Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Gott Gott sein lassen – was Dietrich Bonhoeffer in der Zeit der NS-Dikatur forderte, gilt als Mahnruf aus einer anderen Zeit auch uns. In seinen Predigten hören wir den Theologen, den Christ und auch den Widerstandskämpfer Bonhoeffer gleichermaßen. Hier finden sich die großen Themen, die ihn beschäftigt haben: Die Ausrichtung an Gottes Wort, die kostbare Gnade, die Aufforderung zum Gehorsam, das gemeinsame Leben in der Nachfolge, und ganz persönlich die Identifikation seines eigenen Schicksal mit dem des biblischen Propheten Nehemia. Zeitzeugnis, Mahnung und Inspiration gleichzeitig – in diesem Band mit Predigten Bonhoeffers hat Peter Zimmerling eine repräsentative Auswahl der Predigten Bonhoeffers zusammengestellt und setzt damit die erfolgreiche Reihe der Werke Dietrich Bonhoeffers fort. Predigen besaß für Dietrich Bonhoeffer selbst durchgängig eine herausragende Bedeutung. So stellt Eberhard Bethge fest: "Bonhoeffer hat gern gepredigt. Als eine Verwandte erfuhr, dass sie nur noch Monate zu leben habe, schrieb er: "Was würde ich tun, wenn ich wüßte, in 4–6 Monaten wäre es zu Ende? Ich glaube, ich würde noch versuchen, Theologie zu unterrichten wie einst und oft zu predigen." Noch am Tag vor seiner Hinrichtung hat Bonhoeffer gepredigt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 484
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
DIETRICH BONHOEFFER
Ausgewählte Predigten
Herausgegeben und mit einer Einführung versehenvon Peter Zimmerling
Bibelzitate entsprechen der von Bonhoeffer verwendeten Fassung bzw. dort, wo Bonhoeffer den Predigttext nicht mitgegeben hatte (in eckigen Klammern), der Lutherbibel 1912.
Die Rechtschreibung wurde aktualisiert und offensichtliche Fehler korrigiert, Zeichensetzung wurde teilweise beibehalten.
Die hier abgedruckten Texte finden sich auch in der Dietrich Bonhoeffer Werkausgabe (DBW), Gütersloh 1886-1999: 1. Mose 32,25-32; 33,10: DBW 11, 408-414; 2. Mose 32,17; 15; 19-20;30-34: DBW 12, 459-465; Richter 6,15-16; 7,2; 8,23: DBW 12, 447-454; 2. Chronik 20,12: DBW 11, 416-423; Psalm 42: DBW 14, 851-860; Psalm 62,2: DBW 10, 479-485; Psalm 85,9: DBW 13, 298-301; Psalm 98,1: DBW 13, 351-356; Psalm 127,1: DBW 9, 510-516; Sprüche 16,9: DBW 13, 404-408; Weisheit 3,3: DBW 13, 325-331; Jeremia 20,7: DBW 13, 347-351; Sacharja 3,15: DBW 14, 860-867; Matthäus 8,23-27: DBW 12, 439-447; Matthäus 11,28-30: DBW 13, 372-378; Matthäus 16,13-18: DBW 12, 465-470; Matthäus 18,21-35: DBW 14, 905-911; Matthäus 26,45b-50: DBW 14, 973-979; Markus 9,23-24: DBW 13, 413-418; Lukas 1,46-55: DBW 13, 338-343; Lukas 9,51-56: DBW 9, 603-613; Lukas 9,57-62: DBW 13, 344-346; Lukas 13,15: DBW 13, 365-372; Lukas 17,7-10: DBW 9, 485-491; Lukas 21,28: DBW 13, 332-337; Johannes 8,32: DBW 11, 454-463; Römer 5,15: DBW 15, 470-476; Römer 12,11c: DBW 10, 512-517; Römer 12,16c-21: DBW 15, 463-470; 1. Korinther 2,7-10: DBW 13, 359-363; 1. Korinther 12,27 u.26: DBW 10, 486-492; 1. Korinther 13,13: DBW 13, 378-386; 1. Korinther 13,47: DBW 13, 386-393; 1. Korinther 13,8-12: DBW 13, 393-398; 1 Korinther 13,13: DBW 13, 399-404; 1. Korinther 15,17: DBW 10, 461-466; 2. Korinther 5,10: DBW 13, 319-325; 2. Korinther 5,20: DBW 13, 313-319; 2. Korinther 12,9: DBW 10, 505-511; Kolosser 3,14: DBW 11, 444-453; 1. Petrus 1,7c-9: DBW 12, 455-459; Jakobus 1,21-25: DBW 9, 539-546; Offenbarung 3,20: DBW 10, 529-533; Offenbarung 14,6-13: DBW 14, 911-918.
© 2020 Brunnen Verlag GmbH, Gießen
Umschlagfoto: Shutterstock
Umschlaggestaltung: Celia Friedland
Satz: DTP Brunnen
Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
ISBN Buch 978-3-7655-0742-7
ISBN E-Book 978-3-7655-7556-3
www.brunnenverlag.de
Zu dieser Ausgabe
Einführung von Peter Zimmerling
In der Gemeinde seine Heimat finden1
1. Mose 32,25-32; 33,10
Mose- und Aaronskirche
2. Mose 32,1-7.15.19-20.30-34
Des Volkes ist zu viel!
Richter 6,15-16; 7,2; 8,23
Gottes Gebot gegen alle christlichen Programme
2. Chronik 20,12
Schrei der Seele nach Gott
Psalm 42
Mut zur Stille
Psalm 62,2
Kirche und Völkerwelt
Psalm 85,9
Bauen mit Verheißung
Psalm 127,1
Der verwandelte Tod
Weisheit 3,3
Konnten wir wissen, dass deine Liebe so weh tut?
Jeremia 20,7
Kirchenerneuerung unter Anklage und Freispruch
Sacharja 3,1-5
Siegesgeschrei wider die Furcht
Matthäus 8,23-27
Der Mensch, der für andere denkt und lebt
Matthäus 11,28-30
Petruskirche
Matthäus 16,13-18
Über das Vergeben
Matthäus 18,21-35
Judas
Matthäus 26,45b-50
Wenn du glauben könntest!
Markus 9,23-24
Meine Seele erhebet den Herrn
Lukas 1,46-55
Gekommen, der Menschen Leben zu erhalten
Lukas 9,51-56
Anfang mit Christus
Lukas 9,57-62
Ende des Suchens nach den Schuldigen
Lukas 13,1-5
Wie ein Gefangener auf Befreiung wartet
Lukas 21,28
Abstrakte und geschehende Wahrheit
Johannes 8,32
Schätze des Leidens
Römer 5,1-5
Dienet der Zeit
Römer 12,11c
Wie aus Feinden Freunde werden
Römer 12,16c-21
Geheimnis
1. Korinther 2,7-10
Die Kirche
1. Korinther 12,27 u.26
Menschliche Größe unter dem Gericht der Liebe
1. Korinther 13,1-3
Der unglaubliche Weg der Liebe
1. Korinther 13,4-7
Warum Liebe nie aufhört
1. Korinther 13,8-12
Vor Erstarrung bewahrt allein die Liebe
1. Korinther 13,13
Auferstehung statt Unsterblichkeit
1. Korinther 15,17
Ein Tag von beängstigender Helle
2. Korinther 5,10
Botschafter der Versöhnung
2. Korinther 5,20
Religion und Glück
2. Korinther 12,9
Bleibt der Erde treu
Kolosser 3,1-4
Ohne Freude keine Kirche
1. Petrus 1,7c-9
Durch Gehorsam frei!
Jakobus 1,21-25
Warten können
Offenbarung 3,20
Wer und was ist Babylon?
Offenbarung 14,6-13
Anmerkungen
Dietrich Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 von den Nazis hingerichtet. 2015 waren es 70 Jahre, dass dieses Verbrechen geschah. Nach 70 Jahren werden die Bücher und Texte eines Verstorbenen „rechtefrei“. Das schien dem Brunnen Verlag und mir eine gute Gelegenheit, zunächst vier Bücher Bonhoeffers neu herauszugeben: „Das Gebetbuch der Bibel“, „Gemeinsames Leben“, „Nachfolge“, „Schöpfung und Fall“. Durch sie ist er schon zu Lebzeiten einer größeren Lesergemeinde bekannt geworden.
Die gute Aufnahme der vier Bände, von denen z. T. bereits wieder Neuauflagen nötig wurden, hat uns bewogen, die Reihe fortzusetzen. Den Anfang machte 2018 ein Band unter dem Titel „Aber bei dir ist Licht“ mit Gebeten, Gedichten und Gedanken Bonhoeffers aus der Zeit seiner Inhaftierung durch die Nazis. Ein weiterer Band „Du wartest jede Stunde mit mir“ mit seinen Briefen aus dem Gefängnis an die Eltern, die Verlobte Maria von Wedemeyer und den Freund und theologischen Gesprächspartner Eberhard Bethge folgte 2019.
Der vorliegende Band enthält eine repräsentative Auswahl der Predigten aus den Jahren 1925 bis 1941. Ein weiterer Band mit Kasualpredigten, Bibelmeditationen und Bibelarbeiten wird folgen. (Die Auslegungen und Predigten aus der Gefängniszeit wurden bereits in den beiden vorausgegangenen Bänden veröffentlicht.) Die Texte sind bewusst nicht in chronologischer Weise, sondern in der Reihenfolge der biblischen Bücher abgedruckt. Auf diese Weise erlauben sie Verkündigerinnen und Verkündigern eine rasche Orientierung und ermöglichen so, bei Bonhoeffer Impulse für die eigene Predigt zu gewinnen.
