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Die Basler Reporterin Beverly Keeton nimmt all ihren Mut zusammen, lässt ihr altes Leben hinter sich und folgt ihrem American Dream nach New York. Doch kaum angekommen, wird sie in eine eiskalte Hundert-Millionen-Dollar-Angelegenheit verwickelt. Dieser explosive Mix aus Witz, Romantik, Naivität und tief verborgenen Geheimnissen wird zu einem Pageturner über die Chancen, die wir ergreifen – und jene, die uns entgehen. Rezept: 4 cl American Dream 2 cl attraktiver Gentleman 12 cl bittersüsse Zweifel 4 cl Lust und Liebe Eiskalt servieren!
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Seitenzahl: 253
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Alle Rechte vorbehalten
© 2024 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel
Projektleitung: Brooke Shawnee
Korrektorat: Daniel Lüthi, Manuela Seiler-Widmer
Covergestaltung: Franziska Scheibler
Layout: Siri Dettwiler
Illustrationen: Célestine Schneider
eISBN: 978-3-7245-2739-8
ISBN der Printausgabe 978-3-7245-2740-4
Der Friedrich Reinhardt Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2025 unterstützt.
www.reinhardt.ch
Für Granny
PROLOG
New York Dienstag, 19. Dezember 2000
KAPITEL 1
New York Montag, 5. Dezember 2022
KAPITEL 2
Basel Dienstag, 11. September 2001
New York Dienstag, 6. Dezember 2022
KAPITEL 3
Basel Dienstag, 9. Dezember 2003
New York Mittwoch, 7. Dezember 2022
KAPITEL 4
Basel Montag, 7. März 2005
New York Freitag, 9. Dezember 2022
KAPITEL 5
New York Montag, 12. Dezember 2022
KAPITEL 6
New York Freitag, 16. Dezember 2022
KAPITEL 7
New York Samstag, 17. Dezember 2022
KAPITEL 8
New York Sonntag, 18. Dezember 2022
KAPITEL 9
New York Freitag, 23. Dezember 2022
KAPITEL 10
New York Samstag, 24. Dezember 2022
KAPITEL 11
Basel Sonntag, 25. Dezember 2005
New Jersey Sonntag, 25. Dezember 2022
KAPITEL 12
Basel Montag, 26. Dezember 2005
New York Montag, 26. Dezember 2022
KAPITEL 13
New York Dienstag, 27. Dezember 2022
KAPITEL 14
New York Samstag, 31. Dezember 2022
KAPITEL 15
Basel Mittwoch, 1. September 2010
New York Sonntag, 1. Januar 2023
KAPITEL 16
Basel Samstag, 26. Mai 2018
New York Sonntag, 1. Januar 2023
San Diego Sonntag, 1. Januar 2023
KAPITEL 17
Tijuana Montag, 2. Januar 2023
Tijuana-Las Vegas Montag, 2. Januar 2023
KAPITEL 18
Las Vegas Dienstag, 3. Januar 2023
KAPITEL 19
New York Mittwoch, 4. Januar 2023
EPILOG
New York Dienstag, 14. Februar 2023
Dank
Autorin
Cosmopolitan
Cinnamon Rolls
Der Fahrstuhl öffnete sich. Hundertsechs Stockwerke lagen unter uns. Die Höhe erzeugte ein Gefühl der Schwerelosigkeit, als würden wir auf einer Weltraummission schweben. Das Kribbeln in meinem Bauch erinnerte mich an den aufregenden Start unseres Flugs von Zürich nach New York zu Beginn der Woche. Ich betrat mit meinen Eltern das hundertsiebte Stockwerk des Südturms des World Trade Centers. Eine lebhafte Szene erwartete uns. Menschen verschiedenster Nationen sprachen wild durcheinander. Der Duft von frischem Popcorn, frittiertem Essen und Pizza erfüllte die Luft. Wir folgten dem verführerischen Aroma in Richtung Snackbar, an der es Nathan’s Famous Hot Dogs und Sbarro-Pizza gab. Wir reihten uns geduldig in die Schlange vor dem Hotdogstand ein. Nervös hüpfte ich von einem Fuss auf den anderen. Wir näherten uns nur langsam unserem Ziel. Mit meinen sechs Jahren konnte ich gerade über den Tresen des Imbissstands sehen, wo Pommes frites im heissen Öl brutzelten und unzählige Flaschen mit Ketchup, Mayo, Senf und Relish herumstanden. Endlich! Wir waren an der Reihe.
«Die Nächsten!», nuschelte die Frau hinter der Theke im dunkelgrünen Poloshirt und mit gelbem Baseballcap. «Was darf es sein?»
«Drei Nathan’s Chicago Dogs, bitte», bestellte mein Vater.
«Mit extra viel Relish!», rief ich aufgeregt hinterher, ohne zu wissen, ob mich die Frau gehört hatte. Relish, diese Sauce aus gehackten Essiggurken, war mein absolutes Highlight.
