Fünf Jahre der Entscheidung - Deutschland nach dem Kriege. 1945-1949 - Thilo Koch - E-Book

Fünf Jahre der Entscheidung - Deutschland nach dem Kriege. 1945-1949 E-Book

Thilo Koch

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Beschreibung

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges hatte Deutschland zwischen 1945-1949 viele Entscheidungen zu treffen. Auf die sogenannte Stunde Null folgte auf der einen Seite, trotz Hunger, Flüchtlingselend und Demontage, der Neubeginn, auf der anderen Seite aber auch die Teilung. Dies war eine entscheidende Weichenstellung für Deutschland. Doch wie kam es überhaupt dazu und wie lebten die Deutschen damals? In diesem Buch bekommt der Leser ein aufregendes Bild der Nachkriegszeit.-

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Thilo Koch

Fünf Jahre der Entscheidung - Deutschland nach dem Kriege. 1945-1949

Saga

Fünf Jahre der Entscheidung - Deutschland nach dem Kriege. 1945-1949Coverbild / Illustration: unsplash https://unsplash.com/photos/ZSh_LigA14k Copyright © 1969, 2019 Thilo Koch und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711836132

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

Vorwort

›Die Stunde Null‹, ›Der Neubeginn‹,›Die Teilung‹ – so habe ich die drei Kapitel dieses Buches überschrieben. Der Text bemüht sich um Sachlichkeit und Distanz; nicht selten jedoch mag innere Anteilnahme durchklingen. Es kann kaum anders sein, denn diese ›Fünf Jahre der Entscheidung‹ waren auch in meinem persönlichen Leben eine entscheidende Epoche. Das war ein Anstoß für dieses Buch. Man erlaube mir ein persönliches Vorwort:

Die Stunde Null war für mich gekommen, als ich in meinem Funkwagen die Nachricht von der Kapitulation vernahm. Meine Einheit hatte auf dem Rückzug von Süden her die italienischen Alpen erreicht. Ich wollte nicht in Gefangenschaft geraten und machte mich zu Fuß auf den Weg nach Hause. In Tirol griffen mich die Amerikaner. Ich konnte ihnen bald wieder entkommen. Schon im Juni 1945 erreichte ich Berlin, nachdem ich zum erstenmal »schwarz« über die »grüne Grenze« gewechselt war.

Meine Frau war vor den Russen nach Schwerin in Mecklenburg geflohen. Das war zu diesem Zeitpunkt gerade noch britisch besetzt. Bei dem Versuch, über die »Demarkationslinie« zurückzugehen und sie zu suchen, nahmen mich die Russen gefangen. Ich entkam – erstaunlicherweise – noch einmal. Wenig später fand meine Frau mich in der Sowjetzone. Ich versuchte, mein Studium wiederaufzunehmen. Im Privathaus Friedrich Meineckes, Am Hirschsprung in Dahlem, konnte ich noch am letzten Oberseminar des großen deutschen Historikers teilnehmen.

1946 wurde unsere Tochter Bettina in Berlin geboren. Ich mußte Geld verdienen. Mein im Krieg begonnener Roman erschien, zunächst in Fortsetzungen in der ›Neuen Zeit‹, einer der ersten von der sowjetischen Militäradministration zugelassenen Zeitungen. Diese Veröffentlichung brachte mich zur Berliner Station des britisch kontrollierten Nordwestdeutschen Rundfunks. Mein erstes Monatsgehalt betrug 280 Reichsmark. Das war mein Neubeginn.

Als 1948 über Nacht die Währungsreform kam, war ich mit meiner Frau auf einem Jugendkongreß in München. Die Blockade der deutschen Hauptstadt begann; aber sobald es möglich war, kehrten wir nach Berlin zurück. Dort wurde 1949 unser Sohn geboren – in der dunklen und aus der Luft versorgten Hälfte der Stadt. Noch einmal kam eine Art Stunde Null, als Stalin die Blockade abblies. Aber wir wußten: dies ist die Teilung.

