Broken Whispers - Das Monster (Perfectly Imperfect Serie 2) - Neva Altaj - E-Book

Broken Whispers - Das Monster (Perfectly Imperfect Serie 2) E-Book

Neva Altaj

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Beschreibung

Mikhail Zwischen der italienischen und der russischen Mafia herrscht Krieg. Ein brutaler Krieg. Beide Seiten sind rücksichtslos, unbarmherzig und unversöhnlich. Doch dann sollen unsere Welten wieder vereint werden: mit einer arrangierten Ehe. Die schönste Frau der italienischen Mafia und das am meisten gefürchtete Monster der Bratva. Ich liebe sie schon lange, aus sicherer Distanz, jetzt kann ich sie endlich haben. Aber wenn sie feststellt, was ich wirklich bin, wird sie nicht vor mir davonlaufen? Bianca Alles. Ich würde einfach alles für meine Schwester tun. Sogar in die Bratva einheiraten, nur um sie zu schützen. Ich hatte ein bösartiges, kaltherziges Ungeheuer erwartet, doch ich wurde überrascht. Dieser furchteinflößende Mann mit der Augenklappe und den Narben scheint alles zu sein, was ich mir je gewünscht habe. Nun liegt es an mir, seine Mauern einzureißen und die Barrieren zwischen uns zu zerstören. Mit nichts weiter als meinem gebrochenen Flüstern.

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Anmerkung der Autorin
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Epilog
Bianca
Danksagung

Neva Altaj

 

BROKEN whispers

Das Monster

(Perfectly Imperfect Serie)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Übersetzt von Alexandra Gentara

BROKEN whispers – Das Monster

 

 

 

 

© 2024 VAJONA Verlag GmbH

Originalausgabe bei VAJONA Verlag GmbH

 

 

Übersetzung: Alexandra Gentara

Lektorat der Übersetzung: Anne Masur

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »Broken Whispers«.

Umschlaggestaltung: Deranged Doctor mit Anpassungen durch den VAJONA Verlag

Satz: VAJONA Verlag, Oelsnitz unter Verwendung von Motiven von Canva

 

VAJONA Verlag GmbH

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz

 

 

Anmerkung der Autorin

In diesem Buch wird häufig die amerikanische Gebärdensprache (ASL) zur Kommunikation genutzt. Obwohl sich die Satzstruktur von ASL stark von der gesprochenen Sprache unterscheidet, habe ich mir die künstlerische Freiheit herausgenommen und die ASL-Dialoge den englischen Grammatikregeln angepasst, um den Lesefluss zu erleichtern. Ich hoffe, diese Entscheidung macht niemandem etwas aus.

 

Im Buch werden ein paar russische Wörter und Redewendungen benutzt. Hier sind die Übersetzungen dazu:

 

Solnyshko – солнышко (kleine Sonne, Sonnenschein); als Kosename benutzt.

Zayka – зайка (Häschen); als Kosename benutzt.

Lenochka – die Verniedlichungsform von Lena.

Piroshki – пирожки (Pasteten); dies sind kleine Pasteten, die herzhaft (mit Hackfleisch und/oder Gemüse) oder süß (mit Obst oder Marmelade) gefüllt sein können. Sie können sowohl gebacken als auch frittiert werden.

Dusha moya – душа моя (meine Seele, mein Seelengefährte); als Kosename benutzt.

»Ya lyublyu tebya vsey dushoy, solnyshko … Ya ne pozvolyu nikomu zabrat’ tebya« – »Ich liebe dich von ganzem Herzen, mein Sonnenschein … Ich werde nicht zulassen, dass dich mir jemand wegnimmt.«

»Ty luch solntsa v pasmurnyy den« – »Du bist ein Sonnenstrahl an einem trüben Tag.«

 

Hinweis

 

Dieser Roman behandelt Themen wie häusliche Gewalt, Erwähnung von Missbrauch und grafische Beschreibungen von Gewalt und Folter (jedoch nicht zwischen Held/Heldin).

 

Prolog

 

Mikhail

 

 

Zwölf Jahre zuvor

 

Eine Tür wird aufgerissen. Das Geräusch dringt nur langsam in mein benebeltes Bewusstsein. Gefolgt von dem Gefühl, in Zeitlupe irgendwo herunterzufallen. In einiger Entfernung ertönen fremde Stimmen. Sie werden nach und nach lauter, bis ich nur noch hektische Schreie höre.

Links von mir keucht jemand. »Heilige Scheiße!«

Ich versuche, die Augen zu öffnen, doch es gelingt mir nicht. Es kostet mich mehrere Versuche, bis ich die Lider endlich aufbekomme, aber mehr als verschwommene Umrisse kann ich nicht erkennen.

Und dann kommt der Schmerz.

Es fühlt sich an, als wäre ich von tausend Messern getroffen worden, deren Klingen noch immer in mir stecken. Das brennende Gefühl erfasst meinen gesamten Körper und lässt alles andere um mich herum verblassen. Nach Luft schnappend versuche ich etwas zu sagen, aber mehr als ein schmerzerfülltes, röchelndes Keuchen dringt nicht heraus. Dann verschlingt mich die Leere wieder. Allmählich verstummen die Geräusche um mich herum und ich lasse mich einfach treiben. Das Letzte, woran ich mich erinnere, sind ein paar abgehackte Sätze, die noch in mein schwindendes Bewusstsein dringen, bis davon nichts mehr übrig ist. Nur noch der Schmerz.

