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NIEDRIGER EINFÜHRUNGSPREIS NUR FÜR KURZE ZEIT! I'm a very bad girl ... In den düsteren Straßen von Montreal jagt Jess gefährliche Kreaturen – immer allein und stets unbesiegt. Sie denkt gar nicht daran das Geld oder die Punkte der Gilde zu teilen, die sie für jede erfolgreiche Jagd erhält. Als in einer kleinen Stadt Kinder verschwinden, führt ihre Suche sie nach Tschechien. Was als lukrativer Auftrag beginnt, wird schnell zu einer persönlichen Mission. Sie will unbedingt das Wesen stoppen, das ganze Familien ins Unglück stürzt – so wie einst ihre eigene. Doch die unerwartete Begegnung mit einem hartnäckigen und viel zu neugierigen Fremden bringt Jess völlig aus dem Konzept. Plötzlich kämpft Jess nicht nur gegen Dämonen, sondern auch gegen das, was sie am meisten fürchtet: die Liebe. Spannung, düstere Atmosphäre und ein Hauch von Romantik – diese Rivals to Lovers Fantasy Romance fesselt bis zur letzten Seite. #RivalsToLovers #OppositesAttract #OneBed #HiddenIdentity #FightingSupernatural //Dies ist der erste Band der »Gildenjäger Chroniken« von Martina Riemer. Alle Bände der Reihe: -- A Curious Kiss (Gildenjäger Chroniken 1) -- A Missing Heart (Gildenjäger Chroniken 2) erscheint Februar 2025 -- An Endless Love (Gildenjäger Chroniken 2) erscheint April 2025// Es handelt sich um eine bearbeitete Neuauflage der Reihe »Monster Geek«, erstmals erschienen unter dem Pseudonym May Raven.
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Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Martina Riemer
A Curious Kiss (Gildenjäger Chroniken 1)
I’m a very bad girl …
In den düsteren Straßen von Montreal jagt Jess gefährliche Kreaturen – immer allein und stets unbesiegt. Sie denkt gar nicht daran das Geld oder die Punkte der Gilde zu teilen, die sie für jede erfolgreiche Jagd erhält. Als in einer kleinen Stadt Kinder verschwinden, führt ihre Suche sie nach Tschechien. Was als lukrativer Auftrag beginnt, wird schnell zu einer persönlichen Mission. Sie will unbedingt das Wesen stoppen, das ganze Familien ins Unglück stürzt – so wie einst ihre eigene. Doch die unerwartete Begegnung mit einem hartnäckigen und viel zu neugierigen Fremden bringt Jess völlig aus dem Konzept. Plötzlich kämpft Jess nicht nur gegen Dämonen, sondern auch gegen das, was sie am meisten fürchtet: die Liebe.
Buch lesen
Vita
Bonusszene
Danksagung
Content Notes
© privat
Martina Riemer lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in Österreich. Zurzeit ist sie Vollblut-Mama und arbeitet im Büro. Wenn sie nicht liest, macht sie sich mit Kaffee und Laptop bewaffnet auf, um eigene Geschichten zu schreiben, die ihr im Kopf herumschwirren. Tagträumerin war sie immer, später wurden die Gedankensplitter zu Büchern. 2014 hat sie ihre ersten Romane veröffentlicht und kam bei Lovelybooks auf Platz 3 der besten DebütautorInnen.
Für alle Tagträumer, Wunschdenker und Monsterjäger, die sich mit ihren Romanhelden auf spannende Abenteuer begeben und sich von mutigen Magiern, bunten Einhörnern und schillerndem Glitzerstaub verzaubern lassen möchten.Hört nie auf, an euren Träumen festzuhalten, egal wie fantastisch sie erscheinen mögen.
Liebe Leserin, lieber Leser,
dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.
Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.
Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.
Martina und das Impress-Team
Dieser verdammte Vampir versuchte doch tatsächlich, mir zu entwischen! Seine schnellen Schritte donnerten über den Asphalt und gaben mir somit genügend Anhaltspunkte, in welche der zwei engen Gassen er abgebogen war. Wie lange wollte er noch davonlaufen und vor allem wohin? Ich kannte diese Gegend und wusste, dass sich hinter der nächsten Ecke eine Sackgasse befand. Ihm war es daher unmöglich, zu entkommen - außer er konnte fliegen, und wie wir alle wissen, ist das nur Aberglaube. Wie so einiges.
Als ich das Tempo erhöhte, spritzten Blutreste in alle Richtungen von meinem Katana, das ich fest in der Hand hielt. Damit hatte ich vor wenigen Minuten ein hübsches Zeichen in einen Vampirbauch geschlitzt, was den Vampir der Länge nach zerteilt hatte, und es einem zweiten durch sein gieriges, ausgedörrtes Herz gestoßen. Zum Glück war ich schnell, schneller als viele andere Jäger, was mir schon oft den Arsch gerettet hatte. Das lag nicht an meiner speziellen Magie. War jedoch kein Wunder, so oft, wie ich hinter etwas nachjagen oder davonlaufen musste – wobei mir die erste Variante deutlich besser gefiel. So wie im Moment.
Ein diebisches Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Der Vampir gehörte mir, genauso wie sein erbärmlicher Kopf und das Preisgeld. Warum musste er sich so zieren und mir die Arbeit schwerer machen? Ich war eine Gildenjägerin und es war verdammt noch mal mein Job, Monstern wie ihm den Garaus zu machen und dafür den Sold zu kassieren.
Normalerweise hätte mir die wilde Hetzjagd nichts ausgemacht. Ich hätte sie sogar genossen. Doch an diesem Abend war ich gereizt, da, anders als im Pin beschrieben, nicht nur ein Vampir zu erledigen war. Als ich heute Abend das Vampirnest angegriffen hatte, war ich auf drei verdammte Blutsauger gestoßen. So ein Rechenfehler konnte ganz schnell nach hinten losgehen. Jedoch war ich nicht umsonst Jessamine Diaz und meines Erachtens eine der besten Gildenjägerinnen in ganz Nordamerika. Okay, zugegeben – eigentlich eine der besten in Kanada … und auch das noch nicht ganz, aber ich würde es verflucht noch mal werden und mich dann mit einem ganzen Batzen Geld zur Ruhe setzen. Am besten irgendwo in den abgeschiedenen Wäldern Kanadas, zusammen mit meinen Frettchen Billy Joel und Gertrude und natürlich meinen Strickutensilien.
Daher beschleunigte ich ein weiteres Mal das Tempo und spürte dabei ein dumpfes Stechen an meiner rechten Seite, als ich die Luft tief in die Lunge saugte. Vermutlich würde das eine deftige Prellung werden, wenn ich daran zurückdachte, wie mir einer der Vampire einen Fußtritt gegen die Nieren verpasst hatte, während sein Kumpan mit seinen Fingernägeln ein paar Kratzer auf meiner Wange hinterlassen hatte. Das war jedoch alles gewesen, bevor ich sie mit meinem Katana endgültig kaltgemacht hatte.
Ich hatte das Ende der Gasse fast erreicht, als ich ein verdächtiges Geräusch hörte. Das konnte nur von dem Vampir stammen, der vermutlich um die Ecke gehuscht und abrupt stehengeblieben war. Dieses leise Schleifen einer Schuhsohle über den nassen Asphalt war, dank meines außerordentlich guten Gehörs, unverkennbar.
