Chronisch gesund statt chronisch krank - Bernhard Dickreiter - E-Book

Chronisch gesund statt chronisch krank E-Book

Bernhard Dickreiter

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Beschreibung

Von der Schulmedizin bis heute ignoriert: Die wahren Ursachen der chronischen Zivilisationskrankheiten – und was man dagegen tun kann

Arthrose, Diabetes, Alzheimer, Rückenleiden, Krebs, Burnout ... Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute – und immer öfter sind bereits junge Menschen betroffen. Viele dieser Patienten sehen in ihrer Erkrankung ein unvermeidbares und unabänderliches Schicksal und werden darin sogar noch von ihren behandelnden Ärzten bestätigt. Der Internist, Reha-Experte und Ganzheitsmediziner Dr. med. Bernhard Dickreiter ist vom Gegenteil überzeugt: Anschaulich und unterhaltsam erklärt er anhand zahlreicher Patientenbeispiele, wie chronische Zivilisationskrankheiten entstehen, wie man sie vermeiden und – frühzeitig erkannt – sogar heilen kann.

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Arthrose, Diabetes, Alzheimer, Rückenleiden, Krebs, Burnout ... Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute – und immer öfter sind bereits junge Menschen betroffen. Viele dieser Patienten sehen in ihrer Erkrankung ein unvermeidbares und unabänderliches Schicksal und werden darin sogar noch von ihren behandelnden Ärzten bestätigt. Der Internist, Reha-Experte und Ganzheitsmediziner Dr. med. Bernhard Dickreiter ist vom Gegenteil überzeugt: Anschaulich und unterhaltsam erklärt er anhand zahlreicher Patientenbeispiele, wie chronische Zivilisationskrankheiten entstehen, wie man sie vermeiden und – frühzeitig erkannt – sogar heilen kann.

Zum Autor:

Dr. med. Bernhard Dickreiter, ehemaliger Chefarzt einer Rehaklinik, befasst sich seit über zwanzig Jahren mit zellbiologischen, evolutionsbiologischen und systembiologischen Erkenntnissen und ihrer Bedeutung für die Prävention und Therapie chronischer Zivilisationskrankheiten. Er ist Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin und verfügt über die Zusatzbezeichnungen Naturheilkunde und Geriatrie. Er ist als Dozent an der Fresenius Hochschule tätig und hält Vorträge und Seminare. Bernhard Dickreiter lebt mit seiner Familie im Schwarzwald.

Dr. med. Bernhard Dickreiter

CHRONISCH GESUND STATT CHRONISCH KRANK

Wie Arthrose, Diabetes, Alzheimer und andere Zivilisationskrankheiten entstehen und was Sie dagegen tun können

Die Inhalte dieses Buches wurden gewissenhaft und sorgfältig geprüft. Die Vorschläge und Empfehlungen haben sich in der Praxis bewährt, sie ersetzen jedoch nicht die Beratung durch einen Arzt. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

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Originalausgabe 2019

Copyright © 2019 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieses Werk wurde durch die Literaturagentur Beate Riess vermittelt

Redaktion: Kerstin Lücker, Berlin

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich,

unter Verwendung eines Fotos von © Random House / Kay Blaschke Fotografie

Grafiken: Markus Weber / Guter Punkt GmbH & Co. KG

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-23974-9V001

www.heyne.de

Inhalt

Warum werden chronisch Kranke nicht geheilt?

Mein Weg zur Biologie der Selbstheilung

Die Zelle

Die Entdeckung der Zelle

Der Mensch – eine »Ansammlung« von Zellen

Die extrazelluläre Matrix – unsere »innere Umwelt«

Zellbiologie und Evolutionsbiologie

Zellbiologische Erkenntnisse – wie chronische Zivilisationskrankheiten entstehen

Evolutionsbiologie – wie unser Körper funktioniert

Das vegetative Nervensystem – die oberste Instanz der Regulation

Das Herz-Kreislauf-System – wie kommt die Nahrung zu den Zellen?

Das Hormonsystem – wie erreicht die Botschaft die Zelle?

Das Immunsystem – immer abwehrbereit

Das Grundregulationssystem nach Pischinger

Zellenergie – der Schlüssel zur Gesundheit

Die Zivilisationskrankheiten – die »Vermüllung« der inneren Umwelt

Arthrose – der Weg zum Ersatzgelenk: Gelenkabnutzung bei Bewegungsmangel?

Fibromyalgie – alles und überall tut es weh! Kann mir denn keiner helfen?

Diabetes mellitus Typ 2 – die tägliche Zuckerflut: »Wir kandieren uns von innen«

Volksleiden Rückenschmerzen – das Massenphänomen: Ich habe Rücken

Osteoporose – warum werden die Knochen porös? Die Angst vor dem Oberschenkelhalsbruch

Die Psyche leidet: Psychosomatische Erkrankungen:  »Psycho-Somatik« – wo bleibt das Soma?

Alzheimer-Demenz – mein Gedächtnis hat mich verlassen: Das Gehirn verliert Nervenzellen

Das Burn-out-Syndrom – mein Akku ist leer

Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) – die Schaufensterkrankheit: Schmerzen alle hundert Meter

Die Krebserkrankung gut überstanden – geheilt, aber nicht gesund

Allergie: Die Abwehr spielt verrückt

Die Darmbarriere und die chronischen Zivilisationskrankheiten – das Zusammenleben mit den Darmbakterien: eine Gemeinschaft zum gegenseitigen Nutzen

Leben bedeutet altern – Der Mensch altert, seine Zellen sind aber jung!

Heilung – wer heilt wen? Das Überdenken der therapeutischen Vorgehensweise

Ein systembiologisches Behandlungskonzept:Die Zellbiologische Regulationstherapie

Körperliche Bewegung – »Wasseraustausch in unserem Aquarium«! Die Reinigung der extrazellulären Matrix

Ernährung – Mittel zum Leben! »Wer sagt uns die Wahrheit?«

Trinken – »Wasser für die Spülung«

Entgiftung – »ein regelmäßiger Hausputz ist notwendig«

Orthomolekulare Substanzen – die Versorgung mit essenziellen Nahrungsstoffen

Säure-Basen-Regulation – »Sauer macht nicht lustig«

Psychologische Interventionen – bleib optimistisch und entspann dich

Chronobiologische Regulation – unsere rhythmische Zeit-Ordnung

Sauerstoff – »das Vitamin aus der Luft«

Tageslicht – »raus in die Natur und Sonne tanken«

Darmsanierung – eine entscheidende Therapie für sehr viele Krankheiten

Die Physiotherapie nach der Zellbiologischen Regulationstherapie (ZRT): Training mit gesunden Zellen

Die extrazelluläre Matrix in der Forschung – In der Wissenschaft ist der »Zellzwischenraum« mittlerweile angekommen

Schlusswort

Anmerkungen

Anhang

Warum werden chronisch Kranke nicht geheilt?