»Roman! Mikhail lebt noch!«

»O Gott … Legt ihm was aufs Gesicht …«

»Ich weiß nicht, ob er es schafft …«

»Gibt es noch mehr Verletzte?«

»Nein. Alle anderen sind tot.«

 

 

Kapitel 1

 

Mikhail

 

 

Gegenwart

 

Meine Schritte hallen durch das leere Foyer der Oper von Chicago und vermischen sich mit den leisen Anfangsklängen von Schwanensee, die aus dem linken Gang dringen. Da die Ballettaufführung bereits begonnen hat, ist der Eingangsbereich leer. Ich nicke dem Wachmann zu, dann drehe ich mich um und gehe den langen Gang entlang. Als ich mich der zweiflügeligen Tür aus Holz am anderen Ende nähere, fällt mir ein Plakat an der Wand auf.

Sie haben das Bild ausgewechselt. Das vorherige zeigte das gesamte Ensemble mitten im Sprung. Es war aus der Ferne aufgenommen und man konnte die ganze Bühne sehen. Auf dem neuen Plakat ist jedoch nur eine einzige Tänzerin abgebildet, in Großaufnahme. Ich gehe näher heran, bis ich direkt davorstehe. Gedankenverloren hebe ich die Hand und fahre die Konturen ihres Gesichts nach – die markanten Wangenknochen, den kirschförmigen Mund, den schlanken Hals und die Umrisse ihrer Augen, die mich direkt anzublicken scheinen. Die Großbuchstaben oben auf dem Plakat kündigen an, dass die heutige Vorstellung ihr letzter Auftritt sein wird. Anscheinend ist die aktuelle Spielzeit vorbei.

Manchmal stelle ich mir vor, wie ich mich ihr nähere, vielleicht nach einem ihrer Auftritte. Wir würden ein paar Worte wechseln und ich würde sie zum Essen einladen. Nichts Besonderes, nur eine Kleinigkeit in diesem gemütlichen Lokal in der Innenstadt. Die haben die beste Weinkarte und … Mein Blick fällt auf mein Spiegelbild in dem Glas über dem Plakat und ich lasse abrupt die Hand sinken. Es fühlt sich an, als hätte meine Berührung sie irgendwie beschmutzt. Ich schätze, näher sollte jemand wie ich – jemand, der sowohl innerlich als auch äußerlich so abscheulich ist – einer solchen Perfektion nicht kommen dürfen.

Vorsichtig öffne ich die große Holztür und schlüpfe leise hinein. Da die einzige Lichtquelle die Bühnenbeleuchtung ist, liegt der ganze Raum im Dunkeln. Trotzdem bleibe ich ganz hinten stehen, da, wo es am dunkelsten ist. Ich bin immer übervorsichtig, wenn ich meiner Obsession nachgehe, und komme erst nach Beginn der Vorstellung. Und ich gehe, bevor sie zu Ende ist. Es ist besser, nicht aufzufallen. Und es wäre untertrieben zu behaupten, dass es mir nur etwas schwerfällt, in einer Menschenmenge unterzutauchen.

Mein Aussehen hat mich nie wirklich gestört. In meiner Branche ist es sogar von Vorteil, so furchteinflößend auszusehen. Das bringt die Leute leichter zum Reden. Manchmal reicht es schon, dass ich einfach nur den Raum betrete, und sie spucken sofort alles aus, was sie wissen. Allerdings trägt natürlich auch mein Ruf dazu bei.

Jemanden zum Vögeln zu finden, ist auch nicht so leicht. Das liegt jedoch nicht an meinem Gesicht. Viele Frauen aus unseren Kreisen sind sogar scharf darauf, den Schlächter der Bratva zu verführen. Aber wenn ich ihnen die Regeln erklärt habe, ist es schnell vorbei mit dem Interesse: nur so viel ausziehen wie nötig, Sex nur von hinten, und Berührungen jeglicher Art sind verboten.

Zivilistinnen reagieren anders auf mich. Die meisten vermeiden es, mich direkt anzusehen. Andere wiederum starren mich unverhohlen an. Mit beiden Reaktionen kann ich leben.

Warum zum Teufel stört es mich also jetzt? Warum verstecke ich mich in dunklen Ecken und stalke dieses Mädchen, das ich nur aus der Ferne kenne, wie ein verdammter Psycho? Ich zweifle immer noch an meinem Verstand, als das Geigensolo beginnt und mein Blick wieder zur Bühne schweift. Von Musik verstehe ich nicht das Geringste, aber ich habe seit Monaten keine einzige ihrer Vorstellungen verpasst. Mittlerweile weiß ich genau, wann ihr Auftritt kommt, und als ich sie über die Mitte der Bühne schweben sehe, stockt mir wie immer der Atem.

Wie sie in ihrem langen, durchsichtigen Rock über die Bühne wirbelt, gleicht sie einer Erscheinung, und ich verfolge jede einzelne ihrer Bewegungen wie gebannt. Ihr hellblondes Haar ist im Nacken zu einem Dutt zusammengebunden, doch die Frisur lässt sie nicht streng wirken. Sie betont einfach nur ihre perfekten, puppenhaften Gesichtszüge. Sie ist so elegant und zerbrechlich wie ein kleiner Vogel – und bei Gott, so wahnsinnig jung. Kopfschüttelnd lehne ich mich an die Wand. Wenn ich diesen Wahn nicht bald loswerde, drehe ich noch komplett durch.

