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Dublin ächzt unter einer historischen Hitzewelle, und auch sonst ist die Stimmung auf dem Siedepunkt, denn ein brutales Killerkommando hat es auf die Profiteure der irischen Wirtschaftskrise abgesehen. Derweil hat Paul Mulchrone ganz andere Sorgen: Kaum hat er seine eigene Detektei gegründet, steht er schon ohne seine Partner da. Brigit spricht aus guten Gründen kein Wort mehr mit ihm - und Bunny McGarry ist wie vom Erdboden verschluckt. Wohin ist er verschwunden, und was hat seine bewegte Vergangenheit damit zu tun? Um das herauszufinden, bleibt Paul nur noch eine einzige Verbündete: Maggie, eine ehemalige Polizeihündin. Die oft klüger zu sein scheint als Paul, Brigit und Bunny zusammen.
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Seitenzahl: 528
Dublin ächzt unter einer historischen Hitzewelle, und auch sonst ist die Stimmung auf dem Siedepunkt, denn ein brutales Killerkommando hat es auf die Profiteure der irischen Wirtschaftskrise abgesehen. Derweil hat Paul Mulchrone ganz andere Sorgen: Kaum hat er seine eigene Detektei gegründet, steht er schon ohne seine Partner da. Brigit spricht aus guten Gründen kein Wort mehr mit ihm – und Bunny McGarry ist wie vom Erdboden verschluckt. Wohin ist er verschwunden, und was hat seine bewegte Vergangenheit damit zu tun? Um das herauszufinden, bleibt Paul nur noch eine einzige Verbündete: Maggie, eine ehemalige Polizeihündin. Die oft klüger zu sein scheint als Paul, Brigit und Bunny zusammen.
C. K. McDonnell stammt aus Dublin und war Stand-up-Comedian und Autor fürs Fernsehen, bevor er sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete.
Seine Bestseller-Serie um die fiktive Zeitung THE STRANGER TIMES wurde bei den British Fantasy Awards 2023 mit dem Preis für das beste Hörbuch ausgezeichnet; außerdem betreibt er einen Podcast zu der Reihe, in dem Comedians seine eigens dafür geschriebenen Kurzgeschichten aus dem Stranger-Times-Universum lesen. Auch mit seiner schwarzhumorigen Dublin-Krimireihe rund um den abgehalfterten Ex-Cop Bunny McGarry begeistert der Autor sowohl eine große Fangemeinde als auch die Presse.
C. K. McDonnell lebt heute mit seiner Frau und zwei Hunden in Manchester, besucht seine irische Heimat aber so oft wie möglich.
Übersetzung aus dem Englischen vonAndré Mumot
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Eichborn Verlag
Titel der englischen Originalausgabe:»The Day That Never Comes«
Für die Originalausgabe:Copyright © 2017 by McFori Ink, Manchester, UK
Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2024 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werks für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Textredaktion: Sabine Biskup, Mainz
Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Bille
Umschlagmotiv: © Eric Isselee/shutterstock, Katsiaryna Kashtalyan/shutterstock, Sanches11/shutterstock, Save nature and wildlife/shutterstock, Viktorija Reuta/shutterstock
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-6456-8
eichborn.de
DONNERSTAG, 7. JULI 2016
Detective Wilson atmete tief ein und versuchte, sich zusammenzureißen. Noch bevor sein Gehirn überhaupt angefangen hatte, den Gestank zu verarbeiten, setzte sein Magen bereits die körperliche Reaktion in Gang, und keine noch so angestrengte Selbstbeherrschung konnte den Geist zurück in die Flasche bringen. Ob er wollte oder nicht: In Kürze würde sein großes irisches Frühstück noch einmal das Licht dieser Welt erblicken. Er wandte sich ab und führte die rechte Hand an die Lippen. Seine Zunge verkrampfte sich, und sein Mund füllte sich mit Speichel. Es stand also fest, was passieren würde. Die Frage war nur, wo es geschah. Wilson bemühte sich, mit entschlossenen und gleichmäßigen Schritten den Raum auf demselben Weg zu verlassen, auf dem er ihn betreten hatte – so als müsste er einen wichtigen Anruf annehmen.
Die Leiche – oder das, was von ihr übrig war – befand sich in dem offenen loungeartigen Wohnraum. Ein Hochglanzmagazin hatte das Haus vor einiger Zeit auf sechs Seiten vorgestellt – bevor der Eigentümer zu einer Schande für die Elite geworden war, die derartige Publikationen produzierte, konsumierte und mit Inhalten versorgte. Besonders viel Aufhebens hatte man um den dominanten Kamin aus Marmor gemacht. Unter geradezu obszönen Kosten war er in einer Villa in der Toskana abgebaut und im Ganzen hierher geliefert worden. Der Besitzer, selbst ein Immobilienmagnat, hatte gescherzt, es wäre günstiger gewesen, das ganze Haus nach Italien zu versetzen. Kein sonderlich guter Scherz, aber der Mann war so reich gewesen, dass die Leute über jeden seiner Witze lachten. Nun saß er vor ebenjenem Kamin an einen Stuhl gefesselt, das Gesicht zu einer schauderhaften Totenmaske verzerrt. Fast hätte man meinen können, er würde lachen – hätten nicht alle weiteren Umstände diese Möglichkeit auf so entsetzliche Weise ausgeschlossen.
Die Titelschlagzeile in den Zeitungen von heute Morgen war zwanzig Busfahrern gewidmet, die gemeinsam im Lotto gewonnen hatten. Eine erbauliche Story. Die von morgen würde weniger erbaulich ausfallen.
Während Wilson mit so unauffälliger Hast wie möglich aus dem Raum floh, stieß er mit einem der hereinkommenden Nerds von der Spurensicherung zusammen und prallte gegen die Wand. Da er es nicht wagte zu sprechen, hob er zur halbherzigen Entschuldigung nur die linke Hand und eilte weiter. Nicht im Haus! Es durfte auf keinen Fall im Haus passieren. Er musste es an die frische Luft schaffen. Eine geschützte Ecke finden. Der Vorfall im Phoenix Park war jetzt acht Monate her, und seit immerhin drei Wochen hatte er den Spitznamen »Kotztüte« nicht mehr hören müssen. Er hatte wirklich gehofft, es wäre endlich Gras über die Sache gewachsen. Die nächsten dreißig Sekunden würden darüber entscheiden, ob es dabei blieb oder ob er sich für den Rest seiner Laufbahn bei der Garda mit dieser Bezeichnung herumschlagen musste.
Zu seiner Verteidigung: Er war nicht der Einzige, dem es schlecht ging. Auch die arme Putzfrau, die die Leiche entdeckt und den Notruf abgesetzt hatte, war völlig verstört gewesen und hatte kein zusammenhängendes Wort mehr herausgebracht. Von der Zentrale war augenblicklich ein Einsatzwagen losgeschickt und ein Rettungswagen angefordert worden. In dem Gestammel der Frau war nur das Wort »Szatan« herauszuhören, das sie unentwegt wiederholte. Später wurde eine Übersetzerin hinzugezogen, die sich ihren Notruf anhören musste, in der Hoffnung auf einen weiteren sachdienlichen Hinweis. Sie kam schließlich zu dem Ergebnis, dass es sich bei »Szatan« um das polnische Wort für »Satan« handelte.
Als er aus der Tür hastete, erkannte Wilson die vertraute Gestalt von Pathologin Doktor Denise Devane. Man hatte sie von einer weitaus banaleren »Nur Idioten nutzen Sicherheitsgurte«-Autopsie abgezogen. Seit über siebzehn Jahren war der Tod nun ihr Geschäft, und noch gestern hätte sie bestätigt, dass sie längst in der Lage war, ihn mit klinischem Abstand zu betrachten. Doch später, wenn sie allein in ihrem Büro die lange Liste der schwerwiegenden Verletzungen zusammenstellte, die man dem Opfer zugefügt hatte, würde sie die Jalousien zuziehen, sich auf den Besucherstuhl setzen und eine heimliche Träne vergießen angesichts der tief sitzenden Brutalität der Menschheit. Niemand hatte das verdient, nicht einmal er. Sie warf Wilson einen besorgten Blick zu, als er sich an ihr vorbeidrängte. Trotz ihrer notwendigen kühlen Abgeklärtheit erkannte sie ein Trauma bei den Lebenden ebenso wie bei den Toten.
Wilson entdeckte einen der unverkennbaren Spurensicherungs-Vans, der auf dem Rasen vor dem Haus parkte. Augenblicklich traf er eine Entscheidung. Dies war seine beste Chance, sich in dem ganzen Tumult zurückzuziehen. Auf direktem Weg eilte er auf den Van zu und ignorierte, dass Detective Sergeant Hickey ihm hinterherrief und versuchte, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Wie ein Marathonläufer, der mit vorgeschobenem Oberkörper dem Zielband entgegendrängt, stürmte Wilson die letzten Meter voran, um noch in allerletzter Sekunde hinter den Van zu gelangen. Der Inhalt seines Magens sprühte hervor. Er hatte es geschafft.
Beinahe.
