Blutige Tränen - Simon Rhys Beck - E-Book

Blutige Tränen E-Book

Simon Rhys Beck

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Beschreibung

Auf einem alten Friedhof entdeckt Alex eine geheimnisvolle Steinplatte. Als er sie anhebt, öffnet sich ein Tunnel vor ihm, der in den Abgrund führt. Neugierig beginnt er, den Tunnel zu erkunden. Doch am Ende des Ganges erwartet Alex eine Welt, die ihn nicht mehr freigeben wird ... Seine letzte Hoffnung sind seine Freunde Brian und Gabriel. Werden sie ihn rechtzeitig finden? Blutige Tränen ist der dritte Teil der Vampirtrilogie um Alexander de Dahomey.

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Simon Rhys Beck

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2015

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© gromovataya – fotolia.com

© jag_cz – fotolia.com

4. Auflage 2015

ISBN 978-3-934442-08-5

ISBN 978-3-943678-25-3 (epub)

To Patrick

&

Michael

My

Love goes with you

Through the trouble that may be

This could be heaven

or

1

Es war eine der ersten lauen Nächte im April. Die Sterne zierten den tiefschwarzen Himmel und beleuchteten sanft den alten, verwitterten Friedhof, die bröckelnden Steinplatten, das wild wuchernde Gesträuch.

Alex seufzte zufrieden. Er hatte sich hierher zurückgezogen, um ein wenig nachzudenken. Er wusste, dass Brian diesen Platz mied, wenn es ihm möglich war. Nicht, dass er Brian nicht gern an seiner Seite hatte, doch der hübsche, sanfte Vampir wusste immer, wenn ihn etwas bedrückte. Und in diesem Moment hatte er keine Lust, darüber zu reden.

Seine Schritte waren kaum hörbar auf dem alten Kies, der die Wege bedeckte. An vielen Stellen hatte sich das Gras bereits durchgesetzt und die kleinen Steine beiseitegeschoben. Alex witterte Artgenossen auf diesem Friedhof und lächelte. Sie waren jung und unerfahren. Offensichtlich dachten sie, die vampirische Existenz sei nur auf einem alten Friedhof möglich, wahrscheinlich zogen sie sich beim Morgengrauen in ihre Särge zurück, in ihre Gräber, unwissend, welcher Luxus ihnen entging.

Alex selbst bewohnte eine noble Stadtvilla in einem teuren Londoner Viertel. Er wusste, dass er bald umziehen musste; er war schon zu lange sesshaft. Irgendwann würden seine Nachbarn misstrauisch werden.

Er würde London wieder für einige Zeit den Rücken kehren müssen, und das nagte an seinem Herzen. Er wollte nicht weg. London war seine Heimat.

Seufzend setzte er sich auf einen alten, verwitterten Grabstein und starrte in den Himmel. Er würde mit Brian reden müssen – und mit Gabriel. Ob Letzterer allerdings mit ihm kommen würde, stand noch in den Sternen. Ein leises, entferntes Huschen verriet ihm, dass ein Vampir aus seinem dunklen Versteck gekrochen war, um zu jagen. Alex grinste unwillkürlich – sie bemerkten seine Anwesenheit nicht einmal.

Plötzlich fiel ihm eine merkwürdige, kreisrunde Steinplatte ins Auge. Er hatte sie vorher noch nie gesehen. Sie maß vielleicht drei oder vier Fuß im Durchmesser und war mit alten, fremden Zeichen versehen. Alex stand auf und trat auf die Platte zu. Ein Grabstein? Er beugte sich nach vorn, um die Zeichen zu entziffern, doch zu seiner Überraschung stellte er fest, dass er sie nicht lesen konnte.

Was um alles in der Welt waren das für Zeichen, was für eine Sprache, dass er sie nicht kannte?

Er kniete sich neben die Steinplatte und grub seine Finger in die lockere schwarze Erde, um die Dicke des Steines festzustellen. Und wieder wurde er überrascht, als er bemerkte, dass der Stein sich mühelos hochheben ließ.

Alex runzelte die Stirn. Wie konnte eine so massive Steinplatte sich so leicht bewegen lassen? Ohne zu zögern, hob er den Grabstein an und sah in einen Tunnel, der tief in die Erde hinein führte. Neugierig und ohne Angst steckte er seinen Kopf in das undurchdringliche Schwarz – als er plötzlich mit Schrecken spürte, wie er in diesen seltsamen Tunnel hineingesogen wurde. Er versuchte, sich zurückzuziehen, doch es ging nicht mehr! Unerbittlich wurde er in die Tiefe gezogen.

Alex fiel kopfüber in das dunkle Loch, er fiel und fiel, ohne eine Möglichkeit, seinen rasanten Sturz zu stoppen. Hart eckte er verschiedentlich an, stieß sich schmerzhaft an Vorsprüngen, die er nicht einmal hatte ausmachen können in der atemberaubenden Geschwindigkeit.