Die Imbissverkäuferin legte flink die Würstchen in die Hotdogbuns und garnierte sie mit gerösteten Zwiebeln, Tomaten, Gürkchen, Selleriesalat, Senf, Ketchup und Relish. Die fertigen Hotdogs reichte sie in einzelnen Pappschälchen meinem Vater weiter.
«Sally, einen für dich», sagte er und gab einen meiner Mutter. «Und der ist für dich, Beverly!»
Allein der Anblick liess mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Wir kämpften uns durch die Menschenmenge. Meine Mutter hielt meine Hand fest. «Bleib in unserer Nähe, mein Engel.»
Überwältigt von den Eindrücken rund um mich bemerkte ich einen Fernseher in einer Ecke. Moment mal, den Mann auf dem Bildschirm kannte ich. Ich zog an Mutters Hand. «Mommy, Mommy, schau schnell, Onkel Ryan ist im Fernsehen!»
Sie drehte sich gerade noch rechtzeitig zum Monitor um, um Ryan zu sehen.
«Matthew!», rief sie meinem Vater zu, der einige Meter vor uns in der Menschenmasse unterzugehen schien. Er drehte sich zu uns um und meine Mutter zeigte auf das Fernsehgerät, um nicht nochmals durch die Menschenmenge rufen zu müssen. Jetzt schauten wir alle drei auf die letzten paar Sekunden der Nachrichten. Der Ton war ausgeschaltet, aber ich konnte seinen Abschlusssatz, den ich auswendig kannte, von seinen Lippen ablesen: «Ich bin Ryan Keeton und das waren die Nachrichten.»
Andere Kinder in meinem Alter schauten sich Disneyfilme an – ich viel lieber die Nachrichten. Nicht, dass ich sonderlich drauskam, aber ich war davon fasziniert, meinen Onkel im Fernsehen zu sehen, auch wenn er die meiste Zeit auf einem anderen Kontinent war als ich. Ryan wusste, wie gern ich ihn auf dem Bildschirm sah und hatte uns deshalb gestern zu einer Führung auf die Redaktion eingeladen. Er arbeitete bei «Big Apple News», einem grossen New Yorker Fernsehsender. Die Führung durch das Studio hatte mir riesigen Spass gemacht. Die Kameras, Mikrofone und Scheinwerfer begeisterten mich und der Höhepunkt der Tour war, als Onkel Ryan mich vor die Kamera setzte und mich zum Spass interviewte. Ich fühlte mich wie ein Star. Wenn wir doch nur hier in New York leben könnten, dachte ich, dann könnte ich Ryan jederzeit besuchen und so viel Relish essen, wie ich nur wollte.
Wir betraten den Aussenbereich der Plattform. Der Wind wehte uns um die Ohren und meine Mutter reichte mir meine Mütze, die ich mir tief ins Gesicht zog. Die Stadt lag in eisiger Kälte; einzelne Schneeflocken tanzten vom Himmel und verirrten sich auf meine Mütze. Wir fanden einen windgeschützten Platz auf der Plattform und endlich konnte ich genüsslich in meinen Hotdog beissen. Der Hotdog war so gross, dass sich das Ketchup über meine Wangen verteilte. Mein Vater holte stolz seine Digitalkamera aus seinem Rucksack. «Entschuldigen Sie, könnten Sie bitte ein Foto von uns dreien machen?», fragte er höflich einen vorbeigehenden Touristen. «Oder besser gesagt von uns vieren», korrigierte er sich und strich meiner Mutter zärtlich über den nicht zu übersehenden Babybauch. Der Fremde nickte lächelnd, nahm die Kamera entgegen und wir stellten uns für das Familienfoto bereit.
«Rückt ein bisschen näher zusammen!», wies der freundliche Mann uns an. «Drei, zwei, eins, Cheese!» Die Kamera gab einen grellen Blitz von sich, der das gesamte Panorama hinter uns kurzzeitig erhellte. Die Windböen strichen um uns herum und ich hielt meine Mütze fest. Wir spazierten einmal rund um die Plattform und ich saugte die Eindrücke in mich auf. Von hier oben sahen wir in alle Himmelsrichtungen.
«Schau, hier unten ist die Freiheitsstatue», erklärte mir Dad.
«Und dort drüben ist die Brooklyn Bridge», fügte Mom hinzu, ihre Augen glänzten vor Begeisterung. Ich war überwältigt, wusste nicht, wohin ich zuerst schauen sollte. Ich stand noch nie auf einem so hohen Gebäude. In meiner Heimatstadt Basel gab es keine solchen gigantischen Wolkenkratzer. Jedes Jahr freute ich mich besonders auf unseren Besuch bei meinen Grosseltern und Onkel Ryan in den USA. Entweder besuchten wir sie in den Sommerferien oder über Weihnachten, wie in diesem Jahr. Die Hochhäuser, die vielen Lichter und Sirenen dieser Stadt übten eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Doch am meisten beeindruckt hatte mich das Fernsehstudio, in dem Ryan arbeitete. Und plötzlich sprudelte es aus mir heraus: «Mommy, Daddy, wenn ich gross bin, möchte ich auch vor der Kamera stehen wie Onkel Ryan.» Die Worte klangen wie ein Wunsch, der in diesem magischen Moment zwischen Himmel und Erde zu den Sternen emporstieg.
