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Ein Ermittlerroman der Extraklasse von Norwegens preisgekröntem Spitzenautor Jørn Lier Horst In dem Hafenstädtchen Stavern im Süden Norwegens verschwindet ein Taxifahrer. Sechs Monate später gibt es eine erste Spur, der Verdächtige besitzt einen kleinen Bauernhof in der Nähe. In seinem zehnten Fall stößt Kommissar William Wisting dort auf das blutbefleckte Taxi des Verschwundenen und auf ein umfangreiches Drogendepot. Zur gleichen Zeit wird im Keller eines alten Hauses zufällig ein Tresor gefunden, in dem sich eine große Geldsumme sowie ein Revolver befinden. Mit dieser Waffe wurde in der Neujahrsnacht eine Studentin erschossen. Zunächst kann Wisting keinen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen erkennen. Doch als er mit seinen Ermittlungen ungewollt seine hochschwangere Tochter Line in Lebensgefahr bringt, ändert sich alles ... "Ganz oben bei den besten Krimiautoren aus dem Norden." The Times
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Seitenzahl: 514
Jørn Lier Horst
Blindgang
Kriminalroman
Knaur e-books
In dem Hafenstädtchen Stavern im Süden Norwegens verschwindet ein Taxifahrer. Sechs Monate später gibt es eine erste Spur. Der Verdächtige besitzt einen kleinen Bauernhof in der Nähe. Dort stößt Kommissar William Wisting auf das blutbefleckte Taxi des Verschwundenen und auf ein umfangreiches Drogendepot. Zur gleichen Zeit wird im Keller eines alten Hauses zufällig ein Tresor gefunden, in dem sich eine große Geldsumme sowie ein Revolver befinden. Mit dieser Waffe wurde in der Neujahrsnacht eine Studentin erschossen. Zunächst kann Wisting keinen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen erkennen. Doch als er mit seinen Ermittlungen ungewollt seine hochschwangere Tochter Line in Lebensgefahr bringt, ändert sich alles.
Zweimal fuhr sie an dem großen weißen Haus vorbei. Beim dritten Mal hielt sie direkt davor auf der Straße.
Die große Villa mit dem Halbwalmdach lag hinter einem weißen Lattenzaun und einer Laubhecke und war von alten Bäumen umgeben, die ihre Äste in die Luft reckten. Hinter den Sprossenfenstern war nur Dunkelheit erkennbar.
Die Villa war größer als in ihrer Erinnerung. Eigentlich viel zu groß für sie.
Vor neunzehn Jahren war sie zuletzt hier gewesen. Damals hatte sie sich geschworen, niemals zurückzukehren. Jetzt würde sie hier einziehen.
Sie nahm den Briefumschlag vom Beifahrersitz und ließ den Schlüssel herausfallen. Er war mit einem kleinen Plastikschild versehen. Auf eine Seite hatte der Rechtsanwalt den Namen ihres Großvaters geschrieben, auf der anderen stand die Adresse: Frank Mandt. Johan Ohlsens gate, Stavern.
Der Gedanke, dass er genau diesen Schlüssel benutzt hatte, ließ sie nicht los. Dass er ihn in seiner Tasche getragen, damit herumgespielt und die Hand um ihn geschlossen hatte.
In ihren Gedanken war er nicht ihr Großvater, dieses Wort benutzte sie nicht. Für sie war er stets der Alte. So hatte sie ihn in Erinnerung, als einen alten Mann. Auch wenn er nicht viel älter als fünfzig gewesen sein konnte, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Er war ein großer, kräftiger Mann gewesen, mit dunklen, tiefliegenden Augen, dichtem grauem Haar und einem kleinen weißen Bart.
Einmal hatte sie ihn am Nationalfeiertag gesehen, das war viele Jahre her. Sie war mit dem Kinderfestzug am Haus vorbeigekommen, der Alte hatte mit hinter dem Rücken verschränkten Händen auf der Glasveranda gestanden und verkniffen zu ihnen herübergeschaut. Sie hatte versucht, ihm zuzuwinken, aber er hatte ihr den Rücken zugekehrt und war wieder hineingegangen.
Sie legte den Schlüssel weg und blickte abermals zum Haus hinüber. Sogar an einem warmen Junitag wie diesem schien es Kälte auszustrahlen.
Vom Kindersitz hinter ihr ertönte ein Wimmern. Sie drehte sich um.
»Bist du wach, Majaschatz?«, sagte sie mit einem Lächeln und beugte sich zu ihrer Tochter hinüber. »Jetzt sind wir da.«
Die Kleine stieß ein paar gurgelnde Laute aus, lächelte und kniff die Augen zusammen. Glücklicherweise hatte sie keine Ähnlichkeit mit dem Vater. Die dunklen Haare und die dunklen Augen stammten von ihr, der Mutter.
»Und meine Lachfältchen hast du auch«, sagte sie, legte die Hand unter das Kinn ihrer Tochter und versuchte, die Fältchen hervorzukitzeln. Sie würden schon zurechtkommen, sie beide. Früher waren es immer sie und ihre Mutter gewesen, jetzt waren es sie und ihre Tochter.
Sie drehte sich wieder zum Lenkrad, legte einen Gang ein und fuhr um das Haus herum zur Rückseite, vor die Garage. Dann griff sie nach dem Schlüssel, stieg aus dem Wagen und befreite ihre Tochter aus dem Kindersitz.
Der Eingangsbereich mit seinen Säulen und Ornamenten wirkte vornehm. So, wie man vor hundert Jahren gebaut hatte.
Der Schlüssel glitt problemlos ins Schloss. Im Innern roch es frisch und sauber. Keine abgestandene Luft, wie sie befürchtet hatte.
Der Anwalt hatte getan, worum sie ihn gebeten hatte. Alle Möbel und Einrichtungsgegenstände waren entfernt worden. Alles, was Erinnerungen hervorrufen könnte. Alles, was sie an die Vergangenheit gemahnte.
Sie betrat die Küche und ging weiter ins Wohnzimmer. Ihre Schritte hallten von den nackten Wänden wider.
Das bleiche Sonnenlicht drang schräg durch die Fenster und ergoss sich über den Fußboden.
Das könnte ganz gemütlich werden, dachte sie und blickte hinaus auf den kleinen Park auf der anderen Straßenseite. Das große Haus könnte ein guter Start in ein neues Leben sein.
Die breite Treppe zum Obergeschoss knirschte. Sie nahm Maja von einem Arm auf den anderen und betrat das alte Zimmer ihrer Mutter. Ohne wirklich etwas zu empfinden, verharrte sie einen Augenblick und sah dann auf die Uhr. Viertel vor zehn. Der Umzugswagen konnte jeden Moment auftauchen.
Mit schnellen Schritten durchquerte sie einmal alle Zimmer, ging wieder die Treppe hinunter und inspizierte das restliche Haus.
An der Tür zur Kellertreppe blieb sie stehen und öffnete sie dann. Sie machte Licht und stieg die ausgetretenen Stufen zur Hälfte hinunter.
Hier unten hatten sie ihn gefunden, an einem Tag im Januar. Er musste ungefähr da gefallen sein, wo sie jetzt stand. Unten, auf dem hellgrauen Zementboden, konnte sie eine etwas dunklere Schattierung ausmachen. Es hieß, er habe drei Tage dort gelegen, bevor ihn einer seiner Kumpel gefunden hatte.
Sie war die einzige noch lebende Verwandte, hatte aber weder an der Beerdigung noch an den Vorbereitungen dafür teilgenommen. Damals war ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen, die einzige Erbin einer millionenschweren Villa und einer stattlichen Geldsumme auf einem Bankkonto zu sein. Als sie dann davon Kenntnis erhalten hatte, war ihr erster Gedanke gewesen, alles abzulehnen. Frank Mandts Geld schien ihr derartig schmutzig, dass sie am liebsten überhaupt nichts damit zu tun haben wollte. Doch dann hatte sie gedacht: Warum eigentlich nicht? Es wäre doch einfach dumm, nein zu sagen.
Mit Maja auf dem Arm stieg sie weiter die Treppe hinunter. Die Luft hier unten war viel stickiger als im restlichen Haus. Ein süßlich fader Geruch wie von fauligem Obst oder von Blumen, die zu lange in einer Vase gestanden hatten. In einem der Kellerräume war ein Badezimmer installiert, und in einem anderen Raum, der vermutlich als Trainingsraum gedient hatte, gab es eine Sprossenwand.
Im hintersten Raum stand der Safe. Der Anwalt hatte sie darüber informiert, dass der Safe noch vorhanden war. Er war nicht nur groß und schwer, sondern offenbar auch von innen mit Bolzen am Boden befestigt. Die Leute, die mit dem Ausräumen des Hauses beauftragt gewesen waren, hatten sich bemüht, den Schlüssel zu finden, aber er war verschwunden. Sie hatte volles Vertrauen zu ihnen. In einem Küchenschrank hatten sie einen Umschlag mit fast dreißigtausend Kronen gefunden und ihn ihr ausgehändigt. Natürlich konnten sie irgendwo im Haus noch mehr Geld gefunden haben, ohne sie darüber informiert zu haben, aber sie vertraute darauf, dass sie weder den Schlüssel gefunden noch den Safe geöffnet hatten.
Sie fuhr mit einer Hand über den massiven Geldschrank. Der kalte Stahl ließ sie erschaudern.
