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Brennt ihr Herz noch für Gott? So richtig? Viele Christen wünschen sich mehr Leidenschaft für Ihr Glaubensleben. Sie vermissen das Lebendige in der Beziehung zu Jesus, das Feuer und die Begeisterung. Wenn es Ihnen auch so geht, lädt Rainer Harter, Gründer und Leiter des Gebetshauses Freiburg, Sie dazu ein, ganz neu die Schönheit Gottes zu entdecken.
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Seitenzahl: 308
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Der SCM Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-417-22859-5 (E-Book)ISBN 978-3-417-26792-1 (Lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: Beate Simson, Pfaffenhofen a. d. Roth
© 2016 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, 58452 Witten Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected]
Die Bibelverse wurden, soweit nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen: Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM-Verlag GmbH & Co. KG, 58452 Witten.
Weiter wurden verwendet: Hoffnung für alle® Copyright © 1983, 1996, 2002 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung von Fontis – Brunnen Basel. (HFA) Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung 2006, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. (LUT) Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart. (EÜ)
Umschlaggestaltung: yvonne pils, Düsseldorf Titelbild: Lea Weidemann Satz: Christoph Möller, Hattingen
Dieses Buch ist der wunderbarsten Frau in meinem Leben gewidmet, Johanna, du bist die Liebe meines Lebens. Ich bin so stolz auf dich. Danke, dass du mit mir gehst.
VORWORT VON DR. ROLF SENST
EINLEITUNG
WAS IST LEIDENSCHAFT?
GEFÄHRLICHE LEIDENSCHAFT
WAHRE LEIDENSCHAFT ENTDECKEN
DER SCHMERZ DER LEIDENSCHAFT
DIE AUSWIRKUNGEN VON LEIDENSCHAFT
DIE SUCHE
DAS MASS UNSERER LEIDENSCHAFT
VOM SEHEN
FACE TIME
KONTEMPLATION
VOM HÖREN
INTIMITÄT MIT GOTT
DAS LIED DER LIEBE
VOM FASTEN
LEIDENSCHAFT IN DER WÜSTE
DER GUTE KAMPF
EINE LEIDENSCHAFTLICHE GEMEINSCHAFT
WAS FÜR EIN DUFT!
ERKENNEN, GLAUBEN, BLEIBEN
AUFBRUCH
DANK
DAS GEBETSHAUS FREIBURG
ÜBER DEN AUTOR
ANMERKUNGEN
Vor Kurzem hatte ich mich mit meinem Freund Rainer zu einem Gedankenaustausch verabredet. Wir sprachen über Gott, die Welt und besonders darüber, wer Gott für uns ist und wie wir ihn wahrnehmen – im eigenen Leben und dem anderer Menschen. Als ich mich nach diesem Gespräch auf den Heimweg machte, fühlte ich mich erfrischt. Zum einen hatte ich es genossen, eine alte Freundschaft wieder aufzufrischen, denn wir beide kennen uns seit den ersten Tagen von Rainers Weg mit Jesus. Damals schon habe ich gespürt, dass dieser Mann auf der Suche nach etwas ist, das sein Leben ganz und gar ausfüllt. Ich konnte ihm nur eine Antwort geben: „Niemand vermag dein Herz und dein Leben so reich zu machen und so auszufüllen wie der Mensch gewordene Gott.“
Gemeinsam haben wir viele Stunden damit verbracht, diesen Gott zu suchen und besser kennenzulernen. Wir haben die Bibel verschlungen, unsere Gedanken und Erfahrungen ausgetauscht, gemeinsam angebetet, Christen hinter dem Eisernen Vorhang besucht und uns gegenseitig zur Nachfolge Jesu inspiriert.
Irgendwie hat mich bei unserer jüngsten Begegnung aber auch etwas anderes berührt: eine Ausstrahlung, deren Quelle nicht in ihm selbst lag und die Sehnsucht in mir weckte. Mir fiel spontan Mose ein, der nach seinen Gottesbegegnungen so strahlte, dass er sein Gesicht verhüllte, um Irritationen seiner Umgebung zu vermeiden. Ich fragte mich, wie es möglich sein konnte, sich mitten im Alltag so deutlich spürbar in der Gegenwart Gottes aufzuhalten.
An meinem Freund habe ich insbesondere zwei Eigenschaften schätzen gelernt: ein hohes Maß an Offenheit und Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber sowie eine leidenschaftliche Hingabe an Jesus Christus. Als er mich bat, ein Vorwort für sein neues Buch zu schreiben, habe ich gerne zugesagt. Ich wusste, es würde ein authentisches Buch werden, dessen Aussagen sich in seinem Leben widerspiegeln. Und es würde ein Thema ansprechen, von dessen zentraler Bedeutung ich ganz neu berührt war.
Gleich am Anfang des Buches steht ein Satz, der mich tief getroffen hat: „Seit drei Jahrzehnten folge ich Jesus Christus, nie war die Liebe zu ihm so tief und leidenschaftlich wie heute – und noch immer möchte ich ihm näherkommen und ihn mehr lieben.“ Ich frage mich: Kann ich das von mir selbst sagen? Können Sie das von sich sagen? Und: Möchten wir das von uns sagen können?
Die Verantwortung, das Feuer der Leidenschaft für Jesus in Brand zu halten, liegt bei uns. Unsere geistliche Nahrung müssen wir uns selbst suchen. Doch wo werden wir fündig? Welche Quelle wird nicht über kurz oder lang enttäuschen oder gar versiegen? Wie kann unser inneres Feuer geschürt werden und an Temperatur zunehmen, ohne dass wir ausbrennen? Der Begriff „Burnout“ hat Hochkonjunktur. Täglich sitze ich Menschen gegenüber, die sich am Ende ihrer Kräfte fühlen. Nicht selten handelt es sich dabei um hingebungsvolle Christen. Was ist falsch gelaufen? Rainer schreibt dazu: „Wenn unsere Leidenschaft und Liebe sich nicht mehr direkt auf Gott, sondern auf den Dienst für ihn richten, verlieren wir das Fundament unseres Glaubens.“ Wir fangen dann an, uns von unseren Erfolgen und von den Rückmeldungen anderer Menschen zu ernähren.