Detective Superintendent Susan Burns wusste wahrlich, wie man Eindruck machte. Sie war eine bemerkenswert attraktive Frau, die bereits mit zweiundvierzig Jahren ihre hohe Position erreicht hatte und über eine unbestreitbare Autorität verfügte. Dies, verbunden mit einer spektakulären Erfolgsgeschichte im Kampf gegen die Bandenkriminalität in Limerick, von der der Presse kein einziges Detail entgangen war, hatte sie zur Leiterin des National Bureau of Criminal Investigation aufsteigen lassen – eine Stellung, die sie seit genau anderthalb Tagen innehatte. Sie verfügte über jene durchdringend blauen Augen, die bei ihrem Gegenüber das entnervende Gefühl hervorriefen, dass sie einem tief ins Innerste sehen konnte, wahrscheinlich bis in die Seele. Sie war groß und hatte die schlanke Figur einer Ruderin. Frauen wie sie vermieden es oft, hohe Schuhe zu tragen, damit die Männer um sie herum sich nicht unwohl fühlten. Sie tat es trotzdem – aus genau diesem Grund. Außerdem hatte sie, so klischeehaft es auch sein mochte, ein Faible für Schuhe. Es war die einzige Schwäche, die sie sich in ihrem überaus kontrollierten Leben gestattete. Eine Tatsache, die besondere Relevanz hatte für den Detective, der nun endgültig bis ans Ende seines Lebens als »Kotztüte Wilson« bekannt sein würde. Vor zwei Tagen hatte sich Detective Superintendent Susan Burns mit einem Paar Louboutins belohnt, um ihre neue Position zu feiern. Und vor zwei Sekunden hatte sich Detective Wilson auf ebendiese Louboutins erbrochen.
Ihren Blick würde Wilson nie wieder vergessen. Und doch sollte es nicht die Erinnerung an diesen Augenblick sein, die ihn mitten in der Nacht schweißgebadet aufschrecken ließ. Nein, es würde ein anderes Gesicht sein, erstarrt in unvorstellbarer Agonie, dessen lidlose Augen auf die Wörter starrten, die über einem obszön teuren toskanischen Kamin an die Wand geschmiert worden waren. Später fanden die Ermittler heraus, dass man sie mit dem Blut des Opfers geschrieben hatte, sehr wahrscheinlich, während es dabei zusehen musste.
Die Worte waren simpel.
Dies ist der Tag, der niemals kommt.
DERMONTAGZUVOR – 4. JULI 2016
Paul knallte die Bürotür zu, zumindest versuchte er es. Da sie aber kaum noch in den Angeln hing, blieb sie im abgewetzten Teppich stecken. Mühsam musste er sie an der Klinke anheben und wieder in ihre Verankerung drücken. Als sie endlich einrastete, trat er noch einmal dagegen. Dies sorgte zwar für Schmerzen in seinem großen Zeh – für die befriedigende Wirkung eines ordentlichen Türknallens aber leider nicht.
Er war in mieser Stimmung. Ein katastrophaler Morgen lag hinter ihm – und das nach einer furchtbaren Woche, die dem schlimmsten Monat seines Lebens die Krone aufgesetzt hatte. Vor acht Monaten hatten mehrere Personen versucht, ihn umzubringen, und so langsam beschlich ihn der Gedanke, dass er es ihnen einfach hätte erlauben sollen.
Gerade kehrte er von einem Termin bei der PSA zurück, der Private Security Authority, den man nur als erniedrigend bezeichnen konnte. Mr Bradshaw, das letzte menschliche Wesen, das noch ohne jede Ironie eine Fliege trug, war ihm mit demonstrativer Herablassung begegnet. »Nur, dass ich das richtig verstehe, Mr Mulchrone, Sie haben also die Absicht, eine Detektei mit Ihren beiden Partnern zu eröffnen, haben aber mit einer Partnerin seit über einem Monat nicht mehr gesprochen und können den Aufenthaltsort des anderen Partners nicht angeben?« Paul hatte sich für die »Ehrlich währt am längsten«-Strategie entschieden, in der Annahme, dass man ihm seine Offenheit hoch anrechnen würde. Falsch gedacht. Er konnte sich allerdings auch nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal bei irgendetwas richtiggelegen hatte.
Gestern Abend hatte er zum gefühlt tausendsten Mal versucht, Brigit anzurufen, aber ihr Telefon gab lediglich ein komisches Knackgeräusch von sich. Er war sich zu fünfundneunzig Prozent sicher, dass sie seine Nummer blockiert hatte. In den zweiundvierzig Tagen seit dem Vorfall hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Allerdings hatte sie ihn einige Male angeschrien, um zu verdeutlichen, dass es sich bei ihm um den niedrigsten Abschaum auf Gottes schöner Erde handelte. Dass Paul ihr dabei voll und ganz zustimmte, war nun ihre letzte Gemeinsamkeit. Dies und die Tatsache, dass sich ihre Namen auf dem Antragsformular befanden, das sie in ihren glücklicheren Tagen – den Tagen vor dem Vorfall – bei der PSA eingereicht hatten.
Bei Bunny lag der Fall noch einmal ganz anders. Paul hatte ihm im Laufe der letzten drei Tage fünfzehn Textnachrichten geschickt, ohne auch nur die geringste Reaktion zu erhalten. Dabei hatte er sich bei ihrer letzten Begegnung die größte Mühe gegeben, Bunny die Wichtigkeit dieses Termins einzuschärfen. In ihrem Trio war Detective Sergeant Bunny McGarry – inzwischen außer Dienst – der Einzige, der über die vorgeschriebenen fünf Jahre Berufserfahrung verfügte, die man vorweisen musste, wenn man sich für eine Lizenz als Privatdetektiv bewarb. Gut, er war vielleicht nicht das, was sich die meisten Leute unter einem vorbildlichen Garda Officer vorstellten. Und, ja, seine Vorgesetzten hatten gewiss ein Freudenfest veranstaltet, nachdem sie es endlich geschafft hatten, ihn in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen. Aber niemand konnte leugnen, dass Bunny McGarry ein Polizeibeamter gewesen war und, auf seine ganz eigene streitbare Weise, ein sehr effektiver.
Paul war sich vage bewusst, dass Bunny schwer mit dem Verlust seines Jobs zu kämpfen hatte, allerdings war er viel zu sehr damit beschäftigt, sich in seinem eigenen Elend zu suhlen, um sich auch noch mit dem von jemand anderem zu befassen. Ihre Beziehung war ohnehin nicht besonders gefühlsbetont. Sie hatten fünfzehn Jahre lang so gut wie gar nicht miteinander gesprochen. Geändert hatte sich das erst, als ihm Bunny vor acht Monaten bei der »Irgendwelche Leute versuchen Paul umzubringen«-Situation zu Hilfe gekommen war.
Alle Überreste von Dankbarkeit hatten sich bei Paul jedoch vollständig in Luft aufgelöst, als sich Bunny heute Morgen nicht hatte blicken lassen und er wie der letzte Idiot in seinem Beerdigungsanzug im Wartezimmer der Detektiv-Innung gesessen hatte.
Vor etwas mehr als zwei Monaten hatte Paul diesen Anzug ausgemottet, um ihn bei der Beerdigung von Brigits Granny in Leitrim zu tragen. Brigit hatte ihn dort als ihren festen Freund vorgestellt. Das hatte ihm gefallen. Er war noch nie ein fester Freund gewesen. In der Woche darauf verlor Paul endgültig das Wohnrecht im Haus seiner Großtante Fidelma und zog bei Brigit ein. Das Leben war schön gewesen. Heute Morgen, im Empfangsbereich der PSA, hatte er in der Innentasche seiner Anzugjacke ein Würstchen im Schlafrock gefunden. Er musste es vom Beerdigungsbüfett mitgenommen und für die Rückfahrt nach Dublin eingesteckt und dann gleich wieder vergessen haben. In einem Anfall von Sentimentalität, die alle Haltbarkeitsbedenken ignorierte, hatte er es gegessen und dann allein dort gesessen – mit gebrochenem Herzen und Krämpfen im Bauch.
All das waren Gründe dafür, dass er in besonders mieser Stimmung in das Büro von MCM Investigations zurückkehrte. Ihre Firma lag über dem Oriental Palace, einem chinesischen Restaurant, und was ihre Büroräume in Sachen Platz vermissen ließen, glichen sie durch ihre umfangreiche Schäbigkeit aus. Für ihn waren es »ihre« Büroräume, obwohl Bunny sie kaum jemals mit seiner Anwesenheit beehrte und Brigit sogar noch nie dort gewesen war. Immer wieder hatte Paul sich ausgemalt, was für ein Spaß es wäre, Brigit bei ihrem Einzug dort über die Schwelle zu tragen. Jedes Mal, wenn er nun die Tür öffnete, traf ihn dieser Gedanke wie ein Schlag ins Gesicht.
Seit Brigit ihn rausgeworfen hatte, übernachtete er hier. Irgendwo etwas zu mieten konnte er sich nicht leisten. Er war pleite. Dabei war diese Detektei Brigits geniale Idee gewesen, um all ihre Probleme zu lösen: nämlich, dass Paul keinen Job und Bunny keinen Antrieb hatte – und sie selbst keinerlei Sehnsucht, auch nur eine weitere Bettpfanne zu wechseln; die Krankenpflege hatte jeden Reiz für sie verloren. Davon abgesehen, wollte er gar keine eigene Wohnung finden. Auch wenn er es nicht verdient hatte, hoffte er noch immer – gegen jede logische Wahrscheinlichkeit –, dass Brigit ihn wieder bei sich aufnehmen würde.