Mein Weg zur Biologie der Selbstheilung

Als junger Arzt habe ich ein paar Jahre in einem Kreiskrankenhaus gearbeitet. Die Arbeit als Notarzt im Rettungswagen und auf den verschiedenen Stationen der Inneren Medizin erfüllte mich. Doch gab es in dieser Zeit einen Wermutstropfen: So gut die Akutmedizin bei akuten Erkrankungen und Notfällen helfen kann, so hilflos steht sie den chronisch Kranken gegenüber. Immer wieder erlebte ich, wie ein chronisch kranker Patient bei uns eingeliefert wurde, wir ihn akutmedizinisch behandelten und medikamentös besser eingestellt wieder entließen. Bis er Monate später erneut bei uns eingeliefert wurde und das gleiche Spiel von vorne begann. Ein Drehtüreffekt, der mich als Arzt und als Mensch zunehmend frustrierte.

Ein paar Jahre später trat ich als Oberarzt eine Stelle in einer Rehaklinik für neurologische, internistische und orthopädische Erkrankungen an. Jetzt wurde ich täglich mit dem »chronisch Kranksein« meiner Patienten konfrontiert. Und obwohl ich nun auf ihre Leiden spezialisiert war, konnte ich ihnen auch hier nur bedingt helfen. Ich konnte ihr Leid mindern, aber nicht heilen. Das ließ mich nicht nur an meiner Tätigkeit als Arzt zweifeln, sondern auch an den offiziellen therapeutischen Vorgaben und Leitlinien unseres Gesundheitssystems. Warum werden chronisch Kranke nicht geheilt?

In meiner Anfangszeit als Oberarzt erlebte ich in meiner Sprechstunde zu oft folgende Situation:

Eine verzweifelte fünfzigjährige Frau schildert mir ihren Leidensweg. Sie sei in der letzten Zeit von einer Krankheit in die nächste geraten und habe das Gefühl, dass sie aus ihrem Kranksein gar nicht mehr herauskomme. Zuerst wurde bei ihr eine Arthrose beider Hüften diagnostiziert, dann erlitt sie spontan einen Abriss einer Sehne im linken Schultergelenk. Durch die verordneten Medikamente gegen die Schmerzen und die Entzündung verschlechterten sich ihr hoher Blutdruck und ihr Diabetes. Die Dosierung ihrer bestehenden Medikation wurde erhöht, und dazu kamen jetzt noch zusätzlich »Magenschutz«-Tabletten wegen der gehäuften Einnahme von Schmerzmitteln.

Die ganzen Krankheiten seien wie ein Blitz aus heiterem Himmel über sie gekommen. Seit Jahren habe sie bei ihrem früheren Arzt regelmäßig die Kontrolluntersuchungen wahrgenommen und er sei immer recht zufrieden mit ihr gewesen. Bis auf eine Neigung zum Diabetes, den hohen Blutdruck und die erhöhten Cholesterinwerte habe er nie etwas Gravierendes festgestellt. Ihr Übergewicht hat sie im Laufe der Jahre nicht in den Griff bekommen und den Rat zu mehr Bewegung auch nicht befolgt. Trotzdem habe sie sich über die ganze Zeit recht gut gefühlt. Sie sei erst krank geworden, als plötzlich die Schmerzen in den Hüftgelenken und in der linken Schulter auftraten.

Hier irrte sich meine Patientin: Die Schmerzen traten für sie zwar überraschend und plötzlich auf, ihre chronische Erkrankung aber hatte sich über Jahrzehnte stillschweigend angebahnt, ohne dass sie es bemerkte. Auch wenn es sich für uns so anfühlt – chronische Zivilisationskrankheiten sind kein Blitz aus heiterem Himmel! Doch oft wird erst eine Diagnose gestellt, wenn »blitzartig« Symptome und Komplikationen aufgetreten sind. Was bedeutet: Die Therapie beginnt in Bezug auf die gesamte Dauer des Krankheitsgeschehens sehr spät und beschränkt sich in der Praxis üblicherweise auf die Verordnung von Medikamenten.

So hatte es auch meine Beispielpatientin erlebt. Es wurden lediglich ihre Schmerzen durch die Medikamente unterdrückt bzw. überhaupt nur die Symptome behandelt, aber sie wurde nicht geheilt. Auch ihre Frage, was ihre chronischen Leiden eigentlich ausgelöst hatte, blieb unbeantwortet.

Durch Patienten wie sie wurde mir klar, dass den auslösenden Faktoren von chronischen Zivilisationskrankheiten heute viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Doch solange diese unberücksichtigt bleiben, so lange steckt die Medizin – und somit auch der Patient – in der Falle der medikamentösen Symptombehandlung. Wodurch auch die Gefahr wächst, dass vermehrt entsprechende Nebenwirkungen und Folgekrankheiten auftreten – die dann in der Regel wieder mit Medikamenten behandelt werden. Diese Vorgehensweise in der Therapie chronisch kranker Menschen wollte ich nicht länger als unveränderbare Gegebenheit hinnehmen.

Auf meiner Suche nach einem Ausweg aus der medikamentösen Symptombehandlung wandte ich mich verstärkt der Naturheilkunde zu. Ihre therapeutischen Verfahren zielen darauf ab, die körpereigene Regulation anzuregen und zu unterstützen. Diese körpereigene Regulation ist die Grundlage der Selbstheilung.

Doch was sind das für Regulationen und Prozesse in unserem Körper, durch die sich die Selbstheilungskräfte entfalten? Die Antwort auf diese Frage fand ich nicht in der Medizin, sondern in der Biologie. Mit ihren drei Spezialgebieten Zellbiologie, Evolutionsbiologie und Systembiologie erklärt sie viel tief gehender, wie unser Körper funktioniert und was er benötigt, um sich immer wieder zu regenerieren, also seine Gesundheit aus sich selbst heraus wiederherzustellen. Erst mit diesem Wissen konnte ich meiner verzweifelten Beispielpatientin erklären, was ihre chronischen Leiden wirklich ausgelöst hatte: Sie begannen mit schädlichen Veränderungen in der extrazellulären Matrix.

Was ist die extrazelluläre Matrix?

Die Lebenssituation einer Zelle in unserem Körper können wir mit der eines Fischs in einem Aquarium vergleichen. Schwimmt er in sauberem Wasser, ist er gesund und munter. Ist das Wasser jedoch verschmutzt, wird der Fisch krank. Jedem Aquariumsbesitzer ist klar, dass er nicht zuerst den Fisch behandeln, sondern das schmutzige Wasser austauschen sollte. Nur wenn die Regulation von Abfluss, Zufluss und Selbstreinigung des Wassers auf Dauer gewährleistet ist, bleibt der Fisch gesund.