Wie ein funkelnder Blitz verfing sich das Licht von der Lampe einer Hauswand in der glänzenden, violett aufleuchtenden Klinge meiner Waffe. Im hohen Bogen schwang ich sie in dem Moment nach rechts, als ich meine magische Energie in die Waffe leitete und schlitternd die Ecke erreichte. Kurz sah ich in die erschrockenen Augen des Vampirs, in der nächsten Sekunde purzelte der Kopf von seinen Schultern und rollte mit einem platschenden Geräusch über den Asphalt.
Der nun wirklich tote Körper des Blutsaugers ging zischend in heißen Flammen auf, die mein Gesicht wärmten. Die Wartezeit, bis die Prozedur vorüber war - was im Normalfall nur wenige Minuten dauerte -, nutzte ich, um mit einem Tuch, das ich für solche Gelegenheiten sicher verstaut hatte, seelenruhig das Blut von Olaf zu wischen. Richtig erkannt, ich hatte mein geliebtes Katana tatsächlich nach einem Zeichentrick-Schneemann benannt, der vor fast fünfundvierzig Jahren über die Bildschirme geflimmert war. Mir war wohl nicht mehr zu helfen.
Erst als die Messerklinge im dämmrigen Licht wieder sauber blitzte, packte ich das Tuch weg. Olaf hatte fast keine Verzierungen, bis auf ein kleines Symbol direkt neben dem Griff – ein Unendlichkeitszeichen, mit dem alle meine Waffen gekennzeichnet waren. Letzte magische Energie befand sich noch in Olaf, der in meinen Gedanken zufrieden aufseufzte und das kleine Blutgemetzel lobte: »Wie immer: gute Arbeit.«
»Danke, deine schnittige Klinge ist aber auch nicht von schlechten Eltern, mein Lieber«, entgegnete ich lächelnd.
In meinem Kopf sah ich sein erfreutes Grinsen – Olaf liebte Komplimente genauso sehr wie ich –, bevor meine Magie aus der Waffe sickerte und die Verbindung abbrach.
Ich hatte keine große Macht, konnte gerade einmal ein paar Bann- oder Schutzzauber wirken, aber eine meiner Besonderheiten war, dass ich meine Waffen mit Magie aufladen konnte, wodurch sie stärker, härter – tödlicher wurden. Dadurch konnte ich komischerweise in meinem Kopf mit ihnen kommunizieren, als ob meine magische Energie ihnen für einen Moment eine Persönlichkeit einhauchte, die wieder verschwand, sobald der Zauber versiegte.
Erst nachdem fast nichts mehr von dem Vampir übrig war, hob ich seine weißen Beißerchen auf. So praktisch es auch war, dass Vampire, Werwölfe, Geister und vieles mehr nach getaner Arbeit einfach zu Asche verbrannten oder sich in Luft auflösten, war es ein Segen, dass Vampire ihre Zähne zurückließen. Wie sonst sollten wir Jäger der Gilde einen Beweis vorlegen, um den Sold einzusacken?
Vor allem Vampire waren eine ziemlich verbreitete Spezies und standen prozentual viel öfter als alle anderen Wesen auf meiner To-do-Liste der zu jagenden Monster. Jede dritte oder vierte Jagd oder Kurzmission galt den zähnefletschenden Biestern, was wohl daran lag, dass manche Menschen immer nachlässiger wurden. Zwar himmelten weibliche Teenies diese falsch dargestellten, glitzernden Vampire nicht mehr an wie vor einigen Jahrzehnten. Dennoch war die Faszination für diese tödlichen Wesen ungebrochen und die normalen Menschen zu leichtgläubig, wodurch sie ihnen erbarmungslos in die Falle tappten.
Ich pustete Aschereste von dem Vampirgebiss, das ich zwischen meinen Fingern hielt, und packte es zu den anderen beiden Gebissen in meiner silbernen magischen Fundus-Büchse, die zusätzlich aus Holzfäden und Weihrauchpulver gegossen war. Egal wie groß meine Beute war oder was ich hineinlegte, die Büchse bot stets genügend Platz, obwohl sie im geschlossenen Zustand gleich klein blieb – wie ein kleines Medikamentendöschen. Eine magische Spezialanfertigung meiner Cousins Jayden und Julian. Die Zwillinge waren eben doch die Besten in ihrem Job.
Lächelnd steckte ich die Dose wieder zurück, küsste die Fingerspitzen meines Mittel- und Zeigefingers und zeichnete mit ihnen ein Kreuz über meiner Brust, an der Stelle des Herzens. Das war mein Ritual, um mich bei Gott, der Magie oder bei wem auch immer zu bedanken, eine weitere Jagd überlebt zu haben. Jeder Gildenjäger – so ehrlich konnte man sein – war etwas verschroben, schrullig und mit nicht nur einer Handvoll Eigenarten gesegnet. Dazu gehörte auch, dass wir wider besseres Wissen abergläubisch an die Jagd herangingen, kleine Rituale inklusive. Entweder davor oder danach.
Meines war dieses – kurz und knackig. Andere zogen zum Kampf die gleiche Unterhose oder dieselben Socken an. Man konnte nur hoffen, sie wurden dazwischen gewaschen. Oder wieder andere beteten währenddessen ständig, was ich komplett bescheuert fand, da es erstens von den übernatürlichen Wesen gehört werden konnte und zweitens total vom Auftrag ablenkte. Wiederum kannte ich Jäger, die vor einer Jagd sieben Mal Salz über ihre linke Schulter warfen oder drei Mal rückwärts einen kleinen Kreis abliefen. Man konnte daher ruhig behaupten, dass wir wohl alle unsere speziellen Verrücktheiten hatten. Was mich nicht groß störte, immerhin gehörte ich ja auch zu diesem wilden Haufen.
Grinsend strich ich meine nachtschwarzen, engen Lederklamotten mit den dunkelvioletten Seitenteilen glatt, die aus dem neuen Inn∞Leder bestanden und alle Fremdpartikel abwiesen. Wie immer stammte die innovative Idee von der marktführenden Firma Definity: International Inn∞finity Design & Corporations. Egal, was mit dem Leder in Berührung kam, meine Kleidung blieb so sauber wie an dem Tag, an dem ich sie gekauft hatte. In meinem Fall versuchten immer wieder hartnäckig Blut oder irgendwelche anderen schleimigen Fetzen, die ich nicht näher benennen möchte, meine Sachen zu versauen. Das alles hatte jetzt keine Chance mehr und perlte einfach ab wie Wassertropfen auf einem Lotusblatt. Perfekt.
Normalerweise würde ich nun direkt zu einer der Gildenbuden gehen, aber heute hatte ich vorher noch etwas zu erledigen, das sich leider nicht aufschieben ließ.
∞
Geräuschlos schlich ich um das heruntergekommene Haus, in dessen Hintergarten ich vor einer halben Stunde die ersten zwei Vampire erledigt hatte, während der dritte geflohen war. Die Farbe splitterte von der Fassade und war genauso schäbig wie der ungepflegte Rasen oder der verwitterte, schiefe Zaun. Das perfekte Bild einer leerstehenden, rattenverseuchten Bude, die kein normaler, geistig gesunder Mensch freiwillig betreten würde. Ich trat ein. Aber erst, nachdem ich mich ein weiteres Mal überzeugt hatte, dass kein vierter Vampir direkt hinter der Tür auf mich lauerte.
Wie ich bereits angenommen hatte, war das Innere ganz anders eingerichtet, als von außen zu erwarten war: mit opulenten, gepolsterten Möbeln und einigem Schnickschnack, der von flauschigen Teppichläufern über moderne Kunst an den Wänden bis hin zu prächtigen Vasen und Statuen reichte. Zigarettenrauch und der Duft von Patschuli hing in der Luft, wie im Versuch, den Geruch von Blut zu überdecken.
