Butcher & Blackbird - Selbst die dunkelsten Seelen sehnen sich nach Liebe - Brynne Weaver - E-Book

Butcher & Blackbird - Selbst die dunkelsten Seelen sehnen sich nach Liebe E-Book

Brynne Weaver

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Beschreibung

Wenn zwei Serienkiller die Liebe finden …

Als Sloane – besser bekannt als »Blackbird« – auf den »Butcher« Rowan trifft, finden die beiden rivalisierenden Serienkiller etwas Unerwartetes: das Verständnis einer gleichgesinnten dunklen Seele. Kurzentschlossen beginnen sie ein Spiel, das sie quer durch die USA führt. Von den dunklen Gassen Bostons bis zum ländlichen Texas treffen sie in einem jährlichen Wettkampf aufeinander, bei dem sie gegen die gefährlichsten Mörder des Landes antreten. Während ihre freundschaftlichen Gefühle immer leidenschaftlicher werden, sind die Killer, die sie zu Fall bringen wollen, bereit, mehr als nur die aufkeimende Liebe von Sloane und Rowan zu zerstören. Haben die beiden zwar einander, aber am Ende auch ihren Meister gefunden? Klar ist: Jedes Spiel braucht einen Gewinner …

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Seitenzahl: 458

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Das Buch

Als Sloane – besser bekannt als »Blackbird« – auf den »Butcher« Rowan trifft, finden die beiden rivalisierenden Serienkiller etwas Unerwartetes: das Verständnis einer gleichgesinnten dunklen Seele. Kurzentschlossen beginnen sie ein Spiel, das sie quer durch die USA führt. Von den dunklen Gassen Bostons bis zum ländlichen Texas treffen sie in einem jährlichen Wettkampf aufeinander, bei dem sie gegen die gefährlichsten Mörder des Landes antreten. Während ihre freundschaftlichen Gefühle immer leidenschaftlicher werden, sind die Killer, die sie zu Fall bringen wollen, bereit, mehr als nur die aufkeimende Liebe von Sloane und Rowan zu zerstören. Haben die beiden zwar einander, aber am Ende auch ihren Meister gefunden? Klar ist: Jedes Spiel braucht einen Gewinner …

Die Autorin

Brynne Weaver ist eine New-York-Times-Bestsellerautorin und TikTok-Sensation. Ihre Romane wurden weltweit in über fünfzehn Länder verkauft. Brynne ist bereits um die Welt gereist, hat mehr streunende Tiere aufgenommen, als ihrem Mann lieb ist, und ihre Liebe zu schwarzen Komödien, Horror und Romance durch Literatur und Film genährt. Bei all ihren Abenteuern hat sich das Schreiben wie ein roter Faden durch Brynnes Leben gezogen. Ihre Romane sind eine unwiderstehliche Mischung aus Dark RomCom, spicy Romance und fesselnder Spannung, die Brynne mit Geschichten verbindet, die Genres sprengen und Leser*innen begeistern.

BRYNNEWEAVER

BUTCHER

&

BLACKBIRD

SELBSTDIE

DUNKELSTEN

SEELENSEHNEN

SICHNACHLIEBE

Ruinous Love

Band 1

Roman

Aus dem Amerikanischen von Marie Rahn

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe BUTCHER & BLACKBIRD erschien erstmals 2023 im Selfpublishing und 2024 bei Zando, USA.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe 10/2024

Copyright © 2023 by Brynne Weaver

Published by Arrangement with Raelene Samms

c/o THEWHALENAGENCYLTD., 500 Post Rd East, 2nd Fl., Ste. 240, Westport, CT 06880 USA

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Catherine Beck

Umschlaggestaltung: Zero Werbeagentur based on a template by Quamber Designs

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-32320-2V001

www.heyne.de

Warnung zu diesem Buch

Zwar ist Butcher & Blackbird eine Dark Romance und wird euch hoffentlich trotz aller Düsternis zum Lachen bringen, dennoch bleibt sie abgründig. Bitte lest sie mit Vorsicht. Solltet ihr Fragen zur folgenden Liste haben, zögert nicht, euch bei mir zu melden. Entweder über meine Website brynneweaverbooks.com oder über einen meiner Social-Media-Kanäle (am aktivsten bin ich auf Instagram und TikTok). In diesem Buch kommen vor:

Augäpfel und AugenhöhlenAmateuroperationenHautverzierungenKettensägen, Äxte, Messer, Skalpelle – eben jede Menge scharfer Gegenständeversehentlicher und nicht ganz so versehentlicher Kannibalismusfragwürdige Nutzung einer mumifizierten Leicheein lobotomisierter Dienerunzweckmäßiger Gebrauch von KüchengerätenDie Sache mit dem Cookies-and-Cream-Eis tut mir leid (eigentlich nicht).detaillierte Sexszenen, darunter (aber nicht nur) Karezza, harter Sex, Lob Kink, Erwachsenenspielzeug, schlucken und spucken, anal, BDSM, GenitalpiercingsErwähnungen von Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch von Kindern (ohne Details)der Tod von Eltern (nicht ausführlich beschrieben)Dies ist ein Buch über Serienmörder, also gibt es einiges an abartigen Morden und Chaos.

Dieses Buch ist für alle, die die Content Notes gelesen und gesagt haben: »Versehentlicher Kannibalismus? Ich bin dabei!«

PLAYLIST

Nutzt den QR-Code, um die Playlist zu hören.

Kapitel 1: Ichi-Go, Ichi-E

»Stressed Out«, Twenty One Pilots

»Better on Drugs«, Jim Bryson

Kapitel 2: Spaß und Spiel

»Red«, Delaney Jane

»Dodged a Bullet«, Greg Laswell

»Waves«, Blondfire

Kapitel 3: Ventrikulär

»Easy to Love«, Bryce Savage

»Obsession«, Joywave

Kapitel 4: Atelier

»Territory«, Wintersleep

»Castaway«, Barns Courtney

Kapitel 5: Gewissheit

»Jerome«, Zella Day

»Trying Not to Fall«, Jonathan Brook

Kapitel 6: Lauscher an der Wand

»Killer«, Valerie Broussard

»Demise«, NOT A TOY

Kapitel 7: Die Ära des Kubismus

»Demons«, Sleigh Bells

»I Don’t Even Care About You«, MISSIO

Kapitel 8: Aus der Komfortzone

»Birthday Girl«, FLETCHER

»BLKCLD«, XLYO

»Where Snowbirds Have Flown«, A Silent Film

Kapitel 9: Köder

»Addicted« (feat. Greg Laswell), Morgan Page

»The Enemy«, Andrew Belle

»Into the Fire«, Thirteen Senses

Kapitel 10: Dijon

»West Coast«, MISSIO

»Heart of an Animal«, The Dears

Kapitel 11: Differenzen

»Knives Out«, Radiohead

»Walk On By«, Noosa

»Drowned«, Emily Jane White

Kapitel 12: Puzzle

»Forget«, Marina and the Diamonds

»Shine«, Night Terrors of 1927

»Come Out of the Shade«, The Perishers

Kapitel 13: Bar jeder Menschlichkeit

»Blastoffff«, Joywave

»Kids«, Sleigh Bells

»Shimmy« (feat. Blackillac), MISSIO

Kapitel 14: Gemetzel

»Indestructible«, Robyn

»Deadly Valentine«, Charlotte Gainsbourg

»Love Me Blind«, Thick as Thieves

Kapitel 15: Abdrücke

»Best Friends«, The Perishers

»Novocaine«, Night Terrors of 1927

»Sentimental Sins«, Matt Mays

Kapitel 16: Erschütternde Enthüllungen

»Fade into You«, The Last Royals

»Between the Devil and the Deep Blue Sea«, XYLO

»For You«, Greg Laswell

Kapitel 17: Köstlicher Untergang

»Heaven«, Julia Michaels

»Never Be Like You« (feat. Kai), Flume

Kapitel 18: Detonieren

»ATLEAST I’M GOODATIT«, NERIAH

»Body«, Wet

»Crave«, Dylan Dunlap

Kapitel 19: Reserviert oder nicht

»Farewell«, Greg Laswell

»Spoonful of Sugar«, Matt Mays

Kapitel 20: Verborgene Gefahr

»Dark Beside the Dawn«, Adam Baldwin

»Wandering Wolf«, Wave & Rome

»Where to Go«, Speakrs

Kapitel 21: Schlüssel, konkret und abstrakt

»Look After You«, Aron Wright

»Heroin«, Lana Del Rey

Kapitel 22: Finesse

»Vagabond« (feat Czarface), MISSIO

»Burn the Witch«, Radiohead

»Half Your Age«, Joywave

Kapitel 23: In Farbe

»Bones«, Scavenger Hunt

»Don’t Believe in Stars«, Trent Dabbs

Kapitel 24: Gepflückt

»We Are All We Need«, Joywave

»End of All Time«, Stars of Track and Field

Epilog: Das Phantom

»Lifetime Ago«, Greg Laswell

PROLOG

BUTCHER & BLACKBIRD

JÄHRLICHERAUGUST-SHOWDOWN

7 TAGE

ENTSCHEIDUNGDURCHSCHERE, STEIN, PAPIER

DREIVONFÜNF

DERGEWINNERKRIEGTDASFORESTPHANTOM

Ichi-Go, Ichi-E – Genieße den Augenblick

Sloane

Als Serienmörder Serienmörder zu jagen, ist ein großartiges Hobby.

