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Für ihren neuen Film kehrt die junge Schauspielerin Aria zurück in ihre Heimatstadt Westhaven - und damit an den Ort, den sie nie wieder betreten wollte. Um die Rolle ihres Lebens spielen zu können, muss sie außerdem ihre panische Angst vor Wasser überwinden. Und der Einzige, der ihr dabei helfen kann, ist ausgerechnet der grantige - und viel zu gutaussehende - Coast Guard Easton.
Je mehr Zeit Aria und Easton miteinander verbringen, desto heftiger knistert es zwischen den beiden. Und ab und zu erhascht Aria dabei sogar einen Blick hinter seine abweisende Fassade. Doch etwas scheint ihn zurückzuhalten. Noch ahnt Aria nicht, dass er bei dem Ereignis, das sie vor so vielen Jahren aus ihrer Heimat vertrieb, eine entscheidende Rolle spielte ...
Der erste Band der knisternden, gefühlvollen und dramatischen Reihe um die Rettungsschwimmer von Westhaven an der amerikanischen Ostküste.
AUS DEM BUCH
»Du bist all die Jahre nicht zurückgekommen.« Er sah so grimmig aus, als wäre meine Anwesenheit eine persönliche Beleidigung. »Warum solltest du jetzt auf einmal wieder herkommen?«
Ich hob die Schultern. »Ich habe es meiner Familie versprochen. Und ...« Und dann war da noch der Film. Der Film, der ausgerechnet hier in Westhaven gedreht werden sollte ... Verstohlen betrachtete ich Easton. Er war mir ein Rätsel. Wie war aus dem Jungen von damals ein Mann geworden, der sich in einen Ozean stürzte, um Menschenleben zu retten? Mir kam eine Idee. Ziemlich verrückt zwar, aber ... Egal.
»Ich hätte da eine Bitte ...« Ich stockte - und er gab mir keine Chance weiterzusprechen.
»Nein.«
Ich versuchte es noch einmal. »Aber du weißt doch noch gar nicht -«
Er trat auf die Bremse. »Nein! Was immer es ist, meine Antwort ist Nein.«
»Aber ... Ich ...«
»Hör zu, Hollywood.« Er beugte sich zu mir vor, bis sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten. »Ich weiß nicht, was das gestern Abend war - aber dass du gegangen bist, war die beste Entscheidung, die du hast treffen können.«
Ich presste die Lippen aufeinander, und ganz kurz war mir, als wanderte sein Blick dorthin und würde dunkler ... Ich atmete stockend ein - und er tat das Gleiche.
»Ich will nur, dass du dich von mir fernhältst«, murmelte er, dieses Mal, ohne mich anzusehen. »Und jetzt: raus.«
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Seitenzahl: 404
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Kapitel 1: Easton
Kapitel 2: Aria
Kapitel 3: Easton
Kapitel 4: Aria
Kapitel 5: Easton
Kapitel 6: Aria
Kapitel 7: Easton
Kapitel 8: Aria
Kapitel 9: Easton
Kapitel 10: Aria
Kapitel 11: Easton
Kapitel 12: Aria
Kapitel 13: Easton
Kapitel 14: Aria
Kapitel 15: Easton
Kapitel 16: Aria
Kapitel 17: Easton
Kapitel 18: Aria
Kapitel 19: Easton
Kapitel 20: Aria
Kapitel 21: Easton
Kapitel 22: Aria
Kapitel 23: Easton
Kapitel 24: Aria
Kapitel 25: Aria
Kapitel 26: Easton
Kapitel 27: Aria
Kapitel 28: Aria
Kapitel 29: Easton
Kapitel 30: Aria
Kapitel 31: Easton
Kapitel 32: Aria
Kapitel 33: Easton
Kapitel 34: Aria
Kapitel 35: Easton
Kapitel 36: Aria
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Für ihren neuen Film kehrt die junge Schauspielerin Aria zurück in ihre Heimatstadt Westhaven – und damit an den Ort, den sie nie wieder betreten wollte. Um die Rolle ihres Lebens spielen zu können, muss sie ihre panische Angst vor Wasser überwinden. Der Einzige, der ihr dabei helfen kann, ist ausgerechnet der grantige – und viel zu gutaussehende – Coast Guard Easton. Je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto heftiger knistert es zwischen den beiden. Und ab und zu erhascht Aria dabei sogar einen Blick hinter Eastons abweisende Fassade. Doch etwas scheint ihn zurückzuhalten. Noch Ahnt Aria nicht, dass er bei dem Ereignis, das sie vor so vielen Jahren aus ihrer Heimat vertrieb, eine entscheidende Rolle spielte ...
Der erste Band der knisternden, gefühlvollen und dramatischen Reihe um die Rettungsschwimmer von Westhaven an der amerikanischen Ostküste.
Anna-Maria Atwell
Coast Guards – Herz unter Wasser
Roman
Einmal fragte ich meine Mutter, während draußen der Donner grollte und dichter Platzregen gegen die Fenster schlug: »Wenn ich oder Cassie in Gefahr wären ... und noch jemand, den du gar nicht kennst. Und der, den du nicht kennst, ist viel mehr in Gefahr. Wen würdest du zuerst retten?«
Sie zog noch einmal an ihrer Zigarette, dann ließ sie sie in ihr Bierglas fallen, wo sie zischend verglühte, und sah mich aus blutunterlaufenen Augen an. »Keinen.«
Noch in dieser Nacht, während es draußen stürmte und die Boote im Hafen hin und her schaukelten, verließ ich das heruntergekommene Haus, in dem ich aufgewachsen war.
Ich betrat es nie wieder.
Aber der Sturm blieb.
Ich erzählte niemandem von diesem Sturm. Nicht von dem Abend, an dem ich meine Mutter zum letzten Mal gesehen hatte, und auch nicht von den Jahren davor. Nicht von dem Tag, an dem ich die Coast Guard Academy verlassen und erfahren hatte, dass ich an den einen Ort versetzt würde, dem ich für immer den Rücken hatte kehren wollen.
Marty hingegen trug das Herz auf der Zunge. Er war Flugtechniker, und er redete, ohne je Luft zu holen. Als an diesem Morgen um 0600 die Meldung von dem havarierten Fischkutter nordöstlich von Westhaven per Funk kam, brauchte er nur den kurzen Weg bis zum Hubschrauber, um für meine tägliche Dosis an Unsinn zu sorgen.
»Der Hammer«, sagte er, als wir den Flugplatz erreichten und unsere Pilotin Paige und ihren Co-Piloten Frank begrüßten. »Diese Sommersprossen, Mann ... und dieses Lächeln ... Ich weiß, ich habe White Queen 3 schon viermal gesehen, aber ich könnte sofort wieder ins Kino gehen ... Sandra vom Ticketschalter hält mich wahrscheinlich schon für völlig verrückt.«
Ich verkniff mir die Bemerkung, dass Sandra vom Ticketschalter mit ihrer Einschätzung nicht allein war. Seit Wochen war Aria Wilson, die Hauptdarstellerin von White Queen 3, Martys Gesprächsthema Nummer eins. Aber ich konnte ihm schlecht sagen, warum es mich so wahnsinnig machte ...
Erst, als wir in den Hubschrauber stiegen, hielt Marty endlich die Klappe. Allerdings entging mir der sehnsüchtige Blick nicht, den Paige meinem besten Freund zuwarf – genauso wie seine geröteten Wangen und Franks Augenverdrehen. Jeder auf dem Stützpunkt wusste, dass die beiden füreinander schwärmten. Nur leider beschäftigte Marty sich lieber mit Fantasiefrauen aus dem Fernsehen, und Paige verlor in seiner Gegenwart regelmäßig die Fähigkeit zu sprechen ...