Daraus resultieren nicht selten auch gesundheitliche Folgen: Erschöpfungsdepressionen, Ängste, ein überstrapaziertes Immunsystem mit der Folge häufiger Infekte, erhöhte Reizbarkeit, Beziehungsstress oder psychosomatische Symptombildungen.
Wieder fällt mir Mose und seine Begegnung mit Gott am brennenden Dornbusch ein, der lichterloh brannte, ohne verzehrt zu werden. Mose fand das erstaunlich. Aber erst als er vom Weg abbog, um diese ihm unerklärliche Angelegenheit näher zu untersuchen, sprach ihn Gott persönlich an, was sein Leben für immer veränderte. Ich habe dieses Buch mit einem wachen Geist und einem hungrigen Herzen gelesen und bin dabei ebenfalls einem „brennenden Dornbusch“ begegnet.
Wenn auch Sie von Ihrem gewohnten Kurs abweichen möchten, halten Sie mit diesem sensiblen Reiseführer eine wertvolle Hilfe für einen atemberaubenden, neuen Weg in Händen.
Dr. med. Rolf Senst Psychiater u. Psychotherapeut, Chefarzt de’ignis Klinik, stellv. Vorsitzender der Akademie für Psychotherapie und Seelsorge
„Jesus, in mir wecke Liebe zu dir.“
Ich bin im Gebetshaus und bete dieses einfache Gebet. Ungezählte Male und viele Stunden schon habe ich es im Stillen und im Einklang mit dem Rhythmus meines Atems gebetet. Es kommt tief aus meinem Herzen und bringt meine größte Sehnsucht zum Ausdruck: die Sehnsucht nach einer beständig wachsenden Liebe zu dem Mann, der vollkommen Mensch und vollkommen Gott ist: Jesus Christus. Seit drei Jahrzehnten folge ich ihm, nie war die Liebe zu ihm so tief und leidenschaftlich wie heute – und noch immer möchte ich ihm näherkommen und ihn mehr lieben. Er ist die faszinierendste Persönlichkeit, die ich kenne, und seine Schönheit ist mit nichts zu vergleichen. Was für ein Geschenk, dass ich ihn kennen darf. Ein Leben ohne diese leidenschaftliche Liebesbeziehung kann ich mir nicht mehr vorstellen.
Im Gebetshaus darf ich mit Menschen zusammenarbeiten, die sich mit mir dem einen Ziel verschrieben haben: Gott zu lieben und aus der Liebe zu ihm zu leben. Diese Menschen fordern mich heraus und sie feuern mich an. Mit und von ihnen lerne ich, Jesus mehr zu lieben. Mein Herz schlägt schneller, wenn ich an meine Freunde denke, die Tag und Nacht Gott anbeten und Fürbitte tun. Sie sind meine Helden und meine Gefährten auf der abenteuerlichen Reise zum Herzen Gottes. Es ist eine Gemeinschaft von Menschen, die leben, was sie so oft singen:
Ich habe zum Herrn gesagt: Du bist mein Herr; es gibt kein Glück für mich außer dir.
Psalm 16,2
Seit einigen Jahren komme ich in die unterschiedlichsten Kirchengemeinden und Werke, um zu predigen oder Seminare durchzuführen. Immer wieder treffe ich dort auf hingegebene Menschen, die sich jahrelang und treu in die Mitarbeit vor Ort investiert haben, aber irgendwann feststellen, dass sie am Rande ihrer Kraft angekommen sind oder geistlich auf der Stelle treten. Sie leiden darunter, dass ihre Beziehung zu Jesus eher einer Arbeitsbeziehung als einer partnerschaftlichen Liebe gleicht.
Es schmerzt mich, wenn ich diese wertvollen Menschen und müden Helden sehe. Neben all den Herausforderungen in ihrem Alltag, in Beruf und Familie haben sie sich mit viel Herzblut in den ehrenamtlichen und so wichtigen Dienst im Reich Gottes gestellt, spüren aber, dass ihre Leidenschaft für Jesus irgendwann verloren gegangen ist. Obwohl es sich um reife Christen handelt, wissen sie oft nicht, wie sie diese Leidenschaft wieder wecken und dauerhaft erhalten können. Manche haben resigniert. Einige haben echte Leidenschaft nie kennengelernt. Aber alle sehnen sich nach einer tieferen Hingabe. Ich nehme einen großen Hunger nach Gott in unseren Kirchen und Gemeinden wahr.
Warum bloß entgleitet so vielen ihre Leidenschaft für Jesus?
Und: Gibt es etwas, was man dagegen tun kann?
Ende der neunziger Jahre bin ich selbst an einem Punkt angekommen, an dem ich erkennen musste, dass meine Beziehung zu Gott zu einem Arbeitsverhältnis geworden war. Meine Liebe zu ihm definierte sich über mein Tun. In dieser Zeit wurde mir bewusst, dass eine echte Liebesbeziehung in erster Linie von Nähe und Gemeinschaft geprägt ist. Erst an zweiter Stelle und als Resultat der Liebe Gottes zu mir steht der Dienst für ihn.
Es ist die Erfahrung der Liebe Gottes, die in uns den Wunsch weckt, ihm zu dienen. Ist unser Dienst für Gott eine Reaktion auf seine Liebe, wird daraus tatsächlich ein „Liebesdienst“. Eine größere Motivation als die Liebe gibt es nicht.
Wir sind nicht gerettet worden, weil Gott neue Mitarbeiter gesucht hat. Ganz im Gegensatz dazu spricht die Bibel von einer partnerschaftlichen und vertrauensvollen Liebesbeziehung, die auf dieser Erde beginnt und sich im Himmel ewig fortsetzen wird. Vergessen Sie nicht, dass am Ende der Geschichte kein Dienstjubiläum gefeiert wird, sondern ein großes Hochzeitsfest auf uns wartet, das der himmlische Bräutigam (Jesus) mit seiner herrlichen Braut (der Gemeinde der Gläubigen) feiern wird.