Bis man eingesperrt in einem Käfig sitzt.

Drei Tage lang.

Mit einer Leiche.

Im Sommer in Louisiana.

Ohne Klimaanlage.

Finster starre ich auf die von Fliegen umschwärmte Leiche jenseits der verschlossenen Tür meines Käfigs. Schon bald werden die Knöpfe von Albert Briscoes Hemd abspringen, das sich über seinem geblähten, grünlich grauen Leib spannt. Albert Briscoe ist tot, doch sein Körper bewegt sich, denn die dünne Haut wellt sich unter den aufsteigenden Gasen und Maden, die sich durch sein Fleisch fressen. Der Verwesungsgeruch, das Summen der Insekten, der Gestank von Scheiße und Pisse, die er unter sich gelassen hat, sind verflucht ekelig. Dabei bin ich nicht zimperlich. Aber ich habe Standards. Ich bevorzuge meine Leichen frisch. Ich will nur meine Trophäen ergattern, meine Szenerie arrangieren und gehen – und nicht dabei zusehen müssen, wie sie sich verflüssigen.

Wie aufs Stichwort höre ich ein leises Geräusch, als würde feuchtes Papier reißen.

»Nein …«

Fast meine ich, Albert aus dem Grab zu hören: Doch.

»Oh, nein, nein, nein …«

»Aber ja doch! Dafür, dass du mich gekillt hast, verdammte Bitch.«

Die Haut platzt auf, und heraus quillt eine weiße Masse, die aussieht wie ein Haufen Hörnchennudeln. Nur dass sich eine beträchtliche Menge dieser Nudeln auf mich zuschiebt, langsam wie ein Gletscher, auf der Suche nach einem stillen Plätzchen, um das nächste Stadium ihres Lebenszyklus als Maden zu vollenden.

»Gottverdammt.« Ich rutsche mit dem Hintern über den schmutzigen Boden meines Käfigs, um mich in einer Ecke zusammenzurollen. Drücke die Stirn so fest gegen meine Knie, dass ich Kopfschmerzen kriege. Fange an, zu summen, um die Geräusche um mich herum zu übertönen, die mit einem Mal viel zu laut geworden sind. Ich summe immer inbrünstiger, bis meine rissigen Lippen hier und da ein Wort formen. No one here can love or understand me … Blackbird, bye, bye …, summe und singe ich, bis erst die Worte verstummen und dann die Töne.

»Ich widersage meinen sündigen Neigungen«, sage ich, als sich der Song zwischen Staubpartikeln und dem Sirren durchsichtiger Insektenflügel auflöst.

»Wie schade! Ich wette, mir würden Ihre sündigen Neigungen gefallen.«

Ich schrecke zusammen, als ich die tiefe, warme Männerstimme höre. Durch den Hauch eines irischen Akzents wirkt sie noch weicher.

Ein Mann schlendert in den Lichtstreifen des schmalen, mit Fliegendreck bedeckten Fensters. Hastig rutsche ich noch weiter zurück, schlage mit dem Kopf gegen eine der Eisenstangen meines Käfigs und zische einen Fluch.

»Mir scheint, Sie befinden sich in einer misslichen Lage«, bemerkt er und verzieht den Mund zu einem schiefen Grinsen. Der Rest seines Gesichts bleibt im Schatten. Er tritt ein paar Schritte weiter in den Raum, beugt sich über die Leiche und betrachtet sie eingehend. »Wie ist Ihr Name?«

Dies ist mein dritter Tag ohne Kaffee. Ohne Essen. Wahrscheinlich ist mein Magen mittlerweile implodiert und hat andere Organe mit ins Vakuum gezogen. Ein lauter Chor verzweifelt hungriger innerer Stimmen versucht, mich zu überzeugen, dass es wirklich kleine Hörnchennudeln sind, die auf mich zukriechen, und dass sie vielleicht essbar sind.

Ich hab keine Nerven für diesen Scheiß.

»Ich glaub nicht, dass er Ihnen antworten wird«, sage ich.

Der Mann lacht leise. »Sicher nicht. Außerdem weiß ich schon, wer das ist. Albert Briscou, die Bestie des Bayou.« Der Blick des Mannes verweilt noch ein wenig auf der Leiche, bevor er sich mir zuwendet. »Aber wer sind Sie?«

Ich antworte nicht und rühre mich auch nicht, während der Mann langsam und bedächtig um den Käfig herumgeht, um mich besser im Schatten sehen zu können, wo ich mich zusammengekauert habe. Dicht vor den Gittern lässt er sich in die Hocke sinken. Ich versuche, mich hinter meinen wirren Haaren und verschränkten Gliedmaßen zu verstecken, und biete ihm nur meinen Blick.

Und bei meinem Pech sieht er natürlich umwerfend aus.

Braune, kunstvoll zerzauste Haare. Markante, aber nicht strenge Gesichtszüge. Ein durchtriebenes Lächeln, das perfekte Zähne und eine Narbe zeigt, die seine Oberlippe durchschneidet – überhaupt Lippen, die für meinen momentanen Zustand als Gefangene viel zu einladend sind: die untere ein bisschen voller als die obere. Ich sollte mir nicht vorstellen, wie gern ich daran knabbern würde. Ganz und gar nicht.

Doch ich kann nicht anders.

Dabei bin ich momentan einfach widerlich.

Verknotete Haare. Blutbefleckte Klamotten. Und in der gesamten Geschichte des Atems wurde noch nie ein üblerer Atem geatmet als meiner.

»Sie passen gar nicht in Alberts typisches Beuteschema«, bemerkt er.

»Was wissen Sie denn darüber?«

»Sie sind viel zu alt dafür.«

Er hat recht. Nicht dass ich mit meinen gerade mal dreiundzwanzig Jahren alt wäre. Aber dieser Typ weiß genauso gut wie ich, dass ich für Alberts Geschmack viel zu alt bin.

»Und woher wollen Sie das so genau wissen?«

Der Mann blickt hinüber zur Leiche, und ein Anflug von Abscheu huscht über sein umschattetes Gesicht. »Weil ich es mir zur Aufgabe gemacht habe, so etwas zu wissen.« Er blickt wieder zu mir und lächelt. »Vermutlich haben Sie sich das ebenfalls zur Aufgabe gemacht, wenn ich über die Qualität des Jagdmessers urteilen soll, das in seiner Kehle steckt. Handverlesener Damaststahl. Woher haben Sie das?«

Ich seufze. Mein Blick verweilt kurz auf der Leiche und meinem Lieblingsmesser, bevor ich die Wangen an meine hochgezogenen Knie presse. »Etsy.«

Wieder lacht der Typ leise. Ich hebe einen kleinen Kieselstein auf und werfe ihn aus dem Käfig.

»Ich bin Rowan«, sagt der Mann und schiebt seine Hand durch die Gitterstäbe.

Ich starre sie an und werfe ein weiteres Steinchen.

Er streckt mir weiterhin seine Hand entgegen, obwohl ich keinerlei Anstalten mache, sie zu ergreifen. »Sie kennen mich vielleicht als Boston Butcher.«

Ich schüttle den Kopf.

»Oder als Massenmördermassaker?«

Erneut schüttle ich den Kopf.

»Als Rächer der Ostküste?«

Ich seufze.

Natürlich hab ich all diese Namen schon gehört, aber das werde ich ihm nicht auf die Nase binden.

In meinem Inneren jedoch pumpt mein hämmerndes Herz rasend schnell Blut durch meine Adern. Ich bin nur froh, dass er nicht sehen kann, wie sehr meine Wangen glühen. Ich kenne die Namen, mit denen er belegt wurde, ganz genau und weiß auch, dass er so etwas ist wie ich: ein Jäger, der am liebsten den schlimmsten Abschaum jagt, den die Gesellschaft aus den Tiefen der Hölle heraufbeschworen hat.

Schließlich zieht Rowan doch seine Hand aus meinem Käfig zurück, und sein Lächeln wirkt leicht frustriert. »Schade, ich dachte, Sie würden meine kleinen Spitznamen kennen.« Er schlägt sich mit den Händen auf die Knie und steht auf. »Tja, dann gehe ich mal besser. Es hat mich gefreut, Sie fast kennenzulernen, namenlose Gefangene. Viel Glück.«

Mit einem letzten flüchtigen Lächeln dreht Rowan sich um und strebt mit großen Schritten zur Tür.

»Halt! Warten Sie! Bitte.« Gerade als er die Türschwelle erreicht, rapple ich mich auf und umklammere die kalten Gitterstäbe. »Sloane. Mein Name ist Sloane. Der Augenfädler.«

Daraufhin tritt Stille ein. Das einzige Geräusch stammt von den umherschwirrenden Fliegen und den Maden, die sich unbeirrt durchs verrottende Fleisch fressen.

