Blinde Schuld - Hinrich Matthiesen - E-Book

Blinde Schuld E-Book

Hinrich Matthiesen

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Beschreibung

Ein Mann wird wegen einer Tat erpresst, die zwanzig Jahre zurückliegt. Eine Gruppe demoralisierter Soldaten hatte das Verbrechen als harmloses Spiel getarnt – aber es war ein Spiel mit Waffen und so machte sich der Mann schuldig – wenn auch, ohne es zu wissen. Es gibt einen Entlastungszeugen, einen, der bestätigen könnte, dass ihn lediglich „blinde“ Schuld trifft, weil er das Böse in diesem Spiel nicht kannte. Der Mann macht sich also auf die Suche nach diesem Zeugen. Er stößt auf eine dürftige Spur und macht die enttäuschende Entdeckung, dass sein Zeuge, ohne festen Wohnsitz, ein obskures Gewerbe betreibt und schwer zu fassen ist. Seine Suche wird zur Flucht und zur Jagd zugleich. Sie führt ihn nach Veracruz, nach Mexico-City, Cuernavaca, nach Acapulco und in die zwielichtige Grenzstadt: Tijuana. Ein Roman, der von der Hölle erzählt und vom Paradies, von Indios, Mestizen und Weißen, von tropischem Blühen und von den Spuren raschen Verfalls – und: von der kurzlebigen Liebe zwischen Menschen, die sich aus geschichtlichen Gründen missverstehen. Das Thema Erpressung, mit aller zerstörerischen lebensbedrohenden Wirkung, macht diesen Roman für immer neue Generationen lesenswert. Matthiesens augenfälligstes Merkmal ist dabei die suggestive Kraft seines Erzählens, die darüber hinaus das Südamerika der 70er Jahre auferstehen lässt, wie das Lübeck-Travemünde dieser Zeit.

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Hinrich Matthiesen

Jahrgang 1928, auf Sylt geboren, wuchs in Lübeck auf. Die Wehrmacht holte ihn von der Schulbank. Zurück aus der Kriegsgefangenschaft, studierte er und wurde Lehrer, viele Jahre davon an deutschen Auslandsschulen in Chile und Mexico. Hier entdeckte er das Schreiben für sich.

1969 erschien sein erster Roman: MINOU. Dreißig Romane und einige Erzählungen folgten. Die Kritik bescheinigte seinem Werk die glückliche Mischung aus Engagement, Glaubwürdigkeit, Spannung und virtuosem Umgang mit der Sprache. Die Leser belohnten ihn mit hohen Auflagen.

Immer stehen im Mittelpunkt seiner Romane menschliche Schicksale, Menschen in außergewöhnlichen Situationen. Hinrich Matthiesen starb im Juli 2009 auf Sylt, wo er sich Mitte der 1970er Jahre als freier Schriftsteller niedergelassen hatte.

»Zum literarischen Markenzeichen wurde der Name Matthiesen nicht zuletzt durch die Kunst, in eine pralle Handlung Aussagen zu verweben, die außer dem aktuellen stets auch einen davon unabhängigen Bezug haben. Gedankliche Strenge, sprachliche Disziplin und ein offensichtlich unauslotbarer verbaler Fundus lassen Matthiesen zu einem Kompositeur in Prosa werden.«

Deutsche Tagespost

»Matthiesen ist zu beneiden um seine Fähigkeiten: Kompositionstalent, menschliche Einfühlung, scharfe Beobachtungsgabe – und vor allem um seinen Stil«

Deutsche Welle

Werkausgabe Romane Band 2

Herausgegeben von Svendine von Loessl

Der Roman

Ein Mann wird wegen einer Tat erpresst, die zwanzig Jahre zurückliegt. Eine Gruppe demoralisierter Soldaten hatte das Verbrechen als harmloses Spiel getarnt – aber es war ein Spiel mit Waffen und so machte sich der Mann schuldig – wenn auch, ohne es zu wissen.

Es gibt einen Entlastungszeugen, einen, der bestätigen könnte, dass ihn lediglich „blinde“ Schuld trifft, weil er das Böse in diesem Spiel nicht kannte.

Der Mann macht sich also auf die Suche  nach diesem Zeugen. Er  stößt auf eine dürftige Spur  und  macht die enttäuschende Entdeckung, dass sein Zeuge, ohne festen Wohnsitz, ein obskures Gewerbe betreibt und schwer zu fassen ist. Seine Suche wird zur Flucht und zur Jagd zugleich. Sie führt ihn  nach Veracruz, nach  Mexico-City, Cuernavaca, nach  Acapulco  und  in die zwielichtige Grenzstadt: Tijuana.

Ein Roman, der von der Hölle erzählt und vom Paradies, von Indios, Mestizen und Weißen, von tropischem  Blühen und von den Spuren raschen Verfalls – und: von der kurzlebigen Liebe zwischen Menschen, die sich aus geschichtlichen Gründen missverstehen.

Das Thema Erpressung, mit aller zerstörerischen lebensbedrohenden Wirkung, macht diesen Roman für immer neue Generationen lesenswert.

Matthiesens augenfälligstes Merkmal ist dabei die suggestive Kraft seines Erzählens, die  darüber hinaus  das Südamerika der 70er Jahre  auferstehen lässt, wie das Lübeck-Travemünde dieser Zeit.

Titelverzeichnis der Werkausgabe in 31 Bänden am Ende des Buches

Hinrich Matthiesen

Blinde Schuld

Roman

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Werkausgabe Romane

Herausgegeben von Svendine von Loessl

Band 2

1.

Georg Kramers erster Blick an diesem Morgen erfasste das launenhafte Lichtspiel, das die Sonne mit den Gegenständen seiner Kabine trieb. Es war ein bewegtes Hin und Her, denn das Schiff schlingerte stark. Mitunter verharrte ein Lichtfleck an irgendeiner Stelle der dunklen hölzernen Wand und registrierte die Balance des Schiffes, das sein eigenes Spiel mit den Wellen hatte. Und bei einem besonders harten Schlag des Bugs gegen das Wasser, der das Licht in einen wilden Wirbel versetzte, musste Georg Kramer an seine kleine Tochter denken, wie sie einmal während einer Filmvorführung im Wohnzimmer den Projektor umgestoßen hatte, so dass das Bild von der Leinwand weg durch den Raum geglitten war und die Zuschauer es schließlich an der Decke gesehen hatten, böse verzerrt. Es waren Reiseaufnahmen vom Sommer des letzten Jahres gewesen. Ein Urlaub in Málaga.

Georg Kramer schloss schnell die Augen. Er wollte nicht denken. Das Erwachen am Morgen eines freien Tages empfand er als einen der privatesten Augenblicke, die es im Leben eines Menschen geben kann. Es schenkte ihm auch nun ein Gefühl wohltuender Weitläufigkeit. Eine Weile gab er sich der dumpfen Vorstellung hin, ein Tier möchte so sein Dasein empfinden. Kramer genoss die wohlausgewogene Lagerung der Glieder, in denen das Taube des Schlafes noch ein wenig verharrt, dieses Zwischenstadium, das den Schlaf ablöst, aber noch keine Teilnahme erfordert.

Er lag auf der rechten Seite, die Arme ineinander verschränkt, die linke Hand unter die rechte Achselhöhle geschoben, eine Ecke des Kissens zwischen dem rechten Oberarm und dem Kopf. Das linke Bein hatte er hoch angezogen, den rechten Fuß hinter sich ins Freie gestreckt wie einen vorgeschobenen Posten, der ihm die Kühle des Raumes mitteilte und ihn die Bettwärme doppelt empfinden ließ. Es war nun jeden Morgen dasselbe. Immer lag er, nachdem eines der vielen Bordgeräusche ihn geweckt hatte, so da und genoss die träge Indifferenz des Augenblicks. Und immer wieder war ihm, als sei dies die optimale Form eines Daliegens und wohlgeeignet für die ewige Ruhe, der man doch eine gewisse, wenn auch unerforschliche Weise des Weiterlebens nachsagte.

Allerdings entschied auch bei ihm der Tag, zu dem er erwachte, über Dauer und Qualität dieses behaglichen Dämmerns. Heute war nichts. Ein Tag auf See, der achte ohne jeglichen Anspruch. Das Schiff hatte unter Nacht die Azoren passiert und würde voraussichtlich noch knapp zwei Wochen brauchen bis nach Veracruz.

Er fiel zurück in einen leichten Schlaf. Als er eine halbe Stunde später endgültig erwachte, erhob er sich. Die Bewegungen des Schiffes erschwerten ihm das Duschen und Rasieren. Er schnitt sich am Hals, gab sich aber keine Mühe, das Blut zu stillen. Für wen, fragte er sich. Es lohnte sich nicht. Als er die Treppen hinaufstieg, musste er sich an beiden Geländern festhalten. Er ging nicht in den Messeraum zum Frühstücken, sondern trat hinaus auf das Deck. Den Blutfleck an seinem Hemdkragen hatte er beim Verlassen seiner Kabine entdeckt. Er hatte das Hemd nicht gewechselt.

Es war kein großzügiges Promenadendeck, sondern ein schlichtes, nüchternes Arbeitsdeck, das durch ein paar Liegestühle, einige weiße Spielmarkierungen auf den Laufplanken und einen kleinen, mittschiffs errichteten, überdachten Raum in bescheidener Form die Passagiere zum Freiluftamüsement lud. Von einem viertausend Tonnen großen Kombischiff, das zwölf Fahrgästen Platz bot, konnte man nicht mehr erwarten.

Georg Kramer hatte vierzehnhundert Mark für die Überfahrt gezahlt. Das war die günstigste Möglichkeit, einen Ozean zwischen sich und seinen Heimatort zu bringen und gleichzeitig für drei Wochen in einer gutbürgerlichen Herberge mit einer gutbürgerlichen Küche untergebracht zu sein. Nachdem er vor einer Woche in Bremerhaven an Bord gegangen war, seine Kabine bezogen und zu Abend gegessen hatte, war ihm diese Atmosphäre willkommen gewesen, obwohl er auf seinen Reisen Hotels dieser Art meistens gemieden hatte. Sie waren ihm zu langweilig gewesen. Nun war ihm dieses

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