Draußen tobte ein Sturm der Stärke zehn, bei auflandigem Wind. Das havarierte Schiff, ein marineblauer Kutter, lag auf der Seite. An Bord waren nach unserem Kenntnisstand vier Personen, und die Wellen überspülten das Schiff im Sekundentakt.
Ich biss die Zähne zusammen, während die Entschlossenheit meinen ganzen Körper flutete. Paige und Frank flogen von Norden einen Schlenker und stabilisierten den Hubschrauber in der Luft, bevor Marty mich einklinkte. Kalter Wind schlug mir entgegen, die Seilwinde drehte sich, und dann gab es nur noch mich, den Sturm und den Ozean. Das Salz auf meinem Gesicht und die Gischt, die der Wind über die Wellen trieb. Die Strömung, die mich mit sich reißen wollte und gegen die ich anschwimmen musste, um zu dem auf der Seite liegenden Fischkutter zu gelangen.
Wir retteten alle vier Mitglieder der Crew. Die Besatzung des Fischkutters hatte das Wetter unterschätzt und war trotz des bedenklich grauen Himmels und des starken Windes in der Morgendämmerung rausgefahren.
Ein bisschen Wind wäre in dieser Gegend kein Problem, sagte der Captain, während ich ihm eine Rettungsdecke umlegte und Paige den Hubschrauber wendete, um den Landeplatz der Coast Guard Base anzufliegen. »Windstärke 5, 6, überhaupt kein Problem«, fuhr der zitternde Mann fort. »Aber dass der Wind so Fahrt aufnehmen würde, das konnten wir nicht ahnen.«
Ich beschränkte mich auf ein Nicken. Das verdächtige Schimmern in seinen Augen entging mir jedoch nicht. Habe ich meine Crew in Gefahr gebracht?, schien er mich fragen zu wollen. Hätte ich es besser wissen müssen? Vielleicht wollte er das von mir hören: dass er den Fortgang der Ereignisse nicht hätte beeinflussen können und dass ihn vielleicht gar keine Schuld traf.
Aber die Sache war die: Es musste mir egal sein, ob jemand unverantwortlich gehandelt hatte. Ob jemand sich unverschuldet in Gefahr gebracht hatte oder aus Dummheit. Denn es spielte keine Rolle. Wir retteten die, die in Not geraten waren – ganz egal, wer sie waren und was sie getan oder nicht getan hatten.
Als wir an diesem Abend den Stützpunkt verließen, überredeten mich meine Kollegen, noch in Glorias Bar einzukehren. Die Bar lag direkt am Hafen, und die meisten Leute hier trugen entweder die gleiche blaue Uniform wie wir, waren Fischer oder betrieben kleine Läden in der Nähe des Hafens.
Ein Haufen Leute begrüßte uns, als wir uns zum Tresen schoben und eine Flasche Bier für jeden bestellten. Der Laden war größer, als er auf den ersten Blick aussah, aber so verwinkelt, dass Paige schwor, sie hätte sich mal auf dem Weg zur Toilette verlaufen. Es fiel mir nach wie vor schwer, ihr das abzukaufen, schließlich fand die Frau sich auch bei Sturm mitten auf dem Atlantischen Ozean problemlos zurecht.
An den Wänden hingen gerahmte Bilder von Coast Guards in ihren blauen Uniformen, von stolzen Anglern und Schiffen, die durch hohe Wellen brachen. Die Decke war niedrig, zwischen den Querbalken waren Fischernetze gespannt, und überall saßen Leute an den Tischen und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen.
Über die Fischernetze hatten Paige und Gloria schon erbitterte Diskussionen geführt. Paige hatte eine ausgewachsene Spinnenphobie und sagte, sie würde sich hier fühlen wie im Netz der Riesenspinne aus Game of Thrones. Woraufhin Marty sie jedes Mal augenrollend berichtigte: »Herr der Ringe. Wie oft denn noch? Wie ist es nur möglich, dass man die großen Klassiker der Filmgeschichte nicht auseinanderhalten kann?« Unnötig zu erwähnen, dass er sich beim letzten Mal einen Fußtritt eingefangen hatte.
Das wahrhaft Beängstigende an dem Laden war allerdings der riesige Plastik-Rotbarsch, der über der Theke hing – und natürlich seine Besitzerin. Gloria schaffte es, gestandene Männer mit nur einem Blick einzuschüchtern.
Im Fernseher über der Theke lief zur Abwechslung mal kein Footballspiel, sondern die Tonight Show. Innerlich stöhnte ich auf. Marty hingegen stieß einen Jubelruf aus und lehnte sich auf dem Tresen so weit nach vorn, dass er beinahe auf der anderen Seite wieder runter- und Gloria vor die Füße gefallen wäre.
Ich trank einen Schluck Bier und blickte widerwillig zum Fernseher hinauf. Jimmy Fallon gegenüber saß eine junge Frau mit kinnlangem blondem Haar, das aus irgendeinem Grund immer etwas unordentlich aussah und in einem eigenartigen Kontrast zu ihrer gebräunten Haut und dem sommersprossigen Gesicht stand.
»Pscht!« Marty winkte hektisch in den Barraum. Als würde sich irgendjemand auch nur annähernd dafür interessieren, dass er jedes Wort von Aria Wilson aufsaugte wie ein verliebter Schwamm. Und obwohl ich Martys Besessenheit weiß Gott nicht teilte, musste ich zugeben, dass Aria Wilson etwas an sich hatte, was es schwer machte, den Blick von ihr zu wenden. Vielleicht war es das lebhafte Funkeln in ihren Augen. Vielleicht ihre Art und Weise, jedes Wort, das sie sagte, mit ausladenden Gesten zu unterstreichen.
Was die Leute aber dazu brachte, sich auch durch einen verdammten Bildschirm hindurch in sie zu vergucken, war ihre Tollpatschigkeit. Und die Tatsache, dass sie anscheinend erst sprach und dann dachte.
Jetzt gerade erzählte sie, dass sie ihr Monstrum von einem Rüschenkleid selbst genäht hatte – und kurz vor Beginn der Show gestolpert und an einem Türknauf hängen geblieben war. Weshalb sie das Kleid notdürftig geflickt hatte. Als Jimmy verlangte, ihre Nähkünste zu sehen, rutschte sie auf dem Sessel hin und her, um die Stelle herzuzeigen.
»Hier bin ich hängen geblieben, und tja, dann hat es auch schon Ratsch gemacht. Und da ... Moment.« Sie entblößte ein ziemlich großes Loch über ihrer Hüfte, wodurch man einen Ansatz ihrer weißen Unterwäsche erkennen konnte. »Fuck!« Noch während ihr das Wort entfuhr, färbten sich ihre Wangen rosa. »Scheiße, mein Management erwürgt mich, weil ich schon wieder live geflucht habe ...
Das Publikum brach in Gelächter aus.
Ich senkte den Kopf, damit niemand sah, dass ich mir ein Grinsen verkneifen musste.
»Ist ja ganz süß, aber den Hype um sie kann ich nicht verstehen«, murmelte Frank, woraufhin ich ihm einen ungehaltenen Blick zuwarf. Er zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder seinem Bier zu.
»Wusstet ihr, dass sie hier aus der Gegend kommt?«, fragte Marty mit verträumter Miene.
»Nein.« Ich wandte mich abrupt ab. »Nein, wusste ich nicht.«
Ich hatte mein iPhone in eine Mülltonne geworfen.
Was rückblickend betrachtet nicht meine beste Idee gewesen war.
