Café Mélange - Bianka Bleier - E-Book

Café Mélange E-Book

Bianka Bleier

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Beschreibung

Erfolgsautorin Bianka Bleier, auch bekannt als "Fromme Hausfrau", gewährt neue Einblicke in ihr Leben. In gewohnter Frische erzählt sie von seinen Höhen und Tiefen. Humorvoll und mit einem Augenzwinkern schildert Bianka Bleier skurrile Unwegbarkeiten des Alltags, nachdenklich und ernst berichtet sie von Trauer, Vergänglichkeit und Abschied. Freimütig spricht sie von Wünschen, Träumen, von Erfolgen und vom Scheitern - und vor allem von ihrer tiefen Freundschaft mit Gott.

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SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7383-4 (E-Book)ISBN 978-3-7751-5816-9 (lieferbare Buchausgabe)

© 2017 SCM Hanssler in der SCM Verlagsgruppe GmbHMax-Eyth-Strase 41 · 71088 HolzgerlingenInternet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: [email protected]

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhausin der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen

Weiter wurden verwendet:Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung,© 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, StuttgartElberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in derSCM Verlagsgruppe GmbH Witten/HolzgerlingenGute Nachricht Bibel, revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe inneuer Rechtschreibung, c 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, StuttgartHoffnung für alle ® Copyright c 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.(R)Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis - Brunnen Basel

Umschlaggestaltung: Patrick Horlacher, StuttgartTitelbild: Lea WeidenbergSatz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Inhalt

Nur-Tage

Wer ist der Wichtigste im ganzen Land?

Das Leben ist ein Tanz

Aus dem Leben gefallen

Öfter mal was Neues

Keine Angst vor der Energie der kleinen Lady

Wie man die Ehe prickelig und die Liebe frisch hält

Himmlische Duftnote

Der Weg und das Ziel

Lobhudelei

Vorfreude ist die schönste Freude

Der andere ist so anders

Gemischte Gefühle

Schönheit vergeht

Kreuz und quer

Stunde der Entscheidung

Frauenlinien

Vergebliche Liebesmüh

Ein trotziger, kleiner Mut

Dem Leben ein Zuhause geben

Ärawechsel

Café-Reise

Tagebuchnotizen

Paradigmenwechsel

Himmelweiter Unterschied

Parfümerie

Popeye lässt grüßen

Sei nicht bekümmert!

Schuldentilgung

Sehnsucht nach Big Dad

Petrüssin

Zaudern und gehen – Gottes Wegführung für Angsthasen

Vater, väterlicher, Gott

Perspektivenwechsel

Warum ich gerne auf dem Dorf lebe

Lavendeltrost

Ja, ich will!

Die Kraft der Worte

Vertrauen

Gottes Heiligkeit an den Polen des Lebens

Zugvögel

Save the dates

Alles wird gut …

Gott ist ein Nähetyp

Super getankt!

Wunschzettel

Herzblut-Geschenke

Endverbraucher

Hand in Hand mit Gott

Tanz der Generationen

Gott bewegt

Warum ich immer noch glaube oder warum ich keinen Grund habe, nicht an Gott zu glauben

Anmerkungen

Leseempfehlungen

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Nur-Tage

Viele Tage meines Lebens fühlen sich belanglos an. Tage, an denen ich nur aufstehe, Routinetätigkeiten verrichte und schlafen gehe. Nur-Tage.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies die Tage sind, nach denen ich mich sehnen werde, wenn mein Leben aus den Angeln gerät. Aber mittendrin in diesen Nur-Tagen fühlen diese sich oft an, als fänden sie gar nicht statt. Als fände das Leben darin nicht statt. Dann muss ich es suchen gehen. Oft finde ich es in den Keimzellen der Menschlichkeit, in kleinen Spuren der Natur.

Meine Freundin, die in einer christlichen Buchhandlung arbeitet, hat ein Gespräch mit einer Kundin, die ihr Herz ausschüttet. Sie ist alt und gebrechlich und pflegt ihren schwer kranken Mann. Sie zergeht fast unter der Last. Andrea hört zu, voller Erbarmen und Mitgefühl. Die alte Frau bedankt sich und sagt beim Gehen: »Sie sind genau richtig hier!« Andrea sagt zu mir: »Dabei habe ich nur zugehört!« Was heißt hier nur?

Ein anderes Mal erzählt sie: »Im letzten Hauskreis hat nur jeder seine schwere Geschichte erzählt. Dann haben wir noch gebetet.« Ich denke, was für ein guter Hauskreis und frage mich wieder: »Was heißt nur? Das war ja essenziell!

Ich beschließe, meinen eigenen »Nur’s« auf den Leib zu rücken und sie zurechtzurücken.