Auf die Zelle übertragen, stellt das Wasser im Aquarium die Zellumgebung dar. Diese nennt man in der Fachsprache extrazelluläre Matrix. Und genau wie der Aquariumsbesitzer das Lebensmilieu »Wasser« in seine Überlegungen einbeziehen muss, so muss auch die moderne Medizin die extrazelluläre Matrix als den Lebensraum unserer Zellen viel stärker berücksichtigen.

Erst wenn man die extrazelluläre Matrix in die medizinischen Überlegungen einbezieht, gelangt man zu einer ganzheitlichen Betrachtung des Menschen. Denn unsere vier grundlegenden Regulationssysteme – das vegetative Nervensystem, das Herzkreislaufsystem, das Hormonsystem und das Immunsystem – wirken in und über die extrazelluläre Matrix.

So liegt für mich in der Regulation der extrazellulären Matrix der Schlüssel für eine ganzheitliche Medizin. Nur mit diesem Wissen können wir Präventions- und Therapiekonzepte erfolgreicher weiterentwickeln und anwenden. Chronische Zivilisationskrankheiten können so effektiver verhindert oder ursächlich geheilt werden.

Doch wie sieht es im medizinischen Alltag aus?

Ich habe mehr als zwanzig Jahre lang als leitender Arzt einer Rehabilitationsklinik für Patienten mit neurologischen, internistischen und orthopädischen Erkrankungen gearbeitet. Es ist ernüchternd, wie wenig die extrazelluläre Matrix bekannt ist. Ja, man muss von ihr sogar als dem »vergessenen Körperteil« sprechen. Dabei macht die extrazelluläre Matrix beinahe ein Drittel unseres Körpergewichtes aus – bei einem Menschen, der 60 Kilo wiegt, sind das annähernd 20 Kilo seines Körpergewichts. Aus dieser Unkenntnis heraus werden die bestehenden medizinischen Probleme überwiegend auf die biochemische Ebene, also letztlich auf die Gabe von Medikamenten heruntergebrochen.

Ich möchte mit diesem Buch einen anderen Weg gehen. Ich möchte anhand der extrazellulären Matrix nicht nur die Entstehung von chronischen Zivilisationskrankheiten aufzeigen, sondern auch, wie man sie vermeiden kann, und welche therapeutischen Konzepte sinnvollerweise umgesetzt werden müssen. Ganz im Sinne von Albert Schweitzer, der sagte: »Wir Ärzte tun nichts anderes, als den Doktor im Inneren zu unterstützen und anzuspornen. Alles Heilen ist Selbstheilung.« Ich möchte hinzufügen: Und die Selbstheilung beginnt bei den chronischen Zivilisationskrankheiten in der extrazellulären Matrix.

Die Zelle

Die Entdeckung der Zelle

Die Geschichte der extrazellulären Matrix – des Lebensraums aller Zellen – beginnt mit der Entdeckung der Zelle. Lange wusste man nichts von deren Existenz, und so ist es nicht verwunderlich, dass die traditionelle europäische Medizin von der sogenannten Humoralpathologie geprägt war, die als Säftelehre bezeichnet wird. In ihr wurde den Körpersäften und somit auch den Gewebssäften große Beachtung geschenkt. Eine entscheidende Wende in der Ausrichtung der damaligen Medizin brachte die Entdeckung der Zelle.

Da eine einzelne Zelle mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist, wurde ihre Entdeckung erst durch die Erfindung optischer Hilfsmittel möglich. Sie standen in der nötigen Qualität ab der Mitte des 17. Jahrhunderts zur Verfügung. 1665 entdeckte Robert Hooke unter dem Mikroskop in Flaschenkorken und später in Farnblättern kleinste abgegrenzte Gebilde. Diese sahen unter der damaligen Vergrößerung wie die kleinen Kammern aus, in denen Mönche lebten. Deshalb prägte Hooke den lateinischen Begriff Cellula (lateinisch für Kämmerchen), von dem sich die heutige Bezeichnung »Zelle« ableitet. Knapp zweihundert Jahre später – 1838 – stellte Matthias Jacob Schleiden fest, dass alle Pflanzen aus Zellen bestehen. Im gleichen Jahr erweiterte Theodor Schwann diese Aussage auf alle Tiere. Er fand auch heraus, dass jede Zelle eine Wand als Begrenzung hat: die Zellmembran. In der Folgezeit beschrieben Schleiden und Schwann den Aufbau der Zelle mit Zellmembran, Zellkern und Zellplasma.

Darüber hinaus erkannten die beiden, dass alle Zelltypen – wie zum Beispiel Leberzellen, Nervenzellen, Muskelzellen usw. – immer völlig identisch aufgebaut und bei allen Lebewesen gleich groß sind. Die Leberzelle einer Maus unterscheidet sich durch nichts von der Leberzelle eines Menschen – letzterer hat nur viel mehr davon. In der Natur scheint also jeder Zelltyp eine ideale Größe zu besitzen, die sich in allen Lebewesen gleichartig realisiert.

Die zellbiologischen Erkenntnisse von Schleiden und Schwann wurden zunehmend in der Wissenschaft akzeptiert. Im Jahre 1855 bestätigte Rudolf Virchow, dass jede Zelle durch Teilung aus einer anderen Zelle hervorgeht. Zellen entstehen also durch eine Zellteilung.

Zelle und Zellteilung, das sind die Grundbausteine und Grundfunktionen des Lebens aller Mehrzeller – folglich auch von uns Menschen.

Der Mensch – eine »Ansammlung« von Zellen

Stellen Sie sich vor: Sie waren einmal eine einzige, mikroskopisch kleine Zelle. Durch unzählige und wiederholte Teilungen entstand eine riesige Anhäufung von Zellen. Ein Mensch!

Aus einer befruchteten Eizelle ergeben sich so auf dem Weg zu unserem Dasein ca. 80 Billionen Körperzellen.

Obwohl wir uns aus einer einzigen befruchteten Eizelle entwickeln, sind nicht alle Zellen gleich. In unserem Körper müssen schließlich unterschiedliche Aufgaben erfüllt werden. So bilden sich etwa 250 verschiedene Zelltypen heraus, wie zum Beispiel die Haut-, die Nerven-, die Muskel-, die Leber- oder die Nierenzellen. Nur ganz wenige Zellen verbleiben in ihrem Urzustand, das sind die sogenannten Stammzellen. Sie stellen einen Regenerationspool für den Notfall dar. Fehlen irgendwo im Körper bestimmte Zellen, können durch Stammzellen regenerative Prozesse eingeleitet und unterstützt werden.