Rowan wendet den Kopf und wirft einen Blick über die Schulter.

Und auf einmal ist er wieder da, direkt vor mir, mit einer einzigen schnellen Bewegung, die mich so erschreckt, dass ich zurückweichen will, doch da hat er schon meine Hand gepackt und schüttelt sie heftig.

»O mein Gott. Ich wusste es. Verdammt, ich wusste es, dass sie falschlagen. Es musste eine Frau sein. Augenfädler! So ein cooler Name. Die raffiniert geknüpfte Angelschnur mit den gottverdammten Augäpfeln! Einfach wunderbar. Ich bin ein riesiger Fan.«

»Äh …« Rowan schüttelt mir weiterhin die Hand, obwohl ich versuche, sie ihm zu entziehen. »Tja dann … danke …?«

»Haben Sie den Namen erfunden? Augenfädler?«

»Also … ja …« Ich reiße meine Hand zurück, um mich ein Stück von diesem absonderlich begeisterten Iren entfernen zu können. Er grinst mich ehrfürchtig an und würde sicher bemerken, dass mir ein zweites Mal die Röte in die Wangen schießt, hätte ich keinen zentimeterdicken Schmutzfilm auf meiner Haut. »Sie finden ihn nicht blöd?«

»Nein, im Gegenteil, großartig. Massenmördermassaker ist blöd. Augenfädler ist der Wahnsinn!«

Ich zucke die Achseln. »Ich finde, es klingt nach einem ziemlich lahmen Superhelden.«

»Viel besser, als wenn die Behörden einen Namen für Sie erfinden. Glauben Sie mir.« Rowans Blick gleitet zur Leiche und wieder zu mir zurück. Er legt den Kopf schräg und mustert mich. Dann ruckt er einmal mit dem Kopf Richtung Albert. »Mönche, Mäuse, Ratten, Maden scheiden selten ohne Schaden. Kapiert?«

Wieder breitet sich Stille zwischen uns aus, unterlegt nur vom Brummen der Fliegen.

»Äh, nein …?«

Rowan wedelt abwehrend mit der Hand. »Ist nur ein Sprichwort, aber ich finde, das hat unter diesen Umständen ziemlich gut gepasst«, erklärt er mit stolzgeschwellter Brust und weist mit dem Daumen zur Leiche. »Bleibt trotzdem die Frage: Wie sind Sie in dem Käfig gelandet, wo er doch mit Ihrem Messer in der Kehle da drüben liegt? Haben Sie ihn durch die Gitterstäbe erdolcht?«

Ich werfe einen Blick auf mein ehemals weißes Hemd und den schmutzigen Stiefelabdruck, der von Blutspritzern überdeckt ist. »Man könnte wohl sagen, dass es schlechtes Timing war.«

»Hmmm«, äußert Rowan und nickt weise. »Das ist mir auch schon ein-, zweimal passiert.«

»Sie meinen, Sie waren mit einer Leiche in der Nähe in einen Käfig gesperrt und eine kleine Armee Hörnchennudeln marschierte auf Sie zu?«

Rowan blickt sich um und runzelt die Stirn.

»Nein. Könnte ich nicht behaupten.«

»Das dachte ich mir«, murmle ich seufzend. Ich wische mir die Hände an meinen schmierigen Jeansshorts ab, trete noch einen Schritt zurück und schiebe eine Hüfte vor. Langsam nervt mich dieser Eindringling, der anscheinend nicht mehr zu tun gedenkt, als meinen Hungertod in die Länge zu ziehen. Er ist sicher leicht durchgeknallt und lässt mich hier nicht raus.

Da muss ich ihm wohl auf die Sprünge helfen.

»Nun …?«

»Die kleinen Nudeln kommen ganz gut voran«, sagt Rowan mehr zu sich selbst und starrt auf die Parade winziger weißer Würmer, die auf mich zustreben. Als sich sein Blick vom Boden löst und zu mir gleitet, lächelt er eifrig. »Wollen wir was essen gehen?«

Ich mustere diesen Fremden mit ungerührter Miene und zeige auf mein blutiges Hemd mit dem Stiefelabdruck. »Nein? Es sei denn, Sie wollen, dass wir beide in den Knast kommen?«

»Stimmt ja«, sagt er stirnrunzelnd und geht zu Alberts Leiche. Er durchsucht seine Taschen, findet aber nichts. Dann blickt er hoch zu seinem aufgeblähten Hals, stößt einen leisen, triumphierenden Laut aus, zieht erst das Messer aus der Kehle und holt dann mit einem Ruck eine silberne Kette hervor, die unter seinem Griff reißt. Lächelnd dreht er sich zu mir um, steht auf und präsentiert mir auf seiner Handfläche einen kleinen Schlüssel.

»Duschen Sie erst mal, und ich suche Ihnen ein paar Klamotten. Danach brennen wir das Haus nieder.«

Rowan schließt die Tür auf und streckt eine Hand in meinen dunklen Käfig.

»Kommen Sie schon, Blackbird. Ich hab Lust auf Grillfleisch. Was sagen Sie?«

Spaß und Spiel

Rowan

Der Augenfädler.

Ich sitze an einem Tisch mit dem gottverdammten Augenfädler.

Und sie ist einfach nur atemberaubend.

Rabenschwarzes Haar. Haselnussbraune Augen. Ein paar Sommersprossen auf den Wangen und eine kleine Nase, die jetzt ein bisschen rot ist. Sie räuspert sich, trinkt einen großen Schluck von ihrem Bier und runzelt die Stirn. Dann schiebt sie es weg, ohne den Blick von ihrem Glas zu lösen.

»Sie sind krank«, sage ich.

Sloane bedenkt mich mit einem argwöhnischen Blick, bevor sie ihre Aufmerksamkeit aufs Diner richtet. Ihre scharfen Augen verweilen kurz an einem Tisch mit Gästen und gleiten dann zum nächsten. Sloane ist nervös.

Wahrscheinlich zu Recht, wenn man es genau bedenkt.

»Drei Tage in diesem Höllenloch fordern eben ihren Tribut. Es war verfluchtes Glück, dass ich Wasser hatte.« Sie greift zum Serviettenhalter, nimmt sich eine und putzt sich die Nase. Dann blickt sie mich wieder an, wenn auch nur kurz. »Danke fürs Rauslassen.«

Ich zucke nur die Achseln und nippe an meinem Bier, während ich beobachte, wie ihr Blick zu einer Kellnerin huscht, die mit einer Bestellung aus der Küche kommt. Sloane bestand auf einen Tisch am Fenster und zeigte auf den, den sie wollte, als die Kellnerin uns durchs Diner geleitete. Jetzt verstehe ich den Grund. Unser Tisch liegt genau zwischen Eingang, Küche und Notausgang bei den Toiletten.

Ist sie immer fluchtbereit, oder hat ihr die Zeit in Alberts Käfig einen Schock versetzt? Oder liegt es an mir?

Sie tut gut daran, vorsichtig zu sein.

Ich kann den Blick nicht von ihr lösen, und als sie wieder das Diner überschaut, nutze ich die Gelegenheit, sie unverhohlen zu betrachten. Meine Begleiterin schiebt ihre feuchten Haare über die Schulter, woraufhin mein Blick hinunter zu ihrer Brust gleitet – wie schon alle zwei Minuten, seit sie Albert Briscoes Bad mit einem Pink-Floyd-T-Shirt verlassen hat. Ohne BH.

Ohne BH.

Der Gedanke hallt durch mein Hirn wie Kirchenglocken an einem sonnigen Sonntagmorgen.

Ihr Körper ist kurvig und muskulös, und wie durch Magie wirken ihre aus Briscoes Schrank gestohlenen Klamotten tatsächlich sexy. Selbst seine Jeans sehen an ihr gut aus, denn sie hat die zu langen Hosenbeine bis zu den Knöcheln hochgekrempelt und den weiten Bund mit einem provisorischen Gürtel aus zwei roten zusammengeknoteten Taschentüchern versehen. Auch ihr T-Shirt ist unten zusammengeknotet, sodass man einen Blick auf den verlockenden Streifen Haut und ihren gepiercten Bauchnabel erhaschen kann, als sie sich erschöpft seufzend zurücklehnt.

Kein BH.

Ich muss mich zusammenreißen, verdammt noch mal! Schließlich ist sie der Augenfädler. Sollte sie mich beim Glotzen ertappen, könnte sie mir die Augäpfel aus den Höhlen drücken und an einer Angelschnur auffädeln, noch bevor ich kein BH sagen kann.

Jetzt rollt Sloane auch noch ihre Schultern, was nicht hilfreich ist für mein Vorhaben, mein Kein-BH-Mantra zu stoppen. Sie tastet an ihrem Schultergelenk und verzieht leicht das Gesicht. Als sich unsere Blicke treffen, runzelt sie die Stirn.