Dann hockte sie sich hin, schob die kleine Metallplatte vor dem Schlüsselloch zur Seite und versuchte, in den Safe zu spähen.
Es ärgerte sie, dass der Schlüssel nicht da war. Der Safe stand mitten im Raum und nahm ziemlich viel Platz ein. Es würde schwierig werden, den Raum hier unten herzurichten, falls das eines Tages nötig sein sollte.
Draußen ertönte eine Hupe. Sie blickte auf die Uhr. Es war zehn. Die Umzugsfirma kam pünktlich.
Sie ging hinaus und begrüßte die Möbelpacker. Während die Männer den Lastwagen in die richtige Position manövrierten, öffnete sie den Kofferraum ihres Wagens, nahm einen Karton heraus und holte das Türschild hervor, das sie zu Hause in Oslo selbst angefertigt hatte. Sie hängte es an einen Nagel neben die Haustür.
Sofie und Maja Lund.
Im Nachbarhaus blickte eine Frau hinter karierten Vorhängen zu ihr herüber. Sofie winkte ihr grüßend zu. Die Frau grüßte nicht zurück.
William Wisting stand in der Schlafzimmertür und betrachtete die Frau in seinem Bett. Schmale Lichtstreifen drangen durch die Schlitze der Jalousie und legten sich über ihr Gesicht, ohne dass ihr tiefer Schlaf davon gestört zu werden schien.
Gut zwei Jahre arbeitete er jetzt mit Christine Thiis zusammen. Sie war fünfzehn Jahre jünger als er und hatte zwei halbwüchsige Kinder. Nach ihrer Scheidung hatte sie einen gutbezahlten Job als Strafverteidigerin in Oslo aufgegeben und war mit den Kindern nach Larvik gezogen.
Wisting konnte sehr gut mit ihr zusammenarbeiten, sie war ergebnisorientiert, tatkräftig und entschlussfreudig, und sie verfügte über eine ganz eigene Fähigkeit, zur rechten Zeit die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Wenn sie zusammen waren, sprachen sie fast immer über die Arbeit. Über ihr Privatleben ließ sie ihn nur wenig wissen. Waren die fachspezifischen Fragen in einer Besprechung beantwortet, fuhr sie immer gleich nach Hause oder zog sich unmittelbar in ihr Büro zurück. Sie beteiligte sich nie, wenn ein Kollege nach getaner Arbeit vorschlug, noch ein Bier trinken zu gehen, und an einer Weihnachtsfeier hatte sie auch nie teilgenommen. Umso überraschter war Wisting, als sie zugestimmt hatte, zu ihm nach Hause zum Sommerfest zu kommen.
Ein paar winzige Bewegungen ihres Gesichts verrieten, dass sie seine Anwesenheit im Zimmer spürte. Wisting schloss vorsichtig die Tür und ging die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Christine Thiis musste richtig ausschlafen. Nils Hammer hatte sie ins Bett gebracht, nachdem sie die zweite Flasche Wein schon fast ausgetrunken hatte. Die anderen waren geblieben, bis die Morgendämmerung einsetzte und die ersten Vögel zu singen begannen.
Eine Fliege spazierte an der Innenseite eines Glases auf dem Wohnzimmertisch herum. Ein lautes Surren ertönte, als sie im übrig gebliebenen Wein ertrank.
Wisting ging zum Sofa, legte die Decke zusammen, unter der er geschlafen hatte, und schüttelte die Kissen auf. Dann sammelte er alle Gläser ein und trug sie in die Küche, stellte sie in den Geschirrspüler und blieb am Fenster stehen, wo er auf das braungebeizte Haus in der Kurve hinausblickte, in dem Line wohnte.
Obwohl er sich mit den Gründen für ihren Umzug von Oslo zurück nach Stavern nicht ganz anfreunden konnte, war er doch froh, sie in der Nähe zu wissen. Trotzdem gefiel es ihm nicht, dass sie dieses Haus gekauft hatte. Er spürte förmlich, dass der Tod dort immer noch in den Wänden steckte. Viggo Hansen, der Mann, der dort früher gewohnt hatte, war vor acht Monaten tot in einem Sessel im Wohnzimmer aufgefunden worden. Fast vier Monate hatte er dort gesessen, ohne dass einem der Nachbarn etwas aufgefallen war.
Der tote Mann schien Line nicht sonderlich zu bekümmern. Das sah ihr ähnlich. Sie war durch und durch furchtlos und pragmatisch veranlagt. Außerdem war das Haus ein guter Kauf. Die besonderen Umstände hatten dazu geführt, dass es weit unter dem Marktpreis verkauft wurde, und als Wisting tags zuvor bei seiner Tochter gewesen war, gab es kaum noch etwas, das an die Geschehnisse erinnerte. So gut wie alles war herausgerissen und entsorgt worden. Küche, Bad und eines der Schlafzimmer waren bereits renoviert. Jetzt war das Wohnzimmer an der Reihe.
Irgendwo im Haus klingelte Wistings Handy. Er fand es schließlich auf dem Wohnzimmertisch, schaffte es aber nicht mehr, rechtzeitig ranzugehen.
Es war Suzanne. Ihre Nummer hatte er immer noch gespeichert. Seit vielen Monaten hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen und spürte jetzt, dass der Anblick ihres Namens etwas in ihm anrührte. Eine Zeitlang hatten sie einander sehr nahe gestanden, und sie war bei ihm eingezogen. Die Beziehung hatte einige Jahre gehalten, bis sie sich schließlich entschieden hatte, allein weiterzugehen. Der Verlust belastete Wisting noch immer. Nicht so sehr wie der Verlust von Ingrid, der Mutter von Line und ihrem Zwillingsbruder Thomas. Ingrid war für alle Zeiten von ihm gegangen. Suzanne hatte ihn verlassen, lebte aber gar nicht weit entfernt. Sie betrieb in Stavern eine Kombination aus Café und Galerie und wohnte in der Wohnung darüber.
Er zuckte zusammen, als das Handy erneut klingelte. Wieder war es Suzanne, offenbar wollte sie ihn unbedingt erreichen.
»Hallo«, meldete er sich und merkte, wie trocken sein Mund war.
»Hallo«, begrüßte sie ihn. »Hier ist Suzanne.«
»Hallo«, sagte er abermals und schluckte. »Wie geht’s dir?«
»Bist du zu Hause?«, fragte sie, ohne zu antworten.
Wisting blickte umher. Irgendjemand hatte eine Schale Erdnüsse umgeworfen. Auf dem Teppich lagen ein paar Schichten Toilettenpapier. Espen Mortensen hatte versucht, Bier aus einer umgestürzten Flasche aufzusaugen. Christine Thiis’ Handtasche lag unter einem Sessel, der Inhalt war teilweise über den Boden verstreut.
»Wieso fragst du?«, erwiderte er.
»Es gibt etwas, worüber ich mit dir reden muss. Aber nicht am Telefon. Es geht um den Hummel-Fall.«
»Den Hummel-Fall?«, wiederholte Wisting, wusste aber genau, worum es sich handelte.
Jens Hummel war Taxifahrer. Er war in der Nacht zum 6. Januar mitsamt seinem Wagen spurlos verschwunden. Der Letzte, der ihn gesehen hatte, war ein Fahrgast, der um 1:23 Uhr vor dem Grand Hotel in der Storgata in Larvik aus dem Taxi gestiegen war. Das lag jetzt über ein halbes Jahr zurück. Noch immer war der Fall ein Mysterium.
»Ich könnte heute Vormittag bei dir vorbeischauen, bevor im Café der Hauptbetrieb einsetzt«, schlug Suzanne vor.
Aus dem Obergeschoss hörte Wisting Schritte. Christine Thiis musste wach geworden sein.
»Ich bin schon fast aus dem Haus«, beeilte sich Wisting zu sagen. »Ich könnte zu dir kommen.«
»Schaffst du es vor eins?«
Er warf einen Blick auf die Uhr und versuchte auszurechnen, wann er das letzte Glas Alkohol getrunken hatte.
»Ich kann in einer Stunde bei dir sein«, sagte er und glaubte, an dem Tonfall, in dem sie sich bedankte, heraushören zu können, dass sie lächelte.
Aus dem Badezimmer im ersten Stock hörte er das Geräusch fließenden Wassers aus dem Hahn.
Wisting ging wieder in die Küche, wo er zwei Tassen sowie zwei Kapseln für die Kaffeemaschine aus dem Schrank nahm.
Die Treppe zum Obergeschoss knirschte. Die Kaffeemaschine brummte schwach und stieß heißen Dampf aus, als Christine Thiis in die Küche kam.
»Hallo«, sagte sie mit krächzender Stimme. Ihr kastanienbraunes Haar war immer noch zerzaust, aber er konnte sehen, dass sie versucht hatte, es zu richten. »Tut mir leid, es …«
Wisting fiel ihr ins Wort.
»Kaffee?«
Sie nickte. »Das wäre fein.«
Sie setzten sich an den Küchentisch.
»Tut mir leid«, sagte sie abermals. »Das ist mir noch nie zuvor passiert … Normalerweise schaffe ich es immer nach Hause.« Sie trank einen Schluck Kaffee und räusperte sich. »Das heißt, eigentlich gehe ich für gewöhnlich gar nicht aus. Ich bin das Trinken nicht gewohnt.«
»Dann hast du es wohl mal gebraucht«, sagte Wisting. Er konnte ihr ansehen, dass es ihr unangenehm war, in denselben Sachen dazusitzen, mit denen sie ins Bett gegangen war.