Deutschland war 1945 als Reich untergegangen. Hitler hatte es zugrunde gerichtet. Nun gab es zwei Staaten auf deutschem Boden, die Weichen waren gestellt. Wenn uns noch heute die deutsche Frage beschäftigt (bewegt sie uns noch?) – damals, in jenen fünf Jahren der Entscheidung, wurde sie gestellt. Es war eine uns Deutschen aufgezwungene Entscheidung. Wir hatten keine Wahl. Jeder Revanchismus und Chauvinismus jedoch wäre sinnlos und fände auch keine historische Rechtfertigung. Die Sieger hatten den Frieden verloren – wir den Krieg.

Als die Kinder älter wurden, kam es wieder zu Gesprächen über die Ursachen der deutschen Situation. Wir Eltern versuchten es mit Erklärungen, historischen und persönlichen. Ich ging, mit der Familie, 1960 von Berlin nach Washington. Die Kinder wurden in ihren amerikanischen Schulen als Deutsche gefragt: Wie kam das damals, wie ist es heute in Deutschland? Von Jahr zu Jahr mehr verdichtete sich nun der Plan, in einer Fernsehserie alle verfügbaren Filme aus den entscheidenden ersten Nachkriegsjahren zusammenzutragen; denn was vermittelt lebendigere Anschauung als das bewegte Bild?

1967 konnte ich diesen Plan verwirklichen. Meine Mitarbeiter Wilhelma von Albert und Peter Otto sichteten 180 000 Meter Dokumentarfilm, und wir wählten 10 000 Meter davon für die drei 60-Minuten-Sendungen aus. Ohne diese Arbeit wäre es nicht zu meinen stark beachteten Deutschland-Filmen im Fernsehen gekommen. Auch nicht zu diesem Buch, das auf den Sendungen beruht, die im Januar 1968 im Ersten Programm des Deutschen Fernsehens unter dem Titel DEUTSCHLAND NACH DEM KRIEGE liefen.

Ich hatte mit einer sehr geteilten Aufnahme gerechnet. Aber nur eine kleine Minderheit (etwa ein Prozent) schimpfte, eine andere (etwa fünf Prozent) wollte sich nicht gern an diese dunklen Jahre und ihre Ursachen erinnern lassen. 11 Prozent waren mit der Serie »zufrieden«, 60 Prozent fanden sie »gut«, 23 Prozent »ausgezeichnet«. Dabei war mir besonders willkommen, daß die Altersgruppe unter 29 Jahren um einen Indexwert positiver urteilte als die Älteren. In der Infratest-Umfrage heißt es: »Die Jüngeren begrüßen die Aufklärung über eine Zeit, die sie selbst, zumindest bewußt, noch nicht miterlebt haben.«

So wünsche ich dieses Buch vor allem in die Hände einer Generation, die man jetzt gern die »unruhige« nennt. Sie ist in jenen Jahren geboren worden. Wir Älteren sind manchmal geneigt, die Erklärung für die Unruhe und Unzufriedenheit der Jungen in der mangelnden Erfahrung mit harten Zeiten zu suchen. Sie ist gewiß eine der Ursachen, aber doch nur eine unter mehreren. Eine andere scheint mir zu sein, daß Bundesrepublik Deutschland und DDR nicht innerlich akzeptiert, geschweige denn geliebt werden. Hieraus resultiert bei aller Stabilität des Status quo von 1945 doch ein Moment tiefer innerer Unsicherheit. In der DDR überdecken Zensur und Reglement eines totalitären Regimes diese Unsicherheit. In der Bundesrepublik Deutschland lassen Wohlstand und Bündnisgeborgenheit das nationale Unbehagen in den Hintergrund treten. Im Mißtrauen der jungen Deutschen, namentlich der Studenten, findet es heute als deutsche Variante des allgemeinen und weltweiten Protestes der Jungen seinen Ausdruck.