Teilt sich eine Zelle, erhalten die neu entstandenen Zellen immer eine vollständige Kopie der gesamten Erbinformation des jeweiligen Menschen. Der Großteil dieser Information wird jedoch zeitlebens nicht abgerufen. In den spezialisierten Zellen werden nur jeweils die Gene abgelesen, die für die Bewältigung der besonderen Aufgaben wie zum Beispiel der Niere, des Darms, der Haut oder der Muskeln zuständig sind. Alle anderen Genabschnitte werden auf stumm geschaltet. Auf diese Weise können unsere Organe mit ihren organtypischen Zellen ihre Aufgaben für unseren Körper erfüllen.

Das Wissen von dieser Spezialisierung der Zellen hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung der modernen Medizin. Betreten Sie mit mir den Eingangsbereich eines Klinikums. Schilder weisen uns den Weg: Kardiologie, Dermatologie, Nephrologie, Neurologie, Urologie usw. Sie sehen: Für jede Zellspezialisierung bzw. für jeden Zelltyp gibt es, überspitzt ausgedrückt, einen Facharzt. Diese Entwicklung in der modernen Medizin basiert auf der Ansicht, dass Krankheiten primär auf der Ebene der Zellen entstehen.

Werden wir akut krank, profitieren wir enorm von dieser Facharzt-Spezialisierung. Die Behandlungserfolge in der Akutmedizin sind für uns alle unbestreitbar segensreich. Wenn Sie akut an einer eitrigen Mandelentzündung erkranken, bekommen Sie gegen den auslösenden Erreger ein Antibiotikum. Dadurch geht es Ihnen rasch besser. Ebenso wird zum Beispiel ein akuter Blinddarm schnell operiert, bevor er zu Komplikationen führt.

Bei der Therapie chronischer Zivilisationskrankheiten greift dieser monokausale Ansatz aus der Akutmedizin jedoch nicht. Erkranken Sie zum Beispiel an Arthrose oder Diabetes, hat dies nicht eine, sondern vielfältige Ursachen. Mit Medikamenten kann man hier nur lindern, eindämmen, aber in der Regel nicht heilen. Hier benötigen wir also dringend eine neue Sichtweise: Wir müssen uns von der monokausalen Betrachtung der Krankheitsentstehung, wie sie in der Akutmedizin praktiziert wird, lösen und uns einer Betrachtung zuwenden, die die multifaktoriellen Auslöser bei den chronischen Zivilisationskrankheiten berücksichtigt.

Die extrazelluläre Matrix – unsere »innere Umwelt«

Wir Menschen leben in totaler Abhängigkeit von unserer äußeren Umwelt. Wir brauchen für unsere Vitalität reine Luft, sauberes Wasser, erträgliche Temperaturen und ausreichend Licht. Verändert sich nur einer dieser Faktoren negativ, so reagieren wir körperlich und psychisch auf die verschlechterten Lebensbedingungen: Wir werden akut oder chronisch krank. Leben wir lange unter schlechten Bedingungen, kann dies sogar zum Tode führen.

Auch unsere Zellen leben in totaler Abhängigkeit von ihrer Umwelt. Um existieren zu können, müssen sie permanent aus der Zellumgebung – der extrazellulären Matrix – mit ausreichend Sauerstoff, Mineralien, Vitaminen und Nährstoffen versorgt werden.

Erinnern Sie sich an den Fisch im Aquarium? Ist sein Wasser schmutzig, so wird er krank. Genauso ist es auch bei unseren Zellen. Die extrazelluläre Matrix sollte deshalb so wenig wie möglich »verschmutzen«. Kommt es in ihr zu Einlagerungen – die man auch »Schlacken« nennt – wie zum Beispiel Stoffwechselrückstände, Gifte oder Schwermetalle, so wird die Zellversorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen behindert. Leiden die Zellen dauerhaft unter einer solchen relativen Mangelversorgung, so droht ihnen nicht nur der Funktionsverlust, sondern mit der Zeit auch der Tod. Für den Menschen bedeutet das: eine chronische Krankheit entsteht.

Die Konsequenz daraus: Wir Menschen leben in einer doppelten totalen Abhängigkeit. Die von unserer äußeren Umwelt ist uns bewusst. Aber wie sieht es mit unserer totalen Abhängigkeit von unserer »inneren Umwelt« aus?

Ich habe mehr als 20 Jahre lang als leitender Arzt einer Rehabilitationsklinik für Patienten mit neurologischen, internistischen und orthopädischen Erkrankungen gearbeitet. In dieser Zeit hatte ich immer häufiger mit Patienten zu tun, die unter mehr als einer chronischen Krankheit litten. Zum Beispiel stellte ich bei einem Patienten einmal neben Diabetes, hohem Blutdruck und Übergewicht auch noch Knie- und Hüftgelenksabnutzungen (Arthrose), Gefäßverengungen (Arteriosklerose), Sehnenabnutzungen (Degeneration) in beiden Schultern und Knochenschwund (Osteoporose) fest. In der gängigen medizinischen Praxis sind all diese chronischen Leiden eigentlich voneinander unabhängige Diagnosen. Systembiologisch betrachtet haben sie jedoch eines gemeinsam: Erst der zunehmende Funktionsverlust der jeweiligen Zellen und ihr vermehrtes Absterben lässt diese Erkrankungen entstehen. Bei dem genannten Patienten verloren beispielsweise die Zellen in den Gelenkknorpeln zunächst ihre Fähigkeit, Knorpelgewebe zu bilden, dann starben sie nach und nach ganz ab – der Patient litt unter chronischer Arthrose. Dasselbe war in seinen Sehnen, seinen Gefäßen und seinen Knochen passiert.

Aber warum verlieren Zellen in den unterschiedlichen Gewebearten mit der Zeit ihre Funktionen und gehen schließlich zugrunde? Diese Frage ließ mich nicht mehr los, und ich begann, mich intensiv mit der Lebenssituation der menschlichen Zellen zu befassen. Nachdem ich die Bücher von Alfred Pischinger und Hartmut Heine gelesen hatte, wurde mir klar, dass der Schlüssel für eine sinnvolle und wirkungsvolle Prävention und Therapie von chronischen Zivilisationskrankheiten nicht primär in der Zelle, sondern in der extrazellulären Matrix, der inneren Umwelt des Menschen, liegt. Was uns in den Bereich der Zellbiologie, der Evolutionsbiologie und der Systembiologie führt.