Es half mir aber auch nicht weiter. Jetzt hörte ich die Stimme meiner Agentin Judith nämlich in meinem Kopf, als hätte sie darin jede einzige verfügbare Fläche gemietet. Während ich meinen roten Käfer durch den Verkehr von Los Angeles lenkte, gingen mir ihre Worte pausenlos im Kopf herum.
»Wenn du wirklich von den Superhelden-Filmen wegwillst, ist das hier deine Chance. Deine einzige wahrscheinlich.«
Wir diskutierten jetzt schon seit über einem Jahr darüber. Superhelden-Filme waren toll, sie unterhielten die Leute, sie machten Spaß. Das war ein guter Grund, sie zu drehen. Aber nach drei Filmen mit Emily Snow wünschte ich mir einfach andere Rollen. Rollen, die mich dazu brachten, mich in einer Geschichte zu verlieren, die das Publikum weinen ließ und in der niemand einen ledernen Kampfanzug trug. Und vermutlich würde ich explodieren, wenn mir noch einmal ein Regisseur erzählte, dass der Ausschnitt meines Kampfanzugs noch tiefer sein musste, damit meine Brüste »magischer« aussahen ...
Und jetzt hatte ich die perfekte Rolle angeboten bekommen. Ein Drama. Eine junge Frau und ein junger Mann auf hoher See, eine Geschichte über Liebe und Verlust, Vergebung und Vertrauen ... Es war die eine Rolle. Die, von der ich wusste, dass ich sie spielen musste. Und die ich auf gar keinen Fall spielen konnte.
»Sie machen es so und nicht anders.« Das hatte meine Agentin mir heute Morgen gesagt, zum dritten Mal, seit mir die Rolle angeboten worden war. »Sie wollen dich unbedingt als ihre Emma, doch der Regisseur besteht darauf, auf offenem Meer zu drehen und nicht im Studio. Er sagt, es geht um die Echtheit, die Authentizität – und dafür braucht es Schauspieler, die dem Ozean ebenso begegnen können wie sich selbst.«
Daraufhin hatte ich geflucht, woraufhin sie mich wieder an den überaus peinlichen Abend vergangene Woche erinnert und mir angedroht hatte, mich vertraglich dazu zu verpflichten, nicht mehr im nationalen Fernsehen zu fluchen. Irgendwann hatte ich aufgelegt. Sie wollte unbedingt, dass ich ihr sagte, warum ich so nachdrücklich darauf bestand, dass ein CGI-animierter Ozean mehr als ausreichend war – und dankend auf die Erfahrung verzichtete, mitten im Oktober auf einem Segelboot über den Atlantik zu schippern. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass besagtes Segelboot laut Skript nicht bis zum Ende des Films überleben würde. Wir würden also auch auf Segelboot-Einzelteilen drehen müssen.
Allein der Gedanke sorgte dafür, dass mir der kalte Schweiß ausbrach, dass sich meine Finger um das Lenkrad verkrampften und ich meine Ausfahrt verpasste. Schöne Sch...
Vor lauter Frustration schossen mir Tränen in die Augen. Sie würden mir noch ein wenig Zeit geben, um darüber nachzudenken. Der Regisseur hatte sich anscheinend in den Kopf gesetzt, dass ich die perfekte Besetzung für die Rolle war. Und das war ich! Emma war eine Figur, die ihr Leben lang vor ihren Dämonen weggelaufen war, und erst, als sie mit ihrem Ex-Freund auf einem Segelboot landete, musste sie sich ihrer gemeinsamen Vergangenheit stellen – genau wie dem Orkan, der sich über ihnen zusammenbraute.
Ich holte tief Luft. Seit bestimmt einer Stunde saß ich nun im Auto, hatte L.A. hinter mir gelassen und war ein Stück die Küste entlanggefahren. Nach kurzem Zögern setzte ich den Blinker und bog auf einen kleinen Parkplatz mit einer Imbissbude und einem Souvenir-Shop, der einen unglaublichen Blick auf den Pazifischen Ozean bot.
Ich sah mich um, aber niemand nahm Notiz von mir. Also setzte ich eine Sonnenbrille auf und stieg aus, um die salzige Luft einzuatmen. Vor mir lag der Pazifische Ozean, türkisblau unter der Mittagssonne. Auf den Wellen glitten Surfer dahin.
Doch je länger ich auf das Wasser blickte, desto dunkler schien es zu werden. Das satte Blau wurde zu einem stürmischen Grau, die sommerliche Wärme zu einem eisigen Hauch, der mich frösteln ließ. Mehr und mehr Erinnerungen krochen aus der dunklen Ecke meines Verstandes hervor, in die ich sie vor langer Zeit verbannt hatte. Mein Herz begann zu rasen, und auf einmal hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ich riss mich vom Anblick des Pazifiks los, hastete zum Auto, schloss mit zitternden Fingern die Tür auf und ließ mich auf den Fahrersitz fallen.
Eine Zeit lang starrte ich nur aus dem Fenster auf den staubigen Parkplatz. Beobachtete, wie zwei Mädchen sich Pommes vom Imbiss holten, wie die Autos auf dem Highway vorbeirauschten, wie die Sonne tiefer sank. Und atmete. Ein, wieder aus. Und noch einmal. Bis sich das Zittern legte, bis das Schlagen meines Herzens nicht mehr das einzige Geräusch war, das ich hörte.
Was sollte ich nun tun? Zurück nach L.A. fahren? Mein Handy aus der Mülltonne fischen und meine eilig gepackte Reisetasche zurück in mein Apartment tragen, weil es eine totale Schnapsidee gewesen war, einfach loszufahren?
Das könnte ich tun. Das sollte ich tun. Doch alles in mir sträubte sich dagegen. Denn seit ich von dem Rollenangebot wusste, war alles, woran ich denken konnte, war alles, woran ich denken konnte, eine kleine, graue Stadt an der Küste des Atlantiks.
Westhaven.
Es war, als wollte dieser Ort mich zurück in seine Umklammerung ziehen, nachdem ich ihn vor so vielen Jahren verlassen hatte. Die Stadt, in der The Ocean Between Us gedreht werden sollte.
Vor dreizehn Jahren waren meine Eltern und ich aus der Stadt geflohen. Und bis vor ein paar Tagen hatten wir nicht mehr über diesen Ort gesprochen – fast so, als hätte er niemals existiert. Aber er existierte, und meine Tante, meine Grandma und meine Cousine Sam lebten immer noch dort.
»Tante Elaine fragt, ob wir nicht mal nach Westhaven kommen wollen.« Das hatte meine Mutter vor ein paar Tagen gesagt. Ich hatte sie und Dad in ihrem Häuschen am Strand besucht. Wir hatten im Garten gesessen, im Schatten des großen Zitronenbaums, und Mom hatte die Worte mit einem verschämten Ausdruck in den Augen ausgesprochen.
Auf einmal war es ganz still gewesen, und nur das Summen der Hummeln hatte den Garten erfüllt. Und obwohl wir auf die andere Seite des Landes geflohen waren, hatte sich der Schatten von Westhaven zwischen uns aufgetürmt. Stumm und bedrohlich – ein schwerer Klotz, den wir immer mit uns herumtrugen und der größer zu werden schien, je länger wir so taten, als wäre er gar nicht da.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Wir hatten entschieden zu vergessen. Nicht zurückzusehen, sondern nach vorn. Doch in letzter Zeit war es, als versuchte ich, einen Ball unter Wasser zu drücken. Immer, wenn ich unachtsam wurde, kam er hochgeschossen – und knallte mir mit voller Wucht gegen die Nase. Würde das immer so sein, für den Rest meines Lebens? Würde ich nie loslassen können?