Geschmeidig glitt ich von einem Raum in den nächsten, ohne noch einmal auf einen Blutsauger zu stoßen. So weit, so gut. Wäre da nicht plötzlich das Knarren eines Fußbodens in der unteren Etage zu vernehmen gewesen. Sofort erstarrte ich und schärfte alle meine Sinne. Nicht nur, dass ich extrem schnell laufen und gut hören konnte, hatte ich ebenso scharfe Augen, die bei geringstem Licht ausreichend sahen. Schon als Kind hatte sich mein Onkel Héctor köstlich über meine Nachtsicht amüsiert. Besonders dann, wenn er mich mitten in der Nacht in der Vorratskammer vorfand: mit vollgeschlagenem Bauch im Dunkeln hockend, meist noch das Kinn mit Pudding verschmiert und mit klebrigen Fingern.
Nach einem Atemzug schlich ich angespannt in Richtung des Geräusches und fand eine modrige Treppe, die hinunter in den Keller führte. Klassisch. Oben war im übertragenen Sinn alles sauber gewesen, unten offensichtlich nicht. Meine Hand schloss sich fester um das Heft von Olaf. Obwohl es mitten in der Nacht war, sah ich genug, um Umrisse und Gefahren zu erkennen. Außerdem lag hier der unverkennbare eiserne Geruch von Blut in der Luft. Also alles ganz normal für eine Vampirstätte.
Aber nein, halt, da war es schon wieder. Das Knarzen eines Holzbodens. Kurz, aber eindeutig. Als ich die Augen schloss, um mich noch stärker auf mein Gehör zu konzentrieren, konnte ich den Ursprung des Geräusches ausmachen. Irgendjemand oder irgendetwas befand sich hinter dieser Holztür, keine drei Treppenstufen von mir entfernt. Das dürfte interessant werden, freute ich mich und ignorierte mein schnell pochendes Herz.
Beziehungsweise wartete der vierfache Sold auf mich, sollte ich richtigliegen und nicht nur mit einem Vampirgebiss, sondern gleich mit vier Schnappzähnen bei der Gilde erscheinen. Statt meinem Grinsen oder einem kleinen Siegestanz nachzugeben, konzentrierte ich mich auf die Gegenwart. Auf die Gefahr, die hinter der Holztür lauerte. Erst nachdem ich mir sicher war, dass der Verursacher der Geräusche von der Tür wegging, sprang ich mit einem ausgestreckten Bein kräftig auf die Tür zu, die laut nach innen aufkrachte. Wie ein Ninja segelte ich durch das Holz, was auch Jet Li nicht besser hinbekommen hätte, als ich schon wieder aus der Hocke hochschoss und mich mit gezogener Waffe kampfbereit im Raum umsah. Dann erspähte ich ihn. In der Ecke des heruntergekommenen, dunklen Kellers stand ein splitterfasernackter Typ, verängstigt wie ein kleines Schulmädchen, und starrte mich aus schreckgeweiteten Augen an.
Verdammter Mist. Das war kein Vampir, sondern ein Blut- und Sexsklave. Wir Jäger stießen nicht besonders oft auf ihre Sklaven, da Vampire wenig Geduld besaßen und einfach unersättlich waren, wodurch die gefangenen Menschen häufig zu schnell verbluteten. Was ich persönlich als gnädigeres Ende ansah, statt zu einem Blutsklaven zu werden, dessen Hirn in der Gefangenschaft immer mehr in dunklen Nebel gehüllt wurde. Durch das Gift ihrer Zähne konnten Vampire die Menschen willig machen und ihrer gesamten Identität berauben. Das dauerte zwar einige Tage oder gar Wochen, doch danach war ihr Gehirn nicht mehr wert als altbackenes Brot und es verschlimmerte sich, je länger sie in Gefangenschaft waren. Es gab nur zwei Möglichkeiten, sie aus diesem Dämmerzustand zu befreien: Die erste Lösung war monatelanges Warten, währenddessen sie mühsam aus ihrer geistigen Hölle krochen, was nicht selten eine Einweisung in die Psychiatrie zur Folge hatte. Dort fiel es nicht auf, wenn sie keine zusammenhängenden Sätze bildeten oder sich nicht einmal an den eigenen Namen erinnern konnten. Schuld daran war das Vampirgift, das sehr lange brauchte, um nicht nur aus ihrem Blutkreislauf, sondern aus ihren Gehirnzellen zu verschwinden.
Der zweite Weg war die Aufhebung dieses speziellen geistigen Zaubers, der das Opfer durch den Sex an seinen Blutvampir band. Allerdings konnte nur der Vampir selbst diesen Zauber lösen, was natürlich keiner tat.
Aber genau dieser kleine Sexzauber war auch das Schlupfloch, um die monatelange Tortur des Vampirsklaven außer Kraft zu setzen. Dafür musste man nicht einmal so viel tun. Mit angehaltenem Atem überlegte ich, für welche Option ich mich entscheiden sollte, obwohl sich alles in mir sträubte, den humaneren Weg zu gehen, um dieses Opfer rasch aus seinem Käfig zu befreien.
Der Vampirsklave war eigentlich ganz süß – wie alle von ihnen, was kein Wunder war. Sie suchten sich nur die hübschesten unserer Gattung aus, um sich an ihnen zu vergehen. Verfluchte Mistkerle!
Schnell riss ich mich wieder am Riemen, schob die brodelnde Wut beiseite und entspannte meine Finger, die sich ständig verkrampften und zu Fäusten ballten. Aber auch wenn mir der Typ nicht gefallen würde, musste ich trotzdem diese Entscheidung treffen, um ihm zu helfen, egal was es mich kostete. Daher ergab ich mich seufzend meinem Schicksal, blendete alle negativen Gedanken aus und versuchte mich auf das hier einzulassen. Geistig. Körperlich.
Entschlossen wie ich war, steckte ich mein Katana sicher in die Rückenscheide und verriegelte die Tür hinter mir, was mir ein verängstigtes Wimmern des Sklaven einbrachte, das ich jedoch ignorierte, obwohl sich in mir drinnen alles zusammenzog. Armer Teufel! Bald würde es ihm besser gehen, weil ich dafür sorgte.
Zwar hatte ich ihm keine Angst machen wollen, aber Vorsicht war besser als Nachsicht, und ich hatte keine Lust, von etwaigen Besuchern überrascht zu werden. Ohne zu viel darüber nachzudenken oder eine Show daraus zu machen, zog ich mich mit wenigen Handgriffen aus und ging auf ihn zu, während ich beruhigende Worte flüsterte. Seine Augen waren glasig, als zeigten sie den Nebel, der über ihm und seinem Verstand lag. Zuerst zuckte er zusammen, als ich seine Haut berührte, aber sobald ich den Blutvampir erwähnte und ihm die Lüge erzählte, dies sei der Wunsch seines Herrn, wurde er auf der Stelle entspannter, folgte meinen Anweisungen mit einer Inbrunst, die mir sauer aufstieß. Kurz verspürte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich so augenscheinlich log, doch dies war die einzige Möglichkeit, ihn schneller aus seiner Hölle zu befreien, derer er sich nicht einmal bewusst war.