»Du musstest dich wohl mal richtig entspannen«, fuhr er fort. »Mal aus allem ausklinken und weder an die Kinder noch an den Job denken.«
»Ich hätte aber nach Hause fahren sollen.«
»Da gab’s nichts, was dich erwartet hätte«, sagte Wisting lächelnd. Er legte die Hände um die Kaffeetasse und merkte, wie gut es sich anfühlte, mit jemandem am Küchentisch zusammenzusitzen. »Ich kann dich nachher nach Hause fahren«, bot er an.
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich kann ein Taxi nehmen.«
Er hob die Hand, um anzudeuten, dass es ihm überhaupt nichts ausmache, sie zu fahren.
»Ich muss sowieso vor die Tür«, sagte er. »In der Hummel-Sache ist etwas aufgetaucht.«
Ihr Blick wechselte von Verlegenheit zu plötzlichem Interesse.
»Jens Hummel? Wir haben den Fall doch letzte Woche durchgesprochen und beschlossen, ihn vorläufig zu den Akten zu legen. Ist jetzt was Neues aufgetaucht?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich treffe später jemanden, der mir etwas berichten möchte.«
Christine Thiis beugte sich vor.
»Was in der Zeitung stand, ist doch völliger Blödsinn«, sagte sie. »Wir haben in dieser Sache nun wirklich alles getan, was möglich war.«
Wisting wandte den Blick ab. Sie spielte auf einen Zeitungsartikel aus der letzten Woche an. Das mysteriöse Verschwinden des Taxifahrers hatte bereits im Januar zu Schlagzeilen geführt, war aber in der Öffentlichkeit auf eher geringes Interesse gestoßen. Jens Hummel hatte keine Familie, die Presse oder Polizei hätte unter Druck setzen können. Nur eine Großmutter, die mit ihrem Verlust ganz allein klarkommen musste.
Als die Medien dann vor kurzem Interesse gezeigt hatten, den Fall erneut aufzurollen, hatte Wisting das unterstützt in der Hoffnung, dass durch einen Artikel vielleicht neue Informationen ans Licht kommen könnten. Der Zeitfaktor sprach eigentlich eher gegen die Wiederaufnahme der Ermittlungen. Doch Gerüchte und Klatsch konnten sich inzwischen weiter verbreitet und schließlich jemanden erreicht haben, der bereit war, mit der Polizei zu reden. In solchen Fällen konnte die mediale Aufmerksamkeit oft der Auslöser sein.
Als der Artikel schließlich gedruckt wurde, richtete er sich allerdings gegen die Polizei im Allgemeinen und gegen Wisting als Ermittlungsleiter im Besonderen. Zwar ging aus ihm nicht hervor, was die Polizei konkret hätte anders machen können, aber der Artikel zeichnete das Bild einer Polizei, die nicht genügend Interesse für den Fall aufgebracht und schlechte Arbeit geleistet hatte. Die ergebnislose Ermittlung sprach für sich selbst. Der Polizei war es nicht einmal gelungen, Hummels Wagen zu finden. Die kurz zuvor erschienene Halbjahresstatistik, aus der hervorging, dass die Polizei fast zwanzig Prozent mehr Verkehrskontrollen als im Jahr zuvor durchgeführt hatte, wurde von der Presse als Beweis für falsche Entscheidungen und unsinnige Prioritäten angeführt. Die Sympathie lag in diesen Fall nicht bei der Polizei, die eine schwierige Aufgabe lösen musste, sondern allein bei der Großmutter, die ihren einzigen Enkel verloren hatte.
Wisting war daran gewöhnt, kritisiert zu werden. Normalerweise prallte Kritik an ihm ab, aber dieses Mal hatte er sie etwas anders empfunden. Sie war eine Erinnerung an seinen Misserfolg. Ohnehin hatte der Hummel-Fall ihn von Anfang an beunruhigt und das nagende Gefühl verursacht, nicht ausreichend für die Ermittlung gewappnet zu sein.
»›Spurlos verschwunden‹ ist in dieser Geschichte wirklich mal ein passender Ausdruck«, fuhr Christine Thiis fort. »Man hätte doch annehmen können, dass angesichts der Überprüfung von Telefonverbindungen und Mautstationen sowie Taxameter und Navigationsgerät irgendetwas auftaucht, was uns verraten könnte, wo er und sein Wagen abgeblieben sind. Aber wir haben überhaupt nichts.«
Wisting stimmte ihr zu. Die Ermittlungen im Hummel-Fall waren ihm wie Tage ohne Inhalt vorgekommen. Zwar hatten sie die letzten vierundzwanzig Stunden vor dem Verschwinden des Mannes exakt rekonstruieren können, aber nichts gab einen Hinweis darauf, wo er sich jetzt befand. Parallel dazu hatten sie versucht, sich ein genaues Bild von der Person Jens Hummel zu machen. Er war vierunddreißig und lebte allein. Bis zum Alter von fünfundzwanzig hatte er verschiedene Jobs gehabt und danach angefangen, als Taxifahrer zu arbeiten. Vor fünf Jahren hatte er eine Konzession erhalten und sich einen eigenen Wagen angeschafft. Im Laufe von fast zehn Jahren hinter dem Steuer hatte Hummel ein umfangreiches Kontaktnetz mit sehr unterschiedlichen Menschen aufgebaut. Mit den meisten hatte die Polizei gesprochen, aber niemand hatte etwas berichten können, das Licht auf die Geschehnisse geworfen hätte.
Vermisstenfälle waren immer schwierig, nicht nur deshalb, weil es keinen Tatort gab, sondern auch, weil sich oft nicht genügend Anhaltspunkte fanden, um eine breit angelegte Ermittlung auf die Beine zu stellen.
Wisting und Christine Thiis blieben mit ihren Tassen am Tisch sitzen und gingen erneut ein paar der wahrscheinlichsten Theorien durch. Eine ging davon aus, dass Drogen beim Verschwinden Hummels eine Rolle spielten. Möglicherweise hatte Hummel als Kurier gearbeitet und sein Taxi benutzt, um Drogen zu transportieren. Eine Zeitlang war er angeblich als Fahrer für Prostituierte tätig gewesen, doch obwohl den Ermittlern diese Informationen schließlich sogar bestätigt worden waren, hatten sie keinen Schritt weitergeholfen.
Wisting sah auf die Uhr. Er musste sich langsam auf den Weg machen.
Im Wagen kamen die beiden auf andere Themen zu sprechen. Auf den Sommer und die Urlaubspläne.
»Ich fahre nirgendwohin«, erklärte Christine Thiis. »Was hast du vor?«
»Ich habe Line versprochen, ihr bei der Renovierung zu helfen. Sie behauptet, ich könne sehr gut tapezieren.«
Christine Thiis lächelte und schien ein wenig nachdenklich zu sein.
»Meine Kinder werden vier Wochen bei ihrem Vater verbringen. Es wird bestimmt seltsam, so lange allein zu sein.«
Wisting hielt am Straßenrand vor dem Haus, in dem Christine Thiis wohnte.
»Vielen Dank fürs Fahren. Und nochmals sorry, dass ich es nicht nach Hause geschafft habe.«
»Kein Problem«, versicherte er ihr.
»Ruf mich doch an«, bat sie ihn und legte eine Hand auf seinen Arm. Er erwiderte ihren Blick. Sie blinzelte zweimal und zog die Hand wieder zurück.
»Falls da was Neues herauskommt, meine ich. Falls du erfährst, was mit Jens Hummel geschehen ist.«
Es war ein warmer Tag. Drückend und windstill. Am Kai, wo früher die Dampfschiffe angelegt hatten, gab es einen freien Parkplatz. Wisting stieg aus dem Wagen. Zwei kleine Jungen standen mit ihren Angelruten an der Kaimauer. Ein paar Möwen kreisten träge über ihnen.
Auf den Straßen waren ungewöhnlich viele Menschen unterwegs. Wisting nickte hier und da ein paar Bekannten zu.
Draußen vor dem Goldenen Frieden waren die meisten kleinen Tische bereits besetzt. Wisting drückte die Tür auf, trat ein und blieb eine Weile stehen, bis seine Augen sich an das spärliche Licht gewöhnt hatten.
Suzanne saß ganz hinten im Café und winkte ihm zu. Sie trug ein weißes Sommerkleid und hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden.
Wisting nickte grüßend und trat an ihren Tisch. Sie stand auf und umarmte ihn. Als sie lächelte, warf die Haut um ihre Augen kleine Fältchen.
»Möchtest du etwas?«, fragte sie und blickte dabei zum Tresen. »Kaffee?«
Wistings Kopf war immer noch nicht ganz klar.
»Ich könnte ein Mineralwasser gebrauchen«, sagte er und räusperte sich.
Suzanne verschwand hinter dem Tresen und kam mit einer Flasche und einem mit Eiswürfeln gefüllten Glas zurück.
»Ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte«, sagte sie und setzte sich.
Wisting gab Wasser in sein Glas.