Ich spürte damals, dass ich Konsequenzen ziehen musste. In Absprache mit den Leitern der Kirchengemeinde, zu der ich gehörte, legte ich für ein Jahr fast alle meine Leitungsaufgaben nieder. Ich wollte Gott suchen und meine Beziehung zu ihm auf ein neues Fundament stellen. Im Verlauf des folgenden Jahres begann er zu mir über das Gebetshaus zu sprechen und gab meinem Lebensweg damit eine völlig neue Richtung, die ich wohl nicht entdeckt und eingeschlagen hätte, wenn ich mich nicht auf die Suche nach einer erneuerten Liebesbeziehung gemacht hätte. Aus ihr heraus entstand meine heutige Aufgabe, aus ihr lebe ich seitdem.
Wenn unsere Leidenschaft und Liebe sich nicht mehr direkt auf Gott, sondern auf den Dienst für ihn richten, verlieren wir das Fundament unseres Glaubens. Dabei sind wir von Natur aus so angelegt, dass wir etwas leisten, etwas auf die Beine stellen und erfolgreich sein möchten. Das ist völlig normal. Ohne eine lebendige Beziehung zu Gott aber fangen wir an, unseren Erfolgen den Platz einzuräumen, der eigentlich Gott gehört. Unsere Seele ernährt sich dann nämlich nicht mehr von Gottes Gegenwart und seiner Liebe, sondern versucht, vom Applaus der Menschen satt zu werden. In der Folge müssen wir plötzlich Masken tragen, um den Applaus zu verdienen. Wenn es so weit gekommen ist, sind wir in eine Falle geraten und auf dem besten Weg zu Frustration, Leistungsorientierung und seelischer Erschöpfung. Wir stellen die Grundaussage des Evangeliums auf den Kopf: Anstatt aus Liebe zu dienen, dienen wir, um geliebt zu werden.
Gott hatte andere Pläne für uns. Er liebt uns zu sehr, als dass er zuschauen könnte, wie wir in einem religiösen Hamsterrad endlose Runden drehen, bis wir nicht mehr können. Ich möchte Sie mit diesem Buch einladen, zurück zur Leidenschaft, und damit zu einem erfüllenden Leben mit Gott, zu finden.
Es ist Zeit umzukehren. Gott wartet auf Sie. Lassen Sie uns gemeinsam losgehen, um die Leidenschaft für Jesus neu zu entdecken. Lassen Sie uns anfangen, die Dinge wieder in die richtige Reihenfolge zu bringen.
Was wir auch tun, wir tun es aus der Liebe, die Christus uns geschenkt hat – sie lässt uns keine andere Wahl.
2. Korinther 5,14 (HFA)
Vor einigen Monaten habe ich im Rahmen des wöchentlichen Lehrabends vom Gebetshaus Freiburg eine Serie über das Thema „Leidenschaft für Jesus“ gehalten. Die Rückmeldungen haben meine Beobachtungen und Vermutungen bestätigt: Viele Christen, auch solche, die schon lange an Jesus glauben, sehnen sich nach einer authentischen, alltagsrelevanten, erfüllenden und vor allem dauerhaften Leidenschaft für ihn. Ihnen fehlt die Tiefe in ihrer Beziehung zu Gott.
Doch die Erkenntnis über den ungestillten Hunger nach Intimität und Leidenschaft für Gott führt nicht immer zur Einsicht, dass sich dringend etwas ändern muss. Manche finden sich mit dem unbefriedigenden Status quo ihrer Gottesbeziehung einfach ab, was zur Folge hat, dass ihr Glaube fade und langweilig wird. Andere leiden unter einem latent schlechten Gewissen, weil sie das Gefühl haben, zu wenig zu tun, um Jesus näherzukommen. Sie sind in der Gefahr, ihr geistliches Hamsterrad sogar noch etwas schneller zu drehen. Nur wenige halten wirklich inne, machen sich ihren Zustand bewusst und suchen nach einem Ausweg.
Geistlicher Hunger lässt sich jedoch nicht auf Dauer ignorieren oder durch Arbeit kompensieren. Wir werden unglücklich, wenn unsere Seele ihrer Bestimmung, zu lieben und geliebt zu werden, nicht folgen darf. Deshalb steigt im Herzen von immer mehr Christen ein immer lauter werdendes, wenn auch oftmals diffuses Rufen nach Gott auf. Ich bin überzeugt, dass es Gott selbst ist, der dieses Rufen in uns weckt. Er möchte uns nicht in unserer Leidenschaftslosigkeit verharren lassen. Seine Leidenschaft für uns hat nie nachgelassen und er sehnt sich nach Gemeinschaft mit Frauen und Männern, deren Herzen für ihn brennen – aus Liebe.
Ich schreibe dieses Buch mit Bedacht. Der Gedanke, es könne bei Ihnen zwar kurz neue Motivation und neuen Optimismus wecken, bevor dann aber doch bald das alte Leben wieder einzieht, lässt mich umso ernsthafter versuchen, das zu vermitteln, was ich entdeckt und gelernt habe. Ich bete, dass Brannte nicht unser Herz? Ihnen dabei helfen wird, eine bleibende Leidenschaft für Jesus zu entwickeln, und nicht bloß ein (weiteres) Strohfeuer entfacht.
Die Erfahrungen und Prinzipien, die ich im Folgenden mit Ihnen teilen möchte, sind vor allem in den Aussagen der Heiligen Schrift gegründet. Sie sind für jeden umsetzbar und haben sich für mich und viele Generationen von Christen vor mir als alltagstauglich erwiesen.
Ich würde dieses Buch nicht schreiben, wenn ich nicht persönlich erlebt und bei anderen hätte beobachten dürfen, wie eine bleibende Leidenschaft für Jesus gewachsen ist. Ich konnte beachtliche charakterliche Veränderungen bei Menschen aus meinem direkten Umfeld erleben: Sie wurden freier, gefestigter, hingegebener, weiser, gelassener, vertrauensvoller – und leidenschaftlicher.