Behutsam strich ich ihm durch die dunkelblonden Locken, über seinen Bart und hinunter über seinen schlanken, aber muskulösen Körper. Wenigstens hatten ihn die Vampire genährt und in dieser Hinsicht gut für ihn gesorgt, obwohl ich überall auf seiner Haut Bissspuren ausmachte.
»Komm, bald wird es dir besser gehen«, versprach ich sanft, obgleich er es wohl nicht hörte, und zog ihn hinüber zum Bett, das sich als altes Klappergestell mit verschlissener Matratze herausstellte. Das musste reichen. Wir teilten keinen Kuss, wechselten keine weiteren Worte. Ich legte ihn auf den Rücken und kletterte auf ihn. Ein Kondom konnte ich mir seit der Erfindung des HandChips - ein Implantat, das in meiner Hand zwischen Zeigefinger und Daumen steckte - zum Glück sparen. Seit wenigen Jahren war es in der westlichen Welt das gängigste Mittel, sich vor Schwangerschaften und allerhand ansteckender Krankheiten zu schützen.
Obwohl es viele der normalen Menschen abstoßend fänden oder nicht verstehen würden, wie man das hier machen konnte, tat ich, was das Richtige für den armen Kerl war. Kurz flatterte Unsicherheit durch meine Brust, ob ich das wirklich durchziehen sollte. Aber konnte ich ihn andererseits zu einem monatelangen Erwachen verdammen, anstatt ihm diese kurze Gnade zu gewähren?
Bevor ich länger auf meine zwiegespaltenen Gedanken horchte, kniff ich die Augen zusammen und sank auf ihn hinab. So verkehrt es vielleicht war, diese übernatürlichen Dinge waren mein Leben lang Teil davon. Und obwohl es mich abstieß, stöhnte ich unwillkürlich auf, als ich ihn vollständig in mir aufnahm, was wohl daran lag, dass der letzte Sex viel zu lange her war.
Für einen schwachen Moment fragte ich mich, wie es wäre, mit jemandem zusammen zu sein, der mir etwas bedeutete. Wenn Sex zu mehr wurde als reines Stillen der körperlichen Bedürfnisse. Dabei dachte ich nicht einmal an Liebe, eher an ein klein wenig Vertrautheit bei diesem Akt. Nicht immer diese unbekannten One-Night-Stands oder unpersönliche Treffen mit Gildenjägern, bei denen man kaum etwas voneinander wusste, außer wie man sich an einsamen Abenden kontaktieren konnte. Doch das Mehr führte zu nichts, das wusste ich seit Langem. Außer zu Kummer und Verrat. Zu Schmerzen in der Brust, die einen aushöhlten, bis nichts übrigblieb.
Keuchend schob ich alles vehement beiseite und gab mich den Empfindungen hin, um es mir, und auch dem namenlosen Mann unter mir, so schön wie möglich in einer Situation wie dieser zu machen. Auf der nackten Haut kitzelten meine langen Haare, die ich offen trug und die mir bis zum Ende der Schulterblätter reichten. Ich erhöhte das Tempo, wiegte meine Hüfte, damit er noch tiefer eindringen konnte, was auch seine Atmung beschleunigte und mir ein weiteres Stöhnen entlockte. Sein Hirn war zwar momentan nicht zu gebrauchen, aber da unten funktionierte alles einwandfrei. Sobald ich mit ihm fertig war, würde sein Verstand ebenfalls wieder klar werden.
∞
Nachdem alles vorbei war, streckte ich mich seufzend und erhob mich vom Bett. Trotz aller negativen Punkte war es gut und so was von nötig gewesen.
Rasch schlüpfte ich in meine Klamotten und band mit flinken Fingern den Typen, der selig lächelnd auf der Matratze lag, Arme und Beine an das klapprige Bettgestell, bevor ich eine Decke über seine Hüfte warf. Ich konnte ihn unmöglich allein ins nächstgelegene Krankenhaus bringen, dafür war er eindeutig zu schwer, sollte er auf die Idee kommen, mir nicht willenlos zu folgen. Deswegen würde ich auf dem Weg zu meinem nächsten Halt bei meinem Cousin Jayden anrufen, damit er sich um diese Sache hier kümmerte. Durch den Sex, den der arme Teufel gerade gehabt hatte, würde er den Nebel der Vampirmagie in den nächsten Stunden abschütteln und hoffentlich vollkommen geistig genesen daraus erwachen – ohne Erinnerung an die letzten Monate seiner Gefangenschaft. Derart verwirrt musste er mindestens Monate, wenn nicht sogar ein Jahr oder länger in den Fängen dieser Monster gewesen sein.
Ein durchschnittlicher Mensch hätte diese Tortur womöglich nicht überlebt und obwohl ich nicht nachprüfen konnte, ob er viel Magie in sich trug - dazu hätte ich sein Blut analysieren müssen -, nahm ich es an. Wahrscheinlich hatte er gerade so viel, um diesen Biestern ins Auge gefallen zu sein, aber nicht genug, um damit richtige Magie zu wirken. Für diese These wollte ich meine Hand nicht ins Feuer legen, daher ging ich lieber auf Nummer sicher.
Um ihn in Zukunft vor übernatürlichen Wesen besser zu schützen, griff ich nach einer kleinen Injektionsspritze, die ich in einer Seitentasche bei mir trug, und rammte sie ihm in den Oberarm. Da sich Vampire, Werwölfe, Faes und andere Wesen nicht nur an den hübschen Leuten vergriffen, sondern an Menschen mit stärkerer magischer Energie, hatte mein Cousin eine Kapsel aus kleinsten Achat-Splittern hergestellt und diese mit einem Schutzzauber belegt, um magieaffinere Menschen zu verhüllen.
Ich trug diese Stein-Kapsel ebenfalls in meinem Oberarm und verbarg dadurch all meine magische Energie vor den Monstern. Denn übernatürliche Wesen kreisten um sie wie Motten ums Licht. Die meisten Menschen mussten sich keine Sorgen darüber machen – sie wurden nie belästigt, da ihre Magie so gering war, dass sie ihnen ihr Leben lang nicht einmal auffiel. Andere, wie dieser Typ vor mir, hatten leider weniger Glück gehabt.
Zum Abschluss strich ich über die Einstichstelle, drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und verabschiedete mich. »Mach’s gut und pass in Zukunft besser auf dich auf.«
Statt einer Antwort riss er erschrocken die Augen auf, da ihm bewusst wurde, gleich allein zu sein. An der Tür drehte ich mich nochmal um. »Keine Angst. Alles wird gut. Bald. Ein Freund kommt vorbei und wird sich um dich kümmern. Versprochen. Schlaf ein wenig.«
Dann schlüpfte ich aus der Tür in die noch immer dunkle Nacht hinaus.
Da ich meinen besagten Freund, aka Cousin Jayden, nicht erreichte, machte ich mich zuerst auf den Weg zur Gildenbude. Diese lag nicht weit von meinem Zuhause entfernt, am Rande der Stadt. Da ich für einen Taxi-Gleiter kein Geld ausgeben wollte, ging ich zu Fuß. Mit dem GleitBoard wäre ich im Nullkommanichts dort gewesen, aber das Board hatte ich daheim gelassen, damit es mich bei der Jagd nicht behinderte. Daher marschierte ich die nächsten Minuten durch die spärlich beleuchteten Straßen und genoss den kühlen Wind auf meiner Haut.
