zurufe galten ihm – doch ohne mich, der sich anschickte, alte Rechnungen zu begleichen, war das alles belanglos. »Ich bin ein Teil von dem hier. Das hier will ich.«

Kay schüttelte den Kopf. »Sie haben vor fünf Jahren mit Boxen aufgehört. Das ist nicht mehr Ihr Leben.«