Nach einer schier endlosen Zeit des freien Falls schlug er unsanft auf dem Boden auf. Und während er darüber nachdachte, ob es angebracht sei, eilig aufzuspringen, um möglichen Angreifern zu entkommen, bemerkte er schon die Beine neben sich. Es waren mindestens drei Männer, die ihn umstellten, ihre kräftigen Waden steckten in derben Lederstiefeln.

Alex versuchte, sich auf die Füße zu kämpfen, als kräftige Hände ihn packten. Er wand sich, versuchte, sich ihren Griffen gewaltsam zu entziehen – doch es war zwecklos. Diese Männer – wer immer sie auch waren – hatten ihn in ihrer Gewalt.

Sie können keine Menschen sein, schoss es Alex durch den Kopf. Er strampelte wie wild, versuchte erneut, sich loszureißen. Doch eine raue Hand packte ihn im Nacken.

»Ruhig bleiben. – Wir wollen uns doch vertragen, oder?«

Alex blickte dem Mann ins Gesicht. Es war nicht hässlich, nur ein wenig breitflächig. Mit kleinen, aber recht gutmütigen Augen. Der Mann lächelte sogar – doch um seine Lippen spielte ein ebenso unerbittlicher Zug.

Alex beendete seine Gegenwehr. »Wer seid ihr?«

Doch sein Gegenüber schüttelte den Kopf. »Nur Wächter.«

Sie packten ihn ein wenig härter und nahmen ihn mit. Zerrten ihn ewig lange Steingänge entlang, durch die Dunkelheit, die nur vom Licht einiger Fackeln ein wenig erhellt wurde.

Alex ließ sich mitziehen, willenlos, wie eine Puppe. Er wusste, dass er im Moment keine Chance zur Flucht hatte.

Am Ende des Ganges stieß der mit den gutmütigen Augen mit dem Fuß eine Tür auf.

Alex wurde unsanft in einen kleinen Raum befördert. Eine Zelle, wie er sofort feststellte, er landete auf allen Vieren.

»Warte«, sagte der Mann, wieder lächelte er schmal. »Nicht aufregen.«

»Aber ...«, wollte Alex einwenden.

Doch der Mann legte in einer untypisch weichen Geste einen Finger auf die Lippen.

Alex schwieg. Was war bloß passiert? Wo war er jetzt hineingeraten? In die Hölle vielleicht, Satans Unterschlupf? In ein geheimes Versteck der Altehrwürdigen, die nun endlich auf seine Unverfrorenheiten reagierten?

Er dachte darüber nach, was die alten Vampire vielleicht hätte verärgern können in der letzten Zeit – doch es wollte ihm einfach nichts einfallen. Alle grüblerischen, melancholischen Gedanken waren aus seinem Gehirn verschwunden. Was hatte das hier zu bedeuten?

Die dicke Steintür fiel hinter ihm ins Schloss. Er hörte die dumpfen Schritte der Männer, die sich entfernten. Das konnte doch alles nicht wahr sein!

Alex setzte sich auf, lehnte sich gegen die kühle Steinwand seines Gefängnisses und sah sich um. In dem kleinen, quadratischen Raum befand sich absolut nichts, kein Fenster, keine Liege – nichts. Alex blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten. Zu warten, bis die Wächter wiederkamen. Er spürte den Zorn in sich, der langsam zu köcheln begann. Lange sollten sie ihn besser nicht warten lassen.

Als die mächtige Steintür aufgerissen wurde, war Alex sofort auf den Beinen. Zwei der Wächter traten in Alex’ Zelle, füllten sie mit ihren riesigen Körpern fast vollständig aus. Zu seinem Bedauern bemerkte er, dass der Mann mit den gutmütigen Augen nicht dabei war. Diese zwei starrten ihn kühl an, fassten ihn sofort unsanft an den Armen und zerrten ihn mit sich. Wieder durch die dunklen, kalten Steingänge, durch eine beängstigende Stille. Ihre Schritte hallten auf dem Steinboden, Alex fühlte sich um Jahrhunderte zurückversetzt, in eine Zeit, die er längst vergessen hatte.

Er erschauderte leicht.

Sie erreichten eine weitere große, mit Eisenbeschlägen verzierte Tür, hinter der sich eine breite, ebenfalls steinerne Treppe verbarg.

Scheinbar mühelos schleppten die beiden Kerle Alex die Treppe hinauf. Er wehrte sich nicht, wusste, dass es zwecklos sein würde. Er war mittlerweile sogar gespannt darauf, wo sie ihn hinbrachten.

Oben angekommen hielt Alex für einen Augenblick den Atem an. Ein riesiges, prunkvolles Portal eröffnete sich ihm, seine Wächter schleiften ihn achtlos hindurch. Und doch sah er all den Reichtum, die herrlichen alten Bilder – die ihm alle seltsam fremd erschienen.

Sie traten durch eine weitere goldverzierte Tür, hinein in einen großen, rot-dunkel schimmernden Saal, in dessen hinterem Teil, auf einem kleinen Podest, ein Thron stand.