Meine Mutter hat als Berufsbezeichnung immer stolz »Hausfrau« geschrieben. Dadurch war dieser Beruf für mich von Anfang an positiv belegt. Und von daher war für mich der zu meiner eigenen Mutterzeit eingeführte Begriff »Nur-Hausfrau« das Unwort schlechthin. Ich war mit Leib und Seele Mutter und Hausfrau und habe mich gern im Laufe der Jahre und Weiterentwicklung meiner Kinder in mein Berufsleben hineingetastet, das sich so individuell gestaltet hat wie das Leben selbst. Als die Kinder flügge wurden, was ja nur ein paar Jahre gedauert hat, durfte ich noch einmal ganz eigene Wege einschlagen und mit Freunden zusammen einen Traum verwirklichen, ein Dorfcafé mit Laden eröffnen. Als die Zeit und ich reif dazu waren. Unsere mittlere Tochter Lena steht kurz vor ihrer Trauung und räumt ihr Zimmer Stück für Stück leer. Dabei zieht sie Resümee. Sie beobachtet, wie ich mich in mein neues Leben hineintaste, in meine neue Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, und bewertet: »Was ihr jetzt macht ist genial. Aber ich bin heilfroh, dass ihr das nicht vor zehn Jahren gemacht habt, da habe ich dich noch sehr gebraucht.« Nun bin ich zehn Jahre älter und stelle fest: Ich habe nichts verpasst. Diese Nur-Zeit war eine der kostbarsten meines vergänglichen Lebens.

Wir haben unser Laden-Café Sellawie eröffnet. Wenn Menschen sich hier wohlfühlen, denken wir manchmal: Wie einfach! Wir sind doch einfach nur wir selbst, wir hören doch nur hin, wir geben doch nur, was wir sowieso haben, wir öffnen doch quasi nur unser Wohnzimmer. Das, was uns so leicht fällt, was uns in den Schoß gefallen ist, was wir nur zu teilen brauchen, nennt Gott »Gaben«.

In anderen Sprachen gibt es aufschlussreichere Worte für diese drei Buchstaben. Seulement heißt es zum Beispiel im Französischen, Solamente im Italienischen, was auf etwas Einziges, Einzigartiges, Ausschließliches schließen lässt. Das klingt konzentriert statt minderwertig.

Heute war ein guter Tag. Ich habe nur gut geschlafen und einfach gefrühstückt. Dann bin ich nur mit dem Hund ausgegangen und habe mein Tagewerk verrichtet. Dabei bin ich nur einigen Menschen begegnet, habe Fragen gestellt, zugehört und erzählt. Dazwischen habe ich lediglich mein Mittagsmahl eingenommen und das Abendessen vorbereitet. Es ist alles ziemlich einfach gewesen und hat mich wenig gekostet. Es war nur ein Tag. Ein Nur-Tag. Ein Seulement-Tag. Ein einzigartiger Tag …

Vielleicht habe ich nur jemandem einen Rahmen geboten, in dem er sein Leben etwas leichter leben konnte. Vielleicht war ich nur ein Tropfen auf einem heißen Stein. Vielleicht war ich durch mein Nur-Dasein heute für jemanden wichtig. Und wenn es nur für den Hund war. Oder einzig und allein für Gott …

Ich traf nur Wilkins

An einem der letzten Abende hatte ich wirklich Glück. Ich meine damit nicht, dass ich Geld gewonnen hätte oder so was. Nein. Ich traf nur Wilkins. Er machte einen kleinen Spaziergang und ich machte einen kleinen Spaziergang, und da trafen wir uns, und wir standen und unterhielten uns, und die Abendsonne schien noch warm, und ein Vogel sang über uns, und die Welt war friedlich und schön. Wir redeten über dies und das, und die Zeit verging wie im Flug. Wir lachten ein bisschen zusammen und bedauerten einen gemeinsamen Freund, der krank ist – und dann ging jeder nach Hause: Das war alles. Aber es tat wirklich gut, Wilkins so unerwartet zu treffen und miteinander zu reden und einander sympathisch zu finden. Es klingt nicht nach viel, oder? Aber ich genoss es …1

Herbert Leslie Gee

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Wer ist der Wichtigste im ganzen Land?

Einst war ich fassungslos glücklich, als mich der Mann auserwählte, den ich mir auserwählt hatte. Ich konnte nichts anderes mehr denken als an seinen Namen, seine Schönheit, sein Lachen, seinen Schmerz, sein ganzes Wesen. Ich wollte jede freie Minute bei ihm sein, ihn ansehen, selbst wenn er schlief, seine warme Haut riechen, seinen Atem spüren, seine Stimme hören.

Ich erlebte, was es heißt, seine Geliebte zu sein.