6325 Kilometer von meinem ehemaligen Zuhause entfernt lief oder besser gesagt stolperte ich in meinen neuen beigefarbenen Pumps über die 5th Avenue. In meiner linken Hand jonglierte ich sechs Latte macchiatos von Starbucks, die aufgrund der frostigen Dezembertemperaturen bald schon als Iced macchiatos durchgehen würden. Nach zwei Monaten im Big Apple sollte ich eigentlich wissen, dass High Heels nicht das beste Schuhwerk für die weitläufigen Distanzen sind, geschweige denn bei dieser eisigen Kälte. Vielleicht hätte ich meine Wanderschuhe auspacken sollen. Nun ja, es waren nicht wirklich Wanderschuhe. Meine bequemen Sneakers reichten vollkommen aus für das, was ich als «Wanderung» bezeichnete. Ich passte die Route immer meinen Schuhen an und vermied es, längere Strecken zu gehen, die über ihre Kapazität hinausgingen. Doch jetzt musste ich feststellen, dass meine Schuhwahl nicht die beste war, als ich gegen acht Uhr morgens orientierungslos durch New York stöckelte.
Verdammt, war ich nicht schon einmal hier vorbeigekommen? Irritiert blickte ich umher. Jetzt hatte ich mich sogar noch in meiner sechsten Arbeitswoche verlaufen. Ein ausgeprägter Orientierungssinn war mir definitiv nicht in die Wiege gelegt worden.
Ich schaute entlang der gigantischen Hochhäuser, bis ich etwa fünfhundert Meter weiter vorn mein Ziel erblickte – das Rockefeller Center, einer der berühmtesten Gebäudekomplexe in Midtown Manhattan. Der im Art-déco-Stil gebaute Komplex erstreckte sich über drei Strassenblocks und bestand aus zwanzig Gebäuden. Neben Büros waren hier auch zahlreiche Fernsehstudios einquartiert, darunter das Hauptquartier von NBC, wo namhafte Sendungen wie «The Today Show» und «Saturday Night Live» aufgezeichnet wurden.
Ich konnte es immer noch kaum fassen, dass mein Arbeitsplatz in diesem weltberühmten Himmelskoloss lag. Die immensen Dimensionen musste ich erst noch verarbeiten. In meiner Heimatstadt Basel, wo ich bis vor Kurzem gelebt hatte, schossen mittlerweile zwar auch Wolkenkratzer aus dem Boden, aber der Messeturm und die Roche-Türme konnten mit diesen Riesen nicht mithalten.
Einige Stolperschritte später erreichte ich endlich einen der Aufzüge im Rockefeller Center. Wie immer waren sie zur Rushhour vollgestopft mit Businessleuten in Anzügen und schicken Etuikleidern unter Blazern. Ich wurde an das Ende des Fahrstuhls direkt vor die Spiegelfront gequetscht.
«Oh Mist!», fluchte ich leise vor mich hin. Dies galt dem Kaffeefleck auf meinem neuen, cremefarbenen Mantel. Das musste passiert sein, als mich vor der Drehtür im Eingangsbereich des Rockefeller Centers ein stämmiger Geschäftsmann gerammt hatte. Nur die Ruhe bewahren, mahnte ich mich. Der Fleck war nicht so schlimm und würde kaum auffallen, sobald er trocken war. Viel mehr Sorgen bereiteten mir die langsam sichtbaren Krähenfüsse um meine Augen herum. Im grellen Aufzuglicht waren sie deutlich zu sehen. Zum ersten Mal waren sie mir im vergangenen Oktober an meinem achtundzwanzigsten Geburtstag aufgefallen.
Der Gong erklang und die Aufzugtüren öffneten sich. Ich hielt im 23. Stock vor einer massiven Glastür mit der Aufschrift «Big Apple News» – der Grund für meinen Umzug über den grossen Teich. Ich hatte schon lange vom American Dream geträumt und nun war mein innigster Wunsch dank einer riesigen Portion Glück und einer ordentlichen Portion Vitamin B in Erfüllung gegangen. Meinem Onkel väterlicherseits verdankte ich den Job. Ryan Keeton hatte viele Jahre bei «Big Apple News» gearbeitet, bevor er von der BBC abgeworben wurde. Nun trat ich in seine Fussstapfen. Den passenden Nachnamen dafür hatte ich bereits. «Keeton» war in New York mittlerweile ein Begriff. Jetzt musste ich mich nur noch beweisen und dem Namen gerecht werden.
Ich streckte meine freie Hand nach der Glastür aus, langte nach dem Türgriff und im selben Moment gerieten die Kaffees in meiner anderen Hand aus dem Gleichgewicht. Da war auch schon eine Hand da, die mir rechtzeitig die Becher abnahm. Die rettende Hand gehörte Bill Bailly, meinem Teamkollegen. Er war der Produktionsleiter von «Big Apple News».