Ich möchte Sie gerne zu einer Reise einladen, die nichts mit einem weiteren „trendigen“ spirituellen Ziel zu tun hat, sondern die Sie zu den alten, stabilen und erprobten Fundamenten eines tatsächlich glücklichen Lebens mit Jesus Christus führt. Lesen Sie dieses Buch daher nicht nur, arbeiten Sie mit ihm, machen Sie sich Notizen, streichen Sie sich für Sie wichtige Stellen an. Ich vertraue darauf, dass Gott Sie auf dem Weg durch dieses Buch wie ein Trainer ermutigen wird, der am Rande der Aschenbahn steht und Sie anfeuert, damit Sie „den Lauf laufen“ und am Ziel ankommen: dort, wo Sie und Gott sich in den Armen liegen werden.
Ferdinand Lasalle (1825–1864), Schriftsteller
Vor einigen Jahren machte mich einer meiner Söhne auf ein Video auf YouTube aufmerksam. Untermalt von treibender Technomusik zeigte es einen Zusammenschnitt von Aufnahmen, in denen meist junge Menschen absolut erstaunliche und verrückte Dinge taten:
Sie sprangen von am Strand gelegenen Hoteldächern ins Meer, fuhren mit ihren BMX-Rädern gewaltige Rampen hinunter und schlugen Saltos in der Luft, schwangen sich an langen Seilen in tiefe Abgründe hinein, tauchten ohne Schutzkleidung durch ein Loch im Eis ins zugefrorene Meer, sprangen weite Sätze mit ihrem Snowmobil oder rasten mit dem Fahrrad in Hochgeschwindigkeit einen Berghang hinab. Mir stand beim Zusehen der Mund offen. Ich konnte die Leidenschaft für das Leben spüren, die in diesen Menschen brannte.
Ich mag sportliche Herausforderungen. Aber als ich dieses Video ansah, war ich weniger berührt von den körperlichen Leistungen, die ich dort zu sehen bekam. Stattdessen traf mich ein Schmerz und ich fing an zu weinen. Ich weiß noch genau, wie ich betete: „Herr, lass mich solch eine große Leidenschaft für dich haben.“
Mike Bickle, der Gründer des „International House of Prayer“ in Kansas City, USA, schreibt im Geleitwort zu seinem Buch Leidenschaft für Jesus Folgendes:
Meiner Ansicht nach kommt die größte Gefahr, die heute die Kirche bedroht, nicht von außen, sondern von innen. Es ist … der Mangel an Liebe zu Gott, die Lauheit der Kirche, die heute der schlimmste Feind ist.
Das sind harte Worte, aber sie decken sich mit meiner eigenen Beobachtung. Wo finden wir heute tatsächlich noch Leidenschaft in der Kirche?
Vor einiger Zeit saß ich zum Mittagessen mit einem befreundeten Pastor in der Sonne vor einem italienischen Restaurant in der Innenstadt von Freiburg. An uns zogen viele Passanten vorbei: lauter von Gott geliebte Menschen mit ihren ganz persönlichen Geschichten, mit ihrer Freude und ihrem Leid.
Ich stellte meinem Freund die Frage, was wir wohl zu hören bekämen, wenn wir aufstehen und eine kleine Umfrage unter den Vorbeigehenden starten würden. Was würden die Menschen auf die Frage antworten, was sie mit dem Begriff „Kirchengemeinde“ verbinden? Würde wohl irgendjemand das Wort „Leidenschaft“ nennen?
Wir haben damals keine Umfrage gestartet. Uns war die Antwort klar. Und sie machte uns traurig.
Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski (1821–1881) hat einmal eine beängstigende Einschätzung zur Frage nach einem lebendigen Glaubens an Jesus Christus in der westlichen Welt abgegeben. Er sagte: „Der Westen hat Christus verloren; daran muss er zugrunde gehen.“ Ich glaube: Wenn die Leidenschaft für Jesus nicht in unsere Kirchen, in unsere Gemeinden und vor allem in unser Alltagsleben zurückkehrt, könnte sich die Aussage Dostojewskis als erschreckend prophetisch erweisen.
Falls Mike Bickle recht hat und Fjodor Dostojewski etwas erahnte, das uns tatsächlich bevorstehen könnte, dann müssen wir Christen uns mit dem Thema Leidenschaft befassen. Der Mangel an Leidenschaft für Jesus in der Christenheit des Westens darf nicht mehr unberücksichtigt bleiben.
Was aber ist Leidenschaft? Was ist Leidenschaft für Jesus? Was geht in einem leidenschaftlichen Menschen vor? Was bewirkt Leidenschaft? Ist sie mehr als ein überschwängliches Gefühl? Warum fehlt sie uns Christen? Und die wichtigste Frage: Wie bekommen wir sie wieder?
Wenn ich darüber nachdenke, nach welchen Begegnungen ich guter Dinge und voller Tatendrang bin, bereit, Neues anzupacken oder Altes abzuschneiden, komme ich zu dem Ergebnis, dass es die Begegnungen mit leidenschaftlichen Menschen sind, die mich motivieren und mich auf neue Möglichkeiten hinweisen.
Ich liebe leidenschaftliche Menschen. Ich bin gerne von ihnen umgeben, denn sie fordern mich auf meinem Weg mit Jesus heraus und spornen mich an. Nicht immer sind sie besonders vorsichtig und nicht alle ihre Ideen sind bereits im Detail durchdacht, aber: Langweilig sind sie bestimmt nicht!
Darüber hinaus waren es zu jeder Zeit die Leidenschaftlichen, die unsere Geschichte beeinflusst und unsere Welt verändert haben. Denken Sie an die hartnäckigsten Erfinder, an die herausragendsten Politiker, an die beeindruckendsten Künstler, die größten Wohltäter, die verrücktesten Sammler und die visionärsten Architekten. Denken Sie aber auch an die größten Verbrecher, die schlimmsten Diktatoren und die dreistesten Betrüger. Alle hatten sie tatsächlich eines gemeinsam: große Leidenschaft. Sie waren so versessen auf ihr Ziel, dass sie bereit waren, alles dafür zu geben, um es zu erreichen. Das sind die Menschen, die Geschichte schrieben. Ihre Leidenschaft beeindruckt oder beängstigt mich – je nachdem, ob sie sie zum Guten oder zum Bösen eingesetzt haben. Lassen Sie mich anhand zweier Beispiele verdeutlichen, was ich meine, wenn ich von leidenschaftlichen Menschen spreche.