Bei Jayden würde ich es danach nochmal versuchen, um ihn über den gefesselten Typen zu informieren, was gut passte. Zum einen, weil das Gespräch länger als fünf Minuten dauern würde, und zum anderen, um dem armen Kerl mehr Zeit zu geben, sich zu sammeln, vielleicht schon die ersten Schichten seiner Benommenheit abzuschütteln. Was Jayden später wiederum half, ihn problemloser ins Krankenhaus zu bringen.
Den Kopf in den Nacken gelegt, blickte ich einen Moment hoch zu den Sternen, die heute am Rande Montreals zu erkennen waren. Klare Nächte wie diese erinnerten mich an früher, bevor mit unserer Familie alles den Bach runtergegangen war. Oft waren mein Dad und ich abends gemeinsam durch die Gegend geschlendert, während Mum den Abwasch gemacht hatte. Rückblickend waren es nur Spaziergänge am Abend gewesen, obwohl sie sich für mich immer wie Abenteuer angefühlt hatten.
Während dieser Ausflüge hatte er mir Spurenlesen beigebracht, die Sterne erklärt oder wilde Geschichten über alle möglichen Monster erzählt – natürlich alles kinderfreundlich. Dennoch hatte ich immer über Monster unter dem Bett und in der Welt sowie über Magie Bescheid gewusst. Gleichzeitig hatte ich die Gewissheit gehabt, dass meine Eltern auf mich aufpassten, sie starke Jäger waren, die mich und andere beschützten. In meiner kindlichen Naivität waren sie unbesiegbar gewesen wie Superhelden. Zumindest bis zu jenem Abend.
Tief seufzend massierte ich die Stelle an meiner Brust, die bei der Erinnerung an sie schmerzte, bis der dumpfe Stich verging. Gedankenverloren stapfte ich weiter und nicht einmal die Aussicht auf den Sold der Gilde konnte meine Stimmung heben, in die mich die Erinnerungen gezogen hatten. Dennoch musste ich endlich aufhören, über das Vergangene zu trauern und darüber hinwegkommen.
Also streckte ich meinen Rücken durch und holte tief Luft, kurz bevor ich um die letzte Kurve zwischen den heruntergekommenen Vorstadthäusern marschierte und aus der Ferne bereits eindeutige Geräusche hörte. Musik, lautes Geplänkel und ja, ganz klar, auch irgendeine Schlägerei drang vibrierend aus dem offenen Fenster der versifften Bar »Red Conquer«.
Leichtfüßig schob ich mich an mehreren betrunkenen, düster aussehenden Kerlen vorbei, die gerade von Teddy und Don, den Rausschmeißern, freundlich nach draußen befördert wurden. Ich fragte mich, warum sich keiner darüber wunderte, dass diese abgefuckte Bar überhaupt zwei Türsteher beschäftigte, die wie riesige Bullen auf zwei Beinen wirkten. Immerhin wussten nur wir Gildenjäger von dem Sold, den man sich hier holen konnte, wenn man seine Beute abgab.
Im Vorbeihuschen grüßten mich die beiden mit einem »Hey, Jess!«, in brummig tiefem Tonfall und klangen dabei wie zwei Bären. »Hi, Jungs! Bye, Jungs!«, winkte ich und war schon durch die Tür hineingeschlüpft.
Wie von außen anzunehmen, war das Innenleben nicht besonders einladend gestaltet. Die Bar bestand aus einem abgetretenen Parkettboden, einer angeschlagenen hölzernen Einrichtung und schlammrot gestrichenen Wänden, die von kaputten Lichtern geschmückt wurden. Die jedoch nicht mehr strahlend leuchteten und Werbung für fremde Urlaubsregionen machten oder billigen Schnaps anpriesen, sondern wie in einem schlechten Film hin und wieder zum Leben erwachten, um nervig zu flackern, bis es in den Augen schmerzte. Anscheinend schien das keiner außer mir zu bemerken oder sich daran zu stören, denn diese Blinklichter gehörten seit mindestens zwei Jahren zum ganz eigenen Charme dieser Bude.
Geradeaus auf der rechten Seite befand sich eine langgezogene Bar in L-Form. Rechts davon standen mehrere runde Holztische mit passenden dunklen Stühlen. Links neben der Bar reihten sich einige teilweise aufgerissene Billardtische aneinander, die ebenfalls schon bessere Tage gesehen hatten. Weiter hinten gab es einen kleinen offenen Bereich zum Tanzen und eine schöne, rustikale Musikbox, die drei Mal so alt sein musste wie ich selbst. Ich liebte dieses Ding. Vor allem die alten Lieder, die mich an meinen Vater erinnerten. Kurz schluckte ich schwer, um die Enge in meiner Kehle zu vertreiben. Nope, das hier war weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken.
In diesem Moment hörte ich eine Stimme von der linken Seite, die nach mir rief: »Hey, Baby! Jessman! Los, schwing deinen hübschen Arsch hier rüber! Aber pronto.«
Früher hatte ich meine Geschäfte immer mit Bruce gemacht. Er war das Sinnbild eines abgehalfterten Typen in einer Gildenbude gewesen. Er rauchte wie ein Schlot, war etwas beleibt um die Mitte und hatte nur noch wenige Haare auf dem Kopf, klischeehaftes Totenkopf-Tattoo auf dem Oberarm inklusive. Doch er hatte ein gutes Herz und sein ganzer Stolz war seine Tochter Rosie. Dieselbe pink bekleidete Rosie mit weißen, rosa gesträhnten leichten Locken, dunkler Nerd-Brille und hochgezogener Augenbraue, die mich gerade über die Leute hinweg anstierte.
»Was ist los? Jetzt komm schon«, forderte sie mich erneut mit ihrer glockenhellen Stimme auf und ich knirschte mit den Zähnen.
Es standen mindestens sieben Kerle in der Schlange vor ihrem kleinen Häuschen der Gildenbude, um angeblich Lottoscheine oder anderen Kleinkrams zu kaufen. Ich wusste es besser. Allesamt waren sie bis an die Zähne bewaffnete Jäger wie ich. Wenngleich sie ihre Spielzeuge gut versteckt hatten, sah man hier und da eine verdächtige Wölbung, die nichts mit ihrer Männlichkeit zu tun hatte.
An den Seiten trugen sie einen Beutel am Gurt befestigt oder hielten ihre Dosen oder andere Behälter in den Händen, in denen sich entweder Zähnchen wie bei mir oder andere Fundstücke übernatürlicher Art befanden. Für normale Menschen waren diese Behälter nicht zu sehen, da wir zur Sicherheit automatisch einen Verhüllungszauber auf unsere Beute und deren Behältnisse legten, um keinen Verdacht zu erwecken. Nur Menschen wie ich, mit genügend Magie, konnten durch den Zauber sehen.
Allerdings trug einer von ihnen ganz öffentlich das Erkennungszeichen »Feuer und Schwert« der Jägergilde auf seinem Handrücken: einen tätowierten Kreis, in dessen Mitte eine Flamme hinter gekreuztem Schwert und Armbrustbolzen züngelte. Mein Tattoo befand sich, in Schwarzschattierungen gehalten, versteckt an der Innenseite meines rechten Oberarms.
Zu gut konnte ich mir vorstellen, wie die Jäger so schnell wie möglich ihr Geld kassieren und nach Hause fahren wollten, um, na ja … halbtot ins Bett zu fallen. Der Job war kein Zuckerschlecken, obwohl ich ihn gerne machte. Wer sonst konnte sich damit rühmen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen? Doch die Arbeitszeiten waren echt grottig. Dann noch dieses viele Herumgelaufe und Gehopse, ganz zu schweigen von den geprellten Knochen oder angeknacksten Rippen.