Das Leben war wunderschön miteinander. Unsere Liebe wurde so groß und ausschließlich, dass wir uns vorstellen konnten, miteinander alt zu werden. Wir verschmolzen. Wir heirateten. Gemeinsam waren wir unbesiegbar. Unvorstellbar, dass jemand den besten Platz der Welt streitig machen konnte: Ganz nah beim anderen.

Ich erlebte, was es heißt, seine Frau zu sein.

Wir meisterten unseren Alltag, wuchsen an unseren Krisen, genossen unsere Zweisamkeit und reiften unserer Zukunft entgegen.

Irgendwann war das Fundament so stark, dass wir uns vorstellen konnten, miteinander ein Kind zu haben.

Unwesentlich später war ich schwanger. Neun Monate lang versuchte ich das Wunder zu begreifen, das sich in meinem Leib abspielte. Ich begriff es nie. Neun Monate lebte unser Kind geschützt in mir. Neun Monate lang barg und nährte ich es, erlebte ich eine Gemeinschaft bisher ungekannter Dimension. Gespannt wartete ich auf den Tag der Abnabelung und des Kennenlernens außerhalb von mir.

Dann war unsere Tochter da. Frucht unserer Liebe. Fleisch von meinem Fleisch. Ihre Bedürftigkeit rührte mich im Innersten meiner Seele. Ihre Abhängigkeit wurde zu einem unsichtbaren Band, das uns beide verband. Beim Stillen verschmolz ich mit ihr.

Das Leben war wunderschön miteinander. Ich war fassungslos glücklich, dass ausgerechnet ich ausgerechnet dieses Wunderwesen zum Kind hatte. Ich konnte nichts anderes mehr denken als an seinen Namen, seine Schönheit, sein Lachen, seinen Schmerz, sein ganzes Wesen. Ich wollte jede freie Minute bei ihm sein, es ansehen, selbst wenn es schlief, seine warme Haut riechen, seinen Atem spüren, seine Stimme hören.

Unsere Liebe war so groß und ausschließlich, dass ich mir kaum vorstellen konnte, nicht miteinander alt zu werden.

Ich erlebte, was es heißt, ihre Mutter zu sein.

Seither bin ich Geliebte und Mutter. Seither streiten zwei Seelen in meiner Brust. Bzw. zwei Seelen um meine Brust … Wer hat Vorrang in meinem Herzen?

Es ist eine sensible Situation, wenn das erste Kind kommt. Beide Partner müssen in neue Rollen hineinwachsen. Zentral wird sein, ob sie noch ein Liebespaar bleiben.

Die Frau besitzt für diese Weichenstellung für die Zukunft der Ehe einen wichtigen Schlüssel. Es wird entscheidend sein, ob der Partner oder die Kinder bei ihr an erster Stelle stehen. Welche innere Haltung wird sie einnehmen?

Die Versuchung ist groß, sich auf die Seite des Kindes zu schlagen. Es kostet Anstrengungen, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, dass auch die Ehe gepflegt werden muss, gerade jetzt. Dass das neue Wesen Raum beansprucht, aber dass Gespräch und körperliche Nähe zwischen den Partnern nicht abreißen dürfen. Das braucht Zeit, Fantasie, aber vor allem die Willensentscheidung dazu.

Die Frau braucht keine Angst zu haben davor, dass die Spuren der Schwangerschaft und Stillzeit sie für ihren Mann unattraktiv machen. Er verehrt ihre neue Sinnlichkeit, er bewundert ihre Fähigkeit zu gebären und ihren Instinkt im Umgang mit dem Neugeborenen, er ist dankbar, wenn sie ihn darin liebevoll einführt und ihm Vaterschaft zutraut. Und: Er ist erleichtert, ihren Körper nicht mehr auf diese substanzielle Weise teilen zu müssen wie in der Schwangerschaft. Sprich, er freut sich auf ungeteilte Zweisamkeit, auf Einssein mit seiner Partnerin.

Eine Frau kann davon ausgehen, dass sich durch die Geburt eines Kindes nichts daran ändert, dass sie im Herzen ihres Mannes den ersten Platz behält. Jeder Mann ist in seinen Grundfesten erschüttert, wenn er nicht Nummer eins im Leben seiner Frau bleibt.

Seine Trauer, Resignation und Entwurzelung sind groß, wenn seine Frau sich in ihre Mutterrolle zurückzieht, schlimmstenfalls die Kinder zum Podium erklärt, um Machtkämpfe auszuleben und Druck auszuüben. Dann fühlt er sich zu Recht ausgeschlossen und zurückgewiesen.