»Er hat mich getreten«, antwortet sie auf meine unausgesprochene Frage und lässt ihre Hand an der Schulter. »Und ich hab mich am Käfig gestoßen, als ich hineingefallen bin.«

Rasender Zorn durchzuckt mich wie ein Blitz. Ich balle unter dem Tisch die Fäuste. »Der Wichser.«

»Tja, aber ich habe ihm mein Messer in den Hals gerammt, also war es wohl gerechtfertigt.« Sloane streicht sich mit den Händen über die Arme, kraust die Nase und schnieft leise.

Einfach anbetungswürdig.

»Er konnte mich einschließen, bevor er umgekippt ist. Hat dabei sogar gelacht.«

Als die Kellnerin mit zwei Tellern Rippchen und einem Teller Fritten auftaucht, empfängt Sloane sie mit gierigem Blick. Sie sieht zu, wie sie vor ihr abgestellt werden, und lächelt so breit, dass sich ein Grübchen an ihrem Mundwinkel bildet.

Wir danken der Kellnerin, doch die verharrt am Tisch, bis Sloane ihr nachdrücklich versichert, dass wir alles haben, was wir brauchen. Als sie sich entfernt, kichert Sloane, und ihr Grübchen erscheint erneut. »Sagen Sie nicht, das passiert so oft, dass Sie es gar nicht mehr merken! Das wäre zu deprimierend.«

»Was denn merken?«

Sloanes Blick huscht zur Kellnerin, und als ich ebenfalls zu ihr hinüberschaue, wirft sie mir über die Schulter ein Lächeln zu.

»O mein Gott, er merkt es wirklich nicht! Überhaupt nicht!« Kopfschüttelnd schnappt sich Sloane ein Rippchen von ihrem dampfenden Teller. »Nun, dann machen Sie sich auf was gefasst, Sie Hübscher. Mein Magen hat in den letzten drei Tagen nur von nahegelegenen Organen gezehrt, und ich werde diese verfluchten Rippchen auf die undamenhafteste Weise verschlingen, die Sie je erlebt haben.«

Ich erwidere nichts, denn ich bin gebannt vom Anblick ihrer perfekten Zähne, die sie in das dampfende Fleisch gräbt, das sich sofort vom grauen Knochen löst. Als ihr ein Klecks Barbecuesauce im Mundwinkel hängen bleibt und ihre Zunge hervorschnellt, um ihn abzulecken, möchte ich am liebsten sterben.

»Also …« Ich räuspere mich in der Hoffnung, dass meine Stimme nicht brüchig klingt.

Sloane runzelt die Stirn und beißt ein weiteres Stück von ihrem Fleisch ab.

»Wieso nicht Blackbird?«

»Wie?« Sie schiebt sich das Ende des Rippchens zwischen die Lippen, saugt das Fleisch vom Knochen und zieht ihn mit soßeverschmierten Fingern aus dem Mund. Allein vom Anblick, wie ihre Wangen hohl werden, stemmt sich mein Schwanz gegen den Reißverschluss.

Was sie alles mit diesem gottverdammten Mund anstellen könnte!

Ich trinke einen Schluck von meinem Bier und blicke auf meinen Teller. »Ihr Name«, sage ich und nehme mir ein Rippchen vor, nur um gewisse Körperteile abzulenken, die ziemlich penetrant vermelden, was sie wollen. »Wieso haben Sie keinen Namen gewählt, der irgendwas mit Blackbird zu tun hat? Mit den schwarzen Haaren, dem volatilen Wesen, diesem Song … Ich wage die Vermutung, dass der aus Ihrer Kindheit stammt, oder? Ich hab gehört, wie Sie ihn im Käfig gesungen haben.«

Sloane hört kurz auf zu kauen, betrachtet mich nachdenklich und fährt sich flüchtig mit dem Daumen über die Unterlippe. Es ist das erste Mal, dass ihr Blick länger auf mir ruht, und er bohrt sich direkt in mein Hirn. »Der ist für mich«, sagt sie. »Augenfädler ist für sie.«

Sloanes Augen haben sich verdunkelt, und mit einem Mal hat sie sich von einer sexy, ausgehungerten Schönheit mit laufender Nase in eine bösartige, skrupellose Killerin mit eisernem Willen verwandelt.

Ich nicke. »Verstehe.«

Möglicherweise bin ich der einzige Mensch, der das versteht.

Sloane starrt mich weiterhin unverwandt an. »Was ist der Plan, mein Hübscher?«

»Der Plan?«

»Sie wissen schon: Sie tauchen in Flachwichsers Haus auf, befreien mich aus seinem Käfig, brennen sein Haus nieder und spendieren mir danach Bier und Rippchen. Trotzdem weiß ich so gut wie nichts über Sie. Also, was ist Ihr Plan? Was wollten Sie bei Briscoe?«

Achselzuckend erwidere ich: »Ich wollte ihm die Glieder abhacken und mich an seinem quälend langsamen Tod weiden.«

»Aber warum ausgerechnet er? Ist ein bisschen weit weg von Boston. Dort gibt es sicher genug arschgesichtige Drogendealer, mit denen man sich vergnügen kann. Da muss man nicht für einen Typen so weit fahren.«

Angespanntes Schweigen breitet sich zwischen uns aus. Wir sitzen beide mit schwebenden Rippchen vor unseren Mündern da. Als Sloanes Miene sich verändert, zieht ein Grinsen über mein Gesicht.

»Du weißt, wer ich bin!«

»O Gott, nein, wieso?«

»Doch, du weißt, was ich in meinem Revier jage. Wie lang bist du schon Fan?«

»Lieber Gott, hör auf!«

Glucksend sehe ich zu, wie Sloane die Stirn in ihre Hände drückt, immer noch ein Rippchen zwischen den klebrigen Fingern. »Wer war dein Favorit?«, frage ich. »Der Typ, den ich gehäutet und am Bug des Schiffs am Griffin’s Wharf aufgehängt habe? Oder der Kerl, den ich an den Kran geknüpft habe? Der war wohl ziemlich beliebt.«

»Ehrlich, du bist echt unmöglich!« Sloane hebt die Hände in dem vergeblichen Versuch, zu verbergen, dass ihr Gesicht knallrot ist. Ihre haselnussbraunen Augen leuchten, obwohl sie versucht, mich finster anzustarren. »Steck mich wieder in Briscoes Käfig!«

»Dein Wunsch ist mir Befehl.«

Ich werfe einen Blick zur Theke und winke der Kellnerin. Die lässt sofort alles stehen und liegen und kommt mit strahlendem Lächeln zu unserem Tisch.

»Rowan …?«

»Was ist? Du willst zurück zu Briscoes Haus, also gehen wir zurück.«

»Das war nur ein Witz, du Psycho …«

»Keine Angst, Blackbird. Ich steck dich direkt wieder in deinen kleinen stinkenden Käfig. Der steht sicher noch, trotz des Feuers. Glaubst du, ein paar Maden haben überlebt? Dann könntest du die aus der Asche sammeln.«

»Rowan …« Sloane packt meine Hände und hinterlässt fettige Fingerabdrücke auf meiner Haut. Bei ihrer Berührung durchfährt mich ein Stromschlag. Als ich die wachsende Panik in ihren Augen sehe, kann ich mir das Grinsen kaum verkneifen.

»Stimmt was nicht, Blackbird?«

Mit einem Megawattlächeln erreicht die Kellnerin unseren Tisch. »Darf ich noch was für Sie tun?«

Aber ich halte meine Augen auf Sloane gerichtet, die hektisch zwischen mir und den Ausgängen hin und her blickt. »Noch zwei Bier, bitte«, sage ich. Da verharrt Sloanes Blick auf mir, und ihre Augen verengen sich zu gefährlichen Schlitzen.

»Kommt sofort.«

»Wie ich schon sagte«, knurrt Sloane und lässt meine Handgelenke los. »Unmöglich.«

Ich bedenke sie mit einem schiefen Grinsen. Als Sloane das sieht, wird ihr Blick unwillkürlich weich, obwohl ich merke, dass sie das gar nicht will. »Eines Tages wirst du mich lieben«, säusele ich, schaue ihr tief in die Augen und lecke langsam den Soßenfleck ab, den sie auf meiner Haut hinterlassen hat. Im warmen Nachmittagslicht, das durch die Scheiben des Diners dringt, glitzern Sloanes Augen, und ein Grübchen an ihrem Mundwinkel verrät, dass sie belustigt ist, obwohl sie es nicht zeigen will.

»Glaub ich nicht, Butcher.«

Das werden wir ja sehen, besagt mein Grinsen.

Sloanes dunkle Augenbrauen zucken angesichts dieser Herausforderung, dann widmet sie sich wieder ihrem Essen. »Du hast immer noch nicht meine Frage zu Briscoe beantwortet.«

»Doch, habe ich. Glieder abhacken, Agonie auskosten.«

»Aber warum ausgerechnet er?«

Ich zucke die Achseln. »Vermutlich aus demselben Grund wie du. Er war ein Dreckskerl.«

»Woher weißt du, dass das mein Grund war?«, fragt Sloane.