Ich wollte Rosie nicht enttäuschen und schummelte mich an den Typen vorbei. Wobei ich manche mit »Feuer und Schwert« grüßte, mich bei den anderen mit den finsteren Mienen murmelnd mit »Tut mir leid«, »Dürfte ich mal« oder »Ich muss nur kurz« entschuldigte.
Schlägereien gut und schön, aber dafür war ich heute nach drei gekillten Vampiren und dem überfälligen Sex schlicht zu ausgelaugt. Genauso wenig war ich auf ein langes Geplänkel mit Rosie eingestellt, die ich nur von meinen Besuchen hier kannte, mit der mich aber so etwas wie eine Frauenfreundschaft verband. Meine einzige, wie mir soeben klar wurde.
Ich mochte Rosie, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Vermutlich, weil sie hier aufgewachsen war und ich mehrmals wöchentlich ein und aus marschierte, sogar dann, wenn ich gerade nichts bei der Bude abgab. Und wahrscheinlich auch, weil es nicht so viele weibliche Jägerinnen gab, um einmal so richtig schön zu quatschen oder sich über Männer zu beschweren. Zwar ließ ich dabei Rosie meistens wild drauflos plaudern, während ich nur minder hilfreiche Kommentare einwarf, aber es machte Spaß und fühlte sich so wunderbar nach Normalität an, die bei mir Mangelware war.
So wie Rosie entschieden sich die meisten magieaffineren Frauen für andere Jobs in der ›verborgenen Gesellschaft‹, wie ich es scherzhaft nannte. Die meisten von ihnen arbeiteten in der Regierung oder bei Zwischenstellen und wurden oft bereits zu dieser oder jener Position erzogen. Denn Magie wurde hauptsächlich vererbt. Es gab nicht viele alte magische Blutlinien, aber diese reichten ihre Magie allesamt an die Nachkommenschaft weiter – reine Genetik. Nur hin und wieder mutierten die Gene von Menschen, die kaum magisch veranlagt waren, und ein Kind mit auffallender Magie wurde geboren, ohne das Wissen der Eltern. Das waren die wirklichen Problemfälle, da ihnen niemand die Dinge erklären und helfen konnte. Wie man heute Abend gesehen hatte, landeten dann genau diese leider Gottes in den Fängen der nach Magie lechzenden Monster. Ein verflixter Teufelskreis.
Seufzend schob ich mich weiter. Allerdings dauerte es etwas, bis ich mich endlich an den Jägern vorbeigemogelt hatte, die mich jetzt allesamt mit finsterer Miene von oben bis unten betrachteten. Jap, genau so will ich abgecheckt werden – mit mordlüsternen Blicken.
Vorne bei Rosie angekommen, lächelte sie zuerst breit und schnalzte darauf missbilligend mit der Zunge. Was hatte ich denn jetzt wieder angestellt, wo ich doch gerade erst seit fünf Minuten in der Bar war? Es war kein Glas zu Bruch gegangen, ich hatte niemandem die Nase gebrochen oder einen Streit angezettelt. Ich war schon beinahe langweilig fromm wie ein Lamm.
»Schätzchen, wo hast du dich denn heute wieder herumgetrieben?«
»Warum?«, gab ich begriffsstutzig zurück. Sich dumm stellen war manchmal einfach am besten, um herauszufinden, in welche Richtung das Gegenüber mit seinen unbestimmten Fragen wollte.
»Zum einen mag ich ja deine Haarfarbe, Jess. Ehrlich. Der dunkle Ansatz, der in einer türkisen Haarpracht endet, sieht genial aus! Und erst mit diesen neuen blauen Highlights! Aber Schätzchen – deine Frisur! So zerzaust habe ich dich noch nie gesehen. Sieht aus, als hätte dort ein Vogel genistet – nein, gleich eine ganze Familie.«
Ich gluckste über das Bild, das sich bei ihrer Bemerkung in meinem Kopf bildete, räusperte mich aber schnell, als sie mich verkniffen anstarrte. Huch, das war also doch nicht scherzhaft gemeint?
»Danke. Ich tue mein Bestes für diesen natürlichen Windböen-Look. Für den Rat, ein paar Strähnen indigoblau zu färben, bin ich meiner guten Freundin, die einfach einen unglaublichen Stil besitzt, noch immer dankbar und werde es ewig sein, sogar bis in mein Grab.«
Mit einer Hand auf dem Herzen zwinkerte ich ihr grinsend zu, da sie diese besagte Freundin war und Komplimente hortete und ablegte wie alte Omas Bonbons in Glasbehältern. Eigentlich hatte Rosie mir beim letzten Mal, als sie mich und meinen dunkel nachwachsenden Ansatz bemerkt hatte, der bereits einige Zentimeter breit gewesen war, nahegelegt, meine Haare komplett dunkelblau zu färben und darin grüne, pinke und lila Strähnen unterzumischen. Aber ehrlich? Dazu war ich einfach viel zu faul und es war nicht ganz mein Stil. Da könnte ich ja gleich mit Ohrringen und Ketten durch die Gegend laufen. Deswegen waren der Ansatz und die türkisen Haare geblieben und lediglich durch ein paar Strähnen ergänzt worden. Das hatte ich mit dem Farbwechselstift gemütlich auf der Couch erledigen können, während ich mit der anderen Hand mit einem alten Jo-Jo gespielt hatte, das die Frettchen zu erwischen versucht hatten. Bei der Erinnerung daran, wie begeistert die beiden flink hin und her gewuselt waren, wischte ich mir lächelnd einige Haare aus dem Gesicht.
»Und wo hast du dir das da eingefangen?«, fragte sie und deutete mit ihrem weißen Stift auf mein Gesicht.
Kurz war ich verwirrt und wusste nicht, was sie meinte, dann spürte ich wieder ein kleines Brennen und erinnerte mich an den Hieb des Vampirs, der mir die Wange blutig gekratzt hatte. Ich wedelte mit der Hand. »Ach, das ist nur eine Schramme. So ein kleines Nagetier hat mich gekitzelt. Wollte mit mir spielen und ich hatte keine Lust mehr.«
Böse starrte Rosie mich an und obwohl sie sechsundzwanzig und somit nur zwei Jahre älter war als ich, wirkte sie gerade, als wäre sie meine Mutter und ich ein ungezogenes Kind, das einen Lolli gestohlen hatte.
»Red keinen Bockmist. Was hast du heute gejagt – Werwolf, Vampir oder sonst irgendeine Absonderlichkeit? Wissen Jayden und Julian Bescheid? Ich glaube nicht, dass sie darüber erfreut sein werden.«
Pikiert schob sie ihre Brille ein Stück runter und sah mich über den Rand hinweg streng an. Normalerweise war sie die nette Sekretärin mit großem Mundwerk. Jetzt hingegen spielte sie den bösen Cop, der einem Angst einjagen konnte. Wow, und das alles in einer Person.
Ich war beeindruckt und wand mich, als ich nach einer Antwort suchte. Jayden lag mir seit Ewigkeiten damit in den Ohren, gemeinsam mit mir auf die Jagd zu gehen, und sein Bruder Julian war kein bisschen besser. Doch ich weigerte mich vehement gegen den Vorschlag der beiden, mit Jayden zu jagen, und ich hatte meine Gründe dafür. Gute Gründe.