Am Rande nahm Alex die Diener wahr, die sich in die Ecken des Saales drückten. Unter seinen Füßen – ein dunkles Gestein mit einem leicht rötlichen Schimmer, das er noch nie zuvor irgendwo gesehen hatte. Die Atmosphäre verwirrte ihn; er musste sich zwingen, den Mann anzuschauen, der entspannt auf dem prächtigen Thron saß und ihn mit einer kühlen Neugier musterte.

Er war sehr groß, das konnte Alex bereits so erkennen. Eine lange weiße, mit schwarzen und roten Strähnen durchzogene Mähne fiel glatt auf seinen breiten Rücken. Die Augen des Herrschers – denn er musste der Herrscher sein – waren schwarz, doch tief in ihnen glomm ein kaltes Feuer. Sie waren wie zwei Abgründe in dem kantigen, sehr männlichen Gesicht.

Die beiden Wächter traten an den Thron heran und gingen auf die Knie, wobei sie Alex mit nach unten rissen. Dieser stöhnte leise, als er heftig auf dem Boden aufschlug.

»Was soll das?« fauchte er ungehalten, die Tatsache missachtend, dass er sich in Gegenwart eines Herrschers befand.

Doch er wurde auf dem Boden gehalten.

Mit einem kalten, verachtenden Blick begegnete er den noch immer neugierigen Augen des Mannes auf dem Thron. Dieser erhob sich langsam, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und stieg gemächlich die drei Stufen hinunter, bis er direkt vor Alex stand.

Er war in der Tat monströs groß, wie Alex feststellen musste. Und durch seine demütige Haltung kam er Alex noch größer vor.

»Ich bin erstaunt, sehr erstaunt, dass ein Wesen wie du sich in mein Reich verirrt hat.« Der Herrscher baute sich vor Alex auf, er schien seinen Auftritt zu genießen.

Dieser nutzte einen Moment der Unaufmerksamkeit seiner beiden Bewacher, riss sich los und sprang auf die Füße. Er reichte dem Herrscher vielleicht gerade bis zur Schulter, doch er funkelte ihn empört an.

»Ich verlange eine Erklärung! – Wo bin ich hier? Was soll das alles?«

In seinem Zorn bemerkte Alex nicht, wie die Diener erstarrten, wie selbst seine beiden Wächter blass wurden.

Das Lächeln auf dem Gesicht des Herrschers blieb bestehen, doch mit einer winzigen Handbewegung befahl er den Mann zu sich, der sich bisher im Hintergrund aufgehalten hatte: den Mann mit den gutmütigen Augen.

»Astaran – entferne ihn von hier. Er wird lernen müssen, zu gehorchen. Ich werde mich selbst darum kümmern.«

Alex wollte widersprechen, doch er wurde nun wieder von seinen Wächtern gepackt, die ihn – sein wütendes Schreien ignorierend – davonschleppten.

2

Brian stürmte in die Wohnung, die Julian seit einiger Zeit bewohnte. Sie war luxuriös eingerichtet, dabei keineswegs modern kühl. Julian schien Brians Liebe zu alten Dingen geerbt zu haben.

Nur einige wenige Lampen erhellten den Flur und die Küche, während das Wohnzimmer von Kerzen in sanftes Licht getaucht wurde.

Brian wusste, dass Julian nicht allein war – er hatte sowohl ihn als auch seinen Gast schon lange gewittert.

Ohne weitere Anmeldung stand er plötzlich mitten im Raum. Julian saß auf einem seiner neuen, dunklen Sessel, er trug noch die Hose seines maßgeschneiderten grauen Anzugs, nur das Jackett und die Krawatte hatte er abgelegt. Sein weißes Hemd war bis zur Hälfte aufgeknöpft. Auf seinem Schoß saß ein schlanker blonder Junge. – Gabriel, wie Brian sofort erkannte.

Ihr Verhältnis hatte sich im letzten Jahr, nachdem Gabriel wieder aufgetaucht war, gewandelt, geradezu ins Gegenteil verkehrt. Gabriel hatte sich zu Julians Lustknaben entwickelt. Und er schien das im Moment zu brauchen – Julians Schutz und die Möglichkeit, sich anzulehnen. Obwohl dieser nicht besonders glücklich darüber war. Aber er spielte das Spiel mit, für Gabriel.

Der junge Vampir hatte sich verändert. Merkwürdig verändert. Er war scheu und zurückhaltend wieder aufgetaucht, weigerte sich beharrlich, über sein Verschwinden zu sprechen. Vielleicht hatte er sich Julian anvertraut – doch weder Alex noch er, Brian, hatten Julian etwas entlocken können.

Als Julian Brian sah, küsste er Gabriel sanft auf die Wange und schob ihn von seinem Schoß herunter. Er stand auf, strich sich die Kleidung nachlässig glatt und trat auf Brian zu.

»Guten Abend, Brian«, seine Stimme war dunkel und samtig.

Er trat auf seinen Vater zu und umarmte ihn zur Begrüßung. Der harte Körper des Vampirs war ihm über die Jahre hinweg vertraut geworden.