Was jedoch nicht hieß, dass er allein war. Seit zwei Wochen hatte er Gesellschaft – Maggie. Als er nun ins Zimmer trat, saß sie auf seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch und betrachtete ihn mit ihren unergründlichen braunen Augen. Die gesamte Einrichtung bestand aus drei mitten im Raum zusammengeschobenen Schreibtischen und drei dazu passenden Stühlen. Maggie hatte diesen Stuhl nur gewählt, weil sie genau wusste, dass es seiner war. Unentwegt versuchte sie, unter Beweis zu stellen, dass sie die Oberhand in ihrer Beziehung hatte. Wenn sie ausgingen, schleifte sie ihn kreuz und quer durch die Stadt und wollte grundsätzlich nie dorthin, wo er hinwollte. Andauernd warf sie ihm durchdringende Blicke zu. Und am allerwenigsten schätzte sie es, allein gelassen zu werden. Heute Morgen hatte sie beschlossen, dies sehr deutlich zu machen – auf die direkteste Art und Weise, die ihr zur Verfügung stand. Sie hatte mitten auf seinen Schreibtisch gekackt.
»Ach, verdammte Scheiße!«, sagte Paul.
Vor zwei Wochen war er mitten in der Nacht aufgewacht, nur um Bunny McGarry vor sich zu sehen. Er hatte sich direkt vor ihm aufgebaut und an Pauls Handy herumgefummelt. »Was zur Hölle machst du da?«
»Ich stelle deinen Wecker«, sagte Bunny. »Du musst früh aufstehen und mit dem Hund Gassi gehen.«
»Was – argh!«
Paul wandte den Kopf und schaute direkt in Maggies Gesicht, nur Zentimeter von seinem entfernt. Sie bedachte ihn mit der Hundeversion eines klassischen Türsteherblicks. »Was zur Hölle ist das?«
»Heiliges Hinterteil von Mutter Teresa, du bist doch jetzt Detektiv, Paulie. Vier Beine, wedelnder Schwanz – arbeite mit den sachdienlichen Hinweisen. Es ist ein Hund, ein Schäferhund, um genau zu sein.«
»Was tut er hier?«
»Er ist eine Sie. Ich habe sie für dich besorgt.«
»Aber … wie soll ich mich denn um einen Hund kümmern? Ich weiß nicht, ob es dir schon aufgefallen ist, aber ich schaffe es kaum, mich um mich selbst zu kümmern.«
»Ganz genau. Du hockst hier den ganzen Tag allein rum wie ein Eunuch bei einer Orgie. Das ist nicht gesund. Ein bisschen Gesellschaft wird dir guttun. Außerdem war sie jahrelang Polizeihündin. Damit wird sie ganz sicher ein Gewinn sein für die Detektei und den ganzen Kram.«
Paul hätte sofort misstrauisch sein sollen, als Bunny versuchte, sich zu rechtfertigen. Zusammen mit dem schielenden Auge, dem unvermeidlichen Schurwollmantel und der tiefen Überzeugung, dass sich alle Probleme im Leben dadurch lösen ließen, dass man der richtigen Arschgeige ein paar saftige Ohrfeigen verpasste, gehörte zu Bunny McGarrys charakteristischen Eigenschaften, dass er sich niemals rechtfertigte.
Paul streckte die Hand aus, um Maggie zu streicheln, was mit einem warnenden Knurren quittiert wurde.
»Ja, anfassen lässt sie sich nicht so gern.«
Darauf stieß Bunny einen nach Whiskey stinkenden Rülpser aus und ließ die beiden allein im Büro zurück. Paul starrte Maggie an. Maggie starrte Paul an. Seitdem war ihre Beziehung ein einziger endloser Machtkampf um die Frage, wer über mehr Willenskraft verfügte. Ein Kampf, der nun beendet war. Sie hatte den nuklearen Erstschlag gewählt.
»Okay, das war’s! Das war’s jetzt endgültig!« Paul zeigte mit ausgestrecktem Finger auf die provozierenden Exkremente, die in einem überraschend ordentlichen Haufen auf seinem Schreibtisch lagen. »Ich weiß: Das habe ich schon einmal gesagt, als du meine Socken gefressen hast, aber das – genau das hier – war es jetzt wirklich. Mir egal, was Bunny sagt, du fliegst hier raus, du irre, räudige …«
Paul wurde von einem höflichen Klopfen unterbrochen. Er und Maggie starrten stumm die Bürotür an. Beide trauten ihren Ohren nicht. Paul ging rasch alle Möglichkeiten durch. Es konnte Mrs Wu sein, die Besitzerin des Oriental Palace im Erdgeschoss. Aber sie war nicht der Typ für höfliches Anklopfen. Sie war eher der Reinstürmen-rumschreien-und-wieder-rausstürmen-Typ. Theoretisch kam auch Bunny infrage, aber der hatte in seinem ganzen Leben noch niemals höflich an irgendwas geklopft. Brigit – konnte es Brigit sein? Pauls Herz raste bei diesem Gedanken, aber sofort meldete sich die Stimme der grausamen Realität und lachte ihn aus. Klar, die Frau, die du in einer Nacht volltrunkener Blödheit betrogen hast, klopft freundlich an deine Tür und erkundigt sich, ob du nicht zu ihr zurückkommen möchtest. Dabei ist sie sehr wahrscheinlich nackt, abgesehen von einer dekorativen Schleife um ihren Hals und einer Champagnerflasche in der Hand. Idiot.
All das ließ Paul vermuten, dass die abstruse Vorstellung, jemand habe an seine Bürotür geklopft, eine Sinnestäuschung gewesen sein musste. Dann klopfte es erneut. Diesmal gefolgt von einem: »Hallo?« Es war eine leise, hingehauchte Frauenstimme. Paul und Maggie schauten einander an. Dann die Tür. Dann das Geschenk, das sie auf seinem Schreibtisch hinterlassen hatte.
»Ähm, ganz kleinen Moment«, sagte er zu der geschlossenen Tür.
Maggie verschwand unter dem Tisch. Sie schien zu verstehen, dass sie durchaus zum Auszug gezwungen werden konnte, wenn Mrs Wu oder sonst jemand von ihrer Aktion erfuhr. Paul hegte den Verdacht, dass der Hund sehr viel klüger war als er. Doch das ließ ihn immer noch mit der Aufgabe zurück, sich um das Problem von Maggies stinkendem Protest zu kümmern. Die Beutel, die er benutzte, wenn er mit ihr Gassi ging, befanden sich in der Tasche seines Anoraks, und der hing am Treppenaufgang, auf der Seite der Tür, wo die hauchende Frauenstimme erklungen war.
Die Bescherung auf dem Tisch liegen zu lassen und so zu tun, als handelte es sich bloß um ein ausgefallenes Stück Bürodekoration, kam ihm nicht besonders praktikabel vor. Er sah nichts, womit er den Haufen abdecken konnte – also blieb ihm nur das Entsorgen übrig. Er huschte zum Fenster und öffnete es. Das alte Holz des Rahmens war verzogen und stieß einen kurzen Protestschrei aus, als er ihn mit Gewalt hochschob.
»Kann ich reinkommen?«, fragte die Stimme hinter der Tür.
»Eine Sekunde«, erwiderte Paul und sah sich im Raum nach etwas um – irgendetwas –, das er nutzen konnte, um den Kackhaufen von Punkt A zu einem Punkt B zu befördern, der sich nicht in diesem Büro befand. »Ich muss nur kurz ein Telefonat beenden.«
»Ja«, sagte die Stimme, »mit der Frau, die Ihre Socken gefressen hat.«
»Ähm … genau.« Pauls Blick fiel auf das einzige Buch im Raum. Es war eine Sammlung von Philip-Marlowe-Geschichten. Brigit hatte sie ihm geschenkt – quasi als Gebrauchsanweisung für das Privatdetektiv-Gewerbe. Doch auch wenn Paul es noch nicht zu Ende gelesen hatte, war er sich ziemlich sicher, dass Raymond Chandlers berühmter Detektiv niemals Hundekacke aus seinem Büro hatte entfernen müssen. Nein, Marlowe bekam es mit ganz anderen Situationen zu tun: Langbeinige Blondinen glitten zu seiner Tür herein und baten ihn, ihren Namen vom Verdacht des Mordes reinzuwaschen. Paul griff nach dem Buch und legte es sofort wieder zurück. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, es als Hundekacke-Schaufel zu benutzen. Stattdessen ging er zum Papierkorb und fischte das Herrenmagazin heraus, das er sich in einem schwachen Moment gekauft hatte. Mithilfe einer Speisekarte vom Oriental Palace gelang es ihm schließlich, den Haufen auf das Magazin zu schieben. Erleichtert stellte er fest, dass er in seiner Textur stabil genug war, um ihn im Ganzen zu bewegen. Offenkundig war Maggie ausreichend mit Ballaststoffen versorgt; wahrscheinlich, weil sie seine Socken gefressen hatte.
»Sind Sie immer noch am Telefon?«
»Jep«, sagte Paul, während er mit jener langsamen, überlegten Konzentration durch den Raum schritt, die man sonst nur bei Bombenentschärfern sah.
»Aber Sie sagen gar nichts mehr.«
»Ich höre zu. Sie hat mir einiges zu erklären.«
»Warum sie die Socken gefressen hat?«
»Ja, ich meine … das war natürlich nur eine Metapher.«
»Natürlich.«
Paul war beim offenen Fenster angekommen. Er blickte auf den kleinen Parkplatz hinter dem Oriental Palace hinab, wo die Lieferfahrer des Restaurants standen. Zwei von ihnen gönnten sich noch eine Kippe, bevor sie mit der Arbeit begannen. Seine Ladung dort zu entsorgen würde zwangsläufig Ärger nach sich ziehen.
