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**Ein Roadtrip erfüllt von Knistern und Gänsehaut** Nach Jahren der unerfüllten Sehnsucht hat Bianca ihren Glauben an die Liebe aufgegeben. Sie beschließt, sich nur noch auf Körperliches einzulassen, keine Gefühle mehr. Als sie im Rausch einer Achterbahnfahrt den lebenslustigen Schlagzeuger Cassio kennenlernt, kann sie der Anziehung nicht widerstehen und willigt ein, einige Tage mit ihm durch die USA zu reisen. Beide stellen klar, dass sich ihre Wege nach der Reise wieder trennen werden. Während Cass ihr hilft, das Hier und Jetzt zu genießen, weckt Bianca in ihm den Wunsch nach mehr als dem kurzen Kick. Doch um solche Gefühle zuzulassen, müsste er sich der Trauer seiner Vergangenheit stellen, die ihn schon einmal zerbrochen hat … Dass du die Liebe aufgibst, heißt nicht, dass sie dich nicht findet! //»Crushed Symphony« ist der dritte Band der New Adult Reihe »Its Up To Us« von Martina Riemer. Alle Bände der musikalischen Trilogie bei Impress: -- Broken Harmony (Its Up To Us 1) -- Hidden Melody (Its Up To Us 2) -- Crushed Symphony (Its Up To Us 3)// Diese Reihe ist abgeschlossen. Die New Adult Reihe »It's Up to Us« ist eine überarbeitete Neuauflage der »Herzenswege«-Trilogie.
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Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
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Martina Riemer
Crushed Symphony (It‘s Up to Us 3)
**Ein Roadtrip erfüllt von Knistern und Gänsehaut**
Nach Jahren der unerfüllten Sehnsucht hat Bianca ihren Glauben an die Liebe aufgegeben. Sie beschließt, sich nur noch auf Körperliches einzulassen, keine Gefühle mehr. Als sie im Rausch einer Achterbahnfahrt den lebenslustigen Schlagzeuger Cassio kennenlernt, kann sie der Anziehung nicht widerstehen und willigt ein, einige Tage mit ihm durch die USA zu reisen. Beide stellen klar, dass sich ihre Wege nach der Reise wieder trennen werden. Während Cass ihr hilft, das Hier und Jetzt zu genießen, weckt Bianca in ihm den Wunsch nach mehr als dem kurzen Kick. Doch um solche Gefühle zuzulassen, müsste er sich der Trauer seiner Vergangenheit stellen, die ihn schon einmal zerbrochen hat …
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Vita
© privat
Martina Riemer wurde 1985 in Niederösterreich geboren und wohnt nun in Wien. Zurzeit ist sie als Sachbearbeiterin mit eher zahlenlastigen Arbeiten beschäftigt. Privat geht sie ihrer Leidenschaft Bücher zu lesen und eigene Geschichten zu schreiben mit Freude nach. 2014 hat sie ihre ersten beiden Bücher veröffentlicht und es damit bei Lovelybooks sogar auf Platz 3 der besten Debütautoren des Jahres geschafft.
Liebe Leserin, lieber Leser,
dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.
Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.
Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.
Martina Riemer und das Impress-Team
Radiohead – »Creep«
Bianca
Ich trat zwischen den Glasschiebetüren aus dem Flughafengebäude und blickte in das glitzernde Sonnenlicht, das seine Wärme über die Stadt und mich gelegt hatte. Bildete ich mir das nur ein, oder schmeckte die Luft hier reicher nach Leben, schien die Sonne heller und wirkten die Menschen fröhlicher? Das war vermutlich kompletter Schwachsinn, dennoch breitete sich ein breites Lächeln auf meinem Gesicht aus, vor Glück, vor Aufregung und Freude über die kommenden Wochen.
Neben diesen Gefühlen spürte ich auch eine kleine Panik in meiner Brust erblühen, verdrängte diese irrationale Angst aber schnell wieder. Ich schaffe das!
Meine beste Freundin Sarah war bereits vorigen Sommer nach Amerika aufgebrochen und hatte dabei nicht nur ihre Liebe fürs Leben – so wirkten die beiden jedenfalls auf mich – gefunden, sondern auch sich selbst, ihre Familie und eine Zukunft. Zeit für mich, auch endlich den Fuß auf neues Terrain zu wagen. Sehen, was sich ergab oder auch nicht. Meine Ziele waren bei Weitem nicht so hochgesteckt wie ihre. Alles, was ich wollte, war, die nächsten drei Monate meines Sommerurlaubes in Amerika vollends zu genießen, etwas von der Welt zu sehen, Dinge zu erleben, die ich mich sonst nicht traute und ganz einfach das Leben zu spüren – vollkommen, ohne Limit. Und ein bisschen Auszeit von meinen Eltern und ihren Erwartungen wäre ebenfalls nicht so schlecht. Besonders, weil ich mir selbst nicht klar war, ob der Weg, den ich mit dem Studium eingeschlagen hatte, der richtige für mich war.