Carl Benz, Ingenieur und Pionier der Automobilindustrie, war ein unbeirrbarer Visionär und genialer Erfinder. Seine Leidenschaft galt einem hohen Ziel, denn er wollte den ersten pferdelosen, selbst laufenden Wagen der Welt entwickeln. Auf dem Weg dorthin erlebte er manchen Erfolg, jedoch auch große Rückschläge. Aber er gab niemals auf. Im Januar 1886 schließlich trug ihn seine Leidenschaft über die Ziellinie: Er erhielt das Patent auf den ersten fahrtüchtigen Motorwagen. Es war die Geburtsstunde des Automobils, durch das sich die Welt bald von Grund auf verändern sollte.
Schon als junger Mensch war Carl Benz der Technik verfallen. Mit fünfzehn Jahren bestand er die Aufnahmeprüfung am Polytechnikum in Karlsruhe und studierte im Anschluss Maschinenbau. Nebenbei experimentierte er an einer Alternative zur Dampfmaschine. Nach dem Studium und ersten Anstellungen in Mannheim und Pforzheim lernte Carl den Mechaniker August Ritter kennen. Die beiden entschlossen sich, Partner zu werden, kauften 1871 einen einfachen Holzschuppen und nannten sich fortan „Carl Benz & August Ritter, Mechanische Werkstätte“.
Nach einiger Zeit zahlte Carl seinen Partner aus, um das Unternehmen alleine weiterzuführen, und machte mit seiner späteren Ehefrau Bertha die „Eisengießerei und mechanische Werkstätte“ daraus. Zu Anfang liefen die Geschäfte so schlecht, dass schließlich sogar die wichtigsten Werkzeuge gepfändet wurden. Carl stand vor dem Ruin. Nur die frühzeitig ausgezahlte Mitgift seiner zukünftigen Frau rettete ihn. Sein Wille war dennoch ungebrochen und ließ ihn im Rückblick schreiben:
Unverzagt und unbeirrt wie ein wetterharter Pilot halte ich in dunkler Nacht das Steuer meines Lebensschiffleins eingestellt auf das Leuchtfeuer meines Ideals. Nur ein Mensch harrte in diesen Tagen, wo es dem Untergang entgegenging, neben mir im Lebensschifflein aus. Das war meine Frau. Sie zitterte nicht vor dem Ansturm des Lebens. Tapfer und mutig hisste sie neue Segel der Hoffnung auf. Nicht umsonst!1
Neben den Auftragsarbeiten tüftelte er an einem Zweitaktmotor, der jedoch einfach nicht laufen wollte. Bis zur Silvesternacht 1879, als die Maschine doch noch ansprang. „Endlich war die Stunde gekommen, die ich jahrelang erhofft hatte“, zitiert Winfried Seidel, Inhaber des privaten Museums „Dr. Carl Benz“ in Ladenburg, den berühmten Konstrukteur: „Was ich in schlaflosen Nächten erdacht und ersonnen hatte, was am Reißbrett konstruiert und berechnet worden war, sollte in die Tat umgesetzt werden.“
In seinen Erinnerungen schreibt Carl Benz: „Jetzt musste es sich in feste Form gestalten. Alle theoretischen Pläne sollten nun in die Praxis umgesetzt werden – in den lebendigen, selbst fahrenden Motorwagen! Mein fester Glaube an das Gelingen dieses Vorhabens ließ mich die große Arbeit freudig beginnen.“2
Aber er beschreibt auch seine Kämpfe und technischen Herausforderungen:
Auf dem Papier war das motorgetriebene Fahrzeug fix und fertig. In der Konstruktionsmappe lagen die Zeichnungen für jedes Zahnrad, für jede Schraube, Kette und Riemenscheibe. Kein noch so kleiner Teil war nicht vorher erdacht und seine Ausführung überlegt worden. Und trotzdem gebärdete sich später manches Stück in der Praxis ganz anders, als der Konstrukteur es vom Standpunkt der Berechnung aus erwartet hatte. Eine Schwierigkeit nach der anderen bäumte sich auf. Aber keine vermochte meinen festen Willen zu lähmen, diese Widerstände zu meistern. Gerade bei solchen Widerwärtigkeiten zeigte es sich, wie gut es war, dass ich harte Jahre hindurch zäh am Schraubstock und der Drehbank ausgehalten habe. Die Schwielen an meinen Händen wurden zu Ehrenmalen des praktischen Arbeiters.3
Benz entwickelte einen leichten Viertaktmotor und im Frühjahr des Jahres 1885 stand ein dreirädriger Motorwagen fahrbereit auf dem Hof seiner Werkstatt. Seine ersten Ausfahrten in den Straßen Mannheims glichen eher einem Spießrutenlauf denn einem Triumphzug. Dazu Winfried Seidel: „Die Menschen sammeln sich an, lächeln und lachen. Das Staunen und Bewundern schlägt um in Mitleid, Spott und Hohn. Wie kann man sich in einen unzuverlässigen, armseligen, lautlärmenden Maschinenkasten setzen, wo es doch genug Pferde gibt auf der Welt?“ Es sollen sogar Stimmen laut geworden sein, die forderten: „Wirf den Stinkkasten in den Neckar.“ In der Öffentlichkeit wurde Carl für seine Arbeit verspottet. Seine Erfindung wurde als „Wagen ohne Pferde“ belächelt.
Weil seine Entwicklungsarbeiten so viel Geld verschlangen, forderte seine Bank die Umwandlung des Unternehmens in eine Aktiengesellschaft. Im Aufsichtsrat der neuen AG fand Benz für seine visionären Ideen allerdings wenig Verständnis. Er verließ die Firma daher wieder und gründete ein Jahr später die „Benz & Cie. Rheinische Gasmotorenfabrik Mannheim“, die um die Jahrhundertwende zur größten Automobilfabrik der Welt werden sollte. Carl ließ sich weder von Spott noch vom Ärger mit seinen Partnern beirren. Er arbeitete konzentriert an seinem großen Ziel, bis der Motorwagen 1886 reif für das Patent war.
