Chinas Bosse - Wolfgang Hirn - E-Book

Chinas Bosse E-Book

Wolfgang Hirn

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Beschreibung

Wer steckt hinter den Unternehmensgiganten aus China? Sie erobern die Weltmärkte, positionieren China als digitale Supermacht und prägen die entscheidenden Zukunftsindustrien. Gleichwohl wissen wir fast nichts über sie. Wie ticken Chinas Bosse? Wer steckt hinter den immer mächtigeren und aggressiven Unternehmensgiganten? Was sind das für Leute, die in Frankreich Weinberge und in Europa Fußballvereine oder Immobilien kaufen? Was passiert, nachdem sie bei deutschen Unternehmen, Banken, Flughäfen eingestiegen sind? Der renommierte Chinaexperte Wolfgang Hirn hat beste Verbindungen und recherchiert regelmäßig vor Ort. Er liefert einen einzigartigen Einblick ins Zentrum des chinesischen Wirtschaftsmodells und porträtiert die Macher und ihre Strategien. Wolfgang Hirn gibt Chinas "unbekannten Giganten" in seinem Buch ein Gesicht. Mit zahlreichen Unternehmensbeispielen, unter anderem von: - Haier, HNA, Huawei und andere - Chinas große Privatkonzerne - die Internetgiganten Alibaba und Tencent - Angriff auf Facebook, Google und andere

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Wolfgang Hirn

CHINASBOSSE

Unsere unbekannten Konkurrenten

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Wer steckt hinter den Unternehmensgiganten aus China?

Sie erobern die Weltmärkte, positionieren China als digitale Supermacht und prägen die entscheidenden Zukunftsindustrien. Gleichwohl wissen wir fast nichts über sie. Wie ticken Chinas Bosse? Wer steckt hinter den immer mächtigeren und aggressiven Unternehmensgiganten? Was sind das für Leute, die in Frankreich Weinberge und in Europa Fußballvereine oder Immobilien kaufen? Was passiert, nachdem sie bei deutschen Unternehmen, Banken, Flughäfen eingestiegen sind? Der renommierte Chinaexperte Wolfgang Hirn hat beste Verbindungen und recherchiert regelmäßig vor Ort. Er liefert einen einzigartigen Einblick ins Zentrum des chinesischen Wirtschaftsmodells und porträtiert die Macher und ihre Strategien. Wolfgang Hirn gibt Chinas „unbekannten Giganten“ in seinem Buch ein Gesicht.

Mit zahlreichen Unternehmensbeispielen, unter anderem von:

•Haier, HNA, Huawei und andere - Chinas große Privatkonzerne

•die Internetgiganten Alibaba und Tencent - Angriff auf Facebook, Google und andere

Vita

Wolfgang Hirn studierte Volkswirtschaftslehre und Politische Wissenschaften in Tübingen. Nach Stationen als Wirtschaftsredakteur arbeitet er seit vielen Jahren als Reporter beim manager magazin. Seit 1986 reist er regelmäßig nach China, ist Autor des Bestsellers »Herausforderung China« (2005) und veröffentlichte zuletzt »Der nächste kalte Krieg. China gegen den Westen« (2013).

Inhalt

EINLEITUNG

DIE ROTEN BOSSE – woher sie kommen, wie sie ticken und wie sie führen 

Die späte Geburt des Unternehmers

Die 80er: Alte Garde

Die 92er-Gang

Die 2000er: Profiteure des Internets

Die 2010er: Junge Wilde

Eine Männergesellschaft?

Die Kaderschmieden für Entrepreneure

Pragmatisch, praktisch, gut – der chinesische Managementstil

Unternehmer auf Klassenausflug – die Netzwerke

Zhejiang – die Provinz der Kapitalisten

Der Engländer, der sie alle kennt

Die Partei ist immer dabei

OHNE RÜCKSICHT AUF VERLUSTE – die staatlichen Giganten und ihre politische Agenda 

Die Mammutbehörde SASAC

Die Monopolisten – hoch profitabel, tief verschuldet

Strom und Sprit – die Märkte der Oligopolisten

ICBC – hinter den Kulissen der weltgrößten Bank

Die großen Staatsbanken und der kleine Rest

Die politischen Banken – Financiers der Expansion

Auf dem Weg zur Seemacht

Cofco – Chinas Nestlé mit großem Appetit

Die Trittbrettfahrer – Chinas staatliche Autokonzerne

ChemChina – das etwas andere Staatsunternehmen

Die ewige SOE-Reform: Erst Fusionen …

… und nun Mixed Ownership

Heute Manager, morgen Politiker

In der Grauzone blüht die Korruption

Der Staatsfonds CIC und sein Milliardenvermögen

HAIER, HNA, HUAWEI & CO. – Chinas große Privatkonzerne  

Die Sucht und Suche nach Brands

Haier – eine Hammerstory

Hisense – Umweg über die Dritte Welt

Huawei – der Vorzeigekonzern

Ein Geheimniskrämer und zwei Geheimtipps

Xiaomi – Modell der Zukunft?

Was McDonalds und Starbucks können …

Auf Einkaufstour im Ausland

Die Roboterehe – Mideas Übernahme von Kuka

Win-win-Situation – Wenchai/Kion

Der Fall Lenovo/IBM – ein Lehrstück

Geely und Volvo – gemeinsam in der Erfolgsspur

Die »Viererbande« oder die Warren-Buffett-Klone

Bange Zeiten für Anbang

Gemischtwarenladen Fosun

HNA in Turbulenzen

Wanda – ein hollywoodreifes Drama

Die gar nicht armen Verwandten aus Hongkong und Taiwan

BEINE, STEINE, WEINE – die Einkaufsliste der Neureichen aus China 

Chinas Nouveau Riche oder Crazy Rich Chinese

Balla Balla in China

Eine Liga im Besitz der Konzerne

Egal, ob Madrid oder Mailand – Hauptsache Ausland

Werbung bei Olympia und Fußball-WM? Logo!

Neue Regisseure in Hollywood

Hotels und Häuser – die steinernen Trophäen

Knacki, Zocker, Gipfelstürmer – die Immobiliengiganten

Fluchtweg durchs Hintertürchen

Chinesische Schlossherren im Bordelais

Die Entdeckung der Wohltätigkeit

Fuerdai oder das Nachfolgeproblem auf Chinesisch

ANGRIFF AUF FACEBOOK & CO. – warum China dank seiner Internetgiganten Alibaba und Tencent eine digitale Weltmacht wird

Dealer und Gambler – ein internetverrücktes Land

Alibaba und die tausend Möglichkeiten

Unser Dorf soll reicher werden – die Taobao Villages

Tausendsassa Jack Ma

Tencent – spielend zum Erfolg

Baidu – auf der Suche nach neuen Erfolgen

Das ist ein Ding – das Comeback von NetEase

JD.com – Alibabas Herausforderer

Spediteure als Profiteure

Das Smartphone als Portemonnaie

Ping An – Versicherungen im Minutentakt

Gutes Rad ist billig

Teilen statt Besitzen – der Boom der Sharing-Economy

Wie Didi gegen Uber siegte

Ctrip gegen Expedia und andere künftige Duelle

Wann greifen Alibaba, Tencent & Co. auf dem Weltmarkt an?

DROHNEN, E-AUTOS, ROBOTER – in den Zukunftsindustrien will China künftig an der Weltspitze mitmischen

Das neue Wirtschaftsmodell und die Rolle des Staates

Made in China 2025 – der Masterplan

Patente und Moneten

Der etwas andere Technologietransfer

Elektroautos: Der Staat lenkt …

… und die E-Autos fahren auf der Überholspur

Batterien – die geballte Ladung

Sonnenkönige und Windmacher

Überrollt und abgehängt – ein Lehrbeispiel

Das neue ABC der Flugzeugbranche

Roboter statt Arbeiter

Big Data und die künstliche Intelligenz

Leben bis 150?

Chip, Chip, hurra

DJI, der größte Drohnenbauer der Welt

Shenzhen, das Silicon Valley Chinas

BEGRÜSSEN ODER ABWEISEN – wie soll Europa auf die neuen Konkurrenten reagieren? 

Die Mauern der anderen: Australien und USA

Eine europäische Mauer?