Kein frisch gebackenes Elternpaar wird darum herum-kommen, diese Entscheidung für sich zu treffen und im Alltag durchzubuchstabieren, grundsätzlich und immer wieder. Dass wir Partner an erster Stelle stehen, war für unsere Ehe ein wichtiges und notwendiges Signal. Unsere Entscheidung lautete: Unsere Kinder sind die Frucht unserer Liebe, nicht ihre Basis. Sie dürfen nicht den Platz des Partners streitig machen.

Es ist von unschätzbarem Wert für die ganze Familie, wenn beide Partner sich helfen, in ihre neuen Rollen hineinzuwachsen und sich gleichzeitig Heimat bleiben als Geliebte, die sie auch vor der Geburt des Kindes waren. Das bedeutet, sich gegenseitig Freiräume zu gönnen und zu verschaffen und immer wieder auf Zeit zu zweit zu achten.

Glückliche Eltern sind die beste Voraussetzung für glückliche Kinder! Und glückliche Kinder sind eine gute Voraussetzung für glückliche Ehepartner. Sie klammern nicht und ruhen genügend in sich, dass sie ihren Eltern Zeit füreinander als Selbstverständlichkeit zugestehen. Für Kinder ist es darüber hinaus eine klare, gesunde Linie, zu wissen, dass die Eltern sich sehr wichtig nehmen und sowohl Eltern als auch Kinder mal zurückstehen müssen. Kinder akzeptieren das.

Als kleines Mädchen habe ich einmal meinen geliebten Vater gefragt: »Wen liebst du mehr, Mutti oder mich?« Gespannt habe ich auf seine Antwort gewartet. Sie war so undiplomatisch wie klar: »Deine Mutter!« Ich erinnere mich noch gut an die Mischung von Enttäuschung und Sicherheit, die mir diese Worte vermittelt haben.

Es wird genügend Situationen geben, in denen die Bedürfnisse der Kinder vorgehen müssen. Dennoch kann die Grundbotschaft aneinander, der Grundton der Ehemusik, lauten: Ich verliere dich nie und nimmer aus den Augen. Du bist mir der wichtigste Mensch der ganzen Welt. Ich liebe, ehre und begehre dich. Ich bin überglücklich, diese Kinder mit dir zusammen gezeugt zu haben. Bevor sie da waren, waren wir schon ein Paar. Wenn sie einmal eigene Wege gehen, werden wir (hoffentlich) immer noch füreinander da sein.

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Das Leben ist ein Tanz

Augustinus wird der lebensbejahende Satz zugeschrieben »Mensch, lerne tanzen! Sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen!« Also nutzen wir während der langen Winterabende ein Tanzwochenende in unserer Gemeinde, um unsere dreißig Jahre alten Tanzkenntnisse aufzufrischen. Zwei Menschen mit Rhythmus im Blut kommen angereist, um ein paar mutigen Paaren über Hemmschwellen und Stolpersteine hinweg zu Gleichklang und Balance zu verhelfen.

Tanzen – der Versuch zweier Menschen, sich synchron zu bewegen mit dem Wunsch, dass sich dabei Harmonie und Romantik einstellen oder zumindest Spaß.

Leider kann daraus schnell ein Machtspiel werden. Wer führt? Wer hat hier recht? Wir sind mit Spannungen angekommen und nehmen diese mit ins Tanzen. Statt tänzerischer Leichtigkeit stellt sich erst einmal Ehebrisanz ein … Der Tanztrainer erzählt: Von hundert Paaren, die heiraten wollen und sich deshalb für einen Hochzeitstanzkurs anmelden, heiraten hinterher achtzig Paare …

Zuerst einmal empfinde ich Unbehagen darüber, dass ich mich führen lassen soll. Als junge Frau ging es mir sehr darum, emanzipiert zu sein. Ohne Kavaliersanspruch wählte ich einen jungen Mann, der in seinem Leben nicht auf die Idee kommen würde, mir in den Mantel zu helfen, solange ich noch selbst hineinkomme. »Der Mann führt. Darüber gibt es keine Diskussionen!« Befremdet entdecke ich Freude seinerseits, die Führung offiziell zugewiesen zu bekommen. Wenn er wenigstens sicher führen würde! Wir Frauen sollen die Augen schließen und uns in drei experimentellen Phasen durch den Saal führen lassen. Das fördere blindes Vertrauen. Phase eins: Der starre Arm des Mannes. Phase zwei: Gummiarm. Phase drei: Impulse seitens des Mannes, wenn sich die Richtung ändern soll, ansonsten lose Verbindung. Das geht am besten für beide. Mit der Zeit werde ich lockerer, entscheide mich dafür, Werner führen zu lassen. Wenn etwas aufgrund mangelnder Führung schiefgeht, muss er lernen. Eigentlich entspannend. Je mehr Vertrauen ich schöpfe, dass Werner mich führt, desto besser führt er. Was wiederum Vertrauen aufbaut. Das erinnert mich irgendwie an mein Glaubensleben. Ist es nicht auch Gottes Führungsstil, dass er mir hin und wieder hilfreiche Impulse gibt und ansonsten eine lose Verbindung sucht?