«Achtung, Achtung!», plärrte er den anderen Teammitgliedern in der Redaktion zu. «Kaffee im Anflug!»
Wie peinlich mir das war – natürlich musste er es auch gleich noch in die Runde posaunen. Bill war bekannt für seine Sprüche und seine direkte Art. Das hatte ich bereits in den ersten Tagen beim Sender herausgefunden. Er war der Sonnyboy des Senders und brachte so einige Frauen mit seinen haselnussbraunen Augen zum Schmelzen. Er war ein Charmeur und wusste, dass er bei den Frauen mit seiner Art gut ankam, auch wenn er uns mit seinen Sprüchen zum Teil in Verlegenheit brachte, wie jetzt gerade.
«Vielen Dank, ohne dich gäbe es wohl heute keinen Kaffee!»
Erleichtert nahm ich die Kaffeebecher wieder entgegen. «Hier, den kannst du behalten, der ist für dich!»
«Vielen Dank!», er nahm den Becher und hielt mir mit der freien Hand die Tür auf. Ich betrat den Eingangsbereich der Fernsehstation. Seit meinem ersten Besuch vor zweiundzwanzig Jahren hatte sich einiges verändert – einzig die Raumaufteilung war plus/minus dieselbe. Vor fünf Jahren war die komplette Station modernisiert und im Zuge der Renovierung einem Redesign unterzogen worden. Seither erstrahlten die Räume in einem schlichten Weiss mit frischen grünen Akzenten passend zum neuen Logo von «Big Apple News». Die Technologie hatte enorme Fortschritte gemacht. Besonders beeindruckend war die riesige Screen Wall im Newsroom, die sofort die Aufmerksamkeit auf sich zog. Das Herzstück bildete der Newsdesk in der Mitte des Grossraumbüros. Um ihn herum waren die einzelnen Studios für Nachrichten, Wetter und Talkshows angeordnet.
Jetzt zur Weihnachtszeit war das gesamte Studio festlich geschmückt. Es schien von Tag zu Tag üppiger zu werden – alles, was die Mitarbeitenden zu Hause nicht mehr brauchten, fand seinen Platz hier. Was ich davon halten sollte, wusste ich nicht genau. Es wirkte eher wie ein Friedhof für Weihnachtsschmuck: An der Wand prangte ein Santa-Claus-Kopf, der bei jedem Vorbeigehen den «Santa Claus Rock» trällerte. Insgeheim hoffte ich, dass er bald den Geist aufgeben würde. Und ein hüfthohes leuchtendes Rentier mit Wackelkontakt stand vor dem Büro unseres Redaktionsleiters John Wilson. John hatte einen beeindruckenden journalistischen Hintergrund. Er arbeitete viele Jahre bei der «New York Times», bis er in den späten 1990er-Jahren seinen Horizont erweiterte und auf Fernsehjournalismus umstieg.
Ich verteilte die restlichen Macchiatos an die Morgenshowcrew, nahm einen grossen Schluck von meinem Gingerbread-Latte und setzte mich an meinen Arbeitsplatz. Der Newsroom war bereits in vollem Betrieb mit Monitoren, welche die neuesten Nachrichten und Updates zeigten, und Kollegen, die geschäftig ihre Aufgaben erledigten. Ich startete meinen Computer und öffnete meine E-Mails, um zu sehen, was die Nacht gebracht hatte. Eine Vielzahl von Nachrichten erwartete mich, von Pressemitteilungen bis hin zu Terminankündigungen. Ich sortierte sie schnell durch, priorisierte die dringendsten Aufgaben und machte mir Notizen für später.
Punkt neun Uhr versammelte sich die zwölfköpfige Crew einschliesslich mir um einen grossen Stehtisch im Newsroom. Den Tisch zierte ein geschmackloser kleiner Plastikweihnachtsbaum mit blauen Kugeln und kleinen LED-Lämpchen. Insgesamt beschäftigte «Big Apple News» um die sechzig Mitarbeitende. Durch die Aufteilung in Morgen-, Daily- und Abendshow waren nie alle gleichzeitig bei der Arbeit. Während das Redaktions- und Moderationsteam die Inhalte präsentierte, arbeiteten talentierte Fachleute im Hintergrund daran sicherzustellen, dass jede Sendung reibungslos ablief.
«Ich habe gestern neue Chocolate-Chip-Cookies ausprobiert», verkündete Amber Buckley und stellte eine Plätzchendose auf den Tisch. Amber, ebenfalls in ihren späten Zwanzigern, war bereits seit einigen Jahren beim Sender und bekannt für ihre Backkünste. Ihre Leidenschaft machte sich keinesfalls an ihren Hüften bemerkbar. Amber war einen Kopf kleiner als ich, ihre blond gefärbten Haare reichten ihr bis knapp über die Schultern. Bis jetzt wurde ich mit ihr noch nicht warm, nur mit ihren Plätzchen, diese waren immer köstlich. Die Woche könnte immer so beginnen, dachte ich mir und atmete den Duft der Plätzchen tief ein.