Gerade wollte ich den Mund öffnen, um eine freundliche, - na gut, eher eine witzige -, ausweichende Antwort zu geben, da pöbelte mich einer der angepissten Jäger aus der Reihe hinter mir an. Seine Schnapsfahne und der Gestank seines schweißgetränkten Hemdes brannten in meiner Nase. Wie appetitlich.
»Was soll die Scheiße? Zuerst drängelt sich dieses Püppchen vor und jetzt veranstaltet ihr hier ein Kaffeekränzchen?«
Püppchen! Hatte mich dieser Kerl gerade ernsthaft Püppchen genannt? Er konnte mir ja vieles an den Kopf werfen, aber verdammt – Püppchen? Aus dem Augenwinkel sah ich ein kurzes Messer, das er versteckt in der Hand hielt. Schnell schüttelte ich meine Entrüstung über seinen Kosenamen beiseite und im nächsten Moment fuhr meine eigene kleine Klinge namens Bo aus, die wie eine gefährlich glitzernde Verlängerung meines rechten Handgelenks aussah. Diese versteckten Messer – Bo rechts und Bo links - die ich mit ledernen Messerscheiden eng um die Unterarme geschnallt hatte, waren manchmal wirklich praktisch. Vor allem, wenn es schnell gehen musste.
Was Schnelligkeit anging, übertraf mich dieses Mal sogar Rosie, was ich auf meine Empörung aufgrund des »Püppchens« schob. In dem offenen, kleinen Fenster, das in dem kugelsicheren Glas eingelassen war, um Waren und Bezahlung auszutauschen, prangte jetzt ein Pistolenlauf, der direkt auf die Fresse des Typen gerichtet war. Rosie sah mit der Waffe in der Hand, die gut verborgen und nur für uns drei sichtbar war, knallhart aus. Ihre Stimme aber klang freundlich wie die einer Bibliothekarin, die nach der Ausleihdauer eines Buches fragte.
»Sei so nett und steck deine Waffe weg, Arschgesicht. Dann bediene ich dich heute vielleicht noch, anstatt dich rauswerfen zu lassen oder dein Gehirn in der Bar zu verteilen. Einverstanden?«
Ich selbst hatte meine Klinge Bo wieder eingezogen, da Rosie, wie damals ihr alter Herr, die Sache voll im Griff hatte. Der Typ neben mir hustete, obwohl es eher wie ein zurückgehaltener Fluch klang, und drehte sich fort, um zurück an seinen Platz in der Reihe zu stapfen. Rosies Pistole musste tatsächlich Eindruck auf ihn gemacht haben.
»Danke. Hübsche Waffe, Rosie.«
»Gerne, Schätzchen. Für dich doch immer. Also, warst du allein auf der Jagd, ohne Jayden zumindest Bescheid zu geben? Und erzähl mir keinen Scheiß, ich bekomme es ja doch raus.«
Mit schief gelegtem Kopf sah ich zu Rosie hoch und kniff die Augen zusammen. Würde es etwas bringen, mich wie ein Knirps rücklings auf den Boden zu werfen, dabei hin und her zu wälzen und zu schreien? Ich fürchtete, das funktionierte nur bei süßen Kleinkindern.
»Na schön, ich war allein. Aber …«, setzte ich theatralisch eine Pause, während ich meinen Schatz – die Büchse - hervorholte und sie mit einer übertriebenen Geste öffnete, »… nicht lange! Ich habe dort drei neue Freunde gefunden.«
Vielsagend zwinkerte ich und schüttelte die Dose, in der scheppernd die weißen Beißerchen hin und her wackelten. Grinsend sah ich wieder auf und fügte schnell hinzu: »Die Freundschaft hat aber nur kurz gedauert. Diese Idioten sind mir in das Katana gelaufen! Kannst du dir das vorstellen?! Ah, Mist. Dabei fällt mir ein, dass dort noch ein Typ, ähm … sprichwörtlich rumhängt. Ich muss Jayden anrufen.«
Kopfschüttelnd sammelte Rosie die Zähne ein, stopfte sie in eine spezielle Gildenbox und tippte auf der Holo-Tastatur sowie auf dem Sicherheitsglas vor sich herum, um mir den Sold zu bestätigen. Dabei konnte nur Rosie die Daten sehen, die über die innere Glaswand huschten.
»Was auch immer du da gerade schwafelst … Rede mit Jayden, und sag ihm, dass du verletzt wurdest. Glaub ja nicht, ich hätte nicht bemerkt, dass du dir vorhin auch die Seite gehalten hast.«
»Ja, Mami. Mache ich alles, jetzt her mit meinen Kröten«, flötete ich und warf ihr eine Kusshand zu, um das Thema damit endgültig zu beenden. Ich streckte ihr den linken Arm entgegen und hielt ihn direkt vor die Öffnung, damit Rosie mit ihrem elektronischen Stift an meinen HandChip kam und mir das Geld raufladen konnte. Dieser HandChip war, wie bei allen anderen, zwischen Daumen und Zeigefinger eingepflanzt. Mit einem ›Pling‹ wurde die Transaktion erfolgreich bestätigt und als ich auf meine linke Hand hinuntersah, konnte ich meinen neuen Kontostand in 3-D-Anzeige in der Handinnenfläche aufblinken sehen.
Fette Kohle! Das gefiel mir.
Nachdem ich mich bei Rosie bedankte und ihr zum gefühlt zweihundertsten Mal versichert hatte, Jayden von meinem kleinen Rempler zu erzählen, verabschiedete ich mich und marschierte gut gelaunt aus der Bar. Zwar bekam ich noch ein paar grimmige Blicke der anderen Jäger ab, aber diese ignorierte ich geflissentlich.
Auf dem Weg zu meinem Haus stellte ich meinen HandChip auf Sprachsteuerung und hielt den linken Unterarm an meinen Mund. Sicher hätte ich den Arm auch weiterhin neben meinen Körper baumeln lassen können, aber dann hätte ich lauter sprechen müssen, damit Jayden mich problemlos verstand. Und ich wollte nicht mitten in der Nacht durch die dunklen Straßen latschen und wie eine Verrückte schreien. Das wäre selbst für meine Verhältnisse etwas sonderbar.
Seit Jahren gab es diese HandChip∞Technologie, die alte Handys, normale PC-Tastaturen, Kabelverbindungen und dergleichen längst ersetzt hatte. Sogar Medikamente konnten dadurch runtergeladen und in den Körper injiziert werden. Alles war auf diesen einen Chip konzipiert, was technologische Freiheit bedeutete.
Wie auch bei meinen Lederklamotten, war der Hersteller dieses Wunderdings die gleiche Firma – Definity. Was sie zum größten Konzern der westlichen Hemisphäre machte, wenn nicht gar der ganzen Welt. Wäre ich nicht derart von diesem Luxus und der Bequemlichkeit abhängig gewesen, hätte mich diese Tatsache leicht verunsichert. Dennoch war es ein wahres Meisterwerk der modernen Erfindung. Dieses Implantat, das im westlichen Raum bereits bei Kindern eingepflanzt wurde, machte so gut wie alles möglich.
So wie jetzt, als ich Jayden anrief. Dieses Mal hob er nach wenigen Sekunden ab, nur um mir mit schlecht gelaunter Miene entgegenzublicken. Mithilfe des Chips in der Hand konnte man Live-Videos projizieren und somit denjenigen, mit dem man sprach, vor sich sehen, als stünde er vor einem. Es war ein schwebendes, leicht durchscheinendes 3-D-Bild, bei dem das Gesicht, der Oberkörper und die nähere Umgebung zu erkennen waren. Natürlich konnte man die Videotelefonie abstellen, wenn es … unangebracht war.
