Bossy Grump - Nicole Snow - E-Book
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Bossy Grump E-Book

Nicole Snow

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Beschreibung

Als Ward eine unbekannte Frau aus einem schrecklichen Date rettet, ahnt er nicht, dass er ihr noch einmal begegnen wird. Denn kurz darauf stellt ihm seine Großmutter, Mitinhaberin des Familienunternehmens, Paige als neue Assistenz der Geschäftsführung vor. Ward ist alles andere als begeistert und ihr gemeinsamer Start bei Brandt Ideas könnte nicht holpriger sein.

Als seine Großmutter erkrankt und ausfällt, muss Ward improvisieren, um sich bei einem wichtigen Kunden und einem Großprojekt zu bewähren. Um reifer und erfahrener zu wirken gibt er vor, mit Paige verlobt zu sein. Obwohl sich beide am liebsten gegenseitig umbringen würden, spielen sie das Liebespaar sehr überzeugend.

Doch wie geht es weiter, wenn der Deal abgeschlossen ist?


Alle Bücher der "Bad Chicago Bosses" sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. 

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Seitenzahl: 697

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Als Ward eine unbekannte Frau aus einem schrecklichen Date rettet, ahnt er nicht, dass er ihr noch einmal begegnen wird. Denn kurz darauf stellt ihm seine Großmutter, Mitinhaberin des Familienunternehmens, Paige als neue Assistenz der Geschäftsführung vor. Ward ist alles andere als begeistert und ihr gemeinsamer Start bei Brandt Ideas könnte nicht holpriger sein.

Als seine Großmutter erkrankt und ausfällt, muss Ward improvisieren, um sich bei einem wichtigen Kunden und einem Großprojekt zu bewähren. Um reifer und erfahrener zu wirken gibt er vor, mit Paige verlobt zu sein. Obwohl sich beide am liebsten gegenseitig umbringen würden, spielen sie das Liebespaar sehr überzeugend.

Doch wie geht es weiter, wenn der Deal abgeschlossen ist?

Alle Bücher der "Bad Chicago Bosses" sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. 

Über Nicole Snow

Nicole Snow ist eine Wall Street Journal und USA Today Bestseller Autorin. Sie entdeckte ihre Liebe zum Schreiben, als sie sich in ihren Mittagspausen oder in langweiligen Büromeetings Liebesszenen ausdachte und sich in Liebesgeschichten wegträumte.

Im Mittelpunkt von Nicole Snows Büchern stehen sexy Alpha-Helden, viel Spannung und noch mehr Leidenschaft.

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Nicole Snow

Bossy Grump

Aus dem Amerikanischen von Cécile Lecaux

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Grußwort

Informationen zum Buch

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KAPITEL 1: DER SCHWARZE RITTER — PAIGE

KAPITEL 2: HÖLLISCHE KOPFSCHMERZEN — WARD

KAPITEL 3: EIN BEKANNTES HÜBSCHES GESICHT — PAIGE

KAPITEL 4: DIE RETOURKUTSCHE — WARD

KAPITEL 5: SONNENBRAND — PAIGE

KAPITEL 6: ZUSAMMENBRUCH — WARD

KAPITEL 7: DRUNTER UND DRÜBER — PAIGE

KAPITEL 8: GRABESSTIMMUNG — WARD

KAPITEL 9: NOCH MEHR ÄRGER — PAIGE

KAPITEL 10: ILLUSIONEN — WARD

KAPITEL 11: EIN UNWIDERSTEHLICHES ANGEBOT — PAIGE

KAPITEL 12: NEUNZIG HARTE TAGE — WARD

KAPITEL 13: DIE BEKANNTMACHUNG — PAIGE

KAPITEL 14: DAS LEBEN IST EIN SCHIFFSWRACK — WARD

KAPITEL 15: SCHATTEN DER VERGANGENHEIT — PAIGE

KAPITEL 16: DAS LIEBE GELD — WARD

KAPITEL 17: AUSTIN — PAIGE

KAPITEL 18: DIE EINLADUNG — WARD

KAPITEL 19: HEISSE NÄCHTE — PAIGE

KAPITEL 20: FAMILIENGESCHICHTEN — WARD

KAPITEL 21: DAS SCHWIEGERMONSTER — PAIGE

KAPITEL 22: DIE AUSSPRACHE — WARD

KAPITEL 23: DER VERRAT — PAIGE

KAPITEL 24: AUS UND VORBEI — WARD

KAPITEL 25: HERZSCHMERZ — PAIGE

KAPITEL 26: TABULA RASA — WARD

KAPITEL 27: GESPRÄCH UNTER FRAUEN — PAIGE

KAPITEL 28: NEUANFANG — WARD

KAPITEL 29: DAS TROJANISCHE PFERD — PAIGE

Impressum

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KAPITEL 1: DER SCHWARZE RITTER

PAIGE

Das falsche Lächeln schmerzt, als mein Handy auf dem Tisch vibriert. Eine Nachricht von Brina.

Brina: Pssst! Wie läuft dein Date?

Ich stöhne innerlich. Das Date ist eine einzige Katastrophe.

Und sie allein ist schuld daran, dass ich mit diesem Loser hier sitze. Ich hätte es besser wissen müssen und keinen Rat von meiner besten Freundin annehmen dürfen, die gerade erst einen der heißesten und wohlhabendsten Männer von Chicago geheiratet hat.

Warum hat jeder außer mir ein tolles Leben?

Im Schutz der Tischplatte tippe ich schnell eine Antwort. Typisches Tinder-Date. Ätzend.

Paige: Du hättest heute Abend mit mir feiern sollen.

Brina: Top oder Flop?

Ich verkneife mir ein Seufzen und werfe einen Blick auf mein Gegenüber. Ich gebe mir einen Ruck und beschließe, ihm noch eine letzte Chance zu geben. Michael? Micah? Mike? Gott, ich kann mich nicht einmal mehr an seinen Namen erinnern. Wie auch immer. Er hatte markante Züge, recht breite Schultern und Beine wie ein Marathonläufer, aber das war es dann auch schon mit den Pros.

Der Mann ohne Namen kippt noch einen Whisky-Shot und knallt das Glas dann zurück auf den Tresen. Er zwinkert mir zu, als sollte ich davon beeindruckt sein, dass er der ganzen Bar seine Anwesenheit kundtun muss.

*Schulterzuck* Er ist nicht unattraktiv … wenn man auf selbstverliebte Schnösel steht.

Verdammt, wie heißt er denn noch mal? Er hat es verdient, dass ich mich wenigstens an seinen Namen erinnere, auch wenn er nur eine weitere Fußnote in der langen Liste meiner Dating-Desaster ist.

Egal.

Ich werde kreativ sein müssen und Mittel und Wege finden, ihn den Rest des Abends nicht mit Namen anzusprechen. Ich könnte so tun, als spiele ich in einer Seinfeld-Folge mit, während ich den Würgereiz unterdrücke.

Ganz langsam greife ich nach dem Glas, das vor mir auf der Theke steht, führe es zu den Lippen und nippe an meinem Wein. Das Glas ist fast leer.

Die Barfrau stellt einen weiteren Whisky-Shot vor meinem Begleiter ab und schenkt mir ein mitleidiges Lächeln. Auch dieses Glas leert der Namenlose, ohne zu zögern. Ich trinke den letzten Schluck meines Weins und überlege, wie weit das Niveau des Abends wohl noch sinken kann.

»Können wir dann jetzt los ins Kunstmuseum?«, frage ich und setze wieder ein so künstliches Lächeln auf, dass mir die Wangen wehtun.

»Moment noch, Babe. Einer geht noch.«

Babe.

Es ist das dritte Mal an diesem Abend, dass er mich so nennt, und mit jedem Mal wächst mein Widerwille. Ich starre auf mein leeres Glas. Natürlich könnte ich mir noch einen Wein bestellen, aber mit dem Namenlosen könnte ich nicht einmal mithalten, wenn mein Leben davon abhinge. Außerdem möchte ich ihm definitiv keinen Grund liefern, unseren Aufenthalt weiter in die Länge zu ziehen.

»Von einem Abstecher in eine Bar war eigentlich nicht die Rede«, sage ich.

»Mag sein, aber du hast gesagt, du wärst spontan, oder? Museen sind ja so langweilig.« Er lässt die Schultern kreisen und blinzelt, als würde er gleich einschlafen. »Den Mist ertrage ich nur, wenn ich vorher etwas Spaß hatte.«

Wow.