»Du hast gesagt, es geht um den Hummel-Fall.«
»Ich weiß ja nicht, ob das was zu bedeuten hat«, sagte sie, »aber da war in letzter Zeit abends ein paarmal ein Mann hier. Er saß an der Bar, las Zeitung und sagte nicht viel, aber wenn ich ihn richtig verstanden habe, hat er eine Zeitlang im Ausland gelebt und ist jetzt zurück in die Stadt gekommen.«
Suzanne schob einen unbeschriebenen Umschlag, der zwischen ihnen auf dem Tisch lag, ein wenig zur Seite und fuhr fort: »Letzte Woche hast du in der Zeitung gesagt, dass ihr den Hummel-Fall einstellen wollt.«
»Vorläufig einstellen«, korrigierte Wisting.
»Gibt es da einen Unterschied?«
Wisting zuckte mit den Schultern.
»Na, jedenfalls war in Verbindung mit dem Artikel über den Fall auch ein Foto von Jens Hummels Taxi in der Zeitung abgebildet«, sagte Suzanne.
Wisting nickte. Ein weiteres Mal wurde er an die verfehlte Medienstrategie der Polizei erinnert.
»An dem besagten Abend war es hier ganz ruhig. Mir fiel auf, dass der Mann sehr eigenartig reagierte, als er den Artikel las.«
»Was meinst du damit?«
Obwohl niemand in der Nähe war, der sie hätte hören können, senkte Suzanne die Stimme.
»Er wurde ganz unruhig«, erklärte sie. »Er schaute von der Zeitung auf und sah sich dann um, bevor er weitergelesen hat. Danach stand er auf, ging raus und blieb draußen eine Weile stehen. Und dann kam er wieder herein und hat den Artikel noch einmal gelesen.«
Wisting trank einen Schluck Wasser.
»Ich ging zu ihm rüber, um ein paar leere Gläser abzuräumen«, fuhr Suzanne fort. »Da hat er was Komisches gesagt.«
»Was denn?«
»Ich hatte den Artikel kommentiert. Hab irgendwas darüber gesagt, dass es ein besonderer Fall sei. Und da schaute er mich an und sagte: ›Der steht in der Scheune.‹«
»Der steht in der Scheune?«, wiederholte Wisting.
Suzanne nickte.
»Ich konnte ihn nichts weiter fragen. Er sagte bloß: ›Der hat da eines Tages einfach gestanden‹, und zeigte auf das Zeitungsbild von dem Taxi. Dann hat er die Zeitung zusammengefaltet, sie eingesteckt und ist gegangen.«
»Von welcher Scheune hat er geredet?«, fragte Wisting, wenngleich er nicht glaubte, dass sie Näheres wusste.
»Ich weiß nur das, was ich dir erzählt habe. Ich musste die ganze Zeit darüber nachdenken. Und jetzt musste ich dich einfach anrufen. Dieser Typ weiß irgendwas.«
Wisting warf einen Blick auf die anderen Gäste.
»War er mit irgendwem zusammen, als er hier gewesen ist?«, fragte Wisting.
»Nein, ich hab mich ein bisschen bei den Gästen umgehört, aber niemand weiß, wer er ist.«
Wisting stellte ein paar weitere Fragen. Wie sah der Mann aus? Was hatte er angehabt? Hatte er mit einem Akzent gesprochen? Gab es besondere Kennzeichen an ihm?
Suzanne zog den Umschlag auf dem Tisch zu sich heran, öffnete ihn und holte einen Zettel heraus.
»Er hat an dem Abend mit ’ner Karte bezahlt«, sagte sie und legte den Zettel wieder in den Umschlag. »Ich hab die Belege rausgesucht und kann ungefähr sagen, wann er bezahlt hat. Ihr könnt doch bestimmt die Transaktionsnummer überprüfen und rausfinden, wer er ist.«
Wisting lächelte und nahm den Umschlag entgegen. Möglicherweise enthielt er ja etwas, was den großen Durchbruch im Hummel-Fall bedeuten würde. Bei den Ermittlern hatte es verschiedenste Mutmaßungen darüber gegeben, wo sich sein Wagen befinden könnte. Einige meinten, Jens Hummel hätte freiwillig die Stadt verlassen, andere glaubten, sein Taxi sei irgendwo einen Abhang hinuntergestürzt, entweder infolge eines Unfalls oder weil er es absichtlich hinuntergestoßen hatte. Wisting gehörte zu denjenigen, die davon überzeugt waren, dass Jens Hummel Opfer eines Verbrechens geworden war und sich sein Taxi irgendwo in einer Garage oder an einem ähnlichen Ort befand.
Die Polizeipatrouillen hatten sämtliche Nebenstraßen im Distrikt überprüft. Sogar ein Hubschrauber hatte auf der Suche nach dem Wagen die Gegend in ständig größer werdenden Kreisen überflogen. Der Küstenstreifen war von Tauchern abgesucht worden. Auch die Parkhäuser hatte man durchforstet. Aber alles war ohne Ergebnis geblieben, weswegen es gar nicht unwahrscheinlich klang, dass der Wagen in einer Scheune stand.
Suzanne erhob sich.
»Ich muss jetzt mal wieder an die Arbeit«, sagte sie. »Wie geht’s denn eigentlich Line?«
»Gut«, erwiderte Wisting mit einem Räuspern. »Ich glaube, es geht ihr sogar ziemlich gut.«
Suzanne schien noch etwas sagen zu wollen, besann sich aber. Wisting war dankbar dafür. Was mit Line passiert war, ließ sich nicht so leicht erörtern.
Suzanne trat auf den Tresen zu.
»Viel Glück«, sagte sie. »Mit allem. Grüß sie von mir.«
»Ruf mich an, falls dieser Mann erneut auftaucht«, sagte er und nickte. Er öffnete den Umschlag und nahm den kleinen Papierzettel heraus. Die Zahlen auf dem Ausdruck des Kassenterminals sagten ihm nichts. Er wusste, dass sie sich nun an die Kartengesellschaft wenden mussten, um die Identität der Person zu klären, die sich hinter der Zahlenkombination verbarg. Lange hatte er auf einen Durchbruch in der Hummel-Sache gehofft. Jetzt musste er bis Montag warten.
Schon um Viertel vor sieben am Montagmorgen betrat Wisting das Präsidium. Am Abend zuvor hatte er Line dabei geholfen, ein paar Fensterrahmen anzustreichen. Reste von weißer Farbe klebten noch immer an seinen Händen.
Auf dem Weg hinauf zur Kriminalabteilung nickte er ein paar müden Polizeibeamten zu, die erschöpft an ihren Computern saßen und die letzten Berichte über nächtliche Vorkommnisse im Polizeibezirk verfassten.
Wisting nutzte die Zeit bis zum Dienstbeginn der anderen Ermittler, um den Hummel-Fall noch einmal durchzusehen. Während er las, versuchte er, die Farbreste mit den Fingernägeln von den Händen abzukratzen.
Ihm war bewusst, dass er mit Hilfe einer neuen Information die ganze Geschichte aus einem anderen Blickwinkel betrachten könnte. Was zuvor unbedeutend erschienen war, könnte unter Berücksichtigung einer neuen Hypothese äußerst wichtig werden. Er blätterte durch die Unterlagen und suchte nach etwas, das bisher ungeklärt war und sich von anderen Fakten abhob; Zufälligkeiten, hinter denen sich womöglich wichtige Zusammenhänge verbargen.
Was im Hummel-Fall unter anderem auffällig war, waren die Fernfahrten. Mindestens einmal pro Woche hatte Jens Hummel lange Fahrten nach Kristiansand oder Oslo unternommen. Natürlich konnten das Zufälle sein. Normale Abweichungen von statistischen Gesetzmäßigkeiten. Das Interessante an diesen Fahrten war jedoch, dass sie bar bezahlt und nicht über die Taxizentrale vermittelt worden waren. Kollegen gegenüber hatte Hummel gescherzt, er fahre eine reiche alte Dame, die ihre Verwandten in Südnorwegen besuche. Niemand hatte diese Frau je zu Gesicht bekommen, und auch der Polizei war es nicht gelungen, sie ausfindig zu machen.
Wisting stieß auch dieses Mal auf keine Informationen, die den Fall in einem neuen Licht erscheinen ließen. Auch die Suche nach dem Wort Scheune im elektronischen Verzeichnis für eingegangene Tipps aus der Bevölkerung führte zu keinem konkreten Ergebnis.
Die Bürotür stand offen, und sobald jemand die Abteilung betrat, horchte Wisting auf. Um zehn vor acht erkannte er die Schritte von Nils Hammer und hörte, wie er zu seinem Büro am Ende des Gangs schlurfte.
Hammer hatte sich in letzter Zeit darauf spezialisiert, elektronische Spuren zu finden und zu verfolgen. Erfolgreich hatte er sich den neuen Anforderungen angepasst. Ermittlungsmethoden, die es nicht gab, als Wisting und Hammer bei der Polizei angefangen hatten, waren inzwischen sehr bedeutsam geworden.
Wisting erhob sich von seinem Schreibtisch und ging zu Hammer hinein. Der kräftige Ermittler hatte aus der Wache einen Plastikbecher Kaffee mitgenommen, an dem er nun nippte, während er sich ins polizeiinterne Datensystem einloggte.
Wisting legte den Ausdruck des Kartengeräts vor Hammer auf den Tisch.
»Wie schnell kannst du herausfinden, wer mit dieser Karte bezahlt hat?«, fragte er.
Hammer stellte den Kaffeebecher zur Seite, hob den Papierzettel auf und warf einen Blick darauf.
»Wie sehr eilt es denn?«, fragte er.
»Wer diese Karte benutzt hat, weiß vielleicht, wo sich Jens Hummel befindet«, erwiderte Wisting.