»Julian, Gabriel ...« Brian nickte Gabriel zu, der es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte. In seinen bernsteinfarbenen Augen leuchtete ein unruhiges Feuer. Und Brian fragte sich, ob er vielleicht langsam den Verstand verlor.

»Ist irgendetwas?«, fragte Gabriel.

Brian nickte. Er wusste nicht, wo er anfangen sollte. »Alex ist verschwunden«, platzte es schließlich aus ihm heraus.

Julian setzte sich bedächtig zurück in den Sessel. Er war in den letzten Jahren gereift, erwachsen geworden. Hatte seine jugendlichen Drogeneskapaden augenscheinlich gut verkraftet. Etwas Besonnenes haftete allem an, was er tat.

»Ist das etwas Ungewöhnliches?«, fragte er vorsichtig.

Brian nickte wieder, tigerte nervös durch den Raum. Er blieb stehen, sah gedankenverloren aus dem Fenster. »Alex war so nachdenklich in letzter Zeit, so ... ach, ich weiß nicht.«

»Traurig? Niedergeschlagen?« fragte Julian.

Doch Brian schüttelte den Kopf. »Nein, nur nachdenklich.«

»Was willst du tun?« Gabriel klang ein wenig gereizt. »Vielleicht hat sich der Herr nur eine Auszeit genommen?«

Brian sah ihn stirnrunzelnd an, doch er schwieg.

Julian wusste, dass er gern etwas Boshaftes erwidert hätte, doch sie alle wussten um Gabriels labilen Zustand. Keiner brach einen Streit mit dem jungen, launischen Vampir vom Zaun.

»Ich wollte nur wissen, ob ihr ihn vielleicht gesehen habt. Ob ihr mit ihm gesprochen habt ...«

Doch Julian schüttelte den Kopf. »Meinst du, es könnte ihm etwas zugestoßen sein?«

Brian erstarrte, eine kalte Angst umklammerte sein Herz. Er zuckte mit den Schultern. Hoffentlich nicht, dachte er.

»Wenn ihr irgendetwas erfahrt, bitte sagt mir sofort Bescheid«, bat er. Er schenkte Julian ein bittersüßes Lächeln. »Tut mir leid, dass ich euch gestört habe ...«

Julian erwiderte seinen Blick. In ihm lag noch immer die Sehnsucht, die ihn vor ein paar Jahren fast um den Verstand gebracht hatte. Aber Brian war standhaft geblieben. Er hatte sich seinem Sohn nicht wieder sexuell genähert, obwohl der Verzicht auch für ihn schmerzhaft war.

»Du störst nie, Brian.« Julian spürte Brians inneren Aufruhr, und obwohl er gern mit Gabriel allein gewesen wäre, um an der Stelle weiterzumachen, an der sie eben aufgehört hatten, sagte er: »Bleib bei uns, wenn du möchtest.«

Brian wäre so gern geblieben, doch er schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln.

Aber als er schließlich allein in der alten Villa saß, fühlte er die Einsamkeit, die drohte, ihn gefangen zu nehmen. Claudia und George, die Hausangestellten, schliefen tief und fest. Wenn er sich konzentrierte, konnte Brian den tiefen, gleichmäßigen Herzschlag der Nacht hören.

Er stützte den Kopf auf die Hände und versuchte, gar nicht zu denken. Was ihm aber nicht gelang. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu Alex. Wo war er bloß? Warum hatte er ihn allein gelassen? Und plötzlich bemerkte Brian, wie unglaublich einsam er war. Er war ein Nichts ohne Alex, es war, als existierte er gar nicht. Alles war leer und still. Als hätte die Erde plötzlich aufgehört sich zu drehen.

Alex, wo bist du?

Doch er bekam keine Antwort. Nichts. Nur Stille und – gähnende Leere. Nicht einmal ein Widerhall von Alex’ Seele. Das konnte doch nicht sein, oder? Alex konnte sich doch nicht einfach in Luft auflösen!

3

Alex stand gebeugt, die Fesseln seiner Handgelenke waren mit denen seiner Fußgelenke zusammengekettet. Das Eisen schnitt sich unangenehm in seine Haut. Er kam sich vor wie ein Schwerverbrecher.

Astaran sah ihn prüfend an. Seine gutmütigen Augen zeigten gelinden Spott. »Wie ungeschickt von dir.«

Alex funkelte ihn wütend an. »Wer ist er? Und wo zur Hölle bin ich hier gelandet?«

»Er wird deine Fragen beantworten«, sagte Astaran. »Wenn du gelernt hast, die Fragen richtig zu stellen.«

Er zog Alex hinter sich her, hinein in einen düsteren Raum. Alex stockte der Atem; er hatte mit einem Blick erkannt, dass er in eine Folterkammer geführt wurde. Er stolperte ungeschickt.

Schaurige Utensilien hingen an den Wänden und Alex vermutete, dass die unzähligen, verschiedenen Peitschen noch die geringste Pein verursachten.