Glückwunsch, Paige. Wie sollte man seinen genialen neuen Job in der Kunstszene besser feiern als mit einem Kerl, der sich volllaufen lassen muss, um einen Besuch im Kunstmuseum zu ertragen?

Ich versuche wieder zu lächeln, was mir diesmal aber nicht gelingen will.

»Ach ja?«, rufe ich mit einem schnaubenden Lachen. »Warum hast du das nicht gleich gesagt? Dann hätten wir etwas anderes unternehmen können.« Dann hätte ich gleich in die andere Richtung gewischt. Leider hatte ich mich von seinem Gesülze einlullen lassen.

Nach unserem Chat hatte ich ihn für einen kultivierten, geistreichen Kunstinteressierten gehalten, der mich umhauen würde. Leider hatte sich der vermeintliche Traummann als Loser mit Alkoholproblem entpuppt.

Und jetzt?

Er hebt einen Finger und fährt sich damit über die Lippen, als hielte er das für sexy oder so was. Sobald die Barfrau wieder in Reichweite ist, bestellt er sich den nächsten Shot. Als sie sich entfernt, starrt er ihr auf den Hintern. Erst als sie aus seinem Blickfeld verschwunden ist, wendet er sich wieder mir zu.

»Ich erfülle immer alle Erwartungen, Babe.«

Babe.

Schon wieder.

Würg.

Ob auch er meinen Namen schon wieder vergessen hat? Ehrlich gesagt wäre mir das sogar ganz recht.

Ich schiebe mein Weinglas von mir, trommle mit den Fingern auf den Tresen und mustere ihn böse. Als ich dem Elend gerade ein Ende machen will, um allein zum Museum zu gehen, legt er eine schlaffe Hand auf meine.

»Okay, Babe. Schon gut. Ich habe verstanden. Noch einen allerletzten, dann ist Beethoven-Time.«

Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, ihn darauf hinzuweisen, dass Beethoven kein Künstler war – zumindest kein Vertreter der bildenden Künste.

Die Barfrau kommt und reicht ihm das Shot-Glas.

»Die Rechnung bitte«, sagt der Namenlose.

»Der Wein geht extra«, werfe ich hastig ein.

Ich will nicht, dass er mich einlädt. Eine Gelegenheit, mich zu revanchieren, wird es sowieso nicht geben.

»Nichts da«, sagt er kopfschüttelnd. »Ich übernehme das.«

»Kein Problem«, entgegne ich und ziehe meine Karte aus dem Portemonnaie.

Er legt die Hand über meine und schiebt sie weg. »Das ist unser erstes Date. Ich zahle. Ich weiß, was sich gehört.«

Na schön. Ich habe einen Alkoholiker an der Backe, dafür habe ich mir ein paar Dollar Schmerzensgeld wohl verdient.

Ich stecke die Karte wieder ein und murmele ein Dankeschön. Je weniger ich diskutiere, desto eher sind wir im Museum, und vielleicht geschieht ja ein Wunder, und es wird doch noch ganz nett, wenn wir erst dort sind.

Doch, ganz ehrlich, Kunst kann wahre Wunder wirken. Kreative Schönheit bringt in jedem Menschen das Beste hervor, auch bei Leuten mit dem kulturellen Niveau einer Krabbe. Genau deshalb habe ich mich der Kunst verschrieben und ein Kunststudium absolviert.

Nachdem er die Rechnung bezahlt hat, stützt er sich mit der Hand auf dem Tresen ab und rutscht unsicher von seinem Barhocker. Als er kurz das Gleichgewicht verliert, lacht er albern.

Weird.

»Alles okay mit dir?«, frage ich skeptisch.

Er winkt ab. »Klar. Alles supi. Ich habe einen im Kahn, aber das war ja der Sinn der Übung. Und jetzt lass uns das Gekritzel ansehen.«

Auf dem Weg zur Kunstausstellung bin ich ziemlich wortkarg. Für die Strecke, die ich für gewöhnlich in einer knappen Viertelstunde schaffe, braucht er mehr als eine halbe Stunde. Er geht irgendwie komisch und fällt immer wieder hinter mir zurück, dann wieder stolpert er mehrere Schritte vor mir her.

Spätestens jetzt sollte ich die unübersehbaren Warnsignale erkennen. Ich sollte das Date unverzüglich unter irgendeinem Vorwand beenden und das Weite suchen. Ich sollte die rosarote Brille abnehmen und mich der hässlichen Wirklichkeit stellen.

Immerhin beginnt nächste Woche meine Karriere bei Brandt Ideas, nachdem ich endlich die begehrte und gut bezahlte Stelle ergattert habe, für die ich so hart gekämpft habe, und diese Freude kann mir niemand verderben. Nicht einmal dieser Looser.

In meiner Euphorie ob der rosigen Zukunft bin ich großzügig gestimmt. Im Übrigen könnte es ja sein, dass er an einem Handicap leidet, für das er sich schämt, und deshalb so viel trinkt.

»Wir können ein Uber nehmen. Das dauert nur fünf Minuten«, schlage ich vor.

Er lacht. »Wozu? Das Wetter ist doch traumhaft heute Abend.«

»Weil dir das Gehen schwerzufallen scheint. Bist du wirklich okay?«

»Es ging mir nie besser! Ich hatte nur einen Shot zu viel.«

Welche Erkenntnis. Aber wie viele hat er eigentlich getrunken? Drei? Vier? Eigentlich nicht genug, um solche gravierenden motorischen Beeinträchtigungen hervorzurufen.

»Ganz ehrlich? Ich habe heute schon vorgeglüht.« Wieder lacht er, etwas zu dicht bei meinem Gesicht. »Liegt wahrscheinlich gar nicht an dem Whisky, sondern an dem Wodka, den ich mir zu Haus genehmigt habe.«

Allmächtiger.

Dann hatte er also schon die Lampe am Brennen, bevor wir die Bar betreten haben? Schlagartig bekomme ich kalte Füße. Ich möchte mit dem Kerl nicht an meinem Lieblingsort gesehen werden.

»Wir können den Museumsbesuch gerne verschieben.«

Er bleibt stehen und mustert mich vorwurfsvoll. »Och nee. Sag nicht, dass du schon müde bist! Wir müssen doch deine Beförderung feiern.«

Wow, fast richtig.

Das ist süß. Beinahe muss ich lächeln. Aber nur beinahe!

»Wieso?«, entgegne ich knapp. »Du hast doch selbst gesagt, dass du das Museum nur angetrunken erträgst. Du musst dich meinetwegen zu nichts zwingen, das du nicht …«

»Machst du Witze? Mir ist alles recht, Hauptsache, du bist bei mir«, nuschelt er mit einem dümmlichen Grinsen.

Ich möchte widersprechen, aber da haben wir die imposante Museumstreppe bereits erreicht.

Er nimmt meine Hand, steigt die Stufen hinauf und zieht mich hinter sich her.

Okay. Ich schätze, mein neuer Job wird doch noch gefeiert.

Heute ist viel los. Die Schlange an der vorgelagerten Kasse reicht fast bis zum Eingang. »Wir nehmen den Mitgliedereingang, das geht schneller«, sage ich.

»Wow, Babe. Du hast ein Abo beim Kunstmuseum?«, fragt er kichernd.

Ohne darauf zu antworten, mache ich einen Schritt auf die Schlange vor dem Eingang »Nur für Mitglieder« zu, und da er immer noch meine Hand hält, stolpert er hinter mir her.

Vor uns steht ein großer Mann in einem dunklen Anzug. Von hinten scheint er nur aus geraden Linien und scharfen Kanten zu bestehen. Muskelberge, gebändigt von einem teuren Designeranzug. Breite Schultern, die trotz des feinen Wollstoffs erahnen lassen, dass der Träger bei aller Kultiviertheit auch anders kann. Seiner zugleich lässigen und souveränen Haltung nach zu urteilen, besitzt er Klasse, vermutlich sieht er auch noch gut aus.

Sein dunkelbraunes Haar hat die Farbe echten türkischen Mokkas, ganz anders als das fade Braun gewöhnlichen Pulverkaffees. Es ist die Farbe der Bitterschokolade, die angesagte schicke Cafés im Kaffee zergehen lassen. Etwas Starkes, Bitteres, das man an einem frischen Abend trinkt, wenn die Nerven sirren und man sich zur Entspannung etwas Besonderes gönnen möchte.

Verdammt. Ich hätte allein herkommen und irgendwie eine Begegnung mit dem attraktiven Fremden provozieren sollen, vielleicht mit einem leichten Rempler. Aber tja, ich habe mich anders entschieden, und mal ehrlich: Fremde Männer, die einen aus Notsituationen retten wie Ritter in schimmernder Rüstung, sind eher selten.