»Ist doch ein guter Grund«, erwidere ich und stütze mich mit den Unterarmen auf der Aluminiumleiste des Resopaltischs ab.

Sloane hebt indigniert das Kinn.

»Vielleicht hatte er hübsche Augäpfel.«

Ich spüre, wie ein Lachen in mir aufsteigt, und schnappe mir noch ein Rippchen. Ich lasse mir mit meiner Antwort Zeit und beiße erst mal ein Stück ab. »Das ist nicht der Grund, wieso du ihnen die Augen aus dem Schädel porkelst.«

Sloane legt den Kopf zur Seite und sieht mich mit glänzenden Augen abschätzend an. »Nicht?«

»Nein, ganz sicher nicht.«

»Wieso mache ich es dann?«

Wieder zucke ich die Achseln und meide ihren Blick, obwohl sie mich dazu bringen will, sie anzusehen. »Weil die Augen die Fenster zur Seele sind?«

Als sie schnaubt, blicke ich auf und sehe, dass sie den Kopf schüttelt. »Nein, eher nach dem Motto: Zieh einen Raben auf, und er wird dir die Augen auspicken.«

Jetzt starre ich sie mit schräg gelegtem Kopf an, während ich zu ergründen versuche, was sie damit meint. Über Sloane ist kaum etwas bekannt. Zumindest weiß die Presse kaum was über sie. Sie ist auf andere Serienmörder spezialisiert und hinterlässt faszinierende Tatorte. Das wär’s dann auch schon. Die Theorien, die das FBI zum Augenfädler hat, sind ziemlich unausgegoren. Soweit ich es mitbekommen habe, ist die Vorstellung, der schwer zu fassende Rächer könnte eine Frau sein, noch nicht in ihr kleines, mittelmäßiges Hirn vorgedrungen, das nur in Schablonen denken kann. Sloanes Herkunft, ihre Motive und Absichten liegen weitestgehend im Dunkeln.

Schon auf den ersten Blick hat sie einen Funken Neugier bei mir entzündet, und aus der schwelenden Glut meines Interesses schießt jetzt die erste Flamme empor.

Ich will es wissen. Ich will ihre Wahrheit erfahren.

Und vielleicht will ich auch, dass ihre Neugier auf mich geweckt ist.

»Wusstest du, dass ich Tony Watson, den Hafenkiller, erwischt habe?«

Langsam, ohne den Blick von mir zu lösen, setzt sie ihr Bierglas ab. »Das warst du?«

Ich nicke.

»Ich dachte, er hätte einen umbringen wollen, und der hätte sich gewehrt.«

»Stimmt ja auch. Er hat sich äußerste Mühe gegeben, mich umzubringen. Nur dass er keinen Erfolg damit hatte.« Watson, das kleine Stück Scheiße: Ich schlug ihn zusammen, bis ihm der Schädel platzte und sein Körper nur noch zuckte. Und dann sah ich zu, wie er gurgelnd durch blutige Lippen und zerbrochene Zähne seinen letzten Atemzug tat. Als er sich nicht mehr rührte, ließ ich ihn einfach liegen, damit die Ratten an ihm nagen konnten.

Das war weder hübsch noch elegant. Weder clever noch raffiniert. Es war wild und roh.

Und ich genoss jede Sekunde davon.

»Watson war nicht so dumm, wie ich dachte. Er merkte, dass ich ihn verfolgte. Versuchte, mich in einen Hinterhalt zu locken.«

Sloane schürzt die Lippen. »Hmm«, sagt sie nachdenklich. »Das enttäuscht mich aber.«

»Wieso? Weil er mich nicht umgebracht hat? Das ist hart, Blackbird. Das verletzt mich jetzt.«

Sloane lacht bellend auf. »Nein«, sagt sie. »Weil ich einen so schönen Plan für ihn hatte. Weil ich die Leichen seiner letzten fünf Morde schon in meinem Netz verzeichnet hatte«, sagt sie. Ihre klebrigen Finger zeichnen ein Muster in die Luft. Dazu schaut sie nicht mal auf. Dabei ist das, was sie da tut, eine riesige Enthüllung für mich.

Ihr Netz ist eine Landkarte.

»Nicht dass das irgendwas ausmachen würde. Schließlich haben die Idioten vom FBI das noch nicht gecheckt. Trotzdem … du hast es versaut«, fährt Sloane fort und löst immer noch nicht den Blick von dem Rippchen, das sie von dem Gerippe vor ihr zerrt. Mit einem schweren Seufzer führt sie es zum Mund. »Wahrscheinlich sollte ich dankbar sein. Vielleicht hätte ich Watson auch unterschätzt. Wenn ich bedenke, wie leicht mich Briscoe in den Käfig katapultieren konnte, obwohl er ein fauler Arsch war … Da weiß ich nicht, ob ich Watson so gut hätte abwehren können wie du.« Als sie mich mit ihren außergewöhnlichen, leuchtenden Augen durch die rabenschwarzen Haare hindurch ansieht, die ihr vors Gesicht gefallen sind, dringt ihr glühender Blick bis in meine finstere Seele. »Dieses Geständnis tut mir wirklich körperlich weh. Aber lass dir das nicht zu Kopf steigen, mein Hübscher.«

Unwillkürlich muss ich grinsen. »Du hältst mich für hübsch.«

»Ich sagte doch gerade, du solltest dir die Sache mit Watson nicht zu Kopf steigen lassen. Und für dein Aussehen gilt das auch«, erwidert sie und verdreht übertrieben die Augen. Eines ihrer Lider zuckt. »Außerdem weißt du das längst.«

Mein Grinsen wird noch ein bisschen breiter, bevor ich es hinter meinem Glas verstecke. Unsere Blicke verhaken sich ineinander, bis Sloane den Kopf abwendet. Leichte Röte ist ihr in die sommersprossigen Wangen gestiegen. »Tja, aber du hast Bill Fairbanks vor mir erwischt«, bemerke ich. »Also sind wir wohl quitt.«

Sloane reißt die Augen so weit auf, dass ihre dunklen Wimpern fast ihre Augenbrauen berühren. »Du warst hinter ihm her?«, fragt sie, woraufhin ich eine Schulter hochziehe und kurz nicke. Es hatte mich geärgert, dass mir jemand Fairbanks weggeschnappt hatte, selbst wenn es der Augenfädler war, den ich als Idol betrachtete. Aber jetzt, da ich die Frau hinter dem Netz kennenlerne, hätte ich mir gern noch einen wegschnappen lassen, nur um zu sehen, wie ihre Augen vor Stolz leuchten. Vielleicht sogar mehr als einen.

Sloane beißt sich auf die Unterlippe und versucht so, ihr verschmitztes Grinsen zu unterdrücken. »Ich hatte keine Ahnung, dass du hinter Fairbanks her warst.«

»Ich hab ihn zwei Jahre lang verfolgt.«

»Im Ernst?«

»Eigentlich wollte ich ihn schon im Jahr vor dir erledigen, aber er hat sich aus dem Staub gemacht, bevor ich die Gelegenheit hatte. Ich brauchte mehrere Monate, um ihn wiederzufinden. Und auf einmal hängt er zerstückelt in einem Fischernetz, mit rausgeporkelten Augäpfeln.«

Sloane schnaubt, aber ich sehe, dass ihre müden Augen aufblitzen. Sie richtet sich ein bisschen höher auf und setzt sich auf ihrer Bank zurecht. »Ich habe sie nicht rausgeporkelt, Butcher, sondern rausgepflückt. Ganz sanft. Wie eine Lady.« Sie schiebt sich einen Finger zwischen die Lippen, drückt ihn von innen gegen die Wange und lässt ihn mit einem Plopp wieder hinausschnellen. »So.«

Als ich schnaubend lache, schenkt mir Sloane ein strahlendes Lächeln.

»Mein Fehler.«

Grinsend senkt Sloane den Blick zum Tisch, doch dann wird sie wieder nervös und fängt an, den Raum zu taxieren. Während sie sich ein paar Fritten nimmt, huscht ihr Blick zwischen den Gästen und den Ausgängen hin und her. Schließlich schiebt sie ihren Teller zum Rand des Tisches.

Sie will verschwinden.

Und wenn sie das tut, werde ich sie nie mehr wiedersehen. Dafür wird sie todsicher sorgen.

Ich räuspere mich. »Hast du von der Mordserie in den Nationalparks von Oregon und Washington gehört?«

Sofort habe ich ihre Aufmerksamkeit. Mit leicht zusammengekniffenen Augen starrt sie mich an, und eine Falte erscheint zwischen ihren dunklen Augenbrauen. Ihre einzige Antwort ist ein kaum merkliches Kopfschütteln.

»Der Killer ist ein Phantom. Ein produktives, raffiniertes und sehr, sehr vorsichtiges Phantom«, erkläre ich. »Er nimmt sich Wanderer vor. Camper. Urlauber ohne Verbindungen in seinem Jagdrevier. Erst foltert er sie, dann legt er die Leichen in dicht bewaldeten Gebieten nach Osten ausgerichtet ab und versieht ihre Stirn mit einem Kreuz.«

Sloanes Fassade bekommt Risse. Darunter schimmert das Raubtier durch, das Witterung aufgenommen hat. Ich kann fast sehen, wie ihre Gedanken in ihrem Kopf zu wirbeln beginnen.