»Sag mir wenigstens, wie er heißt.«

Astaran schüttelte den Kopf und löste Alex’ Fesselung, aber nur, um ihn fest gegen die Wand zu pressen – eine Demonstration seiner Kraft. Und er war verdammt kräftig.

»Zieh dich aus.«

Als Astaran Alex’ inneren Widerstand spürte, fügte er hinzu: »Vergiss es, Vampir. Vergiss lieber alles.«

Alex begann, sich auszuziehen. Langsam – es erinnerte ihn an eine Szene, die sich vor ein paar Jahren abgespielt hatte. Nur damals war er nicht verprügelt worden. Und genau das stand ihm bevor, befürchtete er. Und das ist wahrscheinlich noch das Beste, dachte er zähneknirschend.

Astaran wartete geduldig, und als Alex nackt war, drängte er ihn wieder gegen die kalte Steinwand. Er presste Alex’ Gesicht gegen die rauen Steine; mit dem Knie spreizte er Alex’ Beine, fixierte seine Fußgelenke in den eisernen Vorrichtungen, ebenso wie seine Handgelenke.

Mit gespreizten Armen und Beinen stand Alex nun an der Wand und fühlte sich so hilflos wie schon lange nicht mehr.

»Habe ich nicht das Recht zu erfahren, wie mein Foltermeister heißt?«, fragte er rau.

»Lance«, antwortete eine dunkle Stimme. Astaran war verschwunden.

»Ich hatte auf Luzifer getippt«, sagte Alex sarkastisch.

Er hörte das leise Lachen des Herrschers hinter sich. »Glaubst du etwa an die Hölle?«

Alex schüttelte den Kopf. »Nein, aber ...« Er spürte Lances große, schwere Hand in seinem Nacken.

»Du bist nicht in der Hölle – aber es kann gleich höllisch für dich werden.«

Alex schnaubte unwillig. »Wer bist du? Warum bin ich hier?«

Lances Hand verschwand aus seinem Nacken, allerdings nur, um mit einem kräftigen Schlag zurückzukehren. Alex’ Gesicht flog gegen die Wand.

»Ich glaube, wir sollten uns auf einen angemessenen Tonfall einigen!«

Alex knirschte wieder mit den Zähnen, er spürte, wie sich die Abschürfungen in seinem Gesicht schlossen. Eine solche Behandlung würde er sich nicht lange gefallen lassen.

»Wie heißt du, Vampir?«

»Alexander«, antwortete Alex trotzig.

»Spar dir deinen Trotz«, warnte Lance. »Du fragst, warum du hier bist? – Du bist zu neugierig gewesen, du hast doch deinen Kopf in den Tunnel gesteckt. Oder etwa nicht?«

»Ach, leck mich!« entfuhr es Alex. Und im selben Moment bereute er es schon. Er hatte nicht gesehen, dass Lance bereits eine der Peitschen in der Hand hielt. Diese sauste auf seine Haut hinunter.

Alex entfuhr ein Schrei. Er riss an seinen eisernen Fesseln, doch mittlerweile war ihm klar, dass er sie – trotz seiner vampirischen Kräfte – nicht sprengen konnte.

Lance lachte dunkel. »Je lauter du schreist, desto heftiger werde ich dich schlagen«, verkündete er boshaft und holte zum nächsten Schlag aus.

Alex biss die Zähne zusammen.

»Also, gibst du zu, dass du es warst, der in unsere Welt eingedrungen ist?«

Alex schüttelte den Kopf. »So ein Quatsch! Ich bin doch nicht gesprungen, ich ...«

Wieder klatschte ein heftiger Schlag auf seinen Rücken. Zischend presste Alex die Luft zwischen seinen Zähnen hindurch. Gut, würde er eben nichts mehr sagen. Stoisch ertrug er den Schmerz.

Doch bereits nach ein paar Minuten überlegte er es sich anders. Die Hiebe auf seiner Haut brannten unerträglich, er hatte es aufgegeben, die Heilung zu beschleunigen. Blut lief an seinem Rücken herab – doch Lance schien daran Gefallen zu finden.

»Hör auf«, keuchte er erschöpft. »Hör auf, ich sage alles, was du willst.«

Lance lachte. »Nenn mich Herr, Vampir! Wie es alle hier tun.«

»Herr«, presste Alex zwischen den Zähnen hervor, es fiel ihm sichtlich schwer. »Herr, hört auf!«

»Das hört sich doch schon besser an«, bemerkte Lance anerkennend. Doch die Peitsche sauste mit unverminderter Härte auf Alex hinunter.

Dieser biss sich auf die Unterlippe, bis sie blutete. Was um alles in der Welt sollte er denn noch tun?

Er spürte, wie sich die Welt um ihn herum aufzulösen begann, er war nahe daran, das Bewusstsein zu verlieren.

»Was soll ich tun?«, schrie er und bäumte sich auf. Die Fesseln hielten ihn unerbittlich an seinem Platz.