Ich warf einen Blick auf den Rücksitz. Dort lag die Reisetasche, die ich vor meiner Flucht aus meinem Apartment so eilig gepackt hatte. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, lange von zu Hause wegzubleiben. Jetzt allerdings ... Ich schluckte. Ich wollte diese Rolle annehmen! Ich musste es tun. Würde ich es schaffen, sie zu spielen, würde das bedeuten, dass ich frei war. Dass meine Erinnerungen nicht mehr waren als ein Schatten, der langsam blasser wurde. Bis er schließlich verschwand.
Keine zehn Minuten später war ich wieder auf dem Highway.
Auf dem Weg nach Osten.
Es war eine selten dämliche Idee gewesen, das Handy wegzuwerfen. Ich hoffte, dass das keine beginnenden Star-Allüren waren. Oh Gott, bestimmt waren es Star-Allüren. Schon bald würde ich Teppiche mit Tiermuster verlangen wie Rihanna und keine braunen M&Ms mehr essen.
Ich vergrub den Kopf in den Händen und raufte mir das Haar, bis ein Blick in den Rückspiegel mir verriet, dass ich aussah wie ein aufgeplatztes Sofakissen. Mist. Ich stieg aus dem Auto, meinem wunderhübschen roten Käfer, der jetzt leider den Geist aufgegeben und mich irgendwo in Connecticut mir selbst überlassen hatte. Dann blicke ich mich um.
Ich war auf irgendeiner Landstraße gelandet und hatte keinen blassen Schimmer, wo ich eigentlich war. Ich hatte kein Handy, konnte mir also nicht einmal ein Taxi rufen. Ach ja, und es regnete.
Ich war vier Tage unterwegs gewesen. War fünfundvierzig Stunden gefahren, ganz allein mit mir selbst, vor mir nichts als Straße und weiter Himmel. Kein klingelndes Handy, keine Fotografen, nichts. Bisher hatte ich größere Skandale erfolgreich vermieden – bis auf das hartnäckige Gerücht, ich sei nicht beziehungsfähig, was auf jeden Fall und zu einhundert Prozent stimmte –, aber trotzdem bekam man schnell das Gefühl, dass das eigene Gesicht wirklich überall zu sehen war.
Ich hatte Judith von einer Tankstelle aus angerufen, kurz nachdem ich L.A. hinter mir gelassen hatte – gegen ein Selfie mit mir war der Junge an der Kasse mehr als bereit gewesen, sein Handy rauszurücken –, und Judith war zu Recht ein winziges bisschen verstimmt gewesen. Hieß im Klartext: Sie hatte mich eine Viertelstunde lang zur Schnecke gemacht, und zwar so lange, bis der Junge hinter der Kasse in Deckung gegangen war.
Als sie sich endlich beruhigt hatte, hatte sie mir das Versprechen abgenommen, meinen »völlig beknackten Ausflug in dieses komische Kaff« wenigstens zu nutzen, um mir wegen der Rolle noch einmal Gedanken zu machen. Da ich das wirklich vorhatte, hatte ich ihr das mit gutem Gewissen versprechen können.
Und jetzt war ich irgendwo im Nirgendwo gestrandet. Der Parkplatz, auf den ich es gerade noch geschafft hatte, war von Wald umgeben. Ich konnte also nicht besonders weit sehen, um herauszufinden, wo ich war. Denn zusammen mit meinem armen Käfer hatte sich leider auch das Navi verabschiedet.
Es war April, der Frühling hatte gerade erst angefangen, und eine dicke Wolkendecke hing über den Baumwipfeln. Ich stieg aus und lauschte vergeblich auf das Brummen eines Motors, aber da war nichts. Nur das Prasseln der Tropfen auf dem Autodach.
Als mir in meinem kurzen Kleid eiskalt wurde, setzte ich mich wieder ins Auto. Dummerweise hatte ich weder einen Pullover noch eine lange Hose dabei. Um genau zu sein, hatte ich keine einzige Hose dabei. Und ich war allein. Irgendwo im Wald, so nah an dem Ort, mit dem ich so viele Erinnerungen verband – und doch unfähig, den Weg dorthin zu finden. Meine Augen begannen zu brennen, und ich musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu weinen.
Gerade als ich beschloss, die Nacht im Auto zu verbringen, durchdrang das Brummen eines Motors das Prasseln des Regens. Ich war also doch nicht allein in dieser Einöde! Mit neu erwachtem Elan sprang ich aus dem Auto und lief zur Straße, wo soeben zwei Scheinwerfer den Regen und die Dunkelheit durchbrachen.
Mit klopfendem Herzen trat ich auf die Straße.
Das Auto, ein silberner Toyota, stoppte abrupt.
Die Fahrertür öffnete sich, und ein hochgewachsener Mann kam durch den Regen auf mich zu. Als ich ihn im Licht der Scheinwerfer endlich ganz sehen konnte, hielt ich den Atem an. Himmel, dieser Kerl war so gut aussehend wie einschüchternd. Regentropfen glitzerten in seinem Haar, und seine Augen waren so dunkel wie der Himmel über uns.
Auf einmal war ich mir meiner zerrupften Erscheinung und meines durchnässten Kleides sehr bewusst. Ich schlang die Arme um mich und öffnete den Mund, um meine Zwangslage zu erläutern.
Er kam mir jedoch zuvor. »Haben Sie den Verstand verloren?«
»Na ja, ich ...« Ich stockte. »Ich bin mit dem Wagen liegen geblieben, und ich dachte ...« Hilflos deutete ich auf mein Auto, das zwischen den Bäumen nur ansatzweise zu sehen war.
Er stieß ein unwilliges Knurren aus. »Und Sie dachten sich, es wäre eine gute Idee, im Dunkeln auf die Straße zu springen. Ist Ihnen klar, was hätte passieren können? Was, wenn ich Sie nicht gesehen hätte?«
Während er sprach, kam er ein Stück näher, musterte mich von oben bis unten. Irgendetwas zuckte in seinem Gesicht, aber glücklicherweise schien er mich nicht einordnen zu können.
»Hören Sie«, sagte ich. »Ich weiß, ich wirke völlig durchgeknallt auf Sie, und, ja, es spricht einiges dafür. Aber mein Auto hat den Geist aufgegeben, und ich habe kein Telefon dabei. Könnten Sie mich bitte ein Stück mitnehmen? Bloß ... bloß bis in den nächsten Ort. Ich kann Sie auch dafür bezahlen, wenn Sie wollen, nur ...« Nur lassen Sie mich bitte nicht mitten in der Nacht auf dieser verlassenen Straße allein. Ich war wirklich ganz kurz davor, mich aufs Betteln zu verlegen.
Er schnaubte. »Steigen Sie ein. Sie holen sich den Tod.«
Ich hätte mich bei dem Gedanken, zu einem fremden Mann ins Auto zu steigen, wahrscheinlich unwohl fühlen sollen, doch trotz seiner düsteren Miene wirkte er fast schon besorgt auf mich. Auf eine sehr uncharmante, grimmige Weise, die mich unter anderen Umständen bestimmt bis aufs Blut gereizt hätte.
Ich öffnete die Autotür, ließ mich auf den Beifahrersitz fallen und warf ihm einen vorsichtigen Blick zu. Irgendetwas an ihm kam mir bekannt vor, aber ich bekam nicht zu fassen, was es war. Nein, wäre ich diesem ebenso finsteren wie attraktiven Mann schon einmal begegnet, hätte ich mich ganz sicher daran erinnert. Vermutlich war es Einbildung. Wäre ja kein Wunder bei meinem Gemütszustand.