Sehen Sie die Leidenschaft des Carl Benz? Können Sie sich seine schlaflosen Nächte, seine Misserfolge, seine finanziellen Nöte, den Spott der Menschen um ihn herum vorstellen? Und doch wurde die ganze Welt durch die Leidenschaft dieses Mannes verändert, der sich von seiner Vision nicht hat abbringen lassen.
Finden Sie eine solche Leidenschaft auch in Ihrem Leben? Gibt es etwas, das Sie so hartnäckig verfolgen wie es Benz getan hat? Haben Sie schon einmal einen Satz gesprochen, wie er ihn sagte: „Unverzagt und unbeirrt wie ein wetterharter Pilot halte ich in dunkler Nacht das Steuer meines Lebensschiffleins eingestellt auf das Leuchtfeuer meines Ideals?“
Das ist echte Leidenschaft.
Ich möchte ein weiteres, faszinierendes Beispiel dafür geben, wie die Leidenschaft einer Einzelperson die Welt verändern kann. Vielleicht ist die folgende Geschichte eine Herausforderung für Ihre persönliche Theologie, da es sich jedoch um einen historischen Bericht handelt, in dessen Verlauf sich zur selben Zeit bemerkenswerte Dinge an unterschiedlichen Orten abspielen und diese gut belegt sind, möchte ich Sie bitten, mit staunendem Herzen zu lesen. Es geht mir weniger um theologische Aussagen als um eine noch wenig bekannte Begebenheit, die ich als sehr ermutigend empfinde.
Der Held dieser Geschichte ist eine Frau, von der Sie vielleicht noch nie gehört haben: Elena Guerra, eine italienische Ordensschwester, die 1835 geboren wurde.
Elena war das Kind wohlhabender, adliger Eltern und wuchs in einem behüteten Umfeld auf. Als junge Frau wurde sie Teil der katholischen Vinzenzgemeinschaft4, die sich der Betreuung von Armen und Kranken verschrieben hatte. 1872 gründete sie selbst den Orden der „Oblatinnen des Heiligen Geistes“5, der sich unter anderem der Erziehung junger Mädchen widmete.
Elena trug einen großen Schmerz in sich, weil sie in der katholischen Kirche so wenig über den Heiligen Geist hörte. Irgendwann konnte sie diesen Zustand nicht mehr ertragen und begann in ihren fortgeschrittenen Lebensjahren etwas Ungewöhnliches zu tun: Zwischen 1895 und 1903 schrieb sie insgesamt zwölf persönliche Briefe an den damaligen Papst Leo XIII. In ihren Schreiben rief sie ihn dazu auf, dem Heiligen Geist mehr Raum zu geben, um dadurch die katholische Kirche zu erneuern.
In ihrem ersten Brief, den sie am 17. April 1895 verfasste, brachte sie ihre große Hochachtung dem Papst gegenüber zum Ausdruck, zugleich aber machte sie ihm sehr konkrete Vorschläge, wie er den Heiligen Geist zurück in ihre Kirche bringen könne, und schickte ihm sogar ein Büchlein, in dem es um den Heiligen Geist ging. Elenas Sehnsucht und ihre Leidenschaft für den Heiligen Geist ließen sie jedes Standesdenken vergessen.
In einem der folgenden Briefe stellte sie fest:
Pfingsten ist nicht vorbei. Tatsächlich geht es zu jeder Zeit und an jedem Ort weiter, denn der Heilige Geist will sich jedem Menschen geben und alle diejenigen, die ihn möchten, können ihn jederzeit empfangen. Wir brauchen also nicht neidisch auf die Apostel und die ersten Jünger zu schauen; wir müssen uns ihm nur genauso zur Verfügung stellen, um ihn zu empfangen. Dann wird er zu uns kommen, wie er zu ihnen gekommen ist.6
Als gewöhnliche Ordensschwester bat sie also den Papst um Erneuerung und machte gleich entsprechende Vorschläge! Dies tat sie wieder und wieder.
Ihr Ziel war ihr so wichtig, dass sie nicht aufgab und dem Oberhaupt der katholischen Kirche Brief um Brief schrieb. Am 9. Mai 1897 erreichte Elena ein wichtiges Etappenziel: Papst Leo XIII. veröffentlichte mit der Enzyklika „Divinum illud munus“ (Dt: „Jener göttliche Auftrag“) das ausführlichste Dokument über den Heiligen Geist, das je von einem Papst verfasst worden war und das speziell dessen Gaben wertschätzte. Doch noch immer hörten Elenas Briefe nicht auf. Im Oktober 1900 schlug sie ihm vor, das neue Jahrhundert damit zu beginnen, den bekannten Hymnus „Veni Creator Spiritus“ (Dt. „Komm, Schöpfer Geist“) zu singen. Am 1. Januar 1901 stand Papst Leo XIII. dann tatsächlich in der Basilika St. Peter in Rom und sang diese Einladung an den Heiligen Geist, um ihm damit das ganze Jahrhundert zu weihen.
Buchstäblich zur selben Zeit begann in den USA im Kontext der dortigen sogenannten „Heiligungsbewegung“ eine Ausgießung des Heiligen Geistes, in Folge derer die weltweite Pfingstbewegung entstand. Aber auch in anderen geistlichen Strömungen auf der ganzen Welt kam es zu einem solchen Aufbruch, denken Sie beispielsweise an den Beginn der charismatischen Erneuerung in der Katholischen Kirche oder der Geistlichen Gemeindeerneuerung in der Evangelischen.
Laut Professor Allan Anderson von der Universität Birmingham sind es heute weltweit über 600 Millionen Menschen, die zur Pfingstbewegung gehören7 (1970 waren es noch 63 Millionen). Das bedeutet, dass mittlerweile jeder vierte Christ einen pfingstlich geprägten Glaubenshintergrund hat, dessen neuzeitliche Wiederbelebung zur Zeit Elenas begann.