Heute hatte ich nicht viel abbekommen und die Nacht verbarg zusätzlich meine kleinen Schrammen. Deswegen wähnte ich mich in Sicherheit, dennoch wirkte Jayden nicht begeistert, als sein Blick mein Gesicht abtastete. Seine strahlend grünblauen Augen hatte er zusammengekniffen, die Stirn in Falten gelegt. Im Hintergrund meinte ich Julians zustimmendes Gemurmel auszumachen: »Lies ihr die Leviten, Bruder. Sonst mache ich es«, war mir aber nicht ganz sicher. Jedoch war ich davon überzeugt, anschließend gehört zu haben, er würde mir ansonsten den Hintern versohlen. Von wegen. Dazu musste einer der beiden mich erst einmal erwischen.
In der Projektion sah ich über Jaydens Schulter hinweg und hatte recht – dort erkannte ich den längeren, blondgefärbten Haarschopf von Julian, der im künstlichen Lampenlicht beinahe orange wirkte und an beiden Seiten kurz abrasiert war. Ich konnte nicht genau erkennen, was er dort trieb, aber er hantierte auf dem Tisch mit einem größeren, metallenen Gegenstand herum. Wahrscheinlich, um Jayden zu helfen. So unterschiedlich die beiden aussahen und vom Charakter her waren, so steckten sie wie typische Zwillinge ständig zusammen. Machten meist das, was der andere gerade tat, halfen sich gegenseitig und heckten gemeinsam Pläne aus. Früher waren sie in der gleichen Eintracht zusammen auf die Jagd gegangen, diese Zeiten waren leider vorüber.
Jayden dürfte ebenfalls die ganze Nacht wach gewesen sein, da sich mehrere schwarze Ölstreifen über seine Wange und die rechte Augenbraue zogen, was von langem Herumhantieren zeugte. Vermutlich, um an neuen technischen Basteleien und selbst erfundenen Waffen zu arbeiten, denen er sich in seiner Freizeit verschrieben hatte.
Da er sich in einem gut beleuchteten Raum aufhielt, konnte ich jedes Detail in seinem Gesicht ausmachen. Das Licht schmeichelte seiner mittelbraunen Haut – das Erbe seiner afrikanischstämmigen Mutter und seines peruanischen Vaters – und betonte zusätzlich die zwei schmalen, blau gefärbten Streifen an seiner rechten sowie linken Schläfe, die in seinem ansonsten kurzen, dunklen Haar schräg nach hinten verliefen. Ja, die Farbe hatte ich mir eindeutig von ihm abgeguckt. Leider hatte ich mich zu früh gefreut, denn statt mich wie typisch anzugrinsen, begrüßte Jayden mich mit grimmiger Stimme: »Jess.«
Er klang angepisst.
»Jayden?«, erwiderte ich kleinlaut.
»JESS!«
O ja, er war so richtig angepisst.
»Jayden! Wie lange willst du noch meinen Namen nennen, bevor du ausspuckst, was dir wirklich auf den Sack geht?«
»Du. Bist. Verletzt. Worden!«
Rosie! Sie hatte mich tatsächlich bei Jayden verpetzt. Ich hätte es wissen müssen, dass sie ihn zur Sicherheit anrief und mir nicht traute, ihm wie versprochen von meinem heutigen Abenteuer zu erzählen. Was ich auch nicht getan hätte. Verflucht!
Mit beschleunigten Schritten ging ich weiter den teilweise abgebröckelten Gehsteig entlang und gab mich begriffsstutzig. Einerseits, weil ich nicht darüber diskutieren wollte, andererseits, weil ich es witzig fand, ihn etwas zu nerven. Das war meine Revanche für all die Jahre als Kind, in denen Julian oder er bei unseren Raufereien jedes Mal gewonnen hatten. Eigentlich waren die Zwillinge nur ein Jahr älter als ich, aber was konnte man schon als spindeldürres Mädchen gegen zwei Jungs ausrichten?
»Ich bin Jägerin, Jayden. Schon zwei Jahre länger als du, und dabei wird man nun einmal verletzt. Ein Stoß hier, ein Rempler dort. Aufgeschürfte Knie und blaue Flecken stehen in der Stellenbeschreibung. Solltest du mal nachlesen, wenn du mir nicht glaubst.«
»Das meine ich nicht. Und das weißt du. Du hast mir versprochen, du würdest mir Bescheid geben, wenn du wieder verletzt wirst, damit du und ich ab diesem Zeitpunkt zusammen auf die Jagd gehen. Stattdessen habe ich es von jemand anderem erfahren. Keine Alleingänge mehr.«
»Richtig. Das ist es nicht wert«, rief Julian verbissen dazwischen, wohl wissend, wovon er sprach. Früher war er wie Jayden gewesen, hatte immer einen lockeren Spruch auf den Lippen gehabt, obgleich er schon seit jeher der nachdenklichere Typ aus der wissenschaftlichen Ecke gewesen war. Doch jetzt war er wortkarger geworden, wollte keinem zur Last fallen und mischte sich nur in den seltensten Fällen ein. Anscheinend war heute so ein seltener Fall, der meiner Unachtsamkeit geschuldet war. Ich hätte mit diesen Vampiren nicht herumspielen sollen, sondern sie einfach erledigen. Kurz und knapp.
Julian wandte sich ab und ich folgte mit dem Blick über Jaydens Schulter seinem Rücken, der aus dem Zimmer verschwand, als er hinausrollte.
»Hörst du? Auch er kann sich daran erinnern, dass du es versprochen hast. Also hör auf, zickig zu sein!«
»Ich bin nicht zickig«, gab ich erbost zurück. Woraufhin er ein »Du bist ein Mädchen!« fallen ließ, was mich aufgebraucht dazu brachte, »Oh Mann! Klischee!« zu rufen.
Um mich zu beruhigen, holte ich tief Luft. Zugegeben - ja, es stimmte. Den Teil mit zusammen jagen gehen hatte ich tatsächlich irgendwann einmal gesagt. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich nicht wirklich zurechnungsfähig, mein Körper mit Medikamenten vollgepumpt gewesen und ich dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen.
Vor einigen Monaten, nach einer, sagen wir mal, etwas missglückten Jagd hatte ich Jayden anrufen müssen, weil mein Magen aufgerissen gewesen war und ich schon ein weißes Licht vor mir hatte tanzen sehen. Aber ich hatte mich vehement geweigert, darauf zuzugehen, wollte nicht kampflos aufgeben, also hatte ich via HandChip Jayden gerufen, der mich erstversorgt hatte, obwohl das normalerweise Julians Aufgabe war. Dann hatte er mich nach Hause gebracht, wo Julian seine magischen Wunder gewirkt hatte. In diesem Moment hätte ich ihm wohl alles versprochen und er nutzte das nun schamlos aus. Dieser Schuft.
Jetzt im Nachhinein konnte ich es nicht fassen, Jayden tatsächlich geschworen zu haben, ab dem nächsten gröberen Zwischenfall mit ihm gemeinsam auf die Jagd zu gehen. Wenn ich einmal abkratzen sollte, dann lieber allein und nicht mit meinem Cousin. Oder noch schlimmer, er würde für mich sterben, weil er mir Rückendeckung hätte geben wollen. Auf keinen Fall.
»Du hast es mir geschworen, Jess!«, setzte Jayden zum wiederholten Mal streng nach, als hätte er meine Gedanken gelesen.