Zellbiologie und Evolutionsbiologie

Zellbiologische Erkenntnisse – wie chronische Zivilisationskrankheiten entstehen

Profunde zellbiologische Kenntnisse sind für die Ausübung des Arztberufes unentbehrlich. Ohne Zellbiologie sind die Entstehung und Entwicklung von Krankheiten nicht zu begreifen ...1

Dieses Zitat stammt aus einem Lehrbuch für Medizinstudenten der ersten Semester. Leider hören sie im weiteren Verlauf ihres Studiums und in ihrem Wirken als Ärzte nicht mehr viel von diesem Thema. Doch die Vernachlässigung der Zellbiologie wirkt sich in der Prävention und in der Behandlung von chronischen Zivilisationskrankheiten für die Patienten besonders nachteilig aus. Für mich ein nicht länger tragbarer Zustand. Denn noch nie hat es so viele chronisch kranke Menschen gegeben wie heute. Schlimmer noch: Immer mehr von ihnen sind nicht nur im Alter betroffen, sondern bereits in jungen Jahren.

Aber was löst diese Flut chronischer Zivilisationskrankheiten aus?

Die entscheidenden Antworten finden wir in der Zellbiologie und der Evolutionsbiologie. Keine Sorge, was sehr wissenschaftlich klingt, ist auch für den Laien recht einfach zu verstehen.

Fangen wir noch einmal bei den Grundkenntnissen an.

Auf der Straße treffen wir unsere Nachbarin Frau Müller. Für uns ist sie die Person Frau Müller. Für einen Zellbiologen stellt sie in seiner Betrachtung neben der Person Frau Müller auch eine Ansammlung von 80 Billionen einzelner Zellen dar. Gewissermaßen sieht er in ihr auch eine riesige »Zellkultur«. Oder anders: Wir sind alle ein »Haufen« Zellen.

Doch nicht nur die Zellen sind für uns von großem Interesse, sondern auch der Raum, in den sie eingebettet sind: die extrazelluläre Matrix. Mit etwa 25 bis 30 Prozent unseres Körpergewichts stellt sie einen wesentlichen Teil unseres Organismus dar. Eine frühere Bezeichnung für dieses »Gewebe« war »weiches Binde- und Stützgewebe«. In erster Linie sah man in ihm eine Binde- und Stützfunktion, damit wir als »Zellhaufen« in Form bleiben und nicht zerfließen.

Weitere frühere Bezeichnungen waren: Interstitium oder Zellzwischenraum. In diesem Buch verwenden wir die Bezeichnung aus der modernen Fachsprache: extrazelluläre Matrix (EZM).

Der Name Matrix stammt vom lateinischen »Mater«, also von der »Mutter« oder »Amme«. Daran kann man schon die Bedeutung dieser Matrix ableiten: Denn wie eine Mutter oder eine Amme ernährt sie die Zellen.

Wie müssen wir uns die Zusammensetzung der extrazellulären Matrix vorstellen?

Kommen wir noch einmal auf unseren Fisch im Aquarium zurück. Er ist komplett von Wasser umgeben. Alle unsere Zellen sind ebenfalls komplett von der extrazellulären Matrix umgeben – aber diese besteht nicht ausschließlich aus Wasser. In ihr befindet sich unter anderem auch ein Netzwerk. Mit seinen Verflechtungen erinnert es im ersten Moment an ein Fischernetz. Da das Grundgerüst dieses Netzwerks jedoch in den Raum ragt, sieht es eher aus wie ein Geflecht von Flaschenbürsten.

Die Grundelemente dieses Netzwerks bzw. der »Flaschenbürsten« bestehen aus langkettigen Eiweißzuckern. Bei früheren Verfahren zur histologischen Gewebedarstellung (Histologie ist die Lehre vom Gewebe), die meist mit Alkohol durchgeführt wurden, lösten sich diese Zuckerkomponenten auf und ließen sich lange Zeit nicht darstellen. Hier bestand eine Wissenslücke in der Erklärung der extrazellulären Matrix. Ein Professor der Gewebskunde beschrieb diesen Sachverhalt in einem Seminar folgendermaßen: »Wir wissen, dass da nicht Nichts ist, aber wir wissen nicht, was da ist.«

Erst in jüngster Zeit gelang es durch modernste Verfahren, diese Eiweißzucker darzustellen und aufzuschlüsseln.

Neben den Eiweißzuckern werden je nach Organ auch noch elastische und kollagene Fasern in der extrazellulären Matrix eingelagert. Dadurch unterscheidet sich ihre Zusammensetzung bei den verschiedenen Organen erheblich. Auch der Wassergehalt und ihre räumliche Ausdehnung variieren. In der Leber stellt die extrazelluläre Matrix nur einen ganz schmalen Saum um die Zelle dar, in einer Sehne ist sie jedoch Millimeter breit.

Trotz aller organtypischen Unterschiede stellt die extrazelluläre Matrix in ihrem Grundgerüst und in ihren Grundfunktionen den Lebensraum aller Zellen dar.

Aber wer ist für die Produktion der Eiweißzucker und der Fasern in der extrazellulären Matrix zuständig?

Das sind in erster Linie die Fibroblasten (Bindegewebszellen). Sie produzieren diese langen Ketten von Eiweißzuckern (Proteoglykane und Glykosaminoglykane) sowie kollagene und elastische Fasern. Letztere finden wir zu einem hohen Anteil in Sehnen, in Bändern, in Faszien und in Gelenkkapseln, aber nur in ganz geringem Maße oder überhaupt nicht in der extrazellulären Matrix der inneren Organe.

In den Knochen sind spezielle Bindegewebszellen, die Osteoblasten für die Produktion der knochenspezifischen Matrixkomponenten zuständig. Im Knorpel sind es die Chondroblasten und im Gehirn die sogenannten Gliazellen usw. Die Hauptvertreter der Bindegewebszellen sind demnach die Fibroblasten, die Osteoblasten, die Chondroblasten und die Gliazellen.

Jetzt wissen wir, wie sich die extrazelluläre Matrix zusammensetzt. Doch mit den Eiweißzuckern müssen wir uns noch näher beschäftigen, denn sie haben eine herausragende Bedeutung für die Funktion der extrazellulären Matrix. Mit ihrem Geflecht aus »Flaschenbürsten« speichern sie Wasser, binden Säure und halten Substanzen fest, die für die Zelle gefährlich sind. Damit kommt diesem Netzwerk eine Filterfunktion (auch Molekularsiebfunktion genannt) zu. Vereinfacht ausgedrückt ist es somit eine der Hauptaufgaben der extrazellulären Matrix, alles festzuhalten, was der Zelle schaden könnte. Das betrifft vor allem die bereits erwähnten »Schlacken« wie Stoffwechselrückstände, Zellzerfallsprodukte, Toxine, Schwermetalle und Säurerückstände.

Und damit sind wir bei unserer Eingangsfrage angelangt: Was löst die heutige Flut von chronischen Zivilisationskrankheiten aus?