Es ist Zeit für eine – europäische – Industriepolitik

LITERATUR

Regelmäßige Publikationen

REGISTER

EINLEITUNG

Wer kennt Guo Guangchang? Wer hat jemals von einem Unternehmen mit dem Kürzel HNA gehört? Es sind hierzulande unbekannte Namen von chinesischen Managern und Konzernen. Müssen wir die wirklich kennen?

Ja, denn Guos Konzern Fosun ist an einigen deutschen Firmen beteiligt, ihm gehören außerdem der Club Med und der Cirque de Soleil. Und HNA ist vergangenes Jahr als Großaktionär bei der Deutschen Bank eingestiegen.

Ob Guo oder HNA – viele dieser roten Bosse und ihre Unternehmen mit den kryptischen und für uns meist austauschbaren Namen sollten uns vertraut sein. Sie sind schon heute die Aufkäufer unserer Unternehmen, und sie werden zunehmend zu den Konkurrenten unserer Unternehmen. Die beiden Volkswirtschaften Chinas und Deutschlands werden immer enger verflochten. Und China ist inzwischen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt – und uns sagen nur wenige Namen von wichtigen Unternehmern, Managern oder von Konzernen etwas.

Wir sind dabei, dieselben Fehler von einst zu wiederholen, als wir in einer Mischung aus Arroganz und Ignoranz in den 60er Jahren erst die Japaner und dann in den 80er Jahren die Koreaner unterschätzten. Wer kannte damals schon Toyota oder Sony, wer Hyundai oder Samsung? Heute sind das Weltmarken.

Dieselbe Entwicklung werden auch chinesische Marken nehmen. Noch sind es wenige Brands aus China, die auf dem Weltmarkt auftauchen. Der ein oder andere hat schon mal von Haier, Hisense, Huawei oder Lenovo gehört oder sogar deren Produkte gekauft. Und es werden jedes Jahr mehr werden. Nach der Fortune-Liste haben schon heute 115 der 500 größten Unternehmen der Welt ihren Sitz in China. Sie stellen damit nach den Amerikanern mit derzeit 132 Unternehmen auf der Liste das größte Kontingent in der Top-Liga der umsatzstärksten Unternehmen der Welt.

Viele der chinesischen Konzerne stehen dabei erst am Anfang ihrer Internationalisierung. Sie mussten erst einmal auf ihrem großen Heimatmarkt bestehen und sich dort durchsetzen. Wer aber in China, im härtesten Markt der Welt, überlebt, ist auch gerüstet für den Weltmarkt. Wir werden also in den kommenden Jahren immer mehr chinesische Unternehmen kennen lernen, die hierzulande Unternehmen kaufen oder ihre Waren verkaufen wollen.

Und das werden keine Ramschwaren sein, wie noch viele Konsumenten naiv vermuten.Ware aus China ist gleich Billigware – diese Gleichung gilt längst nicht mehr. Wer heute noch Made in China nur mit Spielwaren oder Billigklamotten assoziiert, hat die Zeit verschlafen. Ja, auch Ramschwaren produzieren die Chinesen immer noch in gigantischen Mengen. Aber eben nicht mehr nur.

Aus der Fabrik der Welt ist zunehmend das Labor der Welt geworden. Eine Entwicklung, die vom mächtigen Staatsapparat gewollt und unterstützt wird. Chinas Führung, die weg will vom Billigimage ihrer Wirtschaft, spendiert milliardenschwere Förderprogramme und betreibt eine auf Schlüssel- und Zukunftsindustrien fokussierte Industriepolitik. Man muss nur das Programm Made in China 2025 anschauen – und man erfährt, in welchen zehn Schlüsselindustrien China an der Weltspitze stehen möchte. Und es sind – Deutschland, aufgewacht und aufgepasst! – gerade die Industrien, in denen wir uns (scheinbar) konkurrenzlos sicher fühlen.

Chinas Firmen flankieren damit die Politik ihres – so scheint es zumindest nach dem 19. Parteitag im Oktober 2017 – allmächtigen Führers Xi Jinping, der das Land zur alten Stärke führen will. Global operierende Konzerne spielen bei diesem Wiederaufstieg eine wichtige strategische Rolle.

Viele Firmen Chinas werden also technologisch gewaltig aufholen und damit unsere Konkurrenten werden. Im Internet sind Chinas Konzerne jetzt schon weltweit führend. WeChat – das ist der Messaging-Dienst von Tencent – ist dem westlichen Konkurrenten WhatsApp von Facebook weit voraus. Auch im E-Commerce setzt China bereits Maßstäbe. Alibaba unter dem charismatischen Gründer Jack Ma gilt als Benchmark der Branche. Ebenso trendsetzend ist China im noch jungen Bereich der Fintech-Industrie, also der Abwicklung von Finanzgeschäften (Bezahlen, Kreditvergabe, Geldanlage, Versicherungen) online. In China wird immer öfter mit dem Handy bezahlt. Das Land ist damit als eines der Ersten auf dem Weg in die bargeldlose Gesellschaft.

Bei Elektroautos wollen die Chinesen gleich den ganz großen Sprung nach vorne schaffen und mit der neuen Antriebstechnologie die westlichen Autokonzerne überholen. Sollte ihnen das gelingen, wäre das eine große Herausforderung, wenn nicht gar ein Desaster für die deutsche Autoindustrie.

Dies ist aber trotz allem kein Angstmacher-Buch. Sondern eher ein Weckruf, sich offensiver mit unseren neuen Konkurrenten auseinanderzusetzen, sie zu verstehen. Denn leider tragen Chinas Unternehmen – bis auf wenige Ausnahmen – wenig zur Aufklärung ihres Handelns bei und wundern sich angesichts ihrer schlechten oder nicht existenten Öffentlichkeitsarbeit, wenn man ihnen erstmal mit Misstrauen begegnet.

Wer steckt also hinter all diesen teilweise mystischen chinesischen Firmen, die immer mächtiger, aggressiver und internationaler werden?

Um das zu erfahren, bin ich mehrmals nach China gefahren. Ein Land, das ich seit rund 30 Jahren regelmäßig bereise, in dem ich immer mal wieder für kurze Zeitspannen lebte und deren Unternehmenswelt ich seit Jahrzehnten verfolge. Es war – wie zu erwarten – eine sehr ambivalente Recherche. Die einen, die Staatsunternehmen, sind total verschlossen. Über sie bekommt man Informationen nur aus zweiter Hand. Deshalb habe ich viele Gespräche mit Beratern, privaten Konkurrenten und westlichen Joint-Venture-Partnern geführt.

Etwas einfacher war hingegen der Kontakt zu den privaten Unternehmen des Landes. Vor allem die jungen Firmen aus der Internetwelt sind offen. Sie verstehen ihr PR-Handwerk. Sehr hilfreich war auch der elitäre China Entrepreneur Club, in dem die wichtigsten und größten Unternehmer des Landes vertreten sind. Die Vertreter dieses Clubs ermöglichten mir einen Blick hinter die Kulissen einiger großer Unternehmen Chinas.

Dabei war mir von vornherein klar: Es gibt nicht den chinesischen Manager und Unternehmer. Chinas Bosse sind vielmehr ein Mix aus interessanten, aber doch sehr unterschiedlichen Personen und Persönlichkeiten.

Da sind zum einen die älteren Gründer, die noch die Wirren der Kulturrevolution erlebt haben und dann mit den Reformen gewachsen sind. Meist sind es Selfmademen (und auch ein paar wenige -women), die sich aus ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet haben. Viele Tellerwäscherkarrieren sind darunter.

Da sind die jungen Entrepreneure, die nur das boomende China kennen und jede Möglichkeit nutzen, um reich zu werden. Sie sind oft exzellent – häufig im Ausland, meist in den USA – ausgebildet.

Und da sind die Bosse der Staatsunternehmen. Sie verkörpern eher den Typus Apparatschik, der zwischen der politischen und wirtschaftlichen Welt hin- und herpendelt und häufig nicht korruptionsfrei ist.

Bis auf Letztere sind alle reich, sehr reich sogar. Der Hurun-Report zählte soeben 647 Dollar-Milliardäre in China und damit inzwischen mehr als in den USA. Allein in Beijing leben 96 Dollar-Milliardäre. Weltweit liegt Chinas Hauptstadt damit auf Platz eins – noch vor der kapitalistischen Hochburg New York.

Mit ihren vielen Millionen können sie sich teure Hobbys und private Investitionen in aller Welt leisten. In Südfrankreich – vor allem rund um Bordeaux – kaufen sie ein Weingut nach dem anderen, in London, New York, Sydney und Vancouver Apartments und Villen in besten Lagen. Fußballvereine wie AC und Inter Mailand und Atlético Madrid sowie einige englische Premier-League-Clubs sind bereits – teilweise oder ganz – im Besitz chinesischer Milliardäre.

Und irgendwann kommt auch die Bundesliga in ihr Visier. Und irgendwann kaufen sie die Deutsche Bank. Und irgendwann attackiert ein chinesischer Konzern BMW oder Daimler.

Spätestens dann wird hierzulande hektisch gefragt werden: Wer ist das? Wer steckt dahinter? Warum sind die so unverschämt reich? Und müssen wir uns dagegen wehren – und wenn ja, wie? Oder – positiv gesehen – können wir sogar etwas von ihnen lernen?

Die Antworten auf diese Fragen von morgen kann dieses Buch auf den folgenden Seiten schon heute geben.

Wolfgang Hirn, Berlin

DIE ROTEN BOSSE – woher sie kommen, wie sie ticken und wie sie führen

»In den nächsten Jahren werden chinesische Firmen viel internationaler agieren, neue Märkte erschließen, Unternehmen kaufen. Dies stellt eine enorme Bedrohung für viele etablierte Firmen in diversen Branchen dar.«

Edward Tse, Unternehmensberater

Wir kennen ihre Namen nicht, wir erkennen ihre Gesichter nicht. Sie heißen Guo, Ma, Wang, Zhang, Zhou. Wir wissen nur: Es sind viele. Und sie sind alle verdammt reich.

Chinas rote Bosse – sie sind im Westen unbekannte Wesen. Es stellen sich deshalb viele Fragen: Wer sind sie? Wie ticken sie? Wie führen sie?

Eines gleich vorweg: Es gibt nicht den chinesischen Manager oder Unternehmer. Die simpelste Unterscheidung ist die zwischen den Führungskräften in privaten und staatlichen Unternehmen. Sie leben in zwei verschiedenen Welten, zwischen denen es keine Verbindung und auch kaum einen Austausch gibt. In den Staatsfirmen herrschen eher Apparatschik-Typen, die mehr Befehlsempfänger als Herren ihrer eigenen Entscheidungen sind. Sie müssen janusköpfig sein, Manager und Politiker.

Bei den privaten Unternehmern und Managern ist die Bandbreite enorm. Das Alter spielt bei ihnen als Differenzierungsmerkmal eine große Rolle. Im post-maoistischen China passieren aufgrund der rasanten Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft die Generationswechsel viel schneller. Rund alle zehn Jahre wird hier eine neue Generation geboren. Je nachdem, welcher Generation die Manager angehören, desto unterschiedlicher ticken und führen sie.

Man darf generalisieren: Je jünger sie sind, desto besser sind sie ausgebildet. Fast alle, die nach den 80er Jahren aufgewachsen sind, haben studiert, viele sogar im Ausland. Manche setzten später noch einen MBA drauf. Meist in den USA. Oder in den chinesischen Business Schools, die es inzwischen auch gibt. Dort lernen sie auch westliche Managementmethoden. Das heißt aber nicht, dass sie diese eins zu eins auf ihr Tun übertragen. Sie übernehmen gewisse Dinge aus dem Westen und kombinieren sie mit ihren chinesischen Erfahrungen und Weisheiten. Dabei entsteht ein neuer chinesischer Managementstil, dessen Konturen langsam sichtbar werden.

Chinas Manager führen anders als die im Westen. Sie sind flexibler, pragmatischer, risikofreudiger und deshalb auch meist schneller als ihre westlichen Konkurrenten. Sie sind extrem lernfähig und -willig. Und sie organisieren sich in branchenübergreifenden Netzwerken, wo sie sich in bester Tradition von guanxi (Beziehungen) gegenseitig helfen.

Doch völlig frei sind sie in ihren Entscheidungen nicht. Denn nach wie vor gilt im kommunistischen China: Ein privates Unternehmen ist nie privat. Der Einfluss der Partei ist immer da. Rein formal durch die Parteikomitees, die jedes, auch private Unternehmen haben müsste und auf deren Einsetzung Parteichef Xi Jinping massiv drängt.

Diese Komitees, in denen oft Manager der Top-Ebene sitzen, sind das Bindeglied zwischen Partei und Unternehmen. Über sie fließen Informationen in den Parteiapparat. Und umgekehrt versucht die Partei, durch sie Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen zu nehmen.

Die späte Geburt des Unternehmers

Jedes Jahrzehnt nach Reformbeginn Ende der 70er Jahre brachte – so eine Typisierung des Unternehmensberaters Edward Tse in seinem Buch China’s Disruptors – eine neue Unternehmergeneration hervor: Die 80er, die 90er, die 2000er und die 2010er. Diese Dekadeneinteilung chinesischer Unternehmer spiegelt auch ein Stück jüngster chinesischer Wirtschaftsgeschichte wider. Eine Geschichte, die erst 1978 beginnt, weil zu dem Zeitpunkt eine Ära endete. Und zwar die von Mao Zedong, der schon 1976 gestorben war.

Er hinterließ nach seinem Tod und seinen ideologischen Eskapaden ein wirtschaftlich rückständiges Land. Von wegen großer Sprung nach vorn: Es war ein großer Sprung zurück. Chinas Wirtschaft war auf Dritte-Welt-Niveau abgesunken. Es gab keine konkurrenzfähigen Unternehmen. Bürokraten lenkten die Wirtschaft. Fast jede Branche hatte ein eigenes Ministerium. Preise wurden festgelegt und die Produktionsmengen quotiert. Eben Planwirtschaft.

Fast alle privaten Unternehmer waren bereits 1949 nach der Machtübernahme der KP geflohen. Nach Hongkong, nach Taiwan. Dort bauten sie ihre neuen Imperien auf. Ein paar wenige Unternehmer blieben und kollaborierten mit den herrschenden Kommunisten. Aber 1956 war dann auch für sie endgültig Schluss. In diesem Jahr wurden die letzten privat geführten Unternehmen verstaatlicht. Zwischen 1956 und 1978 gab es nur Staats- und Kollektivunternehmen, also keine privaten Unternehmer, auch keine ausländischen Investoren. Die Wirtschaft befand sich in einer von oben verordneten Autarkie.

Das änderte sich nach Maos Tod. Die entscheidende richtungsweisende Sitzung fand im Dezember 1978 statt. Fünf Tage lang tagte das Zentralkomitee der KP in einem Hotel im Westen von Beijing. Das Ergebnis des kollektiven Nachdenkens: Wir brauchen und erlauben wirtschaftliche Reformen. Neben der lenkenden Hand des Staates darf auch die unsichtbare Hand des Markts eingreifen.

Wortführer der Reformer war Deng Xiaoping. Er propagierte die Vier Modernisierungen von Landwirtschaft, Industrie, Landesverteidigung sowie Wissenschaft und Technik.

Man fing in der Landwirtschaft an. Die Bauern durften ohne Preisdiktat ihre Waren verkaufen, an wen sie wollten. Das erhöhte die Produktionsmenge – so hatte die hungrige Bevölkerung endlich wieder genug zu essen. In der Industrie erlaubte man sogenannte Township and Village Enterprises (TVE), de facto in Besitz der kommunalen Behörden und Parteikader. Im April 1988 wurde dann die formale Existenzberechtigung von privaten Unternehmen durch den Nationalen Volkskongress beschlossen.

Einige wenige Unternehmer der ersten Stunde waren zu der Zeit schon quasi illegal unterwegs.

Die 80er: Alte Garde

Liu Chuanzhi (geboren 1944) kennt die schlechten Zeiten unter Mao. Er erzählt, wie er mit seiner Mutter in den 60er Jahren den Metallring ihres Kohleherdes zum Schmelzen ablieferte, um einen kleinen Beitrag zur Erhöhung der Stahlproduktion des Landes zu leisten. Er erinnert sich, wie sein Vater, ein kleiner Beamter, nur zum sogenannten Bohnen-Kader und nicht zum besser gestellten Fisch-und-Fleisch-Kader gehörte. Aber immerhin gab es zu Hause Bohnen, sie mussten nicht wie viele andere Gras fressen. Später, nach einer kurzen Phase als Rotgardist, wurde er aufs Land geschickt, weil ihn jemand als Rechtsabweichler denunziert hatte. Er pflanzte Reis in Guangdong und arbeitete in einem Lager in Hunan.

Als der maoistische Spuk vorbei war, konnte er sein Computerstudium fortsetzen und Mitte der 80er Jahre ein Unternehmen gründen: Legend, aus dem später der Weltkonzern Lenovo wurde (siehe Drittes Kapitel).

Liu ist einer dieser frühen Gründer, die ihre Firmen in den 80er Jahren gestartet haben. Manche waren wie Liu Chuanzhi schon über 40 Jahre alt. Sie starteten ihr Business unmittelbar nach Beginn der Reform und Öffnung unter Deng Xiaoping, den viele aus dieser Generation verehren, weil er ihnen quasi ermöglichte, Unternehmer zu werden.

Sie hatten oft keine Ausbildung, weil dies zu Zeiten der Kulturrevolution nicht möglich war. Manche waren stattdessen auf dem Land, führten oft ein armes und erbärmliches Leben. Aber diese Erfahrung hat sie gestählt für den Rest des Lebens. Manche dieser frühen Unternehmensgründer waren vorher beim Militär.

Sie hatten eines gemeinsam: Sie hatten zwar wenig Erfahrung vom Wirtschaften. Aber trotzdem haben die 80er Jahre eine Reihe genialer Unternehmer hervorgebracht: Li Shufu (Geely), Wang Shi (Vanke), Wang Jianlin (Wanda), Zhang Ruimin (Haier), Liang Wengen (Sany), Ren Zhengfei (Huawei) und eben Liu Chuanzhi.

Alles Selfmade-Männer. Sie erinnern so ein bisschen an die Gründer der deutschen Nachkriegszeit, die Borgwards, die Grundigs, die Neckermanns. Die 80er Jahre in China sind teilweise auch mit den 50er Jahren in Deutschland vergleichbar. Es herrschte Aufbruchstimmung nach dem Chaos, obwohl dieses in beiden Ländern natürlich unterschiedliche Ursachen hatte.

Alle dieser frühen Gründer werden im Verlaufe dieses Buches an unterschiedlichen Stellen auftreten. Sie alle haben Milliardenkonzerne geschaffen und sind dabei selbst zu Milliardären geworden.

Die 92er-Gang

1992 war ein entscheidendes Jahr in der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas. Das Land hatte zu der Zeit aufgrund der Folgen des Tiananmen-Massakers (im offiziellen chinesischen Duktus lediglich als »Vorfälle« verniedlicht) anno 1989 mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, nicht zuletzt, weil sich das politisch korrekte westliche Ausland mit Investitionen zurückhielt. Und weil Partei wie Nation verunsichert waren, wie es mit dem Land, das ja bis 1989 auf Reformkurs war, weitergehen könnte. Soll man mit den Reformen weitermachen – oder gar wieder zurück zur Planwirtschaft? In diesem breiten Rahmen bewegte sich der innerparteiliche Diskurs.

Doch dann machte sich der damals 88-jährige Deng Xiaoping zum Jahresbeginn 1992 auf die Reise in den Süden Chinas, erst nach Shenzhen und danach nach Shanghai. Dort legte er ein klares Bekenntnis zu den Reformen ab. Die sechswöchige Reise Dengs, der zu der Zeit schon keine politischen Ämter mehr innehatte, hatte Signalwirkung – nach außen wie nach innen. Ausländische Firmen kamen langsam wieder zurück. Und viele bis dato verunsicherte Chinesen stürzten sich ins Geschäftsleben, gründeten Firmen, sahen plötzlich die Möglichkeit, im Dengschen Sinne reich zu werden.

In diesem Wendejahr 1992 wurden viele erfolgreiche Unternehmen gegründet. Ihre Macher werden deshalb als die »92er-Gang« tituliert. Kein formaler Klub, sondern eher Brüder, im Dengschen Geiste vereint. Sie waren – anders als die Unternehmer der 80er Jahre – besser ausgebildet, die meisten hatten studiert und hatten danach stupide Jobs in der Bürokratie oder an den Universitäten.

Einer dieser 92er war Guo Guangchang, Gründer von Fosun, einem Konglomerat in Shanghai. Er wurde 1967 in den Wirren der Kulturrevolution geboren. Er war deshalb zu jung, um aufs Land geschickt zu werden. Aber die Entbehrungen der Zeit erlebte auch er. Eine Schüssel Reis und dazu getrocknetes Gemüse – mehr war nicht drin. Aber immerhin bescherte ihm das rechtzeitige Ende der Kulturrevolution eine gute Ausbildung. Er konnte an der Fudan Universität in Shanghai erst Philosophie und dann Wirtschaft studieren.

Schon als Student an der Fudan war er geschäftstüchtig. Spätabends – meist nach 23 Uhr – ging er von Tür zu Tür im Studentenwohnheim und verkaufte Teigtaschen. 5 Yuan das Stück. 1992 fing er dann mit dem Verkauf von Medikamenten an, dann Versicherungen. Jetzt ist Fosun ein Konglomerat, das seit ein paar Jahren in aller Welt Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen aufkauft (siehe Drittes Kapitel).

Guo, klein und asketisch, blieb ein zurückhaltender, freundlicher Mensch. Er praktiziert Tai-Chi und isst in der Kantine der Hauptverwaltung meist vegetarisch. Er sagt über sich: »Ich mach nichts Extremes, weder beim Essen, Trinken noch bei der Geldanlage.«

Die 92er – eine eher demütige Generation. Die folgende tickt da schon etwas anders.

Die 2000er: Profiteure des Internets

Um die Jahrtausendwende war eine spannende Zeit in China. Viel passierte um dieses historische Datum. Unter dem legendären – vor allem im Westen glorifizierten – Ministerpräsidenten Zhu Rongji war das Land auf einem stringenten Reformkurs nach innen wie nach außen. Ende 2001 trat China der Welthandelsorganisation (WTO) bei, was eine weitere Öffnung des Landes bedeutete.

Aber die vielleicht wichtigste Neuerung jener Tage war eher technologischen Ursprungs: Das Internet erreichte in seiner vollen Dimension auch China. Deshalb sind die meisten Unternehmer dieser Generation der Online-Szene zuzuordnen. Technologie-affin und gut ausgebildet. Die wichtigsten Vertreter dieser Generation sind alles Internet-Milliardäre: Liu Qiangdong (JD.com), Charles Chao (Sina), Jack Ma (Alibaba), Robin Li (Baidu), Victor Koo (Youku) – und Pony Ma, Gründer von Tencent.

Geschichten von Hunger und Fronarbeit auf dem Lande kann Pony Ma (1971) nicht erzählen. Er wuchs – wie man so schön sagt – in geordneten Verhältnissen auf. Sein Vater war bei der Hafenverwaltung, erst auf Hainan, dann in Shenzhen. Lange Zeit war Pony Ma von der Astronomie fasziniert, wollte deshalb unbedingt ein Teleskop, das ihm seine Mutter dann irgendwann kaufte.

Er studierte dann aber doch nicht Astronomie (weil ihm das schlussendlich zu weltfremd war), sondern Computerwissenschaft an der Shenzhen Universität. Im November 1998 gründete er mit ein paar Kommilitonen Shenzhen Tencent Computer Systems. Sein erstes erfolgreiches Produkt war ein Instant Messenger namens QQ. Dann stieg er ins Onlinespiele-Geschäft ein. Und schließlich kreierte er 2011 WeChat, das chinesische WhatsApp, was aber wesentlich mehr kann als das amerikanische Original und inzwischen fast eine Milliarde User hat. Heute gehört Tencent zu den zehn wertvollsten Unternehmen der Welt (siehe Fünftes Kapitel).

Pony Ma ist ein Internetfreak. Jetzt verbringt er nur noch drei Stunden am Tag online, aber zu seinen verrücktesten Zeiten waren es zehn Stunden. Seine Frau Wang Danting, eine Dozentin an der Harbin Universität, lernte er übrigens auch im Netz kennen, im Mai 2004 bei einem Chat. Sie fragte: »Hallo, wer bist du?« Er antwortete: »Der Vater des Pinguins«. Sie schlagfertig: »Dann bin ich die Mutter des Pinguins.« (Pinguin ist das Maskottchen von Tencent). Drei Monate später trafen sie sich eher zufällig in Beijing, kurze Zeit danach heirateten sie.

Das Internet prägt auch die Generation der jungen Wilden.

Die 2010er: Junge Wilde

Aufgewachsen in den 80er Jahren, kennen sie nur die Reformära, die guten Zeiten des ständigen Mehrs. Mehr Wachstum, mehr Einkommen, mehr Wohlstand. Von den schlimmen Zeiten davor wissen sie nur – wenn überhaupt – vom Hörensagen, von den Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern. Als einziges Kind wurden sie gehätschelt und gepampert. Sie denken international, sind gut ausgebildet und westlicher orientiert als die Generationen zuvor.

Viele dieser 2010er sind Internetunternehmer der zweiten Generation, aber auch Innovatoren wie zum Beispiel Token Hu.

Token Hu (1984) ist auf Europatour. An diesem Septembertag macht er Station in Berlin. Er sitzt in einem Büro in der Nähe von Torstraße und Rosenthaler Platz – eine Gegend, in der sich die Berliner Start-up-Szene tummelt. Es ist das Domizil seiner PR-Agentur. Hu ist auf Promotionstour für seine Firma Niu und deren einziges Produkt – einen Elektroscooter. Mit am Tisch sitzt Yan Li, der CFO. Beide sprechen perfektes Englisch. Sie sind eloquent, witzig, schlagfertig. Token Hu trägt einen kleinen Haarzopf, und er hat ein Tattoo am Hals.

Abgesehen von diesen Äußerlichkeiten: Sind sie anders als die Entrepreneure in den USA oder als die, die hier in Berlin um die Ecke Unternehmen gründen?

Nein. Sie sehen nicht nur so aus, sie ticken auch so. Sie sind Teil einer Internationalen der Entrepreneure. »Sie haben nie schlechte Zeiten in China erlebt, deshalb haben sie eine völlig andere Einstellung«, sagt Derrick Xiong, Marketingchef des Drohnenherstellers Ehang. Sie hätten mehr Gemeinsamkeiten mit ihren Alterskollegen in Europa und den USA als mit ihren Eltern. Er muss es wissen, denn er ist Anfang der 90er Jahre geboren. Diese neue Generation von Entrepreneuren, sagt Xiong, »was born to be global«.

Edward Tse kann das nur unterstreichen: »Einige von ihnen haben von Anfang an nicht nur den lokalen chinesischen Kunden im Visier, sondern den globalen.« Sie denken gleich big. Sie gehen direkt auf die schwierigen, weil anspruchsvollen Märkte. Weil sie sich sagen: Wenn ich mich dort durchsetze, kann ich überall bestehen.

Bestes Beispiel ist Niu, das von Token Hu 2014 mitgegründete Unternehmen. 200 000 Elektroroller haben sie schon in China verkauft. Nun wollen sie den Markt in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern aufrollen. Hu über die Strategie: »Wenn wir hier erfolgreich sind, können wir unsere Roller überall verkaufen.«

Über Crowdfunding hat Niu schon über 20 Millionen Euro zusammenbekommen.

Geld ist für Gründer nicht das Problem im heutigen China. Für jede Entwicklungsphase eines jungen Unternehmens sind die entsprechenden Geldgeber in China vorhanden: Crowdfunding, Seedfunding, Venture Capital. Die heutigen Jungunternehmer haben es deshalb einfacher als ihre Vorgänger, denn sie finden inzwischen eine Infrastruktur vor, die es vor Jahren nicht gegeben hat. Sowohl finanziell als auch physisch. In allen großen Städten gibt es inzwischen Acceleratoren, Inkubatoren, Work Spaces, Makerspaces und Technoparks, wo sich Gründer treffen und sich gegenseitig helfen.

Und ganz wichtig in diesem Land: Sie haben die staatliche Unterstützung für ihr Tun. Insbesondere Ministerpräsident Li Keqiang spricht und plädiert für mass entrepreneurship in seinen jährlichen Arbeitsberichten vor dem Nationalen Volkskongress. Interessant in diesem Zusammenhang: Ende September 2017 gaben Staatsrat und Zentralkomitee eine Richtlinie heraus, wo zum ersten Mal seit 1949 ein hohes Lied auf die Entrepreneure gesungen wurde. Ein Auszug aus der Lobeshymne: »Viele Entrepreneure haben einen großen Beitrag bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung geleistet.«

Doch trotz all dieser eben beschriebenen Vorteile haben es die jungen Entrepreneure schwerer, weil die Konkurrenz größer, brutaler ist. Viele junge Leute wollen Unternehmer werden. Es wimmelt in diesem Lande von kleinen Jack Mas. Hat einer eine gute Idee, stehen gleich Dutzende, ach was Hunderte von Nachahmern sofort auf der Matte.

Dabei ist ein interessanter Unterschied zum anderen großen Entrepreneur-Land, den USA, festzustellen. Wenn in den USA jemand mit einer Innovation erfolgreich ist, werden die Konkurrenten versuchen, sich vom erfolgreichen Original zu differenzieren. In China dagegen machen die Konkurrenten genau dasselbe.

Bislang war nur von unternehmerischen Männern die Rede. Gibt es denn keine Frauen in diesem System?

Eine Männergesellschaft?

Sie gilt als Eiserne Lady, sie lächelt fast nie, das Wort Urlaub kennt sie nicht. Über Dong Mingzhu (1954) sagt man: »Wo Schwester Dong gegangen ist, wächst kein Gras mehr.« Sie selbst sagt über sich: »Ich gebe niemals Fehler zu und bin immer korrekt.« Die New York Times nennt sie die tougheste Geschäftsfrau Chinas, für Forbes ist sie die mächtigste Managerin des Landes.

Dong ist Chefin von Gree, dem weltweit größten Hersteller von Klimaanlagen, mit Sitz in Zhuhai nahe Hongkong. Umsatz über 15 Milliarden Dollar. Bei Gree hat sie sich seit 1990 hochgearbeitet. Ihre Autobiografie Regretless Pursuit (Streben ohne Bedauern) war ein Bestseller in China und wurde sogar als Serie im Staatssender CCTV verfilmt.

Sie war früh Witwe, gab ihren Sohn zu den Großeltern, ließ ihn ab und zu nach Zhuhai einfliegen. Dort musste er angeblich noch als kleiner Junge alleine den Bus zum Flughafen nehmen. Sie hat nie mehr geheiratet: »Wenn man verheiratet ist, hat man Verantwortung gegenüber einer anderen Person.«

Verantwortung zeigt sie jedoch gegenüber ihren Mitarbeitern: »Jedem unserer Arbeiter bieten wir eine Wohnung mit einem Zimmer pro Person. Für Hochschulabsolventen bauen wir Tausende neuer Drei-Zimmer-Wohnungen, die sie nach ihrer Heirat beziehen können. Das gehört sich so. Ich bin hier das Familienoberhaupt und für meine Kinder da.«

Dong Mingzhu ist eine der wenigen Frauen an der Spitze eines Unternehmens. Von Chinas großen Konzernen haben sonst nur noch Great Wall Motors (Auto) und die beiden Internetfirmen Ctrip sowie Didi Frauen an der Spitze. Top ist auch noch Sun Yafang, die Vorsitzende des Boards bei Huawei.

Dabei war die Volksrepublik China mal Vorreiter in Sachen Emanzipation. »Frauen tragen die Hälfte des Himmels« – diesen Spruch tätigte einst Mao Zedong. Was er damit sagen wollte: Im egalitären Kommunismus sollten auch die Geschlechter gleichberechtigt sein.

Die politische Praxis sieht freilich ganz anders aus. Im Ständigen Ausschuss des Politbüros, dem Machtorgan der KP, sitzen sieben Männer, im Politbüro gerade eine Frau zwischen 24 Männern in dunklen Anzügen. Im Zentralkomitee sind nur 10 von 204 Mitgliedern Frauen.

In der Wirtschaft sieht es besser aus, und es wird immer besser. Das hat mit der – 1979 erst auf Provinzebene, 1980 dann landesweit eingeführten – Ein-Kind-Politik des Landes zu tun. Weil es nur ein Kind zu erziehen gab, und die Großeltern vor allem den Müttern viel Erziehungsarbeit abnahmen, konnten sich viele Frauen stärker auf ihr berufliches Fortkommen konzentrieren. Es dominierte die sogenannte 4–2–1-Familienstruktur: Vier Großeltern und zwei Eltern sorgten für das eine Kind.

Für dieses eine Kind wurde – soweit man sich das leisten konnte – alles getan, vor allem in der Ausbildung. Es ist nicht selten, dass Familien die Hälfte ihres Einkommens in die Ausbildung ihres Kindes investieren. Davon profitierten auch immer mehr Mädchen. Früher, in Familien mit mehreren Kindern, waren die Mädchen traditionell weniger wert als die Jungs. Als Einzelkind erfuhren die Mädchen jedoch eine Aufwertung. Sie bekamen eine höhere Ausbildung, studierten – auch im Ausland. Die Folge: Man sieht immer mehr Frauen auf Vorstandsetagen. Und immer mehr Frauen sind erfolgreiche Unternehmerinnen.

Von den weltweit 88 Selfmade-Milliardärinnen kommen sage und schreibe 56 aus der Volksrepublik China. Selfmade heißt: Die Frauen sind nicht deshalb reich, weil sie viel geerbt haben oder einen begüterten Ehepartner haben. Nein, sie haben ihre Milliarden alleine geschaffen.

An der Spitze steht Chen Lihua (1941), »Pekings Immobilienkönigin« genannt. Ihr Vermögen wird auf 7,2 Milliarden Dollar geschätzt. Nummer zwei mit 6 Milliarden Dollar ist die »Touchscreen Queen« Zhou Qunfei (1970), Gründerin und CEO von Lens Technology. Sie wuchs auf einem Bauernhof auf, ging mit 16 Jahre von der Schule und arbeitete in einer Fabrik für Uhrengläser. Mit ein paar Tausend Dollar gründete sie 1993 ihre eigene Firma, da war sie gerade mal 22 Jahre alt. Die Firma wuchs so vor sich hin. Bis 2003. Dann kam der Anruf von Motorola. Der Handyhersteller suchte einen Produzenten, es ging um einen kratzfesten Bildschirm für ein neues Modell. Sie sagten: »Antworten sie mit Ja oder Nein. Wenn sie mit Ja antworten, helfen wir ihnen beim Aufbau der Produktion.« Und sie sagte Ja.

Von da an ging es richtig bergauf. HTC, Nokia, Samsung und schließlich Apple erteilten ihr Aufträge. Heute ist das Unternehmen geschätzte 11 Milliarden Dollar wert, hat 90 000 Beschäftigte in 32 Fabriken.

Rupert Hoogewerf, der die Liste der Selfmade-Frauen erstellt, sagt: »Keine Frage, China ist weltweit der beste Ort für weibliche Entrepreneure.«

Das merkt man auch in den Business Schools, wo der Anteil der studierenden Frauen steigt.

Die Kaderschmieden für Entrepreneure

Es ist ein idyllischer Campus, draußen im Shanghaier Stadtteil Pudong. Man flaniert unter Arkaden, die vor der prallen Sonne schützen. Vorbei an künstlichen kleinen Seen. Rund eine Dreiviertel-Autostunde von der hektischen Innenstadt entfernt, herrscht akademische Stille in der China Europe International Business School, kurz CEIBS genannt..

Es ist ein Mix aus westlicher und chinesischer Architektur. Wie hier vieles ein westlich-östlicher Mischmasch ist. Die Professoren kommen aus China, Europa und den USA. Die Sponsoren – von ABB bis Zoomlion – ebenfalls aus beiden Welten.

Der Anspruch ist freilich universal: »Wir messen uns mit Harvard«, sagt Charmaine Clarke, die Marketing-Dame, die durch das Gelände führt. Sie stammt aus Jamaika und unterstreicht, wie international es hier zugeht.

Hier kann man seinen MBA machen, aber sie vergeben auch einen Executive MBA (EMBA), wo meist chinesische Manager nochmals die Schulbank drücken. Schulbank ist natürlich nur im übertragenen Sinne gemeint. Hörsäle und Konferenzräume unterschiedlicher Größe sind alle ausgestattet mit modernster Technik. Ergreift ein Student das Wort, richtet sich gleich eine Kamera auf ihn und sein Konterfei erscheint auf dem großen Bildschirm.

Die CEIBS wurde 1994 als ein Joint Venture zwischen der chinesischen Regierung und der Europäischen Union gegründet. In den ersten zehn Jahren unterschied sich die Business School nicht wesentlich von den großen Business Schools dieser Welt, ob Insead oder Harvard. Aber danach wurden immer mehr China-spezifische Themen gelehrt und Case-Studies erstellt.

Früher waren es überwiegend Manager von Staatsunternehmen, die hier in modernem Management unterrichtet wurden. Aber nachdem die Regierung im Zuge ihrer Antikorruptionsbekämpfung auch MBA-Kurse als etwas Anrüchiges eingestuft hat, hat die Zahl der Manager aus Staatsbetrieben abgenommen. Nun überwiegen bei den Kursen die Führungskräfte aus privaten chinesischen Unternehmen.

Die andere – rein chinesische – Business School ist die Cheung Kong Graduate School of Business (CKGSB). Sie wurde 2002 gegründet, und zwar mit viel Unterstützung und Geld der Li-Ka-shing-Stiftung. Sie wirbt Professoren von Business Schools aus aller Welt ab, stattet sie mit gut dotierten Zehnjahresverträgen aus.

Li Haitao lehrte vorher an der University of Michigan und der Cornell University, bevor er 2013 nach China zurückkehrte. Er ist nun stellvertretender Dekan an der CKGSB und sagt: »Die amerikanischen Business Schools hatten ihren Höhepunkt vor der globalen Finanzkrise 2008. Hier, in China, beginnt gerade erst die Business Education.« Fast alle großen Business Schools dieser Welt haben deshalb inzwischen Ableger in China und vermitteln überwiegend westliche Managementmethoden.

Aber vielleicht noch wichtiger als die Inhalte sind die Kontakte, die man an den Schulen knüpft. Michael Pettis, selbst Professor an der Guanghua School of Management an der Beida, sagt: »Der große Vorteil ist, dass deine Kommilitonen später in der chinesischen Regierung, einer chinesischen Bank oder einem chinesischen Unternehmen sitzen.«

Die CEIBS hat fast 20 000 Alumnis, also Ehemalige. Der Kreis der Ehemaligen ist bei der CKGSB mit rund 7 000 Alumnis um einiges kleiner, aber dafür auch exklusiver. Darunter sind 2 500 Chairmen und CEOs von chinesischen Unternehmen, auch der omnipräsente Jack Ma von Alibaba.

Jack Ma ist inzwischen selbst in das Business-School-Business eingestiegen. Ende März 2 015 startete er in seiner Heimatstadt Hangzhou mit seiner Hupan University. Hupan Garden hieß die Wohngegend, in der einst Jack Mas Apartment war, in dem er zusammen mit ein paar Kumpels den Plan für Alibaba ausheckte. Deshalb der Name Hupan University, eine sehr elitäre Kaderschmiede.

Die Aufnahmebedingungen für die Hupan University sind hart: Die Bewerber müssen mindestens drei Jahre als Gründer hinter sich haben, mehr als 30 Beschäftigte und einen Jahresumsatz von über 30 Millionen Yuan. Und damit auch alles in dem noch jungen Unternehmen korrekt zugegangen ist, müssen sie auch gleich die Steuererklärungen mitschicken.

Neben diesem umfangreichen Zahlenwerk werden noch drei Empfehlungsschreiben verlangt, darunter eines von dem elitär besetzten Direktorgremium der Uni. Erst nach Prüfung dieser Unterlagen wird man überhaupt zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Und auch nach diesen wird brutal gesiebt: 2017 schafften es nur 44 von über 1 000 Bewerbern. Das ist selektiver als zum Beispiel an der renommierten amerikanischen Stanford University.

Jack Ma hat die Vision für seine Elite-Uni schon mal kundgetan: »Ich hoffe, dass in 20 oder vielleicht 30 Jahren mindestens 200 der 500 Top-Business-Leute in China an der Hupan University studiert haben.«

Für die Manager von Staatsunternehmen sind solche private Einrichtungen eher nichts. Sie müssen auf den Parteihochschulen pauken. Die Zentrale Parteischule liegt im Nordwesten von Beijing in der Nähe des Sommerpalastes. Eine Institution – sie besteht seit 1933. Sie bietet spezielle Unterrichtsklassen für SOE-Manager an.

Daneben gibt es seit 2006 noch die vergleichsweise junge China Executive Leadership Academy Pudong in Shanghai. Ein modernes Gebäude, entworfen von Pariser Architekten. Ein riesiger roter Tisch aus der Ming-Zeit als Eingangsportal. Dahinter auf einem 42-Hektar-Campus Wohnräume in Top-Hotel-Qualität für 800 Studenten, eine fünfstöckige Bibliothek, ein Sportzentrum und viele Unterrichtsräume. Jedes Jahr werden hier rund 10 000 Bürokraten und Unternehmer in Ein-bis-Drei-Wochen-Kursen durchgeschleust. Es wird nicht nur kommunistisches Gedankengut vermittelt, sondern auch westliche Managementdenke. Dazu werden häufig Gastprofessoren aus Harvard, Wharton oder Oxford eingeladen.

Die Lehren aus West und Ost zusammen ergeben eine ganz neue Managementphilosophie.

Pragmatisch, praktisch, gut – der chinesische Managementstil

Hätte Apple-Gründer Steve Jobs auch in China erfolgreich sein Unternehmen gründen und aufbauen können?

Eine hypothetische, aber gleichwohl spannende Frage.

Xiaomi-Gründer Lei Jun hat darauf eine klare Antwort: »Wenn Steve Jobs in China gelebt hätte, wäre er nicht erfolgreich gewesen. Er war ein skrupelloser Perfektionist. Aber die chinesische Kultur geht den mittleren Weg. Hier muss man Kompromisse machen.«

Chinas Manager sind nicht so perfekt wie die Amerikaner und erst recht nicht wie die Deutschen. Ein deutsches Unternehmen bringt ein Produkt erst auf den Markt, wenn es hundertprozentig ausgereift ist, dutzendfach getestet und von fast allen für gut befunden wurde. Ein Perfektionismus, der seinen Ursprung in der deutschen Ingenieurskultur hat.

Der Chinese hingegen ist nicht »Mister 100 Prozent«. Ihm reichen – nur um mal eine ungefähre Zahl zu nennen – 80 Prozent. Man nennt das auch Good-Enough-Standard. Schon in einem imperfekten Stadium geht er mit seinem Produkt auf den Markt. Erkennt er, dass er Veränderungen vornehmen muss (weil es zum Beispiel der Kunde verlangt), dann reagiert er sofort. Chinesische Manager beherrschen das Trial-and-error-Verfahren wie kaum jemand sonst.

Sie sind wahre Meister des Pragmatismus.

Mit dieser Haltung kreieren die Chinesen einen neuen, eigenen Managementstil. Früher dachten die westlichen Manager, die teilweise in einer Kolonialherrenattitüde nach China einfielen, die chinesischen Manager würden irgendwann wie sie werden. Ihr überhebliches Motto: Denen zeigen wir, wie man Unternehmen führt, schließlich ist unser kapitalistisches diesem staatswirtschaftlichen – oder wie immer man es nennen mag – System überlegen. Ebenso sind unsere Führungsmethoden die besseren, denn schließlich sind – so war es jedenfalls damals vor mehr als einem Jahrzehnt – fast alle Fortune-500-Unternehmen aus dem Westen.

Doch genauso wenig, wie der Kapitalismus über das chinesische Modell siegte, so wenig setzte sich in China das westliche Managementsystem durch. Lenovo-Gründer Liu Chuanzhi kritisiert den westlichen Konformismus: »US-Wirtschaftsführer haben eine standardisierte und systematische Methodologie, um ihre Unternehmen zu führen. Es ist, wie nach einem Standardrezept zu kochen.«

Chinas Unternehmer werden nicht das westliche Modell übernehmen, aber Teile davon. Zhang Ruimin, Gründer des Elektrokonzerns Haier, sagte in einem Interview mit BBC: »Ich glaube daran, das Beste aus beiden Welten, der chinesischen und der westlichen, zu mischen.« Und Chen Feng, Gründer von HNA, sagt: »HNAs Corporate Culture ist eine harmonische Kombination von Ost und West. Sie hat das Wesen der traditionellen chinesischen Kultur, aber auch die westliche Managementmethode Six Sigma.« Das vom damaligen GE-Chef Jack Welch praktizierte Six Sigma soll – sehr vereinfacht ausgedrückt – in sechs Schritten die Effizienz in den Unternehmen steigern.

Huawei-Gründer Ren Zhengfei drückte es, als er nach der Huawei-Kultur gefragt wurde, so aus: »Sie ist wie eine Zwiebel mit vielen Schichten. Eine Schicht ist britische Kultur, eine andere ist chinesisch und wiederum eine andere ist amerikanisch.« Das Curriculum an der Huawei Universität, die inzwischen über 100 000 der Beschäftigten des Telekommunikationskonzerns besucht haben, zeigt die Vielfalt. Dort wird die protestantische Ethik neben dem Buddhismus gelehrt.

Es zeigt sich ein interessanter Unterschied: Die chinesischen Manager sind bereit, vom Westen zu lernen. Aber umgekehrt kämen die meisten westlichen Manager nie auf die Idee, von China lernen zu wollen. Eine arrogante Attitüde, die wir schleunigst ablegen sollten. Michael Useem, Co-Autor des Buches Fortune Makers, ist überzeugt: »Wir glauben, dass westliche Unternehmen viel von den neuen chinesischen Managern lernen können.«

Die Chinesen sind offener als wir, lernbereiter, vorurteilsfreier. Und risikofreudiger. Roland-Berger-Chef Charles-Édouard Bouée benennt es so: »Die Chinesen haben eine positive Haltung gegenüber dem Risiko.« Diese Haltung zeigt sich auch daran, dass sie ungewöhnliche Wege gehen, alte Gewohnheiten infrage stellen. Bei Haier krempelte zum Beispiel Chef Zhang Ruimin die Organisation radikal um, schaffte die Hierarchien ab und installierte rund 4 000 autonome kleine, teamorientierte Business-Units. Welcher deutsche Konzernchef hätte diesen Mut gehabt?

Bei Huawei wurde bereits 2012 das System des rotierenden CEO eingeführt. Ein ziemlich originäres und zudem noch demokratisches Führungsmodell. Die über 80 000 wahlberechtigten Beschäftigten (Ausländer sind nicht zugelassen) wählen 60 Repräsentanten, die wiederum den siebenköpfigen Vorstand wählen. Dabei müssen die Kandidaten für den Vorstand den 60 Repräsentanten Rede und Antwort stehen. Drei der Vorstände rotieren alle halbe Jahre als CEO, die anderen vier nicht. Management-Professor David De Cremer urteilt: »Der innovative Ansatz von Huawei zeigt, wie Führung auf höchster Ebene in der Zukunft aussehen könnte.«

Das Huawei-Beispiel zeigt auch, dass chinesische Unternehmen eine ganz andere Prioritätenliste haben als ihre Pendants im Westen. Dort heißt die Reihenfolge der Aufmerksamkeit: Aktionäre, Kunden, Zulieferer und dann kommen erst die Mitarbeiter, auch wenn viele Konzernchefs gerne das Gegenteil behaupten. In China dagegen stehen die Mitarbeiter an erster Stelle. Charles-Édouard Bouée bestätigt das: »In China kommen das Land und die Gemeinschaft (die Mitarbeiter und die Gesellschaft als Ganzes) zuerst, selbst in börsennotierten Unternehmen. Die Aktionäre sind unter ›ferner liefen‹.«

Daraus resultiert ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen Ost und West: Viele chinesische Unternehmen denken nicht so kurzfristig wie ihre westlichen Konkurrenten. Diese sind von dem seit Anfang der 90er Jahre dominierenden Shareholder-Value-Gedanken geprägt. Sie unterwerfen sich Aktionären, die kurzfristige Erfolge sehen wollen, und frönen einem Quartalsdenken. Chinesische Manager und Unternehmer denken in anderen, viel längeren Zeiträumen. Sie ticken da nicht anders als die politischen Führer, die ebenfalls in ganz anderen Horizonten planen, weil sie sich – zugegeben – auch nicht alle vier Jahre den Wählern stellen müssen.

Huawei-Gründer Ren Zhengfei geht deshalb auch nicht an die Börse, weil er nicht an den kurzfristigen Erfolg glaubt. Sein Unternehmen plane die Entwicklung in Dekaden, sagt er. Und Wanda-Chef Wang Jianlin denkt in noch größeren Zeiträumen: »Unsere Ambition ist, Wanda zu einer Firma zu machen, die mehr als 100 Jahre lebt.«

Gedanken, die er häufig mit seinen Unternehmerkollegen austauscht.

Unternehmer auf Klassenausflug – die Netzwerke

19. Etage in einem eher unscheinbaren Bürohochhaus im Pekinger Nordwesten, irgendwo im Haidian-Bezirk. Vor der gläsernen Eingangstür steht ein künstlicher Baum. Auf die Blätter des Baumes sind Unterschriften gekritzelt. Es sind keine unbeschriebenen Blätter, die da verewigt sind. Es sind nämlich die Signaturen fast aller wichtiger Privatunternehmer Chinas. Sie alle sind Mitglied im Chinese Entrepreneur Club (CEC), der hinter der Glasfront sein Sekretariat hat. Rund 40 Personen arbeiten hier.

Man hat sich das irgendwie pompöser vorgestellt, denn schließlich ist dies hier der elitärste Unternehmerclub des Landes. 2006 gegründet hat der Club derzeit knapp 60 Mitglieder. Zum Beispiel Immobilienhai Hui Ka Yan, der reichste Chinese, oder Fosun-Chef Guo Guangchang oder Lei Jun.

Wer in diesem exklusiven Club Mitglied werden will, benötigt die Empfehlung von zwei Mitgliedern. Früher mussten die Mitglieder einstimmig für die Aufnahme neuer Mitglieder sein, heute reicht eine Drei-Viertel-Mehrheit. Lange Zeit war Liu Chuanzhi von Lenovo der Boss der Bosse, seit Mai 2016 ist es Alibaba-Gründer Jack Ma.

Der Club bietet vielfältige Aktivitäten an. Man besucht sich zum Beispiel gegenseitig, man will voneinander lernen. Als zum Beispiel der Autohersteller Geely Volvo übernehmen wollte, hat sich im Vorfeld Geely-Chef Li Shufu intensiv mit seinen Clubkollegen ausgetauscht.

Private Events sind der Daonong Salon und die Daonong Gala, die einmal im Jahr stattfindet mit rund 200 Gästen, auch aus der Politik. Es gibt ein Golfturnier (übrigens gesponsert von BMW), bei dem ein Nord-Team gegen ein Süd-Team antritt.

Wenn große ausländische CEOs nach China reisen, lädt der Club zum Breakfast, Lunch oder Dinner mit ihnen. Jeffrey Immelt (GE), John Chambers (Cisco) und Michael T. Duke (WalMart) waren schon Gast. Eine kleine Truppe besuchte Virgin-Gründer Richard Branson auf dessen Necker Island in der Karibik.

Einmal im Jahr gehen sie fast alle auf große Reise. Bislang standen auf der Liste USA, Großbritannien, Frankreich, Australien, Kanada sowie Deutschland und Italien. Meist wurde ihnen der rote Teppich ausgerollt. In den USA empfing sie der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon ebenso wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. In Großbritannien und Frankreich hofierten sie die ehemaligen Premierminister David Cameron und François Hollande. Nur die Bundeskanzlerin war zum Leidwesen der Wirtschaftselite Chinas verhindert, als die Delegation im Oktober 2015 durch Deutschland tourte und anschließend nach Italien weiterreiste.

Es hat fast etwas von einem Klassenausflug, wenn Chinas Bosse reisen. Ernst und Spass liegen dicht beieinander. In Deutschland besuchten sie auch den FC Bayern München. Grund für die Kameraderie, sagt Sina-Chef Charles Chao, sei, dass die Mitglieder aus verschiedenen Branchen kämen, sodass sie nicht miteinander im Wettbewerb stünden.

Der CEC ist sicher einer der prominentesten und elitärsten Clubs. Daneben gibt es das China Entrepreneurs Forum (CEF), das 2000 gegründet wurde. Zu Beginn war das CEF, was die Mitgliedschaft anbetrifft, sehr restriktiv. Heute dagegen umfasst das Forum mehrere Hundert. Jeden Winter trifft man sich im Club Med in Yabuli, einem Wintersportort in der Provinz Heilongjiang im kalten Nordosten Chinas. Wegen diesem schneereichen Ambiente titulieren die Veranstalter das Event auch gerne als das »Davos von China« in Anspielung auf das World Economic Forum in der Schweiz. Es gibt auch ein Treffen im Sommer. Das hat aber keinen festen Ort. Er wechselt jedes Jahr.

Natürlich besteht auch ein offizieller Unternehmerverband, die All-China Federation for Industry and Commerce (ACFIC). Eine sehr staatstragende und parteinahe Organisation, die bei den privaten Unternehmern keine große Rolle spielt.

Und es gibt viele lokale und regionale Vereinigungen. Zum Beispiel die General Association of Zhejiang Entrepreneurs. Vorsitzender ist seit Oktober 2015 Jack Ma (was macht der eigentlich alles?).

Zhejiang – das ist eine der Nachbarprovinzen von Shanghai und die Geburtsstätte vieler erfolgreicher Unternehmer und Unternehmen des Landes.

Zhejiang – die Provinz der Kapitalisten

Zhejiang ist eine chinesische Provinz, die südlich an Shanghai angrenzt. Sie hat rund 50 Millionen Einwohner, aber Millionen von Unternehmen. Eine irre Relation, die es sonst nirgendwo in China gibt, auch nicht in der sehr geschäftstüchtigen Südprovinz Guangdong.

Zhejiang ist einzigartig.

Hauptstadt der Provinz ist Hangzhou. Die alte Kaiserstadt ist heutzutage mit dem Hochgeschwindigkeitszug nur noch eine knappe Stunde von Shanghai entfernt. Hangzhou, inzwischen auch Weltkulturerbe, ist ein beliebtes Ziel von ausländischen, aber noch mehr chinesischen Touristen, die um den schönen Westsee flanieren.

Hier sitzen inzwischen auch große Firmen – zum Beispiel die Autofirma Geely, der Getränkekonzern Wahaha und natürlich der allgegenwärtige Alibaba-Konzern. Dank Alibaba ist Hangzhou inzwischen das Zentrum des E-Commerce in China. Eine Boomtown, die man fast in einem Atemzug mit Beijing, Shanghai und Shenzhen nennen muss. Indiz: Die Gehälter sind in Hangzhou fast so hoch wie in diesen Städten, und die Immobilienpreise auch.

Warum aber gerade Zhejiang?

Eine Episode, die gerne erzählt wird, erklärt sehr gut, wie Geschäftsleute aus Zhejiang ticken: Wenn ein Shanghainese 1 Dollar bekommt, spart er 50 Cent und investiert 50 Cent. Ein Geschäftsmann aus Zhejiang hingegen investiert den Dollar und leiht sich 50 Cent vom Shanghainesen und investiert auch diese.

Geschäftstüchtig, verschlagen, risikobereit – das sind Attribute, die man den Kaufleuten der Provinz anheftet. Ihr Ruf im restlichen China ist deshalb zwiespältig: Einerseits mag man sie wegen ihrer Raffgier-Mentalität nicht, man lästert und spottet über sie. Aber sie werden irgendwie auch wegen ihres Unternehmergeists und ihrer Risikobereitschaft beneidet.