Nachdem Sarah mit Johnny und ihrem Bruder Nathan vor einem Dreivierteljahr nach San Francisco gezogen war, hatte ich mich für sie gefreut – wirklich. Nur brach für mich dabei eine kleine Welt zusammen. Sie war, seit wir mit Teddys gespielt und uns gegenseitig rosa Pflaster auf unsere aufgeschundenen Knie geklebt hatten, meine beste Freundin. Dann war sie einfach fort gewesen und ich vollkommen alleine. Klar, wir telefonierten per Skype, schrieben uns fast täglich über WhatsApp und sie und Johnny waren auch schon zwei Mal wieder zu Besuch in Österreich gewesen. Jedoch war es nicht mehr das Gleiche und manchmal, manchmal vermisste ich sie so sehr, dass es fast schon körperlich wehtat. Was aber nicht nur an Sarahs Verschwinden, sondern wohl genauso an meinem Leben lag, mit dem ich nicht glücklich war. Auch, wenn ich es nach außen hin anders präsentierte. Aber wem sollte ich es erzählen? Meinen neuen, oberflächlichen Bekannten von der Uni, an die ich seit vorigem Herbst ging? Sarah, die ständig auf Tour war und selbst noch einiges mit ihrer neu gefundenen Familie aufarbeiten musste und eigentlich keine Zeit für meine Problemchen hatte? Oder meinen Eltern, meiner älteren Schwester?
»Na klar, denen zuallererst«, schnaubte ich sarkastisch und stieß die Luft aus, die sich bei dem Gedanken in mir angestaut hatte. Nie und nimmer. Wir hatten zwar keine großen Probleme miteinander, aber wir pflegten doch eher einen kühlen Umgang. Meine Eltern waren sehr konservativ und hatten auch meine Schwester so erzogen und es bei mir genauso versucht. Nur hatte es nicht ganz geklappt. Ich war der Freigeist unserer Familie, was mir schon hin und wieder geringschätzige Blicke eingebracht hatte, ebenso das Gefühl, nie ganz dazuzugehören. Mit den Jahren hatte ich gelernt es zu ignorieren oder einfach hinunterzuschlucken. Wie ich auch jetzt die Übelkeit hinunterschluckte. Erst danach trat ich an ein Taxi, lud mit dem Fahrer meine zwei Koffer ein, wobei ich zuvor dem Fahrer meinen Koffer auf den Fuß gestellt und mich mehrmals entschuldigt hatte. Dann wies ich ihn an, mich in das nächstgelegene, freie Motel bei den Universal Studios zu bringen und entlohnte ihn für meine Ungeschicklichkeit mit einem großzügigeren Trinkgeld als geplant.
Erst beim dritten Motel hatte ich Glück, doch anstatt gleich zum Park aufzubrechen, wie ich es vorgehabt hatte, verschlief ich den ganzen restlichen Nachmittag und die folgende Nacht. Nur hin und wieder wachte ich kurz auf. Der Jetlag hatte mich nach dem über 14-stündigen Flug voll und ganz in die Finger bekommen. Aber morgen, morgen würde ich mit meinem Abenteuer beginnen. Ich würde mich von nichts aufhalten lassen. Mit einem kleinen Lächeln schob ich die zerzausten, blonden Haare aus meinem Gesicht, drehte mich auf die andere Seite und schlief wieder ein.
Cassio
Was ist das Leben? Die Aneinanderreihung glücklicher Momente, die wir alle in Erinnerung bewahren, wie eine große, polierte Trophäe, um sie großkotzig allen zu zeigen? Oder die triumphierenden Hochgefühle und schmerzhaften Tieffahrten, wenn wir durch Schicksalsschläge gebeutelt wurden, immer wieder auf und ab wie auf einer Achterbahnfahrt in einem Vergnügungspark?
Grübelnd kaute ich auf einem Kirschbonbon herum und stellte mir diese Sinnfrage, ahnte irgendwie in den verstaubten Kämmerchen meines Gehirns eine Antwort – zumindest eine, die für mich passte, als mein beschissenes Handy vibrierte. Flutsch und weg war die erlösende Antwort, die mir vielleicht geholfen hätte, das ganze Chaos des Lebens zu durchblicken. Okay, das war vielleicht etwas zu hoch gegriffen, aber hey, warum sich mit weniger zufriedengeben?
Daher starrte ich missmutig auf das Handy, während es erneut vibrierte, mich einfach nicht in Ruhe lassen wollte.
Nerviges kleines Ding! Statt dem Drang nachzugeben, es in hohem Bogen ins Wasser unter der Brücke zu werfen, auf der ich stand, nur um mir später ein neues zu besorgen, ließ ich es sein, da mir in letzter Sekunde doch wieder einfiel, dass ich nun bald nicht mehr so viel Geld für derartige Dummheiten zur Verfügung haben würde. Zumindest, wenn mein Dad seine Drohung wahrmachte. Daher entsperrte ich es und las die eingegangene Nachricht.
Wie lange willst du das noch durchziehen? Wir haben dir alle Freiheiten gelassen, aber langsam reicht es. Wie lange denkst du, damit durchzukommen, wenn du kein Geld mehr hast? Schon mal daran gedacht, dass ich ganz leicht deine Karten sperren lassen kann, wenn ich möchte? Reiß dich endlich zusammen, steh drüber und sei ein richtiger Mann!
Herzerwärmend. So charmant wie eh und je. Und was sollte das: »steh drüber … steh drüber …?« – unsensibles Arschloch! Ich verzog das Gesicht, konnte aber meine neugierigen Finger nicht davon abhalten, mir auch noch die zweite Dröhnung schlechten Gewissens abzuholen, als ich die nächste SMS las.
Wo steckst du? Dein Vater und ich sind schon ganz krank vor Sorge. Wir vermissen dich, komm zurück oder melde dich zumindest. Langsam haben wir dir genug Freiraum gelassen.
Ich schnaubte abfällig und las den Satz mit meinem Vater noch einmal. Klar, er war krank vor Sorge. Wohl eher wütend wie ein Pitbull und würde mir sofort an die Gurgel gehen, wenn er mich in die Finger bekäme. Sofort schlich sich das altbekannte Bild von Homer und Bart Simpson in meine Gedanken, nur mit dem Gesicht meines Dads und meinem. Trotz allem verzogen sich meine Lippen dabei zu einem schiefen Grinsen.