Ich sehe grinsende Gesichter um mich herum. Wir stolpern und eiern über die Tanzfläche. Wir finden uns nicht sofort. Aber immer wieder. Es ist wie beim Reiten. Zwei Wesen müssen gemeinsam ins Gleichgewicht finden, damit sie in Einklang kommen. Das sieht bei jedem Paar etwas anders aus.

Die Tanztrainer ändern nichts am individuellen Stil der einzelnen Paare. Sie wollen keine homogenen Ergebnisse. Im Laufe des Wochenendes findet jedes Paar seine eigene Sprache. Die einen hüpfen leichtfüßig wie Funkenmariechen. Es geht von der Dame aus und springt auf den Herrn über, der die ganze Zeit still und aufmerksam Blickkontakt sucht, in seinen Augen sprühen Funken angesichts seines zufriedenen Mariechens. Andere marschieren große Wegstrecken miteinander ab und konzentrieren sich auf die Schrittfolgen, erleichtert darüber, dass sie das miteinander hinkriegen. Sie werden nicht zu mehr Leichtfüßigkeit ermahnt, sondern gelobt für das, was sie schon schaffen. Da ist die Frau, die sich so sehr vor dem Tanzen fürchtet, dass sie sich fast nicht durch die Eingangstür wagt, sie kämpft mit Tränen, gegen ihre vernichtende Selbsteinschätzung (ich habe kein Rhythmusgefühl) und alte Prägungen (ihre strenge, pietistisch geprägte Mutter hat ihr das Tanzen verboten als junge Frau). Die Tanzlehrerin hebt sie behutsam über die Hemmschwelle und geleitet sie in den nächsten Tagen liebevoll bei einem zauberhaften Prozess der Befreiung. Sie entdeckt ihr sehr wohl vorhandenes Rhythmusgefühl und einen neuen, tänzerischen Zugang zu ihrer Weiblichkeit. Königliches Lächeln, als ihr Mann verzaubert sagt: »Ich entdecke ja eine ganz neue Seite an dir!« Entmythologisierungen …

Wie gut, einen Gott zu haben, der uns den Rhythmus ins Blut gelegt hat und sich darüber freut, wenn er uns tanzen sieht. Wir sind nicht mehr den unbarmherzigen Bewertungen unserer Schulzeit ausgeliefert, bei denen unsere kindliche Selbstliebe so viele Risse erhalten hat. Wie oft bekam ich ein »Befriedigend«, ein »Ausreichend«. Wie fürchtete ich das »Mangelhaft« oder gar »Ungenügend«. Wie vernichtend war es, so infrage gestellt zu werden.

Gott schätzt unsere kleinen Erfolge, er würdigt unsere Bemühungen, er feiert unsere Anfänge! Unser Leben besteht zum Großteil aus kleinen Schritten. Gott sagt: »Ich weiß alles, was du tust. Ich habe dein Bemühen und dein geduldiges Warten gesehen« (Offenbarung 2,2a).

Mag sein, dass innere Stimmen uns quälen, bewerten, beurteilen, verurteilen. Dass fiese, kleine Antreiber in einer Ecke unseres Herzens sitzen und penetrieren: »Es reicht nie!« »Du bist nicht gut genug!« Dass sie uns anlügen: »Du brauchst Einfluss, Schönheit und Erfolg, um angesehen und glücklich zu sein! Du musst alles richtig machen, um dabei zu sein und geliebt zu werden!« Aber Gott ist anders. Gott ist kein Sklaventreiber, sondern ein Befreier. Seine Stimme ist nicht die eines Anklägers, sondern die eines Fürsprechers, Trösters und Ermutigers. Er blickt nicht defizitorientiert auf uns, sondern liebevoll und barmherzig. Gott liegt sehr daran, uns echtes, erfülltes Leben zu schenken. Augustinus hat sich mit einem weiteren wundervollen Satz verewigt: »Der Mensch ist aus dem Lachen der Dreieinigkeit geboren!«

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Aus dem Leben gefallen

Ich war gerade von einer gesegneten Frauenfreizeit auf dem Dünenhof zurückgekehrt. Wir haben als Team versucht, Frauen zu helfen, aus ihrem Alltag herauszutreten und sich neu auszurichten. Wir haben Angebote für Geist, Körper und Seele gemacht, wir haben gesungen, gelacht, geweint und auf Gott gehört. So viel war geschehen in der einen Woche. So viel Gutes. Nach einem Jahr der Vorbereitung war die Woche wie im Flug vergangen. Am Ende kehrten wir selbst als Beschenkte zurück. Am ersten Abend versuchte ich, die Eindrücke in meinem Kopf und Herzen zu ordnen. Ich betrachtete Fotos, las Briefe von Teilnehmerinnen und meine Tagebuchnotizen. Es war, als habe Gott unsere leeren Hände mit einem Segensstrom gefüllt, den wir an die Frauen weitergeben konnten. So viel war geschehen, wir waren über unsere Erwartungen beschenkt und beschämt.

