Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Name Casanova ist den Menschen sehr wohl bekannt, denn er wird mit einem bestimmten Typus männlicher Selbstdarstellung verbunden. Giacomo Casanova schrieb seinerzeit seine Biographie auf und erregte mit den beschrieben erotischen Abenteuern viel Aufsehen. Doch leichtfertige Verfälschungen des Textes haben das literarische Ereignis Casanova zu einer billigen Operette gemacht. In diesem Werk studiert Thilo Koch die Person Casanova anhand des neu vorliegenden Memoiren-Textes und gibt dem Leser ein überraschendes Bild dieser besonderen Persönlichkeit.-
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 81
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Thilo Koch
SAGA Egmont
Casanova, der Autor seines Lebens
Copyright © 1959, 2018 Thilo Koch und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711836347
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach
Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com
»Ich erhebe Anspruch auf die Freundschaft, die Achtung und die Dankbarkeit meiner Leser. Auf ihre Dankbarkeit: wenn das Lesen meiner Erinnerungen sie belehrt und ihnen Vergnügen macht. Auf ihre Achtung: wenn sie mir Gerechtigkeit widerfahren lassen und mich reicher an guten Eigenschaften als an Fehlern finden. Auf ihre Freundschaft: wenn sie mich dieser würdig finden wegen des Freimutes und des Vertrauens, womit ich mich ohne Verkleidung, ganz wie ich bin, ihrem Urteil überliefere.«
Casanova, Memoiren.
»Ich hielt ihr die Austernschalen an den Mund, und nachdem sie viel gelacht hatte, schlürfte sie die Auster ein und hielt sie zwischen den Lippen fest. Schnell nahm ich die Auster, indem ich meine Lippen auf ihren Mund preßte; ich tat dies jedoch in sehr anständiger Weise. Aber man stelle sich meine angenehme Überraschung vor, als ich sie zu mir sagen hörte, es komme mir zu, das Geschenk zurückzuerstatten. Man kann sich denken, mit welcher Wonne ich dies tat.« (VI,468)
»Sie« heißt in diesem Falle Armellina, ist ein Klosterzögling, und Rom im Jahre 1771 stellte die Kulisse für eine der bezeichnenden Intrigen Casanovas. Er ist 46 Jahre alt und zweifelt schon an der Kraft seiner Verführungskünste. Von Jugend auf gewöhnt, zu kommen, zu sehen und zu siegen, braucht er jetzt Hilfsmittel. Für die widerstrebende Armellina erfindet er das Austern-Spiel. Mit welchem Erfolg – wir werden sehen.
Die tausend Geschichten seiner tausend Liebschaften – Casanova hat sie in den Memoiren so anschaulich geschildert, daß in ihnen allen die Grundfigur seiner Liebe sichtbar wird. Armellina, Ignazia, Lia, Esther, Irena, Callimene, Betty, Adele, Pauline, Auguste, Marcolina, Rosalie, Veronika, Teresa, Mariuccia, Helene, Agata, Irene, Clementine, Camilla, Manon, Sarah, Henriette, Bettina, Genoveffa, Giulietta, Christina – e tutti quanti, sie erregen seine Begierde, er wirbt um sie, sie ergeben sich, er verläßt sie.
Der äußere Ablauf indessen besagt nicht alles – viel, aber nicht alles. Das Geheimnis des Casanova-Erfolges in der Liebe ist: daß er alles der Liebe unterordnet, daß er – vollkommen rücksichtslos gegen sich und andere – alles riskiert, um die Frau, die er begehrt, zu erobern.
Gewiß, Casanova bringt viele Voraussetzungen dafür mit, einer Frau zu gefallen: eine nimmermüde, schier unerschöpfliche Natur, Großzügigkeit, Mut und Ausdauer, Lebensart, männliches Auftreten, ein funkelndes Talent für Konversation., Zartheit ebenso wie Rücksichtslosigkeit. Aber all das vereinigt sich auch sonst manchmal, so oder so gemischt, in einem Manne. Casanovas Einzigartigkeit ist, daß er alle seine Gaben und Erfahrungen unumschränkt mobilisiert für die Liebe. Sie war sein einziger wirklicher Beruf; er wurde ihr Virtuose.
Was heißt das?