Das Auto roch herb, nach Erde, Wald und Mann, und es war so warm, dass ich mich sofort tief in den Sitz kuschelte. Bis mir einfiel, dass ich klatschnass war. »Haben Sie ein Handtuch?«
Er würdigte mich keiner Antwort, griff nur nach hinten auf den Rücksitz, wobei er mir so nah kam, dass ich für einen Moment den Atem anhielt. Dann reichte er mir tatsächlich ein Handtuch.
»Haben Sie Per Anhalter durch die Galaxis gelesen?«, fragte ich, während ich mich umständlich auf das Handtuch setzte. Darauf war Dorie abgebildet, der blaue Fisch aus Findet Nemo.
Er antwortete schon wieder nicht, hob nur die Augenbrauen. Langsam machte er mich damit verrückt.
»Wegen des Handtuchs«, fügte ich hinzu. »In Per Anhalter durch die Galaxis heißt es doch, man soll immer sein Handtuch dabeihaben ...?« Seine Augenbrauen wanderten noch höher, und ich seufzte. »Ach, egal.«
Bevor ich protestieren konnte, zog er das Frotteetuch unter meinem Hintern hervor und legte es mir um die Schultern. Im nächsten Augenblick hatte er sich schon von mir abgewandt und den Motor gestartet.
Mit angehaltenem Atem beobachtete ich ihn. Sein Verhalten war ziemlich verwirrend. Irgendwie ärgerlich. Und irgendwie süß. Hastig wandte ich den Blick von ihm ab und sah aus dem Fenster auf die verregnete Landstraße. »Wenn Sie nicht gewesen wären, hätte ich die Nacht im Auto verbringen müssen. Waren Sie wandern? Wohin fahren wir eigentlich?«
»Ich fahre nach Westhaven«, murmelte er, als ich schon glaubte, dass er gar nicht mehr antworten würde.
Mein Herz machte einen Satz. »Gott sei Dank!«
Er warf mir einen nicht zu deutenden Blick zu. »Sie wohnen in Westhaven?«
»Meine Familie.« Ich räusperte mich. »Ich komme gerade aus ... Ich komme zu Besuch. Ähm ... mich so anzuziehen war wahrscheinlich eine Scheißidee ... Ich meine, eine schlechte Idee!«
Zu meiner Verteidigung: Die Hauptfigur von White Queen, die Superheldin Emily Snow, fluchte in jedem zweiten Satz, und ich musste mir das erst wieder abgewöhnen.
»Hhm.« Wieder warf er mir einen Blick zu, musterte mein Gesicht, meine tropfnasse Kleidung, meine nackten Beine, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße richtete. Mir schoss die Hitze in die Wangen. Allmählich kehrte die Wärme in meinen Körper zurück, und mit ihr ein Kribbeln, das ganz eindeutig mit dem ernsten Mann neben mir zu tun hatte.
Auf einmal spürte ich, wie er sich neben mir versteifte. Im nächsten Moment trat er auf die Bremse, und wir kamen mitten auf der Straße zum Stehen.
Einige Sekunden lang war nur mein keuchender Atem zu hören.
Irgendwann traute ich mich, in seine Richtung zu schauen. Seine Miene schwankte zwischen Ungläubigkeit, Hilflosigkeit und Ärger. Einen Moment lang war es noch still. Dann atmete er geräuschvoll ein. »Aria Wilson.«
»Henderson.« Ich räusperte mich. »Aria Henderson ist mein ... ähm, mein bürgerlicher Name.« Die wenigsten Leute wussten, dass mein richtiger Name nicht Wilson war, doch in diesem Moment wäre es mir irgendwie falsch vorgekommen, ihm das zu verschweigen. Keine Ahnung, warum. Vielleicht, weil er mich vor einer Nacht im Wald und einem anschließenden seeehr langen Fußmarsch bewahrt hatte. Vielleicht, weil er mich immer noch ansah, als wünschte er sich nichts mehr, als aus diesem verrückten Traum zu erwachen. Tja, willkommen im Klub.
Ich streckte ihm die Hand entgegen, zog sie jedoch schnell wieder zurück, weil er keine Anstalten machte, sie zu ergreifen. »Nett, Sie kennenzulernen, Mr. ...«
Er sagte noch immer kein Wort.
Ich versuchte mich an einem Lächeln. Wenn Leute aufgeregt oder überfordert auf mich reagierten – was ständig passierte –, war das immer noch meine beste Strategie. Auf ein »Oh mein Gott! Ist das etwa Aria Wilson?« mit einem erstaunten »Wo denn?« zu antworten, hatte nämlich weniger gut funktioniert, als ich mir erhofft hatte.
»Wir können ein Foto machen, wenn Sie wollen«, schlug ich vor. Nicht weil ich ihn für einen Fan hielt, sondern weil mir gerade tatsächlich nichts Besseres einfiel, womit ich auf seinen geschockten Blick reagieren konnte. »Aber bitte erst, wenn ich wieder trocken bin.«
Das riss ihn aus seiner Starre.
Statt mir eine Antwort zu geben, bedachte er mich erneut mit diesem schlecht gelaunten Grummeln, das ich nicht so richtig deuten konnte. War er nur sauer, weil er einen klatschnassen Promi aufgelesen hatte, oder fand er mich wirklich so schrecklich? Ich war eine sensible Künstlerseele und wurde gern gemocht, andererseits jedoch gab es so viele Leute, die mich furchtbar fanden, dass sie einen eigenen Kontinent hätten besiedeln können – eine Gruppe Incels hatte doch tatsächlich versucht, mich und alle anderen Frauen aus White Queen 3 rauszuschneiden, sodass noch genau zwölf Minuten rein männlicher Interaktion übrig geblieben waren.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, startete mein Retter wider Willen den Motor, den er mit seiner Vollbremsung filmreif abgewürgt hatte, und wir fuhren weiter. Nach einigen unglaublich unbehaglichen Minuten machte der Wald einer schroffen Küstenlandschaft Platz. Schon bald schälten sich die Lichter von Westhaven aus der Dunkelheit. Die Mole, an deren Spitze der Leuchtturm stand, und jenseits davon nur noch Ozean.
Aus der Ferne drang das stetige Rauschen des Atlantiks an mein Ohr. Das Geräusch löste so viele Erinnerungen in mir aus, schreckliche wie wunderschöne, dass mir Tränen in die Augen schossen. Hastig blinzelte ich sie fort, aber ich fürchtete, dass mein schlecht gelaunter Begleiter sie trotzdem gesehen hatte.
»Sie können mich einfach an der Bushaltestelle da vorn ... Okay, dann nicht.« Ich hatte ihm eigentlich vorschlagen wollen, mich an der ersten Bushaltestelle abzusetzen, aber er war schon daran vorbeigefahren.
»Averly Hill Road«, murmelte ich. »Siebzehn.«
Er nickte nur und fuhr mich schweigend bis vor die Haustür. Auf dem Weg dorthin ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich ihn verstohlen von der Seite musterte – aber er erwiderte meinen Blick nicht. Kein einziges Mal.
Erst, als er den Wagen vor dem ozeanblauen Haus mit den weißen Fensterläden anhielt, wandte ich mich von ihm ab – und dem Haus zu, in dem ich aufgewachsen war. Meine Kehle schnürte sich zu – und für einen Moment war ich überzeugt, keinen weiteren Atemzug tun zu können.
Nie wieder.
Dann war der Moment vorbei, und ich atmete tief ein. Dabei wich ich dem fragenden Blick meines Retters aus. Kurz war mir sogar, als wollte er etwas sagen. Ich kam ihm jedoch zuvor. »Danke.« Ich öffnete die Tür, sein Handtuch immer noch um die Schultern. Als ich Anstalten machte, es ihm zurückzugeben, schüttelte er ruckartig den Kopf und bedeutet mir auszusteigen. Oh. Okay.