Wir schlendern an Skulpturen aus mundgeblasenem Glas vorbei, und ich gehe auf Abstand zu dem tumben Klotz, der mich herbegleitet hat. Allerdings bereue ich das fast sofort, als der Namenlose rückwärts und beinahe in eine Vase stolpert, die mit Podest gut zwei Meter hoch sein muss.

O mein Gott!

Gott sei Dank scheint das Exponat fest am Boden verankert zu sein.

Wenn das so weitergeht, erteilt man mir an meinem absoluten Lieblingsort noch Hausverbot, und das nur wegen dieses Vollidioten! Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Kurz darauf schwankt er erneut gefährlich, und ich schiebe mich hastig zwischen ihn und eine kostbare Glasskulptur. Ich breite die Arme aus, und es gelingt mir, das Gleichgewicht zu halten und ihn zu stützen.

Ich weiß auch nicht, wie ich das geschafft habe. Es grenzt an ein Wunder – allerdings an ein völlig anderes als jenes, das ich mir für den heutigen Abend erhofft habe.

Sein peinliches Lachen schallt laut durch den Raum. Na großartig.

Einige Besucher drehen sich zu uns um, darunter auch der attraktive Unbekannte, dessen eisiger Blick sehr deutlich macht, dass er den Störenfried am liebsten ungespitzt in den Boden rammen würde.

Und wer könnte es ihm verdenken, wo mein hochnotpeinlicher Begleiter ihm den Abend versaut? Wir sind mehrmals im selben Ausstellungsraum wie er gelandet, aber diesmal sehe ich ihn das erste Mal von vorn …

Dreimal dürfen Sie raten. Er sieht noch umwerfender aus, als es seine Rückansicht hat vermuten lassen.

Seine Augen unter dem walnussbraunen Haar leuchten wie grün-blaues Glas, und sein Blick ist scharf wie ein Peitschenhieb. Seine Augen blitzen im Licht wie Messerklingen und verdunkeln sich wie die eines Tigers, der sich an seine Beute heranpirscht. Aber was mich am meisten beeindruckt, ist sein Gesichtsausdruck. Seine Züge drücken eine so herablassende Verachtung aus, dass es beinahe komisch wirkt. Er scheint ein wahrer Meister der finsteren Blicke zu sein.

Hallo, Muffelkopf. Ich freue mich auch, dich kennenzulernen.

Ich weiß selbst nicht, warum ich das so komisch finde, aber ich muss mir die Hand vor den Mund schlagen, um nicht laut loszuprusten. Heute Abend finde ich vieles komisch, das eigentlich gar nicht witzig ist. Keine Ahnung, wieso.

Vielleicht ist es ja eine Art Galgenhumor. Ich habe die Wahl zwischen Lachen oder vor Scham im Erdboden versinken.

Der Namenlose indes scheint den Mann, der ihn mit mörderischen Blicken durchbohrt, gar nicht zu bemerken und gackert albern weiter. »Nicht zu fassen. Fast hätte ich das blöde Ding umgestoßen.«

Er will sich schier ausschütten vor Lachen.

Na ja, wenigstens macht der Alkohol ihn nicht aggressiv.

»Gut, dass du mich gestützt hast, Babe. Wir sind ein gutes Team!« Er schreit so laut, dass seine Stimme von den Wänden widerhallt.

Ich will nur noch weg.

Der Typ mit dem vernichtenden Blick schüttelt den Kopf, als hätten wir ein schwerwiegendes Verbrechen begangen, und wendet sich dann hoheitsvoll ab. Ein paar andere Leute starren uns aber weiterhin an.

Verflucht. Ich habe den richtigen Zeitpunkt verpasst, mich von diesem Trottel loszusagen.

»Ich bin nicht dein Babe … mein Name ist Paige«, fahre ich ihn frostig an. Ich denke, das ist der höflichste Weg, ihn dazu zu bringen, mich nicht mehr so zu nennen. »Ich denke, wir sollten gehen. Es ist schon spät.«

»Was?« Er fischt sein Handy aus der Tasche und wirft stirnrunzelnd einen Blick auf das Display. »Es ist doch erst kurz nach acht.«

Richtig, aber besoffene Vollidioten und zerbrechliches Glas sind keine gute Kombination.

Ich wünschte, ich hätte selbst mehr getrunken, dann würde ich die Situation jetzt besser ertragen. Vielleicht könnte ich dann endlich meine Höflichkeit ablegen und ihn eiskalt abservieren.

»Dann lass uns wenigstens eine andere Ausstellung besuchen. Eine mit tonnenschweren Skulpturen oder sonst was weniger Zerbrechliches«, zische ich.

Egal, irgendwas, nur raus hier. Weg von dem Glas, bevor man uns beiden – mir –lebenslanges Hausverbot erteilt.

Er nickt und nimmt wieder meine Hand. So verlassen wir die Glasausstellung und gehen über die Wendeltreppe einen Stock tiefer.

»Das ist ein richtig cooles Stockwerk«, erkläre ich. »Mein absoluter Favorit ist die Ausstellung mit den Gebäudemodellen von Beatrice Brandt.«

»Du hast eine Lieblingsetage? Du kommst so oft her, dass du eine Lieblingsetage hast? Ach du Scheiße.«

Warum um alles in der Welt habe ich mich auf dieses lächerliche Date eingelassen? Wo ist der einfühlsame, kunstaffine Typ, mit dem ich zu schreiben glaubte? Ist das hier so eine Art Jekyll-und-Hyde-Ding?

Was immer es ist, ein solches Maß an Tumbheit veranlasst mich, nachzufragen.

»Es fällt mir schwer, zu glauben, dass du derselbe Typ bist, mit dem ich mich tagelang über Frank Lloyd Wright und Louise Bourgeois ausgetauscht habe«, sage ich ehrlich und enttäuscht.

»Frank wie? Kenne ich nicht!«, bricht es aus ihm hervor.

Was? Was hat das zu bedeuten? Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.

Wir wären doch gar nicht hier, wenn wir uns nicht so angeregt über Kunst ausgetauscht hätten. Kunst interpretiert das Leben und hilft uns, die Welt zu erklären. Ich vergeude keine Zeit mit Menschen, die das nicht verstehen oder die sich nicht im Geringsten für das Wunder des menschlichen Verstands interessieren.

»Äh, wie bitte? Natürlich kennst du Frank Lloyd Wright.«

Wenn ich verblüfft klinge, dann, weil ich das bin.

Er schüttelte den Kopf, und ein hässliches Grinsen erscheint auf seinem Gesicht. »Neee, das war mein Kumpel Reed. Der hatte heute eine bessere Option. Ein Date mit einer heißen Buchhalterin. Ich bin nur für ihn eingesprungen.«

Wie bitte?

Ich bin so geschockt, dass mir richtig schwummrig wird, als hätte ich auch zu tief ins Glas geschaut.

»Er hat … mich an dich abgetreten? Das ist widerwärtig!« Ich spreche zu laut, meine Stimme klingt schrill und hallt von der hohen Decke wider.

Ich kann nicht anders. Denn damit hat sich mein schlimmster Verdacht bestätigt.

Nur wegen seines vermeintlichen Kulturinteresses habe ich den ganzen Abend immer wieder ein Auge zugedrückt. Und jetzt stellt sich raus, dass er gar nicht der Typ ist, mit dem ich mich verabredet habe!

»Beruhige dich, Babe«, sagt er und legt mir seine schwitzigen Hände auf die Schultern. Gott sei Dank nur ganz kurz, sonst hätte ich ihm eine gescheuert.

Er öffnet die schwere Holztür und winkt mich mit einer übertriebenen einladenden Geste herein. Obwohl ich nicht die geringste Lust verspüre, mit diesem Vollidioten und Kunstbanausen meine Lieblingsausstellung zu besuchen, trete ich ein. Mein Hirn hat dichtgemacht, ich bin nicht einmal mehr in der Lage, dieses unsägliche Date endlich zu beenden.

Davon abgesehen nehmen mich die Exponate wie immer sofort gefangen: Große dreidimensionale Modelle von Gebäuden stehen an den Wänden, bedeckt mit Fotografien lokaler Gebäude, die von berühmten Architekten geplant wurden, einige unter ihnen sogar Einheimische.

In Chicago findet man einfach alles, ja die Stadt vermag einen so zu beeindrucken, dass man darüber die weniger schönen Seiten vergisst.