Der Titel des Bandes „Bleibt der Erde treu“ mag verwundern. Er ist der Predigt vom 19.6.1932 über Kol 3,1-4 entnommen. Bonhoeffer setzt sich darin implizit mit dem bekannten Zitat aus Friedrich Nietzsches Buch „Also sprach Zarathustra“ auseinander und zeigt, dass der christliche Glaube keineswegs Opium für das Volk ist. Gerade die Orientierung des Lebens an der Ewigkeit verleiht Menschen den notwendigen langen Atem, um für die Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände einzutreten. Aus dem Gefängnis wird Bonhoeffer an seine Braut Maria von Wedemeyer schreiben: „Ich fürchte, daß die Christen, die nur mit einem Bein auf der Erde zu stehen wagen, auch nur mit einem Bein im Himmel stehen.“1 Eine starke Hoffnung auf das Leben in Gottes Ewigkeit und ein kraftvolles Engagement für den Nächsten bedingen sich gegenseitig.
Die Überschriften für die Predigten stammen nicht von Dietrich Bonhoeffer selbst, sondern sind den beiden Bänden: Dietrich Bonhoeffer, Predigten – Auslegungen – Meditationen 1925-1935, Bd. 1, hg. von Otto Dudzus, Gütersloh 21998 und ders., Predigten – Auslegungen – Meditationen 1935–1945, Bd. 2, hg. von Otto Dudzus, Gütersloh 21998 entnommen.
Leipzig, im Sommer 2019
Peter Zimmerling
Der predigende Bonhoeffer hat nie im Zentrum des Interesses gestanden. Der akademische, der ökumenische, der politische Bonhoeffer steht vielen, die sich seinem Werk zuwenden, näher als der Bonhoeffer, der in seinen Predigten begegnet: der herausfordernd kirchliche, der radikal biblische, der konsequent an der Nachfolge Jesu Christi orientierte.2 Entsprechend wenig Literatur existiert zu seinen Predigten. Den bisher ausführlichsten Beitrag hat 1985 Ernst Georg Wendel in seinen „Studien zur Homiletik Dietrich Bonhoeffers“ vorgelegt.3 Wendel analysiert darin die Bedeutung von Situation, Hermeneutik und Sprache für Bonhoeffers Predigt.
In der Gesamtausgabe der Werke Dietrich Bonhoeffers4 sind alle erhaltenen Predigten und Predigtfragmente (insgesamt 635) abgedruckt – auch seine Bibelarbeiten, Andachten und Meditationen. Damit wird deutlicher als vor dem Erscheinen der Gesamtausgabe, dass die Predigten eine wichtige, weil kontinuierliche Quelle für Bonhoeffers Glauben und Denken darstellen. Sie umfassen beinahe die gesamte Zeit vom Studium bis zur Hinrichtung (1925–1944), also eine Zeitspanne von fast zwanzig Jahren. Dass ab Herbst 1940 nur noch wenige öffentliche Ansprachen erhalten sind, hat in der Verhängung des Reichsredeverbots seinen Grund.
Aus Bonhoeffers Studentenzeit (1925–1927) sind vor allem Ansprachen im Kindergottesdienst seiner Heimatkirche in Berlin-Grunewald erhalten. Zu den Themen und Motiven, die sich bereits in diesen frühen Predigten und Ansprachen finden und sich durch alle späteren Reden hindurchziehen, gehören das Eintreten für Gottes Gottsein, die Aufforderung zum Gehorsam gegenüber Gott, die Betonung der Verantwortung des Menschen vor Gott, der Hinweis auf Gottes Ewigkeit und Gottes Gericht, die Aussage, dass Gott dem Menschen im Nächsten begegnet. Von Jesus Christus spricht Bonhoeffer äußerst zurückhaltend, als ob dieser etwas so Großes wäre, dass man es nicht so einfach aussprechen könnte.6
Während des Vikariats in Barcelona (März 1928–Februar 1929) hatte Bonhoeffer alle 14 Tage zu predigen, wenn sein Vikarsvater in den Ferien war sogar sonntäglich. Von den ungefähr 25–30 Predigten aus dieser Zeit sind zwölf erhalten geblieben. Bonhoeffer hielt sich zu dieser Zeit an keine vorgegebene Perikopenordnung, sondern fand seine Predigtthemen aufgrund der Begegnungen mit Menschen aus der Gemeinde. Die Situation der Jugendlichen nimmt einen relativ breiten Raum ein, was nicht verwunderlich ist, da Bonhoeffer zu diesem Zeitpunkt erst 22 Jahre alt war. Umso erstaunlicher ist der eschatologische Grundtenor der Predigten. Bonhoeffer hebt immer wieder hervor, dass die Frage nach der Ewigkeit die Grundfrage des Christseins sei.7 Eindrucksvoll ist seine Predigt über die Kirche,8 in der er diese – altkirchlich – mit einer Mutter vergleicht. Die Predigt steckt voller Lockungen, da es Überraschendes zu entdecken gibt, sobald ein Mensch sich auf den Weg in die Kirche macht.
Zwischen dem Ende des Vikariats in Barcelona und dem Dienstantritt als Studentenpfarrer in Berlin im Oktober 1931 liegen fast drei Jahre (1931–1933). Aus diesem Zeitraum sind nur wenige Predigten erhalten. Gerne wüsste man, was Bonhoeffer während des halben Jahres seiner Mitarbeit in der Sonntagsschule und den Gottesdiensten der Abessinian Baptist Church seines schwarzen Freundes Frank Fisher in Harlem gepredigt hat.9
Zurück in Berlin beginnt er erst wieder mit seinem Dienstantritt als Studentenpfarrer an der Technischen Hochschule in Charlottenburg zu predigen. Die erste erhaltene Predigt stammt vom 4.10.1931. Bis zu seinem Wechsel auf die Auslandspfarrstelle in London im Oktober 1933 existieren knapp 15 Predigten. Otto Dudzus bezeichnet die Predigt dennoch als den „heimliche[n] Schwerpunkt seiner Arbeit in diesen Jahren“.10 Mitten in der damals pulsierenden Weltstadt Berlin, die gezeichnet war von gewaltsamen Straßenschlachten um die zukünftige politische Gestalt Deutschlands, verantwortet Bonhoeffer seine theologischen Überzeugungen in der Predigt, inspiriert von Karl Barth (1886–1968), seinem wichtigsten theologischen Lehrer, und durch den Studienaufenthalt in New York. Allerdings werden an keiner Stelle der erhalten gebliebenen Predigten politische Fragen direkt thematisiert. Trotzdem gilt für die Predigten vor Hitlers Machtergreifung, was Eberhard Bethge festgestellt hat: „Gleichwohl sind die Bezüge zum Tagesgeschehen […] unverkennbar. Umso mehr fand sich der Zeitgenosse kräftig und überzeugend orientiert.“11
Von den 70–80 in London (Oktober 1933–April 1935) gehaltenen Predigten sind weniger als 20 noch vorhanden. Der Betonung des Gottseins Gottes und seines Anspruchs an den Menschen korrespondiert auch in diesen Predigten mit Bonhoeffers Ernstnehmen des Menschseins, seiner Fürsorge und Liebe zu den Zuhörern und Zuhörerinnen. Die Predigten zeichnet wiederum eine auffällige Orientierung an der Ewigkeit aus. Schließlich machen gerade die Londoner Predigten deutlich, dass Bonhoeffer mithilfe der Theologie sein Leben bewältigt hat. Im Wort Gottes fand er Orientierung und Halt, woran er seinen Hörerinnen und Hörern Anteil gab. Das belegt besonders deutlich die Predigt über Jer 20,7.12
Erstaunlicherweise sind aus der Zeit der illegalen Theologenausbildung als Direktor des Predigerseminars in Finkenwalde bei Stettin (1935–1940) insgesamt weniger als zehn Predigten vorhanden (abgerechnet die Predigten bei Kasualien) – und das, obwohl es, solange Finkenwalde bestand, eine „Notkirche“ der Bekennenden Kirche mit sonntäglichem Gottesdienst gab. Der Grund dafür liegt darin, dass Bonhoeffer die Kanzel den Seminaristen und den anderen Mitgliedern des Bruderhauses zur Verfügung stellte.
Wenn wir nach dem Prediger Bonhoeffer in dieser Zeit fragen, sind wir neben den wenigen Predigten auf seine Bibelarbeiten über Esra und Nehemia, über Timotheus, über das Thema Versuchung, über den Morgen und über David verwiesen.13 Sie sind außer von ihrer Länge und ihrem Ort kaum von Predigten zu unterscheiden. Auf Rüstzeiten für die ehemaligen Finkenwalder Seminaristen gehalten, bilden sie den Nährboden für deren Predigtpraxis. Bei Bonhoeffers Predigten aus dieser Zeit fällt auf, dass Verkündigung und Gebet häufig ohne Bruch ineinander übergehen. Sie erwuchsen aus der gemeinsamen Praxis geistlichen Lebens in Finkenwalde.14 Thematisch steht in dieser Periode die Rechtfertigungsbotschaft im Zentrum – vielleicht gerade aufgrund der hochgespannten Frömmigkeit, die im Predigerseminar mit dem angeschlossenen Bruderhaus15 gelebt wurde.