Ich kletterte umständlich aus dem Auto. »Danke. Wirklich, ich ...« Bevor ich noch ein weiteres Wort hinzufügen konnte, griff er über den Beifahrersitz und schloss die Tür zwischen uns.
Schon in der nächsten Sekunde brauste er davon. Es kam mir vor, als würde er vor mir fliehen.
Die Nacht hatte sich über Westhaven gesenkt, und nur vereinzelte Lichter durchbrachen noch die Dunkelheit. Das Prasseln des Regens auf den Mülltonnen und den Dächern übertönte sogar das Rauschen des Ozeans. Meine Hände bebten, als ich das Auto am Straßenrand abstellte, und ich lief über die Straße zu dem kleinen Bungalow, hinter dessen Fenstern noch Licht brannte.
Cassie öffnete auf mein Klopfen hin. »Hab schon gedacht, du liegst irgendwo im Straßengraben«, murmelte sie und entließ den Zigarettenrauch durch den offenen Mund in die Nacht. Eine Angewohnheit, die sie von unserer Mutter übernommen hatte.
»Dir auch einen guten Abend, Schwesterherz.« Ich schob mich an ihr vorbei ins Haus. Es roch nach Zigarettenrauch, Spaghetti mit Tomatensoße und Hotdogs. »Sind die Kinder schon im Bett?«
»Hhm.« Sie drückte die Zigarette in dem Aschenbecher auf dem Fensterbrett aus. Das Ding war selbst getöpfert, und unwillkürlich musste ich grinsen. Cassie hatte es als Kind im Handwerkskurs gemacht und war mächtig stolz darauf gewesen. Mom hatte den selbst getöpferten Aschenbecher mit gerümpfter Nase angesehen und gesagt: »Was'n das für'n Scheiß?«
Cassie hatte daraufhin gefaucht, dass sie das Ding sowieso für sich selbst gemacht hatte, am gleichen Nachmittag ihre erste Zigarette geraucht – und sich in den Vorgarten der Nachbarn übergeben.
Jetzt holte sie einen Teller aus einem der Küchenschränke und schaufelte großzügig Nudeln mit Tomatensoße darauf. Ich schenkte ihr ein dankbares Lächeln, woraufhin sie den Teller mitsamt Besteck vor mir auf den Tisch knallte. »Und?«, fragte sie, so scharfsinnig und unsensibel wie immer. »Du siehst aus, als hättest du noch schlechtere Laune als sonst.«
Ich blickte aus dem Fenster in die Dunkelheit und den Regen, bevor ich meine Schwester wieder ansah und an den Aschenbecher auf dem Fensterbrett dachte. »Denkst du manchmal an früher?«
»Ich versuch's zu vermeiden. Du?«
Ich nickte unbestimmt. »Manchmal.« Ihr Gesicht wollte mir nicht aus dem Kopf. Das blonde Haar, das verspielte Funkeln in ihren Augen, ihre Vorliebe für Rüschen – es war alles noch wie früher. Sie war noch wie früher. Diese Erkenntnis ließ Wut in mir aufsteigen. Was hatte sie hier zu suchen, nach all den Jahren? Sie gehörte hier nicht her, sie würde nur die Stadt verrückt machen. Und Dinge aufwühlen, die in die Vergangenheit gehörten.
Cassie schnipste mit den Fingern vor meinem Gesicht. »He, Erde an Easton. Sag schon, welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?«
Ich überlegte kurz, ob ich ihr erzählen sollte, wem ich soeben begegnet war. Was auch immer Aria hier verloren hatte, sie war offenbar inkognito in der Stadt. Und Nadia war ihr allergrößter Fan ... Cassie würde ihr bestimmt erzählen, dass niemand Geringeres als Aria Wilson in Westhaven war. Und morgen früh würde sich dann Nadias gesamte Schulklasse vor dem Haus der Hendersons versammeln, inklusive einer Horde Journalisten. Der Gedanke ließ meine Laune auf den Tiefpunkt sinken.
»He.« Cassie fasste nach meiner Hand, die ich auf dem Tisch zur Faust geballt hatte. »Wir hatten alle mal 'ne miese Phase, okay? Du willst gar nicht wissen, was ich als Teenager alles abgezogen hab. Aber heute bist du jemand anders. Du bist ein anständiger Kerl geworden, East.« Sie grinste schief. »Bild dir ja nichts drauf ein, aber ich gebe vor meinen Freunden immer mit dir an. Und jetzt, wo ich dir das verraten habe, muss ich dich leider umbringen.«
Ich wollte ihr glauben. Ich wollte es. Aber seit meiner Begegnung mit Aria war es, als läge meine ganze Welt genauso schief wie dieser Fischkutter vor ein paar Tagen.
Als ich das Haus meiner Schwester schließlich verließ, versuchte ich mit aller Kraft, die Tür wieder zuzuschlagen, die Aria Hendersons Auftauchen aufgerissen hatte. Ich hatte es kaum ertragen, mit ihr im Auto zu sitzen, und auch jetzt konnte ich den Gedanken daran nicht abschütteln. Der Klang ihrer Stimme, der Ausdruck in ihren Augen ... auf einmal war ich zurück in der Vergangenheit. Und es fühlte sich an, als würden die letzten dreizehn Jahre einfach zu Staub und Schatten zerfallen und etwas übrig lassen, auf das ich nie wieder einen Blick hatte werfen wollen.
Ich atmete die salzige Abendluft ein, einmal, zweimal, und setzte mich dann ins Auto. Es wurde Zeit, nach Hause zu fahren. Als ich die im Dunkeln liegenden Bungalows passierte, dachte ich zum ersten Mal seit Langem wieder an den Tag, an dem ich mein Elternhaus für immer verlassen hatte.
Den Leuten, die hier durchkamen, präsentierte sich Westhaven als raue Küstenstadt, umgeben von Wäldern und flachen Hügeln und dem Atlantik. Seine hässliche Seite verbarg die Stadt, wie Menschen ihren Schmerz versteckten. Den, der niemals heilte. Den, den sie in eine dunkle Ecke schoben, ängstlich darauf wartend, dass er eines Tages hervorbrechen und sie in die Tiefe reißen würde.
Zitternd vor Kälte blickte ich an der Fassade des Hauses hinauf, in dem ich aufgewachsen war. Ich wusste nicht, wie lange ich schon so dastand – unfähig, auch nur einen einzigen Schritt zu tun. Sogar unfähig, wieder von hier zu fliehen.
Als ich noch ein Kind gewesen war, hätte ich mir niemals vorstellen können, von hier wegzugehen. Meine Mutter und meine Tante Elaine waren Zwillingsschwestern, und meine Familie war so tief mit Westhaven verwurzelt, dass Grandma früher immer gesagt hatte, wir hätten Salzwasser in den Adern und Sturm im Herzen. Das Herz meiner Familie lag in dieser Stadt, in diesem Haus, das meine Großeltern in den 1960er-Jahren gebaut hatten. Hier war ich mit meiner Cousine Sam und meinem Cousin Chris durchs Haus gepoltert, hatte im verwilderten Garten und der Werkstatt Verstecken gespielt.
Die glücklichen Kindheitserinnerungen übertünchten sogar meine Verwirrung über diesen unverschämt gut aussehenden Mann, der mich vor nicht einmal einer Stunde an der Straße aufgesammelt hatte. Warum nur hatte er so merkwürdig auf mich reagiert? War er einfach nur schlecht gelaunt gewesen? Verwirrt, weil auf einmal eine kalifornische Plappertasche bei ihm im Auto saß? Oder war da noch mehr?