Als er in London ist und zunächst ziemlich einsam und ziemlich reich in einem gemieteten Haus sitzt, entwirft er ein Plakat und befiehlt, es am Fenster auszuhängen. Darauf steht:
»Zu vermieten:
zweites oder drittes Stockwerk, möbliert, an ein alleinstehendes und unabhängiges junges Fräulein, das Englisch und Französisch spricht und weder bei Tage noch bei Nacht Besuche empfängt.«
(V, 220)
Natürlich beißt sehr bald ein Fischlein an, und es ist sogar ein rechter Goldfisch. Pauline ist sein Name, er kommt aus Portugal, hat einen Entführungsroman erlebt, und Casanova konstatiert nach der ersten Unterredung:
»Ich war schon voller Hoffnung; dieser Glücksfund erfüllte mich mit inniger Freude. Um mein Temperament zu befriedigen, brauchte ich keine Frau – denn das findet man überall; aber ich brauchte eine, um sie zu lieben. Es war für mich eine Notwendigkeit, an dem Gegenstand meiner Zärtlichkeit Schönheit des Leibes und der Seele zu finden, und meine Liebe wuchs im Verhältnis zu den Schwierigkeiten, die sich meiner Voraussicht nach dem Erfolge entgegenstellten. Ich gestehe, daß ich einen Mißerfolg als unmöglich ansah; denn ich wußte, daß es keine Frau gibt, die der ausdauernden Bewerbung und den Aufmerksamkeiten eines Mannes widerstehen könnte, der sie verliebt machen will, besonders, wenn dieser Mann sich in den Verhältnissen befindet, große Opfer bringen zu können.« (V, 225)
Mit »Opfer« meint Casanova hier ganz realistisch: Geld. Aber seine Abenteuer zeigen, daß er auch alle anderen Opfer zumeist vollkommen bedenkenlos auf sich nimmt. Einmal, ein einziges Mal, opfert er sogar seine Begierden der reineren Liebe zu einer schönen Seele. Die Freundin eines Freundes ist schwanger; der Freund – es ist ein anderer Abenteurer, namens Antonio della Croce – gerät durch Falschspiel ins Unglück und muß flüchten; Casanova geleitet das Mädchen von Spa in Belgien sicher und geduldig nach Paris; dort stirbt Charlotte, so heißt sie, im Kindbett und in den Armen Casanovas; darauf wird er selber krank vor Trauer um diese Frau, die nie die Seine war.
Aber gewöhnlich sehen die Opfer anders aus. Er ruiniert sich mit vollem Bewußtsein finanziell, indem er der Angebeteten Diamanten und Kleider schenkt, eine Kutsche, Pferde, Bedienstete. Manchmal inszeniert er Galadiners für die ganze Aristokratie einer Stadt – wie einmal in Aachen –, um einer Frau zu gefallen. Er schlägt sich wieder und wieder auf Tod und Leben um Frauen: einmal sogar mit einem polnischen Ulanenoberst, dem Großhetman Xawery Branicki, den er auf Pistolen besiegt. Der Tod eines Nebenbuhlers gilt ihm nichts, denn »seine Liebe wächst im Verhältnis zu den Schwierigkeiten, die sich dem Erfolge entgegenstellen«. Jederzeit bedenkenlos und selbstverständlich opfert er seine Gesundheit. Sogar wenn er in den Memoiren maßlos übertreibt, was man ihm unanzweifelbar nachgewiesen hat, selbst dann müssen seine Leistungen in puncto puncti monströs gewesen sein.
Ich möchte hier meinen Versuch, eine Erklärung für das Phänomen Casanova, insonderheit für seine Art von Liebe zu finden, einen Augenblick unterbrechen. Ich möchte zunächst eine Erklärung dafür suchen, warum ich diese Arbeit über Casanova schreibe.
J. Rives Childs, ein Amerikaner, hat kürzlich für die »Casanova Society of Virginia« eine 400 Seiten umfassende Casanova-Bibliographie herausgegebena. Danach verfaßte Casanova außer den Memoiren nachweislich dreiundvierzig Werke. Aber über Casanova wurden eintausendundsiebenunddreißig Bücher und Aufsätze verfaßt. Warum schreibe ich den eintausend-undachtunddreißigsten?
Der Mann, der mich hier interessiert, ist vor 234 Jahren geboren (1725) und starb vor 160 Jahren (1798). Was geht er uns an? Sein Name wurde zum Schlagwort, sein Leben zur Operette, und seine Leistung in der Literatur wird zumeist mit einem gewissen Schmunzeln quittiert. Viele Leute kennen zurechtgestrichene oder gar nachgedichtete Auswahlen aus den Memoiren; wenige haben die 4500 Seiten der vollständigen Ausgabe gelesen.
Ich sehe hiernach drei zureichende Gründe für diese Studie.