Nils Hammer richtete sich auf.
»Gib mir zwei Stunden«, bat er und trank den Kaffee in einem Zug aus.
Wisting drehte sich um und wollte zurück in sein Büro gehen.
»Wie lief’s denn übrigens mit ihr?«, fragte Hammer unversehens.
»Von wem redest du?«, fragte Wisting und überlegte, ob Hammer wohl Line gemeint hatte.
»Unsere Polizeijuristin«, erwiderte Hammer mit einem Grinsen. »Bei der sind ja alle Lichter ausgegangen.«
»Alles gut«, beruhigte Wisting ihn. »Sie musste sich wohl mal ordentlich besaufen.«
Während er zu seinem Büro hinüberging, musste er an den Morgenkaffee denken, den er mit Christine Thiis eingenommen hatte, und lächelte in sich hinein.
Jetzt standen die üblichen Routineaufgaben an. Wisting machte sich an den Stapel mit Berichten und Anzeigen vom Wochenende. Die sommerliche Beschaulichkeit schien sich auch auf die Kriminalstatistik auszuwirken. Mit Ausnahme zweier Einbrüche in Restaurants, ein paar betrunkener Autofahrer und eines in Brand gesteckten Bootes war nichts weiter vorgefallen.
Als Wisting den Aktenstapel fast durchgearbeitet hatte, tauchte Christine Thiis auf.
»Vielen Dank noch mal«, sagte sie und sah ihn schüchtern an. »Dass du mich nach Hause gefahren hast.«
Wisting tat ihre Bemerkung mit einer Handbewegung ab.
»Hast du in der Hummel-Sache was Neues rausgekriegt?«, fragte sie und setzte sich.
»Das wird sich noch zeigen.«
Er berichtete von dem Kartengerät und der seltsamen Reaktion des Karteninhabers auf den Zeitungsartikel, erwähnte dabei aber nicht Suzanne. Sie hatte ihn zwar nicht darum gebeten, aber er hatte Christine Thiis nicht erzählt, mit wem er sich treffen wollte, und sah auch jetzt keine Veranlassung, Suzannes Namen zu erwähnen.
Christine Thiis stand auf.
»Du hast da ’nen weißen Fleck«, sagte sie und zeigte auf eine Stelle an seiner Wange.
Wisting berührte sein Gesicht.
»Vom Anstreichen«, erwiderte er und zeigte ihr seine Hände. »Vermutlich werde ich in den kommenden Wochen noch häufiger so aussehen.«
Christine Thiis lächelte, trat auf den Gang und schloss die Tür hinter sich.
Wisting widmete sich wieder seinen Papieren. Es dauerte fast zwei Stunden, bis die Tür erneut geöffnet wurde. Hammer kam herein und setzte sich.
»Die Bankkarte gehört einem Aron Heisel«, sagte er und schob Wisting einen Ausdruck zu.
Wisting zog den Papierbogen zu sich hin. Abgesehen von der Kontonummer war auch ein Geburtsdatum aufgeführt, aber keine Adresse. Wisting rechnete aus, dass Aron Heisel achtundvierzig Jahre alt sein musste.
»Und wer ist dieser Aron Heisel?«, fragte er und spähte auf die restlichen Papiere, die Hammer noch auf dem Schoß liegen hatte.
Hammer zeigte ihm zwei Fotos aus dem Polizeiregister, aufgenommen von vorn und von der Seite. Es war eine jüngere Ausgabe des Mannes, den Suzanne beschrieben hatte. Er hatte schmale Schultern, eine flache Nase, eine Lücke zwischen den Vorderzähnen und die Andeutung dunkler Ringe unter den grauen Augen.
Wisting fragte Hammer, wieso der Mann auf dem Foto bei der Polizei registriert sei.
»Er wurde als Haupttäter verurteilt, nachdem die Polizei 1997 außerhalb von Drammen eine große illegale Schnapsfabrik ausgehoben hat. Dann wurde er abermals gefasst und 2002 wegen Alkoholschmuggels verurteilt, und dann galt er vor drei Jahren in einem weiteren Fall als Verdächtiger, wurde aber strafrechtlich nicht belangt.«
»Und was treibt er jetzt?«
»Der letzte bekannte Aufenthaltsort ist irgendwo außerhalb von Marbella in Spanien.«
Wisting nickte. Er kannte diese Stadt. Vor einiger Zeit hatte er sich zusammen mit Torunn Borg dienstlich dort aufgehalten.
»Jetzt ist er allerdings wieder in Norwegen«, fuhr Hammer fort und legte eine umfangreiche Transaktionsliste auf den Tisch.
»Die Karte wurde an verschiedenen Orten in Spanien benutzt«, sagte er und fuhr mit dem Zeigefinger über die Einträge. »Das letzte Mal am 12. Juli am Flughafen Málaga. Und danach in Norwegen, wie du hier siehst.«
Wisting inspizierte den Ausdruck. Die Karte war am Tag zuvor im REMA-1000-Supermarkt in Holmejordet benutzt worden. Der Laden lag an der Straße, die nach Stavern hineinführte. Wisting hielt dort selbst häufiger an, um nach der Arbeit einzukaufen.
Er suchte seine Lesebrille, fand sie aber nicht. Mit zusammengekniffenen Augen studierte er die weiteren Einträge auf der Liste. In einem Baumarkt war ein größerer Einkauf getätigt worden, dann war eine Mahlzeit in einem der Restaurants in Indre havn verzeichnet, und ein größerer Betrag war in einem Laden für Elektrogeräte ausgegeben worden. Außerdem gab es mehrere Besuche bei Suzanne im Goldenen Frieden. Mit Ausnahme der Rechnung vom letzten Cafébesuch waren alle anderen kurz nach Mitternacht bezahlt worden. Die darauffolgende Transaktion war stets bei Vestfold Taxi erfolgt.
Wisting blickte auf und spürte, dass er von neuem Eifer gepackt wurde.
»Wir können ihn finden«, sagte er und zeigte auf eine Zeile, die eine der Taxifahrten dokumentierte. »Irgendjemand hat ihn nach Hause gefahren.«
Hammer brauchte drei Stunden, um einen Taxifahrer ausfindig zu machen, der sich daran erinnerte, Aron Heisel gefahren zu haben. Die ersten beiden Fahrer, mit denen er gesprochen hatte, konnten sich weder an eine entsprechende Tour noch an den speziellen Fahrgast erinnern, doch der dritte erkannte Aron Heisel auf dem Foto und berichtete, dass er ihn an zwei aufeinanderfolgenden Abenden gefahren hatte. Beide Male war der Fahrgast in Huken ausgestiegen.
Die Fahrt vom Polizeipräsidium dauerte zehn Minuten. Für Wisting war Huken immer nur irgendein Ortsname auf der kurvenreichen Landstraße gewesen, die hinaus nach Helgeroa führte.
Wisting verlangsamte das Tempo, als sie sich dem Ort näherten. Hammer beugte sich auf dem Beifahrersitz vor und betrachtete die Umgebung. Zuerst kamen sie zu einem neueren Wohnhaus, das auf einem alten Bauernhofgelände errichtet worden war. Auf einem Trampolin im Garten hüpften ein paar Kinder herum, während zwei ältere Jungen in der Nähe standen und an einem Moped schraubten. Dicht an der Straße lag eine alte Werkstatt oder eine Garage für Lastwagen, ein Stückchen dahinter standen ein paar rote Schuppen. Aber keine Scheune.
»Lass uns weiterfahren«, schlug Wisting vor.
Sie kamen an einer eingezäunten Wiese vorbei, auf der mehrere Pferde weideten. Ein Mann stand auf einer Leiter und strich die Stallwand an. Auf einem offenen Platz stand ein Traktor mit angehängtem Holzspalter neben einem großen Stapel Holzscheite. Etwas weiter entfernt spiegelte sich das Sonnenlicht in den übrig gebliebenen Fensterscheiben einer stillgelegten Gärtnerei. An einer Haltebucht an der Straße gab es eine Milchrampe und ein blaues Schild, das verriet, dass es sich um eine Bushaltestelle handelte.
»Hier«, sagte Hammer. »Hier hat er ihn abgesetzt.«
Hinter einer niedrigen Mauer führte ein schmaler, beinahe völlig überwucherter Weg in den Wald hinein.
Wisting bog von der Straße ab. Wie ein Insektenschwarm erhob sich eine Vogelschar von einem dichtbelaubten Baum. Der Wagen holperte durch Schlaglöcher und über Grasbüschel. Ein breiter Graben mit stehendem Gewässer verlief an der linken Seite des Wegs. Die Oberfläche war von grünem Schleim bedeckt. Nur hier und dort konnte Wisting ein paar Stellen dunklen Wassers ausmachen.
Der Wald wurde dichter, dann öffnete sich die Landschaft wieder. Der Weg endete an einem verlassenen kleinen Bauernhof. Dicht am Waldrand stand eine abrissreife Scheune. Die meisten Dachziegel fehlten, so dass das Gebäude wie ein von Geiern halb abgenagter Kadaver aussah.
Wisting lenkte den Wagen vor das Wohnhaus und hielt an. Zwischen dem Haus und der Scheune standen zwei Schuppen mit Wellblechdächern. Hagebutten und ein paar Büschel lila Fingerhut wuchsen um sie herum.
Wisting stieg aus und schloss die Wagentür. Hammer ließ seine geöffnet. Nur das sommerliche Surren von Insekten, die über dem hohen Gras schwirrten, war zu hören.