Am Ende der Zeit der illegalen Theologenausbildung verfasste Bonhoeffer eine Reihe homiletischer Auftragsarbeiten: eine Lesepredigt, vier Predigtmeditationen, theologische Ausarbeitungen zu Weihnachten, Epiphanias, Ostern und Himmelfahrt und über die Dankbarkeit des Christen.16 Es war etwas Neues für Bonhoeffer, Predigten bzw. Predigthilfen zu veröffentlichen. Ursprünglich war er der Überzeugung, dass jeder Prediger ausschließlich das ihm unmittelbar, durch eigene Exegese und Meditation erschlossene Wort Gottes predigen sollte. Aufgrund der besonderen Zeitumstände, gekennzeichnet von Krieg und vielen Vakanzen (viele Pfarrer waren eingezogen), hat er nach anfänglichem Zögern diese Ansicht revidiert und mit großem Engagement die Hilfen zur Predigt erstellt.
Selbst für die Jahre des Krieges und der zunehmenden persönlichen Freiheitseinschränkungen durch die Gestapo (1940–1945) ist eine Reihe von Predigten, Meditationen, Andachtshilfen, Auslegungen erhalten geblieben. Trotz Rede-(September 1940) und Druckverbot (März 1941) hat er im engeren Freundeskreis in Pommern eine Traueransprache gehalten, später im Gefängnis Andachtsvorschläge für Eberhard Bethge und Andachtshilfen zu Herrnhuter Losungen verfasst.17 Bekannt geworden sind die Traupredigt aus der Zelle für Eberhard Bethge und dessen Frau Renate, geb. Schleicher, Bonhoeffers Nichte, und die „Gedanken zum Tauftag“ seines Großneffen Dietrich Bethge (Aber bei dir ist Licht, S. 43-52).
Spannend ist der Vergleich der Predigten aus dieser Zeit mit der von Bonhoeffer gleichzeitig geforderten nicht-religiösen Interpretation biblischer Begriffe. Dabei wird deutlich, dass dieses Projekt eine radikal auf Christus bezogene, genauer: an dessen Menschwerdung orientierte Interpretation verfolgte, und nicht im Sinn der späteren Gott-ist-tot-Theologie missverstanden werden darf. Darauf hat zuerst Bonhoeffers Finkenwalder Schüler Gerhard Ebeling hingewiesen.18 Bonhoeffer dachte nie an eine Abschaffung von Gottesdienst und Predigt. Allerdings überlegte er unter dem Stichwort der „Arkandisziplin“, ob der Gottesdienst „in religionsloser Zeit“ nicht allein im Kreis bekennender Christen gefeiert werden müsste.19
Die Vernachlässigung Bonhoeffers als Prediger in der Forschung ist umso erstaunlicher, als das Predigen für ihn selber durchgängig eine herausragende Bedeutung besaß. Das gilt sowohl in biografischer als auch in sachlicher Hinsicht. So stellt Eberhard Bethge fest: „Bonhoeffer hat gern gepredigt. Als eine Verwandte erfuhr, dass sie nur noch Monate zu leben habe, schrieb er: ‚Was würde ich tun, wenn ich wüßte, in 4–6 Monaten wäre es zu Ende? […] Ich glaube, ich würde noch versuchen, Theologie zu unterrichten wie einst und oft zu predigen‘ (1941).“20 Noch am Tag vor seiner Hinrichtung hat er vor seinen Mitgefangenen gepredigt.21 Wichtiger ist jedoch die inhaltliche Erkenntnis, dass Bonhoeffer um der Predigt willen theologisch gedacht und politisch gehandelt hat. Seine ganze Theologie diente der Predigtaufgabe, war auf die Predigt hin ausgerichtet.22 Bethge meint ganz zu Recht, dass die Predigt „Richtpunkt im Bild Bonhoeffers in seinen drei Stadien“ als Theologe, Christ und Zeitgenosse ist: „Im ersten Stadium ging es ihm um die Konkretheit des Wortes, im zweiten um seine Kostbarkeit und im dritten um seine Weltlichkeit.“23 Von hier aus wird auch das Motiv für die „nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe“ verständlich: Sie bedeutet gerade „nicht die Absetzung der Predigt, sondern den ersten Schritt ihrer Wiedergewinnung für die Welt“.24 Bonhoeffer ging es um eine Erneuerung der geistlichen Sprachfähigkeit in Theologie und Kirche.
Es fällt auf, dass Bethges These von der Predigt als „Richtpunkt im Bild Bonhoeffers“ in der Folgezeit in der Bonhoeffer-Forschung unberücksichtigt blieb.25 Dazu hat beigetragen, dass Bethge selbst in seiner 1968 erstmals erschienenen Bonhoeffer-Biografie diese These nicht weiter entfaltet hat. Vielmehr legt er der Biografie das Periodenschema Theologe, Christ, Zeitgenosse zugrunde.26 Es gipfelt nach der Überzeugung von Bonhoeffers Biograf in der Zeitgenossenschaft und im Entwurf einer neuen Theologie. In der Folgezeit wird das Periodenschema zur entscheidenden Deutungskategorie von Bonhoeffers Leben und Werk.
Das Schema hat, zugegebenermaßen gegen Bethges Intention, wesentlich dazu beigetragen, dass je nach Interessenlage ausschließlich der Bonhoeffer der einen oder der anderen Periode für die eigenen theologischen oder kirchenpolitischen Überzeugungen reklamiert werden konnte. Demgegenüber kann der Versuch, Bethges These von der Predigt als „Richtpunkt im Bild Bonhoeffers“ zur Geltung zu bringen, zur Korrektur einseitiger Bonhoeffer-Interpretationen führen und helfen, den ganzen Bonhoeffer besser in den Blick zu bekommen. Es zeigt sich nämlich, dass Bethges Periodenschema – Theologe, Christ, Zeitgenosse – durch die Predigten nicht ohne Weiteres bestätigt wird.27 So lassen sich an Bonhoeffers Predigten theologische Grundanschauungen nachweisen, die in allen Perioden durchgehalten werden. Dazu gehören vor allem sein Verständnis der Bibel, die Christusanschauung, die Lehre von der Kirche, die Forderung nach ethischer Konkretion des Glaubens in der Nachfolge und die Ewigkeitserwartung bzw. der Horizont des Gerichts.28 Diese Beobachtungen werden durch Bonhoeffers eigene, in den Briefen aus der Haft zum Ausdruck gebrachte Überzeugung bestätigt. Danach erfuhr er keinen „Bruch“ in seinem Leben,29 sondern sah auch im „Fragment“ des eigenen Lebens 30 die Kontinuität einer polyphonen „Mehrdimensionalität“.31 Vielleicht sollte das Periodenschema in Zukunft aufgegeben werden und besser von drei Dimensionen der Biografie Bonhoeffers gesprochen werden: dem Aspekt seines Theologeseins, seines Christseins und seiner Zeitgenossenschaft – anders ausgedrückt: der Bedeutung der Glaubensreflexion, der Glaubensübung und der Ethik aus Glauben.
Noch ein weiteres Charakteristikum des predigenden Bonhoeffer lässt sich beobachten: Seine Verkündigung ist von Anfang an von konkreten Gemeinschafts- und Hilfsangeboten begleitet. Zum Christsein gehört für ihn zumindest zeichenhaft das Miteinanderleben. Als Kindergottesdiensthelfer lud Bonhoeffer die Kinder zu sich nach Hause ein und machte mit ihnen Ausflüge. Aus dem Kindergottesdienstkreis entstand ein Jugendkreis, in dem nach Art einer Jugendakademie anspruchsvolle Themen besprochen wurden.32 Als Versammlungsort stand Bonhoeffer und den Gymnasiasten die elterliche Villa im Grunewald zur Verfügung. Gemeinsam besuchten sie auch Opern und Konzerte – häufig nach einer Einführung in das zur Aufführung kommende Stück durch einen der Teilnehmer.
Eine weitere Eigenart der Predigt Bonhoeffers besteht darin, dass sie eine prophetische Dimension erkennen lässt. Das ist insofern nicht überraschend, als auch sein Lehrer Karl Barth und die von ihm maßgeblich geprägte dialektische Theologie die Predigtaufgabe so verstand. Sie knüpfte damit an Überzeugungen Martin Luthers und der anderen Reformatoren an. Darüber hinausgehend hat Bonhoeffer sein gesamtes Geschick im Licht der alttestamentlichen Propheten verstanden. Das lässt sich am deutlichsten an dessen Londoner Predigt über Jer 20,7 zeigen. Erstaunlicherweise hat die biografische Dimension der Predigt in der Bonhoefferforschung bisher kaum die verdiente Beachtung gefunden.33 Bonhoeffer hat diese Predigt am 21. Januar 1934 in London gehalten, vier Tage vor dem Empfang der Führer der am Kirchenkampf beteiligten Gruppen bei Hitler, in dessen Vorfeld er von London aus durch verschiedene Eingaben unmittelbaren Einfluss auf das Berliner Geschehen zu nehmen versucht hatte.34 Die Predigt besitzt also einen hochbrisanten zeitgeschichtlichen Hintergrund. Dieser bildet einerseits die Folie, auf der das prophetische Selbstverständnis des predigenden Bonhoeffer Kontur gewinnt; andererseits bietet ihm die besondere zeitgeschichtliche Situation die Möglichkeit, Einblick zu geben in die tiefer liegenden Motive, die ihn zur Teilnahme am Kirchenkampf geführt haben. Dadurch wird die Predigt überdies zu einem klassischen Beleg für den Zusammenhang von Theologie und Biografie bei Bonhoeffer.