Diese Informationen sind Spuren, denen jeder begabte Jäger folgen kann.

»Wie viele Morde bislang?«

»Zwölf, obwohl es noch mehr sein könnten. Aber es wurde alles ziemlich unter Verschluss gehalten.«

Sloane runzelt die Stirn. Doch ihre braunen Augen mit den grünen und goldenen Sprenkeln funkeln. »Wieso? Um den Killer nicht zu verschrecken?«

»Wahrscheinlich.«

»Und wieso weißt du das?«

»Aus demselben Grund, warum du wusstest, wer die Bestie des Bayou war. Ich mache es mir zur Aufgabe, das zu wissen«, erwidere ich zwinkernd.

Sloanes Blick bleibt an der Narbe an meiner Lippe hängen, bevor er wieder zu meinen Augen wandert.

Ich stütze mich auf den Tisch und neige mich zu ihr. »Was würdest du zu einem kleinen Wettstreit sagen? Wer gewinnt, darf ihn haben.«

Sloane lehnt sich gegen die Kunststofflehne ihrer Bank und trommelt mit den Fingernägeln, von denen der blutrote Lack schon abblättert, auf den Tisch. Sie nagt an ihrer rissigen Unterlippe und betrachtet eindringlich mein Gesicht. Ich spüre ihren Blick auf meiner Haut. Er ist wie eine Berührung und weckt eine Empfindung in mir, der ich immer nachjage, die ich aber nie ganz zu fassen bekomme.

Die Gefahr reicht nie aus, um mich abzuschrecken. Die Belohnung reicht nie aus, um mich zufriedenzustellen.

Bis jetzt.

Plötzlich verstummt ihr Trommeln.

»Was für ein Wettstreit?«, fragt Sloane.

Ich winke nach der Kellnerin und bedeute ihr, dass wir zahlen wollen. »Nur ein kleines Spiel. Gehen wir noch ein Eis essen, dann können wir es besprechen.«

Ich sehe sie an und lächle ihr verschwörerisch zu. Verrucht und voller Verlangen.

… Sündig.

»Wie heißt es so schön, Blackbird? Es ist nur ein Spiel, bis jemand ein Auge verliert«, flüstere ich. »Aber dann geht der Spaß erst richtig los.«

Ventrikulär

Sloane

Ein Jahr später …

Dieses Bedürfnis.

Es beginnt wie ein Juckreiz, ein Kribbeln unter der Haut. Und nichts erlöst mich von dem ununterbrochenen Flüstern in meinem Innern. Es kriecht bis in meinen Kopf und lässt mich nicht mehr los.

Irgendwann wird es schmerzhaft.

Je länger ich es leugne, desto tiefer zerrt es mich in den Abgrund.

Ich muss es beenden. Dafür tue ich alles.

Und es gibt nur eins, was das bewirkt.

Töten.

»Reiß dich zusammen, verdammt«, murmle ich, als ich zum fünfzigsten Mal an diesem Tag auf mein Wegwerfhandy starre. Ich gleite mit dem Daumen über den glatten Touchscreen und scrolle durch meinen kurzen SMS-Austausch mit dem einzigen Kontakt.

Butcher steht unter dem Foto, das ich für Rowans Profil ausgewählt habe: eine dampfende Bratwurst, aufgespießt von einer Grillgabel.

Ich weigere mich, über die verschiedenen Gründe für meine Wahl nachzudenken, und stelle mir lieber vor, ich würde ihm mit der Gabel in den Schwanz stechen.

Wetten, sein Schwanz ist so hübsch wie der Rest von ihm?

»Gott, ich brauche wirklich Hilfe«, zische ich.

Der Mann auf meinem Edelstahltisch reißt mich aus meinen Gedanken, als er gegen die Fesseln ankämpft, die ich um Hand- und Fußgelenke, Kopf und Rumpf und seine Arme und Beine gebunden habe. Ein dicker Knebel in seinem klaffenden Fischmaul erstickt sein Betteln und Flehen. Vielleicht war es übertrieben, ihn so gründlich zu fesseln. Schließlich kann er nirgendwohin. Aber zappelndes Fleisch auf Stahl reizt mich bis zur Weißglut, weil es sich anfühlt wie Krallen, die über meine grauen Zellen kratzen.

Ich wende mich mit dem Handy in der Hand ab und scrolle noch mal durch die wenigen Nachrichten, die Rowan und ich uns seit dem Tag im letzten Jahr geschickt haben, als wir uns kennenlernten und uns auf diesen zugegeben irren Wettstreit einigten. Vielleicht ist da ja etwas, das ich in unserer spärlichen Kommunikation der letzten zwölf Monate übersehen habe? Gibt es irgendeinen Hinweis, wie genau dieses Spiel laufen soll? Einen Weg, wie ich mich besser vorbereiten könnte? Ich habe nicht die geringste Ahnung, und das bereitet mir heftige Kopfschmerzen. 

Ich schlendere zum Waschbecken, nehme eine Schachtel Ibuprofen aus dem Regal, lege das Handy ab, drücke zwei Tabletten in meine latexgeschützte Hand und schaue mir noch mal die Nachrichten von dieser Woche an, obwohl ich sie wahrscheinlich auswendig hersagen könnte.

Ich schick dir die Einzelheiten am Samstag.

Woher weiß ich, dass du nicht nur einen Vorsprung willst, um diese Runde zu gewinnen?

Da wirst du mir wohl einfach vertrauen müssen …

Hört sich blöd an.

Und nach Spaß! Oh, du weißt doch, wie man Spaß hat, oder?

Ach, halt doch den Mund!

Meinen HÜBSCHEN Mund, meinst du?

… 

Samstag! Halte dein Handy bereit!

Und genau das habe ich getan. Fast den ganzen Tag halte ich schon mein Handy in der Hand, und mittlerweile ist es 20:12 Uhr. Das Ticken der riesigen Wanduhr, die ich ehrlich gesagt nur gegenüber dem Tisch angebracht habe, um meine Opfer noch mehr zu quälen, quält nun mich. Jedes Ticken hallt in meinem Schädel nach. Jede Sekunde durchzuckt meine Adern mit einem brennenden Stromstoß gespannter Erwartung.

Mir war gar nicht klar, wie sehr mir an diesem Spiel gelegen ist, bis sich immer mehr Vorfreude in meine Gedanken schlich.

Der Mann auf meinem Tisch zuckt zusammen, als ich den Hahn aufdrehe und das Wasser ins Edelstahlbecken rauscht. »Reg dich ab«, rufe ich über die Schulter und fülle mir ein Glas. »Wir sind noch nicht mal annähernd zum spaßigen Teil gekommen.«

Jammern, Winseln und ersticktes Flehen. Seine ängstliche Bettelei erregt und frustriert mich gleichermaßen, als ich die Ibuprofen einwerfe, das Wasser runterkippe und das leere Gefäß mit einem lauten Knall auf der Arbeitsfläche abstelle.

Wieder checke ich das Wegwerfhandy. 20:13 Uhr.

»Verfickt noch mal!«

Da summt mein Privathandy in der Tasche, und ich hole es heraus, um zu gucken, wer sich meldet. Lark. Ihre Nachricht besteht nur aus einem Messer-Emoji und einem Fragezeichen. Statt zurückzutexten, stecke ich mir Airpods in die Ohren, damit ich die Hände frei habe, und rufe sie an.

»Hey, Süße«, meldet sie sich beim ersten Klingeln. »Schon was von diesem Butcher gehört?«

Ich erfreue mich eine Sekunde an Larks sonniger Stimme, seufze dann aber tief auf. Abgesehen von meinem sündigen Treiben ist Lark Montague die Einzige in dieser Welt, die mir Klarheit bringt, wenn mein Geist in eine neue Dimension der Finsternis hinabsinkt.

»Noch nichts.«

Lark gibt einen nachdenklichen Ton von sich. »Und wie fühlst du dich?«

»Kribbelig.«

Wieder höre ich Larks nachdenkliches Summen, aber sie sagt nichts. Weder drängt sie mich, noch rät sie mir, was ich tun oder nicht tun sollte. Sie hört einfach zu – hört richtig zu, wie sonst keiner.

»Ich weiß nicht, ob das eine wahnsinnig blöde Idee ist, verstehst du? Schließlich kenne ich ihn ja gar nicht. Vielleicht ist das nur ein völlig impulsgesteuertes, leichtsinniges Ding.«

»Was ist falsch an impulsgesteuert?«

»Es ist gefährlich.«

»Aber auch spaßig, oder nicht?«

Ich schürze die Lippen und entlasse einen dünnen Luftfaden. »Vielleicht …?«

Larks glockenhelles Lachen erfüllt meinen Kopf, während ich zu den polierten Gerätschaften auf der Arbeitsfläche gehe, den Messern und Skalpellen, den Schraubenziehern und Sägen, die im Neonlicht blinken.