Es mag sein, daß wir aus der Geschichte nur lernen können, wie wenig man aus ihr lernt. Dennoch verleiht nur Kenntnis der Vergangenheit einigermaßen zuverlässige Maßstäbe für die Gegenwart. In unserem Jahrhundert sollte ein denkender Deutscher sich Rechenschaft geben können von vier Epochen der Geschichte seines Volkes:

dem Zusammenbruch des Kaiserreichs,

der Republik von Weimar,

dem Dritten Reich,

der deutschen Situation im Zeichen der Teilung.

Dieses Buch will ein Beitrag sein zum Verständnis der vierten Epoche. Sie wurde durch die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt, und vor gerade 20 Jahren, 1949, ging der Weg der Deutschen mit der Gründung von Bundesrepublik Deutschland und DDR in zwei entgegengesetzte Richtungen.

Tilo Koch im Herbst 1969, zwanzig Jahre danach

Ich widme dieses Buch

meiner Frau Susanne Koch

und meinen Kindern

Bettina, geboren 1946 in Berlin,

Thilo, geboren 1949 in Berlin

Die Stunde Null

Deutschland heute – das ist das Ergebnis von Deutschland 1945 bis 1949. Erinnern wir uns noch an jene Stunde Null? Wollen wir uns überhaupt erinnern? Ist es nicht besser, angenehmer jedenfalls, die Schrecken jener Jahre zu vergessen? Die Wunden sind vernarbt – warum daran rühren?

Die Jahre 1945, 1946, 1947, 1948, 1949 waren die fünf Jahre der Entscheidung über den deutschen Weg. Wer wissen möchte, wieso, wer wissen will, woher er kommt, wohin er geht – heute, als Deutscher in dieser Welt, der muß es aufregend interessant finden zu erfahren, was damals geschah. Nur so kann er begreifen, wie es kommen konnte, daß heute die absurdeste, die am besten bewachte und kostspieligste Grenze der Welt quer durch Staat und Nation der Deutschen verläuft und ihre Hauptstadt zur Insel macht.

Was damals geschah, scheint lange zurückzuliegen, sehr lange. Aber die Folgen jener Stunde Null – sie sind unheimlich gegenwärtig in unserem deutschen Vaterland. Wachtürme und Todesstreifen, Mauer und Schießbefehl – quer durch Deutschland. Selbstverständlichkeiten seit langem, für lange.

Wissen wir noch, wie es dazu kam?

Wie und warum?

Die Alliierten hatten den Krieg gewonnen, aber sie verloren den Frieden. Kalter Krieg und Eiserner Vorhang, Blockade Berlins und Flüchtlinge, immer wieder Flüchtlinge von Ost nach West – das waren die Folgen. Wirtschaftlich sind wir wieder »wer« – wir in der Bundesrepublik Deutschland und auch unsere Landsleute drüben in der DDR. Aber politisch sind wir eine Nation ohne Identität, ein Volk ohne Staat.

Während sonst in Europa zwischen Ost und West manch neuer Brückenschlag gelingt, wird der Graben durch Deutschland immer tiefer, der Stacheldraht immer höher, die Mauer immer undurchdringlicher.

Warum?

Das ist: Die Deutsche Frage.

1 Besiegte und Sieger

Hitler hatte kurz vor seinem Selbstmord am 30. April 1945 zu Albert Speer, seinem Reichsminister für die Kriegsproduktion, gesagt: »Wenn der Krieg verlorengeht, wird auch das Volk verloren sein. Dieses Schicksal ist unabwendbar.« Und gegenüber Hermann Rauschning äußerte »der Führer«: »Wir können untergehen. . ., aber wir werden eine Welt mitnehmen.«

Die Welt überlebte die deutsche Katastrophe; aber Deutschland war in der Tat eine Trümmerwüste, ein riesiger Schutthaufen, der das deutsche Volk unter sich begraben hatte. Dennoch, auch in Deutschland ging das Leben weiter.