»Du wirst lernen, dich zu benehmen, Alexander«, sagte Lance bestimmt. »Und wenn ich dich dafür jeden Tag auspeitschen muss.«

Alex keuchte. »Ja, Herr – alles, was Ihr wollt.«

Jemand betrat den Raum, Alex hörte die fremden Schritte. Dann wurden seine Fesseln gelöst. Er fiel zu Boden wie ein nasser Sack, rappelte sich jedoch sofort wieder auf. Lance war verschwunden, stattdessen war nun einer der anderen Diener da. Er war ebenfalls groß, kräftig gebaut, und Alex vermutete, dass auch er über weit mehr als die menschlichen Kräfte verfügte. Obwohl in seinen Adern Blut floss – das hatte Alex sofort gerochen.

»Setz dich her«, sagte der Diener nun und deutete auf einen kleinen, abgeschabten Holzschemel, der vor ihm stand.

Alex tat wie ihm geheißen. Es konnte ja fast nicht schlimmer werden.

Der Mann begann, das Blut von Alex’ Rücken zu waschen. Die Wunden schlossen sich bereits wieder, doch der Schmerz blieb.

Als er damit fertig war, befahl er: »Anziehen. Ich werde dir dein Quartier zeigen.«

Alex gehorchte. Was passierte hier mit ihm? Warum bekam er jetzt ein Quartier zugewiesen? Er hatte tausend Fragen, doch diese zu stellen, wagte er vorerst nicht. Er hatte in den Jahrhunderten seiner Existenz gelernt, dass es sich manchmal als vorteilhaft erwies, wenn man abwarten konnte.

Alex folgte dem breitschultrigen, schweigsamen Mann hinauf in die oberen Stockwerke. Dort wurde ihm ein Zimmer zugewiesen, das ihm weitaus angenehmer schien als die kalte, graue Gefängniszelle. Ein breites Bett aus dunklem Holz nahm einen Großteil des Raumes ein, dichte, schwere Teppiche bedeckten den Fußboden und die Wände, dämpften ihre Schritte.

»Du bist kein Gast, Vampir. Vergiss das nicht.«

Alex starrte den Mann schweigend an. Wie sollte er das vergessen?

Müde ließ er sich auf das Bett fallen und schloss für einen Moment die Augen. Noch immer jagten Schmerzen durch seinen geplagten Körper. Wäre er ein Mensch gewesen, er hätte Tage gebraucht, um sich von der Tortur zu erholen.

Er hätte am liebsten ein wenig geschlafen, doch dafür war er viel zu angespannt. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Und das Frustrierende war, dass er genau wusste, wie sinnlos diese gedanklichen Anstrengungen waren. Augenblicklich konnte er nur abwarten.

Sie ließen ihm nicht viel Zeit, sich zu regenerieren. Ohne anzuklopfen, trat Astaran herein.

»Lance möchte dich jetzt sehen.«

Alex richtete sich langsam auf und stützte sich auf die Ellenbogen. »Sehen oder schlagen?«

Die Mundwinkel des Dieners zuckten amüsiert, doch er ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »An deiner Stelle würde ich meine Zunge hüten.«

Er nahm Alex mit einem kraftvollen Griff am Arm und zog ihn mühelos aus dem Bett.

»Ich kann durchaus alleine aufstehen«, protestierte Alex wütend.

Doch Astaran schleppte ihn mit sich hinunter in den großen, düsteren Saal, in dem Lance wieder auf seinem Thron saß. Mit einem kräftigen Stoß beförderte er den Vampir vor den prachtvollen Herrschersessel. Alex stolperte, hielt sich jedoch tapfer auf den Beinen. Er kochte schon wieder vor Wut.

Lance stand langsam auf und trat auf Alex zu.

»Runter, auf die Knie«, befahl er ernst und bestimmt.

Alex widerstrebte es zutiefst, doch er wusste mittlerweile, dass er sich gegen Lance nicht auflehnen konnte. Aber diesem war Alex’ Zögern bereits aufgefallen.

Er lächelte kalt und schlug Alex unvermittelt heftig ins Gesicht.

»Jeder kniet hier vor mir – du wirst dich daran gewöhnen müssen.«

Alex ging auf die Knie, sein Gesicht brannte. Einem Menschen hätte ein solcher Schlag in das Gesicht eines Vampirs unweigerlich die Hand gebrochen, aber Lance hatte wenig Menschliches an sich. Doch noch schmerzhafter als der eigentliche Schlag traf Alex die Demütigung, vor den anderen so behandelt zu werden.

Wie zur Entschuldigung strich Lance mit den Fingerspitzen über Alex’ brennende Wange, fuhr über die kühlen Lippen des Vampirs.

Dieser schloss die Augen, sein Mund war trocken. Irgendetwas an Lance zog ihn magisch an, obwohl er es hasste, so beherrscht zu werden. Er hasste es, zu knien.

Lance war überheblich und arrogant – und trotzdem ...

Der Fürst lachte leise und nahm wieder auf seinem Thron Platz.

»Komm her, auf meinen Schoß«, sagte er seidig.