Ich lächle mein erstes echtes Lächeln an diesem Abend. Dann räuspert sich Dumpfbacke so laut, als hätte er eine hartnäckige Gräte im Hals, und macht den Zauber des Augenblicks zunichte. Ich überlege, erneut vorzuschlagen, den Besuch abzubrechen, aber da er beim letzten Mal schon nicht darauf eingegangen ist, zücke ich stattdessen mein Handy, als der Namenlose gerade nicht hinsieht, und schicke ein SOS an Brina.

Er dreht sich wieder zu mir und lächelt mich an. »Ich kann verstehen, dass der Raum dir gefällt.«

Ich blicke auf.

»Ach ja?«, frage ich leise.

»Klar. Komm her.« Er greift nach meiner Hand und zieht so ruckartig daran, dass ich nach vorn stolpere und um ein Haar gefallen wäre. Ich lasse das Telefon fallen, dass mit dem Display voran auf dem Boden landet.

Verfickte Scheiße. Wie schlimm kann es eigentlich noch werden?

Bevor ich mich nach dem Telefon bücken kann, hat er es aufgehoben, wieder mit seinem unerträglich nervigen Lachen.

»Chill mal. Ich halte es für dich, damit du keine Angst haben musst, es wieder fallen zu lassen.«

Ich greife mit der freien Hand danach. »Schon gut. Ich stecke es zurück in die Handtasche.«

»Entspann dich, Babe. Ich halte es fest. Habe ich doch gesagt, oder?« Wieder reißt er an meiner Hand, diesmal noch fester.

Der seltsame Unterton in seiner Stimme gefällt mir ganz und gar nicht.

Ehe ich mich’s versehe, zerrt er mich geradewegs in die Ecke mit den Schwarz-Weiß-Fotos des Sears/Willis Tower, eines architektonischen Meisterwerks seiner Zeit.

»Magst du den Willis Tower?«, frage ich, wobei mir die Entschlossenheit, die er plötzlich an den Tag legt, gar nicht gefällt.

»Wie? Denke schon, ja. Ich meine, ist ziemlich beeindruckend. Was sollte man daran nicht mögen?«

»Er läuft uns nicht weg«, protestiere ich. »Mach mal langsam. Der kann noch ein paar Sekunden warten.«

»Wer kann warten?«

»Na, der Tower. Das Foto.«

Bei Gott, ich war in meinem ganzen Leben noch nie so nah dran, jemanden zu schlagen.

»Du hast sie echt nicht alle, Babe«, entgegnet er mit diesem widerwärtigen Grinsen.

Was geht hier eigentlich ab?

In dieser Ecke gibt es nur das Schwarz-Weiß-Foto des einstigen Sears Tower und eine Fotokabine, in der man Fotos von sich selbst vor dem Tower knipsen kann. Natürlich macht das niemand von hier, da man sich ja jederzeit kostenlos vor dem echten Tower fotografieren kann. Er benimmt sich wie ein Touri.

Zu meiner Verwunderung schleift er mich aber an der Kabine vorbei in die dahinterliegende Ecke. Für jeden anderen im – derzeit leeren – Raum ist nur mein Rücken zu sehen. Vor Angst schießt mein Puls in die Höhe. Glühende Hitze steigt mir ins Gesicht.

Er hat mich in die Ecke gedrängt. Und er hat mein Telefon.

»Hier hinten ist nichts. Lass uns zurück in die Ausstellung gehen«, sage ich, meine Angst niederringend.

Er ist betrunken, aber harmlos. Das Ganze ist doch albern. Niemals ist er verrückt genug, um zu versuchen …

Er lässt meine Hand los. Ich atme erleichtert auf.

Als ich gerade rückwärts in Richtung Raummitte gehen will, um dann gleich die Herausgabe meines Telefons zu fordern und endgültig von hier abzuhauen, legt er mir abrupt den Arm um die Taille und hält mich fest.

Er zieht mich fest an sich und neigt den Kopf, wobei seine vom Alkohol erschlafften Lippen meinen Mund verfehlen und stattdessen unterhalb von meinem Ohr landen.

Grundgütiger, nein!

Ich presse die Lippen fest zusammen und versuche mich zu befreien. »Was soll das? Bist du irre? Wir sind in einem Museum.«

Wieder das Lachen, von dem mir ganz übel wird.

»Was bist du denn so verspannt, Babe. Vertrau mir.« Wieder versucht er mich zu küssen.

Jetzt brennt mir eine Sicherung durch.

Mit aller Kraft winde ich mich und versuche mich aus seinem Griff zu befreien, aber er ist unerwartet stark. Ich trete ihm auf die Zehen und stemme mich nach hinten, als unvermittelt der Druck nachgibt und ich rückwärtsfalle.

Ich verdrehe mir den Knöchel. »Autsch!«

Dann stoße ich mir den Kopf an einer Skulptur. Der Schmerz ist so intensiv, dass ich ganz benommen bin. Auch mein Knöchel fängt an zu pochen. Eine ganze Weile knie ich reglos am Boden, den Kopf an eine Marmorstatue gelehnt, unfähig, mich zu bewegen.

Schließlich hebe ich langsam den Kopf, reibe mir die schmerzende Stelle und zwinge mich, die Augen aufzuschlagen, um zu sehen, woran genau ich mich gestoßen habe.

Ich sehe nur feinen dunklen Stoff.

Nicht gut.

Ich muss mir den Kopf fester angeschlagen haben als gedacht. Ich halluziniere. Wenn es in diesem Raum eine menschliche Statue gäbe, wüsste ich das. Noch merkwürdiger ist, dass die Skulptur zurückweicht und mich gleichzeitig starke Hände unter den Armen packen und mich auf die Füße ziehen.

»Können Sie stehen?«, fragt eine tiefe Stimme.

Ein Mann.

Die Worte wirbeln einen Moment in meinem Kopf herum. Ich blinzle mehrmals und erkenne dann meine Chance, den namenlosen Psycho loszuwerden und mein Telefon zurückzubekommen.

Ich hoffe, er spielt mit. »Oh, du bist es, Max! Wie schön. Ich habe dich seit jenem Tag mit Angela nicht mehr gesehen!«

»Angela?«, fragt er.

Mist. Er ist nicht jung und hip genug, um den Code für »Ich brauche Hilfe« zu kennen. Erst jetzt drehe ich den Kopf, um meinen Retter anzusehen.

Prompt zieht sich mein Magen zusammen.

Es ist der Mann mit dem mokkabraunen Haar und dem finsteren Gesicht von vorhin.

Er hat mich immer noch stützend untergehakt.

Ich korrigiere mich. Er ist sehr wohl jung genug, um den Code zu kennen. So Anfang dreißig, würde ich sagen. Hoffe ich zumindest.

Also starte ich einen zweiten Versuch, mache große Augen und wackle dabei vielsagend mit den Brauen. »Max, wie schön, dich zu sehen! Wir haben uns nicht mehr gesehen, seit wir in der Rooftop-Bar waren. Mit …« Das nächste Wort betone ich besonders. »Angela! Weißt du noch? Angela?«

Er mustert mich einen Moment eindringlich, als überlege er, ob er es mit einer Irren zu tun hat.

Seufz. Muss denn an diesem Abend alles schiefgehen?

Jetzt tritt auch der Namenlose aus der dunklen Ecke und richtet stirnrunzelnd den Blick auf uns. »Hey, Alter, würdest du die Finger von meiner Freundin nehmen? Danke, dass du ihr aufgeholfen hast, aber ich kümmere mich schon um sie.«

Der Fremde nickt langsam. »Angela. Sie hat heute Geburtstag. Ich bin froh, dass ich dich endlich gefunden habe. Ich habe schon überall nach dir gesucht. Wir kommen noch zur spät zur Party.«

Der Namenlose kommt noch einen Schritt näher.

Ich halte die Luft an.

Sein Blick wechselt von mir zu meinem Retter, der gerade rechtzeitig aufgetaucht ist. Ein kalter Ausdruck tritt in seine Augen. »Das ist aber nicht nett, Lady. Von einer Party war nicht die Rede. Sag ihm, er soll sich verpissen.«

Mein Retter schiebt mich sanft hinter seinen Rücken und tritt einen Schritt vor, sodass er eine lebendige Schutzmauer zwischen mir und dem Namenlosen bildet.

»Verschwinde, Alter«, sagt er, einen gefährlichen Unterton in der Stimme. »Wir sind seit Jahren befreundet, und meine Cousine hat heute Geburtstag. Wir haben eine Überraschungsparty für Angela organisiert, und so langsam müssen wir los.«

»Hast du es nötig, anderen die Frau wegzuschnappen, weil du allein keine abbekommst?«, schnaubt der Namenlose und macht noch einen Schritt nach vorn.