Elenas Leidenschaft für Gott ließ sie den Papst bitten, den Heiligen Geist neu einzuladen. Die Antwort Gottes auf diese Einladung mag anders ausgefallen sein, als sie sich dies vorgestellt hat, dennoch wurde die ganze Welt verändert. Papst Johannes XXIII. (1881–1963) schätzte Elena Guerra ebenfalls sehr. Er kündigte 1959 das Zweite Vatikanische Konzil an und forderte alle Gläubigen auf, als Vorbereitung darauf für eine neue pfingstliche „Ausgießung des Heiligen Geistes“ zu beten – genau das hatte sich Elena gewünscht.
Was sie voller Eifer verfolgt und wofür sie sich leidenschaftlich eingesetzt hat, hat mit Sicherheit ihre eigenen Erwartungen übertroffen. Vielleicht halten Sie den Zusammenhang zwischen Elenas Briefen an Papst Leo XIII., seiner Reaktion und dem zeitgleich stattfindenden Beginn der Pfingstbewegung für eine Zufälligkeit. Persönlich kann ich mir durchaus vorstellen, dass es einen Zusammenhang gibt. Denn Gott liebt Menschen, die ein brennendes Herz haben und nicht locker lassen. Und er liebt es, ihren Glauben zu belohnen.
Wenn Sie in Ihr Leben schauen, finden Sie dann eine solche Leidenschaft? Gibt es Ziele, die Sie so hartnäckig verfolgen, wie es Carl Benz und Elena Guerra getan haben? Haben Sie ein Anliegen, für das Sie leben und für dessen Realisierung Sie nicht vor dem scheinbar Unmöglichen zurückschrecken?
Wenn Gott durch Sr. Elena etwas so Gewaltiges tun konnte, ist dann nicht denkbar, dass er auch durch Sie und mich segnend und verändernd in unsere Welt hineinwirken kann? Ich glaube fest daran. Die Hauptvoraussetzung dafür scheint mir zu sein, dass wir uns ihm ganz hingeben und ihn leidenschaftlich lieben.
Wir Menschen sind mit einem Antrieb geschaffen worden, der in uns allen wirkt. Dieser lässt uns unser Leben aufbauen, einen Partner finden, Ziele stecken und verfolgen, Fähigkeiten erwerben und neue Erfahrungen machen. Unser innerer Motor kann aber auch ins Stottern geraten oder regelrecht abgewürgt werden – durch seelische Verletzungen oder Enttäuschungen, durch Krankheit oder Leid, aber auch durch Übersättigung und Langeweile. Wenn das geschieht, verlieren wir jede Motivation und im schlimmsten Fall werden wir sogar lebensmüde. Ohne Antrieb, also ohne Leidenschaft, ist das Leben nicht lebenswert. Stillstand bedeutet den Tod. Unser Leben muss sich auf ein Ziel zubewegen dürfen, sonst empfinden wir Sinnlosigkeit.
Der biblische Schöpfungsbericht zeigt uns deutlich, dass wir mit einem solchen inneren Antrieb geschaffen wurden:
Da bildete Gott, der Herr, den Menschen, aus Staub vom Erdboden und hauchte in seine Nase Atem des Lebens; so wurde der Mensch eine lebende Seele.
1. Mose 2,7
Schauen wir uns das hebräische Wort für „Seele“ einmal genauer an: Im Grundtext findet sich an der Stelle das Wort „nefesch“ (). Insgesamt kommt es über 750 Mal im Alten Testament vor. Dieses Wort ist sehr interessant und steht normalerweise im Zusammenhang mit vitalen Bedürfnissen; es kann auch mit „Kehle“, „Begehren“, „Gier“, „Verlangen“, „Trachten“ oder „Sehnen“ übersetzt werden.8
„Nefesch“ birgt die Aussage in sich, dass unsere Seele von Gott so konstruiert wurde, dass sie Sehnsucht in sich trägt. Sie ist ständig auf der Suche nach Erfüllung, und zwar letztendlich nach Erfüllung durch die leidenschaftliche Beziehung zu Gott.
Wir wurden nicht für den Stillstand und die damit unweigerlich einhergehende Langeweile geschaffen. Wir brauchen ein Ziel, auf das wir in unserem Leben zusteuern und auf das wir unsere Energie richten können. Nach all dem, was ich gesehen, erlebt und erkannt habe, kann unsere Leidenschaft nur in Gott selbst gestillt werden. Wir Menschen müssen erleben dürfen, was er uns ins Herz gelegt hat, um glücklich zu sein: von ihm geliebt zu werden und ihn wieder zu lieben. Sobald sich die Leidenschaft auf andere Dinge richtet, besteht die Gefahr, dass wir auf eine ungesunde Art und Weise extrem werden und uns und anderen Schmerz zufügen.
Denken Sie an Menschen mit großer Leidenschaft, die Sie kennen. Wohin führt sie ihre Leidenschaft, wenn nicht Gott oder der Nächste im Zentrum ihrer Bestrebungen liegen? Rücksichtslosigkeit, Egoismus und Perversion sind einige der Folgen, die letzten Endes entweder zur Vereinsamung oder Selbstzerstörung führen.
Ludwig Börne (1786–1837), deutscher politischer Schriftsteller und Kritiker
Yannick N. war ein junger Mann aus meiner Stadt. Nach den Vorkommnissen, die ihm für einige Tage traurige Popularität und Aufmerksamkeit bringen sollten, wurden seine Bekannten von der Presse interviewt. Sie zeichneten das Bild eines familiär und emotional verwahrlosten jungen Menschen. Eine Weile hatte Yannick Halt in einer sozialen Einrichtung gefunden, nahm jedoch deren Angebote immer weniger wahr und tauchte schließlich gar nicht mehr auf. Obdachlos lebte er für längere Zeit auf der Straße und streifte suchend durch die Stadt – bis er meinte, gefunden zu haben, was er suchte.