Bei der Redaktionssitzung besprachen wir die aktuellen Themen und verteilten die Aufgaben. Obwohl ich mich noch in der Einarbeitungsphase befand, kannte ich die Abläufe bereits gut. Ich war keineswegs unerfahren, denn schon in Basel war ich in der Medienwelt zu Hause und hatte bei verschiedenen Lokalmedien mitgemischt, zuletzt auch bei einem TV-Sender. In den ersten Arbeitswochen wurde ich in die einzelnen Bereiche eingeführt, um die ganze TV-Station kennenzulernen. Mein Arbeitsbereich würde dann vor der Kamera als rasende Reporterin sein.
John Wilson eröffnete das Meeting. «Wir halten die Sitzung heute kurz. In der Weihnachtszeit gibt es viele Veranstaltungen, über die wir nicht alle berichten können. Das Highlight im Dezember ist sicherlich die Reportage über den Diamanten im Natural History Museum. Da beginnen wir am Mittwoch mit den Vorbereitungen. Heute steht die Eröffnungsfeier des neuen Restaurants Swiss Chalet in Soho im Fokus. Lindsay ist die Reporterin vor Ort und Keith der Videojournalist.»
Suchend blickte John in die Runde und als unsere Blicke sich trafen, fügte er hinzu: «Und Beverly, du begleitest die beiden. Aber pass auf, dass du nicht allzu sehr Heimweh nach der Schweizer Küche bekommst!»
Gelächter brach auf der Redaktion aus und auch ich musste lauthals mitlachen.
Eine Stunde später verliessen wir zu dritt das Rockefeller Center, vollbeladen mit Kameraausrüstung. Lindsay Martinez war eine begnadete TV-Moderatorin und seit drei Jahren beim Sender. Sie arbeitete Teilzeit und war neben ihrem Sechzig-Prozent-Pensum Mutter von zwei Söhnen. Keith McKay war wie ich ein Neuling beim Sender und hatte nur wenige Monate vor mir angefangen.
«Taxi! Taxi!», rief ich, trat an den Strassenrand, streckte lässig, wie ich es aus den Filmen kannte, die Hand aus und versuchte, Augenkontakt mit den Fahrern aufzunehmen.
Keith lachte. «Du musst nicht rufen, der Fahrer hört dich sowieso nicht.»
Ein gelbes Taxi nach dem anderen fuhr an uns vorbei. In New York wimmelte es von Yellow Cabs, aber wenn man eines brauchte, hielt keines an.
«Anhalten werden nur die, deren Nummer auf dem Dach leuchtet – alle anderen sind besetzt», erklärte mir Keith.
«Ach echt, das wusste ich nicht», antwortete ich verlegen. Ich war halt doch noch ein Neuling in der Stadt. Und dann endlich hielt ein Taxi an. Lindsay und ich nahmen auf dem Rücksitz Platz, während Keith das Equipment im Kofferraum verstaute. Dann zwängte er sich ebenfalls hinten rein.
«Nach Soho bitte, Ecke Broadway/Broome Street», wies er den Fahrer an. Der Taxifahrer nickte und fuhr los. Ganz verwundert schaute ich Keith an. «Ich schätze ja deine Nähe, aber jetzt wird es doch ein bisschen eng hier hinten.»
Keith amüsierte sich köstlich und klärte mich auf. «In New York nimmt man wenn immer möglich auf der Rückbank Platz.»
Eingequetscht wie eine Dosensardine konnte ich sogar Keiths Aftershave riechen. Eine holzige, ledrige, rauchige Duftnote bahnte sich den Weg in meine Nase. Der Duft liess ihn richtig sexy wirken. Oje, hatte ich das gerade wirklich gedacht? Ich musterte sein Profil aus den Augenwinkeln. Sein dunkelbraunes volles Haar war ordentlich gegelt. Sein Dreitagebart rundete seine leicht kantigen Gesichtszüge ab. Bisher hatte ich noch nie direkt mit Keith zusammengearbeitet. Er war mir nur flüchtig an den Sitzungen aufgefallen.
Plötzlich riss der Taxifahrer eine Vollbremsung und drückte ordentlich auf die Hupe. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen und sah nur noch, wie ein Fussgänger entschuldigend die Hand hochhielt. Von da an schaute ich zwischen den beiden Vordersitzen auf den Strassenverkehr und konzentrierte mich darauf, nicht wieder in Keiths Anblick zu versinken.