Die Überlebenden verlassen ihre Schlupfwinkel. Mehr als 50 Millionen Tote sind die Bilanz des Zweiten Weltkrieges und der Hitler-Diktatur. Hunger, Krankheit, Ungewißheit, Obdachlosigkeit, Vergewaltigung, Übermacht und Übermut der Sieger kennzeichnen »die Stunde Null«.

Am meisten von allen Völkern haben die Russen unter dem Raubkrieg Hitlers gelitten. 20 Millionen Russen sind umgekommen. Nun fügen die Rotarmisten ihrerseits dem Angreifer die tiefsten Demütigungen zu. Die deutsche Bevölkerung zittert vor ihnen.

Aus den Aufzeichnungen einer Berlinerin:

»21. April 1945 (Samstag): Verkehrsmittelsperre. . . Letzter Tag im Betrieb. . . Ab Mittag starker Artilleriebeschuß in Stadtmitte, zahlreiche Tote. 27. April 1945 (Freitag): . . .Versuch einzukaufen muß wieder wegen Beschuß abgebrochen werden. Russischer Kommissar holt alle aus dem Haus, Uhr abgenommen. . . Schießerei rund um den Bunker, in dem vorwiegend werdende Mütter und Mütter mit Kindern sind. . . Schwere Schießerei. . . Tag und Nacht im Keller.

1. Mai 1945 (Dienstag): Leichter Beschuß. Mai-Feier der Russen. Im Keller belästigt – Herr Witte geht dazwischen, konnte davonlaufen. Mittags zwei Kommissare – Herr Oberländer versucht es zu verhindern, im letzten Augenblick davongelaufen. . . Meist auf dem Boden versteckt. . . Unruhige Nacht, überall Hilferufe. . . 13. Mai 1945 (Sonntag): Wohnung und Keller weiter aufgeräumt. Alles ruhig. Die erste Nacht seit dem 22. April richtig ausgezogen geschlafen. . .«

Während die amerikanischen Armeen auf Grund von Übereinkünften mit der Sowjetunion an der Elbe haltmachen, erobert die Rote Armee den ganzen deutschen Osten, fast ganz Mitteldeutschland und auch die deutsche Reichshauptstadt Berlin.

In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.1953 (zu den »Einhunderteinunddreißigern«) heißt es rückblickend: »Diese Katastrophe war in der neueren Geschichte ohne Beispiel: Die vollständige Besetzung des deutschen Staatsgebietes, die Kapitulation der Wehrmacht, das Aufhören jeder staatlichen Verwaltungstätigkeit, die Auflösung aller Einrichtungen und Organisationen der den Staat allein tragenden Partei.«

Der Senior der deutschen Geschichtsschreibung, Professor Friedrich Meinecke, schreibt in ›Die deutsche Katastrophe‹: »Der deutsche Staat ist uns zerschlagen, weites deutsches Land geht uns verloren, Fremdherrschaft ist uns für lange Zeit zum Schicksal geworden. Wird es gelingen, den deutschen Geist zu retten? Noch nie in seiner Geschichte hat er eine solche Belastungsprobe auszuhalten gehabt.«

In Köln leben von 730 000 Einwohnern der Vorkriegszeit nur noch 40 000 notdürftig in Kellern und ausgebesserten Notwohnungen.

20 Millionen Menschen auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik Deutschland haben 1945 keine Wohnung. Fast die Hälfte aller Verkehrsanlagen ist zerstört. Als der letzte Schuß verhallt ist, die letzte Bombe gefallen, liegen 400 Millionen Kubikmeter Schutt auf Deutschland.