Irgendwann vor langer Zeit war das Wohnhaus einmal weiß gestrichen gewesen. Jetzt war es grau und heruntergekommen. Überreste von Regenrohren hingen an den Hausecken. Es gab keine Vorhänge, und eine zerbrochene Fensterscheibe war durch eine Holzplatte ersetzt worden.
Wisting ging zur Tür und klopfte an. Ohne eine Reaktion abzuwarten, trat er an das nächstgelegene Fenster, hielt die Hände an die Scheibe und spähte hinein. Eine blaugestrichene Küche. Teller, Tassen und Gläser standen im Abwaschbecken. Auf der Arbeitsplatte lagen Plastiktüten, leere Flaschen und alte Pizzaschachteln. Wisting konnte eine Ameisenstraße sehen, die von einer der Schachteln zur Abschlussleiste führte. Auf dem Tisch lag eine Zeitung neben einem Kaffeebecher.
»Keiner zu Hause?«, fragte Hammer hinter Wistings Rücken.
»Nein, aber irgendwer wohnt hier«, erwiderte Wisting. Er klopfte an die Scheibe und rief »Hallo!«, ging dann zurück zur Tür und drückte die Klinke herunter. »Abgeschlossen«, stellte er fest und wandte sich der halb eingesunkenen Scheune zu. »Lass uns mal sehen, ob wir da vielleicht reinkommen.«
Sie schritten durch das hohe Gras und blieben vor der großen Doppeltür in der Mitte der Stirnseite stehen. Ein kleines Holzstück war in den Boden gerammt worden und blockierte die Tür. Hammer stieß es mit dem Fuß weg.
Die Tür glitt ein paar Zentimeter auf, war aber von innen mit einem Riegel versehen.
Eine weitere Tür war ebenfalls verriegelt. Rechts und links daneben gab es kleine Sprossenfenster. Der Fensterkitt war weitgehend eingetrocknet und weggebröselt, die Scheiben wurden von kleinen Stiften gehalten, die nach innen zum Glas hin gebogen waren.
»Wir können hier nicht wieder wegfahren, ohne das vorher zu überprüfen«, sagte Hammer und kratzte mit dem Finger an dem übrig gebliebenen Kitt.
Wisting nickte und verharrte schweigend vor der Tür, während Hammer zurück zum Wagen lief und einen Eiskratzer holte. Diesen schob er hinter die Stifte und bog sie nach außen. Nach kurzer Zeit konnte er eine der Scheiben herausnehmen. Er steckte die Hand durch die Öffnung und löste die Fensterhaken von innen.
Wisting hielt das Fenster auf, während Hammer sich hochhievte und hineinkroch. Wisting konnte Hammer fluchen hören, dann kratzte irgendetwas von innen an der Wand entlang und fiel schließlich herunter. Der Riegel wurde zur Seite gezogen, und die Scheunentür glitt auf. Wisting öffnete sie weit und spähte in die große Scheune. Der Geruch von Heu schlug ihnen entgegen. Einige wenige Lichtstreifen drangen durch Schlitze in den Wänden. Nach einer Weile gewöhnten sich ihre Augen an die schummrige Dunkelheit, und der Raum nahm Form an. An einer der Querwände gab es zwei Türen, links neben der Haupttür stand ein geschlossener Anhänger mit Doppelachse und vier Rädern. In der Ecke dahinter befanden sich ein Stapel Heuballen und eine Palette mit weißen Plastikkanistern. An den Wänden hingen Heugabeln, Spaten, Harken, eine Sense und andere Gerätschaften. Zusammen mit alten Milcheimern waren diverse Traktorteile in die andere Ecke geworfen worden.
Mitten in der Scheune stand ein Fahrzeug. Es war mit einer grauen Plane bedeckt, die nicht ganz bis zum Boden herunterreichte.
Wisting trat näher heran. Seine Füße wirbelten feinen Staub auf, der in der Nase kitzelte.
Hammer packte die Plane und zog sie herunter. Ein schwarzer Volvo V60 mit Taxischild auf dem Dach kam zum Vorschein. Die Ordnungsnummer des Taxis lautete Z-1086. Jens Hummels Wagen.
Ohne etwas zu berühren, beugte Wisting sich über die Frontscheibe und blickte in den Wagen. Der Schlüssel steckte im Zündschloss. Eine halbleere Colaflasche stand in der Mittelkonsole. Auf dem Beifahrersitz lagen ein Paar Lederhandschuhe und ein und zur Hälfte aufgegessenes, verschimmeltes Baguette in einer Plastikverpackung.
Hammer zog die Plane vollständig ab, trat hinter den Wagen und öffnete den Kofferraum.
»Leer«, sagte er und trat wieder neben Wisting.
Die beiden Ermittler blieben zwei Meter neben dem Wagen stehen und betrachteten ihn. Wisting verspürte ein Kribbeln; der Hummel-Fall stand kurz davor, wieder aufgerollt zu werden. Er zog sein Handy hervor, um Mortensen anzurufen, damit eine forensische Untersuchung der Scheune und des Wagens vorgenommen werden konnte. Außerdem musste die Suche nach Hummel organisiert werden. Da er sich nicht im Wagen befand, schien es eher unwahrscheinlich, dass er woanders in der Scheune gefunden werden würde, aber der alte Bauernhof würde den Ausgangspunkt für die Suche bilden. Sie mussten Bäche und Flussbetten absuchen, in Schluchten, Kiesgruben und alten Brunnen nachsehen. Alle Orte, an denen eine Leiche versteckt sein konnte.
Bevor Wisting dazu kam, Mortensens Nummer zu wählen, klingelte sein Handy. Es war Suzanne.
Er meldete sich mit Nachnamen und merkte gleich, wie formell und abweisend er klang.
»Er ist jetzt hier«, flüsterte sie in den Hörer. »Der Typ, der Hummels Taxi in einer Scheune gesehen hat. Er sitzt jetzt hier bei mir im Café.«
Line trat zwei Schritte zurück, strich sich mit dem Handrücken den Pony aus der Stirn und betrachtete die Wohnzimmerdecke. Die frische Farbe glänzte. Nachdem das Zimmer jetzt weiß war, wirkte alles viel größer. Line warf einen Blick auf die gelbbraune Holzverkleidung im Flur. Die musste bis morgen warten, dachte sie. Jetzt hatte sie eine Pause verdient.
Sie reinigte die Pinsel, packte die Malutensilien weg und schälte sich aus dem weißen Overall.
Ihr Vater hatte versprochen, die Decke am Nachmittag zu streichen, und würde jetzt wohl wütend reagieren, wenn er sähe, dass sie es bereits getan hatte. Natürlich nicht wirklich wütend, aber es würde ihm nicht gefallen. Nicht angesichts ihres Zustandes. Aber sie wollte unbedingt fertig werden, und außerdem enthielt die Farbe keine schädlichen Lösungsmittel oder andere gefährliche Stoffe.
Automatisch legte sie die Hand auf ihren großen Bauch. Fast acht Monate. Schon bevor das Kind geboren war, hatte es Lines Leben verändert. Sie hatte die Lust aufs Großstadtleben verloren und war in die bekannte und sichere Umgebung ihres Heimatortes zurückgekehrt. Hatte den spannenden Job als Journalistin aufgegeben, bei dem Tempo und Erwartungen zu hoch waren, als dass er sich mit dem Leben als Mutter eines kleinen Kindes vereinbaren ließ. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn es da jemanden gegeben hätte, mit dem sie die Verantwortung teilen konnte. Aber so war es nicht.
Line trat an den Kühlschrank und nahm eine Flasche heraus, die sie zuvor mit Wasser aus dem Hahn gefüllt hatte. Während sie trank, stellte sie sich in die Wohnzimmertür und blickte in den Raum. Da sie schon einmal dabei war, sollte sie eigentlich auch die Fensterrahmen ein zweites Mal streichen, aber das musste vorerst warten.
Nur wenig erinnerte noch daran, wie das Zimmer aussah, als sie das Haus übernommen hatte, und dennoch würde sie sich niemals ganz von der Erinnerung an den Mann befreien können, der hier tot in seinem Sessel gefunden worden war. Zu der Geschichte des Hauses gehörte außerdem, dass sich ein anderer Mann Ende der sechziger Jahre im Keller erhängt hatte, kurz nach dem Bau des Hauses.
Line erschauderte bei diesen Gedanken und legte die Hand beschützend auf den Bauch. Noch immer fühlte es sich eigenartig an, dass er so groß war, aber sie hatte Glück gehabt. Es war nur der Bauch. Sie hatte nicht viel zugenommen und fühlte sich körperlich fit. Jetzt tat ihr der Rücken ein wenig weh, aber das kam hauptsächlich vom Anstreichen. Abgesehen davon hatte sie so viel Energie wie schon lange nicht mehr.
Sie stellte das Wasser zurück in den Kühlschrank und ging ins Badezimmer. Line bereute, dass sie kein Geld dafür ausgegeben hatte, das Haus renovieren zu lassen, bevor sie eingezogen war. Sie hatte das Haus weit unter Marktwert erstanden, und mit dem Verkauf ihrer Wohnung in Oslo war ihre finanzielle Situation eigentlich recht entspannt.