Nach ihrem Auftritt gehe ich. Aber anstatt direkt auf den Ausgang zuzusteuern, mache ich einen Umweg über den großen Tisch am Bühnenausgang. Er ist voller Blumensträuße, die Besucher für die Tänzerinnen abgegeben haben und die in die Garderobe gestellt werden sollen. Ein etwas seltsamer Ablauf, aber für mich funktioniert er gut. Wie immer hinterlasse ich ihr nur eine einzelne Rose und verlasse das Theater.

 

Bianca

 

 

»Dein Vater will mit dir reden«, sagt meine Mutter von der Tür aus.

Ich ignoriere sie und wickle mein letztes Kostüm in weißes Seidenpapier ein, wobei ich den hauchdünnen Stoff des Tüllrocks glattstreiche. Dann lege ich ihn in den großen weißen Karton auf meinem Bett, in dem ich schon den Rest meiner Bühnenoutfits verstaut habe, und schließe den Deckel. Alles, was noch an meine Karriere als Profitänzerin erinnert, ist nun bereit zum Verstauben. Nie hätte ich gedacht, dass es so schnell zu Ende gehen könnte damit. Die Startänzerin an der Oper von Chicago, die schon mit sechzehn zur Primaballerina des Ensembles avancierte. Und jetzt, mit gerade einmal einundzwanzig, bereits in den Ruhestand geht. Fünfzehn Jahre harte Arbeit sind verloren, und das nur wegen einer dummen Verletzung. Als ich mich umdrehe, um den Karton ganz unten in den Schrank zu stellen, möchte ich losheulen, aber ich unterdrücke die Tränen. Sie würden ja auch nichts ändern.

»Er ist im Büro«, fährt meine Mutter fort. »Lass ihn nicht warten, Bianca. Es ist wichtig.«

Ich warte, bis sie weg ist, dann gehe ich zur Tür. Vor meinem Schminkspiegel bleibe ich noch einmal stehen und betrachte die Kristallvase, in der eine einzelne gelbe Rose steht. Eigentlich spende ich alle Blumen, die ich nach der Vorstellung bekomme, dem Kinderkrankenhaus. Nur diese eine habe ich behalten. Ich strecke meine Hand aus und fahre über den langen, dornenlosen Stiel, der mit einem gelben Seidenband mit goldener Stickerei umwickelt ist. Seit einem halben Jahr hinterlässt mir jemand nach jeder Vorstellung eine solche Rose. Allerdings ohne Nachricht. Ohne Unterschrift. Nichts. Tja, dies ist dann also die letzte, die ich je bekommen werde.

Ich verlasse mein Zimmer und gehe nach unten in den hinteren Teil des Hauses, wo mein Vater und mein Bruder ihre Büros haben. Der dumpfe Schmerz in meinem Rücken ist kaum zu spüren, aber ich habe schon vor Monaten damit aufgehört mir einzureden, es wäre nur vorübergehend. Ich werde nie wieder sechs Stunden am Tag, an fünf Tagen die Woche, trainieren können.

Die Tür zum Büro meines Vaters steht offen, also trete ich ohne anzuklopfen ein, schließe die Tür hinter mir und bleibe vor seinem Schreibtisch stehen. Er beachtet mich nicht und kritzelt weiter Notizen in seinen ledergebundenen Terminkalender. Bruno Scardoni schenkt Menschen, die ihm seiner Meinung nach unterlegen sind, keine Sekunde früher Aufmerksamkeit, als er es für angemessen hält. Er genießt es, sie zappeln zu lassen und seine Macht über sie auszukosten. Leider haben mich seine Machtspielchen noch nie interessiert, daher setze ich mich ohne Aufforderung in den Stuhl ihm gegenüber und verschränke die Arme vor der Brust.

»Wie ich sehe, ist dein Benehmen immer noch so schlecht wie eh und je«, sagt er, ohne den Blick von seinem Terminkalender zu heben. »Ich bin wirklich froh, dass sich bald ein anderer damit herumschlagen muss.«

Nach diesen Worten schlägt mein Herz schneller, aber mein Gesicht bleibt unbewegt, um keine Reaktion zu zeigen. Vater ist wie ein Raubtier und wartet nur darauf, dass sein Opfer irgendeine Schwäche zeigt, damit er angreifen und ihm an die Gurgel gehen kann. »Wir schließen Waffenstillstand mit den Russen«, sagt er und hebt endlich den Blick. »Du wirst nächste Woche einen von Petrovs Männern heiraten.«

Ich brauche ein paar Sekunden, um mich von dem Schock zu erholen, dann schaue ich meinem Vater fest in die Augen und forme mit dem Mund ein »Nein«.

»Das war keine Frage, Bianca. Wir haben schon alles arrangiert – die Tochter eines Capo für einen seiner Männer. Herzlichen Glückwunsch, cara mia.« Ein gehässiges Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus.

Ich schnappe mir ein Blatt Papier und einen Stift von seinem Schreibtisch, kritzle hastig ein paar Worte darauf und schiebe ihm den Zettel hin. Er schaut darauf und knirscht mit den Zähnen.

»Ich kann dich also nicht dazu zwingen?«, sagt er dann spöttisch.