Alex runzelte die Stirn. »Ich bin weder eine Katze noch ein Lustknabe.«

»Das werden wir ja sehen. – Komm her. Ihr habt doch – als Vettern der Wölfe – etwas Animalisches in eurem Blut. Es wird dir nicht schwererfallen auf meinem Schoß zu sitzen als dem letzten deiner Art, den ich eingefangen hatte. Nun, vielleicht ein wenig, denn das letzte Exemplar war ein bisschen geschmeidiger als du.«

Alex horchte auf. Lance hatte schon einmal einen Vampir in seiner Gewalt gehabt? »Kenne ich den?«

Lance klopfte mit der flachen Hand auf seinen Oberschenkel. Widerwillig nahm Alex auf den muskulösen Beinen Platz. Er kam sich albern und schwach vor. Und schwach war er in der Tat, angesichts von Lances mächtigem Körper.

»Ich weiß nicht, ob du ihn kennst.« Seine große Hand strich ein paar Haarsträhnen aus Alex’ Gesicht. »Sein Name ist Gabriel, und er ist ein wahrer Engel.«

Alex verschluckte sich fast vor Überraschung. War das möglich? War sein Gabriel hier gewesen? Als Gefangener von Lance? War er hier gewesen, in diesem einen Jahr, in dem sie ihn überall vergeblich gesucht hatten? Ein ganzes Jahr lang waren er und Brian in der ganzen Welt herumgereist, um ihn zu finden; Alex hatte Vampire und Menschen wiedergetroffen, die er schon längst vergessen hatte. Seine Gedanken überschlugen sich fast.

»Ah, ich sehe an deiner Reaktion, dass du den Knaben kennst.«

In meinem Kopf tobten die Gedanken. Gabriel war hier gewesen! Ich war ganz sicher. Er war hier gewesen in diesem verdammten langen Jahr. Und – er war völlig verändert zurückgekommen. Ein kalter Schauder lief über meinen Rücken. Was hatte er hier erlebt?

Es beruhigte mich in der Tat im Moment wenig, dass er »lebend« wieder aufgetaucht war. Ich spürte, wie Lances Hand an meinem Oberschenkel entlangstrich und versteifte mich automatisch. Ich wollte nicht, dass er mich so berührte. Er behandelte mich wie seinen Leibeigenen.

»Der Knabe war wirklich geschmeidiger als du«, bemerkte Lance boshaft. »Aber glaub mir, das kriege ich schon hin.«

Ich erschauderte angesichts seiner Drohung. Ich wollte gar nicht wissen, was er mit Gabriel alles angestellt hatte.

Seine große, schwere Hand wanderte höher, besitzergreifend fasste er mir in den Schritt. Ich versuchte, jegliche Gefühlsregung zu unterdrücken, doch ich hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht.

Er spreizte meine Beine ein wenig und streichelte mich fast zärtlich. Ich war mir der Augen, die heimlich auf uns ruhten, unangenehm bewusst. Schließlich ließ er von mir ab.

»Du bist schon sehr alt, nicht wahr?« Sein wissender Blick durchbohrte mich förmlich.

Ich nickte knapp.

»Aber – darauf werde ich keine Rücksicht nehmen.«

Im letzten Moment unterdrückte ich ein spöttisches Grinsen. Mit Rücksicht hatte ich auch nicht gerechnet. Ich wusste, dass ich mich fügen musste – egal, was er von mir verlangte. Und er würde verlangen, dass ich zu ihm ins Bett kam. Es war besser, wenn ich mich innerlich dagegen wappnete.

Als es soweit war, fühlte ich eine schwere, undurchdringliche Kälte in mir. Sie senkte sich über mich wie der Nebel über das abendliche Moor. Ich sah mich in Lances Schlafgemach um; es war pompös eingerichtet, erinnerte mich an die Gemächer der Könige in den europäischen Schlössern; mit kostbaren Möbeln, prunkvollen Gemälden und Teppichen – und einem riesigen Himmelbett mit dunkel-transparenten Vorhängen und goldglänzenden Bettpfosten.

»Zieh dich aus und knie dich dort auf den Boden, bis ich fertig bin.«

Lances Befehl riss mich aus meinen Betrachtungen. Ich knirschte mit den Zähnen, gehorchte jedoch. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie ein Diener Lance beim Auskleiden behilflich war. Er bürstete Lances prachtvolles, ungewöhnlich gefärbtes Haar und massierte die massigen, muskulösen Schultern, bis sein Herr leise knurrte. Es war das Knurren eines Raubtiers. – Fast hätte ich gelacht in diesem Moment. Immerhin wurde ich sonst gemeinhin als Raubtier bezeichnet, und Menschen hatten Angst vor meinesgleichen! Und nun kniete ich vor einem Menschen und wartete angespannt darauf, dass er mir wieder Schmerzen zufügte. Verkehrte Welt!

Lance entließ seinen Diener schließlich, wies ihn aber an, vor dem Zimmer zu warten. Ein eisiger Schauer strich über mich hinweg, als er aufstand und zu mir herüberkam. Hastig senkte ich den Blick und starrte auf den Boden, folgte der Maserung des Marmors, auf dem ich kniete.