Wenige Minuten später deutete Keith dem Fahrer an, am Strassenrand anzuhalten. Der Fahrer drosselte das Tempo, bis das Auto zum Stillstand kam und wir aussteigen konnten. Keith bezahlte den Taxifahrer und wir halfen ihm, das Equipment zum Restaurant zu bringen. Etwa zehn Meter vor uns leuchtete ein weiss-rotes Logo mit der Aufschrift «Swiss Chalet». Ein ulkiger Anblick erwartete uns. Das Eckhaus war ein hohes, unspektakuläres Betongebäude. Im Erdgeschoss, in dem sich das Restaurant befand, war die Fassade mit dem typisch dunkelbraunen Chaletholz eingekleidet und am Eingang standen zwei Plastikkühe in Lebensgrösse. Ich war entzückt von dem Anblick, ging voran und stiess die Tür auf. Sofort stieg mir der vertraute Duft einer Mischung aus Rösti, Käse und Speck in die Nase. Es roch wie in einer Beiz auf der Skipiste. So sah auch die gesamte Inneneinrichtung aus. Eine Kellnerin und ein Kellner in Schweizer Trachten begrüssten uns herzlich.
«Bitte folgt mir! Ihr könnt eure Kamera gleich dort in der Ecke aufbauen», sagte der Kellner mit einer flüchtigen Handbewegung. «Der Restaurantbesitzer wird gleich bei euch sein.»
Wenig später kam ein Mann mittleren Alters auf uns zu. Auch er trug eine Tracht, jedoch eine etwas elegantere Version.
«Herzlich willkommen im Swiss Chalet!», begrüsste er uns und streckte uns gleichzeitig ein Tablett voller Käsehappen entgegen. «Hier, probiert, echter Schweizer Käse!»
Keith griff als Erster nach einem Zahnstocher, an dem ein Stück Käse steckte. «Lecker!», schmatzte er mit vollem Mund.
«Ich bin übrigens Andreas Miller, der Besitzer des einzigen Chalets in ganz New York», stellte er sich vor und zeigte stolz auf den Raum um uns herum. «Nennt mich einfach Andy. Es freut mich wahnsinnig, dass ihr über mein Restaurant berichtet.»
«Das Vergnügen ist ganz unsererseits», erwiderte Keith. «Darf ich dir Lindsay Martinez und Beverly Keeton vorstellen – und meine Wenigkeit, Keith McKay.» Dabei deutete er nacheinander auf uns.
Am Akzent erkannte ich sofort, dass er kein Amerikaner war. Also fragte ich direkt: «Bist du Schweizer?»
«Gut erraten», antwortete Andy.
«Mit Raten hat das nicht viel zu tun. Ich bin auch Schweizerin.»
«Was für eine besondere Ehre, bereits am Eröffnungstag eine Schweizerin im Restaurant begrüssen zu dürfen. Dann habe ich ja gleich eine kritische Testerin, wie authentisch das Restaurant herüberkommt. Kommt mit, ich führe euch durch die Räumlichkeiten.»
Wir folgten Andy durch das Restaurant, während er uns die verschiedenen Bereiche zeigte. Er führte uns durch ein rustikal eingerichtetes Stübli, das an eine Berghütte erinnerte.
«Hier werden künftig regelmässig Fondueabende stattfinden», erklärte Andy uns stolz.
Dann kamen wir in den Hauptsaal, der wie eine Schweizer Dorfbeiz gestaltet war. Überall hingen Bilder von Schweizer Alpenlandschaften und bekannten Städten wie Bern, Zürich, Luzern – und auch Basel, was mich besonders stolz machte. Ich war verblüfft – bei der Inneneinrichtung wurde kein Schweizer Klischee ausgelassen. Sogar ein Döschen Aromat und eine Flasche Maggi standen auf jedem Tisch.
Im oberen Stockwerk erwartete uns eine Chaletlounge mit bequemen Sofas und einem Kamin. Dort war sogar ein kleines Fenster eingebaut, das den Eindruck vermittelte, auf schneebedeckte Berge zu blicken.
«Das Kaminzimmer bietet Platz für Events und kann gemietet werden für private Veranstaltungen», erklärte Andy.
Während der Führung konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ich fühlte mich wie in einer Art Schweizmuseum. Schliesslich kehrten wir zurück in den Hauptsaal, der bereits von Gästen bevölkert war. Das gedämpfte Licht verlieh dem Raum ein warmes, gemütliches Ambiente. Das Klappern von Gläsern und das leise Murmeln der Menschen vermischten sich zu einer angenehmen Geräuschkulisse. Ein dezentes Alpenmusikstück spielte im Hintergrund.
Wir machten uns sofort an die Arbeit. Kameras wurden vorsichtig auf Stativen platziert, um den besten Blickwinkel zu gewährleisten. Keith testete die Aufnahmen, passte den Fokus an und überprüfte die Belichtung. Mikrofone wurden an den Tischen angebracht, während ich mich um die Verlegung der Kabel kümmerte, um sicherzustellen, dass alles ordentlich und unauffällig verlief.
Währenddessen war Lindsay bereits in ihrem Element. Mit ihrem Mikrofon in der Hand schritt sie zu den Gästen und begann, sie zu interviewen. Ihre charmante Art und ihre eloquenten Fragen lockten die Gäste aus der Reserve und sie erzählten begeistert von ihrer Leidenschaft für Schweizer Küche und Kultur. Lindsay führte fliessend die Gespräche und verlor nie den Faden, während sie zwischen verschiedenen Gästen hin- und herging.