»Nein. Ich mische mich nur ein, weil du voll bist und offensichtlich zudringlich geworden bist. Ich kann deine Whisky-Fahne bis hierher riechen. Verschwinde, oder ich werfe dich höchstpersönlich raus.«

O Gott.

Mein Herz klopft wie wild, vor Angst, aber auch weil der Fremde mit dem finsteren Blick bereit ist, handgreiflich zu werden, um mich zu beschützen.

»Was bildest du dir ein, Alter? Du machst mir keine Angst. Aber sie ist den Ärger nicht wert«, knurrt der Namenlose und lässt den Schuh über den Boden schaben. »Wer verbringt schon einen Freitagabend in einem stinklangweiligen Museum?«

»Leute, die sich nicht volllaufen lassen müssen, um durch den Abend zu kommen«, kontert mein Retter, die Hände inzwischen zu Fäusten geballt.

Wow.

Wow.

Immer noch leise vor sich hin schimpfend steuert mein Date den Ausgang an.

»Moment!«, rufe ich ihm hinter meinem Beschützer hervor zu.

Der Widerling wirft einen Blick zurück. »Was denn noch?«

»Mein Telefon. Du kannst es meinem Freund hier geben«, antworte ich so neutral wie möglich.

»Du hast ihr das Telefon weggenommen?«, fragt der Muskelberg vor mir schneidend.

Ganz ehrlich, ich bin heilfroh, dass er auf meiner Seite ist. Ich möchte den Fremden nicht zum Feind haben. Der Namenlose wirft mir einen bitterbösen Blick zu und kommt zurück, um mir mein Handy zurückzubringen. »Sie hat es fallen lassen. Ich habe es nur für sie aufgehoben.«

Das stimmt. Nur dass er sich hinterher geweigert hat, es mir zurückzugeben.

Mein großer, gut aussehender Beschützer bleibt vor mir stehen wie ein Wächter, bis die Tür sich hinter dem Namenlosen geschlossen hat.

Als die Gefahr gebannt ist, wendet sich der schwarze Ritter mir zu. Seine Augen schimmern im gedämpften orangefarbenen Licht grau wie Gewitterwolken. »Sind Sie wirklich okay?«

Ich ringe mir ein Lächeln ab und verstaue dann mein Handy in der Handtasche, um seinem Blick ausweichen zu können.

»Mein Knöchel tut weh, aber ich werde es überleben. Danke. Ich bin Ihnen zutiefst dankbar für Ihre Hilfe. Sie ahnen ja nicht, wie es ist, wenn man …«

»Sie haben auch getrunken, oder?«, schneidet er mir das Wort ab, legt den Kopf auf die Seite und mustert mich mit seinem rasiermesserscharfen Blick.

»Also bitte. Ich habe ein Glas Wein getrunken, und auch das nur, weil der Loser darauf bestanden hat, vor dem Museumsbesuch noch etwas zu trinken.«

Er verdreht die Augen und schnaubt verächtlich. »Natürlich.«

Hey. Auch wenn er aussieht wie ein schwarzer Ritter, lasse ich mich von ihm noch lange nicht der Lüge bezichtigen.

»Es ist mir egal, ob Sie mir glauben«, sage ich achselzuckend. »Ich bin hier, um meinen neuen Traumjob bei Brandt Ideas zu feiern, und ich werde nicht gehen, bevor ich meinen Spaß hatte. Das hier ist mein absoluter Lieblingsort, und weder ein verstauchter Knöchel noch ein völlig aus dem Ruder gelaufenes Date werden mich davon abhalten, den Anlass zu feiern.«

Mein Gegenüber versteift sich, hebt das royale Kinn und mustert mich ungläubig, als hätte ich mich vor seinen Augen in ein Einhorn verwandelt.

»Was haben Sie gerade gesagt?«, fragt er langsam, und seine Stimme klingt irgendwie bedrohlich.

»Dass das hier mein Lieblingsort ist und … ich feiern möchte?«, wiederhole ich, von seiner Reaktion verunsichert.

»Ich meinte das mit dem neuen Job. Wer ist Ihr neuer Arbeitgeber?«

»Brandt Ideas. Das beste Architekturbüro der Stadt«, entgegne ich strahlend. Ob er die bildenden Künste auch so faszinierend findet wie ich?

Er schüttelt den Kopf und wirkt dabei ganz und gar nicht glücklich.

Ich verstehe das nicht. Hat er was gegen Brandt Ideas?

Wie kann ein Kunstliebhaber, der eine Architekturausstellung besucht, etwas gegen Beatrice Nightingale Brandt haben?

»Kennen Sie ihre Projekte? Dann wissen Sie doch sicher, wie talentiert sie ist«, sage ich und trete auf ihn zu, wobei ich mich bemühe, mich von meiner Begeisterung nicht allzu sehr mitreißen zu lassen.

»Wen meinen Sie?«

Ich lächle zu ihm auf. Seine Größe und seine Statur insgesamt machen mich irgendwie an.

»Das würden Sie nicht fragen, wenn Sie wüssten, wie unglaublich talentiert Beatrice Nightingale Brandt ist. Sehen Sie selbst.«

Ich nehme seine Hand, eine Geste, die mir ganz natürlich erscheint, nachdem er mir beim Aufstehen behilflich war. Sie ist warm und fest, ganz anders als die schwitzigen Finger meines namenlosen Dates.

Schon beim ersten Schritt stolpere ich beinahe. Ich schüttele den Fuß aus und verziehe das Gesicht.

»Sie brauchen mich nicht herumzuführen«, sagt er. »Ich kenne die Arbeit von Mrs. Brandt sehr gut. Ich denke, es ist das Beste, wenn wir Sie jetzt nach Hause schaffen.«

»Mir geht es gut.« Ich versuche es noch mal. Autsch. Mist.

Ja, ich gebe zu, dass der Knöchel wehtut, aber ich werde mir davon nicht den Abend verderben lassen. Ich humple zu dem 3D-Modell, damit er begreift, wie besonders es ist.

Mir wird bewusst, dass ich mich etwas sonderbar verhalte, vielleicht sogar übergriffig. Aber ist es denn ein Verbrechen, dass ich versuche, jemandem verständlich zu machen, welches Glück ich habe?

Dann stehen wir vor dem maßstabsgetreuen Modell eines hohen, komplett verglasten Bürohochhauses. Ich betrachte es bewundernd und zeige auf das ikonische Arboretum-Büro, das sie zu ihrer Schaltzentrale erkoren hat.

»Sehen Sie die vielen Kronleuchter? Jede Innen- und Außenleute ist aus hochwertigem Glas und in Handarbeit hergestellt. Das in meinen Augen schönste Detail ist der blühende Efeu an der Decke. Das ist Kunst im Alltag, ein Ort, der gleichzeitig funktional und organisch ist. Das ist genial und von einer unglaublichen Ästhetik.«

Ich versuche, meine Begeisterung im Zaum zu halten, als ich auf das Dach zeige. »Dort befindet sich eine PV-Anlage. Dazu ist das Dach mit Sauerstoff erzeugenden Pflanzen begrünt. Beatrice ist ja so genial. Das Gebäude ist nicht nur top modern, elegant und einzigartig, sondern auch noch nachhaltig. Ich beneide sie um das Privileg, tagtäglich dort arbeiten zu dürfen.«

Als ich ihm einen Seitenblick zuwerfe, wirkt er schon etwas weniger mürrisch. Mein kleines Ablenkungsmanöver scheint zu funktionieren.

»Verstehe.« Er schenkt mir ein langsames, beinahe wissendes Lächeln.

»Ich wusste gar nicht, dass griechische Götter auch lächeln können.«

»Griechische Götter?«

Mist. Habe ich das wirklich laut gesagt?

»Sie sind passioniert, das muss man Ihnen lassen.« Schmunzelnd zieht er eine Braue hoch. »Aber jetzt lassen Sie uns gehen.«

Wir hat er gesagt.

Wie meint er das genau? Mit diesem Mann etwas trinken oder sogar essen zu gehen wäre das erste Highlight dieses Abends.

»Sie haben recht. Wir sollten eine Kleinigkeit essen und dann zu mir fahren.«

»Essen ist nicht, und Alkohol hatten Sie auch schon genug. Trotzdem sollten wir jetzt gehen.«

»Also ohne Umwege zu mir?«, frage ich augenzwinkernd. »Noch besser. Sie sind ja ein richtiger Draufgänger.«

Ich lasse mich in den weichen Ledersitz zurücksinken.