Immer noch hatte ich das Gefühl, als hätte ich ihn schon einmal gesehen ... Doch je angestrengter ich versuchte, das Wo herauszufinden, desto weniger wollte es mir gelingen.
Ich hatte keinen Hausschlüssel dabei, natürlich nicht. Sollte ich klopfen? Aber ich hatte keinen Schimmer, wie spät es war, und hinter den Fenstern brannte kein Licht. Alle schienen zu schlafen.
Während ich noch vor der Tür stand, fing es wieder an zu regnen. Na toll. Kurz entschlossen kletterte ich über den Zaun in den Garten. Die Terrassentür war meist nicht abgeschlossen. Meine ganze Familie war so gutgläubig, dass ich mich manchmal fragte, wie unsere Gene die Evolution überhaupt hatten überdauern können.
Der Hinterhof wirkte wie verwunschen. Überall wucherten die Pflanzen, die Schaukel glänzte feucht vom Regen. Aus einem Autoreifen sprossen Zwiebelblumen, und auf einem hölzernen Gartentisch stand eine vergessene Flasche Wein. Alles war noch genau wie früher.
Hastig wischte ich mir die Tränen aus den Augen und huschte zur Terrassentür. Nicht abgeschlossen, natürlich. Leise wie ein Schatten schob ich mich ins Wohnzimmer. Gleich daneben lag die Küche. Und im ersten Stock waren die Schlafzimmer. Grandma hatte früher unter dem Dach geschlafen, inmitten uralter Erinnerungsstücke. Doch irgendwann hatte sie dann wegen ihrer Gicht ins Erdgeschoss ziehen müssen. Ich versuchte, mich ganz leise zu bewegen, um sie nicht zu wecken.
Ich war so in Erinnerungen versunken, dass ich den Schatten erst bemerkte, als er mir gegen die Schulter tippte. »Es ist ziemlich dumm, hier einzubrechen. Der Fernseher ist das Wertvollste in diesem Haus, und der stammt noch aus dem zwanzigsten Jahrhundert.«
Ich schrie auf, wirbelte herum. Trotz des Dämmerlichts erkannte ich das lange, zum Zopf geflochtene Haar, den bunten Schlafanzug ... Im nächsten Augenblick fiel Sam mir um den Hals. »Ari! Bist du das wirklich?«
»Äh.« Unbeholfen erwiderte ich ihre Umarmung. »Ich ... äh ... glaube schon.«
Sam lachte auf. »Oh mein Gott, du bist hier! Oh mein Gott! Du bist hier, und du bist klatschnass und ... und ...« Meine Cousine schob mich von sich. »Warum bist du so nass?«
»Mein Auto ist liegen geblieben.« Ich hob die Schultern. »Ich hätte die Nacht wahrscheinlich im Wald verbracht, wenn mich nicht so ein grummeliger Typ am Straßenrand aufgelesen hätte.«
»Grummelig, ja?« Sie zupfte an dem Handtuch, das mein Retter nicht von mir hatte zurückhaben wollen. »Na komm, du musst erst mal die Klamotten wechseln. Wie bist du nur darauf gekommen, Sandalen und ein Mini-Kleid anzuziehen? Guckst du keinen Wetterbericht? Und ist das ein Findet-Nemo-Handtuch?«
Als sie mich die Treppe hinauf in den ersten Stock zog, fiel mein Blick auf die im Schatten liegenden Bilder an den Wänden. Es waren die gleichen wie früher. Sam und ich als Kleinkinder am Strand, Regenjacken und nasse Füße, hinter uns die schroffen Klippen. Meine Cousine und ich waren am selben Tag im kleinen Hunton Hospital von Westhaven zur Welt gekommen. Direkt an der Küste. »Ein Zeichen«, hatten unsere Mütter früher gewitzelt.
In diesem Augenblick schlug im Erdgeschoss eine Tür zu. Dann erklangen Schritte auf der Treppe – und eine verschlafene Stimme fragte: »Hast du auch was gehört?«
»Also, der Fernseher ist noch da.«
»Wer soll denn den Fernseher klauen, Mom?«
»Was weiß ich?« Grandmas schlecht gelauntes Gezeter entlockte mir ein Lächeln. »Ich bin doch froh, wenn ich weiß, ob ich noch lebe.«
»Mom!«
»Was denn? Das kann ich doch unmöglich wissen, Elaine. Vielleicht bin ich auch schon tot, wer weiß?«
»MOM!«
Ich folgte Sam zurück in den Flur und die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Die düsteren Gedanken waren fortgewischt – für den Moment. Stattdessen musste ich mir jetzt ein Kichern verkneifen.
Im Erdgeschoss brannte Licht. Tante Elaine stand am Fuß der Treppe, die Hände in die Hüften gestemmt. Vor ihr hatte sich Grandma aufgebaut und blickte mit zusammengekniffenen Augen zu Sam und mir hoch. »Na, sieh mal einer an. Da ist ja der Einbrecher.«
Tante Elaine wirbelte herum. »Ari! Was ... Was ...« Sie blickte sich suchend um, als könnten im nächsten Moment meine Eltern neben ihr auftauchen.
»Hi, Tante Elaine.« Ich schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. »Mom und Dad sind nicht hier, tut mir leid. Ich weiß auch nicht genau, wie ich in Westhaven gelandet bin. Ich bin einfach gefahren und gefahren, und auf einmal ... Auf einmal hat mein Käfer aufgegeben, und dann hat es geregnet, und da hat mich so ein Fremder an der Straße aufgelesen. Und er wollte sein Handtuch nicht zurückhaben.« Ich zuckte mit den Schultern. »Auf dem Handtuch ist Dori von Findet Nemo drauf, also hat er ja vielleicht mehr Humor, als er durchscheinen lässt.«
»Ari«, sagte Tante Elaine, genau wie früher. »Luft holen.«
»Richtig.« Ich atmete tief ein. »Jedenfalls ... Ich bin hier. Wie ihr seht.«
»Ja, ja.« Grandma wedelte mit der Hand. »Das Geblubber ist ja unmöglich nicht zu erkennen. Willkommen zu Hause, Kind. Ich gehe wieder ins Bett.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und schlurfte durch den Flur davon. Eine Tür fiel ins Schloss, dann war meine Großmutter verschwunden, und ich blieb mit Tante Elaine und Sam allein.
Tante Elaine zuckte auf meinen fragenden Blick hin mit den Schultern. »Sie wird alt und wunderlich. Und dass du hier bist, schockiert sie, denke ich. Gib ihr einfach ein bisschen Zeit.« Mit diesen Worten kam sie die Treppe hoch und schloss mich in die Arme. »Schön, dass du hier bist, meine Kleine.«
Ich erwiderte die Umarmung, vergrub das Gesicht an ihrer Schulter und atmete den Geruch meiner Kindheit ein.
Am nächsten Morgen fiel mir mein roter Käfer wieder ein. Mein geliebtes Auto hatte die Nacht allein im Wald verbringen müssen, was an sich schon zum Heulen war. Und außerdem waren all meine Klamotten noch in der Reisetasche auf dem Rücksitz. Ich hatte also im Augenblick keine andere Wahl, als auf meine Rüschenkleider zu verzichten und mit Sams aus Jogginghosen, Kapuzenpullis und Bauchtaschen bestehender Garderobe vorliebzunehmen.
»Ich sehe aus wie ein Kleinstadtgangster.« Kritisch beäugte ich mich im Spiegel.