Unverbesserlich, das war wohl das Wort, das mir zu dem Ganzen – vermutlich zu mir und meiner gesamten Person – einfiel. Und mein Dad wusste es. Nur, was sollte er dagegen machen? Es gab nichts.
Nachdem ich das Handy wieder eingesteckt hatte, schweifte mein Blick erneut durch die Gegend, über die bunten Farben, das erheiterte Treiben, die vielen Menschen und ich ließ die ganze Stimmung auf mich wirken. Die gelbrote Achterbahn ragte in der Ferne vor mir auf, das helle Sonnenlicht im Hintergrund ließ sie in einem besonderen Schein erstrahlen.
Ganz automatisch hob ich meine Spiegelreflexkamera, um ein paar Schnappschüsse zu machen, zoomte einige Stellen genauer heran und machte anschließend erneut Fotos vom gesamten Rollercoaster aus verschiedenen Blickwinkeln. Dieses Ding hier hatte mich vor wenigen Minuten erst zu meinen philosophischen Gedanken angeregt und jetzt hatte ich den Wunsch, es mir aus der Nähe anzusehen. Vielleicht würden wir zwei ja gute Freunde.
Mit dieser Eingebung packte ich meine Kamera sicher in ihre Tasche, rückte die Träger auf der Schulter hoch und schob meine Hände tief die Jeanstaschen, als ich nun wieder besser gelaunt auf mein neues Ziel zusteuerte. Dabei wich ich einer Familie mit zwei kleinen Mädchen aus, die gerade Zuckerwatte über ihre gelben Kleidchen verteilten, was deren Mutter ganz hysterisch aufschreien ließ. Ich stattdessen winkte den beiden fröhlich zu und schnitt eine verzerrte Grimasse, was die Kinder zum Kichern brachte. Die Mädchen sahen fast aus wie Zwillinge, obwohl eines der beiden ein wenig älter war. Kurz stach mir ihr Anblick schmerzhaft in die Brust, aber ich schob dieses Gefühl gemeinsam mit dem schlechten Gewissen beiseite. Alles, was ich jetzt wollte, war Spaß haben, das Leben auskosten und mit einer Portion Nervenkitzel in mir aufsaugen. Es war sowieso viel zu schnell zu Ende.
Und dafür kam mir diese Achterbahnfahrt genau recht. Nachdem ich meine Tasche und den Rucksack in die dafür vorgesehenen Spinde weggepackt hatte, musste ich leider feststellen, dass schon eine Menge Leute anstanden. Zum Glück gab es eine Single Riders Linie, der ich mich mit federnden Schritten näherte. Das würde ein Spaß – ich konnte es bereits in den Adern pulsieren und auf der Haut prickeln spüren. Das magische Wort lautete: Adrenalin. Ich liebte es, wie nichts sonst. Entweder würde ich bei der Fahrt draufgehen, wie im Film »Final Destination«, oder es würde eine genial höllische Fahrt. Natürlich hoffte ich auf die zweite Option, war aber wie immer auch auf die erste vorbereitet.
Kings of Leon – »Back Down South«
Bianca
Hier stand ich nun also – vollkommen allein am anderen Ende der Welt. Nun gut, das war wohl etwas übertrieben. Ich war bloß über den Atlantik geflogen, um meine kleine Reise durch Amerika anzutreten. Außerdem war ich alles andere als allein, sondern steckte in einer fiesen Warteschlange, wie mir ein Ellbogen in die Rippen und ein Rempler von hinten gerade eben bewiesen. Neben mir lachten und quatschten die Leute miteinander, sichtlich voller Spaß bei der Sache in einer Gruppe mit Freunden unterwegs zu sein. Mit wehmütigem Blick sah ich zur Schlange der Single Riders, die viel rascher vorankam und an der ich mich genauso hätte anstellen können. Wäre ich mir dabei nur nicht so jämmerlich vorgekommen.
Rasch schüttelte ich den Gedanken ab und konzentrierte mich auf das Gute, das ich lange gewollt hatte: ein Abenteuer erleben, etwas tun, wovon ich später erzählen konnte, und vielleicht Dinge finden, die ich seit längerer Zeit suchte, ohne zu wissen, was sie genau waren. Vielleicht ein Schicksal, eine Bestimmung, einfach ein wenig Spaß oder ein paar verrückte Wochen, die mir in Erinnerung blieben, wenn ich im Herbst wieder in mein altes, langweiliges Leben nach Österreich zurückkehrte? Möglich, dass ich das Was noch nicht genau benennen konnte, aber ich war darauf verbissen, es zu finden.
In Gedanken versunken hatte ich nicht bemerkt, wie weit mich die Schlange bereits vorangeschoben hatte. Die letzten Stufen stolperte ich ungeschickt weiter und wäre fast hingefallen, als ich den kurzen Weg zum Einstieg des Gefährts vor mir sah, nur wenige Schritte entfernt. Langsam, aber sicher, konnte ich Nervosität aufkommen spüren, die schlagartig in herzrasende Angst umschlug, als ich die Schreie der abfahrenden Leute hörte. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah hoch in die endlose Höhe des Rollercoasters ›Hollywood Rip Ride Rockit‹, des schnellsten und spektakulärsten Rides im ganzen Universal Studio Orlando. Eine Information, die mich erst hierhin gelockt hatte, um mit meinem Projekt »Abenteuer – Klappe, die Erste« zu beginnen, aber nun einen leichten Schwindel bei mir auslöste.