»Deine aktuelle Vorstellung von … Spaß …«, setzt Lark an und verstummt, als könnte sie sehen, dass ich ein Skalpell nehme und prüfend betrachte. »Reicht dir das noch?«

»Ja, schon«, erwidere ich achselzuckend und lege das scharfe Messer neben eine Operationsschere, eine Packung Verbandsmull und ein chirurgisches Nahtset. »Aber es ist, als würde etwas fehlen, verstehst du?«

»Liegt das daran, dass das FBI nichts mit den Hinweisen anfangen kann, die du im Netz hinterlässt?«

»Nein, die kommen schon noch drauf, und wenn nicht, schicke ich ihnen einen anonymen Brief. Seht euch die Netze genau an, ihr Trottel!«

Lark kichert. »Die Dateien sind im Computer«, zitiert sie Zoolander. Sie hat ständig irgendein passendes Filmzitat parat.

Ich stimme in ihr Gelächter ein. Larks strahlendes Licht dringt in die kühlen Wände meines umgebauten Lagercontainers, als hätte sie sich in den Stromkreis eingeschaltet. Doch die Leichtigkeit zwischen uns verblasst, als ich den Rollwagen mit dem Tablett voller Instrumente zu meinem Gefangenen rolle. »An diesem Wettstreit ist irgendwas, das … mich inspiriert. Es ist wie ein Abenteuer. Seit sehr langer Zeit hat mich nichts mehr so in Aufregung versetzt wie das hier. Und ich glaube – oder hoffe –, dass Rowan längst versucht hätte, mich umzubringen, wenn er das wollte. Keine Ahnung, wieso, und vielleicht ist das auch das Leichtsinnigste an der ganzen Sache, aber ich glaube, er empfindet so wie ich und sucht nach irgendwas, um diesen Drang zu lindern, der immer schwerer zu stillen ist.«

Wieder summt Lark, doch diesmal dunkler, fast knurrend. Wir reden nicht zum ersten Mal darüber. Sie weiß, was ich mache. Bei jeder Hinrichtung finde ich weniger Erleichterung. Und sie verfliegt immer schneller. Etwas fehlt.

Genau deshalb liegt dieser Dreckskinderschänder auf meinem Tisch.

»Was ist denn mit diesem mysteriösen Westküsten-Killer, von dem dein Rowan dir erzählt hat? Hast du mehr Infos über ihn rausgekriegt?«

Ich runzle die Stirn, weil meine Augen vom Kopfschmerz brennen. »Nein, nur dass ich von einem Mord in Oregon gelesen habe, vor zwei Monaten, der vielleicht ihm zuzuschreiben ist. Ein Wanderer wurde im Ainsworth Park umgebracht. Aber es gab keine Angaben über ein Kreuz auf der Stirn, von dem Rowan erzählt hatte. Vielleicht hat er recht, und die Behörden geben nicht alles preis, um den Mörder nicht zu alarmieren.« Als der Mann auf dem Tisch gegen seinen Knebel anheult, schlage ich so heftig mit der Hand aufs Tablett, dass die Instrumente klappern. »Ruhe, Kumpel. Winseln wird dir nicht helfen!«

»Deine Laune ist nicht von schlechten Eltern, Sloaney. Bist du sicher, dass du nicht …«

»Nein.« Ich weiß, was Lark fragen will, aber ich drehe nicht durch. Ich verliere nicht die Beherrschung. Ich gerate nicht außer Kontrolle. »Wenn dieser Wettstreit offiziell startet, werde ich vollkommen okay sein. Ich will nur die Infos zum ersten Ziel, verstehst du? Mit Warten kann ich nicht gut umgehen. Ich muss nur die Nervosität loswerden.«

»Solange du vorsichtig bist …«

»Na klar, immer«, versichere ich, während ich den Sauger zu dem Mann rolle, der verzweifelt versucht, sich von den unnachgiebigen Lederfesseln zu befreien. Als sich sein Winseln zu einem schrillen Heulen steigert, schalte ich das Gerät ein. Ein dünner Schweißfilm bedeckt seine Stirn, und aus seinen weit aufgerissenen Augen rinnen Tränen, während er versucht, den Kopf zu schütteln und mit der Zunge den Knebel wegzudrücken. Ich kneife leicht die Augen zusammen und mustere seine angespannten Gesichtszüge. Der Gestank der Verzweiflung dringt ihm aus allen Poren.

»Hast wohl einen würdigen Gast heute, was?«, fragt Lark, als die Panik des Kerls durch die Leitung dringt.

»Allerdings.« Der Metallgriff meines Lieblingsskalpells ist selbst durch das Latex hindurch angenehm kühl an meinen erhitzten Fingern. Meine Stimme klingt gepresst vor lauter Konzentration, als ich die Klinge unter dem Adamsapfel des Typs ansetze. »Ein ganz mieser Drecksack.«

In einer geraden Linie ziehe ich die scharfe Spitze durch die Haut und das Fleisch des Mannes. Seine Schreie fangen sich im Silikonknebel.

»Dies sind die Konsequenzen deiner Taten, Michael.« Ich wische die Blutstropfen vom Schnitt. »Du willst online mit kleinen Jungen reden? Willst ihnen Fotos von deinem schrumpligen Schwanz zeigen? Willst Kinder aus der Nachbarschaft mit kleinen Kätzchen und Süßigkeiten in dein Haus locken? Weil du so viel redest, nehme ich dir als Erstes die Stimme«, sage ich und drücke das Skalpell tiefer in Michael Northmans Kehle, um an die Stimmritzen und Taschenfalten zu kommen. Gurgelnd schlürft die OP-Absaugmaschine sein Blut durch den Schlauch, den ich in der freien Hand halte. »Und dann schneide ich dir die Finger ab, für jeden ekelhaften Text, für jede Drohung, die du verschickt hast, und stecke sie dir in deinen verdammten Arsch. Wenn du Glück hast, wird’s mir zu langweilig, bevor ich zu deinen Zehen komme.«

»Herrgott, Sloane«, sagt Lark und kichert hämisch. »Weißt du was? Ich glaube, du solltest dich wirklich auf den Wettstreit mit diesem Butcher einlassen. Du musst mal deine aufgestauten Aggressionen loswerden, Missy.«

Ja, allerdings.

Michael Northmans letzte Schreie erfüllen meine Todeszelle, als ich mich von meiner besten Freundin verabschiede und sowohl die Verbindung als auch die Stimmbänder meines Opfers kappe. Nachdem dieser Schritt der Operation beendet ist, nähe ich die Wunde – nur um Michael in der falschen Hoffnung zu wiegen, er könnte doch noch überleben. Ich befehle ihm, zur Uhr zu blicken, und schnappe mir die Astschere vom Wagen mit den Instrumenten. Vielleicht will er nicht meinen Befehlen gehorchen, aber ich habe in diesem Raum genug über den anfälligen menschlichen Geist gelernt, um zu wissen, dass er in den kommenden Stunden etwas haben will, auf das er sich konzentrieren kann. Und nichts ist fesselnder und gleichzeitig quälender, als zuzusehen, wie die Zeit bis zum eigenen Untergang Sekunde für Sekunde verrinnt.

Gerade will ich mich wieder dem Mann auf dem Tisch zuwenden, da summt das Wegwerfhandy in meiner Tasche.

Mein Bruder Lachlan wird die Zielperson aus einem Hut ziehen. Dann simst er uns gleichzeitig den Ort. Damit startet das Spiel. Wer die Zielperson als Erster tötet, hat gewonnen. Findet sie innerhalb von sieben Tagen keiner von uns, muss gelost werden. Oder wir entscheiden mit Schere, Stein, Papier.

Ich spüre, wie mein Herz einen Satz macht und wild loshämmert.

Da bist du krass im Vorteil.

Ich starre auf die drei Pünktchen, während Rowan zurückschreibt.

Glaub mir, wenn ich dir sage, dass Lachlan dich und nicht mich siegen sehen will. Ich hab keinerlei Vorteile. Er hat mir nichts verraten.

Unwillkürlich muss ich lächeln. Michael Northmans verzweifelte Versuche, sich zu wehren, verschwimmen im Hintergrund, als ich meine Antwort eingebe.

Ich kenn dich nicht gut genug, um dir zu glauben. Sollte ich entdecken, dass er dir Infos steckt, gibt das Rache. Das sag ich gleich, damit du Bescheid weißt, klar?

Es kommt mir vor, als würde sich die kühle Luft im Container verdichten, während ich die grauen Pünktchen in der linken oberen Ecke beobachte.

Ich glaub, jetzt will ich dich auch siegen sehen. Also bin ich einverstanden.

Du bist unmöglich.

Mag sein, aber wenigstens findest du mich hübsch.

Herrgott!

Ich ertappe mich, wie ich lächelnd auf mein Instrument starre. Ich sollte mir albern vorkommen. Mir sollte bewusst sein, wie gefährlich es ist. Doch ich verspüre nur eine Erleichterung, die mir bis ins Mark dringt, eine Aufregung, die meinen Puls noch weiter in die Höhe treibt. Einen Stromstoß, der jede meiner Zellen hell aufleuchten lässt.