Die biografische Betroffenheit lässt schon der Subjektwechsel im Predigtverlauf erkennen: Das Geschick Jeremias wird zunächst in der 3. Person beschrieben, dann findet ein Wechsel in die 1. Person Singular bzw. Plural statt, bevor die Predigt in der 3. Person fortgesetzt wird. Mit dem Wechsel in die 1. Person ist auch sprachlich der Übergang zum Zentrum der Predigt markiert, „nach Form und Inhalt eine Confessio“, die in Bonhoeffers Werk einmalig dasteht. Die Confessio hat die Form eines Gebets, das fast eine ganze Druckseite einnimmt. In ihr erfolgt eine geradezu dramatische Identifikation Bonhoeffers mit dem Geschick des Jeremia. Das existenzielle Überwältigtsein Bonhoeffers wirkt sich bis in die Wortwahl der Confessio aus. Gott „schleppt ihn als Beute davon“; „bindet uns an seinen Siegeswagen“; „schleift uns hinter sich her, dass wir geschunden und zermartert an seinem Triumphzug teilnehmen“. Auch in der übrigen Predigt verwendet Bonhoeffer gewalttätig anmutende Sprachmetaphern, um das Überwältigende der göttlichen Berufung zum Ausdruck zu bringen. In Aufnahme von Klgl 3,12f sagt er: „Der Pfeil des allmächtigen Gottes hat das gehetzte Wild erlegt.“35 Der Mensch ist „Gottes Gefangener“, dem sich „das Lasso“ „nur enger und schmerzhafter zusammenzieht“;36 der von Gott Berufene ist „Opfer in Gottes Händen“.37
Der katholische Theologe Werner Kallen hat zuerst auf die Ähnlichkeit zwischen Bonhoeffers Confessio und Gotteserfahrungen aus dem Bereich der Mystik hingewiesen.38 Die Gemeinsamkeiten sind bis in den Sprachgebrauch hinein verblüffend. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch in der Prägung von Bonhoeffers prophetischem Berufungsverständnis durch das Wort – ein urreformatorischer Ansatz. Bonhoeffer hebt hervor, dass die Berufung nicht durch ein Wort „aus den Tiefen unserer Seele“, sondern allein durch Gottes Wort erfolgt, das den Menschen von außen ergreift.39 Die Berufung hängt am biblischen Wort. Dieses ist einerseits das „fremde, unbekannte, unerwartete, gewalttätige, überwältigende Wort des Herrn“, andererseits aber „das uns schon so unheimlich wohlbekannte, unheimlich nahe, überredende, betörende, verführende Wort der Liebe des Herrn“.40 Bonhoeffer knüpft hier an die lutherische Konzeption vom Wirken Gottes durch Gesetz und Evangelium an: Gott beruft den Menschen, indem er ihn richtet und gerade darin begnadigt. Damit hängt ein weiterer Gedanke unmittelbar zusammen: Bonhoeffer geht wie Luther davon aus, dass Gottes Liebe sich – wie sich am Geschick Jesu Christi zeigt – unter ihrem Gegenteil verbirgt. „Konnten wir es wissen, dass deine Liebe so weh tut, dass deine Gnade so hart ist?“41, heißt es in der Mitte, auf dem Höhepunkt der Confessio.
Erst wenn man die Predigt von Bonhoeffers Ende her liest, wird ihre existenzielle Zuspitzung in ihrer ganzen Tragweite erkennbar. Dann drängt sich der Eindruck auf, als habe er selber in der Predigt prophetisch vorweggenommen, was einmal im Rückblick auf sein Leben zu sagen sein wird.42 Bonhoeffer sollte tatsächlich wie Jeremia der von Gott „besessene und gefasste“, der von allen als „Phantast, Sturkopf, Friedensstörer, Volksfeind gescholtene“ werden.43 Gegenüber Gott würde für ihn nur Unterwerfung und Hingabe bleiben, wie er in „Widerstand und Ergebung“ und in den Brautbriefen geschrieben hat.44 Aber nicht deshalb, weil Gott ein willkürlich handelnder Despot wäre, sondern weil er der allmächtige Schöpfer ist, der auf sein Geschöpf in sehnsüchtiger, ewiger Liebe wartet.45
Dass Bonhoeffer sein Leben vom „Jeremia-Motiv“ her verstanden hat, bestätigen Aussagen in seinem letzten Gespräch mit Bischof George Bell im Mai 1942 in Schweden. Er sieht darin – ähnlich wie Jeremia im Hinblick auf Israel – die einzige Möglichkeit für die Weiterexistenz Deutschlands in der Annahme der bedingungslosen Kapitulation, d. h. im Verzicht auf jede Form von Verständigungsfrieden. Die Niederlage muss von den Vertretern des Widerstands gegen Hitler als Gottes Gericht über Deutschland angenommen werden. Nach den Tagebuchnotizen von Bischof Bell sagte Bonhoeffer damals: „Strafe Gottes muss sein […]. Wir wollen der Buße nicht entkommen. Unser Handeln soll so sein, dass es verstanden wird als Akt der Buße und als solcher ausgesprochen. Ich habe mit Familien gesprochen, deren Anti-Nazi-Söhne in Polen getötet worden sind und die fragen: warum? Er antwortete: Unsere Unschuldigen leiden, wie die unschuldigen Polen leiden. Christen wünschen nicht der Buße zu entkommen, oder dem Chaos, falls Gott es über uns bringen will. Wir müssen dieses Gericht als Christen annehmen. Wir vollziehen diesen Akt als Bußtat; wichtig das Bekunden von Buße (was ich betone).“46 Bonhoeffer hat ein solches Schuldbekenntnis übrigens tatsächlich verfasst, und zwar bereits längere Zeit vor dem Gespräch mit Bischof Bell, auf der Höhe von Hitlers militärischen Erfolgen.47
Es sind vor allem vier inhaltliche Aspekte, allesamt auch für die biblische Prophetie prägend, die sich während Bonhoeffers gesamter Predigttätigkeit nachweisen lassen und für diese konstitutiv sind: das Eintreten für Gottes Gottsein; die Konzentration auf Gottes Wort; die Aufforderung zum Gehorsam gegenüber Gottes konkretem Gebot, die Identifikation der Nachfolge mit Leiden.
Angesichts des Dritten Reiches mit seinem Führerkult gewann das Eintreten für Gottes Gottsein unmittelbare politische und kirchenpolitische Relevanz. Bereits 1933 hatte Bonhoeffer in einem Vortrag gesagt: „Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gottes.“48 Die Konzentration auf Gott erinnert besonders an das alttestamentliche Prophetentum, das nicht zuletzt vom Kampf um Gottes Gottsein gegen die heidnischen Götter geprägt war. Der theozentrische Zug von Bonhoeffers Predigt entspricht bis in den Sprachduktus hinein der Theologie Karl Barths. Indem Barth die Majestät und Souveränität Gottes betonte, wollte er die Verharmlosung Gottes durch den theologischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts überwinden. Gleichzeitig sollte die reformatorische Rechtfertigungsbotschaft mit ihren Folgen für das Handeln als Christ wiedergewonnen werden. Bonhoefferisch gesprochen: Sie sollte vor dem Missverständnis der „billigen Gnade“ geschützt werden.
Wenn die Predigt Gottes Gottsein betont,49 kann dieser nicht länger religiös vereinnahmt werden; wenn Gott um seiner selbst willen geliebt und angebetet wird,50 kann er nicht länger unter der Hand zum Erfüllungsgehilfen oder gar zum frommen Doppelgänger des Menschen werden. Bonhoeffer beklagt, dass die Kirche „zu gemütlich von Gott redet und denkt“, anstatt sich von ihm und seiner Gegenwart stören und beunruhigen zu lassen.51 Er wird nicht müde, den „ewigen Abstand“ zwischen Gott und Mensch hervorzuheben,52 der sich in dessen „absoluter Heiligkeit“,53 Majestät,54 der Gefährlichkeit Gottes für den Menschen,55 dem Schauer des Menschen vor der Begegnung mit ihm,56 dem Überwältigtwerden des Menschen durch ihn:57 „[…] dass wir an Gott selbst zuschanden werden und zerschellen […]“,58 dem Sterben des Menschen angesichts von Gottes Wahrheit59 konkretisiert. Gott ist der „zerstörende“ und „unvergleichlich starke Herr“,60 ein „wilder, um seine Ehre eifernder Gott“,61 der „den Menschen anfällt“62 und ihn „in seine Gewalt nehmen“63 will. Bonhoeffer spricht von Gott als der „Grenze“ des Menschen.64 Auch die Aussage, dass Gott im Geheimnis lebt, soll die Souveränität Gottes sichern.65
Bonhoeffer zeichnet Gott als überlegenen Schachspieler, dessen Züge der Mensch nicht zu kalkulieren vermag, weshalb im Spiel des Lebens Gott der Gewinner und der Mensch der Verlierer ist.66 In einer anderen Predigt wird die Majestät Gottes mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, in Geduld auf sein Handeln zu warten, hervorgehoben.67 Demselben Anliegen dient Bonhoeffers Hinweis, dass Gott zu seinem Werk keiner fremden Hilfe bedarf.68 Auch die Rede von Gottes Ernst offenbart die Theozentrik seiner Predigt: „Gott allein ist ernst, ganz ernst – fürchtet Gottes Ernst – und ‚gebt ihm die Ehre‘.“69 Wie wichtig Bonhoeffer diese Gedanken sind, zeigt sich daran, dass er die Betonung von Gottes Gottsein in der Verkündigung trotz ihrer zunehmenden Konzentration auf Jesus Christus auch im Verlauf seiner weiteren Predigttätigkeit nicht aufgibt.70 Vielmehr lässt sie sich von den Jugendpredigten an bis in die letzten Lebensjahre hinein beobachten.