Wie ein verschreckter Hase gefangen in der Falle huschte mein Blick zurück zu den Treppen des Ausgangs und ich überlegte bereits, wie ich ganz unauffällig den Rückweg antreten könnte, als ein Einweiser nach meinem Ellbogen griff und mich zu einem leerstehenden Zweiersitz schleifte. Aus Angst war mein Gehirn wie gelähmt, was zur Folge hatte, dass ich mich wie ein Lemming ohne Widerworte auf den Sitz gleiten ließ.
Erst, als ich die harte Oberfläche des Sitzes unter meinen Beinen und gegen meinen Rücken spürte, realisierte ich, dass ich tatsächlich im Rollercoaster saß.
O mein Gott, was tat ich hier eigentlich? Ich würde mir gleich in die Hosen machen, nur weil ich einmal den Nervenkitzel hatte spüren wollen. Ich musste hier raus, und zwar sofort. In dem Moment, in dem die Panik hochschwappte wie eine nervöse See und ich den Entschluss fasste, wieder aus dem Gefährt zu huschen, ließ sich eine Person mit den Worten »Hey, ho, alles klar?«, neben mir auf den zweiten Platz fallen.
Zumindest werde ich nicht allein sterben, ging es mir durch den Kopf, den ich zu der männlichen Stimme herumdrehte, und starrte in zwei hellblaue Augen, die flackerndes Grün in sich bargen, wodurch sie beinahe türkis aussahen.
Wow, das nenne ich einmal eine Farbe, an der man hängen bleiben konnte. Aber nicht nur die Augen waren faszinierend, sondern genauso das ansprechende Gesicht mit angehauchtem Dreitagebart und vollen Lippen, zu dem sie gehörten. Die attraktiven Züge des Typen wurden von hellbraunem Haar umrandet, das vorne etwas länger war und ihm zerzaust über die Stirn hing. Er trug ein rot-schwarz kariertes Hemd und eine graue Weste darüber, deren Kapuze er soeben über seinen Kopf streifte. Verdattert schluckte ich und deutete auf seine Kopfbedeckung: »Ich glaube nicht, dass die während der Fahrt oben bleibt.«
In schnellem Rhythmus klopfte er mit den Fingern auf seine Knie, die in einer dunkelgrauen Jeans steckten und grinste zu mir herüber. »Jepp, guter Punkt! Bist du schon mal mit diesem Rollercoaster gefahren?«
Mein Blick wanderte über seine schnellen Finger und seinen muskulösen Körper, der vor geballter Energie sprühte, beinahe vibrierend, was mich von mir selbst ablenkte oder der Mordsanlage, in der ich saß. »Nein, noch nicht und vermutlich nie wieder. Bist du nervös?«
»Nö, alles klar. Bin nur aufgeregt und kann den Nervenkitzel kaum abwarten.«
Als hätte man seine Worte im Universum gehört, bewegte sich das Gefährt mit einem Ruck nach vorne und ich krallte mich in den Bügel, der soeben nach unten glitt und einrastete. Doch nach nur wenigen Metern kam der Zug holprig zum Stehen und einige Einweiser liefen neben dem Einstieg auf und ab, sprachen in ihre Walkie-Talkies und gaben mir ein ganz schlechtes Gefühl. Wirkten sie etwa nervös? Statt die Bügel zu öffnen und uns rauszulassen, ließ man uns ohne Erklärung warten.
Die Panik von vorhin kam zurück, verstärkte sich weiter, was ich schon fast für unmöglich hielt. Mir kam es vor, als könnte ich mein Herz in der Brust hämmern hören wie eine riesige Trommel – wumm, wumm, wumm. Die würden uns doch hier raus- und nicht mehr fahren lassen, wenn mit dem Rollercoaster irgendetwas nicht in Ordnung wäre?
»Ach, mach dir deswegen keine Sorgen, denen kannst du vertrauen. Sind alles Profis, die wissen schon, was sie tun«, meinte der Typ gut gelaunt neben mir. Hoppla, anscheinend hatte ich meine Angst laut geäußert, aber ich war froh darüber, da mich seine Antwort etwas beruhigte. Jedoch nur ein klein wenig.
Schwer schluckend konzentrierte ich mich auf ihn, um mich abzulenken. Während er sich umsah, wippten seine Beine, sein Kopf bewegte sich genauso auf und ab, als könne er Musik, einen ganz bestimmten Beat hören, der mir verborgen blieb. Fahrig fuhr er mit den Händen über die Jeans, steckte dann eine Hand in seine Tasche, um sie schnell wieder herauszuziehen. In seiner Handfläche lag eine Packung Zahnpflegebonbons, die er mir anbot. »Auch welche, während wir warten?«
»Die werden uns doch bestimmt nicht mehr fahren lassen?«
Er sah sich nach den Angestellten des Parks um, die herumtelefonierten und genervt wirkten, aber keine Anstalten machten, die Leute in der Warteschlange wegzuschicken.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Solange sie die Bügel nicht öffnen, rechne ich mit allem. Also, ein Bonbon?«
Ich seufzte schwer, ließ die Schultern sinken und hoffte inständig, er würde sich irren.
»Danke. Klar, warum nicht. Eine Henkersmahlzeit sollte man nie ausschlagen«, meinte ich trocken und steckte mir ein Bonbon mit scharfem Kirschgeschmack in den Mund. Er grinste, während er sich selbst eines nahm und die Packung anschließend wieder verstaute. »Du bist witzig.«
»Eher panisch.«
Er lachte kurz, wurde jedoch schnell wieder ernst.
»Das wird schon, keine Angst«, versicherte er mit einem schiefen Grinsen, genau in dem Moment, als der Zug sich wieder ruckelnd nach vorne bewegte, dieses Mal schneller Fahrt aufnahm und klarmachte, dass es nun tatsächlich losging.