Ich will aufstehen, doch er beugt sich zu mir, hält meinen Arm fest und schlägt mir so hart ins Gesicht, dass mein Kopf zur Seite fliegt. Es klingelt in meinen Ohren, aber ich hole tief Luft, drehe mich wieder zu meinem Vater und schnappe mir das Papier. Er hat es auf die andere Seite des Schreibtisches geschleudert. Ich streiche es glatt, lege es wieder vor ihm auf den Tisch, tippe noch einmal mit dem Finger auf die geschriebenen Worte und gehe zur Tür. Ich lasse mich nicht zwangsverheiraten, schon gar nicht mit einem brutalen Russen.

»Wenn du es nicht tust, gebe ich ihnen Milene.«

Seine Worte lassen mich sofort innehalten. Das würde er nicht wagen! Meine kleine Schwester ist gerade erst achtzehn geworden. Sie ist noch ein Kind. Ich drehe mich um, schaue meinem Vater in die Augen und erkenne die Wahrheit darin. Doch, er würde es sehr wohl wagen.

»Wie ich sehe, habe ich damit dein Interesse geweckt. Gut.« Er deutet auf den Stuhl, von dem ich gerade erst aufgestanden bin. »Setz dich wieder hin.«

Die fünf Schritte bis zum Stuhl sind wahrscheinlich die zweitschwierigsten, die ich in meinem ganzen Leben jemals machen musste. Meine Füße fühlen sich an, als wären sie aus Blei.

»So, da das jetzt geklärt ist, noch ein paar Dinge. Du wirst deinem Ehemann eine gehorsame und pflichtbewusste Ehefrau sein. Ich weiß noch nicht, wer es sein wird, aber das spielt auch keine Rolle. Wichtig ist nur, dass es jemand von Petrovs engsten Vertrauten ist.«

Ich beobachte, wie er sich in seinem Stuhl zurücklehnt und eine Zigarre aus der Kiste vor sich nimmt.

»Du wirst dein Temperament zügeln, dich so oft ficken lassen, wie er will, und dafür sorgen, dass er dir vertraut. Wahrscheinlich wird er dich unterschätzen, so wie alle, wenn sie merken, dass du nicht reden kannst. Und er wird sich dir gegenüber sicher schnell öffnen und über das Geschäft plaudern.« Er deutet mit seiner Zigarre auf mich. »Du wirst dir alles merken, was er dir erzählt, jedes noch so kleine Detail über ihre Organisation, ihre Vertriebswege, einfach alles, was er erwähnt.«

Er zieht eine Schreibtischschublade auf, holt ein Wegwerfhandy heraus und schiebt es mir über den Schreibtisch zu. »Du schreibst mir alles, was du gehört hast. Jede Kleinigkeit. Hast du verstanden, Bianca?«

Jetzt ergibt das Ganze endlich einen Sinn. Was für ein perfekter Plan, den er da ausgeheckt hat: Er wird endlich sein Problemkind los, macht sich beim Don beliebt, indem er eine seiner Töchter opfert und der Bratva überlässt, und sorgt gleichzeitig dafür, dass er Insiderinformationen über die Russen bekommt. Wirklich brillant.

»Ich hab dich was gefragt!«, blafft er mich an.

Ich lege meinen Kopf schief und mustere ihn, während ich mir wünsche, eine Waffe zu haben, mit der ich zwischen seine Augen zielen und einfach abdrücken könnte. Ich würde ihn ganz sicher nicht verfehlen. In den letzten Jahren hat mein Bruder dafür gesorgt, dass meine Treffsicherheit tadellos ist, weil er mich oft heimlich zu seinen Schießübungen mitgenommen hat. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich mutig genug wäre, meinen Vater zu töten, aber allein die Vorstellung fühlt sich gerade verdammt gut an.

Nickend nehme ich das Handy vom Schreibtisch und verlasse das Büro. Aus dem Augenwinkel sehe ich sein zufriedenes Grinsen. Soll er doch glauben, was er will. Auch wenn ich in die Bratva einheiraten muss, werde ich das nur für meine Schwester tun und nicht, weil er es mir befohlen hat. Und ich werde ganz sicher nicht seine Spionin spielen. Ich werde nicht noch einmal seinetwegen sterben.

 

 

Mikhail

 

 

Als Roman Petrov, der Pakhan der Bratva, das Esszimmer betritt, stehen alle auf und bleiben stehen, bis er am Kopfende des Tisches Platz genommen hat. Er lehnt seinen Gehstock an den Stuhl und gibt uns ein Zeichen, uns wieder zu setzen. Der Stuhl zu seiner Rechten bleibt frei. Vielleicht fühlt sich seine Frau wieder unwohl. Ich dachte, Schwangeren wäre nur morgens übel, aber in der Küche wird erzählt, dass sich Nina Petrova schon seit Wochen ununterbrochen übergeben muss.

Roman dreht sich zum Dienstmädchen um und deutet mit dem Kopf zur Tür. »Du kannst gehen. Und mach die Tür zu, Valentina. Ich rufe dich, wenn wir fertig sind.«

Sie nickt hastig, huscht aus dem Zimmer und schließt die zweiflügelige Tür hinter sich. Sieht so aus, als würden wir vor dem Abendessen noch etwas Geschäftliches besprechen. Roman lehnt sich in seinem Stuhl zurück und ich frage mich, welche Bombe er heute vor uns platzen lassen wird. Das letzte Mal, als er uns zusammengerufen hat, informierte er uns über seine heimliche Hochzeit. Zwei Tage, nachdem er seine Frau kennengelernt hatte.