Sie zog sich aus und betrachtete ihren Bauch aus verschiedenen Blickwinkeln. Noch nie war er so stramm wie jetzt gewesen; sie konnte sogar die Bewegungen des Kindes verfolgen, wenn es sich rührte. Line lachte leise und legte die Hand auf eine kleine Beule, die sich unter der Bauchhaut abzeichnete. War es eine Hand? Ein Fuß?
An die Geburt wollte sie am liebsten nicht denken. Die würde in vier Wochen erfolgen, und Line grauste es davor. Sie hatte ein wenig darüber gelesen, wusste aber nicht, ob es hilfreich gewesen war. Sie würde es einfach nehmen, wie es kam, dachte sie und richtete den Blick auf ihr Gesicht im Spiegel. Zwei weiße Flecken auf der rechten Wange und einer am Hals. Sie rieb sie weg, wusch sich die restliche Farbe von den Händen und trat in die Dusche.
Eine halbe Stunde später saß sie im Wagen und fuhr stadteinwärts. Angesichts des ständig wachsenden Bauchs war es gar nicht so einfach, passende Kleidung zu finden. Normalerweise lief sie in Jogginghose oder Tunika herum, jetzt aber hatte sie ein helles und bequemes Kleid angezogen, das hoch über dem Bauch zusammengebunden wurde und einen weiten Rock hatte.
Der Verkehr zog sich träge Richtung Zentrum, wo die meisten kleinen Straßen in den Sommermonaten gesperrt waren oder als Fußgängerzonen dienten. Normalerweise fand sie eine freie Parklücke in einer der weniger befahrenen Seitenstraßen, doch an diesem Tag musste sie auf den gebührenpflichtigen Parkplatz ausweichen, der auf dem Gelände des ehemaligen Tennisplatzes angelegt worden war.
Line hoffte, einen freien Tisch vor dem Goldenen Frieden oder einem der anderen Cafés zu ergattern, die auch draußen servierten. Zuerst wollte sie aber dem kleinen Einrichtungsladen an der Ecke Skippergata und Verftsgata einen Besuch abstatten. Ein Ort mit sehr angenehmer Atmosphäre. Jedes Mal, wenn sie dort hineinging, bekam sie neue Ideen für die Gestaltung ihres Zuhauses. Neben allerlei Einrichtungsgegenständen verkauften sie dort auch Schmuck und Kleidung.
Auf den Straßen wimmelte es wie üblich von Menschen. An einer der kleinen Marktbuden blieb sie stehen und sah sich ein paar handgefertigte Schmuckstücke an, ging aber weiter, bevor der Verkäufer sie ansprechen konnte.
Line nahm die Sonnenbrille ab, als sie den Einrichtungsladen betrat. Auch hier waren viele Leute, aber die Luft war kühler als draußen. Alle Regale waren mit spannenden Sachen gefüllt: Duftkerzen, Spiegel, Rahmen, Uhren, Zierkästchen, Becher, Bilder, Kissen, Decken, Tassen, Teller, Lampen, Schreibtafeln, Kleiderhaken, Schilder, Kerzenhalter, Holzkisten, Töpfe, Eimer und Kleinmöbel.
Der Nostalgietrend, bei dem alle Möbel alt und gebraucht aussahen, langweilte Line ein wenig. Sie suchte nach einem eher modernen und klaren Stil, gleichwohl war es ihr wichtig, dass alles ihren persönlichen Geschmack widerspiegelte. An die Wände würde sie ihre eigenen Bilder hängen. Sie konnte gut mit der Kamera umgehen und fühlte sich ebenso sehr als Fotografin wie als Journalistin. Am meisten freute sie sich darauf, im Keller ein Arbeitszimmer einzurichten. Vor ihrem geistigen Auge sah sie eines in einem schlichten Stil, mit modernen Lampen, stählernen Archivschränken und von ihr selbst produzierten Titelseiten in Rahmen an den grauen Kellerwänden.
Sie entdeckte eine hübsche Wanduhr mit römischem Zifferblatt. Gerade als sie das Preisschild inspizieren wollte, stieß jemand mit ihr zusammen.
»Entschuldigung!«
Eine Frau in ihrem Alter mit hochgeschobener Sonnenbrille und einem Kind auf dem Arm legte vorsichtig eine Hand auf Lines Bauch.
»Alles in Ordnung?«
Line lächelte und nickte, streckte abermals die Hand nach der Uhr aus, doch dann wanderte ihr Blick zurück zu der Frau. Das Gesicht kam ihr irgendwie bekannt vor.
»Bist du Line?«, fragte die andere Frau. »Line Wisting?«
Line lächelte abermals, legte den Kopf ein wenig schräg zur Seite und runzelte die Stirn.
»Ich bin Sofie«, kam die andere ihr zu Hilfe. »Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Du erinnerst dich wohl nicht an mich, aber ich kenne dich aus der Zeitung. Also ich meine, ich hab viel gelesen, was du geschrieben hast.«
Plötzlich erinnerte Line sich.
»Sofie Mandt«, sagte sie. »Du bist weggezogen, als wir in die siebte Klasse gingen oder so.«
»Fünfte«, korrigierte die andere. »Und ich heiße jetzt Lund. Das ist Maja.« Sie kitzelte ihre Tochter unter dem Kinn. Das rief ein gurgelndes Lachen und zwei tiefe Lachfältchen hervor.
»Bist du verheiratet?«, fragte Line und streichelte der Kleinen über den Kopf.
»Nein, Lund ist der Mädchenname meiner Großmutter«, erklärte Sofie. »Es gibt nur Maja und mich.«
Line hatte nicht übel Lust, ihr zu erzählen, dass sie auch alleinstehend war, ließ es aber sein.
»Seid ihr hier im Urlaub?«, fragte sie stattdessen.
Sofie Lund schüttelte den Kopf.
»Ich bin gerade hierher zurückgezogen«, erklärte sie.
»Ich auch!«, entfuhr es Line. »Ich habe fünf Jahre in Oslo gelebt, aber das reicht jetzt.« Sie legte eine Hand auf den Bauch. »Ich habe ein Haus in Varden gekauft«, fuhr sie fort. »In derselben Straße, in der ich aufgewachsen bin. Ich bin gerade beim Renovieren.«
Sofie deutete auf Lines Bauch.
»Wann ist es so weit?«
»Ende August«, erwiderte Line und sah das Mädchen auf Sofies Arm an. »Wie alt ist sie?«
»Im Mai ist sie ein Jahr alt geworden«, sagte Sofie und ließ das Mädchen auf den Boden herunter. Die Kleine machte ein paar unsichere Schritte, fasste nach dem Bein ihrer Mutter und hielt sich daran fest.
»Wo wohnt ihr denn?«, fragte Line.
»Im Zentrum«, antwortete Sofie und nickte in Richtung ihres Hauses.
Line ging in die Hocke und unterhielt sich ein wenig mit Maja. Als sie nach Oslo gezogen war, hatte sie nach und nach den Kontakt zu alten Freunden verloren und neue unter den Arbeitskollegen gefunden. Sie war sich bewusst, dass es nun eine Weile dauern würde, einen neuen Freundeskreis aufzubauen. Das hier könnte ein schöner Anfang sein.
»Wollen wir zusammen einen Kaffee trinken?«, fragte sie und erhob sich wieder.
Sofie Lund antwortete nicht sofort. Sie betrachtete ein kleines Schild, auf dem stand, dass das Leben wie Fahrradfahren sei. Um das Gleichgewicht zu halten, müsse man einfach immer weitermachen.
»Gern«, sagte sie schließlich und legte das Schild wieder weg.
Bevor sie das Geschäft verließen, warf Line einen Blick auf das Preisschild der Wanduhr. Fast zwölfhundert Kronen. Wenn die Uhr nach dem Sommer noch da wäre, würde sie sie vermutlich zum halben Preis bekommen.
Ein junges Paar erhob sich von einem der Tische vor dem Goldenen Frieden. Line und Sofie steuerten darauf zu. Am Nebentisch saß ein Mann mit Schirmmütze. Er rückte ein wenig zur Seite, um Platz für Maja und den Kinderwagen zu machen.
Line ging hinein, um zu bestellen. Suzanne stand hinter dem Tresen, aber die Bestellung wurde von einer der jungen Angestellten aufgenommen. Mit zwei Caffè Latte und zwei Stück Kuchen trat Line wieder auf den Bürgersteig.
Die beiden Frauen unterhielten sich über oberflächliche Dinge: das Wetter und die Hitze, das Menschengewimmel, die Touristen und über alte Klassenkameraden.
»Weshalb bist du zurückgezogen?«, fragte Line.
Sofie hielt ihr halb ausgetrunkenes Kaffeeglas in der Hand.
»Ich habe ein Haus geerbt«, erwiderte sie. »Von meinem Großvater mütterlicherseits. Außerdem passte mir ein Umzug gut in den Kram. Ich wollte wohl was Neues anfangen.«
»Wer war denn dein Großvater?«, fragte Line, merkte aber gleich, dass Sofie die Frage unangenehm war.
»Frank Mandt«, sagte Sofie schließlich. »Ich hatte nicht sonderlich viel Kontakt zu ihm. Er ist im Winter gestorben.«
Line wusste genau, wer Sofies Großvater gewesen war. Die meisten Einwohner von Stavern wussten das.
»Und du?«, fragte Sofie und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. »Warum bist du hierher gezogen?«
»Weil ich schwanger wurde«, erklärte Line. »Das Leben, das ich in Oslo geführt habe, war eng mit meiner Arbeit bei VG und den Kollegen dort verbunden. Mit Ausnahme des Jobs verbindet mich nicht viel mit dieser Stadt. Außerdem wollte ich, dass sie hier aufwächst.«
Sofie blickte auf Lines Bauch.