»Scheiße! Die lassen uns jetzt echt fahren? Verdammt«, fluchte er und sah sich ebenfalls eine Spur panisch um, was wiederum mich aufschreckte.
»Du hast gesagt, du würdest denen vertrauen!«
Mit aufgerissen Augen blickte er sich zu mir um. »Das tue ich auch – teilweise. Aber das habe ich auch gesagt, um dich zu beruhigen.«
»Danke dafür«, kam es automatisch über meine Lippen.
»Gern geschehen.«
Beide sahen wir wieder nach vorne, als das Gleis den Knick nach oben machte und wir langsam und ratternd Richtung Himmel gezogen worden – dem Lifthill von 51 Meter Auffahrt entgegen, wie sich mein überspanntes Gehirn erneut an die Fakten des Rollercoasters erinnerte. Meine Atmung war flach, obwohl meine Brust wie verrückt flatterte, sich fast so schnell hob und senkte wie die Flügel eines Kolibris. Wir befanden uns beinahe am Ende der Auffahrt, einer Höhe, bei der man über den gesamten Park sehen konnte – wenn mich die Aussicht auch nur im Geringsten interessiert hätte. Viel wichtiger war mir die Unversehrtheit meiner Knochen und inneren Organe.
»Oh mein Gott, wir werden sterben«, keuchte ich.
»Blödsinn. Werden wir nicht.«
Mein Kopf wirbelte zu meinem Mitfahrer herum.
»Darf ich deine Hand halten?«
»Verdammt, ich bitte darum«, antwortete er sogleich. Auf der Stelle umschloss eine warme, kräftige Hand die meine, was mir etwas von der zuschnürenden Panik um meine Kehle, meine Brust, meinen Körper nahm. Der Zug erreichte den höchsten Punkt und von einer Sekunde auf die andere nahm das Gefährt Richtung Boden eine unglaubliche Geschwindigkeit auf. Ich zerquetschte die mir dargebotene Hand, der Wind zerrte an meinen glatten, blonden Haaren, die uns wild hinterherflatterten und die Geschwindigkeit erstickte den schrillen Schrei, der durchgehend aus meinem Mund gepresst wurde. Loopings um Loopings, immer weiter, auf und ab. Diese Hölle nahm gar kein Ende mehr.
***
Ich weiß nicht, wie lange die Fahrt andauerte, aber irgendwann kam dieses Scheißding rumpelnd zum Stehen und ich fühlte mich, als wäre ich mehrmals gefallen und hart aufgeschlagen. Ganz so mussten sich die Klamotten in der Waschmaschine fühlen. Als wäre alles ganz normal und es hätte nie ein Problem mit dem Rollercoaster gegeben, öffneten sich die Bügel nach oben und wir wurden von den Mitarbeitern angewiesen, auszusteigen.
Mit zittrigen Knien kletterte ich aus dem Fahrzeug, ging einige Schritte wackelig voran – noch immer schwindelig vom eben Erlebten. Dabei bemerkte ich erst, als mein Mitfahrer dicht neben mir stand, dass ich mich noch immer an seiner Hand festklammerte. Ich konnte jedoch bei bestem Willen noch nicht loslassen. Meine Beine, meine Glieder, mein gesamter Körper fühlten sich an wie Wackelpudding.
»Wow, wir … leben noch«, stellte ich stotternd das Offensichtliche fest und sah zu ihm auf, in strahlende, türkisfarbene Augen, die mich aufmerksam musterten.
»Jepp, und wie, Jesus! Wow!«, lachte er laut, schlang überschwänglich die Arme um mich und drückte seine Lippen auf meine, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, einen Fremden zu küssen. Mir blieb die Luft weg, nun aus einem ganz anderen Grund. Wie mechanisch öffnete ich den Mund, was aus einem harmlosen Kuss etwas ganz anderes, viel Heißeres machte. Ich ließ seine Zunge, die noch nach Kirschbonbon schmeckte, über meine Lippen streichen und in meinen Mund gleiten, um mit meiner zu spielen. In diesem Moment war es mir egal, dass ich einen Wildfremden küsste. Stattdessen genoss ich das leidenschaftliche Gefühl, das in mir vibrierte, gemeinsam mit dem Rausch des Adrenalins, das noch von der Fahrt herrührte und aufgeregt durch meine Blutbahnen schoss.
Sein durchtrainierter Körper war durch die enge Umarmung an meinen gepresst, fühlte sich warm und stark an und die vollen Lippen waren mindestens so weich und köstlich, wie sie aussahen. Ein männlich herber Geruch stieg in meine Nase, überschwemmte meine Sinne, genauso wie seine Berührungen, seine Nähe, sein Kuss. Er drückte die Finger in meinen Rücken, lehnte mich etwas zurück, um mich noch fester an sich zu ziehen, und zur Folge hatte, dass er sich tiefer über mich beugte.
Gleichzeitig knabberte er an meiner Unterlippe, küsste mich, als wäre ich die süßeste Frucht, die er je gekostet hatte. Noch nie hatte mich jemand mit solcher Inbrunst geküsst, oder mich so lebendig fühlen lassen, was mich vollkommen schweben ließ und lustige Dinge mit meinem Magen anstellte, als hätte ich aufgeregte Schmetterlinge verschluckt, die Salsa tanzten.
Irgendwo hatte ich einmal gelesen, man könne bereits beim ersten Kuss feststellen, ob man mit jemandem zusammenpasste oder nicht, was ich bis heute für puren Schwachsinn gehalten hatte. Aber das hier war er – der perfekte erste Kuss.