»Wie ihr wisst, haben wir mit den Italienern Waffenstillstand geschlossen«, sagt er. »Sie haben meine Bedingungen akzeptiert und ich ihre. Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist eine Hochzeit, um das Abkommen zu besiegeln.« Er zieht fragend die Augenbrauen hoch. »Also, wer meldet sich freiwillig als glücklicher Bräutigam?«

Niemand sagt etwas. In der Bratva gibt es keine arrangierten Ehen. Das war immer ein Ding der Italiener, und niemand will sich ein trojanisches Pferd ans Bein binden. Denn nichts anderes wäre diese Frau, das wissen alle. Ich frage mich, wen er aussuchen wird. Ich werde es nicht sein, Roman kennt meine ganzen Probleme zu gut. Sergei auch nicht. Niemand, der bei klarem Verstand ist, würde diesem Irren auch nur einen Toaster anvertrauen, geschweige denn einen Menschen. Maxim ist zu alt, also tippe ich auf Kostya oder Ivan.

»Was denn? Will niemand eine hübsche Italienerin? Vielleicht kann ich damit eure Meinung ändern.« Er greift in seine Jackentasche, zieht ein Foto heraus und reicht es Maxim. »Bianca Scardoni, die mittlere Tochter des italienischen Capo Bruno Scardoni. Und bis vor kurzem Primaballerina an der Oper von Chicago.«

Mein Körper erstarrt zur Salzsäule. Das kann nicht wahr sein.

»Sie wollen dieses Bündnis also wirklich.« Roman lächelt. »Die schönste Frau der italienischen Mafia ist im Angebot.«

Maxim reicht das Foto an Pavel weiter, verschränkt die Arme vor der Brust und sieht Roman an. »Wo ist der Haken?«

»Warum glaubst du, dass es einen Haken gibt?«

»Die Italiener würden doch niemals die Tochter eines Capo an die Bratva ausliefern. Schon gar nicht eine, die so aussieht. Ganz egal, wie sehr sie dieses Bündnis wollen. Irgendwas kann doch mit ihr nicht stimmen.«

»Na ja, es gibt einen kleinen Haken. Aber den würde ich sogar eher als Bonus bezeichnen.« Roman grinst.

Ich nehme das Foto, das Pavel mir reicht, und betrachte es. Mit offenen Haaren, die ihr perfektes Gesicht umspielen, ist sie noch schöner. Ihre hellbraunen Augen lächeln in die Kamera. Zähneknirschend gebe ich das Bild Ivan. Wenn ich auch nur daran denke, dass einer meiner Kameraden sie bekommen könnte, durchfährt mich eine Welle heißer Wut. Mit aller Kraft umklammere ich die Armlehnen meines Stuhls, um mich davon abzuhalten, irgendetwas zu zertrümmern.

Ivan sieht sich das Foto mit hochgezogenen Brauen an, dann stößt er Dimitri mit dem Ellbogen an und reicht es an ihn weiter.

»Sie sieht nicht besonders … italienisch aus.« Dimitri nickt auf das Bild. »Ich dachte, Italienerinnen hätten alle dunkle Haare. Ist sie adoptiert?«

»Nein. Ihre Großmutter mütterlicherseits stammt aus Norwegen«, wirft Roman ein.

Sergei ist der Nächste, aber er reicht das Bild sofort an Kostya weiter, ohne es sich auch nur anzusehen.

»Fuck, die ist verdammt heiß.« Kostya pfeift und schüttelt den Kopf. »Hast du noch mehr Fotos? Am liebsten welche mit weniger Klamotten.«

Ich konzentriere mich auf die Wand vor mir und zerquetsche fast die Armlehne, während ich den Drang unterdrücke, aufzustehen und Kostya in die Fresse zu schlagen. Oder etwas noch Schlimmeres zu tun, wie zum Beispiel, mich einfach selbst zu melden. Kostya schaut sich weiter das Foto an, und für einen Moment stelle ich mir vor, wie er sie mit seinen dreckigen Händen anfasst. Innerhalb eines Sekundenbruchteils ist es vorbei mit meiner Selbstbeherrschung.

»Ich nehme sie«, sage ich.

Absolute Stille erfüllt den Raum, alle Augen richten sich auf mich. Überraschung und Ungläubigkeit steht allen ins Gesicht geschrieben. Ich drehe mich zu Roman um, der mich mit hochgezogenen Augenbrauen ansieht.

»Interessante Entwicklung«, sagt er. »Ich wollte sie Kostya geben, wenn sich niemand freiwillig meldet. Er ist der Jüngste von euch.«

»Er bekommt sie aber nicht.«

»Du kennst den Haken doch noch gar nicht, Mikhail. Vielleicht änderst du deine Meinung dann.«

»Ich werde meine Meinung nicht ändern.«

»Na schön.« Roman zuckt mit den Schultern und nippt an seinem Drink. »Damit wäre das geklärt.«

Das Abendessen verläuft ungewöhnlich schweigsam. Statt über das Geschäft zu reden oder hin und wieder einen Witz zu machen, scheinen sich heute Abend alle auf ihr Essen zu konzentrieren. Aber mir fällt auf, dass die Jungs mir gelegentlich Blicke zuwerfen. Wahrscheinlich fragen sie sich, was in mich gefahren ist, dass ich die Italienerin für mich beanspruche, aber mir ist egal, was sie denken. Sie gehört mir, was auch immer geschieht.