Keith hingegen hatte seine Kamera im Anschlag und fing die lebhaften Momente ein. Seine Aufnahmen waren fokussiert und professionell, aber er schaffte es dennoch, die lockere Atmosphäre des Restaurants einzufangen. Von den liebevoll arrangierten Tellern mit Schweizer Spezialitäten bis hin zu den Gesichtsausdrücken der Gäste, die in lebhafte Gespräche vertieft waren – er verpasste keinen wichtigen Moment.
Ich stand am Rand des Geschehens und half immer wieder bei kleinen Aufgaben. Manchmal war es das Justieren eines Mikrofonkabels, ein anderes Mal das Halten einer Lampe, um das Licht perfekt auszuleuchten. Ich war beeindruckt von der Professionalität meines Teams, das mit solcher Leichtigkeit und Koordination arbeitete.
Inmitten all der Aktivitäten kam Andy immer wieder vorbei. Sein Stolz auf sein Restaurant war unübersehbar. Er sprach mit Gästen, erklärte die Hintergründe der Gerichte und führte Gespräche über die gestalterischen Details des Lokals. Er schien jeden einzelnen Moment zu geniessen und beantwortete mit einem Lächeln im Gesicht geduldig alle Fragen, die ihm Lindsay stellte.
Die Stimmung im Restaurant wurde immer ausgelassener, je mehr Gäste eintrafen. Das Lachen und die angeregten Gespräche füllten den Raum, während die Gäste die schmackhaften Speisen genossen. Man konnte förmlich die Begeisterung für die authentische Atmosphäre spüren, die das Swiss Chalet bot. Es schien, als hätten die Gäste eine kleine Reise in die Schweiz gemacht, ohne New York zu verlassen.
Nach einer guten Stunde war das Filmmaterial im Kasten. Wir übermittelten die Aufnahmen an das Studio, wo sie vom Videoeditor geschnitten wurden, bevor die Reportage am Abend ausgestrahlt wurde. «Bleibt doch zum Lunch hier, ihr seid eingeladen!», verkündete Andy, als wir unser Equipment zusammenräumten. Das liessen wir uns nicht zweimal sagen.
Keith war mit der Menükarte sichtlich überfordert. Er blätterte wild darin herum.
«Was sind Älp… Älpler… Älplermagronen?», fragte er mich mit drei Anläufen. Es klang urkomisch aus seinem Mund, sodass ich mir ein Lachen nicht verkneifen konnte.
«Oder was in aller Welt ist ein Birchermüesli?», wollte Lindsay wissen.
Andy, der unser Gespräch mitbekommen hatte, kam zu uns an den Tisch und meinte: «Wisst ihr was, ich bringe euch von allem einen Happen, damit ihr alles probieren könnt.»
«Spitze!», sagte ich. «Das ist eine grossartige Idee.»
«Ihr werdet sehen, es wird euch schmecken.»
Andy hatte nicht zu viel versprochen. Schon beim Vorspeisensalat mit Wurst leuchteten Keiths Augen.
«Wow, ein Salat mit Wurst gespickt mit Käse, Gürkchen, Tomaten und Zwiebeln. Wer auch immer auf diese Idee gekommen ist, ich bin ein riesiger Fan», schwärmte er. Als Hauptgericht brachte Andy uns einen Teller mit drei Bratwürsten an einer Zwiebelsauce, dazu eine grosse Portion Rösti und eine Auflaufform voller Älplermagronen garniert mit gerösteten Zwiebeln zum Teilen.
«Lasst es euch schmecken», sagte Andy, nachdem er uns jeweils noch ein Raclettepfännchen hingestellt hatte.
Wir waren uns alle drei einig, dass das Essen einfach himmlisch war. Als das Dessert serviert wurde, platzten wir schon fast, aber zum Stück Zuger Kirschtorte mit einem Klecks Tobleronemousse konnte keiner von uns Nein sagen.
Ich schleppte meinen bunten Schulsack von der Schule nach Hause. Er war um einiges schwerer als die Kindergartentasche, die ich noch bis zu den Sommerferien mit mir herumgetragen hatte. Ich klingelte an unserer Haustür. Niemand machte auf. Ich klingelte erneut. Jetzt öffnete meine Mutter die Tür. Ich wurde von einer innigen Umarmung zerdrückt. Meine Mutter schluchzte tief. Sie löste sich von mir und schaute mich an. Über ihre Wangen kullerten Tränen, ihre Mascara war verschmiert, ihre Haut blass.
«Mommy, was ist los? Hast du einen Geist gesehen?», fragte ich. Sie drückte mich erneut fest an sich und seufzte tief. «Aber nein, Schätzchen!»
«Was ist dann los? Bist du krank, Mommy?»
«Nein, Mommy geht es gut!»