Gerade will ich das Handy weglegen und mich auf meinen Gefangenen konzentrieren, da summt es noch mal in meiner Hand, und ein unbekannter Absender schickt gleichzeitig eine Nachricht an Rowan und mich.

Ivydale, West Virginia

Und viel Glück, Augennetz-Lady, oder wie auch immer dein Name ist. Denk mal, kleiner Bruder: Dein Titel Versager wird bald offiziell!

Ich muss noch breiter grinsen. Auf die Nachricht von Lachlan folgt sofort eine SMS von Butcher.

Siehst du? Wie ich gesagt habe. Wir sehen uns in West Virginia, Blackbird.

Ich lege die Astschere weg und greife wieder zum blutigen Skalpell.

Als ich mich erneut dem Mann zuwende, den ich auf den Tisch geschnallt habe, starrt er mich so panisch an, dass sich tiefer Friede über mich senkt. Sein Gesicht ist bleich vor Stress und Angst. Blut und Speichel quellen ihm aus den Mundwinkeln. Er versucht, den Kopf zu schütteln, als ich das Skalpell im Licht drehe und wende.

»Ich hab was vor, deshalb müssen wir einen kurzen, sauberen Schnitt machen, wenn du das Wortspiel verzeihen willst«, verkünde ich. Dann ziehe ich ihm die Klinge von einem Ohr zum anderen, sodass der Tisch innerhalb von Sekunden blutüberströmt ist.

»Der Spieleabend ruft.«

Atelier

Rowan

»Was machst du?«, fragt Fionn, als er in mein Zimmer kommt, und beißt von einer Karotte ab. »Willst du verreisen?«

Ich verdrehe die Augen und zeige auf die Karotte. »Verdammt, ist das eine neue Phase in deiner CrossFit-Manie? Mit rohem Wurzelgemüse in der Gegend rumlaufen?«

»Betacarotin, du Arschtrottel. Antioxidantien. Ich helfe meinem Körper, freie Radikale zu vernichten.«

»Nimm ’ne Vitaminpille! Du siehst aus wie ein Vollidiot.«

»Um Ihre Frage zu beantworten, Dr. Kane: Rowan macht einen kleinen Jagdausflug mit einer gleichgesinnten Seele«, erklärt Lachlan und wirft sich in einen der Ledersessel in der Ecke. »Aber wie es typisch für ihn ist, hat er daraus einen Wettstreit gemacht. Er brachte mich dazu, eine passende Beute auszusuchen, damit es für beide Parteien eine Überraschung ist. Also wird er dabei seinen Arsch riskieren, weil er ein übler kleiner Masochist ist.«

Ich bedenke Lachlan mit dem Todesblick, doch er grinst mich nur über sein Glas hinweg an, trinkt einen großen Schluck Bourbon und schlägt mit seinem Silberring klingelnd gegen das Glas.

»Wo?«, fragt Fionn.

»West Virginia.«

»… Wieso?«

Lachlan stößt ein Lachen aus. »Ich würde ja sagen, dass er versucht, sich einen Weg aus der Freundschaftszone zu bahnen, aber ich glaube, er ist noch nicht mal in der Zone.«

Fionn beißt krachend ein weiteres Stück Möhre ab und grinst mit vollem Mund wie ein grenzdebiles Gör.

Also tue ich, was jeder vernünftige erwachsene Mann mit seinem kleinen Bruder tun würde. Ich entreiße ihm die Karotte und schleudere sie auf Lachlan, wo sie mit einem befriedigenden Fump auf seiner Stirn landet.

Als meine Brüder einmütig Protestgeschrei anstimmen, stopfe ich grinsend noch ein Paar Jeans in meinen Trolley.

»Ich glaube, so viel Mühe hast du dir schon seit einer Ewigkeit nicht mehr für eine Frau gegeben. Wie lange hast du sie jetzt nicht gesehen? Ein Jahr?«, fragt Lachlan unvermittelt.

Fionn bekommt einen Hustenanfall, der im ganzen Zimmer widerhallt. Lachlan und ich sehen zu, wie er orangefarbene Stückchen in seine Hand hustet.

»Was? Ein ganzes verdammtes Jahr? Und wieso erfahre ich das erst jetzt?«

»Weil du mit deinem Arsch in irgendeinem Provinzkaff gesteckt hast, um den Landarzt zu spielen, deshalb«, lacht Lachlan. »Kehr nach Boston zurück, Fionn. Hör auf, dich in deiner kitschigen Vorstellung vom Ärztedasein zu suhlen, und komm nach Hause, um echte Medizin zu praktizieren.«

»Wichser«, sagen Fionn und ich wie aus einem Mund.

Lachlan grinst, stellt sein Glas auf dem Tischchen ab, holt ein Springmesser mit Perlmuttgriff aus der Tasche und lehnt sich zurück, um den Riemen seines extra für ihn angefertigten Abziehleders herauszuziehen. Er steckt seinen Mittelfinger durch den Metallring am Ende des Gürtels und zieht den Riemen straff, dann fängt er an, die Klinge des Messers zu schärfen. Das macht er schon seit unserer Kindheit, denn es beruhigt ihn. Auch wenn Lachlan Fionn und mich gern aufzieht, weiß ich doch, es stresst ihn, dass unser jüngerer Bruder nicht mehr in derselben Stadt lebt wie wir und dass ich jetzt auch noch losziehe, um ein irres Todesspielchen mit einer Serienmörderin zu spielen, die ich kaum kenne. »Nein, im Ernst«, sagt er, nachdem er die Klinge ein paar Mal über das Rindsleder gezogen hat. »Nebraska ist viel zu weit weg, Junge. Außerdem verpasst du da draußen all die hübschen Einzelheiten über Rowans nicht existentes, tragikomisches Liebesleben.«

»Das stimmt«, gibt Fionn zu. Er verschränkt die Arme, lehnt sich gegen die Kommode und senkt den Blick. Vermutlich wägt er die numerischen Werte von eingeweiht sein und nicht eingeweiht sein ab und errechnet damit die statistische Wahrscheinlichkeit auf Glück geteilt durch Pi.

Verdammter Nerd.

»Hast du sie schon gesehen?«, fragt er, als er aus seiner analytischen Trance erwacht, und schaut Lachlan direkt an, als wäre ich nicht mal da.

»Nur auf ein paar Fotos.« Lachlan trinkt einen Schluck und grinst, als er meinen finsteren Blick sieht. »Sie ist verdammt heiß. Hat eine entschieden dunkle Seite: Es gefällt ihr, ihren Opfern die Augen auszukratzen, wenn sie noch leben. Die Bullen nennen sie Augenfädler. Aber eigentlich heißt sie Sloane Sutherland.«

»Nimm ihren Namen nicht in den Mund«, knurre ich.

Daraufhin erfüllt Lachlans dröhnendes Gelächter den Raum. Er hebt die Hand mit dem Messer an seinen Mund, lacht aber ungeniert weiter. Der Klugscheißer will mir zweifellos klarmachen, dass von uns beiden er derjenige ist, der eine Waffe hat.

Hielte er keine rasiermesserscharfe Klinge in der Hand, würde ich ihm meine Faust in seine selbstzufriedene Fresse rammen.

»Sagen wir mal, du würdest es irgendwie in die Freundschaftszone schaffen und dann, durch ein verdammtes Wunder, auch noch darüber hinaus bis in die Gunst der Spiderlady, ohne ein Auge zu verlieren: Wie sollte ich sie dann deiner Meinung nach nennen?«

»Keine Ahnung, Arschloch. Wie wär’s mit Königin? Oder Eure Hoheit? Fick dich!«

Ich stöhne auf, als Lachlan jetzt noch lauter lacht. »Also Fickdich. ›Freut mich, dich kennenzulernen, Fickdich. Ich bin dein Schwager, willkommen in der Familie, Fickdich.‹«

Gerade will ich mich auf Lachlan stürzen, da meldet sich mein Wegwerfhandy mit einem Ping.

Das Beste draus machen.

Darunter ein Foto von Sloanes schlanken Fingern, die ein Glas Champagner in der Business-Class eines Fliegers halten. Ihr blutroter Nagellack glänzt im künstlichen Licht der Kabine.

Sofort hämmert mein Herz gegen meine Rippen.

Ich kann fast fühlen, wie sie mir mit diesen Nägeln über Brust und Bauch kratzt, wie sie mit trügerischer Stärke ihre Finger um meinen Schwanz windet. Ich sehe förmlich das Glühen in ihren haselnussbraunen Augen, als sie mich direkt ansieht, und spüre, wie ihr Atem meinen Hals wärmt, während sie mir etwas ins Ohr flüstert.

Lachlan lacht, als könnte er jeden meiner Gedanken lesen. Ich räuspere mich.

Wie ich sehe, bist du schon im Flieger. Das ist … super …

Ja, bin ich. Und du eindeutig nicht. Wir sehen uns, wenn du endlich nachkommst. Aber das wird wohl dauern …