2 1/4 Millionen Wohnungen sind total vernichtet, weitere 2 1/2 Millionen teilweise. Deutschland gleicht einer gespenstigen Landschaft des Todes – Resultat des Fanatismus, mit dem ein »Tausendjähriges Reich« errichtet werden sollte, das zwölf Jahre dauerte.

Siegesparaden aller Streitkräfte feiern den Triumph über den gemeinsamen Gegner. Ein Krieg ist von den Alliierten gewonnen worden, in dem insgesamt 170 Millionen Mann unter den Waffen gestanden hatten.

Karl Jaspers sagt 1945 in seinen Heidelberger Vorlesungen: »Uns kann wohl Sorge befallen wegen der Selbstsicherheit der Sieger. Denn von nun an liegt alle entscheidende Verantwortung für den Gang der Dinge bei ihnen. Ihre Sache ist, wie sie Unheil verhüten oder neues Unheil heraufbeschwören. Was nunmehr ihre Schuld werden könnte, das wäre das gleiche Unheil für uns wie für sie.«

Karl Jaspers drückt aus, was viele Deutsche denken: »Wir tragen die politische Verantwortung für unser Regime, für die Taten des Regimes, für den Anfang des Krieges in dieser weltgeschichtlichen Lage und für die Artung der Führer, die wir an unsere Spitze geraten ließen. Daher haften wir den Siegern gegenüber mit unserer Arbeit und Leistungsfähigkeit und müssen wiedergutmachen, wie es den Besiegten auferlegt wird.«

Die amerikanischen Soldaten haben einen Krieg hinter sich, der ihnen als Kreuzzug des 20. Jahrhunderts erklärt worden war. Die Begegnung an der Elbe wird von Rotarmisten und US-Landsern gleichermaßen als Höhepunkt und Belohnung ihrer Anstrengungen empfunden. Es sollte die einzige herzliche Begegnung der westlichen und östlichen Sieger bleiben. Sie vollzieht sich auf unterer Ebene.

Niemals zuvor in der neuen Geschichte waren so viele Zivilpersonen von einem Krieg in Mitleidenschaft gezogen worden. Als die Kanonen schweigen, ist die Angst nicht vorbei. Mit der Hoffnung auf einen Neuanfang sind zunächst bittere Not und härtester Kampf ums Überleben gepaart. Besonders die Frauen mit kleinen Kindern vollbringen in den ersten Monaten und Jahren nach dem Krieg außerordentliche Leistungen.

Jeder sucht jeden. 25 Millionen Deutsche sind nicht an ihrem Heimatort, die Familien auseinandergerissen, die Sorge um das Schicksal der kriegsgefangenen deutschen Soldaten allgegenwärtig. Es gibt keinen Postverkehr, keine Informationsquellen. Die Nahrungssuche beherrscht das Denken. Die Sieger beschlagnahmen die besten der noch vorhandenen Häuser, um dort Unterkünfte für sich selbst einzurichten.

In dem Buch ›Viermächtekontrolle in Deutschland‹ schreibt Michael Balfour über die Situation der alliierten Soldaten: »Sie verfügten über die besten Quartiere, beanspruchten Vorrang im ganzen Verkehrswesen, hatten freien Eintritt zu deutschen Opern und Musikveranstaltungen, hatten ausreichende gute Verpflegung und in den alliierten Währungen das einzige Geld, das etwas wert war. Sie verfügten über all die kleinen Dinge des Luxus, wie Zigaretten, Kaffee und einen Überfluß an Lebensmitteln, die für den Deutschen nach dem Kriege Kostbarkeiten waren.