Ein zweites durchgängiges Motiv von Bonhoeffers Predigt stellt ihre Konzentration auf das Wort Gottes dar. Es geht im Folgenden darum zu zeigen, welche Eigenschaften Bonhoeffer dem Wort Gottes in seiner Predigt zuspricht. Dabei wird sich herausstellen, dass sie genauso für die prophetische Verkündigung des Alten Testaments charakteristisch sind. Gerade an dieser Stelle ist der Hintergrund des Dritten Reiches und der nationalsozialistischen Ideologie zu beachten. Bonhoeffers Konzentration auf das Wort der Bibel beinhaltet ein starkes antiideologisches Potenzial.
Von grundlegender homiletischer Bedeutung ist für Bonhoeffer die Offenbarungsqualität des Wortes Gottes.71 Es ist das Medium, durch das Gott zum Menschen spricht72 und in dem er ihm nahe kommt.73 Weil es das Wort Gottes ist, hat es auch Anteil an dessen Andersartigkeit gegenüber seinem Geschöpf: Es ist „ewig“,74 „fremd“ und „wunderlich“,75 es „stört“,76 „erschreckt“77 und „ärgert“78 seine Hörer. Bonhoeffer ist überzeugt, dass es den Menschen über das, was er sich selbst zu sagen vermag, hinausführen will. Gottes Wort bringt den Menschen in Richtung auf Gott in Bewegung. Bonhoeffer spricht davon, dass es das Wort ist, durch das Gott uns antreibt, ihn zu suchen: „Je klarer und tiefer Gottes Wort sich uns zeigt, desto lebendiger wird in uns das Verlangen nach der vollkommenen Klarheit und der unerschöpflichen Tiefe Gottes selbst.79
Das Wort Gottes hat Kraft. Stellenweise erweckt Bonhoeffer den Eindruck, dass es ein gewalttätiges Wort ist. Es „überfällt“ den Menschen,80 „gibt seine Hörer nie wieder frei“81 und „nimmt gefangen“,82 „reißt die Maske vom Gesicht“,83 „tut weh“,84 „richtet auf“ und „erschüttert“, „zerreißt“ und „heilt“.85 Die Analogie zur Erfahrung der alttestamentlichen Propheten mit Gottes Wort wird besonders deutlich, wenn Bonhoeffer formuliert, dass Gott des Menschen Herz mit seinem Wort „bezaubert und beschwört“.86 Konventioneller spricht er an anderen Stellen davon, dass Gottes Wort „die Sünde einsehen lässt“,87 „Buße und Hoffnung wirkt“.88 Gut reformatorisch stehen für Bonhoeffer Gericht und Gnade als zentrale Wirkungsweisen von Gottes Wort fest. Sie erhalten in seiner Predigt prophetische Dringlichkeit.
Ständig, fast schon stereotyp, wiederholt Bonhoeffer die Aufforderung zum Gehorsam gegenüber Gott und seinem Wort. Seine Predigten zeigen, dass die wechselseitige Beziehung von Glaube und Gehorsam ein durchgängiges Moment von Bonhoeffers Theologie darstellt, das in der „Nachfolge“ seine klassische Formulierung gefunden hat.89 Die Aufforderung zum Gehorsam gegen Gott lässt sich darum nicht allein aus der Situation des Kampfes gegen den Nationalsozialismus erklären; sie kann aber auch nicht vom pietistischen Heiligungsverständnis her angemessen erfasst90 oder gar mit dem Hinweis auf einen „Allmachtskomplex“ Bonhoeffers abgetan werden.91 Hinter der Gehorsamsforderung steht vielmehr das prophetische „Muss“ des Auftrags, Christus zu verkündigen,92 und das Glaubensverständnis Luthers, wie es besonders deutlich in seiner Schrift „Vom unfreien Willen“93 zutage tritt. Der Mensch ist erwählt, um Gott zu dienen. Dabei liefert das prophetische Vorbild Bonhoeffer die Form, in der die Gehorsamsforderung in der Predigt Gestalt gewinnt, während das reformatorische Glaubensverständnis die theologische Begründung bietet. Der Christ ist wie der alttestamentliche Prophet von Gott in seinen Dienst gezwungen worden.94 Er ist zum „völlig gefangenen Sklaven“ Gottes geworden,95 ein von Gott „Gefangener und Gebundener“.96 Bonhoeffer hebt hervor, dass das „Muss“ eine seelsorgerliche Dimension hat: Der Auftrag trägt den Beauftragten auch angesichts von Fehlern und Versagen!97
Wie Luther in seiner Schrift interpretiert Bonhoeffer den Glauben als Herrschaftswechsel. Er geht davon aus, dass Gottes Zorn aller menschlichen Überheblichkeit gilt.98 Daraus erlöst allein der Glaube an Christus: Denn im Kind in der Krippe ist alles menschliche Großseinwollen gerichtet.99 Im Glauben „liefert“ der Mensch sein „Leben der Herrschaft Gottes aus“,100 gibt er ihm „das ganze ungeteilte Herz“101 und „unterwirft sich willig Jesus“102. Bonhoeffer spricht sogar davon, dass ein Christ sein Leben Christus „verschrieben“ hat.103
Auffällig ist auch Bonhoeffers Drängen auf entschiedenen Gehorsam. Es geht darum, mit Gott Ernst zu machen.104 Immer wieder fordert Bonhoeffer zur Entscheidung für Gott bzw. Jesus Christus und sein Gebot gegen die Wünsche des alten Menschen auf.105 Ziel ist die ganze Hingabe und der ganze Einsatz für Christus,106 der freie, einfältige Gehorsam.107 „Wer an Gott glaubt, der glaubt in dieser Welt an nichts [anderes] […].“108 Neben den Aussagen, die zum entschiedenen Gehorsam aufrufen, und denen, die die Dringlichkeit des Gehorsams zum Inhalt haben,109 stehen diejenigen, die den Mut zum Gehorsam thematisieren. Größtes Hindernis, sich ganz für Jesus Christus zu entscheiden, ist in Bonhoeffers Augen die Feigheit des Menschen.110 Sehr anschaulich beschreibt er, dass Mut nötig ist, gegen die Mehrheit – auch in der Kirche – allein auf Gottes Seite zu stehen. Darum ist beim Dienst für Gott „die Stärke eines eigenen Willens und eigener Gedanken“ unerlässlich.111
Dass die Herrschaft Gottes nichts mit abstrakter, blinder Unterwerfung zu tun hat, machen viele Aussagen Bonhoeffers deutlich. Ziel des Herrschaftswechsels ist der Dienst für Gott, der als Zweitakt von Liebe zu Gott und den Brüdern112 und als Hinwendung zu Gott und der Welt113 beschrieben wird. Inhaltliches Profil gewinnt die Herrschaft Gottes über einen Menschen durch das Befolgen der Bergpredigt.114 Erst im Gehorsam gegenüber Gott findet der Mensch Freiheit,115 erkennt die Wahrheit116 und gelangt zur Vollendung seines Menschseins,117 weil alle anderen Mächte dadurch ihr Recht auf ihn verlieren, weil die Wahrheit nur im Tun des Wortes Gottes zu finden ist und weil sich im Tun von Gottes Willen die Bestimmung des Menschen erfüllt. Dass es beim Gehorsam gegenüber Gott um kein despotisches, einseitiges Herrschaftsverhältnis geht, zeigt auch folgender Gedanke Bonhoeffers: Der Glaube vermag das Herrschaftsgefälle zwischen Gott und Mensch umzukehren. Weil Gott sich durch den Glauben des Menschen zum Handeln zwingen lassen will, zwingt nicht mehr Gott den Menschen, sondern kann Gott vom Menschen bezwungen werden.118
Ihr spezifisches Profil gewinnt die Gehorsamsforderung auf dem Hintergrund des Dritten Reiches. Der Gehorsam gegenüber Gott führt zur Freiheit vom Führerkult und nationalsozialistischer Indoktrination. Heute wirkt die Forderung nach bedingungslosem Gehorsam gegenüber Gott autoritär, beinahe antidemokratisch; damals enthielt sie jedoch einen demokratischen Sprengsatz. Realistisch nennt Bonhoeffer auch die Schwierigkeiten: In einer gleichgeschalteten Gesellschaft erfordert es großen Mut, zu seiner Überzeugung zu stehen, wenn die Mehrheit eine andere vertritt.