Was mich dazu brachte, mich ihm noch weiter entgegen zu biegen und meine Hüfte an seiner zu reiben, an der ich eindeutig seine beeindruckende Härte spüren konnte. Dicht an meine feuchten Lippen gepresst, gab er ein ersticktes Stöhnen von sich und katapultierte mich zurück in die Realität.
Die Geräusche von außen drangen plötzlich wieder an meine Ohren. Sie bestanden aus lautem Gelächter, amüsierten Pfiffen und begeistertem Applaus.
Oh nein, nein, nein! Das kann doch nicht wahr sein!?
Abrupt beendete ich den Kuss und fuhr ruckartig zurück, brennende Wangen inklusive. Vermutlich im schönsten, knalligen Tomatenrot.
»Das ist jetzt nicht wirklich passiert, oder?«, fragte ich wenig hoffnungsvoll und versteckte das Gesicht mit zusammengekniffenen Augen hinter meinen Händen.
»Oh Mann! Doch, und zwar sowas von«, meinte er hörbar grinsend und auch eine Spur selbstgefällig.
Vorsichtig blinzelte ich zwischen meinen Fingern zu ihm hoch.
»Tut mir leid.«
»Muss es nicht. Ehrlich! Nicht im Geringsten.«
Seine direkte Offenheit half mir, die Arme fallen zu lassen und mich umzusehen. »Danke.«
»Ich danke dir.«
Die Meute beruhigte sich nach unserer Showeinlage langsam, obwohl einige Schaulustige weiterhin zu uns rüber grinsten, genauso wie ein Angestellter, der uns freundlich darum bat, den Ausstiegsbereich zu verlassen. Gemeinsam wandten wir uns ab und marschierten die Treppe hinunter, weg von den neugierigen Blicken.
»War dir das denn überhaupt nicht peinlich?«
Auf meine Frage hin wirbelte er zu mir herum, tänzelte seitlich die Stiege hinab, um mich anzusehen, und sprang die letzten zwei Stufen mit dem Rücken voran.
»Verdammt, nein! Für so einen Kuss würde ich glatt nochmal mit dieser Höllenmaschine fahren.«
»Tut mir leid, das kannst du knicken. Da bekommen mich keine zehn Pferde mehr rein. Nie. Wieder«, meinte ich schnell. Dabei drehte ich meinen Kopf, um noch einmal zu dem Rollercoaster hochzusehen und mir zu verinnerlichen, was ich da überstanden hatte. Klar, ich hatte eine riesige Angst gehabt, dennoch war der Rausch dabei und danach mit nichts anderem vergleichbar. Und der Kuss war auch nicht zu unterschätzen. Gerade, während mir dieser Gedanke durch meine Gehirnwindungen geisterte, stolperte ich prompt und wäre fast gefallen, wurde jedoch von einer festen Hand aufgefangen. Erneut starrte ich in zwei türkisblaue Augen, die mich verschmitzt ansahen.
»Achtung Lady. Nicht, dass du eine Höhlenfahrt überlebst und dir nun hier etwas brichst. Das wäre zu schade«, meinte er zwinkernd. Schnell strich ich mein geblümtes Sommerkleid glatt, um wenigstens etwas Würde zu behalten, während er nähertrat und herausfordernd meinte: »Also … um nochmal den Faden von eben aufzunehmen: das bedeutet, einen weiteren Kuss bekomme ich auch so?«
Cassio
Bei meiner Frage nach einem weiteren Kuss schenkte ich ihr mein charmantestes Lächeln, das bei den Frauen normalerweise immer zog. Doch anstatt dahinzuschmelzen, fing sie lauthals zu lachen an, nicht nur ein wenig, sondern so richtig gackernd, bis sie sogar Schluckauf davon bekam, was ich irre sympathisch fand. Zwar brachte mich das ebenfalls zum Grinsen, weil sie ein witziges, ansteckendes Lachen hatte, dennoch zog ich irritiert die Stirn kraus. Sobald sie mein Gesicht sah, verstummte sie und hielt sich den anscheinend vor Lachen schmerzenden Bauch. Sie schien zuerst verwirrt, bekam dann große Augen – so dunkelblau wie das endlose Meer, das ich von zuhause kannte.
»Das war doch als Scherz gemeint, oder?«, fragte sie und bekam sogar eine leichte Rötung an den Wangen, nachdem ich übertrieben geknickt den Kopf schüttelte. »Eigentlich nicht. Aber ich höre dir dennoch gerne beim Lachen zu, auch wenn es auf meine Kosten geht.«
Bevor sie sich entschuldigen konnte, griff ich nach ihren zarten Fingern und hauchte wie ein Gentleman der alten Schule einen Kuss auf ihren Handrücken. Ich wusste nicht, was mich dazu antrieb, mich in ihrer Nähe so zu verhalten, aber es machte mir Spaß, sie zu necken. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde sie sich viel zu oft einengen, nicht loslassen. Was für mich als lebensfroher Mensch, der sich jeden Tag mit einem anderen Kick vollkommen spüren wollte, ein No-Go war. Außerdem hatte sie etwas an sich, was mich dazu brachte, meine beste Seite zu zeigen. Komisch, bei meinem Vater war es genau andersrum. Bedeutete das, wenn ich auf beide gleichzeitig träfe, würde es sich neutralisieren und ich wäre normal? Ein beunruhigender Gedanke.
Erneut weiteten sich ihre Augen, während ich mich wieder erhob und zu ihr hochzwinkerte. Dann veränderte sich der Ausdruck in ihrem Gesicht, bekam etwas Schelmisches, bevor sie die zwei Stufen neben mir runterhüpfte und mir auf die Schulter schlug. »Ich habe deine Absichten durchschaut, Mister. Du machst das absichtlich! Du hast sogar riesigen Spaß daran, mich aus der Fassung zu bringen.«
Erwischt. Aber kein Grund, es zuzugeben. Ihr Lächeln wich und machte einer schmollenden Schnute Platz, mit der sie wohl jeden Mann dazu gebracht hätte, seine Schuld zu gestehen, selbst wenn er nichts getan hatte.
