Fractured Souls - Der Kämpfer (Perfectly Imperfect Serie 6) - Neva Altaj - E-Book

Fractured Souls - Der Kämpfer (Perfectly Imperfect Serie 6) E-Book

Neva Altaj

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Beschreibung

Asya Ich kann nicht zu meiner Familie zurückkehren. Ich habe sie nicht mehr verdient und werde auch nie wieder ein Teil von ihnen sein können. Die Schwester, die sie kannten und liebten und an die sie sich erinnern – sie existiert nicht mehr. Bis er auftaucht. Der Mann, der mich bei sich aufnimmt, mich von meinen Dämonen befreit, von meinen Ängsten, meinen Narben, und all meine Einzelteile wieder zusammenfügt. Stück für Stück. Pavel Ich komme Menschen nicht zu nahe und ich brauche auch niemanden. Bis sie auftaucht. Jetzt ist sie alles, was ich noch will, und alles, was ich noch brauche. Der egoistische Mistkerl in mir will sie sich einfach schnappen und für sich behalten. Doch sie braucht mich nicht mehr. Deshalb muss ich sie gehen lassen, sie fliegen lassen, ohne ihr vorher die Flügel zu brechen, die sie dazu braucht. Ich darf sie nicht behalten, nicht lieben, nicht besitzen. Kann ich meiner gebrochenen Seele beibringen, auch ohne sie weiterzuleben?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Anmerkung der Autorin
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Epilog
Nachwort

Neva Altaj

 

FRACTURED souls

Der Kämpfer

(Perfectly Imperfect Serie)

 

 

FRACTURED souls – Der Kämpfer

 

 

 

© 2025 VAJONA Verlag GmbH

 

 

 

Übersetzung: Alexandra Gentara

Lektorat der Übersetzung: Anne Masur

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »Fractured Souls«.

Umschlaggestaltung: Deranged Doctor mit Anpassungen durch den VAJONA Verlag

Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz unter Verwendung von

Motiven von Canva

 

VAJONA Verlag GmbH

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz

 

 

Anmerkung der Autorin

Liebe Leserin, lieber Leser,

»Fractured Souls« war mein bisher schwierigstes Buch. Aufgrund des heiklen Themas unterscheidet es sich von den vorherigen Büchern der Reihe. »Fractured Souls« konzentriert sich hauptsächlich auf die Charaktere, und obwohl es auch eine Mafia-/Krimi-Nebenhandlung gibt, ist diese der Geschichte der Charaktere untergeordnet. Wenn ihr die vorherigen Bücher der Reihe gelesen habt, wisst ihr, dass ich gerne ein wenig Humor in meine Geschichten einfließen lasse. Dieses Buch wird dieses Element jedoch nicht enthalten. Es behandelt ein äußerst schweres Thema, und die Einbeziehung von Humor wäre in meinen Augen geschmacklos gewesen.

Bitte lest auch die Triggerwarnung auf der nächsten Seite. Wenn ihr das Gefühl habt, dass das Thema euch verstören oder schaden könnte, überspringt diese Geschichte bitte. Keine Sorge, wenn ihr euch dazu entscheidet, diese Geschichte auszulassen, verpasst ihr keine Enthüllungen, die für den Rest der Serie von entscheidender Bedeutung sind, und könnt im nächsten Buch einfach in die Welt von »Perfectly Imperfect« zurückkehren. Wenn ihr euch aber immer noch nicht sicher seid, ob ihr das Buch lesen solltet, könnt ihr mir gerne eine E-Mail schicken oder mich über TikTok oder Instagram kontaktieren (meine Kontaktinformationen findet ihr auf meiner Website unter www.neva-altaj. com/contact) und mir eure Bedenken mitteilen. Ich verrate euch dann gern einige Spoiler, damit ihr entscheiden könnt, ob ihr das Buch lesen möchtet oder lieber nicht. Eure psychische Gesundheit ist mir sehr wichtig.

Ich möchte Ruthie meinen Dank aussprechen, die eine Sensibilitätslektüre für »Fractured Souls« durchgeführt und Verbesserungsvorschläge gemacht hat, damit Asyas Kämpfe und ihre Reise realistisch und taktvoll dargestellt werden.

Wenn ihr euch entschließt, »Fractured Souls« zu lesen, hoffe ich von ganzem Herzen, dass euch die Geschichte von Asya und Pavel gefallen wird. Sie ist zwar Teil einer Mafia-Reihe, aber vor allem ist es eine Geschichte über die Liebe, die Überwindung von Verletzungen, die Kraft der Familie und die Beharrlichkeit des menschlichen Geistes.

 

Hinweis

 

Dieses Buch enthält Themen, die für manche Leser schwierig sein könnten, wie z. B. sexuelle Übergriffe (einschließlich Vergewaltigung, aber nicht zwischen den Hauptfiguren), posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Erwähnung von Selbstmordversuchen, Erwähnung von sexueller Sklaverei, Erwähnung von Drogenkonsum, explizite Szenen von Gewalt und Folter und Blutszenen. Wenn ihr sexuellen und/oder körperlichen Missbrauch erlebt habt, könnten Teile dieser Geschichte Erinnerungen auslösen, die Stress oder Traurigkeit verursachen können.

Unsere Heldin bewältigt ihre Situation, indem sie sich auf die Stärke und Unterstützung unseres Helden verlässt. Wir glauben zwar, dass Liebe heilen kann, aber bitte bedenkt, dass es sich bei dieser Geschichte um ein fiktives Werk handelt. Ich möchte euch ermutigen, euch an eine Hilfsorganisation und/oder einen vertrauenswürdigen Arzt zu wenden.

Ihr müsst nicht im Stillen leiden.

 

Zu den Figuren

 

Asya – wird so betont: [ˈaːzja].

Pasha – russischer Spitzname (Kurzform) von Pavel.

Pashenka – eine Abwandlung (Verniedlichungsform) des Namens Pavel/Pasha, wird als Kosename von engen Familienangehörigen verwendet.

Mishka – ein russischer Kosename, der Bärchen oder Teddybärchen bedeutet.

 

* * *

 

Falls ihr eine Gedächtnisstütze zur Struktur der Bratva-Hierarchie oder Familienstammbäume braucht, seht euch die Seite »Extras« auf meiner Webseite an.