Nach zellbiologischen Erkenntnissen beginnen die krankmachenden Veränderungen in der extrazellulären Matrix. Erst von hier aus und erst nach Jahren und Jahrzehnten greifen sie auf die Zelle über. Die zunehmende Anhäufung von »Schlacken« bzw. die »Vermüllung« der extrazellulären Matrix führt zu einer Mangelversorgung der Zellen: Sie erhalten nicht mehr genug Sauerstoff und Nährstoffe. Unter diesen verschlechterten Lebensbedingungen schaltet die Zelle auf ein energetisches Notfallprogramm um: die Milchsäurevergärung. Jetzt kann sie auch ohne Sauerstoff noch etwas Energie bilden. Dadurch entsteht in der Folge aber eine zunehmende Übersäuerung in der extrazellulären Matrix, die wiederum eine kaum merkliche Entzündung (Silent Inflammation) in Gang setzt. Mit Hilfe dieser Entzündung versucht die Zelle ihren Lebensraum – die extrazelluläre Matrix – wieder lebensdienlich zu gestalten, um doch noch ihr Überleben zu sichern. Im Rahmen dieser entzündlichen Prozesse wird die extrazelluläre Matrix von den Fibroblasten und den Entzündungszellen neu geordnet und wieder gesäubert. In der Naturheilkunde sprechen wir deshalb von reaktiven Entzündungen. Die Zelle initiiert in einer solchen Notsituation also einen entzündlichen »Aufräum-Mechanismus«.

Gelingt es ihr jedoch nicht, die extrazelluläre Matrix wieder lebensdienlich zu gestalten, so hält der Zustand der Mangelversorgung an und es kommt zum Zelluntergang. Die Zelle erkennt, dass sie nicht mehr überleben kann und schaltet ein Selbstmordprogramm ein: die Apoptose. Das führt in der Summe – wenn mehr Zellen zugrunde gehen, als neue entstehen – zu dem Zustand, den wir Degeneration nennen bzw. degenerative Erkrankungen. Somit steht bei den chronischen Zivilisationskrankheiten am Ende der vermehrte Zelltod. Am Anfang jedoch steht die »Verschlackung« der extrazellulären Matrix. Oder wie es der amerikanische Zellbiologe Irv Konigsberg 1967 formulierte: »Wenn deine Zellkulturen vor sich hin kümmern, dann suche die Ursache zuerst in der Umgebung der Zellen – nicht bei den Zellen selbst!«2

Also kümmern wir uns in der Medizin doch endlich um die extrazelluläre Matrix unserer Patienten. Dafür müssen wir aber wissen, wie sie reguliert wird und wie wir diese Regulation unterstützen können. Die Antworten finden wir in der Evolutionsbiologie.

Evolutionsbiologie – wie unser Körper funktioniert

Das Leben auf der Erde begann vor ca. drei Milliarden Jahren mit den ersten einzelligen Lebewesen. Diese existierten im Urmeer.

Dieses Urmeer war für den Einzeller gleichzeitig Lebensraum und Umgebung – also seine »extrazelluläre Matrix«. Die Strömung des Wassers »säuberte« diese Umgebung. Blieb die Strömung aus und verschlechterte sich die Wasserqualität und damit seine Lebensbedingungen, so konnte sich der Einzeller an einen anderen Ort begeben.

Für die Kontrolle ihrer Umgebung entwickelten diese einzelligen Organismen bald einen Geruchssinn. Über Wahrnehmungsfühler (Rezeptoren) in der Zellwand konnten sie riechen, ob die »Chemie« in ihrer Umgebung stimmt oder eher schädlich ist. Wohl aus diesen Gründen hat das Riechen für uns Menschen einen sehr hohen Stellenwert. Er ist der einzige unserer Sinne, der direkt ins Großhirn geleitet wird, weshalb wir wegsehen oder weghören können, aber nicht »wegriechen«.

Auch unsere Körperzellen können über Rezeptoren die »Chemie« in ihrer extrazellulären Matrix wahrnehmen. Ihre Zellwände sind dafür mit einer Vielzahl solcher Rezeptoren ausgestattet.

Die Informationen über den Zustand der extrazellulären Matrix sind für unsere Zellen überlebensnotwendig. Im Gegensatz zum Einzeller können sie bei verschlechterten Lebensbedingungen ihren Aufenthaltsort aber nicht wechseln. Die Leberzelle muss in der Leber bleiben, die Nervenzelle im Gehirn, die Muskelzelle im Muskel usw.

Man schätzt, dass sich vor ca. 600 Millionen Jahren die ersten Einzeller zusammentaten und eine Lebensgemeinschaft bildeten. Es handelte sich zunächst um ein paar Zellen, die sich mit einer Hülle umgaben.

Ganz nach dem Motto: »Gemeinsam sind wir stark!«

Interessanterweise finden sich in der extrazellulären Matrix bezüglich der Mineralstoffzusammensetzung und der Säure-Basen-Werte in etwa dieselben Verhältnisse wie im Meer. Das bedeutet, die einzelnen Zellen nahmen ihren ursprünglichen Lebensraum – das Urmeer – mit in das Innere der sich neu entwickelnden Mehrzeller mit. In ihnen stand die Strömung des Urmeeres zur Reinigung der Zellumgebung aber nicht mehr zur Verfügung. Wie löste die Evolution das Problem der Sauberhaltung der extrazellulären Matrix beim Mehrzeller?

Bei den ersten Multizellern mit wenigen Zellen waren die Anforderungen an die Regulation noch nicht sehr hoch. Mit steigender Anzahl der Zellen in den zunehmend größer werdenden Mehrzellern wurde die Situation immer komplexer. Bei uns Menschen mit ca. 80 Billionen Körperzellen muss die Umgebung jeder Zelle, ihre Versorgung, ihr Anschluss an die Kommunikation und die Abwehr von Eindringlingen permanent geregelt werden.

Da die extrazelluläre Matrix praktisch dem ursprünglichen »Urmeer« der ersten Einzeller entspricht, muss sie im Mehrzeller als neuer Lebensraum der Zellen vom jeweiligen Organismus lebensdienlich geregelt werden. Das bedeutet für uns Menschen: Unsere innere Umwelt – also die extrazelluläre Matrix – ist zeitlebens die entscheidende Regelgröße für das Überleben unserer Zellen und damit für unsere Gesundheit.

Aber die Evolutionsbiologie ist nicht nur historisch gesehen interessant, sie erklärt uns auch die grundlegenden Regulationsvorgänge unserer extrazellulären Matrix. Dadurch erschließt sich uns erst ein Verständnis für die grundlegenden Prozesse der Selbstorganisation und der Selbstheilung.