Als das Essen vorbei ist, nickt Roman mir zu und ich folge ihm durch den langen Flur in sein Büro. Er setzt sich auf den Sessel in der Ecke, während ich stehen bleibe und mich an die Wand lehne.

»Sie ist einundzwanzig. Du bist zu alt für sie, Mikhail.«

»Zehn Jahre Altersunterschied sind nicht zu viel. Du bist elf Jahre älter als deine Frau.«

»Ich wirke aber jünger«, sagt er und grinst.

»Ja, klar.«

»So eloquent wie immer.« Er schüttelt den Kopf. »Sie ist kaum erwachsen. Was machst du, wenn sie dich jeden Abend drängt, mit ihr auszugehen? Wenn sie ständig Partys feiern will und du ihr erklären musst, dass du morgen zu arbeiten hast? Wenn du jede Woche mit ihr irgendwelche Teeniefilme angucken musst? Sogar Nina liebt diesen Mist. Ich kann sie übrigens bitten, dir ein paar Empfehlungen zu schicken.«

»Danke. Nicht nötig.«

Roman lehnt sich seufzend zurück. »Mädchen in ihrem Alter wünschen sich einen Mann, der mehr als fünf Sätze am Tag spricht, Mikhail. Sie erwarten Küsse, sie wollen kuscheln. Hast du darüber nachgedacht?«

»Wir finden schon eine Lösung.«

Stille. Er sieht mich nur an, mit schief gelegtem Kopf, und ich weiß genau, was er denkt.

»Das ist keine von deinen üblichen Fickgeschichten. Wie soll ein einundzwanzigjähriges Mädchen mit deinen … Problemen umgehen?«

»Das wird sie nicht müssen. Ich kümmere mich schon selbst um meine Probleme.«

»Ach ja? Wann hast du denn das letzte Mal freiwillig jemanden angefasst? Abgesehen von Lena?«

Ich starre ihn wortlos an. Nicht, weil ich nicht antworten will, sondern weil ich mich nicht erinnern kann. »Ich kümmere mich darum, Roman.«

»Bist du sicher?«

»Ja.«

»Also gut.« Er seufzt und fährt fort. »Du weißt, dass sie uns sehr wahrscheinlich ausspionieren wird, um den Italienern Bericht zu erstatten. Du bist für den Großteil unserer Drogengeschäfte verantwortlich, also pass auf mit dem, was du in ihrer Gegenwart sagst. Und entfern auch alle sensiblen Informationen aus deinem Büro. Für den Fall, dass sie herumschnüffelt, wenn du nicht da bist.«

»Mache ich.«

»Da ist noch etwas, das du über sie wissen solltest. Und falls du deine Meinung doch ändern möchtest, bekommt Kostya sie.«

»Ich werde meine Meinung nicht ändern.«

»Sie kann nicht sprechen, Mikhail.«

Ich versteife mich und schaue Roman an. Habe ich das richtig verstanden?

»Sie kann nicht taub sein«, sage ich. »Sie ist Tänzerin.«

»Sie ist auch nicht taub. Sie hatte als Teenager einen Autounfall, aber Genaueres weiß ich auch nicht. Mehr hat Scardoni nicht dazu gesagt.«

»Wie kommuniziert sie denn?«

»Keine Ahnung. Gebärdensprache. Oder sie schreibt alles auf, nehme ich an. Willst du sie trotzdem noch?«

»Ja.«

Roman zieht eine Augenbraue hoch, kommentiert meine Entscheidung aber nicht weiter. »Sollen wir vor der Hochzeit noch ein Treffen arrangieren?«

Wieder spannen sich all meine Muskeln an. »Nein.«

»Warum nicht?«, fragt er, als wüsste er die Antwort nicht längst. »Sie kann nicht mehr Nein sagen. Es ist schon alles geregelt.«

»Kein Treffen.«

Roman mustert mich und schüttelt kurz den Kopf. »Dann lass uns die Hochzeit planen.«

Kapitel 2

 

Bianca

 

Die Morgensonne fällt durch die dünnen Vorhänge vor dem Fenster und taucht den Raum in Wärme. Es wäre der perfekte Tag für eine Hochzeit – wenn es nicht meine eigene wäre. Obwohl es draußen warm ist, tobt in meinem Inneren ein eisiger Sturm.

Ich beuge mich vor, setze die Spitze des Eyeliners am Augenwinkel an und ziehe eine lange dünne Linie über das Lid. Vielleicht hätte ich weglaufen sollen. Sie hätten mich zwar irgendwann gefunden, aber das wäre es wert gewesen.

»Wie schön du bist!«, ruft Milene von der Tür aus und stürmt in mein Zimmer. »Ich muss gleich weinen!«

Ich lächle meiner Schwester zuliebe und schminke mich weiter. Für jemanden, der Hochzeiten hasst, hat sie sich über die ganze Sache ungewöhnlich gefreut, deshalb habe ich es noch nicht übers Herz gebracht, ihr die Wahrheit zu sagen.

»Ich wünschte, Angelo wäre hier und könnte dich sehen. Er war so sauer, weil Dad ihn nach Mexiko geschickt hat.«

Ach ja, ich wünschte auch, mein Bruder wäre heute hier. Er ist neben Milene das einzige Familienmitglied, dem ich wirklich am Herzen liege. Und ich bin sicher, dass Vater ihn absichtlich weggeschickt hat.