Seine Sehnsucht fand ein Zuhause, seine innere Leidenschaft ein Ziel: Zuvor völlig unreligiös, konvertierte er zum Islam und kam über das Internet in Kontakt mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS). Endlich hatte er eine Gruppe von Menschen um sich, die ihn aufnahmen und leidenschaftlich gemeinsam für ein großes Ziel lebten, für das er sich fortan ebenfalls einsetzen wollte. Sein Leben hatte einen Sinn gefunden.
Yannick sei nicht kaltblütig gewesen. „Er war einfach ein sehr einsamer junger Mann, der auf der Suche nach Halt und Geborgenheit war. Er wäre auch mit Scientology mitgegangen, wenn die bei ihm angefragt hätten“, so eine Freundin, die glaubt, der IS hätte ihren Bekannten einer Gehirnwäsche unterzogen.
Ein Reporter der Tageszeitung „Die Welt“ begegnete dem Dschihadisten Yannick im Oktober 2014 in Sanliurfa in der Osttürkei, einer nah an der syrischen Grenze gelegenen Stadt, die als Drehscheibe für radikale Islamisten gilt. Der Junge sei ihm aufgefallen, weil er so ängstlich und unsicher war, so der Journalist.
Yannicks letzte Reise führte in den Irak. Im Mai 2015 schnallte er sich einen Sprengstoffgürtel um, setzte sich in einen mit 1,5 Tonnen Sprengstoff beladenen Lkw und fuhr mit diesem in einen Kontrollpunkt der irakischen Armee. Nach Angaben des IS soll er Dutzende von Menschen mit in den Tod gerissen haben.
Er ist kein Einzelfall. Um die 700 zumeist junge Männer und Frauen aus Deutschland haben sich 2015 der Terrororganisation IS angeschlossen.9 Was wäre gewesen, wenn Yannick Ihnen oder mir begegnet wäre? Hätte er in unseren Augen, Worten und Taten eine Leidenschaft gesehen, gehört und gefunden, die ihn zu einem Leben als Revolutionär für die Liebe Gottes ermutigt hätte?
Dean Potter war ein bekannter Extremsportler, der gleich in mehreren Disziplinen Maßstäbe gesetzt hat, die sich ins Gedächtnis der Outdoor-Begeisterten gebrannt haben. Er galt beispielsweise als Spezialist in den Kletterdisziplinen „Free Solo“ und „Speed Climbing“.
Free Solo ist eine der gefährlichsten Spielarten des Kletterns, denn der Kletterer ist völlig auf sich gestellt und verzichtet auf jegliche Form der technischen Absicherung. Beim Speed Climbing geht es darum, eine Kletterroute so schnell wie irgend möglich zu absolvieren. Manchmal werden auch beide Formen des Kletterns miteinander kombiniert, wodurch sowohl die Gefahr als auch der Adrenalinkick deutlich erhöht und verstärkt werden.
Dean wollte so viel „Freiheit“ wie möglich empfinden und verzichtete deshalb weitgehend auf klassische Sicherungsmittel. Für das Überwinden von sehr hohen Kletterwänden erfand er eigens die Technik des „Free Base“, bei der er alleine und nur durch einen Fallschirm abgesichert, kletterte. Am schweizerischen Eiger unternahm er einmal eine solche Klettertour ohne Sicherung, bei der er abstürzte und nur überlebte, weil er den Fallschirmrucksack trug – der jedoch erst ab einer gewissen Fallhöhe seine lebensrettende Wirkung zeigen kann.
Und dann war da noch seine Leidenschaft für das Basejump-Wingsuit-Fliegen. Hunderte von Male sprang er in seinem Wingsuit, einem Anzug mit Flächen aus Stoff zwischen Armen und Beinen, die wie Flügel wirken, von gewaltigen Felsen und Gebirgsklippen, um für ein paar Sekunden oder Minuten das Gefühl zu erleben, fliegen zu können.
Er liebte die Empfindungen, die er beim Base-Jumping, also beim Springen von festen Objekten, im freien Fall und auf dem anschließenden Flug erlebte. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 250 km/h raste er, getragen nur vom dünnen Stoff der winzigen, tragflächenartigen Erweiterungen seines Fluganzugs, an Felswänden entlang, durch abfallende Täler und knapp über die Wipfel der unter ihm liegenden Bäume.
Sein letzter Flug endete mit einem Aufprall, der ihm keine Chance ließ.10 Mit einem Freund sprang er am 16. Mai 2015 vom 2300 Meter hohen „Taft Point“ im Yosemite-Nationalpark im Westen der USA. Die beiden wollten versuchen, mit ihren Wingsuits durch eine Felslücke zu fliegen. Der Versuch schlug fehl. Die Auswertung einer mitgeführten Helmkamera ergab, dass zuerst Deans Freund gegen einen Felsen prallte. Ihm selbst gelang es noch, durch die Lücke zwischen den Felsen zu fliegen, aber bei dem Manöver verlor er so viel an Höhe, dass er am Boden aufschlug. Beide waren aufgrund der hohen Geschwindigkeit sofort tot.
Dean suchte Grenzerfahrungen, um Menschenmögliches auszutesten. Er erlebte die Todesnähe als einen spirituellen Moment, in dem er mit der Natur oder gar dem Universum verschmelzen konnte. Er sagte: „Wenn du weißt, dass du tot bist, wenn du einen Fehler machst, führt das zu einer superintensiven Wahrnehmung.“
Immer mehr Base-Jumper kommen inzwischen bei ihren Sprüngen, deren Risiko nicht berechenbar ist, ums Leben. In den Schweizer Alpen kommt es manchmal zu mehreren Todesfällen an einem einzigen Wochenende. Dennoch wächst die Zahl der Frauen und Männer, die es kaum erwarten können, sich im Wingsuit in die Tiefe zu stürzen. Während ich diese Zeilen schreibe, berichten die Nachrichten vom Tod eines weiteren bekannten, erst dreiundzwanzigjährigen Extremsportlers, der kurz vor seinem Flug angekündigt hatte, „ganz nah an Sachen entlangfliegen“ zu wollen.11