»Ein wenig«, gab ich daher schließlich doch zu, fragte aber sogleich: »Was kann ich tun, um es wiedergutzumachen? Darf ich dich auf eine Cola einladen oder ein Eis?«
Für einen Moment schien es, als würde sie die Luft anhalten, ihre Antwort ganz genau abwägen, bevor sie nickte. »Einverstanden. Ein Eis klingt göttlich bei dieser Hitze. Danke.«
Ihre Worte unterstreichend, wischte sie über ihre Stirn und schüttelte ihre langen, blonden Haare aus, um sich Luft in den Nacken zu fächern. Sie bemerkte, wie genau ich sie beobachtete. Sofort wurden ihre Wangen rosa, sie ließ die Haare fallen und strich ihr Blümchenkleid glatt, das über einer knielangen, weißen Leggings mit Spitzensaum lag. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass mir der Anblick, den sie mir bot, nicht gefiel. Sei es nun ihr schlanker, großgewachsener Körper, den man unter dem Kleid erahnen konnte, oder das umwerfende Gesicht mit den dunkelblauen Augen. Doch von alledem und ihrer Wirkung auf Männer – zwei Typen waren gerade an uns vorbeigegangen und hatten sie ungeniert abgecheckt und waren dabei fast über einen Mülleimer gefallen – schien sie keine Ahnung zu haben. Gar etwas schüchtern strich sie noch einmal ihr Kleid glatt und lächelte zu mir hoch.
»Wollen wir?«, fragte sie und riss mich aus den Gedanken. Oh Mist, vielleicht hatte ich sie etwas zu lange angestarrt und mich dabei von meinen Tagträumen ablenken lassen. Das wäre wieder ein gefundenes Fressen für meinen Vater gewesen, der meine abschweifenden Gedanken gerne mit kritischen Äußerungen kommentierte. Verbissen schob ich ihn aus meinem Kopf, konzentrierte mich auf die Schönheit vor mir, ohne Plan und Ziel, was das hier werden sollte. Wie der Rest meines Lebens – quasi mein Lebensmotto. Schelmisch lächelnd nickte ich ihr zu.
»Klar, ich warte nur auf dich«, bügelte ich meinen Patzer aus und bot ihr wie ein Vollidiot galant den Ellbogen dar. Statt mich auszulachen, wie ich es fast erwartete, hakte sie sich lächelnd unter und wir marschierten los.
***
Nachdem wir unsere Taschen aus den Spinden neben dem Rollercoaster geholt hatten, führte ich sie wie versprochen zur nächsten Eisbude. Während wir genüsslich unser Eis schleckten, schlenderten wir weiter, spazierten durch den Park und genossen den Sonnenschein.
»Und? Wie gefällt’s dir hier?« fragte ich, da mir vom Akzent sofort klar gewesen war, dass sie von außerhalb kam. Nicht nur von außerhalb des Bundesstaates, sondern weiter – eher von einem anderen Kontinent.
Verschmitzt blickte sie zu mir hoch. »Ist das so offensichtlich, ist meine Aussprache so furchtbar?«
Salopp zuckte ich mit den Schultern. »Nicht furchtbar, eher süß. Aber ja, man hört es. Also, du bist allein hier, richtig? Wie gefallen dir die Staaten?«
Falls sie es komisch fand, weil ich sie nicht fragte, woher sie kam, ließ sie es sich nicht anmerken. Aber je weniger man die anderen mit neugierigen Fragen löcherte, desto leichter ließen sie einen selbst in Frieden. Ich fragte nie jemanden nach seiner Vergangenheit. Ich lebte im Jetzt, kein Blick zurück.
»Ja, richtig, nur ich und mein Gepäck. Bisher finde ich es ganz okay, wenn man das nach einem Tag bereits behaupten kann.«
Überrascht starrte ich sie an. »Wow, dann bist du ja ein richtiger American Newbie, dem man alles Neue noch zeigen kann!« Mein Lächeln wurde breiter. »Das gibt mir das Gefühl, dich noch richtig versauen zu können. Ist es komisch, wenn mich das freut?«
Skeptisch kniff sie die Augen zusammen. »Etwas. Aber kommt darauf an, in welche Richtung und wie sehr versaut.«
Daraufhin blubberte ein Lachen über meine Lippen. »Ich mag, wie du denkst.«
Grinsend schob ich den letzten Rest der Eistüte in meinen Mund, starrte dabei unverwandt in ihr hübsches Gesicht. Außerdem mochte ich ihre Antworten, diese erfrischende Art, als sei es ihr egal, was andere über sie dachten. Noch während mir das durch den Kopf ging, schoss die nächste Frage aus mir heraus. »Ernsthaft. Ich finde dich witzig und ganz okay, wenn man das nach einer gemeinsamen Achterbahnfahrt behaupten kann«, griff ich ihre Worte von vorhin auf, streute sofort die nächsten Blumen. »Und du siehst echt klasse aus. Ich wollte dich fragen –«
Ruckartig hob sie die Hand, um mich zu stoppen. Okay, was ist jetzt?!