 

 

Playlist

 

 

Im Buch werden mehrere klassische Musikstücke erwähnt. Falls ihr sie euch anhören möchtet, hier ist eine Liste.

 

»Mondscheinsonate« von Ludwig van Beethoven

»Der Hummelflug« von Nikolai Rimsky-Korsakov

»Gymnopédies« von Erik Satie

»In der Halle des Bergkönigs« von Edvard Grieg

»The Rain Must Fall« von Yanni

»Für Elise« von Ludwig van Beethoven

»River Flows in You« von Yiruma

 

Prolog

 

Asya

 

Es schneit.

Der Boden unter meinem Rücken fühlt sich eisig an und zerkratzt mir die Schulterblätter, während ich über die Schulter des Mannes über mir in die Dunkelheit starre. Alles ist verschwommen. Die einzelnen Schneeflocken kann ich nicht mehr erkennen, aber ich spüre, wie sie auf mein Gesicht fallen. Zerbrechlich. Leicht. Sie erinnern mich an die Noten in einem Klavierstück von Erik Satie und ich summe die Melodie vor mich hin, während der Schmerz weiter mein Innerstes zerreißt.

Sollte es wirklich so wehtun? Ich wusste wohl, dass es beim ersten Mal unangenehm sein könnte, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Schmerzen so dauerhaft sein würden.

Der Mann grunzt einmal, und plötzlich verschwindet sein Gewicht von mir. Ich fahre mit der Hand über meinen Bauch und mein zerrissenes Kleid, dann presse ich meine flache Hand zwischen meine Beine. Es ist nass. Viel zu nass. Ich hebe eine Hand vor mein Gesicht und betrachte meine blutverschmierten Finger, während in meinem Hinterkopf die Melodie weiterspielt.

»Tja, du hast dich ja als echter Leckerbissen entpuppt, Herzchen«, sagt die männliche Stimme. »Eigentlich hatte ich es auf deine Schwester abgesehen. Ihr seht zwar fast gleich aus, aber sie strahlt auch noch eine gewisse Klasse aus. Die Kunden bevorzugen eher die eleganteren Damen, aber du solltest wohl gerade noch ausreichen.«

In meiner Brust explodiert eine Panik, wie ich sie noch nie zuvor gespürt habe, und reißt mich aus der Schockstarre, in die ich gefallen war. Ich rolle mich zur Seite, bis ich mit dem Gesicht nach unten daliege. Dann strömt plötzlich sehr viel Energie durch meine Adern, die mich auf die Füße springen lässt. Und ich renne los.

Der Schmerz zwischen meinen Beinen ist unerträglich. Bei jedem Schritt durchfährt mich ein Stich. Mein ganzer Körper zittert, aber ich bin mir nicht sicher, ob vor Kälte, vor Schmerz oder durch den Schock. Vielleicht auch nur vor Entsetzen über das, was er gerade getan und gesagt hat. Ich riskiere einen raschen Schulterblick, und ein leises Wimmern dringt über meine Lippen, als ich bemerke, dass mein Vergewaltiger mich verfolgt.

Etwas entfernt sehe ich eine Straßenlaterne, daher wechsle ich die Richtung und laufe dorthin. Die leise, langsame Melodie in meinem Kopf verwandelt sich in einen Militärmarsch, als wollte sie mich dazu drängen, schneller zu laufen. Der Boden ist uneben und das Laufen wird immer schwieriger. Ständig stolpere ich über die Wurzeln der Bäume und Sträucher um mich herum, die ich in der Dunkelheit kaum noch erkennen kann. Meine Sicht ist verschwommen – ich habe meine Brille verloren –, aber ich fokussiere mich auf das Licht, das ich durch die Äste und Zweige hindurch sehen kann und laufe weiter darauf zu, als wäre es eine Rettungsinsel.

Das Brennen und Stechen in meinem Unterleib ist zu stark, um es zu ignorieren, aber ich beiße die Zähne zusammen und versuche trotzdem, meine Geschwindigkeit beizubehalten. Mein Atem kommt in kurzen Stößen aus der Lunge, während Schneeflocken auf meine nackten Arme fallen. Nur noch ein paar Dutzend Meter bis zur Straße. Ich kann die Autos schon hören. Ich muss nur diese Straße erreichen, dann wird schon irgendjemand anhalten und mir helfen.

Ich bin fast dort, als meine nackten Füße sich plötzlich in etwas verheddern und ich stolpere. Mit dem Gesicht voran falle ich auf den kalten, gefrorenen Boden. Nein! Ich stehe wieder auf und will gerade weiter auf das lebensrettende Licht zulaufen, als ein Paar Arme mich von hinten um die Taille ergreift und zurückzieht.

»Hab dich!« Der Hurensohn lacht.

Ich schreie, aber seine Hand legt sich auf meinen Mund und erstickt das Geräusch.

»Sieht so aus, als müssten sie dich erst noch erziehen, Süße«, sagt er dicht an meinem Ohr. »Vielleicht besuche ich dich noch mal, wenn du ein bisschen gefügiger bist. Der Boss lässt mich meine Neuerwerbe einmal im Monat gratis ficken.«

»Bitte«, wimmere ich gegen seine Handfläche, während ich versuche, nach ihm zu treten.

»Perfekt.« Er stößt ein weiteres bösartiges Lachen aus. »Siehst du, wie schnell du lernst.«

Ich versuche, ihn mit dem Ellbogen zu treffen und schaffe es auch fast, seinem Griff zu entkommen, als ich plötzlich seitlich am Hals den Einstich einer Nadel spüre.

Der Mann redet auf mich ein. »Ganz ruhig. Nur ein paar Sekunden, danach wird alles gut.«

Mein Sichtfeld verschwimmt, bis mich nur noch Dunkelheit umgibt.

Und die Musik in meinem Kopf verstummt.

 

Kapitel 1

 

Pavel

 

Zwei Monate später

 

Neonlicht lässt die gedrängte Menschenmenge flackern, die sich zur Musik aus den Lautsprechern unter der Decke bewegt. Die Luft ist durchtränkt vom Geruch nach Alkohol und anderen damit konkurrierenden Düften, sogar hier oben in meinem Büro. Ich trete an die deckenhohe Glaswand und verschränke die Arme vor der Brust, während ich die Menge unten auf der Tanzfläche beobachte. Es ist noch nicht einmal Mitternacht, aber es ist bereits so voll, dass kaum genug Platz zum Atmen bleibt.