Mit dem Gefühl, einen großen Berg überwunden zu haben, freute ich mich dankbar erleichtert auf die Zeit der Nachlese und Erholung. Zeit zum Mich-Fallen-Lassen, Zeit für ein kleines Fest mit mir allein. Ich hatte Lust auf Wein und Chips. Beschwingt machte ich mich auf den Weg zum Vorratsschrank im Keller, verfehlte den ersten Tritt der steilen Treppe und stürzte. Während ich fiel, war ich schon fassungslos. Das war mir in den zwanzig Jahren, seit wir hier wohnen, noch nie passiert. Auf der Suche nach Halt griff ich mit dem linken Arm instinktiv nach hinten.

Der Aufprall war heftig. Ich wusste sofort, dass ich meinen linken Arm nicht mehr bewegen konnte. Mein Rücken schmerzte. Mir wurde übel. Mit Schüttelfrost verbrachte ich die nächsten Stunden auf dem Sofa, die Nacht regungslos auf der rechten Seite.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals im Leben so starke, lang anhaltende Schmerzen gehabt zu haben. Jede minimale Bewegung des linken Arms erzeugte stechende Schmerzwellen und nachts suchte ich vergeblich nach einer Möglichkeit, den Arm schmerzfrei zu lagern.

Die erste Untersuchung ergab keine Verletzung, sondern den Rat, mich gegen den Schmerz zu bewegen, um nicht zu versteifen. Einen Verband erhielt ich nicht. Drei qualvolle Wochen später stellte sich bei einer gründlicheren Untersuchung heraus, dass der Schulterknochen gebrochen und drei Sehnen gerissen waren.

Durch die anfängliche Fehldiagnose, die fehlende Ruhigstellung und meine unnatürliche Schonhaltung kamen in den folgenden Wochen und Monaten weitere Probleme dazu. Ich konnte über viele Wochen hinweg nur in einer einzigen Position liegen. Dadurch entzündete sich die gesunde Schulter mit ähnlichen Schmerzsymptomen, sodass ich überhaupt keinen Schlaf mehr finden konnte. Ein Wirbel begann mir großen Ärger zu bereiten. Statt mich allmählich zu erholen, manifestierte und verbreiterte sich der Schmerz als Dauerzustand. Mit der Zeit vertrug ich die Schmerzmittel immer schlechter, ich war appetitlos, kurzatmig und mir war die meiste Zeit des Tages speiübel.

Ich gehöre leider nicht zu den ausgesprochen tapferen Menschen, sondern neige dazu, alarmiert auf Schmerzmeldungen zu reagieren, mich schnell zu sorgen und mit dem Schlimmsten zu rechnen. Meine Lebensfreude kippt dann schnell Richtung Grübelzwang, Angst, Schwermut und Pessimismus.

Leicht irritierbarer Schlaf gehört sowieso zu meiner sensiblen Grundausstattung. Nach vielen einsamen, angstvollen Nächten in völliger Schlaflosigkeit fand ich mich in einer Abwärtsspirale von Ratlosigkeit, Schmerz und Unruhezuständen. Ich konnte das Adrenalin gar nicht mehr so schnell abbauen, wie es mich überfiel. Panikattacken und das Gefühl von Perspektivlosigkeit brachten mich zur Verzweiflung. Ich brauchte Medikamente gegen Schmerzen, Übelkeit, Schlaflosigkeit und Angst. Untersuchungen, Notarzt, Medikamente, Nebenwirkungen – irgendwann kapitulierte meine Seele.

Gleichzeitig begann Anna sich nach Brautkleidern umzusehen, erkundigte sich Lena nach einem einjährigen Aufenthalt in Australien, fiel die Entscheidung, dass Jans Zukunft sich in einem Internat hundert Kilometer entfernt abspielen würde, schwebte die Gemeinde in einer existenziellen Krise. Ich vermisste die Fürsorge meines Mannes, der sich um unser Familienleben, seinen Beruf, die Probleme in der Gemeinde kümmerte und gefühlt auf sicherlich überlebensnotwendigen Abstand zu mir ging. Ich vermisste eine Perspektive für unser Leben.