Seit Brinas Hochzeit habe ich nicht mehr in einem Tesla gesessen. Er gleitet förmlich dahin. Aber vielleicht genieße ich die Fahrt ja auch deshalb so sehr, weil mein Retter mich nicht zum Wagen hat humpeln lassen, sondern mich getragen hat.

»Ich glaube, das Glas Wein hat die Verstauchung verschlimmert«, sage ich, strecke den Fuß aus und schneide prompt eine Grimasse, als sofort ein stechender Schmerz das Gelenk durchzuckt.

Er lächelt. »Sie können jetzt aufhören mit dem Theater. Ich werde Ihnen niemals glauben, dass Sie nur ein Glas Wein getrunken haben. Sie können von Glück sagen, dass ich gerade noch rechtzeitig hereingeplatzt bin, sonst hätte dieser Widerling Sie womöglich …«

»Bezichtigen Sie alle Leute der Lüge?«, falle ich ihm lachend ins Wort. Irgendwie finde ich in meiner aufgeputschten Laune und der verrückten Situation gerade alles witzig.

»Nur wenn ich es mit Frauen zu tun habe, denen ich nicht über den Weg traue«, entgegnet er nüchtern.

»Wenn Sie meinen. Schönes Auto übrigens«, sage ich. Der Sitz ist auch zu kuschelig.

Er lächelt. »Dann sehen Sie sich erst mal das an.« Er nimmt die Hände vom Lenkrad, und das Auto fährt weiter geradeaus.

»Das Auto kann von allein fahren?«

Er legt die Hände wieder aufs Lenkrad. »Fast. Noch ein paar Jahre, und man kann am Steuer ein Nickerchen halten.«

»Klingt traumhaft.« Ich schließe die Augen. Sofort startet mein Kopfkino, und ich sehe mich in seinen Armen schlummern.

Als ich die Augen wieder aufschlage, hält er mich tatsächlich im Arm. Wir stehen vor meiner Wohnungstür, offenbar hat er mich die ganze Treppe hochgetragen.

Mir ist ganz schwindlig, und ich strecke die Arme seitlich aus.

Was ist nur los mit mir?

Das kann niemals an dem einen Glas Wein liegen. Vermutlich bin ich einfach erschöpft, und mein müdes Hirn ist überfordert damit, zu begreifen, wie ein albtraumhafter Abend in null Komma nichts von einer Katastrophe zu einem geradezu kitschig-romantischen Ereignis werden kann.

»Sehen Sie? Ich kann absolut gerade stehen. Von wegen betrunken!«, sage ich und boxe ihn spielerisch in die Schulter.

»Nicht übermütig werden.« Er dreht den Schlüssel im Schloss und stößt die Tür auf. »Wo ist das Schlafzimmer?«

»Oh!«

Der Mann kommt direkt auf den Punkt. Er gefällt mir immer besser. Und seit Brina ausgezogen ist, habe ich die Wohnung ganz für mich allein, was mir gerade sehr gelegen kommt.

»Den Flur runter, erste Tür rechts«, antworte ich.

Dann holt mich die Aufregung ein, und ich muss laut hicksen.

Errötend schlage ich eine Hand vor den Mund. »Nur Luft. Ich bin nicht betrunken. Ehrenwort.«

»Na klar«, schnaubt er. »Sie brauchen Sich keine Mühe zu geben, mich zu beeindrucken. Ich bin nicht von der Sittenpolizei und werde einen Teufel tun und Frauen bevormunden, nur weil sie einen über den Durst getrunken haben.«

Wir betreten mein Schlafzimmer, und ich setze mich auf das Bett. Ich fühle mich, als würde ich schweben. Dann kommt der nächste Hicks, bevor ich eine Hand vor den Mund legen kann.

»Meine Güte. Normalerweise bin ich nicht so«, murmele ich und verberge das Gesicht in den Händen.

»Ich bin gleich zurück.« Bevor ich registriere, dass er weg ist, ist er auch schon zurück. Warum hat er noch nicht versucht, mich zu küssen? Ist er einer von den Kerlen, die es gerne langsam angehen lassen? Oder liegt es an meinem Schluckauf?

Oder daran, dass wir uns nicht kennen? Als ich etwas Kaltes im Gesicht fühle, fahre ich erschrocken hoch.

»Trinken Sie das.« Er reicht mir eine Wasserflasche, die er mir gerade an die Wange gehalten hat.

»Wasser? Ich habe keinen Durst.«

»Trinken Sie«, wiederholt er barsch.

»Meine Güte. Aye-aye.« Ich schraube die Flasche auf, die er aus dem Kühlschrank geholt haben muss, und trinke einen Schluck.

Seine Finger streifen meine freie Hand. Bei der Berührung hole ich scharf Luft. Ich öffne die Hand, und er legt etwas hinein.

»Nehmen Sie das.«

In meiner Hand liegen zwei Tylenol. Ich blicke verwirrt zu ihm auf.

»Wenn Sie morgen früh aufwachen, werden Sie neben dem verstauchten Knöchel einen mörderischen Kater haben. Die Tabletten helfen gegen beides.«

»Ich sagte doch bereits, dass ich nur ein Glas …«

»Wein? Sie sind wirklich hartnäckig. Reden Sie nicht so viel und trinken Sie lieber«, knurrt er, seine Augen wie blaue Laserstrahlen auf mein Gesicht gerichtet.

Seufzend schlucke ich die Tabletten.

Er klopft auf meinen Nachttisch, um meine Aufmerksamkeit dorthin zu lenken. Dort liegt ein Sandwich, sorgfältig in zwei gleich große Dreiecke geteilt. Wow, er denkt wirklich an alles.

»Essen Sie das.«

»Warum?«, frage ich, obwohl ich tatsächlich Hunger habe und mir prompt der Magen knurrt. Ursprünglich wollte ich mit meinem Date erst ins Museum und anschließend zur Happy-Hour irgendwo eine Kleinigkeit essen gehen, aber dafür war es dann zu spät, weil wir so lange in der Bar waren.

»Weil Ihre Fragen unglaublich nervig sind. Und weil es Ihnen guttun wird, etwas in den Magen zu bekommen«, entgegnet er unwirsch.

Aha … Der Mann nimmt kein Blatt vor den Mund, das muss man ihm lassen.

Er zückt sein Telefon und fängt an, auf dem Display herumzutippen.

Ich gebe nach und greife nach der ersten Sandwichhälfte, die ich mit einem Bissen verputze. Salami, Käse, Salat und Mayo.

Einfach, aber lecker.

Jetzt muss ich mir die Zähne putzen, trotzdem muss ich zugeben, dass der Snack hoch willkommen ist. Also esse ich auch das zweite Brot und lasse mich auf das Kissen zurückfallen. Es fühlt sich immer noch an, als würde ich schweben.

Er tippt jetzt richtig hektisch auf seinem Telefon herum.

»Erledigt. Können wir jetzt zum lustigen Teil übergehen?«, frage ich.

Im nächsten Moment holt mich die Realität ein.

O Gott! Ich muss furchtbar aussehen. Wie eine zugedröhnte Schnapsdrossel, für die er mich ja ohnehin hält. Eine Schnapsdrossel, die so dumm war, ihn mit nach Hause zu nehmen, um sich ihm dann förmlich an den Hals zu werfen.

Was soll das? Ich denke, ich schulde ihm eine Erklärung.

Und mir selbst auch.

»Hören Sie, Mister. Es tut mir leid, wenn das alles so … seltsam rüberkommt. Es war ein wirklich verrückter Abend. Ich wollte Sie nicht abschleppen oder den Eindruck erwecken, dass ich jeden Kerl, der mir über den Weg läuft …«

»Moment, Ich muss eine sehr wichtige E-Mail fertigschreiben. Machen Sie doch einen Moment die Augen zu.«

Ich bin tatsächlich etwas müde, und die Stimmung scheint auch zu kippen. Ich wünschte, ich wüsste, warum ich mich nach nur einem Glas Wein fühle, als wäre ich von einem Bus überfahren worden.

»Ja, ich denke, ein Power-Nap würde mir guttun. Können wir uns vielleicht ein anderes Mal wiedersehen?« Hat er mich überhaupt gehört? Meine Stimme ist so leise.

Ich öffne die Augen wieder und zupfe an seiner linken Hand, wobei mir einfällt, dass ich nichts über ihn weiß, außer dass die Rolle des Retters in der Not ihm gut zu Gesicht steht.

Unsere Blicke treffen sich. Ich streichle seinen Ringfinger.

»Kein Ring. Gut«, flüstere ich.

Wer sagt denn, dass alle guten Männer verheiratet sind?