Meine Mutter löste sich von mir. Ich zog Schulsack und Jacke ab und folgte ihr ins Wohnzimmer. Auf den ersten Blick sah alles aus wie immer. Mein Bruder Brady machte seinen Mittagsschlaf in der Wiege neben der Couch. Merkwürdig war, dass der Fernseher um diese Uhrzeit lief und noch merkwürdiger war, dass mein Vater bereits von der Arbeit zu Hause war und vor dem Fernseher sass. Er drehte sich zu mir um. Sein Gesicht hatte diesen ernsten Ausdruck, den ich sonst nie sah. Ich lief auf ihn zu und begrüsste ihn. «Hello, Daddy!»
Er stand auf, bückte sich zu mir runter und drückte mich fest an sich. Ich nahm einen unvertrauten Duft an ihm war, den ich zuvor noch nie gerochen hatte. Er roch nach Parfüm, es war aber weder seines noch das von Mom.
Mein Vater fragte mich nicht wie üblich, wie es in der Schule gewesen war. Er wandte sich sofort wieder dem Fernseher zu. Auf dem Bildschirm sah ich hohe Türme, die in Rauch gehüllt waren, und Menschen, die voller Panik durch die Strassen rannten. Ich verstand nicht, was da passierte, aber der Klang der Nachrichtensprecher und die Bilder machten mir Angst.
«Mom, Dad, was ist los?», fragte ich mit meiner unschuldigen Stimme weiter, da mich immer noch niemand aufgeklärt hatte.
«Es ist etwas Schlimmes passiert, Liebes», sagte meine Mutter mit ernster Stimme. Sie setzte sich zu Dad und zog mich zu sich in ihre Arme.
«In New York, wo Grandma und Grandpa und Onkel Ryan leben …», begann sie.
Mein Vater nahm meine Hand. «Es gab einen Vorfall und wir versuchen, herauszufinden, ob es allen gut geht. Die Telefonleitungen sind überlastet, deshalb können wir sie gerade nicht erreichen.»
Ich blickte wieder auf den Bildschirm und versuchte zu verstehen, warum die Türme rauchten und warum alle so traurig waren. «Mom, warum weinen die Leute?»
Meine Mutter versuchte zu lächeln, aber es war ein trauriges Lächeln. «Manchmal passieren Dinge, die wir nicht verstehen können, mein Liebes. Die Menschen weinen, weil sie traurig und ängstlich sind.»
Die Antwort reichte mir nicht. «Warum rauchen diese Türme?», bohrte ich weiter.
«Magst du dich an die Zwillingshochhäuser erinnern, die wir letztes Mal in New York besuchten?», übernahm nun Dad die Konversation. Ich nickte. «Dort oben haben wir Hotdogs gegessen!», erinnerte ich mich.
«Stimmt, genau dort.»
Fragend schaute ich meinen Dad an.
«Jetzt ist es so, in die Twin Towers sind Flugzeuge geflogen, welche die Türme zum Einsturz brachten.»
Erschrocken riss ich die Augen auf. «Die ganzen Türme sind zusammengebrochen?»
«Ja! Und dabei sind Tausende von Menschen gestorben.»
Die Stunden vergingen in einer merkwürdigen Stille. Wir warteten, während die Bilder von Feuer und Rauch immer wieder über den Bildschirm flimmerten. Meine Eltern sprachen in leisen Tönen miteinander und ich versuchte, mich zwischen ihnen sicher zu fühlen. Sie gingen immer wieder ans Telefon, doch erfolglos. Auf der anderen Seite der Leitung nahm niemand ab.
Kurz vor dem Abendessen ertönte das Intro von «Big Apple News», gefolgt von der vertrauten Stimme von Onkel Ryan. Auch meine Eltern mussten ihn erkannt haben, denn sie wandten sich wieder dem Fernseher zu. Ryans Stimme drang durch den Raum, während ich gebannt auf den Bildschirm starrte. Meine Eltern atmeten erleichtert auf. Mein Blick fiel auf Brady, der friedlich in seiner Wiege schlief, ahnungslos von den Ereignissen, die unsere Welt erschütterten.
«Und wie geht es Grandma und Grandpa?», fragte ich, meine Stimme zitternd vor Sorge.
Meine Mutter drückte meine Hand beruhigend. «Sie werden sich melden, Liebes, davon bin ich überzeugt.»
Ich versuchte, mich an diese Worte zu klammern, aber die Ungewissheit nagte an mir – die Minuten vergingen wie Stunden.
Kurz bevor ich ins Bett musste, klingelte das Telefon und mein Vater sprang fast schon auf, um es zu erreichen. Ich spürte, wie mein Herz vor Aufregung zu rasen begann, als er den Hörer abnahm.
«Mom! Dad! Seid ihr in Ordnung?», hörte ich ihn sagen und ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Ich atmete tief durch, als die Worte meiner Grosseltern meine Ohren erreichten.
«Wer ist bei Cheeseburger im TGI Fridays dabei?», fragte Bill in die Redaktion.