»Also irgendwie machst du mir gerade Angst.«
Verwirrt hielt ich inne. »Jetzt mache ich dir Angst, aber vorhin beim ›versaut‹ nicht?«
Sie nickte, hatte aber den Mund zu voll, um etwas zu erwidern, da sie gerade den Boden der essbaren Eistüte verschlang. Dabei bekleckerte sie die Unterlippe, die sie anschließend genüsslich mit ihrer Zunge ableckte – ein Bild, das sofort gewissen Regionen meines Körpers einheizte, obwohl ich gleichzeitig lachen musste. Trotz dieser sinnlichen Reinigungsaktion hatte sie ihre Oberlippe vergessen, die schon die ganze Zeit vom Vanilleeis schimmerte. Daher beugte ich mich kurzerhand vor und küsste ihr das Eis von der Oberlippe. Nach ihrem verwunderten Gesichtsausdruck erklärte ich mich schnell. »Tut mir leid, du hattest noch Eis an der Lippe, wie ein kleiner Schnauzer. Da konnte ich nicht widerstehen. Also wo waren wir, lass mich weiterreden –«
Statt meiner Bitte nachzukommen, unterbrach sie mich nun verschmitzt. »Ein Eis-Bär-Kuss also. Sehr interessant. Langsam glaube ich, du suchst nach Ausreden, um Frauen zu küssen. Findest du keine, die es auch so tun würde?«
Nun war ich mir noch sicherer, sie nach dem heutigen Tag wiedersehen zu müssen. »Haha, du bist echt witzig. Und jetzt hör auf mir ständig dreinzureden. Ich wollte dich fragen, ob du ein wenig Lust hast, mit uns abzuhängen?«
Ihr Blick glitt hinter mich, ging nach links und rechts, dann wieder fragend zu mir. »Ist das so ein Ami-Ding, dass man sagt ›mit uns abhängen‹?«, fragte sie, hob die Arme und machte eine kurze Gangsterpose, die einfach zu ulkig aussah. »Oder glaubst du wirklich, Freunde hinter dir zu haben? Dann machst du mir definitiv Angst.«
Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht schon wieder zu lachen. »Nein, ich bin tatsächlich mit zwei Freunden hier, aber die wollten ein verspätetes Mittagessen einlegen und ich hatte keinen Hunger.«
»Oh, okay, das klingt gleich viel weniger gruselig. Dann bin ich dabei. Danke.«
Wow, ich würde mich selbst ja als spontanen Typen bezeichnen, aber diese unbefangene Schnelligkeit schlug sogar mich.
»Einfach so, okay?«
Sie nickte, als wäre es keine große Sache, obwohl ich an ihrem kleinen Lächeln sehen konnte, dass ihr meine Überraschung durchaus gefiel. Wie mir selbst bisher so ziemlich alles an ihr. Vielleicht war ich ja doch in dieser Scheißachterbahn umgekommen und nun im Himmel gelandet? Oder ich hatte mir irgendwo den Schädel angeschlagen und sie war bloß eine Wunschfantasie von mir.
»Hast du denn keine Bedenken, wenn du einfach so mit einem wildfremden Typen mitgehst? Ich könnte was weiß ich für ein Freak sein.«
Entschieden schüttelte sie den Kopf, was ihre blonden Haare im leichten Wind flattern ließ. »Wir haben uns vorhin gerade geküsst und Händchen gehalten. Ich denke, wildfremd kann man in unserem Fall nicht mehr behaupten.«
Sie schmunzelte und ich wackelte mit den Augenbrauen. Dennoch ließ ich nicht locker. »Trotzdem kennst du mich nicht. Meine dunkle, verdorbene Seite. Wer weiß, was ich so alles mit dir anstellen könnte. Vielleicht solltest du doch Angst vor Typen haben, die dich einfach so fragen, ob du mit ihnen gehen willst. Das kann gefährlich werden.« Das meinte ich im Halbscherz, doch es schwang auch ein wenig Nachdruck mit.
Nun lächelte sie noch breiter, was süße kleine Fältchen auf ihrem Nasenrücken zeigte. »Ernsthaft? Seit wir in der Achterbahn beide gleich viel Panik hatten und du dich an meine Hand geklammert hast, glaube ich ganz fest, dass du einer von den ungefährlichen, netten Typen bist.«
Schnaubend protestierte ich: »Blödsinn. Ich habe mich nicht an deine Hand geklammert.«
Sichtlich amüsiert hob sie eine Augenbraue, warf mir einen kurzen, wissenden Blick zu, der mich zum Schmunzeln brachte. Seufzend verdrehte ich die Augen. »Na schön, ein wenig.«
Spielerisch rempelte sie mich mit der Schulter an, schlenderte anschließend neben mir weiter. »Ich bin froh, dass du das getan hast. Sonst hätte ich noch Angst bekommen, dir die Finger zu zerquetschen.«
Kurz zeichnete sich ein leichter Rosaton auf ihren Wangen ab, als hätte sie diesen irrsinnigen Gedanken tatsächlich gehabt. Daher wackelte ich übertrieben mit den Fingern. »Nicht möglich, meine Finger sind aus Stahl, fast unkaputtbar«, meinte ich grinsend, verwendete dabei ein Wort, das ich einmal in einem Film aufgeschnappt hatte, was sie wie gewünscht zum Kichern brachte. Gemeinsam marschierten wir weiter, wichen dabei einer Gruppe Jugendlicher aus, die sich gegenseitig mit Wasser bespritzten. Um die nächste langgezogene Kurve, die an beiden Seiten von schattenspendenden hohen Bäumen gesäumt war, konnte ich bereits das Restaurant erkennen, in dem meine Freunde saßen.
»Bist du eigentlich immer so spontan? Versteh mich nicht falsch, ich mag das. Nur bin ich es gewohnt, einen schiefen Blick zu kassieren, wenn ich genauso lebe. Aber du, du bist fast noch krasser als ich, was ich als reines Kompliment meine.«