»Auf alle viere!«, befahl Lance. Er wanderte um mich herum, begutachtete mich intensiv von allen Seiten wie ein Tier auf einem Viehmarkt. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er mir in den Mund gesehen hätte, um meine Zähne zu kontrollieren.

Seine Größe, seine Macht, war beängstigend, vor allem, da ich mir nur zu gut vorstellen konnte, was er plante.

»Du gefällst mir, Alexander. Du hast einen perfekten Körper, aber ... du erscheinst mir ein bisschen spröde.«

Er strich mit seinem nackten Bein an meiner Seite entlang. »Wenn du dich weigerst, werde ich unangenehm. Bemüh dich gefälligst ein bisschen, dann wird es auch für dich schön.«

Dass ich nicht lachte ... Ich hob den Kopf ein wenig, um ihn zu betrachten. Ich sah, dass er nackt war und – dass er bereits sehr erregt war. Beim Anblick seiner halbaufgerichteten Männlichkeit wurde mir fast schlecht. Dieses Stück hatte den Ausdruck »Lanze« verdient. Es war wirklich eine Waffe – er würde mich damit aufspießen.

Lance sah meine Blicke und lächelte. »Keine Angst, ich kann damit umgehen.«

Ich dachte an Gabriel, an seinen schmalen, zarten Körper. Mit diesem Gerät musste er ihn förmlich zerrissen haben. Und das stand mir jetzt bevor, ob ich wollte oder nicht. – Und ich wollte nicht!

Lance hieß mich aufzustehen. Er schien weder überrascht noch enttäuscht darüber, dass ich keinerlei Anzeichen sexueller Erregung aufwies. Er wusste, dass ich kein junger, williger Bursche war – sondern ein jahrhundertealter Vampir. Und er wusste, dass er mich entehren würde.

»Leg dich dorthin.« Er wies auf das große Bett.

Ich spürte, dass er mich am liebsten auf die Matratze geworfen hätte, dass er kurz davor war, sich auf mich zu stürzen und mir Gewalt anzutun. Aber er hielt sich zurück – vielleicht hatte er doch ein wenig Respekt.

Eilig folgte er mir ins Bett. Seine Hände glitten fordernd über meinen Körper. Ich verhielt mich völlig passiv, war ausschließlich damit beschäftigt, keine Gegenwehr aufkommen zu lassen. Wie eine Puppe ...

Ich ließ zu, dass er mich wieder auf alle viere zog, dass er meinen Kopf nach unten, in eines der weichen Kopfkissen presste. Ich hatte keine Wahl.

Lance kniete sich hinter mich, seine Hände kneteten meine Rückseite. Erstaunt bemerkte ich, wie er Öl in meinem Spalt verteilte – wahrscheinlich hatte er doch Angst um seinen Schwanz.

Ich schloss die Augen und wartete auf den Schmerz. Und der kam prompt.

Obwohl Lance langsam vorging, hatte ich das Gefühl, als würde er mich in der Mitte zerreißen. Alles löste sich vor meinen Augen auf, mein Kopf schien zu explodieren. Ich war eine einzige rote Flamme ... unfähig, auch nur einen Protestlaut von mir zu geben.

»Bei Chisorus, es ist, als würde ich mich in eine Statue versenken«, stöhnte Lance.

Ich kämpfte darum, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Und es dauerte ewig, bis ich mich einigermaßen an ihn angepasst hatte. Bis ich sein Eindringen annähernd ertragen konnte. Er hatte mich derart aufgerissen, dass dunkles, zähflüssiges Blut an meinen Schenkeln herunterlief, und ich ließ es bluten, weil es den Schmerz ein wenig linderte.

»Meine Güte! Ich habe das Gefühl, mit einer jungen Hure im Bett zu sein, die ihren ersten Freier empfängt. Fehlt nur noch, dass du gleich in Tränen ausbrichst«, beklagte er sich unwirsch.

Ich schwieg wütend.

Er begrub mich unter seinem Gewicht, riss mich an sich, dass ich befürchtete, er würde meinen Brustkorb zermalmen – und störte sich nicht im Mindesten an meiner Passivität.

Als er nach Ewigkeiten mit mir fertig war, rollte er seinen großen Körper von mir herunter und betätigte eine kleine Glocke, die auf dem Nachtschrank neben seinem Bett stand. Sofort erschien sein Diener.

»Wasch ihn und bring ihn in sein Quartier.«

Langsam, betäubt stand ich auf, meine Beine fühlten sich an, als wären sie aus Gummi. Ich taumelte ein wenig. Getrocknetes Blut bedeckte die Innenseiten meiner Schenkel, doch die Wunden hatten sich geschlossen.

Lance beobachtete, wie sein Diener mit einer Schüssel voll warmem Wasser und Handtüchern zu mir trat.

»Halt dich hier fest, Alexander«, sagte Lance liebenswürdig. »Wenn du noch nicht wieder stehen kannst.«