Die wesentlichen Säulen der Regulation der extrazellulären Matrix sind:

das vegetative Nervensystemdas Herz-Kreislauf-Systemdas Immunsystemdas Hormonsystem

Selbstverständlich benötigt ein so komplex geregeltes System eine zentrale Informationsverarbeitung im Sinne einer »Schaltzentrale«. Diese Aufgabe fällt unserem Gehirn zu. Hier laufen die Informationen über den Zustand der extrazellulären Matrix zusammen, werden entsprechend ausgewertet, und es wird, wenn nötig, korrigierend eingegriffen. Dem Gehirn kommt somit für die zentrale Steuerung der Regulationsprozesse eine Schlüsselrolle zu. Seine Aufgabe ist es, nach Störreizen oder schädlichen Einwirkungen durch die Selbstregulation die Abläufe im Organismus wieder zur Norm zurückzuregulieren. Die Regulationsfähigkeit ist somit das Fundament der Gesundheit.

Im Folgenden werden die vier Grundsäulen der Selbstregulation erläutert.

Das vegetative Nervensystem – die oberste Instanz der Regulation

Wir Menschen besitzen nicht ein Nervensystem, sondern sind mit zwei komplett unterschiedlichenNervensystemen ausgestattet. Das eine Nervensystem, das »Willkürliche«, steuern wir bewusst, das andere, das »Vegetative«, reguliert sich unbewusst.

Mit dem willkürlichen Nervensystem können wir zum Beispiel unsere Muskeln ansteuern und uns je nach Absicht bewegen. Sie wollen ein Buch aus dem Regal holen und sich damit gemütlich in den Sessel setzen. Dieses Vorhaben können sie umsetzen – oder es auch lassen. Sie können sich also frei entscheiden: »Das mache ich oder das lasse ich.«

Ihr unwillkürliches Nervensystem wird dagegen nicht mit dem Willen gesteuert. Sie fahren in Ihrem Auto eine Straße entlang. Plötzlich schießt ein Wagen von links in Ihre Fahrbahn. Durch eine schnelle Reaktion können Sie einen Unfall gerade noch verhindern. Ihr Herz pocht bis zum Hals, Ihre Knie zittern, Ihre Nackenmuskulatur spannt sich an. Sie fahren rechts ran und versuchen, sich wieder zu beruhigen, also in einen Normalzustand zu kommen. Alle diese Reaktionen laufen unbewusst über das unwillkürliche Nervensystem ab, das in der Fachsprache als das vegetative Nervensystem bezeichnet wird. Dieses Nervensystem wird unterteilt in zwei Bereiche: den Sympathikus, der eine aktivierende, und den Parasympathikus, der eine beruhigende Funktion hat.

Die meisten Menschen sind heute durch das Thema »Stress und Stressreaktion« über die Funktionen des Sympathikus und des Parasympathikus gut informiert. In einer Gefahrensituation wird unser Organismus durch den Sympathikus auf Kampf oder auf Flucht vorbereitet. Bei Entwarnung fährt der Parasympathikus das ganze System wieder herunter. Diese Reaktion war in der Geschichte der Menschheit sehr lange überlebenswichtig und läuft heute in uns noch so ab wie bei unseren Vorfahren vor Jahrtausenden.

Die Zentrale des vegetativen Nervensystems befindet sich im Gehirn. Von dort ziehen die vegetativen Nervenfasern zu den inneren Organen, wie zum Beispiel zum Herzen, zu den Blutgefäßen, zum Zwerchfell, zu den Drüsen, zum Verdauungstrakt oder zur Harnblase. Hier steuern sie die Aktivität dieser Organe. So wird über den Sympathikus zum Beispiel am Herzen der Puls beschleunigt oder über den Parasympathikus verlangsamt.

In der Medizin werden die beiden Bereiche des vegetativen Nervensystems meist als Gegenspieler bezeichnet. Besser trifft aber der Begriff »Mitspieler« zu, denn sie »spielen und arbeiten« miteinander. Sie wechseln sich ab in der Aktivierung und in der Beruhigung der angesteuerten Organe. Mit diesen Informationen enden fast alle Abhandlungen über den Sympathikus und den Parasympathikus. Doch hier fehlt eine ganz entscheidende Funktion des vegetativen Nervensystems.

Bis heute wird in der medizinischen Fachwelt kaum beachtet, dass beinahe die Hälfte aller vegetativen Nervenfasern nicht zu Organen führt, sondern in der extrazellulären Matrix endet. Oder anders: Ihre Enden liegen gewissermaßen »blind« im Zellzwischenraum. Dieser Sachverhalt erscheint jedoch fast nie auf den Übersichtsdarstellungen des vegetativen Nervensystems. Dadurch wird eine ganz entscheidende Funktion übersehen: die Regulation der extrazellulären Matrix durch das vegetative Nervensystem.

Wie funktioniert diese vegetative Regulation?

Die vegetativen Nervenenden, die »blind« in der extrazellulären Matrix liegen, haben sowohl die Funktion der Reizaufnahme als auch der Reizabgabe. Sie registrieren also zum Beispiel die chemischen Verhältnisse in der extrazellulären Matrix, oder einfach ausgedrückt: Sie prüfen den Zustand der extrazellulären Matrix und melden ihn in die Zentren des Gehirns, wo er entsprechend bewertet wird. Zum Beispiel: »Die Zellumgebung ist im grünen Bereich.« Oder: »Die Zellumgebung ist grau, unwirtlich und sauer.«

Je nach Zustand greift das Gehirn entsprechend regulativ ein, indem es über die vegetativen Nerven entsprechende Botenstoffe direkt in die extrazelluläre Matrix ausschütten lässt. Dabei handelt es sich im Sympathikus um Noradrenalin und im Parasympathikus um Acetylcholin. Durch diese Botenstoffe werden die chemischen Verhältnisse in unserer »inneren Umwelt« verändert. Diese Regulation hat eine grundlegende Bedeutung für die Gesundheit unserer Zellen und damit für uns.

Und zu guter Letzt: Die Botenstoffe haben auch einen steuernden Einfluss auf den Zellstoffwechsel. Dieser wird über den Sympathikus in eine verbrauchende, abbauende (katabole) und über den Parasympathikus in eine erholende, aufbauende (anabole) Richtung verschoben.

Wichtig für unsere Gesundheit ist, dass sich die Aktivitäten von Sympathikus und Parasympathikus immer wieder abwechseln. Unser Körper darf nicht in einer dieser vegetativen Phasen fixiert sein. Wir können nicht nur verbrauchen und abbauen, wir müssen auch regenerieren und aufbauen. Diese Balance ist heute bei den meisten Menschen zu stark auf die Aktivierung des Sympathikus verschoben.

Aus Ihrem beruflichen Alltag kennen Sie sicher übermäßige Anforderungen nur zu gut. Sie verrichten anstrengende geistige Arbeiten und sitzen lange Stunden im Büro. Ihr Sympathikus ist hochaktiv. Kommen jetzt noch vermehrt Zeitdruck und die Angst, Fehler zu machen, hinzu, sind Sie erheblich gestresst. Ihr Sympathikus dreht total auf. Sie sollten aber nach der Arbeit abschalten können und die Aktivierung nicht mit in den Schlaf nehmen. In der Nacht sollte ihr Parasympathikus seine Aktivität hochfahren. Durch ihn wird Ihre Regeneration während der Nachtruhe eingeleitet und gewährleistet.