»Dauert es noch länger?«
»Nein.«
Paul holte aus und verpasste dem Magazin seinen besten Vorhandschlag. Befriedigt sah er zu, wie der Hundehaufen davonsauste, über die Mauer und in die Gasse mit den Garagen dahinter.
»Welcher verdammte Vollidiot wirft hier mit Scheiße?«
Rasch duckte sich Paul zurück in den Raum und ließ Magazin und Speisekarte in den Papierkorb fallen. Sein Blick wanderte durch das Büro. Es sah beschissen aus, aber immerhin war es das nicht mehr.
»Eine Sekunde.«
Er eilte auf die Tür zu und öffnete sie mit Schwung. Das hätte er zumindest, wären da nicht diese schwachen Angeln gewesen. So öffnete sie sich in einem dreistufigen Prozess, wobei sie ihm mit der dritten Stufe direkt ins Gesicht knallte. Er rieb sich die Stirn und wagte einen Blick. Auf der anderen Seite der Tür stand wirklich eine langbeinige Blondine, und um ihre vollen roten Lippen spielte ein spöttisches Lächeln, halb amüsiert, halb irritiert.
»Vielen Dank, sehr gern komme ich rein«, sagte sie, während sie schon an ihm vorbei ins Büro trat.
Paul war ein durch und durch moderner Mann mit durch und durch moderner Sensibilität. Doch es war eben nur ein kleines Büro, und die Möglichkeiten, worauf er seinen Blick richten konnte, waren entsprechend begrenzt. Ob er wollte oder nicht, als sie an ihm vorbeiging, registrierte er einige sachdienliche Hinweise. Ihr rotes Kleid schmiegte sich eng an ihren Körper – auf eine Weise, die, wie man so schön sagte, der Fantasie wenig Spielraum ließ. Paul war sich jedoch ziemlich sicher, dass es eigens so gestaltet war, um den Kopf eines jeden heterosexuellen Mannes wochenlang zu beschäftigen. Sofort ärgerte er sich über diesen aus der Zeit gefallenen Gedanken. Bei Lesben würde es natürlich denselben Effekt erzielen. Genau genommen könnte es einigen Frauen, die schon länger mit dem Gedanken gespielt hatten, eine Vollzeit-Mitgliedschaft in diesem Club anzutreten, den entscheidenden Anschub geben. Es war die Art Kleid, die die Lebensplanung eines Menschen komplett über den Haufen werfen konnte.
Paul versuchte, sich zusammenzureißen, während er sich damit abmühte, die Tür wieder zu schließen. »Bitte nehmen Sie doch Platz«, sagte er, während er die Tür mit der Schulter zur Aufgabe zwang. Als er sich umdrehte, stellte er fest, dass die Frau dies bereits getan hatte. Sie saß an dem Tisch, der seinem gegenüberstand, und strich ungeduldig nicht vorhandene Fussel von ihrem perfekt geformten Knie. Paul schaute sich nervös im Büro um.
»Bitte verzeihen Sie die Unordnung, unsere Putzhilfe ist verhindert.«
Sie schaute sich um. »Seit wie vielen Jahren?«
In Ermangelung einer Antwort lächelte Paul und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er versuchte, das leise warnende Knurren zu ignorieren, das darunter hervordrang. Er hatte ganz vergessen, dass Maggie auch noch da war. Lässig lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und bemühte sich, so viel Platz wie möglich zwischen sich und dem Bereich unter dem Tisch zu lassen.
»Also Miss …« Er machte eine Pause, die sie nicht füllte. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich würde Sie gern engagieren.«
»Wirklich?« Sofort wurde Paul bewusst, dass er wohl nicht derartig schockiert klingen sollte. Um das Fortbestehen ihrer Detektei zu sichern, brauchten sie schließlich Klienten.
»Ja. Sie sind die Rapunzel-Leute, nicht wahr?«
In der Tat. Es war der Rapunzel-Fall gewesen, der Brigit, Bunny und Paul unerwartet als Team zusammengeführt hatte. Gelöst hatten sie ihn eigentlich eher nebenbei. Hauptsächlich hatte Paul versucht, am Leben zu bleiben.
»Ja, das sind wir.«
Sie beugte sich vor und senkte die Stimme. »Darf ich fragen, ob Ihr Partner seinen Boss wirklich aus dem Fenster geworfen hat?«
Paul lächelte nervös. »Die Presse hat ihrer Fantasie bei dieser Geschichte freien Lauf gelassen.« Das stimmte, allerdings nur zum Teil. Bunny hatte den zweithöchsten Polizeibeamten des Landes tatsächlich von einem Balkon geworfen. Zu Bunnys Verteidigung musste man aber sagen, dass der Mann korrupt gewesen war. Einer der vielen Gründe, warum die Gardaí alles darangesetzt hatten, dass Bunny andere Karriereoptionen für sich in Betracht zog. Er mochte durch seine Ermittlungen Resultate hervorgebracht haben, aber die Polizeigewerkschaften waren nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen.
»Ich sollte wohl darauf hinweisen, dass wir unsere Lizenz als Privatdetektive genau genommen noch nicht haben. Das heißt, wir können technisch gesehen eigentlich noch keine Fälle annehmen.«
Warum sagte er das? Bunnys unerklärliches Verschwinden brachte schließlich noch ein anderes Problem mit sich: Er war es, der das Geld für die Lizenz auftreiben sollte. Nun blieben Paul nur noch acht Tage, um die drei Riesen zu beschaffen, sonst würde die PSA ihren Lizenzantrag automatisch ablehnen, und MCM Investigations wäre offiziell am Ende, bevor die Detektei überhaupt an den Start gegangen war. Paul warf einen Blick über den Tisch. Ob dies eine verdeckte Überprüfung der PSA war? Er verwarf den Gedanken. Der Kaffee, der ihm dort angeboten worden war, hatte geschmeckt, als wäre er zweimal aufgebrüht worden. Die PSA hatte auf keinen Fall das Budget für ein derartiges Kleid.
Die Frau in Rot lehnte sich zurück und lächelte. »Über Fragen der Bürokratie mache ich mir keine Sorgen. Viele Dinge sind im bürokratischen Sinne illegal in diesem Land.« Erst später fiel Paul auf, dass sie keinen erkennbaren Akzent gehabt hatte. Sie sprach mit einer schnurrenden, gehauchten Stimme, die in der Natur überhaupt nicht vorkam. Sie hörte sich an, als hätte ein Team von brillanten weiblichen Wissenschaftlerinnen sie entwickelt, um sich die Tatsache zunutze zu machen, dass alle Männer Idioten sind.
»Wo sind eigentlich Ihre Partner?«
»Mr McGarry ist derzeit unabkömmlich.« Es fühlte sich komisch an, Bunny so zu bezeichnen. Von ihm sprach man immer nur als Bunny oder DS McGarry. Oder man bediente sich einer großen Auswahl von anderen, deutlich weniger freundlichen Spitznamen. Niemals jedoch stellte man das Wort »Mister« voran.
»Und … Miss Conroy? So heißt sie doch?«
»Ich habe sie bei einem betrunkenen One-Night-Stand betrogen, der mein Leben ruiniert und unsere Beziehung beendet hat. Ihre Position in Zusammenhang mit der Detektei hängt derzeit völlig in der Luft.«
Stille senkte sich über den Raum. Paul war vage bewusst gewesen, dass er mit jemandem über diese Sache sprechen wollte. Wie sehr, wurde ihm erst klar, als es nun aus ihm herausplatzte – und das gegenüber einer völlig Fremden. Offenbar war sein Unterbewusstsein noch lange nicht fertig damit, ihn bestrafen zu wollen.
»Okay«, sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken. »Na dann, viel Glück damit. Vermutlich sollten Sie mich danach fragen, womit ich Sie beauftragen will.«
»Womit wollen Sie uns beauftragen?«
»Ich möchte, dass Sie für mich einen Mann namens Jerome Hartigan beschatten.«
Paul lachte. »Ist ja lustig! Genauso heißt auch der Bauunternehmer, der zu den Skylark Three gehört, die oben in High Court diesen riesigen Komplex hochgezogen haben.«
Sie erwiderte seinen Blick. Lachte aber nicht.
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
Die Frau öffnete ihre Handtasche und ließ lässig ein Bündel Geldscheine auf den Tisch fallen. »Ich habe hier tausend Euro, die das Gegenteil beweisen.«
»Aber …«
»Er hat eine Affäre.«
»Ah.« Endlich begriff Paul, was hier vor sich ging. »Und Sie sind die betrogene Frau?«
»Nein. Ich bin die Frau, mit der er seine Frau betrügt. Er hat die Affäre mit mir.«
Paul öffnete seinen Mund und schloss ihn wieder.
»Ungeachtet aktueller juristischer Vorgänge ist Jerome ein Mann von erheblichem Wohlstand. Ich habe sehr viel Zeit … und, sagen wir, Mühe investiert, um meinen Teil davon zu erhalten. Jetzt steht dieser Plan auf der Kippe. Ich befürchte, dass er mich betrogen und wieder angefangen hat, mit seiner Frau zu schlafen.«
Diesmal ließ Paul den Mund offen stehen.