Erstens: es gilt, Casanova den Schriftsteller neu zu entdecken, von Retusche und Zutaten zu befreien; jenes »gewisse Schmunzeln« ist schon recht – es gibt so wenig dauerhaftes Vergnügen in der Literatur –, aber es geht über den Philosophen, den Dichter, den Zeitkritiker Casanova unerlaubt eilfertig-lüstern hinweg. Zweitens: es gilt, Casanova, den Mann seiner Zeit, als charakteristischen Typus zu analysieren – politisch, historisch-kulturell, soziologisch, psychologisch, literaturgeschichtlich.
Drittens: es gilt, den großen Liebhaber, den Individualisten, das männliche Exemplar Casanova zu begreifen. Mich fasziniert speziell dieser dritte Aspekt, weil in diesem Punkte die Mißverständnisse besonders verwirrend sind.
Der äußere Anlaß, sich unter solchen Aspekten neu und gründlich mit Casanova zu befassen, ist die Neuauflage des vollständigen Textes der Memoiren in der Übersetzung von Heinrich Conrad. In einer besonders schönen sechsbändigen Dünndruckausgabe kam sie 1957/58 in demselben Verlagshausb heraus, wo dieser Text schon 1907-1913 – damals in zwölf Bänden – erschienen ist. Über die editorische Problematik des Falles Casanova später Genaueres. Hier nur der Hinweis auf diese überaus gelungene und handliche Neuausgabe, weil sie das beste Argument gegen all die verfälschenden Kürzungen ist, die das Bild Casanovas so entstellt, so verflacht haben. Lieber ein einziges der 142 Kapitel des originalen Memoiren-Textes lesen als diese unsäglich verstümmelnden Digests.
Ein zweiter äußerer Anlaß zur abermaligen Beschäftigung mit Casanova ist eine Beobachtung im Zusammenhang mit dieser Neuausgabe der Memoiren. Für den ernsthaften Casanova-Freund ist in Deutschland das Casanova-Bild durch einen weithin bekannten Casanova-Essay Stefan Zweigs vorfabriziert. Diese Arbeit erschien 1928 im Insel-Verlag und ist der kritische Born für fast alle Rezensenten der Langen-Müller-Neuausgabe. Stefan Zweigs Casanova-Auffassung indessen erscheint mir in wesentlichen Punkten irrig. Natürlich weiß der geübte Biograph Zweig immens viel über seinen Autor, und natürlich versteht er es glänzend, seine beliebte Porträt-Manier auch im Falle Casanovas, ja gerade in seinem Falle, zur Geltung zu bringen. Aber das hochdramatische Leben unseres Venezianers verträgt die Zweigsche Zusatz-Dramatisierung nicht gut, und der Vergegen-wärtigungseffekt Zweigs bekommt dem überaus präsenten und immer direkten Casanova gar nicht. Schließlich, so will mir scheinen, mißversteht Zweig gründlich den Menschen Casanova, sein Lebensproblem, seine Lebenslüge.
So wird denn dieser neue Versuch über Casanova geschrieben gegen die unverantwortlichen Verfälscher seiner Texte, gegen die daraus hervorgegangenen Operetten-Casanovas und auch gegen das Casanova-Porträt Stefan Zweigs, dessen Arbeit nichtsdestoweniger ernst zu nehmen ist und zur guten Casanova-Literatur gehört.
Die Liebe mit der aristokratischen Portugiesin Pauline, die er durch jenes naiv-deutliche Inserat im Fenster seines Londoner Hauses kennengelernt hat, endet, wie alle seine Leidenschaften enden. Aber mit welch philosophischer Weisheit, mit welch dichterischer Kraft reflektiert er darüber! Die folgenden Sätze bestehen würdig neben den großen Texten der Literatur:
»Ich habe sie vergessen, weil wir Menschen alles vergessen; aber wenn ich mir die Erinnerung an sie zurückrufe, finde ich, daß der Eindruck, den ›Henriette‹ auf mich machte, doch der tiefere war – ohne Zweifel nur deshalb, weil ich damals erst zweiundzwanzig Jahre alt war, während ich in London bereits siebenunddreißig zählte. Je älter ich werde, desto mehr fühle ich, wie das Alter unsere Eindrucksfähigkeit abstumpft, und desto mehr bedauere ich, daß ich nicht das Geheimnis habe finden können, die Jugend festzuhalten, diese glückliche Zeit süßer Einbildungen. Ohnmächtiges Bedauern! Wir müßten enden, wie wir beginnen, oder wir müßten die von der Natur aufgestellte Ordnung umstoßen, das heißt, damit beginnen, womit wir endigen. Noch einmal – ohnmächtiges Bedauern!« (V, 284)