Wir alle unterliegen dieser Rhythmik mit dem Überwiegen des Sympathikus am Tag und des Parasympathikus in der Nacht. Unsere Erholungsfähigkeit und unsere Regeneration hängen stark von diesem Wechsel im vegetativen Nervensystem ab. Findet nachts im Schlaf keine Regeneration mehr statt, so gleiten wir über die Zeit unmerklich in ein Erschöpfungssyndrom hinein – die Entwicklung chronischer Zivilisationskrankheiten und besonders auch die psychosomatischen Krankheitsbilder wie das Burn-out-Syndrom, die psychovegetative Erschöpfung oder das Chronic-fatigue-Syndrom nehmen hier ihren Anfang.

Zu Recht wird heute die Ursache vieler Beschwerden und Krankheiten in den chronischen Stresseinflüssen auf den Organismus gesehen. Dabei werden die negativen Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System, auf das Immunsystem, auf den Zucker- und Fettstoffwechsel und auf die Psyche immer in den Vordergrund gerückt. Das hat ja auch alles seine Richtigkeit und ist auch wichtig. Nur wurde bisher vernachlässigt, dass ein entscheidender Teil des Organismus, in den der Stress ebenfalls einwirkt, die extrazelluläre Matrix ist.

Wenden wir uns dem Herz-Kreislauf-System zu und damit der Frage, wie unsere Zellen versorgt werden. Oder anders ausgedrückt: Wie ernährt das »Urmeer« oder die »Mater« unsere Zellen?

Das Herz-Kreislauf-System – wie kommt die Nahrung zu den Zellen?

Es ist allgemein bekannt, dass der Blutkreislauf für die Ernährung unserer Zellen von großer Bedeutung ist. Bereits ein kurzzeitiger Stillstand der Blutzirkulation ist infolge des Sauerstoffmangels für viele Zellen tödlich.

Das Herz-Kreislauf-System hat aber noch eine weitere sehr wichtige Funktion: Es ist ebenfalls für die Regulation unserer »inneren Umwelt« zuständig. Bildhaft ausgedrückt regelt es über seinen Zufluss und seinen Abfluss die »Wasserqualität im Aquarium unseres Fisches«. Durch das Kreislaufsystem wird also die »Wasserqualität« der extrazellulären Matrix geregelt, in der unsere Zellen »schwimmen«.

In der allgemeinen Betrachtung des Blutkreislaufes steht das Herz im Mittelpunkt. Es wird oft nur als Pumpe bezeichnet, die das Blut über das Gefäßsystem in den Körper hinaus und wieder zu sich selbst zurückpumpt. Das Herz gewährleistet nach dieser Auffassung somit ein kreisförmiges Fließen des Blutes. Diese Sichtweise ist jedoch sehr stark vereinfacht und sollte dringend in einigen zentralen Aspekten neu ausgerichtet werden. Denn im Wesentlichen pumpt unser Herz das Blut nur in den Körper hinaus, was uns zu der wichtigen Frage führt: Wer pumpt das Blut eigentlich wieder zum Herz zurück? Oder anders: Wer sorgt gemeinsam mit dem Herzen dafür, dass es einen Blutkreislauf gibt?

Stellen wir diese Frage kurz hinten an und betrachten wir zunächst einmal die Funktionsweise unseres Herzens:Es pumpt mit jeder Kontraktion das Blut über die sich immer feiner verzweigenden Arterien in alle Körperteile hinaus. Das ist ohne Zweifel für die Durchblutung sämtlicher Organe und Gewebe existenziell. Schließlich werden über die arteriellen Blutgefäße die Nährstoffe, die Vitamine, die Mineralien, die Hormone und der Sauerstoff im ganzen Körper verteilt.

Das Herz pumpt das Blut zunächst in die Arterien, die in ein riesiges Netzwerk von ultrafeinen Kapillaren münden. Dieses riesige Netzwerk weist in einem einzelnen Menschen eine Länge von etwa hunderttausend Kilometern auf. Durch die zufließenden – die arteriellen – Kapillare werden die Nährstoffe und der Sauerstoff in die extrazelluläre Matrix abgegeben. Durch die rückfließenden – die venösen und die lymphatischen – Kapillare werden die Stoffwechselrückstände und Schadstoffe aus der extrazellulären Matrix abtransportiert. In der Logistik der Zellversorgung kommt also auf dem Weg zu den Zellen nach den Kapillaren noch ein Zwischenraum: die extrazelluläre Matrix. Sie stellt die letzte Diffusionsstrecke (Wegstrecke) oder besser ausgedrückt den letzten Diffusionsraum (Durchgangsraum) dar, der für die Zellversorgung ganz entscheidend ist. Es ist also nicht das Blut, das die Zellen direkt versorgt, sondern sie bekommen alles, was sie brauchen, aus der Flüssigkeit der extrazellulären Matrix.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Der Zustand der Arterien ist natürlich, wie wir es auch immer hören, sehr bedeutsam. Bereits vor über hundert Jahren prägte der Pathologe Dr. Thoma folgenden Satz: »Der Mensch ist so alt wie seine Gefäße.« Damit meinte er die krankhafte Veränderung der arteriellen Blutgefäße, die Arteriosklerose. Sie führt zu Verengungen und Verhärtungen der Gefäßwände. Diese zerstörenden Prozesse beginnen in der Innenwand der Gefäße durch entzündliche Veränderungen und durch Ablagerungen. Dadurch kommt es über Jahre und Jahrzehnte zu einer zunehmenden Verengung der Arterien mit entsprechenden Komplikationen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Durchblutungsstörungen der Beine bis hin zur Amputation. Die Risikofaktoren für die Arteriosklerose wie Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel, Hypertonie, Stress, Blutfetterhöhung, Diabetes usw. sind längst bekannt. Es ist nach wie vor wichtig, dass wir zeitlebens auf diese Risikofaktoren achten, denn das Modell der »Gefäßverengung« hat bis heute seine Richtigkeit. Es darf aber nicht als alleinige Ursache einer Mangelversorgung unserer Zellen angesehen werden.

Unsere Zellen können nämlich auch unterversorgt sein, wenn das arterielle Gefäßsystem in Ordnung, die extrazelluläre Matrix aber verdichtet und undurchlässig ist. Unsere »innere Umwelt« also verschlackt und vermüllt ist. Bildhaft ausgedrückt: Es ist, als würde ein Lastwagen die Ware über Hunderte von Kilometern an die Fabrik herantransportieren, am Ende jedoch nicht in den Fabrikhof hineinfahren und die Ware abliefern können.