Ich hatte in Sams Zimmer geschlafen, wie früher so oft. Obwohl Jahre vergangen waren, hatte es sich so natürlich angefühlt wie Atmen, wieder im selben Bett wie sie zu schlafen. Wir hatten nicht darüber gesprochen, wieso ich wieder da war – oder wieso meine Eltern und ich Westhaven damals verlassen hatten. Vielleicht hatte sie Angst, es anzusprechen. Vielleicht fürchtete sie, ich könnte dann so plötzlich verschwinden, wie ich aufgetaucht war. Und vielleicht fürchtete auch ich mich davor.
Ein Teil von mir wollte Sam fragen, warum sie dieses Haus nie verlassen hatte – aber ich tat es nicht. Denn eigentlich kannte ich die Antwort. Sam war mit unserem Zuhause verwurzelt. Genauso beständig wie die alten Möbel, die sie und Tante Elaine in der Werkstatt im Garten restaurierten.
Jetzt boxte sie mich spielerisch in die Seite. »He, mach dich ja nicht lustig! Kleinstadtgangster ist angesagt.«
»Nicht in meinem Kleiderschrank!«
»Ah ja, und wo ist dein Kleiderschrank?«
»In L.A.«, gab ich zu. »Und im Wald. Zusammen mit meinem Auto. Mein armes Auto! Und mein neues Kleid ...« Maxime, meine liebste Kostümdesignerin auf der Welt, hatte mir einen ganzen Haufen Stoffreste vermacht. Der letzte Film, für den sie Kostüme angefertigt hatte, spielte in der Renaissance – das hieß, jede Menge Rüschen. Daraus hatte ich mir ein neues Kleid genäht, und das lag jetzt auch in meinem Wagen ...
Hilfesuchend blickte ich zu meiner Cousine. »Ich muss mein Auto aus dem Wald holen und dann in eine Werkstatt bringen. Du kennst nicht zufällig jemanden, der sich auf Autos aus dem letzten Jahrhundert und hoffnungslose Fälle spezialisiert hat?«
Ich wusste, dass mein roter Käfer eigentlich auf einen Friedhof für geliebte Autos gehörte. Mein Mechaniker in L.A. hatte mir schon damals, als er mir das Navi eingebaut hatte, verkündet, dass der Wagen entweder in ein Museum oder auf den Schrottplatz gehörte. Aber ich konnte mich einfach nicht von ihm trennen.
Sam schien kurz zu überlegen. »Ich rufe mal Derek an. Erinnerst du dich noch an ihn? Wir sind damals zusammen zur Schule gegangen.«
Ich dachte nicht gern an meine Schulzeit zurück. Das meiste hatte ich mit all den anderen furchtbaren Erinnerungen irgendwie verdrängt. Aber an Derek erinnerte ich mich. Der Junge, der immer den Videorekorder bedient hatte. Ständig gehänselt und herumgeschubst wegen seines Aussehens. Die Kinder aus der Stufe über uns, Rick und Blade und all diese Idioten, hatten ihn immer »Fetti« genannt. Ich schob die Erinnerung beiseite und lächelte. »Das wäre toll! Allerdings muss ich den Wagen erst mal aus dem Wald bekommen ...«
Sam rief Derek an, und es stellte sich heraus, dass er trotz meiner etwas wirren Beschreibung sofort wusste, auf welchem Parkplatz ich liegen geblieben war. Er hatte einen Abschleppwagen, und als Sam und ich uns auf den Weg zu seiner Werkstatt machten – ich inkognito mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze – war mein Käfer schon auf dem Weg nach Westhaven.
Derek sah ganz anders aus als früher. Aus dem unbeholfenen Jungen war ein riesiger Kerl mit Tattoos und eindrucksvollen Muskeln geworden. In seiner Werkstatt lief laut Musik, als wir eintraten. Punk aus den Achtzigern. Ich ertappte mich dabei, wie ich den Text mitsummte.
Derek hatte seine Werkstatt in einer alten Scheune untergebracht, und auf dem Boden lag an einigen Stellen sogar noch Stroh. Überall waren Werkzeuge und Ersatzteile verteilt, und in der Mitte der Scheune stand mein Wagen mit geöffneter Motorhaube.
»Sam!« Derek kam hinter dem Auto hervor und umarmte meine Cousine. Dabei hob er sie fast von den Füßen.
»Hey, Großer«, sagte sie lachend. »Hast du etwa extra für uns aufgesperrt?«
Es war Sonntag. Schuldbewusst biss ich mir auf die Unterlippe. Ich hatte die Wochentage irgendwie vollkommen vergessen. Ups.
»Nee.« Er ließ sie los und fuhr sich durch das Haar. »Ich bin sowieso immer hier. Und ich helfe gern, wenn Not am Mann ist.« Er blickte zu meinem roten Käfer. »Ist ja ein echt schöner Wagen, aber, Mann, ob ich den retten kann ... Du warst so geheimnisvoll am Telefon. Wem gehört die Schönheit denn?« Da fiel sein Blick auf mich. »Na, da brat mir doch einer einen ...«
Ich hatte mir bis heute Morgen kaum Gedanken darüber gemacht, wie meine Rückkehr in Westhaven aufgenommen werden würde. Unauffälligkeit lag mir nicht so besonders, also hatte ich mir einfach die Kapuze von Sams schwarzem Hoodie tief ins Gesicht gezogen und das Beste gehofft. Aber natürlich erkannte Derek mich sofort.
Verlegen zog ich mir die Kapuze vom Kopf. »Hi, Derek. Danke, dass du dich um meinen Wagen kümmerst. Er ist zu hübsch für den Schrottplatz.«
Er lachte dröhnend. Im nächsten Moment hatte er mich vom Boden gepflückt und in seine massigen Arme gezogen. »Hey, wer hätte gedacht, dass du so einen guten Autogeschmack hast! Ausgerechnet ein VW-Käfer. 1990er-Baujahr, was? Mehr als dreißig Jahre auf dem Buckel und so eine Schönheit! Ich werd mal sehen, ob ich ihn wieder ans Laufen kriege.«
Erleichtert erwiderte ich seine Umarmung. Dieses Wiedersehen war viel schöner als die Begegnung mit dem gut aussehenden Miesepeter, der mich gestern Abend aufgelesen hatte. Die Erinnerung an seinen intensiven Blick trieb mir einen Schauer über den Rücken. Einen viel zu wohligen Schauer für meinen Geschmack ...
Meine Gedanken wurden von Derek unterbrochen, der sich wieder meinem Auto zugewandt hatte. »Mann, Ari, ich hätte gedacht, du fährst mittlerweile mit 'nem Lamborghini durch L.A. Weißt du, was hier los war, als du damals plötzlich in dieser Serie zu sehen warst? Vampire Hunter, ich weiß noch ganz genau, wie ich ausgeflippt bin. Ich glaube, ein paar alte Leutchen sind vor ihrem Fernseher in Ohnmacht gefallen ...«
Mir entkam ein Lachen. »Das kann ich mir ziemlich gut vorstellen.«
Er beugte sich über die Motorhaube und seufzte. »Der Motor ist hin, den werde ich austauschen müssen. Ich werd mal ein paar Leute anrufen und sehen, ob ich die richtigen Ersatzteile besorgen kann.«
»Danke. Der Wagen bedeutet mir viel.«
Er nickte und sah dann zu Sam hinüber, die mittlerweile angefangen hatte, die Werkzeuge auf der Bank umzuordnen. Als sie seinen Blick bemerkte, legte sie ertappt den Schraubenschlüssel beiseite. »Was?«
»Kommt ihr heute Abend mit zu Gloria?« Derek blickte mit fragender Miene von meiner Cousine zu mir und wieder zurück.
»Stimmt, das ist ja heute«, murmelte Sam.
Derek seufzte wieder. »Sag nicht, du hast es vergessen.«
Ich sah neugierig von einem zum anderen. »Was denn?«