Ein Tumult in der hinteren Ecke der Tanzfläche erregt meine Aufmerksamkeit. Vladimir, einer der Türsteher des Clubs, hält einen Mann am Rücken seines Hemdes fest und zerrt ihn in Richtung der Treppe, die in den oberen Stock führt. Wenn der Typ nur eine Schlägerei angefangen hätte, hätte der Sicherheitsdienst ihn längst rausgeworfen. Es muss sich also um ein schwerwiegenderes Vergehen handeln, wenn man ihn stattdessen zu mir bringt.

Fünf Minuten später öffnet sich die Tür hinter mir.

»Mr. Morozov.« Vladimir schiebt den Mann in mein Büro. »Wir haben ihn vor den Toiletten beim Dealen erwischt.«

Ich gehe auf den Mann zu, der jetzt auf dem Boden liegt, und trete mit meinem rechten Schuh auf seine Hand. »Du verteilst Drogen in meinem Club?«

Der Mann wimmert und versucht, meinen Fuß mit seiner freien Hand wegzuschieben, aber ich trete nur noch fester zu. »Sprich.«

»Es waren nur ein paar Pillen, die mir ein Freund gegeben hat«, stößt er hervor und schaut zu mir auf. »Irgendein neues Zeug, das er bei der Arbeit geklaut hat.«

Ich neige meinen Kopf zur Seite. »Bei der Arbeit? Was macht er denn beruflich?«

»Keine Ahnung. Er spricht nicht darüber.« Er versucht erneut, seine Hand zu befreien, aber es gelingt ihm nicht. »Es tut mir leid. Wird nicht wieder vorkommen.«

Ich fordere Vladimir auf, mir die kleine Plastiktüte zu geben, die er in der Hand hält, um sie mir anzusehen. Ein Dutzend weißer Pillen befindet sich darin. »Hast du die schon mal ausprobiert?«

»Nein … ich … mit Drogen hab ich nichts zu tun«, sagt der Mann und wimmert, als ich den Druck auf seine Hand erhöhe.

»Also hast du sie nur mitgebracht, um sie zu verkaufen. Sehr klug.« Ich werfe Vladimir die Plastiktüte zurück. »Bring das zum Doc. Wir müssen überprüfen, was da drin ist.«

»Was sollen wir mit dem Dealer machen?« Vladimir nickt in Richtung des Mannes auf dem Boden.

Angesichts des panischen Blicks in seinen Augen und seiner zitternden Hände würde es wohl nicht lange dauern, ihn zum Reden zu bringen. Ich könnte ihn in den Lagerraum bugsieren lassen und ihn dort verhören. Aber wir haben klare Hierarchien in der Bratva von Chicago, und Informationsgewinnung gehört nicht zu meinem Aufgabenbereich.

»Ich glaube, er würde sich bestimmt über eine kleine Unterhaltung mit Mikhail freuen. Schaff ihn mir aus den Augen«, sage ich und drehe mich um, dann trete ich wieder zurück an die Glaswand mit Blick auf die Tanzfläche.

Ich höre Geschrei und Tumult hinter mir, während Vladimir den Mann aus dem Büro schleift. Der Lärm verstummt abrupt, als sich die Tür hinter den beiden schließt. Mein Blick schweift über die Menschen, die sich unten drängen und tanzen, und bleibt an der Sitzgruppe hinten links in der Ecke hängen. Yuri, der für die Söldner der Bratva zuständig ist, sitzt in der Mitte, an seiner Seite eine blonde Frau. Gegenüber von den beiden sitzen die Brüder Kostya und Ivan, die die Finanzen unserer Organisation verwalten, und lachen über irgendetwas. Anscheinend haben ein paar von den Jungs heute ihren freien Abend.

Das Telefon in meiner Tasche klingelt. Ich hole es heraus und sehe Yuris Namen auf dem Display.

»Stimmt was nicht?«, frage ich, nachdem ich den Anruf entgegengenommen habe.

»Nein«, sagt er und schaut von der Sitzgruppe zu mir hinauf. »Komm runter und trink was mit uns.«

»Ich arbeite gerade.«

»Du arbeitest ständig, Pasha.« Er schüttelt unten den Kopf.

Und er hat recht. Wenn ich nicht gerade schlafe oder trainiere, bin ich in einem der Bratva-Clubs. Seit ich aus der Petrov-Villa ausgezogen bin, als die Frau des Pakhan ein Kind bekam, fiel es mir schwer, alleine Zeit in meiner leeren Wohnung zu verbringen. Aber in den letzten Jahren ist es noch schwieriger geworden. Die Tatsache, dass ich seit sieben Jahren zwei Nachtclubs leite und dabei die meiste Zeit von Menschen umgeben bin, sollte eigentlich ausreichen, um mir etwas mehr Zeit für mich zu wünschen. Doch das tut es nicht. Es erinnert mich immer nur daran, dass zu Hause niemand auf mich wartet.

»Komm schon, nur ein Drink«, drängt Yuri erneut.

Kostyas tiefes Lachen dröhnt durch die Leitung. Sieht aus, als würde er wieder Unfug anstellen. Wie immer, der kleine Schlawiner. »Ein anderes Mal, Yuri«, sage ich.

Ich beende das Gespräch, entferne mich aber nicht von der Glaswand und beobachte weiter meine Kameraden, die sich da unten amüsieren. Vielleicht sollte ich mich ihnen doch anschließen. Es wäre schön, sich auch mal zu entspannen und ein bisschen Blödsinn zu reden, doch das gelingt mir nie. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn ich mal mit ihnen ausgegangen bin, habe ich mich am Ende nur noch einsamer gefühlt.

Die Bratva ist für mich wie die Familie, die ich nie hatte. Ich weiß mit Sicherheit, dass jeder von ihnen sich zwischen mich und eine Kugel werfen würde. Und ich würde das Gleiche für sie tun. Trotzdem, selbst nach zehn Jahren in der Bratva schaffe ich es nicht, meinen Freunden wirklich näherzukommen. Was bei meiner Vergangenheit wohl auch zu erwarten war. Wenn man von den Menschen, die eigentlich ein sicherer Hafen sein sollten, so fallen gelassen wurde, ist es schwierig, jemandem noch mal so nahezukommen, weil man weiß, dass man von den anderen eines Tages auch verlassen wird.