Er funkelt mich an, aber als er spricht, klingt seine Stimme beinahe unheimlich neutral. »Schlafen Sie ruhig. Ich finde allein raus, sobald ich mit der E-Mail fertig bin.«

Warum ist er plötzlich so wütend? Liegt es an meiner Bemerkung über den Ring?

Sein mörderischer Blick ist das Letzte, was ich sehe, bevor er geht … oder ich einschlafe.

Ich weiß nicht, was davon zuerst passiert.

Als ich die Augen wieder aufschlage, ist es früher Morgen, und ich frage mich, ob ich meinen Helden mit dem durchdringenden Blick nur geträumt habe.

Und würde ich mich, falls es ihn doch geben sollte, trauen, ihm nüchtern unter die Augen zu treten?

KAPITEL 2: HÖLLISCHE KOPFSCHMERZEN

WARD

So war der Abend eigentlich nicht geplant gewesen. Ich bin ins Museum gefahren, um mich zu beruhigen, was ich mehrmals pro Monat tue, gewissermaßen ein Ritual. Ich hatte vorgehabt, mich an der Kunst zu berauschen und den Stress im Büro sowie die Leere daheim zu vergessen.

Stille und Ruhe sind ein kostbares Gut, aber diesmal war mir nichts von beidem vergönnt.

Dass ich über diese offensichtlich volltrunkene Frau gestolpert bin und sie heimgebracht habe, damit sie nicht einem Lustmolch zum Opfer fällt, war wie ein Schlag ins Gesicht. Die Unbekannte, die nur ein Glas Wein getrunken haben will, hat mir den Abend verdorben und den letzten Nerv geraubt – und es geschafft, dabei noch süß auszusehen. Zumindest so lange, bis sie ihren neuen Job erwähnt hat … bis sie mir eröffnet hat, dass sie mir künftig ein ständiger Dorn im Auge sein wird.

Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen.

Bevor ich nach Hause fahre, muss ich noch schnell diese Mail zu Ende schreiben und dafür sorgen, dass wir uns nie wieder über den Weg laufen.

Sie dämmert weg, wobei sie ab und an schmatzende Geräusche von sich gibt oder leise hicksend schnarcht. Das wäre ganz niedlich, wenn sie mit ihrer lauten Art, ihrer blonden Mähne und ihren Kurven nicht meinen Seelenfrieden gefährden würde.

Bald wird sie wieder nüchtern sein, und bis dahin werde ich dafür gesorgt haben, dass sie meiner Firma fernbleibt. Verdammt! Ich bin ins Museum gegangen, um mich abzulenken, mich vielleicht inspirieren zu lassen.

Dass ich sie volltrunken dort angetroffen habe und vor einem miesen kleinen Wichser retten musste, macht sie als Mitarbeiterin für mich untragbar.

Da heißt es, Vorsorge zu treffen und es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.

Es war für mich selbstverständlich, sie vor diesem potenziell gefährlichen Kerl zu beschützen und zu verhindern, dass sie in ihrem Zustand noch von einem Bus überfahren wird.

Leider ist es nicht ausgeschlossen, als Brandt ein Gewissen zu haben. Ansonsten würde ich nämlich nicht zögern, die Situation auszunutzen und die süße Blondine mit den schönen grünen Augen zu vögeln und auf die Konsequenzen zu pfeifen.

Schließlich habe ich nie behauptet, ein Heiliger zu sein.

Zähneknirschend schüttle ich den Kopf bei der Erinnerung an ihre wiederholte Beteuerung, sie habe nur ein einziges Glas Wein getrunken.

Nie im Leben, Süße. Das war wohl eher eine Flasche.

Mein Daumen verkrampft sich vom vielen Tippen, und ich unterbreche das Schreiben einen Moment, um meine Finger auszuschütteln. Mein Blick fällt auf meinen Ringfinger. Musste sie auch noch darauf herumreiten, dass ich keinen Ring trage?

Habe ich eine Aura um mich herum, die Frauen davor warnt, sich mit mir einzulassen, als hätte ich auf die Stirn tätowiert: Lauft weg, der Kerl ist ein Arschloch und taugt nicht zum Heiraten?

Dass Maria die Verlobung gelöst hat, hätte eigentlich der schlimmste Part an dieser Tragödie sein sollen, auch ohne dass eine wildfremde Frau Salz in die Wunde streut.

Nein. Ich würge den Gedanken an diesem Punkt ab.

Jetzt ist weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, mich auf ein weiteres Abenteuer einzulassen, das nirgendwo hinführt. Immerhin hat genau das dazu geführt, dass ich meine Freitagabende allein im Museum verbringe und unfreiwillig betrunkene Frauen rette, die von ebenso alkoholisierten Losern begrapscht werden, denen ich am liebsten die Visage polieren würde. Das würde mich wenigstens für die Mühe entschädigen.

Die Blondine dreht sich murmelnd auf die Seite. Seufzend erhebe ich mich von der Bettkante und ziehe ihr das Laken, das zerknüllt am Fußende des Bettes liegt, bis über die Schultern.

Was zum Teufel hat Grandma sich dabei gedacht? Ich schüttle den Kopf und überprüfe meine Mail noch einmal auf Rechtschreibfehler, bevor ich sie absende.

AN: Beatrice Nightingale Brandt

CC: Nicholas Brandt

Von: Ward Brand

Betreff: Houston, wir haben ein Problem

Grandma und Nick,

ich bin heute Abend im Kunstmuseum buchstäblich über die neue Assistentin der Geschäftsleitung gestolpert. Sie war sturzbetrunken, wurde von einem Typen begrapscht und hat lauthals kundgetan, für uns tätig zu sein.

Sie ist durch die Architekturausstellung gewankt und schließlich sogar gestürzt, wobei sie mir fast die Kniescheibe zertrümmert hätte. So haben wir uns kennengelernt.

Ich habe meine Pflicht als Gentleman getan, indem ich den Grapscher in die Flucht geschlagen, sie nach Hause gebracht und mir meine Verlegenheit nicht habe anmerken lassen, als sie mich auch noch auf das Peinlichste angemacht hat.

Ehrlich gesagt bin ich ganz froh, dass ich sie so erlebt habe.

Sie kann die Stelle unmöglich nächste Woche antreten. Sie ist eine unmittelbare Gefahr für den Ruf unserer Firma, und wir können von Glück sagen, dass sich vorab herausgestellt hat, wie ungeeignet sie für die Stelle ist.

Ich schlage vor, dass wir stattdessen die Kandidatin einstellen, die beim Rekrutierungsverfahren Platz zwei belegt hat. Diese Frau hier mag sich während eines fünfundvierzigminütigen Bewerbungsgespräch gut geschlagen haben, aber den Anforderungen eines Sechzehn-Stunden-Tages ist sie keinesfalls gewachsen. Insbesondere in Anbetracht des bevorstehenden Abschlusses mit Winthrope brauchen wir Leute, auf die wir uns verlassen können.

Tut mir leid, dass ich der Überbinger der schlechten Nachricht sein muss.

Danke,

Ward Brand

Senior-Partner, Brandt Ideas Inc.

Ich starre wieder auf das Dornröschen, das völlig ausgeknockt daliegt und so leise schnarcht, dass es beinahe wie ein Schnurren klingt.

Ich bleibe noch ein paar Minuten, um ganz sicher zu gehen, dass sie okay ist und man ihr nicht etwas in den Wein gekippt hat. Während ich sie im Auge behalte, checke ich zwischendurch mein Wertpapierdepot.

Sie wäre süß, wenn sie nicht so viel trinken würde und nicht so grobmotorisch wäre wie ein Elefant im Porzellanladen.

Aber sie wird es schon schaffen. Sie hat genug Elan, um einen anderen Job zu finden, der besser zu ihr passt. Das Schlimmste, was ihr droht, ist der ordentliche Kater, den sie morgen früh haben wird.

Manchmal brauchen wir alle eine Lektion. In ihrem Fall war diese bitter nötig. Sie ist zu hübsch und klug, um sich so zu benehmen.

Eine Schande ist das. Wahrscheinlich würde sie sogar eine gute Assistentin abgeben, wenn sie nur etwas reifer wäre. Soweit ich das beurteilen kann, ist sie freundlich, sympathisch, offen und hat eine Wahnsinnsenergie. Und wie sie von Grandmas Entwürfen im Museum geschwärmt hat. Sie hat offensichtlich Ahnung und ein Auge für Ästhetik.

Und wenn sie Grandma in einem Bewerbungsgespräch überzeugen konnte, muss sie zugegebenermaßen auch einiges auf dem Kasten haben.