Eine Anstellung auch für niederste Dienstleistungen wie Küchenarbeit und Saubermachen erhofften viele Deutsche, die mit den Küchenabfällen der Offiziersmessen oft ganze Familien ernährten. Jeder einfache alliierte westliche Soldat verfügte über Dinge, die deutscherseits begehrt waren: Benzin, Lebensmittel, Kleidung, Brennstoff, Zigaretten, und er erhandelte dabei auf dem Schwarzen Markt von den Deutschen viel wertvollere Tauschgegenstände wie Kameras, Uhren, Schmuck.«

In der Stunde Null beherrschen Haß und Verachtung die Stimmung gegenüber dem geschlagenen Deutschland. »There is no good German but a dead German«, heißt es: »Nur ein toter Deutscher ist ein guter Deutscher.«

Aus dieser Auffassung heraus war 1944 der Plan des Finanzministers Henry Morgenthau jr. entstanden: Deutschland sollte zum Agrarland gemacht, seine gesamte Wirtschaft für zwanzig Jahre von seinen Nachbarn kontrolliert werden.

Mit dem Tod Hitlers und der Kapitulation Berlins brach die Organisation der gesamten Verwaltung des Deutschen Reiches zusammen.

Der spätere amerikanische Militärgouverneur in Deutschland, General Lucius D. Clay, schreibt in seinen Erinnerungen: »Rückblickend meine ich, daß wir unsere Aufgabe sicher als hoffnungslos angesehen hätten, wenn wir damals das chaotische Durcheinander voll überblickt hätten.«

Winston Churchill sagt vor dem britischen Unterhaus: »Ein Deutschland ohne Kopf fiel den Eroberern in die Hand.« Präsident Roosevelt schrieb bereits am 26. April 1944: »Es ist äußerst wichtig, jedem Deutschen zu Bewußtsein zu bringen, daß Deutschland diesmal geschlagen ist. Alle Deutschen sollen es spüren, daß die ganze Nation an einer verbrecherischen Verschwörung gegen die Anstandsgesetze der modernen Zivilisation teilgenommen hat.«

Kennzeichnend für das Verhalten der alliierten Soldaten in der ersten Zeit nach der Kapitulation ist die Direktive JCS 1067 vom 26. April 1945 des Generalstabes der US-Streitkräfte: »Es muß den Deutschen klargemacht werden, daß Deutschlands rücksichtslose Kriegsführung und der fanatische Widerstand der Nazis die deutsche Wirtschaft zerstört und Chaos und Leiden unvermeidlich gemacht haben, und daß sie nicht der Verantwortung für das entgehen können, was sie selbst auf sich geladen haben. Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat.«

Thomas Mann hatte 1945 in den USA eine vielbeachtete Rede gehalten: ›Deutschland und die Deutschen‹. Darin heißt es: »Nichts geistig Großes kam mehr aus Deutschland, das einst der Lehrer der Welt gewesen war. Es war nur noch stark. Aber in dieser Stärke und unter aller organisierten Leistungstüchtigkeit dauerte und wirkte fort der romantische Krankheits- und Todeskeim. Geschichtliches Unglück, die Leiden und Demütigungen eines verlorenen Krieges nährten ihn. Und, heruntergekommen auf ein klägliches Massenniveau, das Niveau eines Hitlers, brach der deutsche Romantismus aus in hysterische Barbarei, in einen Rausch und Krampf von Überheblichkeit und Verbrechen, der nun in der nationalen Katastrophe, einem physischen und psychischen Kollaps ohne gleichen, sein schauerliches Ende findet.

Was ich Ihnen erzählte, ist die Geschichte der deutschen ›Innerlichkeit‹. Es ist eine melancholische Geschichte – ich nenne sie so und spreche nicht von ›Tragik‹, weil das Unglück nicht prahlen soll. Eines mag diese Geschichte uns zu Gemüte führen: daß es nicht zwei Deutschland gibt, ein böses und ein gutes, sondern nur eines, dem sein Bestes durch Teufelslist zum Bösen ausschlug. Das böse Deutschland, das ist das fehlgegangene gute, das gute im Unglück, in Schuld und Untergang. Darum ist es für einen deutschgeborenen Geist auch so unmöglich, das böse, schuldbeladene Deutschland ganz zu verleugnen und zu erklären: Ich bin das gute, das edle, das gerechte Deutschland im weißen Kleid, das böse überlasse ich Euch zur Ausrottung. Nichts von dem, was ich Ihnen über Deutschland zu sagen oder flüchtig anzudeuten versuchte, kam aus fremdem, kühlem, unbeteiligtem Wissen; ich habe es auch in mir, ich habe es alles am eigenen Leibe erfahren.«