Die Aufforderung zum Gehorsam ist die andere Seite von Bonhoeffers Forderung an die Kirche, das konkrete Gebot zu verkündigen. Den Hörern soll dadurch ein Ausweichen vor Gottes Wort unmöglich gemacht werden. Die Predigt darf nicht im Unverbindlichen verbleiben, indem sie zur zeitlosen Lehre gerinnt.119 Vielmehr ist das Wort Gottes in die konkrete Situation hinein zu sprechen. „Die Kirche darf also keine Prinzipien verkündigen, die immer wahr sind, sondern nur Gebote, die heute wahr sind […] wenn die Kirche wirklich ein Gebot Gottes hat, so muss sie es in konkretester Form aus der vollsten Kenntnis der Sache heraus verkündigen und zum Gehorsam aufrufen.“120 Nur wenn die Kirche es wagt, das konkrete Gebot zu sagen, wird ihre Verkündigung Vollmacht gewinnen und sowohl von ihren eigenen Gliedern als auch von der Welt, wenn auch zähneknirschend, wieder gehört werden.121
Ein vierter durchgängiger inhaltlicher Aspekt in Bonhoeffers Predigt stellt die Identifikation der Nachfolge mit Leiden dar. Der Gedanke, dass Nachfolge mit äußerem und innerem Leiden und Kampf verbunden ist, kommt unterschiedlich variiert in den meisten Predigten vor.122 Dabei bildet die Gestalt Jeremias das Grundmotiv: Jeremia, der jochtragende Leidensprophet als Typos des Gekreuzigten ist für Bonhoeffer das Vorbild des Nachfolgers Jesu.123 In seiner Predigt über Jeremia sagt er: „Von Gott nicht mehr loskommen, das bedeutet viel Angst, viel Verzagtheit, viel Trübsal, aber bedeutet doch auch im Guten und im Bösen nie mehr gott-los sein können.“124 Theologisch fußt Bonhoeffer auch an dieser Stelle auf Luther, für den die tentatio, die Anfechtung, bleibend zum Christsein dazugehört. In der Finkenwalder Seelsorgevorlesung zitiert Bonhoeffer das Lutherwort: „Keine Anfechtung haben ist die schwerste Anfechtung.“125
Prophetischen Erfahrungen entspricht Bonhoeffers Deutung des Leidens als Echtheitszeichen des Glaubens: Die Religion bringt dem Menschen Glück, das Kreuz Christi bringt ihm jedoch Verzicht und Entbehrung.126 In denselben Zusammenhang gehört die Vorstellung, dass gerade im Gericht über den Menschen Gottes Gnade verborgen liegt.127 Aufgabe des Angefochtenen ist es, in Gottes Zorn dessen Liebe erkennen zu lernen.128 Am Vorbild Davids zeigt Bonhoeffer, dass es darum geht, „die ganze Strafe Gottes aus[zu]-kosten und sich nicht [zu] schonen“.129 Dass solche Gedanken letztlich vom Blick auf das Geschick Jesu Christi her gewonnen sind, zeigen die folgenden Ausführungen: Ein Christ darf dem ihm auferlegten Leiden nicht ausweichen,130 weil das Kreuz Christi zentraler Ort der Erfahrung Gottes ist.131 Darum dringt Bonhoeffer auf geduldige Beugung unter Gottes Gericht über die Kirche und polemisiert gegen jeden vorschnellen eigenmächtigen Neuaufbau: „Nur durch seine Gerichte hindurch, nicht aber an ihnen vorbei kommt Gott wieder zu seiner Gemeinde.“132
Auch die radikale Erkenntnis, dass selbst alle Frömmigkeit vor Gott unrein ist, erinnert an die Botschaft der alttestamentlichen Propheten.133 Leiden dient der Gleichgestaltung mit Gott: Wir lernen dadurch so zu leiden, wie Gott unter der Welt leidet.134 Gottes Sache soll uns wichtiger werden als die eigenen Leiden.135
Eine äußerste Zuspitzung erfährt die Identifikation von Nachfolge und Leiden in Bonhoeffers Aussagen zum Martyrium. Bereits in einer Anfang 1927 gehaltenen Kindergottesdienstansprache über Jer 27f klingt dieses Motiv an: „Da steht er [Jeremia] neben dem Hohenpriester, dem Beglücker, als der furchtbare Quäler des Volks und schon dringen die ersten groben Worte herauf zu ihm, schon heben sich Fäuste, fliegen Steine.“136 Immer wieder scheint in Bonhoeffers Predigten die Bereitschaft zum Martyrium als Konsequenz der Nachfolge Jesu Christi auf.137 Bonhoeffer hat seinen Hörern zwar die Möglichkeit des Martyriums vor Augen gestellt, aber weil er um die Schwäche des Menschen wusste, drängte er nie zu ihm. „[…] wer von uns weiß denn, ob er durchhält? Wer weiß denn, wie er in der Stunde der letzten Probe stehen wird […].“ Er ist schon 1932 überzeugt, dass Christen in Zukunft wieder mit ihrem Leben für die Wahrheit des Evangeliums eintreten müssen. Sie werden zu beweisen haben, dass sie, gerade weil sie nach dem trachten, was droben ist, nur umso hartnäckiger und zielbewusster auf dieser Erde gegen staatliches und anderes Unrechtshandeln aufstehen. Von der Kirche wird neues Märtyrerblut gefordert werden. „Aber dieses Blut, wenn wir denn wirklich noch den Mut und die Ehre und die Treue haben, es zu vergießen, wird nicht so unschuldig und leuchtend sein wie jenes der ersten Zeugen.“138 Bonhoeffer nimmt damit sein eigenes Schicksal nach dem Krieg vorweg: Seine Hinrichtung im KZ Flossenbürg unmittelbar vor Kriegsende wurde lange Zeit von vielen nicht als Martyrium anerkannt, sondern lediglich als Konsequenz seiner Mitarbeit im politischen Widerstand interpretiert.
Wenn am Ende der Einführung nun noch nach der Bedeutung der Predigt Bonhoeffers für heute gefragt werden soll, sind zwei Klarstellungen nötig: Zum einen ist mir bewusst, dass Bonhoeffers Existenz – als Mensch und als Prediger – eine Ausnahme bildete. Sie ist deshalb nicht einfach auf die Situation einer ganzen Kirche, auch nicht auf einen größeren Personenkreis zu übertragen.139 Bonhoeffer hat aufgrund einer besonderen Lebensführung exemplarisch Erkenntnisse vorweggenommen und durch stellvertretendes Handeln im eigenen Leben bewährt. Genau wie bei den alttestamentlichen Propheten erwies sich seine Berufung erst im Nachhinein als bedeutsam für Theologie und Kirche insgesamt.
Zum anderen stellte die Phase der Bekennenden Kirche als Ganzes eine Ausnahmezeit dar, im Sinne des Ernstfalls für das Evangelium.140 Eine bloße Imitation von Bonhoeffers Predigtweise unter Vernachlässigung der veränderten Situation heute ginge an seinen eigenen Intentionen vorbei. Trotzdem stellt die Predigt Bonhoeffers für das Ringen um die Predigt heute in mehrfacher Hinsicht eine Bereicherung und Herausforderung dar.
Bonhoeffers Predigt zeigt, dass das Wort der Predigt und die Existenz des Predigers untrennbar verbunden sind. Dass der Prediger persönlich in der Nachfolge Jesu Christi lebt, dient der „Inthronisation“ der Predigt.141 Der Prediger soll Vorbild sein. Er verhält sich kontraproduktiv zu seiner Christusverkündigung, wenn sein Verhalten dieser nicht entspricht.142 Er ist dann unfähig, „Träger des [der Kirche aufgetragenen] versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein“.143 Voraussetzung für eine Erneuerung der Predigt ist eine lebendige Spiritualität. Theologie und Kirche brauchen heute dringend eine neue Spiritualität, damit „wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, dass sich die Welt darunter verändert und erneuert“.144
Dabei müssen die beiden Brennpunkte evangelischer Spiritualität, die Orientierung auf Gott und die Hinwendung zur Welt – in biblischen Begriffen ausgedrückt: die Liebe zu Gott und zum Nächsten – aufeinander bezogen werden. Die Betonung des Gebets in der Predigtarbeit verhindert, dass der notwendige Weltbezug der Predigt zu „platter und banaler Diesseitigkeit“145 verkommt. Umgekehrt verhindert der notwendige Weltbezug die Preisgabe des Wirklichkeitsbezugs der Predigt und damit ihre Gettoisierung. Damit ist jede spirituelle Fluchtmöglichkeit aus dem Alltag abgeschnitten.
Das Evangelium transzendiert die politische Dimension der Predigt. An der Frage nach der Bedeutung des Politischen in der Predigt haben sich jahrelang die Gemüter entzweit. Bonhoeffers Predigt kann hier zu einer Klärung beitragen. Schon seine Forderung nach einer spirituellen Existenz des Predigers zeigt, dass die Dimension des Politischen in der Predigt nicht mit alltagspolitischer Parteinahme verwechselt werden darf. Die Verkündigung des konkreten Gebots ersetzt nicht den Entscheidungsprozess demokratisch gewählter politischer Verantwortungsträger.
Motiv und Inhalt der Predigt, die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus, reicht über sozialethische Stellungnahmen und politische Resolutionen hinaus, weil es die Situation des Menschen coram deo, vor Gott, zur Sprache bringt und dadurch ein vom Handeln des Menschen unabhängiges – ein spirituelles – Moment in die Welt bringt, mithin zu einer Relativierung der politischen Dimension führt. Reformatorisch gesprochen handelt es sich dabei um die Botschaft von der unverdienten Begnadigung des Menschen durch Gott. Sie ist allem verantwortlichen Handeln des Menschen immer schon voraus, umgreift es und übersteigt es. Dadurch wird der Ethisierung der Predigt ein Riegel vorgeschoben. Erst im Horizont des Evangeliums kann der Prediger es wagen, das konkrete Gebot zu verkündigen.