»Es wird ein Mädchen?«
Line nickte und dachte an den winzigen Körper, den sie in sich trug. Wenn es stimmte, was sie gelesen hatte, dann war er jetzt über vierzig Zentimeter groß und wog zweieinhalb Kilo.
»Was ist mit dem Vater?«, fragte Sofie.
»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte Line. »Er war schon wieder verschwunden, bevor ich überhaupt wusste, dass ich schwanger bin.«
»Geht ja auch ohne«, meinte Sofie. »Majas Vater ist geblieben, hat sich dann aber mehr für andere Frauen interessiert. Mir geht’s besser ohne ihn.«
»Bei mir war das etwas anders«, sagte Line. »Ich bin ihm im Zusammenhang mit meiner Arbeit begegnet. Er ist ein amerikanischer Polizeibeamter, der hier letztes Jahr vor Weihnachten an einem Fall gearbeitet hat.«
Sofie brach in Lachen aus und zeigte auf Lines Bauch.
»Dann ist das das Ergebnis eines One-Night-Stands?«
Line musste ebenfalls lachen und merkte, wie gut das tat.
»Es war nicht nur eine Nacht«, betonte sie. »Er war zwei Wochen hier.«
»Aber du wolltest es behalten?«
»Ich bin neunundzwanzig«, sagte Line und nickte. »Und sie ist definitiv nicht unerwünscht.«
»Hast du noch Kontakt mit ihm, diesem Amerikaner? Weiß er es?«
»Ja, sicher. Wir bleiben übers Internet in Verbindung. Er hat angeboten, hierher zu ziehen, um bei uns zu sein, aber das wäre nicht richtig. Er hat da drüben einen wichtigen Job.«
Ein Wagen kam durch die Fußgängerzone gefahren. Nur widerwillig wichen die Passanten zur Seite aus. Line setzte ihr halbleeres Kaffeeglas ab und sah den Wagen auf der anderen Straßenseite an den Rand des Bürgersteigs rollen und anhalten. Der Mann, der aus dem Wagen stieg, blieb stehen und spähte zu ihnen herüber. Es war ihr Vater.
Wisting wartete, bis Hammer ausgestiegen war, und überquerte dann die Straße. Er konnte gerade noch registrieren, dass Line an einem der Tische vor dem Goldenen Frieden saß, bevor der Mann am Nachbartisch aufstand. Er zog sich die Mütze tiefer ins Gesicht, schob den Kinderwagen zur Seite und entfernte sich mit schnellen Schritten.
Sein Gesicht war nicht zu erkennen, aber Größe, Alter und die schmalen Schultern passten zu der Beschreibung von Aron Heisel. Allein an ihrem Auftreten musste der Mann Wisting und Hammer als Polizisten erkannt haben. Die wachsamen Blicke auf die Umgebung verrieten sie; jedenfalls merkte das ein Mensch, der auf der Hut war.
»Hallo!«, rief Wisting und folgte dem Mann, der ihm den Rücken zugekehrt hatte. »Einen Augenblick, bitte!«
Der Mann wechselte das Tempo und lief schneller. Er schien auf ein Motorrad zuzusteuern, das mit einem am Lenker befestigten Helm in der Nähe abgestellt war. Als Wisting ihn erneut anrief, hielt er einen Augenblick inne und schlug dann eine andere Richtung ein.
»Stehen bleiben!«, rief Wisting und beschleunigte seine Schritte. »Polizei!«
Die in der Nähe befindlichen Passanten drehten sich neugierig um und blickten dem Mann nach. Er warf einen schnellen Blick über die Schulter, stieß ein paar Kinder zur Seite und lief weiter.
Wisting rannte ihm hinterher. Sein Hemd rutschte aus der Hose, die Hemdzipfel flatterten im Wind.
Der Mann lief die Dronningens gate entlang und bog in die erste Seitenstraße zur Rechten ab. Als Wisting die Ecke erreichte, war er bereits im Menschengewimmel verschwunden. Wisting glaubte schon, ihn verloren zu haben, als er plötzlich einen Blick auf die Schirmmütze und den weißen Pullover des Mannes erhaschte. Der Mann drängte sich rücksichtslos an Familien mit kleinen Kindern und den anderen Fußgängern vorbei. Er stolperte über ein Fahrrad mit Stützrädern und fiel zu Boden, rappelte sich aber schnell wieder auf.
An der nächsten Straßenecke bog er nach rechts ab und rannte hinunter zum Kai, wich dann aber unverhofft nach links aus und lief über einen Kinderspielplatz. Als er sich nach Wisting umdrehte, stolperte er abermals. Wisting beschleunigte seine Schritte und holte den Mann am Café Vaffelboden ein, packte seinen Arm, doch der Mann riss den Arm so heftig zurück, dass Wisting mit dem Kopf gegen einen Laternenmast prallte. Der Schmerz durchzuckte seinen ganzen Körper, und er spürte, dass ihm Blut an der Wange herunterlief. Der Mann setzte seine Flucht fort und rannte am Kai entlang.
Wisting konnte nicht sehen, woher Nils Hammer kam, doch der Kollege schoss plötzlich von der Seite heran, warf sich auf den Mann und brachte ihn zu Fall, so dass er über die Kaikante stürzte und im Wasser landete. Hammer drohte ebenfalls hineinzufallen, gewann aber rechtzeitig das Gleichgewicht wieder.
Einige Gäste der nahegelegenen Straßencafés standen auf, um nachzusehen, was passierte. Einen Moment lang sah es so aus, als wolle der Mann weiter hinausschwimmen, dann aber schüttelte er resigniert den Kopf und griff nach seiner Mütze, die im Wasser trieb. Mit drei Zügen schwamm er zurück zur Kaikante, wo Wisting und Hammer ihn herauszogen.
»Aron Heisel?«, fragte Wisting.
Der Mann nickte und blieb mit den Händen auf den Knien vornübergebeugt stehen. Das Wasser tropfte von ihm herunter.
»Wieso sind Sie abgehauen?«, wollte Hammer wissen.
Aron Heisel holte tief Luft und schluckte, gab aber keine Antwort.
»Wir müssen uns über Jens Hummel und sein Taxi unterhalten«, erklärte Wisting.
»Es stand da einfach«, sagte der Mann erschöpft. »Mehr weiß ich nicht. Es stand einfach da.«
Ein Streifenwagen kam auf sie zugefahren. Hammer winkte ihn zu sich, die neugierigen Zuschauer wichen zur Seite.
»Bringt ihn auf die Wache und sorgt dafür, dass er was Trockenes zum Anziehen bekommt«, bat Wisting die Kollegen.
»Ich hab nichts Unrechtes getan«, protestierte Heisel.
»Das werden wir dann sehen«, erwiderte Wisting und fasste sich an den Kopf. Auf seinen Fingerspitzen blieb Blut zurück, und er spürte, dass sich bereits eine hübsche Beule gebildet hatte.
Einer der uniformierten Polizisten öffnete eine der hinteren Wagentüren und schob Heisel hinein.
»Der kann jetzt erst mal ruhig vor sich hin schmoren«, meinte Hammer.
Wisting nickte. Dass Heisel eine Weile warten musste, bevor er vernommen würde, war für die Polizeibeamten nur von Vorteil.
»Ich möchte noch mal zurück zu der Scheune«, sagte Wisting und sah zu, wie der Streifenpolizist die Autotür hinter Heisel schloss. »Ich glaube sowieso, dass uns der Wagen mehr Antworten geben kann als er.«
Line stellte ihr leeres Kaffeeglas ab.
Maja war unruhig geworden. Sie wollte nicht im Kinderwagen sitzen, kam aber auch auf dem Schoß der Mutter nicht zur Ruhe. Sie wand sich wie ein Aal und fing an zu jammern.
»Sie ist müde«, erklärte Sofie. »Wir gehen jetzt mal nach Hause, damit sie sich ausruhen kann. Möchtest du vielleicht mitkommen?«
Line spähte in die Richtung, in die ihr Vater und Nils Hammer verschwunden waren, aber es sah nicht so aus, als würden die beiden so schnell wieder zurückkommen. Sie fragte sich, worum es wohl ging. Wenn ihr Vater am Abend bei ihr vorbeischaute, würde sie hoffentlich mehr erfahren.
»Gern«, erwiderte sie.
Sofie legte Maja in den Kinderwagen und manövrierte ihn durch das Wirrwarr aus Tischen und Stühlen.
Der Spaziergang dauerte nicht länger als fünf Minuten. Das Mandt-Haus lag am sogenannten Pumpenpark. Dieser hatte seinen Namen von einer Wasserpumpe zwischen den hohen Birken, zu der die Menschen in alten Zeiten hingekommen waren, um Wasser zu holen, Kleider zu waschen und den neuesten Klatsch zu erfahren. Jetzt stand dort ein Fotograf und schoss Bilder von einem jungen Paar.
Die Eingangstür lag auf der Rückseite des Hauses. Sofie schloss auf und hob dann Maja aus dem Wagen. Line folgte ihnen. Es roch nach Putzmittel, der weißgestrichene Dielenboden glänzte. An den Wänden standen Kisten mit allerlei Hausrat, die noch nicht ausgepackt waren.