Sie hob das Philip-Marlowe-Buch auf, das vor ihr auf dem Tisch lag, und hielt es in die Höhe. »Wie Raymond Chandler nur allzu gut verstanden hat, Mr Mulchrone, heißt es in dieser Welt: fressen oder gefressen werden. Apropos. Es scheint in diesem Gespräch meine Rolle zu sein, die Fragen zu stellen. Ist das ein Hund zwischen Ihren Beinen oder …?«
Paul senkte den Blick. Maggie war offenbar langweilig geworden, also hatte sie ihren Kopf in die Höhe gereckt. Paul schob sich ein Stück zurück, worauf sie leise unter dem Tisch hervorkam. Dann sprang sie auf den freien Stuhl und starrte seinen Gast seelenruhig an. Die Frau erwiderte Maggies Blick. Zum ersten Mal sah sie aus, als hätte sie die Situation nicht völlig unter Kontrolle.
»Beißt Ihr Hund?«
»Sie ist nicht mein Hund.«
»Wie beruhigend.«
»Also …«
»Ich möchte, dass Sie Jerome Hartigan eine Woche lang beschatten und mir sagen, ob er seine Frau oder irgendwelche anderen Frauen trifft.«
»Weil Sie eine Affäre mit ihm haben?«
»Ja.« Sie lächelte ihn freudlos an. »Nur zu, es steht Ihnen frei, mich zu verurteilen. Aber nur zu meiner Erinnerung: Wo ist noch mal Miss Conroy?«
»Touché.«
»Ich bin eine intelligente Frau, Mr Mulchrone, und ich weiß doch, wie es läuft. Statt meine Jugend mit einem Chemiestudium zu verplempern, habe ich mir lieber die Biologie zunutze gemacht. Diese Welt gehört den Männern. Ich spiele bloß die Karten aus, die man mir zugeteilt hat.« Sie breitete ihre Arme aus und präsentierte sich und ihr eindrucksvolles Outfit. »Ich will lediglich herausfinden, ob meine Gegnerin derzeit die bessere Hand hat.«
Sie stand auf und nahm das Geldbündel vom Tisch.
»Tausend Euro jetzt und viertausend Euro, wenn Sie irgendwelche Beweise finden.«
»Und wenn er gar keine Affäre hat?«
»Dann habe ich Ihnen tausend Euro für eine Woche Arbeit gezahlt, das ist doch nicht schlecht. Auf diese Weise weiß ich wenigstens, dass Sie Ihr Bestes tun.«
»Sie haben nicht viel Vertrauen in die Menschen, oder?«
»Nein, ich habe sie kennengelernt. Also, wollen Sie jetzt den Auftrag oder nicht?«
Paul atmete tief ein. Als hätte er eine Wahl. »Ja.«
»Gut. Wir treffen uns in einer Woche um acht Uhr abends wieder hier, und dann erstatten Sie mir Bericht. Und bitte legen Sie den Hund an die Leine.«
Sie warf ihm das Geld zu und wandte sich ab. Sie griff nach dem Knauf, trat gegen die Tür und öffnete sie in einer einzigen flüssigen Bewegung – auf eine Weise, die Paul den restlichen Abend lang zu wiederholen versuchte. Ohne Erfolg.
»Warten Sie!«, rief Paul. Sie schaute ihn über ihre Schulter hinweg an.
»Sie haben mir Ihren Namen gar nicht gesagt.«
Sie lächelte. »Nein. Nein, das habe ich nicht.«
»Ich meine ja bloß«, sagte Phil Nellis, »dass wir in keine Verfolgungsjagden hineingeraten dürfen.«
Paul atmete tief ein und zählte im Stillen bis fünf. Er versuchte, nicht genervt zu sein; schließlich tat Phil ihm einen Gefallen. Er hatte schon bis zehn gezählt, als sie losgefahren waren, was Phil jedoch nur viel zu viel Zeit verschaffte, etwas noch Nervtötenderes von sich zu geben.
Vier … fünf. »Keine Sorge, Phil. Wie gesagt, wir werden in keine Verfolgungsjagd geraten. Wir beschatten lediglich jemanden. Das ist alles.«
»Ich habe Tante Lynn versichert, dass ich nur einen Ausflug aufs Land mache. Du weißt ja, wie sie sich mit ihrem Auto anstellt.«
Paul hegte den Verdacht, dass Tante Lynn es Phil sogar erlaubt hätte, mit dem Wagen in ein Schaufenster zu rasen, um den nächstbesten Juwelier auszurauben, wenn er damit nur für ein paar Stunden aus dem Haus war. Zurzeit kamen die beiden nicht besonders gut miteinander aus. Phil Nellis war Pauls ältester Freund, auch wenn das nicht allzu viel zu sagen hatte. Sie waren gemeinsam in Kinderheimen gewesen, bis Phil von Tante Lynn und ihrem lieben verstorbenen Gatten Paddy aufgenommen worden war. Eigentlich war er gar nicht wirklich ihr Neffe, sondern lediglich ein Cousin zweiten Grades, aber das hatte nur auf dem Papier Bedeutung. Dass Lynns »Neffe« inzwischen dreißig Jahre alt war und immer noch in ihrem Gästezimmer lebte, war dagegen handfeste Realität. Wie hieß es noch? Keine gute Tat bleibt je ungestraft.
Paul entdeckte einen Parkplatz. »Da ist einer!«
Phil verlangsamte den Wagen noch weiter – unter seinen derzeitigen Schnitt von zwanzig Stundenkilometern – und warf der Lücke einen skeptischen Blick zu. »Zu klein.«
Sie war groß genug, um ihnen reichlich Platz zu bieten, selbst wenn sie noch einen Wohnwagen im Schlepptau gehabt hätten, und das war nicht der Fall. Seit zwanzig Minuten fuhren sie nun schon am Phoenix Park auf und ab und nahmen Parkplätze in Augenschein, gegen die nicht das Geringste einzuwenden war. Verständlicherweise begann ein Wagen hinter ihnen zu hupen.
Paul hörte ein Knurren vom Rücksitz. Er drehte sich um und sah, dass Maggie ihren Kopf aus dem Fenster gesteckt hatte und den hupenden Typen hinter ihnen fixierte.
»Was ist mit dem verdammten Hund los?«, fragte Phil.
»Ihr geht’s gut. Kümmere dich einfach darum, einen Parkplatz zu finden.«
»Ich verstehe gar nicht, warum du sie überhaupt mitgebracht hast.«
»Weil sie sehr deutlich gemacht hat, was sie davon hält, wenn man sie im Büro allein lässt«, sagte Paul.
»Also, wenn sie hier im Wagen irgendeinen Mist baut …«
»Entspann dich«, sagte Paul. »Sie wird keinen Mist bauen.« Dabei konnte sich dies jederzeit als himmelschreiende Fehleinschätzung entpuppen. Maggie hatte während der gesamten Fahrt vom Büro hierher ihren Kopf aus dem Fenster gesteckt, was jedoch kein bisschen nach der üblichen »Hund liebt das Leben«-Freude aussah. Nein, sie starrte die anderen Verkehrsteilnehmer mit dem stählernen Blick an, den man für gewöhnlich von neuen Insassen in einem Hochsicherheitstrakt zugeworfen bekommt. Es war, als würde sie bloß auf den erstbesten Wahnsinnigen warten, der ihr einen Grund gab, sich auf ihn zu stürzen und ein für alle Mal ihre Dominanz unter Beweis zu stellen. Neben ihnen, an einer Ampel, hatte ein Fahrradfahrer deshalb beinahe seine Lycra-Shorts ruiniert.
Der Plan war eigentlich ganz einfach. Kaum hatte die »Klientin« gestern sein Büro verlassen, war Paul klargeworden, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wie man jemanden beschattete. Und, noch wichtiger: Er hatte auch keinen Schimmer, wie er denjenigen, den er beschatten sollte, überhaupt finden sollte. Dann aber wurde ihm bewusst, dass seine Zielperson, Jerome Hartigan, den ganzen Tag am Central Criminal Court verbringen würde. Die Zeitungen waren schließlich voll davon. Paul musste ihm also lediglich von dort aus folgen. Wie schwierig konnte das sein? Ziemlich – auf einem klapprigen Fahrrad. Also hatte er Phil gebeten, heute für ihn den Fahrer zu spielen – fünfzig Euro, keine weiteren Fragen. Dabei war Diskretion derzeit gar nicht so wichtig, er wollte sich lediglich die Tortur ersparen, Phils Fragen beantworten zu müssen.
Phil verfügte über eine eigentümlich gnadenlose logische Dümmlichkeit. Zum Beispiel wusste er genau, dass seine Tante Lynn es nicht leiden konnte, wenn er die Spiegel in ihrem Wagen verstellte. Seine Lösung für dieses Problem lautete, sich auf einen Fahrersitz zu quetschen, der für eine zarte, gerade mal einen Meter achtundfünfzig große Frau eingestellt war. Phil maß gute zwei Meter, und diese bestanden fast vollständig aus unpraktisch langen Gliedmaßen. Seine Knie befanden sich also zurzeit fast auf Brusthöhe, sodass er mit ihnen immer wieder versehentlich die Scheibenwischer aktivierte.
In diesem Moment blinkte ein Bus, der eine Ladung Schüler beim Dubliner Zoo abgesetzt hatte, um von seinem Parkplatz wieder auf die Straße auszuscheren. In diese Lücke schaffte es selbst Phil.