Ich war entsetzt, wie schnell sich mein Leben verändert hatte, durch einen kleinen Fehltritt. Meine körperlichen und seelischen Kräfte waren aufgebraucht. Ich betete und flehte zu Gott um Hilfe, aber Tag für Tag rutschte ich tiefer hinunter in ein dunkles Tal. Eines Tages saß ich völlig verzweifelt im Wartezimmer eines Psychiaters, gemeinsam mit Menschen, die ich früher als »verrückt« bezeichnet hätte. Nun war ich eine von ihnen. Welch eine Demutserfahrung. »Depressive Episode mittleren Schweregrades« lautete die Diagnose.

Ich hatte mich immer als starke Frau erlebt. Nun war ich handlungsunfähig. Ich konnte nicht mehr kochen, nicht mehr mit dem Hund eine kleine Runde spazieren gehen, ich konnte nicht einmal mehr schreiben geschweige denn lesen. Ich hatte das Gefühl, mit dem Sturz aus dem Leben gefallen zu sein. In der Gemeinde wurde renoviert und umgezogen und ich war nicht dabei. Anna machte Examen, Lena Abitur und ich konnte sie nicht unterstützen. Ich konnte nicht mehr in der Buchhandlung mitarbeiten. Ich konnte mich nicht mehr um andere kümmern, ich hatte nichts mehr zu geben. Ich konnte nichts mehr von all dem tun, was ich gern tat, was mir Kraft, Erfüllung und Bestätigung gab und was ich als meine Identität empfunden hatte. Wer war ich noch? Für meine Mitmenschen war ich eine Belastung geworden. Viele reagierten hilflos und zogen sich zurück. Ein Kern von Freunden stand mir bei.

Es ist interessant, was von einem übrig bleibt, wenn man nichts mehr tun kann.

Wie sehr man sich über das Tun definiert. Es war schwer, mich so schwach und ängstlich auszuhalten und anderen zuzumuten. Lieber bin ich stark als schwach.

Lieber helfe ich anderen, als dass ich mir von anderen helfen lassen muss.

»Meine Zeit steht in Gottes Händen« bekam für mich eine ganz neue Bedeutung. Meine Zeit stand still. Nie zuvor habe ich mich so schwach erlebt. Ich betete, aber ich wartete lange vergeblich darauf, dass Gott einschritt. Er hat gewartet. Ich betete, dass es besser werden sollte, aber es wurde immer noch ständig schlechter.

Immer wieder stöhnte, seufzte ich das Lied: »Du siehst die Wunden und heilst mein Herz, beugst dich in meine Not hinab und trocknest meine Tränen ab«.2 Ich hatte solch eine Sehnsucht danach, dass Gott sich mir nahen würde.

Jesus entfremdete sich mir mehr und mehr. Vom Kopf her war mir noch klar, dass der »gute« Hirte immer noch vorausging, aber offensichtlich war er gerade um die Ecke gegangen und hatte längst vergessen, nachzusehen, ob ich noch mitkam. Der Weg, den er mich führte, ging Tag für Tag tiefer in ein dunkles Tal, das mich das Entsetzen lehrte. Ich wartete darauf, endlich in der Talsohle anzukommen in der Hoffnung, dass er mir ein Licht am Ende des Tals zeigen würde.

Ich weiß nicht, wie andere Christen damit klarkommen, wenn Gott ihre Wunden sieht, aber nicht heilt, wenn sie ihn darum bitten. Ich hab mich im Stich gelassen gefühlt. Mein Glaube lebt davon, dass ich Gott in der Natur, in der Musik, in Bildern, durch sein Wort spüren kann. Ich brauche Zeichen seiner Nähe, um vertrauen zu können.

Es tut weh, wenn Gott auf sich warten lässt. Ich hatte das Gefühl, dass er mich am ausgestreckten Arm verhungern ließ. Wenn ich an Gott dachte, überfiel mich Traurigkeit und Enttäuschung. Verlassenheitsgefühle aus dem dunklen Erinnerungsverlies meiner Kindheit meldeten sich aus der Zeit meiner Krankenhausaufenthalte mit völligem Besuchsverbot. Ich konnte nicht mehr in der Bibel lesen, wie immer, wenn mich die Angst im Griff hat. Ich konnte nur noch zehren von dem, was von Gottes Wort in mir abrufbar war. Und von dem, was andere mir brachten. Brian Doerksens Vertonung von Psalm 13 wurde zu meinem Lied:

Wie lange noch vergisst du mich, Herr?

Wie lange noch verbirgst du dich vor mir?

Wie lange noch ist die Seele voller Angst

Und Tag für Tag drücken Sorgen auf mein Herz?

Wende dich doch zu mir, o Gott, mein Vater,

Bring Licht in mein Dunkel, bevor ich falle, Herr.

Doch ich will deiner Liebe vertraun.