»Agosto hat mir heute früh um sechs Uhr den Festsaal gezeigt. Er ist wunderschön. Ich kann immer noch nicht glauben, dass du einer arrangierten Ehe zugestimmt hast. Ich dachte immer, wir würden bis an unser Lebensende wie zwei alte Jungfern mit einer Horde Katzen zusammenleben.«

Sie nestelt an meinem Kleid und rüscht den Stoff auf. »Heute erlebe ich alles durch dich mit. So nah komme ich einer Hochzeit nie wieder.« Sie lacht und bückt sich, um den Saum des Kleides zu überprüfen, während ich sie im Spiegel beobachte.

Milene hat keine Ahnung, wie nahe dran sie war, heute meinen Platz einzunehmen. Sie will nach der High School aufs College gehen. Seit ihrem achten Geburtstag redet sie ständig davon, Krankenschwester zu werden. Das ist alles, was sie sich je gewünscht hat. Und ich hoffe, dass ihr Wunsch in Erfüllung geht. So stur, wie Milene ist, wird sie es wohl schaffen, es sei denn, unser Vater beschließt sie zu verheiraten, bevor sie seinen Fängen entkommen konnte.

»Los, erzähl mir von ihm. Ich will alles über deinen zukünftigen Mann wissen! Warum hast du ihn noch nicht mitgebracht, damit wir ihn kennenlernen können?«

Ich lege den Eyeliner auf den Schminktisch und drehe mich auf dem Stuhl zu Milene um. Meine süße kleine Schwester hat in ihrer Freizeit stundenlang meinetwegen bei YouTube Gebärdensprache gelernt. Meine Mutter und mein Bruder haben die Grundlagen ebenfalls gelernt, aber sie haben gerade mal genug geübt, um ein paar einfache Sätze zu verstehen. Meine ältere Schwester Allegra und mein Vater haben es gar nicht erst versucht.

»Er heißt Mikhail Orlov«, gestikuliere ich ihr. Milene ist in den letzten Jahren so gut in Gebärdensprache geworden, dass wir uns normal unterhalten können, aber ich muss trotzdem langsam machen.

»Und? Wie sieht er aus? Ist er heiß? Wie alt ist er? Los, erzähl schon.«

»Mehr weiß ich auch nicht.«

»Ach komm, tu nicht so geheimnisvoll.« Milene lacht und zwickt mich in den Oberarm. »Sag schon!«

»Wir sind uns noch nicht begegnet. Ich weiß nur, wie er heißt.« Eigentlich ist es mir egal, daher habe ich nie gefragt. Was hätte ich auch davon? Ich werde diesen Mann heiraten, ob ich will oder nicht.

»Was? Bist du wahnsinnig? Ich dachte, du hättest ihn wenigstens mal getroffen und würdest nur mitmachen, weil du ihn magst.«

»Geh dich umziehen. Wir sind schon spät dran.«

»Bianca?« Sie legt mir die Hand auf die Schulter. »Hast du dieser Ehe zugestimmt? Oder hat Vater dich dazu gezwungen?«

»Natürlich habe ich zugestimmt.«

»Du hast zugestimmt, jemanden zu heiraten, den du noch nie gesehen hast? Bitte lüg mich nicht an, Schatz.«

»Ich lüge nicht. Bitte zieh dich jetzt um.«

Sie mustert mich mit schmalen Augen, geht aber schließlich. Ich schminke mich fertig, ziehe meine High Heels an und mache mich auf den Weg zu meinem Und sie lebten unglücklich bis ans Ende ihrer Tage. Und bete, dass Milene dieses Schicksal erspart bleibt.

 

 

Mikhail

 

 

Die Hochzeit findet im Festsaal des luxuriösen Four Seasons Hotels in der Innenstadt von Chicago statt, und als wir ankommen, drehen sich alle Köpfe in unsere Richtung. Dutzende Blicke folgen uns, als Roman und die anderen in den ersten beiden Reihen Platz nehmen. Wir sind nur zu acht, während die linke Seite, wo die Italiener sitzen, voll besetzt ist. Grimmige Gesichter belegen alle zwanzig Reihen. Ich schätze, niemand ist glücklich darüber, dass eine der ihren in die Bratva einheiraten muss. Aber offenbar hat es auch niemanden davon abgehalten, für Klatsch und Tratsch und kostenloses Essen zu kommen.

Die Italiener legen großen Wert auf ihre Feste und die Dekoration. Überall stehen riesige weiße Blumenarrangements, jeder Stuhl ist mit einer großen Seidenschleife verziert. Sogar der verdammte Fußboden ist mit weißen Blütenblättern übersät. Den Italienern geht es immer um den ganz großen Auftritt.

Während sich die anderen setzen, bleiben Kostya und ich neben der ersten Reihe stehen. Die Italiener beginnen zu tuscheln, stoßen sich gegenseitig mit den Ellbogen an und beobachten uns. Die meisten wenden den Blick ab, als sie mein Gesicht sehen, und mustern stattdessen Kostya. Mit seinen blonden, nicht zu kurzen Haaren und dem charmanten Lächeln ist Kostya wirklich ein hübscher Junge. Frauen werfen sich ihm ständig zu Füßen, deshalb verwundert mich ihre Schlussfolgerung auch nicht, dass Kostya heute heiraten wird.