Das Evangelium entlastet die Verkündigung des konkreten Gebotes nämlich in doppelter Hinsicht: Zum einen hält es den Weg zu einem – evtl. notwendigen – „qualifizierten Schweigen“ offen. Besser kein konkretes Wort der Kirche als unverbindliche Resolutionen. Bonhoeffer weist zu Recht darauf hin, dass der Prediger zuerst der Wahrheit verpflichtet ist und bleibt, es also ein Verrat an der Wahrheit ist, wenn die Kirche sich hinter allgemein gehaltenen Resolutionen versteckt, wenn sie das konkrete Gebot nicht weiß, anstatt ihr Nichtwissen einzugestehen: „Es kann nichts Gutes dabei herauskommen, vor der Welt und sich selbst so zu tun, als wüsste man die Wahrheit, während man sie im Grunde nicht weiß […]. Qualifiziertes Schweigen könnte der Kirche heute vielleicht angemessener sein als ein Reden, das möglicherweise sehr unqualifiziert ist. Das bedeutet Protest gegen jedes Kirchentum, das nicht der Frage nach der Wahrheit vor allem die Ehre gibt.“146
Zum anderen befreit das Evangelium die Verkündigung des konkreten Gebots dazu, irrtumsfähig zu sein. Bonhoeffer weist darauf hin, dass die Gewissheit der Sündenvergebung Grundlage auch des konkreten Gebots bleibt: „Die Kirche kann nicht gebieten, ohne selbst im Glauben an die Sündenvergebung zu stehen und ohne alle, denen sie gebietet, auf diese ihre Verkündigung der Sündenvergebung hinzuweisen.“147 Die Möglichkeit des Schweigens und das Angewiesensein auf die Vergebung bewahrt die Verkündigung des konkreten Gebots in der Predigt davor, politisch im Sinne einer Ideologie zu werden.148
Keine Erneuerung der Predigt ohne neues Hören auf Gottes Wort auf Seiten der Predigenden. Dazu müssen Predigerinnen und Prediger, aber auch Predigthörerinnen und -hörer, einen spirituellen Umgang mit der Bibel einüben – d. h. wieder zweckfrei die Bibel als Wort Gottes an sie persönlich hören lernen. Bewährte Hilfsmittel aus Bonhoeffers Homiletik stellen die tägliche Meditation eines Bibeltextes und das regelmäßige Gebet mit den Psalmen dar.
Indem Bonhoeffer die Erneuerung der Predigt an das neue Hören auf Gottes Wort knüpft, wird deutlich, dass sie letztlich nur von Gott selbst kommen kann. Das Bemühen um einen spirituellen Umgang mit der Bibel dispensiert nicht davon, dass Predigerinnen und Prediger sich Kenntnisse aus den Kommunikationswissenschaften, aus dem Bereich der Rhetorik und aus den Theaterwissenschaften aneignen. Nur sollten sie sich der Grenzen dieser Kenntnisse bewusst bleiben. Erneuerung der Predigt geschieht primär auf indirektem Wege, über die Erneuerung des Umgangs der Predigerinnen und Prediger mit der Bibel und der Hinwendung zum Gebet. Gerade auf diesem Hintergrund hat Bonhoeffers Homiletik nichts von ihrer Aktualität verloren.
Für eine weitere Einführung von Peter Zimmerling in das Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers finden Sie im Internet:
•Stationen auf dem Weg zur Freiheit:
Dietrich Bonhoeffers Leben
www.brunnen-verlag.de/peter-zimmerling-dietrich-bonhoeffers-leben
•Stationen auf dem Weg zur Freiheit:
Dietrich Bonhoeffers Werk
www.brunnen-verlag.de/peter-zimmerling-dietrich-bonhoeffers-werk
13.3.1932, Berlin
Und Jakob blieb allein. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und da er sah, daß er ihn nicht übermochte, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an; und das Gelenk der Hüfte Jakobs ward über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Laß mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft, und bist obgelegen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragest du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jakob hieß die Stätte Pniel; denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen. Und als er an Pniel vorüber kam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte … Jakob antwortete: Ach, nicht! Hab’ ich Gnade gefunden vor dir, so nimm mein Geschenk von meiner Hand; denn ich sah dein Angesicht, als sähe ich Gottes Angesicht; und laß dir’s wohlgefallen von mir.
Liebe Konfirmanden! Als ich in der letzten Zeit vor der Konfirmation euch immer wieder einmal fragte, was ich euch in der Ansprache bei der Konfirmation sagen solle, da kam mehrfach die Antwort: Wir wollen eine ernste Mahnung fürs Leben haben. Und ich kann euch versichern, wer heute gut zuhört, der bekommt manche sehr ernste Mahnung zu hören. Aber seht, ernste Mahnungen gibt uns das Leben heute selbst genug, übergenug. Und darum darf ich euch heute nicht den Blick in die Zukunft noch schwerer und dunkler machen, als er schon ist. Und ich weiß, manche von euch sehen schon eine ganze Menge von den Wirklichkeiten des Lebens. Es soll euch heute nicht Angst gemacht werden vor dem Leben, sondern Mut. Darum werden wir heute in der Kirche mehr denn je von der Hoffnung reden müssen, die wir haben und die euch keiner rauben darf.
Wenn ich euch heute ansehe, so ist es mir, als sähe ich eine Schar von jungen Wanderern vor mir, die nach langer Wanderung vor einem großen verschlossenen Tor angekommen sind und nun anklopfen und Einlass begehren. Sie kennen irgendwoher dies Tor und diese Mauer. Es kommt ihnen irgendwie heimatlich vor. Macht auf! Wir wollen sehen, wie es da drinnen aussieht. Wir wollen hinein! So rufen die Stimmen und klopfen an das Tor. Die einen etwas mutiger, etwas beharrlicher, die anderen etwas schwächer; und darunter auch wohl einige, die sich nur so haben mitschleppen lassen. Aber nun sind sie einmal da und hinein wollen sie alle.
Was ist das für ein sonderbares Tor? Und was ist das für ein sonderbares Land, das dahinter liegt? Es ist allerdings ein sonderbares Land, in das diese jungen Wanderer hinein wollen. Es ist das Land, von dem erzählt wird, dass es Frieden und Liebe und Gerechtigkeit darinnen gibt; das Land, in dem es keine Not und keine Tränen mehr gibt, weil da ein wunderbarer Herr regiert. Es ist das Land der Verheißung, das gelobte Land, das Land, in dem Gott herrscht.
Ja wer hat euch denn – so möchten wir vielleicht fragen – auf diesen tollen Gedanken gebracht, dass es so etwas gäbe wie ein solches Land? Und ihr werdet antworten: Ihr selbst, ihr, die christliche Gemeinde und ihr Pfarrer, und zuletzt der, der uns alle besucht, Jesus Christus. Noch sind wir ratlos, was wir anfangen sollen. Noch wissen wir nicht, wie das ausgehen soll. Wie sollt ihr durch dies Tor hindurchkommen und wie werdet ihr das Land hinter dem Tor finden?
Und nun blicken wir auf die Geschichte, die ich euch vorgelesen habe. Seht, da geht es Jakob ganz genauso, wie es euch heute geht. Er war hier einst aus dem Land Kanaan, aus dem gelobten Land, dem Land, das Gott seinen Vätern und ihm gegeben hatte, geflohen vor dem Zorn seines Bruders. Dann hatte er Jahre seines Lebens in der Fremde zugebracht. Aber nun zieht es ihn zurück. Er will in die Heimat. Er will zurück ins gelobte Land der Verheißung. Er will ins Land, in dem Gott der Herr ist und kein anderer. Und er will zu seinem Bruder und Frieden mit ihm machen. Er will ins Land Gottes. Wollt ihr das nicht auch?
Und nun freilich widerfährt ihm etwas Merkwürdiges. Es ist Abend geworden, der letzte Abend in der Fremde. Er, Jakob, weiß, der Bruder und das gelobte Land ist nah, morgen wird er in der Heimat sein. Nun ist es Nacht. Und er bleibt allein am Fluss. Noch wenige Stunden, dann wird es Morgen, dann wird er hineinziehen in die Heimat. Aber da spürt er, dass er plötzlich überfallen wird. Es tritt ihm einer in den Weg. Ja, er umfasst ihn, er ringt mit ihm, er will ihn nicht loslassen, er will ihn niederzwingen. Jakob soll nicht ins verheißene Land zurückkehren. Er soll nicht den Frieden mit dem Bruder finden. Eine furchtbare, gewaltige Macht tritt dazwischen und verwehrt Jakob den Zutritt, will ihn zurückstoßen in die Nacht, in die Fremde. Bleib dort, wo du herkommst. Du darfst nicht hinein ins Land der Verheißung, du bist ein Fremder, ein Untreuer. Bleib ferne von hier. Und mit Gewalt will der große Unbekannte Jakob von sich stoßen in die Nacht hinein. Aber Jakobs Sehnsucht nach dem gelobten Land gibt ihm unerhörte Kräfte und er lässt sich nicht fortstoßen. Er weicht nicht. Er hält den anderen fest umschlungen und nun im Kampfe muss er erkennen, wer sein Gegner ist. Es ist Gott selbst, der sein Land bewacht, der keinen Eindringling hineinlässt; der sein Land heilig hält, der dem Menschen zeigen will, dass man da nicht so einfach und fröhlich und vergnügt hineinziehen kann, sondern dass nur der Heilige und Gerechte die Grenzen dieses Landes überschreitet. Jeder andere, jeder Fremde, jeder Untreue muss fern bleiben, in der Nacht der Einsamkeit und des Bösen. Hört ihr’s und versteht ihr es auch? Man kann nicht so mir nichts, dir nichts ins gelobte Land einziehen. Man kann auch nicht so mir nichts, dir nichts Glied der christlichen Gemeinde werden, das heißt aber zur Konfirmation gehen. Warum denn nicht? Weil da Gott dazwischen tritt und sein Land bewacht und heilig hält und nicht will, dass wir unheilig da hineingehen. Auch euer Weg hier an den Altar heute und übermorgen Abend, wenn ihr zum Heiligen Abendmahl gehen werdet, soll ein Weg ins Heilige Land sein. Habt acht, dass ihr nicht unheilig euch auf den Weg macht.
Aber wie sollen wir denn heilig werden, dass wir ins Land Gottes einziehen können? Lasst uns auf Jakob sehen. Die Nacht geht dem Morgen zu und noch hält Jakob seinem Gegner stand. Noch lässt er sich nicht abweisen. Noch umfasst er ihn. Da kommt ein letzter furchtbarer Schlag des Gegners: Lasse mich gehen, es wird Tag und ich muss davon. Bleib du in der Nacht! Und nun wächst Jakobs Leidenschaft ins Unermessliche. Er wagt, Gott zu widersprechen, zu trotzen: Nein, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Was heißt das anderes, als dass Jakob es wagt, in Gottes Herz selbst hineinzugreifen: Du darfst nicht von mir gehen. Du darfst mich nicht in der Nacht allein lassen, ich kann nicht ohne dich sein. Ich kann nicht. Ich will dein Land sehen und in deinem Land leben. Gott, du lässt mich nicht in der Nacht, in der Sünde, in der Not. Du kannst mich ja nicht allein lassen. Es geht gegen dein Herz. Nein, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Nur eines will ich: wissen, dass du nicht mein Feind bist, dass du mir nicht mehr zürnst um all des Bösen Willen, das ich getan habe in der Fremde; wissen, dass du bei mir bist, dass du mir gnädig bist. Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Und nun weiß er nicht, wie er Gott halten soll, dass er ihn nicht verlässt. Und so fragt er ihn: Sage mir deinen Namen, damit ich dich immer anrufen kann, damit ich weiß, wer du bist. Aber Gott antwortet: Warum fragst du nach meinem Namen? Der ist zu wunderbar, als dass du ihn verstehst. „Und er segnete ihn daselbst.“ Das also war die Antwort Gottes, in der er seinen Namen verriet, der kein zorniger, sondern ein gnädiger Name ist – er segnete ihn daselbst. Das heißt, er ließ ihn nicht allein in der Nacht. Er stieß ihn nicht zurück. Er wies ihn nicht ab, sondern er war ihm gnädig. Er ließ sich finden. Er verhieß seine Treue. Er segnete ihn. Das heißt, er ließ ihn hinein ins gelobte Land Gottes. Und Jakob nannte die Stätte Pniel, das heißt: Ich habe Gott von Angesicht gesehen und meine Seele ist genesen. Und in dem Augenblick, da Gott ihn segnete, versank die Nacht, stieg die Morgenröte empor und es ging ihm die Sonne auf. Er hatte gesiegt über die Nacht. Und Gott hatte es Tag werden lassen über ihm. Es ging ihm die Sonne auf, keine andere Sonne als an jedem Tag und sie schien über ein Land, das nicht anders war als anderes Land. Aber es ging ihm die Sonne auf. Gott war nun da, der machte es hell um ihn und in ihm. Der Tag der Gnade Gottes war angebrochen und die Nacht war vorüber. Jakob stand im gelobten Land; denn er hatte Gott gefunden und seine Seele war genesen.
Aber freilich, die Zeichen der Nacht, die an immer neue Nächte erinnern, waren noch da. Er hinkte an seiner Hüfte, sagt die Bibel. Das heißt, seine Vergangenheit konnte er nicht vergessen. Es hatte ihn viel gekostet, ins gelobte Land einzugehen, Gottes Segen zu empfangen. Man geht nicht ohne Narben in Gottes Land ein. Habt ihr’s verstanden? In der Nacht, dort, wo wir wissen, dass wir vor Gott Sünder sind, wo unsere Not groß wird und Gott sich von uns wenden will, da muss man Gottes Segen erkämpfen. Da sollen wir schreien: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Und dann ist der Morgen nah, dann bricht der Tag an. Dann kommt Gott selbst und macht es hell und still in uns und wir ziehen ein ins gelobte Land. Es sieht nicht anders aus als am vergangenen Tag, aber Gott war da und hat seine Gnade und seinen Segen bei uns gelassen und darum sind wir im gelobten Land.
Nun dauert es nicht lange, dass Jakob den Bruder kommen sieht. Und nun, wo Gottes Tag angebrochen ist, sieht er das Angesicht des Bruders nicht als Feind, sondern als „sähe er Gottes Angesicht“. Er sieht in dem Bruder Gott selbst und seine Liebe. Und der Bruder nimmt ihn auf und er ist in der Heimat, denn er hat Gott und den Bruder gefunden. Versteht Ihr’s recht? Wer Gott gefunden hat, der findet auch den Bruder. Der sieht des Bruders Angesicht, als sähe er Gottes Angesicht. Und wer den Bruder nicht findet, der findet auch Gott nicht. Dazu ist Gott selbst unser Bruder geworden in Christus, dass wir hinter jedem Bruder ihn wiedersehen.
Und nun soll es auch über euch Tag werden. Nicht so, dass nun von morgen an auf einmal alles glatt und einfach ginge. Sondern so, dass ihr wisst, dass Gott, der euch segnen will, euch nie verlässt. Das ist die Sonne, die Jakob aufgegangen ist, die auch euch aufgeht. Gottes Liebe und Gnade, wie ihr sie in Christus, unserem Bruder und Herrn, seht am Kreuz und in seiner Auferstehung. In der christlichen Gemeinde sollt ihr Gott und den Bruder finden, sollt ihr die Heimat finden, sollt ihr das gelobte Land haben. Hier soll einer der Herr sein und einer dem andern ein Christus werden.
Also ihr müsst wissen, wir alle müssen in unserem Leben immer wieder in die Nacht und durch die Nacht zum Tag. Bei keinem Sterblichen ist’s ewig Tag – ja, wir sehen wohl alle mehr Nacht als Tag, auch darüber dürft ihr euch nicht täuschen. Aber keiner soll euch je den Glauben nehmen, dass Gott auch für euch einen Tag und eine Sonne und eine Morgenröte bereitet hat und dass er uns dieser Sonne zuführt, die Christus heißt: dass er uns das gelobte Land sehen lassen will, in dem Gerechtigkeit und Friede und Liebe herrscht, weil Christus herrscht, hier nur von fern, einst aber in Ewigkeit. Warum sollen wir uns fürchten? Nur hinein, hindurch! Gott, Christus ist der Herr, die Gemeinde unsere Heimat.
Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn! Ist Gott für uns, wer will wider uns sein?
28.5.1933 Exaudi, Berlin
Da aber das Volk sah, daß Mose verzog, von dem Berge zu kommen, sammelte sich’s wider Aaron und sprach zu ihm: Auf, und mache uns Götter, die vor uns her gehen! Denn wir wissen nicht, was diesem Mann Mose widerfahren ist, der uns aus Ägyptenland geführet hat. Aaron sprach zu ihnen: Reißet ab die güldnen Ohrenringe … eurer Weiber, eurer Söhne und eurer Töchter und bringt sie zu mir. Da riß alles Volk seine güldnen Ohrenringe … (ab), und brachten sie zu Aaron. Und er nahm sie von ihren Händen und entwarf’s mit einem Griffel und machte ein gegossen Kalb. Und sie sprachen: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenlande geführet haben! Da das Aaron sah, baute er einen Altar vor ihm und ließ ausrufen und sprach: Morgen ist des Herrn Fest. Und stunden des Morgens frühe auf und opferten Brandopfer und brachten dazu Dankopfer. Darnach setzte sich das Volk, zu essen und zu trinken, und stunden auf, zu spielen. Der Herr sprach aber zu Mose: Gehe, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführet hast, hat’s verderbt. Sie sind schnell von dem Wege getreten, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossen Kalb gemacht und haben’s angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführet haben … Mose wandte sich und stieg vom Berge und hatte zwo Tafeln des Zeugnisses in seiner Hand, die waren geschrieben auf beiden Seiten. Und Gott hatte sie selbst gemacht und selber die Schrift dreingegraben … Da sprach Mose: … ich höre ein Geschrei eines Singetanzes. Als er aber nahe zum Lager kam und das Kalb und den Reigen sah, ergrimmte er mit Zorn und warf die Tafeln aus seiner Hand und zerbrach sie unten am Berge und nahm das Kalb, das sie gemacht hatten, und zerschmelzte es mit Feuer und zermalmte es … Des Morgens sprach Mose zum Volk: Ihr habt eine große Sünde getan; nun will ich hinaufsteigen zu dem Herrn, ob ich vielleicht eure Sünde versöhnen möge. Als nun Mose wieder zum Herrn kam, sprach er: Ach, das Volk hat eine große Sünde getan, und haben sich güldne Götter gemacht. Nun vergib ihnen ihre Sünde; wo nicht, so tilge mich auch aus deinem Buch, das du geschrieben hast. Der Herr sprach zu Mose: Was? Ich will den aus meinem Buch tilgen, der an mir sündiget. So gehe nun hin und führe das Volk, dahin ich dir gesagt habe … Ich werde ihre Sünde wohl heimsuchen, wenn meine Zeit kommt, heimzusuchen. Also strafte der Herr das Volk, daß sie das Kalb hatten gemacht, welches Aaron gemacht hatte.
Der Priester gegen den Propheten, die Weltkirche gegen die Kirche des Glaubens, Aaronskirche gegen Mosekirche – von diesem ewigen Konflikt in der Kirche Christi und von seiner Lösung wollen wir heute hören.