Früher oder später wird man eben von jedem verlassen.

Ich bleibe noch eine Weile stehen und sehe den Jungs beim Lachen zu, dann wende ich mich ab und gehe zurück an die Arbeit.

 

 

Asya

 

Ich betrete das Büro und bleibe mitten im Raum stehen. Dolly, die für die Mädchen verantwortlich ist, sitzt hinter ihrem Schreibtisch und konzentriert sich auf ein kleines ledergebundenes Notizbuch.

»Du wirst dich heute Abend um Mr. Miller kümmern«, sagt sie und kritzelt dabei etwas in ihr Notizbuch. »Er lässt es lieber langsam angehen. Fang mit einer Massage an und schau dann weiter.«

Ich nicke. »Ja, Dolly.«

»Ach, und keine Blowjobs. Da steht Mr. Miller nicht drauf.« Sie schließt das Notizbuch und geht um den Schreibtisch herum, ihre Absätze klacken auf dem Linoleum. Ich senke den Blick und schaue auf den Boden, damit sie mir nicht in die Augen sehen kann. Ihre pinkfarbenen, glänzenden High Heels geraten in mein Sichtfeld, als sie direkt vor mir stehen bleibt.

»Er ist ein wichtiger Kunde, also sieh zu, dass du ihm jeden Wunsch erfüllst. Wenn er dich mag, bucht er dich vielleicht wieder. Er ist sehr sanftmütig und schlägt die Mädchen meistens nicht, was eher selten ist, wie du wohl inzwischen weißt. Und vergiss die Kondome nicht. Du kennst die Regeln.«

Ich nicke erneut und hebe meine Hand, mit der Handfläche nach oben. Dolly legt eine einzelne weiße Pille darauf.

»Und der Rest?«, frage ich. »Ich brauche mehr davon. Bitte.«

»Es ist doch immer dasselbe mit euch Mädchen«, schimpft sie. »Den Rest bekommst du, wenn du mit dem Kunden fertig bist. Das weißt du doch.«

»Nur noch eine«, flehe ich.

»Ich sagte, wenn du fertig bist!«, schreit sie und verpasst mir eine Ohrfeige. »Geh zurück auf dein Zimmer und sei in einer Stunde fertig. Du bist schon seit fast einer Woche unpässlich. Deinetwegen verlieren wir viel Geld.«

»Ja, Dolly«, sage ich leise und drehe mich zur Tür um.

»Ach, und vergiss nicht, die Brille abzunehmen. Die gefällt Mr. Miller nicht.«

»Natürlich«, sage ich.

Nachdem ich Dollys Büro verlassen habe, biege ich links ab und eile den Flur entlang, vorbei an den Türen zu den anderen Räumen. Im Moment bin ich eins von fünf Mädchen hier. Früher waren wir zu sechst, aber vor zwei Tagen ist eins der Mädchen verschwunden. Da ich immer sehr zurückhaltend bin, kannten wir uns nur flüchtig. Ich erinnere mich noch an ihr langes blondes Haar, das sie immer zu einem Zopf geflochten trug. Niemand weiß, was mit ihr passiert ist, aber ich habe gehört, wie die anderen Mädchen über ihren Termin mit einem Freier getratscht haben, der dafür bekannt war, besonders grob zu sein.

Ich erreiche die letzte Tür am Ende des Flurs und betrete das Zimmer. Nachdem ich mich kurz umgesehen habe, um sicherzustellen, dass meine Mitbewohnerin nicht da ist, eile ich zum kleinen Badezimmer auf der anderen Seite des Raumes. Dann schließe ich die Tür ab und gehe zur Toilette.

Ich öffne meine rechte Hand und starre auf die weiße Pille in meiner Hand. So ein kleines Ding. Sie sieht so harmlos aus. Wer würde vermuten, dass etwas so Winziges einen Menschen geistig versklaven und wie in einem Gefängnis ohne Gitter leben lassen kann? Es wäre so leicht, sie in den Mund zu nehmen und einfach ... loszulassen.

Das Prinzip ist immer dasselbe. Eine Pille vor dem Treffen mit dem Kunden. Drei weitere danach. Die erste soll mich ein bisschen high und damit gefügiger machen. Dadurch wird es nicht weniger schmerzhaft, aber die Pille sorgt immerhin dafür, dass mir der Schmerz egal ist. Das Zeug macht auch sehr schnell süchtig. Wenn ich die Pille nehme, werde ich danach nur umso schneller zu den drei weiteren Pillen greifen, um das Verlangen zu stillen, das durch die erste ausgelöst wurde. Und dann wiederholt sich dieser Zyklus. Immer und immer wieder. Mein Gehirn bleibt benebelt, ständig auf einem gewissen Level von Hochgefühl, und jedes Mal brauche ich mehr und kann an nichts anderes mehr denken.

Ich bin süchtig geworden. Genau wie all die anderen Mädchen hier.

Ich zerdrücke die Pille in meiner Hand, dann werfe ich sie in die Kloschüssel und spüle ab. Die Pille wirbelt zweimal im Kreis herum, bevor sie im Abfluss verschwindet und ich ihr hinterher starre.

Vor sechs Tagen habe ich die Drogen abgesetzt. Eher aus Versehen. Ich hatte mir letzte Woche einen Magen-Darm-Virus eingefangen und mich drei Tage lang ununterbrochen übergeben. Mein Körper behielt nichts mehr bei sich, auch nicht die Pillen, die Dolly mir immer wieder in den Mund schob. Als es mir wieder besser ging, war mein Gehirn zum ersten Mal seit zwei Monaten frei von der ständigen drogenbedingten Benommenheit.

Der erste Tag war der schlimmste. Obwohl mir ständig eiskalt war – Gott, ich kann mich nicht daran erinnern, jemals in meinem Leben so gefroren zu haben –, habe ich gleichzeitig geschwitzt. Alles tat weh. Mein Kopf, meine Beine, meine Arme. Es fühlte sich an, als wäre jeder einzelne Knochen in meinem Körper gebrochen. Und dann waren da noch die Zuckungen. Ich versuchte, das Zittern zu kontrollieren, aus Angst, meine Zähne könnten vom heftigen Klappern zerbrechen, aber ich schaffte es nicht. Dolly dachte, das Fieber würde endlich nachlassen, aber es war gar kein Fieber. Es war der Entzug. Der Drang, einfach die Pillen zu schlucken, die sie mir gab, war fast zu mächtig, um ihn zu bekämpfen, und nur meine Sturheit hinderte mich daran, ihm nachzugeben.