Ich trete einen Schritt vor und bleibe vor dem Pult stehen, auf dessen anderer Seite der Standesbeamte wartet. Kostya, mein Trauzeuge, folgt mir, stellt sich aber an meine rechte Seite. Als nun klar wird, dass ich der Bräutigam bin, ertönt ein kollektives Keuchen. Dann verstummt der ganze Saal.

Ich drehe mich zu den Italienern um, die mich mit blankem Entsetzen anstarren, und lasse meinen Blick über sie schweifen, bis ich Bruno Scardoni entdecke. Sollte er nicht seine Tochter zum Altar führen? Er sitzt in der Mitte einer Reihe und grinst arrogant und selbstgefällig. Interessant. Die drei Frauen rechts von ihm, seine Frau und seine beiden anderen Töchter, sitzen wie zu Salzsäulen erstarrt da. Mit schockierten Gesichtern. Das war zumindest zu erwarten. Ich frage mich, wo der Bruder ist. Soweit ich weiß, stehen sich Bianca und ihr Bruder sehr nahe, daher kommt es mir etwas seltsam vor, dass er die Hochzeit seiner Schwester verpasst.

Als ich mich gerade frage, ob es nicht doch besser gewesen wäre, mich vor der Hochzeit wenigstens einmal mit Bianca zu treffen, tönt der Hochzeitsmarsch durch den Saal. Hoffentlich rennt sie nicht schreiend weg, wenn sie mich sieht. Denn dann werde ich sie ganz sicher jagen.

 

 

Bianca

 

 

Ich starre auf die weiße Tür und frage mich, was für ein Leben mich auf der anderen Seite erwartet. Catalina, meine Cousine und Brautjungfer, zupft an meinem Schleier und ordnet den Stoff so, dass er mir über das Gesicht fällt.

Verkauft. Ich wurde verkauft wie ein Kalb, damit ein anderer seine Ziele erreichen kann. Und ich hätte es nicht verhindern können, ohne das Leben meiner Schwester zu ruinieren. Es gibt kein Zurück, also werde ich hoch erhobenen Hauptes zum Altar schreiten und mein Arschloch von Vater wissen lassen, dass er meinen Willen nicht gebrochen hat.

Er war so wütend, als ich ihm sagte, dass ich allein zum Altar gehen würde. »Was sollen die Leute denken?«, brüllte er.

Was die Leute denken, ist mir egal. Aber ich habe nicht vor, den Mann, der mich als Kollateralschaden für seine Karriere opfert, den fürsorglichen Vater spielen zu lassen. Und ich gehe auch ganz sicher nicht mit verschleiertem Gesicht dort hinein wie ein jungfräuliches, verängstigtes Opfer.

Ein Mann in einer Pagenuniform öffnet die Tür, als die ersten Töne vom Hochzeitsmarsch erklingen. Ich greife nach dem Saum des Schleiers, reiße mir das verdammte Ding vom Kopf und werfe den Spitzenstoff auf den Boden. Catalina keucht hinter mir auf, aber ich ignoriere sie und atme noch einmal tief durch. Dann betrete ich den Festsaal.

 

 

Mikhail

 

 

Die Frau, für die ich seit Monaten schwärme, betritt den Saal und ich spüre, wie mir die Luft wegbleibt. Ich wusste ja schon, wie schön sie ist, aber sie jetzt so nah und leibhaftig vor mir zu sehen … Ich habe mich getäuscht. Sie ist nicht einfach nur schön, das Wort ist viel zu banal. In dem langen weißen Kleid, das ihren Körper umschmeichelt und in einer kurzen Schleppe endet, ist sie atemberaubend. Weiche blonde Locken umspielen ihr Gesicht, sie reichen ihr bis zur Taille. Ich glaube, ich habe noch nie eine Frau mit so langen Haaren gesehen. Sie erinnert mich an eine Feenprinzessin. Und ich frage mich, welche Art von Monster ich in dieser Geschichte wohl sein werde.

Hoch erhobenen Hauptes kommt sie mit sicheren, schnellen Schritten auf mich zu. Sie schaut mich an und hält meinen Blick. Und zuckt nicht einmal zusammen, als sie mein entstelltes Gesicht und die Augenklappe sieht. Ihr Gang ist kein bisschen zögerlich, während sie sich mir nähert. Ich hatte ein schüchternes, scheues Mädchen erwartet, das Angst vor der Situation hat, in die es hineingeworfen wurde. Aber in ihren Augen ist keine Spur von Angst zu erkennen. Nur Entschlossenheit.

Sie bleibt vor mir stehen, schön und unbeugsam, und plötzlich verspüre ich den unerklärlichen Drang, sie zu berühren. Um mich zu vergewissern, dass sie real ist. Das Gefühl ist merkwürdig. Ich hasse Körperkontakt, abgesehen von Lena. Ich mag ihn nicht, vor allem aber geht er niemals von mir aus.

Der Standesbeamte hat zu sprechen begonnen, und als wir uns ihm zuwenden, kann ich nicht widerstehen und streiche mit einem Finger über ihren Handrücken. Es ist nur eine leichte Berührung. Ich bin sicher, sie bemerkt sie gar nicht. Der Mann vor uns redet weiter und ich schaue nach unten, um noch einen Blick auf meine Braut zu erhaschen. Sie ist recht klein, und ihre zierliche Hand wirkt winzig neben meiner. So zerbrechlich. Doch dann schaut sie hoch, und in ihren Augen, die mich ohne zu blinzeln ansehen, ist überhaupt nichts Zerbrechliches zu erkennen.

---ENDE DER LESEPROBE---