Nur leider hat sie sich nicht im Griff. Und ich kann von Glück sagen, dass ich dabei war, als sie ihr wahres Gesicht gezeigt hat. Hätten wir uns auf andere Art kennengelernt, hätte ich sie vielleicht nach ihrer Nummer gefragt. Aber wir können in der Firma niemanden brauchen, der hinausposaunt, dass er für uns arbeitet. Indiskretion ist ein No-Go, erst recht für eine Assistentin der Geschäftsleitung. In dieser Position wäre sie zu tief in Geschäftsabläufe involviert, bei denen nicht der kleinste Spielraum für Fehler vorhanden ist.

Außerdem ist das Allerletzte, was meine Familie aktuell brauchen kann, ein weiterer Skandal. Meine Eltern haben jahrelang die Klatschspalten gefüllt, ebenso mein beschränkter Bruder. Noch mehr Schlagzeilen müssen wirklich nicht sein.

Ich überfliege die E-Mail mit den Neuanstellungen und finde sie. Ich presse die Lippen fest zusammen – einem Teil von mir tut es leid.

Wenn ich bedenke, wie begeistert sie sich über ihre neue Stelle geäußert hat, wird dies ein harter Schlag für sie.

Paige Holly wird sich einen anderen Job suchen müssen, idealerweise weit weg von unserer Firma.

Und nun wird es Zeit, diese Tortur zu beenden. Ich gehe zum Kühlschrank und nehme noch eine Flasche Wasser heraus, dann hole ich das Tylenol aus dem Medizinschränkchen im Bad. Sie wird es morgen früh brauchen. Die Packung Multivitamintabletten, die ich ebenfalls in dem Schränkchen gefunden habe, stelle ich dazu und gehe.

Das ist das Mindeste, was ich für sie tun kann, nachdem ich sie gerade gefeuert habe.

Höllischer Lärm reißt mich aus dem Schlaf.

Was zur Hölle ist das? Ach ja, der nervigste Weckton ever. Knurrend greife ich nach meinem Handy und stelle das unerträgliche Geschepper aus, das offenbar schon seit drei Minuten rappelt.

Mein Schädel brummt, und meine Kehle fühlt sich an wie Watte.

Okay, mag sein, dass ich ein paar Drinks hatte, nachdem ich gestern Abend nach Hause gekommen bin, aber wenigstens bin ich nicht betrunken durch die Innenstadt von Chicago getorkelt, geschweige denn durch ein Kunstmuseum. Bei dem Gedanken strecke ich erneut die Hand nach meinem Telefon aus.

Eine neue Mail von Nick.

AN: Ward Brandt

CC: Beatrice Nightingale Brandt

Von: Nick Brandt

Betreff: RE: Houston, wir haben ein Problem

Ward,

chill mal.

Wie immer übertreibst du maßlos, und das noch vor ihrem ersten Arbeitstag. Lass mal die extrastarken Espressi weg und geh an die frische Luft.

Lass die arme Frau in Ruhe.

Nicholas Brandt

Senior-Partner, Brandt Ideals Inc.

Um mich zu ärgern, hat er noch einen Link zu dem Song You Need to Calm Down von Taylor Swift eingefügt.

Ich werde nie verstehen, warum das Universum mir einen kleinen Bruder aufs Auge gedrückt hat, der mich nur nervt. Für Nick ist alles nur Spaß. Der Mann hat nicht alle Latten am Zaun, so viel steht fest.

Ich glaube, das rührt daher, dass er als Nesthäkchen furchtbar verwöhnt wurde, erst von unseren Eltern, bevor die durchgedreht sind, und später dann von unseren Großeltern.

Grandma hat noch nicht zurückgeschrieben, das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen.

Obwohl heute Samstag ist, muss ich mich vergewissern, dass sie die Mail zumindest gelesen hat. Es macht Sinn, den Vertrag aufzuheben, bevor die neue Assistentin ihren Posten angetreten hat, sonst macht die Personalabteilung uns die Hölle heiß.

Als ich aufstehe, fühlt es sich an, als kollidiere mein Kopf mit einem Vorschlaghammer. Mist. Ich habe gestern Abend nach dem Bourbon nicht genug Wasser getrunken. Auch habe ich außer Acht gelassen, dass man mit über dreißig Alkohol nicht mehr so locker wegsteckt.

Ich spüle ein paar Schmerztabletten mit einer ganzen Flasche Wasser herunter und fahre ins Büro. Heute ist kaum jemand dort. Gott sei Dank, ich habe nämlich keine Lust auf andere Leute. Ehrlich gesagt habe ich das nie, aber mit dem Kater, den ich dem Bourbon und meiner Ex-Assistentin verdanke, schon gar nicht.

Ich gehe an zwei Angestellten vom Marketing vorbei, die aber so mit einer Präsentation eines aktuellen Projekts beschäftigt sind, dass sie nicht einmal aufblicken, und spähe in Nicks Büro. Seine Tür steht einen Spaltbreit offen, und wie so oft liegt er halb auf dem Schreibtisch. Natürlich ist es absolut unangebracht, geradezu lächerlich, dass ein Senior-Partner im Hawaiihemd im Büro erscheint und vor aller Augen am Schreibtisch einschläft. Ich sollte ihn zurechtweisen, aber Nick ist der Letzte, mit dem ich sprechen möchte, wenn ich einen solchen Brummschädel herumtrage.

Zu schade, dass heute keine Assistentin anwesend ist, sonst würde ich sie Kaffee holen schicken.

Noch bevor ich den Laptop in meinem Büro hochgefahren habe, erscheint Grandma wie ein silberner Wirbelwind in der Tür.

Sie ist nur ein paar Zentimeter kleiner als ich und trägt heute noch dazu hohe Absätze. Wie immer eine wahrhaft königliche Erscheinung. Sie hat eine einzelne tiefe Falte auf der Stirn, von der sie immer scherzt, dass sie sie »ihren Jungs« verdanke. Ihr schwarzer Businessanzug ist maßgeschneidert, dazu trägt sie eine silberne Bluse.

Sie sieht noch genauso aus wie in meiner Kindheit, nur dass ihr kurzes Haar inzwischen silbergrau ist. Auch ist sie mit zunehmendem Alter noch schlanker und … ja, etwas zerbrechlich geworden. Aber der scharfe Blick und die ausgeprägten Wangenknochen sind ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass man sie nicht unterschätzen sollte.

Die Frau brennt für das, was sie tut.

»Wie geht es dir an diesem wundervollen Morgen?«, fragt sie.

»Nicht so gut wie dir.«

Sie lacht. »Ach, Ward. Warum musst du jedes Wochenende so mies drauf sein? Bist du wieder mit dem falschen Fuß aufgestanden?«

»Ich habe Kopfschmerzen«, grummele ich.

»Kann ich etwas für dich tun?«

Ich schüttele den Kopf. »Ich habe schon ein paar Pillen eingeworfen, die Wirkung hat nur noch nicht eingesetzt.«

Sie nickt. »Komm doch bitte zu mir rüber, wenn du so weit bist.«

Der sonderbare Ausdruck auf ihrem Gesicht verrät mir, dass etwas im Busch ist.

Ich bin Senior-Partner und ihr Enkel, feuern wird sie mich also nicht. Und für eine Moralpredigt bin ich zu alt. Warum werde ich dann das ungute Gefühl nicht los, dass ich in Schwierigkeiten stecke?

Jetzt brauche ich erst recht einen Kaffee.

Während mein Computer noch bootet, gehe ich nach unten und hole mir einen doppelten Espresso. Dann begebe ich mich auf direktem Weg zu Grandmas Büro, um es hinter mich zu bringen.

Nachdem ich angeklopft habe, blickt sie durch die große Glasscheibe neben der Tür und winkt mich herein. Sie thront hinter ihrem Schreibtisch wie eine Kaiserin, die ihren Hofstaat empfängt. Die deckenhohe Fensterfront und die üppigen Ranken hinter ihr bilden einen spektakulären Hintergrund, der mir auch nach so vielen Jahren und nachdem ich ihn Tausende Male gesehen habe, den Atem verschlägt.

Die Skyline von Chicago ist noch in einen orangen Schimmer getaucht, der Grandma etwas Überirdisches verleiht. Manchmal frage ich mich, ob sie nicht vielleicht von einem anderen Stern ist.

»Du wolltest mich sprechen?« Ich nehme auf dem Ledersessel vor ihrem Schreibtisch Platz.

»Richtig.« Sie nickt lächelnd. »Ich habe deine E-Mail erhalten.«