Ja, mein Herz soll sich freun.

Ich singe von deiner Liebe zu mir.

Denn du bist gut, wie du es warst, mein Herr.

Meine Glaubensgefährdung ist, dass ich Angst vor Gott bekomme, was er alles zufügen, zulassen könnte. Dann fällt es mir schwer, an seine Vaterliebe zu glauben. Das hat ja oft mit eigenen Vatererfahrungen zu tun, was da hochkommt und heil werden will.

In Wahrheit hat Gott mich wohl nicht allein gelassen. An jedem Tag kam jemand, der mich ermutigt hat, zu glauben, zu vertrauen. Jemand, der mich massiert hat. Jemand, der mit mir gebetet hat. Jemand, der mich zu Hause rausgeholt hat. Jemand, der mich zum Arzt gefahren hat. Jemand, der mit mir geweint hat. Jemand, der mich ausgehalten und mir zugehört hat. Da war immer jemand, der noch Kraft für mich hatte und sich einfühlen konnte.

Einmal, als ich nur noch weinend beten konnte: »Jesus, berühre mich«, stand eine Freundin mit Massageöl in der Tür. Sie massierte mir eine Stunde lang die Füße. Danach habe ich zum ersten Mal wieder ein paar Stunden geschlafen.

Wie durch ein Wunder erhielt ich zeitnah Termine bei einem christlichen Psychotherapeuten. In aller Ruhe begann ein guter, langer, heilsamer therapeutischer Weg.

Eines Tages zeigte mir mein Seelsorger eine Zeichnung von Jesus mit Dornenkrone, der eine Frau umarmte. Blut floss aus seinen Wunden im Kopf und seinen Händen. Er fragte: »Können Sie damit etwas anfangen?« Bilder sprechen manchmal eine lautere Sprache als Worte. Fassungslos starrte ich auf Jesus und die Frau. Ich nahm das Bild und ging.

So nah? So intim? So auf Augenhöhe? So verschwitzt, verwundet, verletzt, verhöhnt, blutend, geschunden, nah? Für mich?? Aus solch tiefer Liebe? So viel bin ich wert?? Herz an Herz … kommt mir Jesus so nah? Hat er all das ganz persönlich für mich ausgehalten?? Wie steht es mit mir und Jesus?

Das Bild war eine Provokation für mich, zu konkret, zu persönlich, zu grenzwertig. Zu blutverschmiert, zu körperlich … Erst habe ich das Bild von mir gewiesen. Dann habe ich es immer wieder angesehen: Jesus, dem noch die Angst und die durchstandenen Schmerzen anzusehen sind.

Über mein Gottesbild habe ich mir hier und da Gedanken gemacht. Über mein Jesusbild nicht. Jesus ist mein Hirte, er geht mir voran, aber dass er mir so nah kommt, dass er mich so menschlich berührt, dass er mich in den Arm nimmt?

Es hat mich neu gepackt, dass seine Liebe so ausdrücklich mir persönlich gilt. Dass Jesus mich nicht platonisch liebt, sondern so greifbar und innig. Rein gewaschen zu sein durch sein Blut habe ich mir noch nie so plastisch, so konkret vorgestellt.

Wenn ich einen Jesusfilm sehe, muss ich immer an denselben Stellen weinen. Beim Bibellesen geht mir das nicht so. Aber ich bin tief berührt, wenn ich diesen in die Ecke gedrängten, schwachen, gedemütigten, misshandelten Menschen Jesus sehe. Ich muss mir Jesus immer wieder »herholen« aus seiner Unsichtbarkeit heraus. Er kommt mir besonders dann nah, wenn ich mich selbst in ihm entdecke. Wenn ich in dem schwachen, traurigen, verzweifelten, zermürbten, ringenden, bittenden Jesus meiner eigenen Angst, Trauer und Schwachheit ins Angesicht sehe. Auf einmal weiß ich mich von Gott verstanden und gesehen, bricht seine göttliche Allmacht auf in Nahbarkeit, Menschlichkeit, Erbarmen wie das Licht im Regenbogen.

In den nächsten Tagen wirkte das Bild in mir nach, änderte mein Jesusbild und führte mich zu der Frage nach meinem Selbstbild. Jesus war nicht länger der saubere, abgeklärte Hirte, der weit vorausging, unerreichbar weit, so weit, dass er manchmal schon um die Ecke gegangen schien, unsichtbar, nicht mehr viel mehr als eine Erinnerung, eine Ahnung. Ich war nicht länger das verlorene Schaf, das verzweifelt durch die Welt irrte, mutterseelenallein, hilflos, verloren. Ich war wieder daheim, angekommen bei diesem verletzten, mitfühlenden Jesus, in seinen göttlichen Armen.