»Woah, woah, woah«, sagte der Barkeeper, als sie eintraten. »Hunde müssen draußen bleiben. Da hängt ein Schild.«
Paul blieb stehen und schaute auf Maggie hinab. »Auf dem Schild steht: Blindenhunde sind willkommen. Sie ist ein Blindenhund.«
»Ach ja? Und wer von euch beiden soll jetzt blind sein, bitte schön?«
»Keiner«, sagte Phil. »Aber auf dem Schild steht, Blindenhunde sind willkommen. Da steht nicht, dass sie eine blinde Person dabeihaben müssen.«
»Was?« Ein Blick wütender Verwirrung breitete sich auf dem rundlichen Gesicht des Barkeepers aus. »Aber … aber ein Blindenhund ohne einen Blinden ist bloß ein Hund.«
»Ach, wirklich?«, fragte Phil. »Warum bringen Sie denn dann ein Schild an, auf dem steht, dass Blindenhunde willkommen sind, wenn nach Ihrer Definition ein Blindenhund nur dann ein Blindenhund ist, wenn er jemanden bei sich hat, der gar nicht dazu in der Lage ist, das Schild zu lesen? Dann sollte einfach nur Hunde müssen draußen bleiben draufstehen.«
Paul schaute Phil an. Ohne es zu wollen, war er beeindruckt. Der Barkeeper zeigte derweil die fassungslose Miene aller, die zum ersten Mal mit der Nellis-Logik konfrontiert wurden. »Zwei Pint Guinness und ein Pint Wasser bitte«, sagte Paul, bevor der Barmann sich ein Gegenargument überlegen konnte.
Paul bezahlte die Getränke und brachte sie zu einem Tisch am Fenster. Phil saß bereits dort und schaute nervös auf Maggie hinab. Sie hechelte ihm gut gelaunt entgegen. Man hätte meinen können, dass Maggie Phil mochte, was seltsam war. Schließlich, das wusste Paul nur allzu gut, konnte niemand Phil auf Anhieb leiden. Wer ihn mochte, musste schon einen ziemlich ausgefallenen Geschmack haben. Es war wie bei Sadomaso-Sex oder Jazz.
Von ihren Plätzen aus hatten sie einen hervorragenden Blick auf den Vordereingang des Central Criminal Court, ein kurzes Stück entfernt vom Eingangstor zum Phoenix Park. Es war ein ziemlich neues Gebäude, das einer Backform ähnelte und nur aus glänzendem Metall und jeder Menge Glasscheiben bestand. Der wahr gewordene Traum eines jeden Fensterputzers.
»Ich dachte, du trinkst nicht mehr?«, fragte Phil.
»Tue ich auch nicht«, entgegnete Paul. Er hatte seit dem Vorfall keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt – zum einen, weil er diesem eine Mitschuld an seinem Absturz gab, und zum anderen, weil es schlicht eine seiner Methoden war, mit denen er sich selbst bestrafte. »Aber wieso hast du dann …« Phil sah entsetzt dabei zu, wie Paul sich umschaute und dann unauffällig eines der Biergläser unter den Tisch stellte. »Oh nein …«
»Glaub mir, ihr ein Bier zu geben ist besser für alle Beteiligten.« Paul hatte das bei ihrem letzten Kneipenausflug feststellen müssen. Das ganze Drama hatte dazu geführt, dass er nun bei den vier Pubs, die dem Büro am nächsten lagen, Hausverbot hatte. Es hatte sich sehr schnell herumgesprochen.
Phil schüttelte den Kopf, während unter dem Tisch enthusiastische Schleckgeräusche ertönten. »Das kann unmöglich gesund sein«, sagte er.
»Du hättest sehen sollen, was los war, als ich ihr kein Pint gegeben habe«, sagte Paul. »Das war ungesund.« Paul hatte ursprünglich gehofft, dass Maggie Huutsch ähneln würde, dem Hund aus dem Tom-Hanks-Klassiker Scott und Huutsch. Doch langsam fand er sich damit ab, dass sie mehr mit Begbie aus Trainspotting gemeinsam hatte.
Phil nahm sein Glas und warf Paul einen vielsagenden Blick zu. »Also, wie läuft’s mit Brigit?«
»Oh, fantastisch, danke der Nachfrage. Sie will nicht mit mir sprechen. Aber als sie das letzte Mal ans Telefon gegangen ist, war ihre Auswahl an Beleidigungen schon spürbar warmherziger.«
Phil nahm einen Schluck von seinem Pint und schüttelte traurig den Kopf. »Ahhh, der Pfad der jungen Liebe ist stets steinig und steil.«
Paul wusste genau, was jetzt kommen würde. Er wappnete sich.
»Ich habe schon mit Da Xin darüber gesprochen«, sagte Phil, »und sie meint, du solltest es mit einer großen romantischen Geste probieren.«
Vier … fünf.
»Meint sie, ja?« Paul nahm seine gesamte Selbstbeherrschung zusammen, um nicht sarkastisch zu klingen. Da Xin war Phils imaginäre Freundin, derzeit imaginäre Verlobte. Sie hatten sich vor neun Monaten bei einem Onlinespiel »kennengelernt«, und eins hatte zum anderen geführt, zumindest sah Phil es so. Paul sah es anders. Seiner Meinung nach konnte gar nichts zu irgendwas führen, solange sie sich noch nie in ein und demselben Raum aufgehalten hatten. Sie waren nun seit beinahe zwei Monaten »verlobt«. Und der Vorfall hatte sich ausgerechnet an Phils Junggesellenabschied ereignet. Klar, normalerweise feierte man einen Junggesellenabschied erst, wenn es einen Termin für die Hochzeit gab, aber schließlich feierte man auch nur dann einen Junggesellenabschied, wenn hinter der Verlobten nicht so offensichtlich eine Online-Betrugsmasche steckte. An der »Feier« hatten dann auch nur sie beide teilgenommen. Es war die Idee von Phils Tante Lynn gewesen. Verständlicherweise war sie entsetzt, als Phils Leichtgläubigkeit eine kontinentübergreifende Dimension annahm. Paul sollte ihm das Ganze ausreden, doch der Abend war katastrophal verlaufen – und zwar in jeder Hinsicht.
»Ja«, sagte Phil. »Da Xin kennt sich in diesen Sachen echt gut aus.«
Phil funkelte ihn trotzig an, ein Blick, den Paul nur zu gut kannte. Als würde er Paul regelrecht herausfordern, ihre Existenz infrage zu stellen. Es war ein herzzerreißendes Schauspiel.
Die beiden hatten sich noch nicht mal per Videocall unterhalten, da die chinesische Regierung in der Region, in der Da Xin lebte, die Skype-App blockierte. Ihr Vater war ein politischer Dissident, und ihre gesamte Familie stand unter Hausarrest. Sie waren sehr wohlhabend, ihr Vermögen war jedoch eingefroren, weshalb Phil ihnen Flugtickets besorgen sollte. Kurz gesagt ähnelte der ganze Fall einer dieser Spam-E-Mails, bei denen man einem nigerianischen Prinzen helfen sollte, indem man ihm gestattete, Geld auf sein Konto einzuzahlen – nur in der romantischen Variante. Es war, als würde man einem quälend langsamen Auffahrunfall zusehen, und nichts konnte Phil dazu bringen, auf die Bremse zu treten. Paul entschied sich, nicht darauf einzugehen. Er konnte es wirklich nicht gebrauchen, dass Phil schon wieder wutentbrannt davonstürmte.
»Also«, sagte Phil nach einem weiteren Schluck, »wie kommt’s, dass Bunny dir nicht bei dieser Sache hilft?«
»Ach, der versoffene Mistkerl ist wie vom Erdboden verschluckt. Geht seit Tagen nicht ans Telefon.«
»Meinst du, es geht ihm gut?«
»Natürlich geht’s ihm gut. Wir reden hier von Bunny. Er liegt bloß sternhagelvoll in irgendeinem Graben und amüsiert sich. Und lässt mich die ganze verdammte Arbeit machen.« Paul war an dieses Verhalten längst gewöhnt. Im Laufe der letzten zwei Monate war Bunny immer wieder ohne jede Vorankündigung aufgekreuzt und dann wieder verschwunden. Als Paul ihn vor drei Wochen angerufen hatte, ließ ihn das ungewohnte Freizeichen vermuten, dass Bunny sich im Ausland befand – aber wo genau er gewesen war, wusste Paul immer noch nicht. Auf seine Nachfrage hatte Bunny lediglich erwidert, er hätte mal wieder seine Bräune aufgefrischt.
Paul schaute aus dem Fenster. »Da drüben ist ein ziemlicher Presseauflauf, was?« Er deutete auf den Treppenaufgang, der auf der anderen Straßenseite zum Gericht führte. Dort hockten mehrere Fotografen und zwei Kamerateams gelangweilt herum.
»Ja«, erwiderte Phil. »Wer ist denn nun eigentlich dieser Typ, den du beschatten sollst?«
Paul senkte die Stimme. »Einer von den Skylark Three.« Er hatte gehofft, nicht näher darauf eingehen zu müssen, aber wenn die Alternative darin bestand, ihr Liebesleben zu vergleichen, fiel die Wahl nicht schwer.
»Ist das eine Band?«, fragte Phil.
Paul hätte nicht überrascht sein sollen, dass Phil nicht auf dem Laufenden war, wenn es um die aktuelle Nachrichtenlage ging, aber er war es doch. Der Skylark-Prozess dominierte jede Titelseite und war tagein, tagaus die Hauptmeldung in allen Fernsehnachrichten. Er hatte es für unmöglich gehalten, nichts davon mitzubekommen.
Skylark war das größte Bauprojekt in der Geschichte des Landes. Eine alte Industrieruine, die ehemalige Gettigan-Druckerei samt Lagerhäusern, sollte komplett umgebaut werden. Paschal Maloney, Craig Blake und Jerome Hartigan, die drei prominentesten Stars im weitverzweigten Firmament der irischen Baulöwen, hatten sich dafür zusammengetan und waren als die drei Amigos lachend durch die Talkshows gezogen: »Ach was, Sie müssen uns nicht gleich als Dreamteam bezeichnen. Wir legen unsere persönlichen Rivalitäten beiseite und bemühen uns schlicht, für unser Land zu tun, was wir können.« Immobilienhaie als Rockstars.
Ein Hochhaus mit 524 exklusiven Zwei- und Drei-Zimmer-Apartments, perfekt für alle, die sich zum ersten Mal ein Eigenheim zulegen und eine Familie gründen wollten; dazu 186 weitere Einheiten für Menschen im Ruhestand inklusive Betreuungsangeboten; außerdem 88 Luxuswohnungen in den obersten Stockwerken; ganz zu schweigen von dem Multiplex-Kino, einem Supermarkt, Restaurants und vielem mehr. Es war das beispiellose Nonplusultra aller Wohnungsbauprojekte; das Juwel in der Krone des keltischen Tigers. Promis standen Schlange, um eine Anzahlung für die schickeren Apartments zu leisten, und es war sogar zu Prügeleien gekommen, zu echten Prügeleien, als die ersten noch nicht gebauten Wohnungen für das einfache Volk zum Verkauf freigegeben wurden.
Dann aber gab die Wirtschaft den Geist auf. Skylark stand vorerst gut da; die Menschen hatten im Vorfeld schließlich unfassbar viel Geld in das Projekt gesteckt – was sollte da noch schiefgehen? Die Investoren wurden beruhigt, Kredite bei den Banken neu ausgehandelt, und Politiker versicherten der Öffentlichkeit, dass alles »seine Ordnung« habe. Schließlich konnten die ersten glücklichen Käufer in den Skylark-I-Wohnturm ziehen – fanden jedoch ein Gebäude vor, das mehr als nur ein, zwei Schönheitsfehler aufwies. »Bloß ein paar Kinderkrankheiten«, wie ein Sprecher versicherte, da die drei Amigos zu diesem Zeitpunkt bereits ein wenig kamerascheu geworden waren. Jedoch bestünde kein Grund zur Sorge. In Disneyland hatte am Tag der Eröffnung schließlich auch nichts funktioniert! Und es gab noch eine weitere Gemeinsamkeit mit Disneyland: Auch beim Skylark-Projekt sollte eine Maus eine entscheidende Rolle spielen.
Der große Brand wurde nämlich auf Kabel zurückgeführt, die nicht ordnungsgemäß isoliert waren. Daher konnte besagte Maus sie auch problemlos durchnagen. Es war ein Wunder, dass niemand zu Tode kam – und ein reiner Zufall, dass direkt neben der Wohnung, in der das Feuer ausgebrochen war, eine Mitarbeiterin der Feuerwehr lebte. Sie schaffte es, die Situation so lange unter Kontrolle zu halten, bis das gesamte Gebäude evakuiert worden war.
Anfangs warf man den Bewohnern vor, sie hätten die Rauchmelder ausgeschaltet, doch kaum nahmen die Ermittler ihre Arbeit auf, zeigten sie sich schockiert von dem, was sie vorfanden. Weniger als die Hälfte der Rauchmelder im gesamten Komplex waren vorschriftsmäßig installiert worden. Den Bauunternehmern »freundlich gesonnene« Politiker hatten offenbar dafür gesorgt, dass die Arbeiten nicht überprüft werden mussten. Skylark 1 wurde daraufhin offiziell als nicht sicher eingestuft und alle Bewohner zum Auszug gezwungen. Im Parlament stellte man kritische Fragen. Inspektionen wurden durchgeführt, dann weitere Inspektionen, und erbitterte Auseinandersetzungen folgten.
Schließlich stellte sich heraus, dass die verwendete »State of the Art«-Dämmung in Schweden verboten worden war, und zwar aus guten Gründen. Dann, nach sechs Monaten, bemerkte jemand die Absenkung des Hochhauses. Man kam zu dem Schluss, dass es günstiger sein würde, das Gebäude neu zu bauen, als es in Ordnung zu bringen. Alle gaben einander gegenseitig die Schuld, aber die drei Amigos versicherten sämtlichen Parteien, sie würden nicht ruhen, bis alle das Traumhaus bekämen, das sie ihnen versprochen hatten.
Die Mitteilung wurde an einem Dienstagmorgen veröffentlicht, am Mittwochmittag meldeten sie bereits Insolvenz an – in England, wo die Gesetze weniger streng ausfielen. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten die Politiker ihnen sowieso schon die Treue aufgekündigt. Währenddessen blieb ein großer Teil des riesigen Skylark-Komplexes halb gebaut und verlassen; ein bereits verfallendes Mahnmal ihrer Hybris. Das gigantische Werbeschild, das man von der Autobahn aus noch immer sehen konnte, war mit fetten Buchstaben übermalt worden: »Wer hier gekauft hat, ist am Arsch.«
Erstaunlicherweise hatte bis zu diesem Zeitpunkt niemand wirklich gegen das Gesetz verstoßen. Einige Baustandards waren nicht eingehalten worden, aber das sorgte nur für kleinere Watschen mittels entsprechender Geldstrafen. Erst als die Konkursverwalter sich der Sache annahmen, begann der wahre Spaß. Sie entdeckten das große schwarze Loch inmitten der Skylark-Buchhaltung; den meisten Berichten zufolge handelte es sich um 148 Millionen Euro. Die drei Amigos waren entsetzt, die Investoren waren entsetzt, die Banken waren entsetzt, die Regierung war entsetzt. Wenig hilfreich war, dass sich der Hauptbuchhalter des Projekts von einer Brücke stürzte, als er mit seinem Hund Gassi ging. Der Hund, hieß es, war entsetzt.
Die Menschen verlangten Antworten, aber die Politiker distanzierten sich von dem Bauprojekt, von dem sie plötzlich angeblich schon immer gewusst hätten, dass es auf eine unvermeidbare Katastrophe zusteuerte, und drängten darauf, dass jemand anders diese Antworten geben müsse. Die Staatsanwaltschaft ließ pflichtschuldig verlauten, dass sich die drei Amigos einem Strafverfahren wegen Betrugs stellen müssten. Endlich, sagte das irische Volk, würde jemand ausnahmsweise mal für das Leid büßen müssen, das er verursacht hatte.
Vier … fünf. »Nein, Phil«, sagte Paul, »die Skylark Three sind keine Band. Liest du keine Zeitungen?«
»Doch.« Phil sah gekränkt aus. »Aber ich habe mich auf die Nachrichten aus der Xinjiang-Provinz konzentriert, für den Fall, dass es dort einen Regierungswechsel gibt, was bedeuten würde …«
»Ah-ha«, sagte Paul und hörte schon nicht mehr zu. »Irgendwas stimmt da nicht.«
»Ja, die Unterdrückung der …«
»Nicht da«, sagte Paul. »Da!« Er deutete nach draußen, wo die Fotografen und Kamerateams plötzlich in hektische Betriebsamkeit ausgebrochen waren. »Ich habe das recherchiert. Eigentlich sollte die Verhandlung bis heute Nachmittag um sechzehn Uhr dauern. Sie hat gerade erst vor fünf Minuten angefangen. Scheiße, hol den Wagen!«
Phil schaute ihn fassungslos an. »Aber ich habe mein Pint noch nicht ausgetrunken.«
»Los! Sofort!«
»Ist ja gut! Krieg dich wieder ein.«
Phil stieß seinen Stuhl um und stolperte auf dem Weg zur Tür gegen einen weiteren Tisch.
»Pass auf, wo du langläufst, du schlaksiges Stück Scheiße!«, rief der Barkeeper, dem man in nächster Zeit vermutlich keinen Preis für freundlichen Service verleihen würde. Paul schnappte sich Maggies Leine und steuerte ebenfalls die Tür an. Glücklicherweise hatte sie ihr Pint bereits ausgetrunken.
»Was ist denn los?«
Der Fotograf drängte Paul grob beiseite und ignorierte seine Frage. Uniformierte Polizisten bemühten sich mit Verspätung, eine Absperrung zu errichten, um die Menge in Schach zu halten. Immer mehr Journalisten und Fotografen tauchten auf. Ein Van des Fernsehsenders RTÉ war soeben vorgefahren und brachte eine ziemlich aufgeregt wirkende Reporterin zum Vorschein, die früher die Nachrichten auf Irisch moderiert hatte – wie hieß sie noch? Zusammen mit den Pressevertretern versammelten sich auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger vor dem Gerichtsgebäude. Nichts zog in Dublin eine Menschenmenge so wirksam an wie eine Menschenmenge.
Zwei junge Typen in Anzügen zuckten nur mit den Schultern, als Paul ihnen dieselbe Frage stellte. »Keine Ahnung, Mann, muss aber was Krasses sein, oder?«
Paul schob sich weiter durch das Gewühl der Leute, die sich nach vorn drängelten, um besser sehen zu können, während Maggie ihm geschickt auf den Fersen blieb. Sie drängten sich an den sensationslüsternen Passanten vorbei, die ihre Handys gezückt hatten – ohne zu wissen, was vor sich ging, aber in der Hoffnung, irgendwas filmen zu können, das sich später als Youtube-Hit entpuppen könnte.
Dann fand Paul unerwartet eine ruhigere Lücke mitten im Chaos und blieb stehen. Er wandte den Kopf und sah neben sich einen Mann, den er wiedererkannte. Dessie O’Connells Bild war vor Kurzem in allen Zeitungen gewesen. Er war sogar in Talkshows aufgetreten und hatte dort seine Geschichte erzählt. Von der Frau, die er geliebt hatte. Er war Mitte siebzig. Was sofort zwischen den Runzeln und Sorgenfalten in seinem wettergegerbten Gesicht hervorstach, war die Leuchtkraft seiner grünen Augen. Wie ein unerwarteter Farbfleck auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie. In den Händen hielt er ein gerahmtes Bild seiner Frau, die der Welt aus glücklicheren Tagen entgegenlächelte.
Die beiden hatten all ihre Ersparnisse durch Skylark verloren, weil sie auf das Versprechen einer sicheren Zukunft in jenem State-of-the-Art-Ruhestandskomplex hereingefallen waren. Er litt unter Rheuma, zumindest glaubte Paul, sich daran zu erinnern. Ja, man erkannte es an der verkrampften Weise, mit der er den Bilderrahmen an seine Brust drückte. Seine Frau war an MS erkrankt. Und als es mit Skylark zu Ende gegangen war, war es auch mit ihr zu Ende gegangen.
Paul hatte im Fernsehen verfolgt, wie Dessie O’Connell ihren Abschiedsbrief vorgelesen hatte. Wie sehr es ihr leidtue, ihn zu verlassen, dass sie aber schreckliche Angst vor der Zukunft habe. Dass sie keine Bürde sein wolle. Dass das Geld womöglich reichen würde, wenn nur noch er da war. Er hatte beim Vorlesen leise geweint. Dann war er von der Moderatorin, beinahe flüsternd, gefragt worden, warum er jeden Tag vor dem Gericht stand und ihr Bild hochhielt. Um an sie zu erinnern, sagte er. Getroffen hatte Paul dabei vor allem, dass der Mann keinerlei Wut in sich zu tragen schien. Er wisse, dass nichts dabei herauskommen werde, sagte er. Es würde keine Gerechtigkeit geben. Er müsse nur jeden Tag an sie denken, und das sollten die Verantwortlichen auch tun. Als Paul seinem Blick begegnete, wünschte er, ihm würde der Name der Frau einfallen.
»Einen schönen Hund haben Sie da«, sagte der alte Mann, beugte sich hinab und streichelte Maggies Kopf. Dann richtete er sich wieder auf und verzog schmerzlich das Gesicht. »Der Prozess ist abgebrochen worden, wegen eines Verfahrensfehlers«, sagte er ausdruckslos. »Eine der netten Damen, die mir immer Tee und Sandwiches bringen, ist gerade rausgekommen und hat es mir erzählt.«
»Oh«, sagte Paul.
»Sie sollen mir eigentlich nichts bringen, tun es aber trotzdem. Sie sind immer sehr nett gewesen. Haben mich sogar einige Male heimlich reingeschleust und die Toilette benutzen lassen. Die Menschen sind auf ihre Weise durchaus anständig, die meisten jedenfalls.«
Paul nickte.
»Das werden sie nun wohl nicht mehr machen müssen. Jetzt, wo es vorbei ist.« Er schaute zu Boden, als käme ihm der Gedanke zum ersten Mal. Als wäre der Rest seines Lebens eine lange, leere Straße, und als wäre er schlicht zu müde, seinen Weg darauf fortzusetzen.
»Sie werden doch bestimmt ein neues Verfahren aufnehmen, oder?«, fragte Paul.
Dessie O’Connell stieß ein freudloses Lachen aus. »Ach, wozu sollte das gut sein? Offenbar wurde festgestellt, dass einer der Geschworenen mit irgendwem verwandt ist, der sein ganzes Geld durch Skylark verloren hat. Tja, dürfte schwierig werden, ein Dutzend Leute zu finden, die nicht irgendwen kennen, auf den das zutrifft.«
Er nickte zu dem Klappstuhl, dem kleinen Schirm und der Decke hinüber, die zeigten, wo er in den letzten zwei Monaten Stellung bezogen hatte – ein gutes Stück links vom Haupteingang, am Fuß der Treppe. »In den ersten zwei Wochen waren wir noch weit mehr«, sagte er. »Demonstranten, meine ich. Es gab eine nette Familie mit zwei Kindern und jede Menge anderer Leute, aber die sind alle nach und nach verschwunden. Ich nehme an, die meisten Menschen müssen einfach ihr Leben weiterleben.«
Jedes weitere Gespräch wurde von einem Sturm aus Kamerablitzen und gebrüllten Fragen verhindert. Zusammen mit zwei finster dreinblickenden Bodyguards waren Hartigan, Blake und Maloney oben auf dem Treppenabsatz aufgetaucht. Craig Blake trug einen feinen maßgeschneiderten Anzug in Anthrazit. Sein Gesicht war rund und kinnlos, und er hatte eine jener leicht nach oben gebogenen Nasen, die auf eine altehrwürdige Familie schließen ließen – und auf Inzucht. Seine Miene verriet Abscheu, als wäre all das bloß eine große Unannehmlichkeit, die ihn von Wichtigerem abhielt. Hartigan war etwa genauso alt wie Blake, verfügte aber über fein ziselierte Gesichtszüge und eine natürliche Anmut. Er trug die Kombination aus weißem Hemd und schwarzem Anzug, in der Paul ihn bislang auf jedem Foto gesehen hatte. Sein Haar war zurückgekämmt und leicht zerzaust. Die Geheimratsecken ließen auf einen Kampf gegen erblichen Haarausfall schließen, den er sich offenbar einiges kosten ließ – und den er gewann.
Im Gegensatz zu diesen beiden wirkte Maloney zerknittert und ungepflegt. Er steckte in einem Anzug, der ihm etwas zu groß zu sein schien, und sein rettungslos kahler Schädel reflektierte das Sonnenlicht. Kleine Augen spähten beunruhigt hinter der runden, randlosen Brille hervor, während er nervös die Finger verschränkte. Er erinnerte Paul an Penfold aus Danger Mouse, nur dass er jede liebenswürdige Knuddeligkeit vermissen ließ. Er sah aus wie der Typ, der sich lieber im Hintergrund hielt und die anderen Jungs anfeuerte, während sie dir das Geld fürs Mittagessen abknöpften.
Hartigan marschierte selbstbewusst die Stufen hinab und hob die Hände, um für Ruhe zu sorgen. Er wartete einige Sekunden, bis die Journalisten, die ihm Mikrofone und Digitalrecorder entgegenstreckten, ihr würdeloses Krakeelen einstellten.
»Danke, dass Sie gekommen sind. Meine Kollegen und ich sind äußerst erleichtert, dass dieser politisch motivierte Schauprozess endlich ein Ende gefunden hat. Wir möchten uns bei Richter Green dafür bedanken, dass er sichergestellt hat, dass der Gerechtigkeit tatsächlich Genüge getan wurde. Wie jeder andere sind auch wir bitterlich enttäuscht darüber, was aus dem Traum geworden ist, der einmal Skylark hieß. Wir werden nicht ruhen, bis Gerechtigkeit, wahre Gerechtigkeit, für alle Beteiligten erreicht wurde. Aber sich Sündenböcke zu suchen und diejenigen bestrafen zu wollen, die einer Wirtschaftskrise von nie dagewesenem Ausmaß zum Opfer gefallen sind, hilft niemandem. Dieses Land wurde von Menschen erbaut, die etwas gewagt haben, und diejenigen zu verurteilen, die dies auch heute noch tun, setzt ein gefährliches Beispiel für zukünftige Generationen. Seien Sie versichert, wir werden auch weiterhin alles daransetzen, dem, was sich hier abgespielt hat, auf den Grund zu gehen. Und wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um es wiedergutzumachen. Wie immer danken wir Ihnen für Ihre Unterstützung.«
Damit wandte sich Hartigan ab und marschierte die Stufen wieder hinauf, gefolgt von seiner Entourage. In ihrem Rücken erhob sich ein wildes Konzert aus Pfiffen, Buhrufen und wütend herausgebrüllten Fragen. Als die Glastüren hinter ihnen zuglitten, konnte Paul erkennen, dass Hartigan freundschaftlich den Arm um Maloneys Schulter legte. Blake, der sich gerade mit einigen Anwälten unterhielt, stieß ein bellendes Lachen aus.
Paul wandte sich zum Gehen. Er musste Phil und den Wagen finden, und zwar schnell. Während er davoneilte, warf er noch einen Blick zurück und stellte fest, dass Dessie O’Connell stumm im Gewühl stand und wortlos das Bild seiner toten Frau in die Höhe hielt. An ihren Namen konnte Paul sich noch immer nicht erinnern.
Brigit nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette und betrachtete die Landschaft. Auf dem Gelände von Krankenhäusern gab es immer so schöne Bäume. Es hatte etwas sehr Tröstliches, dabei zuzusehen, wie sie sanft in der sommerlichen Brise schwankten.
Es war ja nicht so, als hätte sie die Pflege jemals wirklich gemocht. Das durfte sie nicht vergessen. Sie hatte sie allerdings auch nicht nicht gemocht. Lass dich zur Krankenpflegerin ausbilden, hatte man ihr gesagt, dann bekommst du die ganze Welt zu sehen. In der Ausbildung hatten sie einander gegenseitig mit einem anderen Spruch motiviert: Jemanden, der ihnen den Arsch abwischt, brauchen die Leute immer