2 Die Aufteilung Deutschlands

Bereits 1943, auf der Konferenz von Teheran, begann Stalin den diplomatischen Kampf um die Vorherrschaft in Europa. Ganz Osteuropa betrachtete er ohnehin als seine Interessensphäre; Deutschland sollte zerstückelt werden, Frankreich eine Macht ohne Einfluß bleiben.

Roosevelt dachte zu sehr an die Niederwerfung und Bestrafung Deutschlands, vertraute zu sehr auf die Idee einer übernationalen Friedensmacht, die UNO, und fühlte sich der Sowjetunion gegenüber zur Kameradschaftlichkeit verpflichtet. Churchill sah weiter, hatte aber zwischen den Großen Zwei nicht das Gewicht, seine Skepsis gegenüber Stalin durchzusetzen.

Ziel der Konferenz war die Festlegung politischer und militärischer Maßnahmen zur siegreichen Beendigung des Krieges. Aber die Beratungen erbrachten nicht einmal Vorentscheidungen. Es wurde lediglich Übereinstimmung über die Absicht erzielt, Deutschland aufzuteilen und Polen nach dem Westen zu verlagern. Über die Form und den Umfang der Aufteilung Deutschlands bestanden jedoch unklare und uneinheitliche Vorstellungen. Roosevelt schlug vor, Deutschland in fünf Teile zu zerlegen; Churchill trug den Plan für einen Donaubund vor. Stalin befürwortete den Plan Roosevelts.

Wolfgang Marienfeld führt in seinem Buch ›Konferenzen über Deutschland‹ zur Konferenz in Teheran aus: »Aus Stalins Vorschlägen während der Konferenz von Teheran geht nach Meinung der Historiker eindeutig hervor, daß zu diesem Zeitpunkt Stalin den Kampf um die Vorherrschaft in Europa bereits eröffnet hatte. Indem er einen Großteil seines Programms als notwendige Abwehrmaßnahmen gegen eine künftige deutsche Aggression vortrug, versuchte er gleichsam auf kaltem Wege dasselbe zu erreichen, was Hitler auf heißem anstrebte: die Vorherrschaft in Europa. . .«

Daß die westlichen Verbündeten in ihren Berichten von dieser Konferenz noch von einem Gefühl der Kameradschaft und Solidarität mit der Sowjetunion sprachen, kann nur damit erklärt werden, daß sie sich kein wirklichkeitsgerechtes Bild von Sowjetrußland machten; außerdem glaubten sie, besonders die Amerikaner, daß in der UNO eine völlig neue Basis der zwischenstaatlichen Beziehungen gefunden worden sei, in die auch die Sowjetunion mit einbezogen werden würde. Außerdem glaubte man an die Dauer der Freundschaft zwischen den Alliierten des Zweiten Weltkriegs. Die Großen Drei von Teheran schieden voneinander, ohne zu einer verbindlichen Verständigung gekommen zu sein. Das Gesamtproblem der Teilung Deutschlands wurde dem auf der Moskauer Außenministerkonferenz gegründeten »European Advisory Committee« zur weiteren Beratung übergeben.