Danach wurde es leichter. Ich bekam immer noch gelegentlich Schüttelfrost, aber es war bei weitem nicht so schlimm wie an diesem ersten drogenfreien Tag, und meine Gliedmaßen und mein Kopf schmerzten deutlich weniger. Ich tat so, als würde ich die Pillen schlucken, und achtete darauf, mich genauso zu verhalten wie zuvor, bettelte die ganze Zeit um mehr, während ich die Pillen heimlich wegwarf. Erstaunlicherweise hat meine Täuschung funktioniert. Jetzt ist es nur noch die Frage, wie lange ich den Schwindel noch aufrechterhalten kann, bevor es jemandem auffällt.

Ich nehme meine Brille ab und lege sie neben das Waschbecken. Sie hat nicht einmal die richtige Stärke. Dolly hat sie mir nur besorgt, damit ich nicht mehr andauernd stolpere und blinzeln muss. Meine eigene habe ich in meiner letzten Nacht in New York verloren.

Ich löse den Blick von der Brille, die mich an jene Nacht erinnert, ziehe mich aus und betrete die Duschkabine. Dann drehe ich das Wasser auf kochend heiß, stelle mich unter die Dusche und schließe die Augen. Auf dem kleinen Regal zu meiner Rechten liegt ein Waschlappen. Ich nehme ihn und schrubbe meine Haut so lange ab, bis sie knallrot ist, aber es hilft nichts. Ich fühle mich immer noch furchtbar schmutzig.

Ich begreife einfach nicht, warum ich nicht härter gekämpft habe. Ja, die Drogen haben mein Gehirn benebelt, aber ich wusste immer genau, was vor sich ging. Trotzdem habe ich einfach ... kapituliert. Nacht für Nacht lasse ich mich an reiche Männer verkaufen, die bereit sind, eine enorme Summe Geld dafür zu zahlen, um ein hübsches, auf Hochglanz poliertes Püppchen zu ficken. Genau das sind wir. Sie entwachsen uns, lassen uns die Nägel und Haare machen und sorgen dafür, dass wir stets teure Kleidung tragen. Auch ein komplettes Gesichts-Make-up gehört dazu, das jedoch ständig verschmiert, wenn ein Mädchen nach einer Session weinen muss. Sehr viele von den Männern lieben es, uns zusammenbrechen zu sehen.

Ich habe kein einziges Mal geweint. Vielleicht ist bereits in jener ersten Nacht etwas Wesentliches in mir zerbrochen. Die eine Million Teilchen meiner zerbrochenen Seele haben sich mit dem Schnee und dem Blut vermischt. Danach war mir einfach alles egal.

Eine Stunde später holt mich der Fahrer ab, und während der Fahrt starre ich ausdruckslos durch das Fenster auf die Menschen, die über die mir fremden Gehwege vorbeieilen. Als ich entführt wurde, dachte ich zuerst, dass ich irgendwo am Stadtrand von New York festgehalten wurde, aber jetzt weiß ich, dass ich in Chicago gelandet bin.

Als ich das »normale Leben« anderer Leute so an mir vorbeiziehen sehe, bin ich zum ersten Mal seit zwei Monaten versucht, den Türgriff zu benutzen und abzuhauen. Es widert mich an, dass ich so lange gebraucht habe, um überhaupt mal über eine Flucht nachzudenken. Doch jetzt ist es so weit. Ich will mich endlich wieder sauber fühlen. Vielleicht wird es dazu nie wieder kommen, aber ich möchte es zumindest versuchen.

Ich habe gehört, was sie mit den Mädchen machen, die zu fliehen versuchen. Solange wir gehorsam sind, bekommen wir unsere Pillen, weil die zahlungskräftigen Kunden keine Mädchen mit Nadeleinstichen am Körper mögen. Aber sobald ein Mädchen Probleme macht, greifen sie zur Spritze. Und dann war’s das. Ist das auch dem Mädchen passiert, das plötzlich verschwunden ist?

Ich lehne mich im Sitz zurück, schließe die Augen und atme tief aus. Ich werde so tun, als wäre ich immer noch eine gehorsame kleine Hure, die bereit ist, alles zu ertragen, und auf eine Gelegenheit warten. Es wird nur eine einzige Gelegenheit geben, daher werde ich alles dafür tun, um sie gut zu nutzen.

 

 

 

Sie tragen immer Anzüge.

Ich betrachte den Mann, der auf der Bettkante in dem schicken Zimmer sitzt, in das mich der Fahrer geführt hat. Ende fünfzig. Geheimratsecken. Er trägt einen makellosen grauen Anzug und eine teuer aussehende Uhr am Handgelenk. Zwei Handys liegen auf dem Nachttisch. Wahrscheinlich ein Banker. Wieder einmal.

Das Zimmer sieht so aus, wie man es von einem Kunden wie ihm erwarten würde. Schwere, luxuriöse Vorhänge in dunklem Rot – der Farbe von Blut – und ein Himmelbett mit schwarzer Seidenbettwäsche, um eventuelle Blutflecken zu verbergen. In jeder Ecke steht eine Lampe und es gibt eine hölzerne Minibar, die mit verschiedenen Spirituosen bestückt ist. Natürlich nur von den besten Marken. Ich war schon einmal in diesem Zimmer und erinnere mich noch daran, dass das Badezimmer genauso luxuriös ist, mit einer riesigen Badewanne und einer großen Dusche. Unter dem Waschbecken befindet sich ein Erste-Hilfe-Kasten. Der Fahrer musste ihn benutzen, weil der Kunde, mit dem ich an diesem Abend zusammen war, mir eine üble Platzwunde an der Lippe zugefügt hatte.

Mr. Miller bedeutet mir, näher zu kommen. Ich überwinde die Distanz zwischen uns und stelle mich zwischen seine Beine, um mich auf das vorzubereiten, was noch kommen wird. Mit den Pillen war es so viel einfacher.

»Hübsch«, sagt er und legt seine Hand auf meinen Oberschenkel, direkt unter den Saum meines kurzen weißen Kleides. Weiß scheint die Lieblingsfarbe aller Kunden zu sein. »Wie alt bist du?«

»Achtzehn, Mr. Miller.«

»So jung noch.« Seine Hand wandert nach oben und zupft an meinem Kleid. »Nenn mich Jonny.«

»Ja, Jonny«, murmele ich.

»Dolly sagte, dein Name sei Daisy. Klein und niedlich. Das passt.« Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als ich den Namen höre, den sie mir gegeben haben, weil ihnen mein richtiger Name zu ungewöhnlich vorkam. Ich verabscheue ihn. Jedes Mal, wenn ich ihn höre, möchte ich mich übergeben.

Mr. Miller zieht mir das Kleid über den Kopf und wirft es auf den Boden. Es fällt zu einem kleinen weißen Bündel an meinen Füßen zusammen. Ich weiß nicht, warum, aber wenn ein Freier mir das Kleid auszieht, trifft mich das härter, als wenn er mir mein Höschen auszieht. Jedes Mal fühlt es sich an, als würde mir jemand die letzte Schicht meiner Verteidigung wegnehmen. Ich erschaudere.

»Findest du mich attraktiv, kleine Daisy?« Er legt seine Hände um meine Taille.

»Ja, natürlich, Jonny«, sage ich automatisch. Das hat man mir an meinem ersten Ausbildungstag mit den Fäusten eingebläut.

»Hmm …« Seine Hände fahren über meine Hüfte und ziehen dann mein ebenfalls weißes Spitzenhöschen über meine Beine hinunter. »Normalerweise lasse ich es lieber langsam angehen. Aber du bist einfach zu niedlich. Ich glaube nicht, dass ich noch länger warten kann.«

Sobald er mir das Höschen ausgezogen hat, wirft er mich aufs Bett. Dort bleibe ich regungslos liegen und sehe zu, wie er sein Jackett auszieht. Als Nächstes folgt seine Krawatte, und mein Körper zittert, während er den Knoten löst. Ein früherer Kunde hat mir mal seine Krawatte um den Hals geschlungen, während er mich von hinten gefickt hat, und bei jedem Stoß fester daran gezogen, bis mir die Luft wegblieb. Daher schließe ich kurz erleichtert die Augen, als Mr. Miller seine Krawatte einfach auf den Boden wirft. Er beginnt, sein Hemd aufzuknöpfen, öffnet aber nur die oberen beiden Knöpfe und geht dann zu seiner Hose über. Mein Atem beschleunigt sich. Zumindest hat er die Krawatte entfernt. Mit dem Hemd werde ich irgendwie klarkommen.

»Mach schön die Beine breit, Süße«, sagt er, während er sich ein Kondom überzieht. Der Leiter der Organisation ist dahingehend sehr streng, aber es geht ihm dabei eher um den Schutz der Kunden als um den von uns Mädchen.

Mr. Miller kriecht über das Bett, bis er über mir schwebt. Die Vene an seinem Hals pulsiert. Er beobachtet mich mit großen Augen, dann senkt er den Kopf und leckt über meine nackten Brüste. Ich beiße die Zähne zusammen und zwinge mich, nicht zusammenzuzucken. Das würde nicht gut für mich ausgehen. Ich hoffe, dass bald die Musik in meinem Kopf wieder einsetzt, damit es etwas leichter wird für mich, alles andere auszublenden. Doch das passiert nicht. Das letzte Mal, als ich die Musik gehört habe, war in dieser verschneiten Nacht. Manchmal, wenn ich im Bett liege und versuche, zu schlafen, trommle ich mit den Fingern auf den Nachttisch, als würde das helfen, die Melodie herbeizurufen. Aber im Gegensatz zu früher höre ich sie nicht mehr.

Mr. Millers fleischige Hände greifen an die Innenseite meiner Oberschenkel und spreizen meine Beine auseinander. Im nächsten Moment stößt auch schon sein Schwanz ruckartig in mich hinein.

Es tut weh. Es tut immer weh, aber ohne die Drogen, die meinen Verstand vernebeln, ist es noch tausendmal schlimmer zu ertragen. Ich neige den Kopf und starre an die Decke, während er erneut in mich eindringt. In solchen Momenten versuche ich, abzuschalten, mich mental zurückzuziehen und mich irgendeiner glücklichen Erinnerung zuzuwenden, in der Hoffnung, mich emotional von einer weiteren Vergewaltigung zu lösen.

Zum Glück taucht tatsächlich eine schöne Erinnerung in meinem Kopf auf.

Es ist der Sommer vor meinem zweiten Jahr an der Highschool.Ich sitze im Garten und lese, während meine Zwillingsschwester ihren Malteser – Bonbon – über den Rasen jagt. Das arme Tier. Sie hat ihm sogar eine gelbe Seidenschleife umgebunden. Als Sienna sagte, dass sie einen Hund haben möchte, war ich mir sicher, dass Arturo Nein sagen würde. Unser Bruder ist kein Fan von Haustieren. Und ich habe keine Ahnung, wie sie es geschafft hat, ihn trotzdem von einem Hund zu überzeugen.

»Asya!«, ruft Sienna. »Komm!«

Ich winke ihr zu und lese weiter. Der Mord wurde gerade erst aufgedeckt und ich bin schon ganz gespannt, wer wohl der Täter ist. Ich bin mir sicher, dass es …

Ein kalter Wasserstrahl spritzt mir auf die Brust und ich springe kreischend vom Stuhl auf, wobei ich meine Schwester böse anfunkle. Sie hält einen Gartenschlauch in der Hand und lacht wie verrückt.

»Na warte! Du bist tot!« Lachend renne ich auf sie zu. Sie krümmt sich immer noch vor Lachen, als ich sie erreiche. Dann greife ich nach dem Schlauch, ziehe ihr Oberteil hoch und lasse das eiskalte Wasser über ihren Rücken laufen.

Sienna kreischt, dreht sich um, greift dann nach dem Schlauch und versucht, ihn wieder auf mich zu richten, aber am Ende spritzt sie sich nur selbst ins Gesicht. Ich lache immer noch, als ich meine freie Hand hebe, um mir das Wasser aus den Augen zu wischen, verharre aber mitten in der Bewegung. Meine Hand ist ganz rot. Ich schaue auf den Schlauch in meiner Hand. Rote Flüssigkeit kommt heraus und breitet sich auf dem Boden um meine Füße herum aus. Blut.

Ich öffne die Augen und starre an die weiße Decke über mir, während mir der Geruch von Schweiß in die Nase steigt. Tja … der Trick mit den glücklichen Erinnerungen funktioniert leider nicht immer.

Mr. Miller hämmert weiter in mich hinein, sein schwerer Atem schlägt mir ins Gesicht und Schweißperlen tropfen auf mich hinunter. Er stöhnt laut, das Geräusch erinnert mich an ein riesiges Tier, das vor Wut brüllt. Plötzlich hält er inne und zieht sich abrupt zurück. Sein Gewicht verschwindet von mir. Ich hebe meinen Kopf vom Kissen und sehe ihn am Fußende des Bettes auf den Knien zusammengesackt sitzen, seine Hände fahren über seine Brust und er atmet schwer. Sein Gesicht ist knallrot angelaufen, während er mich mit großen Augen anstarrt.

»Die … Pillen«, stößt er hervor. »In … der Jacke.«

Ich mustere ihn nur ein paar Augenblicke lang, bevor ich vom Bett aufstehe und zu seiner Jacke renne, die über der Stuhllehne hängt. Ein orangefarbenes Fläschchen befindet sich in der linken Tasche, das ich heraushole. Mr. Miller ist auf alle viere zusammengesackt und versucht keuchend, Luft zu holen.

»Gib her …«, keucht er und hebt den Arm in meine Richtung.

Ich schaue auf das Fläschchen in meiner Hand und dann wieder nach oben, nehme seinen verzweifelten Gesichtsausdruck und seine tränenden Augen wahr. Langsam trete ich einen Schritt zurück. Mr. Miller starrt mich mit riesigen Augen an. Ich mache noch ein paar Schritte nach hinten, bis ich mit dem Rücken gegen die Wand stoße.

Und dann sehe ich einfach nur zu.

Es dauert nicht einmal zwei Minuten. Er keucht. Seine Atemzüge werden immer flacher, mühseliger. Und schließlich ertönt ein ersticktes Geräusch. Mr. Miller sinkt seitlich aufs Bett, den Kopf in meine Richtung geneigt, die Augen weit aufgerissen. Es sieht aus, als wollte er etwas sagen, aber die Worte sind wirr und abgehackt. Ich kann nicht verstehen, was er sagt, aber ich sehe es in seinem Gesicht. Er fleht mich an. Wie angewurzelt bleibe ich stehen, das Medikamentenfläschchen in der Hand, und sehe zu, wie der Mann vor meinen Augen stirbt. Mit jedem Atemzug spüre ich, wie die Überreste meiner Seele oder was auch immer davon noch in mir vorhanden ist, mit ihm sterben. Bis gar nichts mehr davon übrig ist, nur noch ein schwarzes Loch.

Links von mir wird die Tür aufgerissen und mein Fahrer stürmt herein. Er rennt zu Mr. Millers Körper, der jetzt regungslos auf dem Bett liegt, und legt seine Finger auf den Puls am Hals.

»Fuck!«, stößt der Fahrer aus und dreht sich zu mir um. »Was hast du mit ihm gemacht, du Schlampe?«

Ich ignoriere ihn. Aus irgendeinem Grund kann ich meinen Blick nicht von der Leiche auf dem Bett abwenden. Seine Augen sind immer noch offen, und obwohl ich sie nicht klar erkennen kann, wirkt es so, als würde er mich direkt ansehen. Eine Ohrfeige landet auf meiner Wange.

»Wach verdammt noch mal auf! Wir müssen los!«, brüllt der Fahrer.

Als ich mich nicht rühre, packt er meinen Arm und schüttelt mich. Und nur einen winzigen Moment später spüre ich den Einstich einer Nadel in meinem Arm.

Nein!

Dieser Stich weckt genau das, was von meinem Selbsterhaltungstrieb noch übrig ist. Das Pillenfläschchen fällt mir aus der Hand. Ich reiße meinen Arm weg, drehe mich um und renne in den Flur hinaus.

Es ist schon spät in der Nacht und das Gebäude scheint völlig verlassen zu sein. Die zwei breiten gelben Streifen auf dem Teppich helfen mir dabei, mich zu orientieren, und ich folge ihnen einfach, laufe durch mehrere Gänge hindurch, auf der Suche nach einem Ausgang. Meine Sicht trübt sich und mir wird schwindelig. Jeder Schritt fällt mir schwerer als der vorherige und es fühlt sich an, als hätte mir jemand Betonklötze an die Beine gebunden. Ich biege um die Ecke und renne weiter, bis ich am Ende eines Flurs eine Tür sehe. Darüber befindet sich ein grün beleuchtetes Schild. Die Buchstaben darauf erkenne ich nicht, aber es kann sich nur um eines handeln – einen Notausgang.

Sobald ich die Tür erreicht habe, greife ich nach dem Türknauf und renne nach draußen. Eine Feuerleiter. Ich sehe bereits doppelt und mir ist furchtbar schwindelig, und mit jeder Sekunde wird das Gefühl schlimmer, aber beim dritten Versuch schaffe ich es endlich, mich am Geländer festzuhalten. Ich kralle mich an das kalte Eisen und klettere unbeholfen die Stufen hinunter. Wie durch ein Wunder gelingt es mir, nicht runterzufallen.

In dem Moment, als meine nackten Füße den Boden berühren, biege ich nach links ab und renne in eine dunkle Gasse. Rechts von mir ertönt eine Autohupe, und ich drehe mich gerade noch rechtzeitig um, um in grelle Lichter zu sehen, die mich direkt anleuchten. Dann verschluckt mich die Dunkelheit.

 

 

Pavel

 

»Scheiße!«

Ich öffne die Autotür und laufe nach vorn. Auf der Straße, kaum einen Meter von der Stoßstange entfernt, liegt eine nackte Frau. Ich weiß ganz sicher, dass ich sie nicht angefahren habe. Ich habe den Wagen rechtzeitig gestoppt, bevor ich sie hätte erwischen können. Aber ganz offensichtlich stimmt etwas mit ihr nicht. Ihr Körper zittert so stark, als hätte sie hohes Fieber.

Ich beuge mich zu ihr hinunter und hebe sie in meine Arme. Der Geruch eines billigen Herrenparfums steigt mir in die Nase, während ich sie festhalte. Die Haut der Frau ist ungewöhnlich kalt und sie zittert so stark, dass sie mir aus dem Arm gerutscht wäre, wenn ich sie nicht fest an meine Brust gedrückt hätte. Ich drehe mich auf dem Absatz um und trage ihr mageres Gewicht zum Auto. Irgendwie schaffe ich es, den Türgriff zu greifen und die Hintertür zu öffnen. Da ich keine Decke dabei habe, setze ich sie vorsichtig auf dem Rücksitz ab, ziehe meine Jacke aus und lege sie über ihren nackten Körper. Sie kauert sich sofort in Embryonalstellung zusammen, während ihr zierlicher Körper weiter von einem Zitteranfall geschüttelt wird. Sobald ich wieder hinter dem Steuer sitze, betätige ich die Kurzwahltaste auf meinem Handy und gebe Vollgas.

»Doc!«, rufe ich, als er rangeht. »Ich hab ein Mädchen im Auto, das anscheinend einen Krampfanfall hat. Soll ich versuchen, irgendwas zu tun, oder sie lieber direkt ins Krankenhaus fahren? Oder kann ich sie zu dir bringen? Ich bin nur fünf Minuten entfernt.«

»Symptome?«

»Sie zittert stark und ihre Arme und Hände zucken ständig.« Ich werfe einen Blick über meine Schulter. »Sie scheint nicht ganz bei sich zu sein.«

»Hat sie Schaum vor dem Mund? Erbricht sie?«

Ich schaue wieder zu dem Mädchen hinüber. »Nein. Im Moment nicht.«

»Bring sie her«, sagt er. »Wenn sie sich erbricht, musst du anhalten und sicherstellen, dass sie nicht erstickt. Es könnte ein epileptischer Anfall oder eine Überdosis sein.«

»Okay.« Ich werfe das Handy auf den Beifahrersitz.

Zum Glück herrscht nur wenig Verkehr, sodass ich in weniger als fünf Minuten das Gebäude erreiche, in dem der Doc im Erdgeschoss, direkt unter seiner Wohnung, eine kleine Praxis hat. Da er für die Bratva hauptsächlich Hausbesuche macht, nutzt er sie nur für den Fall, dass jemand mal einen Ultraschall oder eine Röntgenaufnahme benötigt.

Ich parke direkt davor und hebe das Mädchen vom Rücksitz. Ihre Gliedmaßen zucken immer noch unkontrolliert, aber immerhin übergibt sie sich nicht. In meine Jacke gewickelt trage ich sie im Laufschritt auf die Glastür zu, die der Arzt uns bereits aufhält.

»Leg sie da auf die Liege«, sagt er und eilt zum Medizinschrank. »Warum ist sie nackt?«

»Keine Ahnung. Sie ist orientierungslos aus einem Gebäude gelaufen und mitten auf der Straße zusammengebrochen. Um ein Haar hätte ich sie angefahren.«

Der Arzt kommt mit einer Spritze herüber, beugt sich über das Mädchen und zieht ihr Augenlid auf. »Überdosis. Geh mal zur Seite.«

Ich trete ein paar Schritte zurück und sehe zu, wie er ihr etwas injiziert und dann einen Tropf mit Kochsalzlösung an ihrem Arm anschließt.

»Ich nehme eine Blutprobe, damit wir wissen, was sie genommen hat. Das Ergebnis bekomme ich allerdings erst morgen. Ich gehe aber davon aus, dass es eine von den üblichen Drogen war, deshalb habe ich ihr schon etwas gegeben, das die Wirkung umkehrt.« Er greift nach einer Decke und legt sie über das Mädchen. »Falls sie keine starke Konsumentin ist, sollte es ihr in ein paar Stunden wieder besser gehen. Bring sie einfach in eine Notunterkunft oder so was und überlass sie dort den anderen.«

Ich schaue auf das Mädchen hinunter. Lange dunkelbraune Strähnen fallen ihr ins Gesicht und verdecken es. Sie zittert immer noch unter der Decke, aber sie zuckt nicht mehr. Auch ihre Atmung klingt etwas ruhiger. Was zum Teufel ist ihr nur zugestoßen?

»Ich nehme sie für heute Nacht mit zu mir«, sage ich, ohne den Blick von dem Mädchen abzuwenden. »Wenn es ihr morgen früh besser geht, bringe ich sie nach Hause.«

»Ist das dein Ernst?«

»Ja.« Ich schaue auf und sehe, dass der Doc mich anstarrt.

»Du kannst doch nicht eine Drogenabhängige mit zu dir nach Hause nehmen.«

»Ich werde sie ganz sicher nicht wie einen Müllsack im Obdachlosenheim abgeben, Doc.« Einer ihrer Arme hängt herunter. Ich nehme ihre kleine Hand und stecke sie wieder unter die Decke. »Es ist ja nur für eine Nacht.«

Der Doc schüttelt seufzend den Kopf. »Wenn sie ein Junkie ist, und davon bin ich ziemlich überzeugt, wird sie einen Entzug durchmachen. Nach den Medikamenten, die ich ihr gerade gegeben habe, wird der wahrscheinlich auch sofort einsetzen. Je nachdem, was sie genommen hat und wie stark abhängig sie ist, kann das ein paar Tage oder sogar zwei Wochen dauern, je nachdem.«

»Auch wenn sie nackt ist, aber ihre Haare sind sauber und ihre Nägel sind frisch manikürt. Es ist doch wahrscheinlicher, dass jemand sie unfreiwillig unter Drogen gesetzt hat, während er versucht hat, sie zu vergewaltigen. Oder dass sie gerade einem gewalttätigen Partner entkommen ist.«

Der Doc sieht mich an und nickt dann. »Also gut. Ich schaue mal nach, ob ich noch ein Rapekit habe. Dann kann ich auch gleich eine Grunduntersuchung durchführen. Warte bitte so lange draußen.«

Ich werfe dem Mädchen noch einen Blick zu, aber sie scheint zu schlafen. Dann gehe ich zur Tür und trete hinaus. Es hat angefangen zu schneien.

---ENDE DER LESEPROBE---