1944 arbeitete diese »Europäische Beratungskommission« in London die Einzelheiten aus für die bedingungslose Kapitulation Deutschlands, die militärische Besetzung und die Aufteilung in drei Zonen. Am 12. September 1944 wurde von den drei alliierten Vertretern ein Protokoll verabschiedet, das die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von Groß-Berlin regelte und damit den Artikel 11 der Kapitulationsurkunde näher ausführte: »Deutschland, innerhalb der Grenzen, wie sie am 31.12.1937 bestanden, wird zum Zwecke der Besetzung in drei Zonen eingeteilt, deren je eine einer der drei Mächte zugewiesen wird, und ein besonderes Berliner Gebiet, das gemeinsam von den drei Mächten besetzt wird.« Es folgt die genaue Beschreibung des Verlaufs der Zonengrenzen.

Im Februar 1945 trafen sich Roosevelt, Churchill und Stalin abermals – diesmal in Jalta auf der Krim. Hinter dem Vorhang der alliierten Kriegskameradschaft setzte Stalin hier seine sowjetrussische Großmacht-Konzeption für Europa endgültig durch. Die Weichen waren gestellt, und Roosevelt ließ es geschehen, hatte es kaum bemerkt.

Wolfgang Marienfeld schreibt über Jalta: »Eine Diskussion der für das künftige Schicksal von Deutschland entscheidenden Frage, welche konkreten Inhalte die Besatzungspolitik und Friedenspolitik der Alliierten gegenüber Deutschland haben sollte, hat in Jalta nicht stattgefunden. Mit dem Problem ›Einheit oder Aufteilung Deutschlands‹ ist dieses Thema zwar angegangen, aber selbst in diesem Sektor nicht entschieden worden. Das künftige politische Schicksal Deutschlands war mithin noch völlig offen, als die Alliierten Jalta verließen; und als nur drei Monate später Deutschland kapitulierte, bestand zwischen den Alliierten keinerlei Bindung an ein konkretes Deutschland-Programm . . . Die Westmächte, und insbesondere die Amerikaner, verließen diese Jalta-Konferenz in gehobener Stimmung, in der Vorstellung befangen, an einer entscheidenden Wendemarke der Weltgeschichte zu stehen, zu einer neuen und besseren Welt gemeinsam mit der Sowjetunion den Grundstein gelegt zu haben. . . Der mit Jalta verbundene Optimismus der Westmächte steht in äußerstem Widerspruch zum tatsächlichen Ergebnis der Konferenz. Während die Westmächte mit der Illusion des Erfolges Jalta verließen, konnte die Sowjetunion diesen in Wirklichkeit für sich buchen. Überall dort, wo reale Machtpositionen zur Entscheidung standen (in der Reparationsfrage, in der Teilung Deutschlands, in der Frage der polnischen Unabhängigkeit) hatte die Sowjetunion ihren Standpunkt entweder schon durchgesetzt oder der Durchsetzung den Weg geebnet. . . So ging Stalin als der eigentliche Sieger aus der Jalta-Konferenz hervor und war in der Lage, für Sowjetrußland in Europa ebenso wie in Ostasien eine überragende Machtstellung aufzubauen, deren ungeheure Gefährlichkeit den Westmächten – besonders den Amerikanern – einstweilen durch die Illusion der Solidarität und unverbrüchlichen Freundschaft zwischen den drei Großmächten verborgen blieb.«

Der Haß, den Hitler gesät hatte, ging gegen Deutschland auf. Er schmiedete die Westmächte und die Sowjetunion zusammen, und dieses Bündnis erlaubte es den Russen, die beherrschende europäische Großmacht der zweiten Jahrhunderthälfte zu werden. So stehen sie noch heute rund um Berlin und mitten in Deutschland und erreichten mit der Teilung Deutschlands auch die Teilung Europas.

Im Cäcilienhof in Potsdam beginnt am 17. Juni 1945 um 17 Uhr jene Konferenz, von der die politische Teilung Deutschlands und Berlins ausgeht. Am runden Tisch sitzen beisammen: Generalissimus Stalin, Präsident Truman und Premierminister Churchill, der nach dem Wahlsieg der Labourpartei am 28. Juli von Clement Attlee abgelöst wird.

In Potsdam wird beschlossen: