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Das großartige Finale: Band 5 der magischen Romantasy-Saga, voller Action, Drama und einer bittersüßen Liebe zum Dahinschmelzen! Lang lebe Solaris! Der grausame Kaiser wurde vom Thron gestürzt – von einem noch brutaleren Herrscher, der jetzt den Schatten des Todes über das Reich wirft. Und wieder steht Windläuferin Vhalla auf der Bühne des Schicksals, um zusammen mit anderen ein letztes Mal für Frieden und Freiheit zu kämpfen. Zerbrechliche Allianzen werden auf die Probe gestellt und unerwartete Bande geknüpft, während der Kontinent ein neues Gesicht bekommt. Vhalla weiß, welche Zukunft sie erstreiten will, aber wird sie in der dunkelsten Nacht den Preis für eine neue Dämmerung zahlen können? Alle fünf Bände der Serie »Die Chroniken von Solaris«: Air Awoken (Band 1) Fire Fallen (Band 2) Earth Ending (Band 3) Water's War (Band 4) Crystal Crown (Band 5)
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Elise Kova
Crystal Crown
Aus dem Englischen von Susanne Klein
Ein letzter Kampf voller Leidenschaft und Gefahr: das Finale der epischen Romantasy-Saga!
Lang lebe Solaris! Der grausame Kaiser wurde vom Thron gestürzt – von einem noch brutaleren Herrscher, der jetzt den Schatten des Todes über das Reich wirft. Und wieder steht Windläuferin Vhalla auf der Bühne des Schicksals, um ein letztes Mal für Frieden und Freiheit zu kämpfen. Zerbrechliche Allianzen werden auf die Probe gestellt und unerwartete Bande geknüpft, während der Kontinent ein neues Gesicht bekommt. Vhalla weiß, welche Zukunft sie erstreiten will, aber wird sie in der dunkelsten Nacht den Preis für eine neue Dämmerung zahlen können?
Wohin soll es gehen?
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Danksagung
Viten
Für alle, die den Mut haben,
ihre eigene Liebesgeschichte zu schreiben.
EINS
Kalte Winterluft schlich sich unter die Felle, mit denen Vhalla Yarl sich zugedeckt hatte. Vhalla rollte sich auf die Seite, und ein brennender Schmerz in ihrer Schulter riss sie jäh aus dem Schlaf. Vorsichtig änderte sie ihre Position, um den Druck von der Wunde zu nehmen, dann rieb sie instinktiv mit der Hand darüber. Mit jedem Tag, der verging, pochte und juckte ihre Verletzung schlimmer. Elecia bemühte sich nach Kräften, Vhalla Linderung zu verschaffen, aber sie hatte kaum Arzneien zur Verfügung. Selbst für eine Magierin von ihrem Format konnte sie kaum etwas tun, um den Heilungsprozess zu beschleunigen.
Vhalla rieb sich die Augen und setzte sich auf. Ihre Gefährten lagen noch immer dort, wo sie am Abend zuvor todmüde zusammengebrochen waren – die Nachwirkung starker geistiger Erschöpfung. Links von ihr atmete Fitz schwer und kuschelte sich an Elecia. Jax lag rechts von Vhalla. Die nordländische Prinzessin und ihre Leibwächterin schmiegten sich in einer Ecke eng aneinander.
Jax’ und Vhallas Blicke trafen sich. Vhalla schaute ihn eindringlich an und Jax verstand ihre stumme Frage sofort. Er ließ eine Hand unter der Decke hervorgleiten und zeigte zur Tür. Vhalla starrte auf den leeren Platz direkt neben ihr, von wo die Kälte sich ausgebreitet hatte. Einer ihrer Gefährten war nicht mehr dort, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte.
Langsam kam sie auf die Beine, um sich dann mit einer schweren Decke um die Schultern aus dem Zimmer zu schleichen. Im Wohnraum war niemand. Ganz hinten im Kamin glomm noch das Feuer, konnte aber gegen die Kälte kaum etwas ausrichten. Es war nicht schwer, sich im Haus der Charems zurechtzufinden. Es gab das Zimmer, in dem die Gäste schliefen, den Dachboden, auf dem sich inzwischen Fitz’ ganze Familie eingerichtet hatte, und den Wohnraum, in dem sie sich gerade befand. Vhallas Blick fiel auf die Stiefel, die aufgereiht neben der Haustür standen. Zwischen zwei Paaren gab es eine Lücke.
Vhalla schlüpfte in ihre eigenen Schuhe, zog die Decke enger und trat hinaus in das frühe Zwielicht des Morgens. Mond und Sterne spendeten noch genauso viel Licht wie die heraufziehende Dämmerung. In dieser aus Schnee und kahlen Bäumen geformten Landschaft gab es keine Farben. Fast so, als halte die Welt das Leben zurück, bis der Schrecken, der über das Land gekommen war, wieder verschwand.
Fußspuren führten von der Haustür weg. Vhalla hatte Mühe, sich einen Weg durch die Schneewehen zu bahnen, doch sie folgte den Spuren bis zu einer Erhöhung. Dort saß eine Gestalt und blickte auf den schmalen, schnell fließenden Fluss, den die Charems als bevorzugte Wasserquelle nutzten.
Der Herrscher von Solaris saß reglos wie eine Statue, er schien nur aus mitternachtsdunklen Schatten und Mondlicht zu bestehen. Schnee glitzerte auf der dunklen Decke über seinen Schultern wie Sterne an einem Nachthimmel. Nicht einmal bei dieser Kälte rötete sich seine alabasterweiße Haut. Vhalla überlegte, ob ein Mann, durch dessen Adern Feuer floss, die Kälte genauso spürte wie sie.
Sie ließ sich neben ihm nieder, sodass sich ihre Körper berührten. Dann folgte sie seinem Blick, um zu ergründen, was seine Aufmerksamkeit jenseits des frühmorgendlichen Horizonts erregt hatte. Vorsichtig nahm Vhalla seine Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen.
Bei seiner Berührung durchzuckten sie keine Blitze mehr, lediglich Hitze. Doch selbst ohne das Band wusste sie, wie Aldriks Verstand funktionierte. Vhalla spürte seine Emotionen wie einen Phantomschmerz – eine dumpfe seltsame Empfindung dessen, was da eigentlich sein sollte. Etwas, von dem ihr Herz genau wusste, dass es da war, was aber doch fehlte. Schließlich wandte sie sich zu ihm, um sein Profil zu betrachten.
Noch immer wusste sie nicht, was sie zu ihm sagen sollte. Nachdem die Gruppe ihn gestern zu ihrem wahren Herrscher erkoren hatte, hatte Aldrik sich schon früh zurückgezogen. Vhalla war ihm gefolgt, um für ihn da zu sein, ihm Trost zu spenden. Aldrik hatte sich die Nacht über an sie geklammert, doch in diesen frühen Morgenstunden war er allein hinausgegangen.
Sie wollte die richtigen Worte finden. Sie wollte etwas sagen, das ihm Kraft gab und ihn an alles erinnerte, was er noch immer besaß. Sie wollte etwas sagen, das nicht wie eine hohle Phrase der Unterstützung klang. Aber es wären doch nur fruchtlose Lösungsvorschläge für ein Problem, das nicht aus der Welt geschafft werden konnte, wie sie beide wussten. Was sagte man zu einem Mann, der alles verloren, aber die Welt gewonnen hatte?
»Aldrik«, setzte sie matt an.
»Wir müssen von hier weg.« Seine Stimme klang kräftiger, als sie erwartet hatte, und ließ sie kurz innehalten. »Du sagtest, da wäre ein Bote gewesen.«
Vhalla nickte, war sich aber nicht sicher, ob er das auch mitbekam. Sein Blick war noch immer auf einen fernen Punkt am Horizont gerichtet.
»Andere werden folgen, sehr viele andere. Gewiss will Victor das gesamte Reich möglichst schnell für sich beanspruchen, ehe jemand die Gelegenheit ergreift, sich gegen ihn zu verbünden.« Aldriks Stimme klang mechanisch, emotionslos. Sein Verstand war schneller als der Wind, aber sein Herz schien stehen geblieben zu sein.
»Aldrik«, versuchte Vhalla es noch einmal, diesmal beherzter.
Er fuhr fort, ohne sie zu beachten. »Wir müssen ihm zuvorkommen und die Menschen unter dem Banner vereinen, für das sie bisher gekämpft haben – das Banner von Solaris. Wir müssen sie schützen.«
»Aldrik.«
Vhalla drückte seine Hand, und endlich wandte Aldrik ihr den Kopf zu. Sein Blick war teilnahmslos, nur die leicht geröteten Augen verrieten, dass ein Teil seines Herzens diesen letzten Schicksalsschlag überlebt hatte. Ein Herz, das nur wenige Tage zuvor schon durch den Tod seines Bruders massiv erschüttert worden war.
Vhalla verbiss sich eine kraftlose Beileidsbekundung und sagte stattdessen entschlossen: »Wir werden dein Volk schützen.«
Aldrik schluckte schwer, sodass sein Adamsapfel hüpfte. Vhalla befreite ihre Arme aus der Decke, schlang sie um seine Schultern, zog ihn fest an sich. Endlich erwachten seine Hände zum Leben, er hob Vhalla auf seinen Schoß und wickelte seine Decke um sie beide, hüllte sie in seine Wärme ein.
Seine Finger gruben sich in ihre Flanke und ihre Schulter. Es fühlte sich an, als wollten sie wieder zu einem Geist und einem Körper werden, wie es zuvor schon durch das Band geschehen war. Aldrik schmiegte sein Gesicht in ihre Halsgrube. Vhalla spürte, wie sein Atem durch ihre Kleider an ihre Haut drang.
»Unser Volk.«
So aneinandergeschmiegt verharrten sie, bis die Sonne den Horizont erklomm, und ihr Schweigen war beredter, als alle Worte es hätten sein können. Schließlich nahm Aldrik sie hoch und trug sie den halben Weg zurück zum Haus der Charems, aus dessen Kamin fröhliche Rauchwölkchen kamen. Doch Vhalla sah in ihnen nur ein Leuchtfeuer. Falls Victors Bestien noch irgendwelche Empfindungen hatten, würden sie bald erkennen, in welche Richtung sie sich wenden mussten.
Oder, was sehr viel wahrscheinlicher war, Victor würde sie in die Richtungen aussenden, die ihm schlüssig erschienen. Seine Kreatur hatte von den Menschen im Ort verlangt, sich hinzuknien, damit der neue König sich ihrer Loyalität vergewissern konnte. Es lag also nahe, dass die Kristalle eine magische Verbindung zwischen Victor und seinen abscheulichen Geschöpfen schufen.
Zurück im Haus verlor niemand ein Wort über die Rückkehr des Herrschers und der Frau, die einst die Windläuferin gewesen war. Cass, die älteste Tochter der Charems, hielt während des Frühstücks das Gespräch aufrecht. Aber es ging nicht annähernd so lebhaft zu wie bei Vhallas erster Mahlzeit mit Fitz’ Familie. Reona saß lustlos am Tisch und schob das Essen auf ihrem Teller herum, als ob sich das Gesicht der Kreatur, die sie in der Stadt erlebt hatten, darunter versteckte und sie es verbergen wollte. Elecia sprach in gedämpftem Ton mit Jax und warf Aldrik besorgte Blicke zu. Fitz gab sich Mühe, so lebhaft wie immer zu sein, aber selbst das wirkte irgendwie schal. Da gab es eine tief wurzelnde, düstere Unterströmung, die sich ihren Weg durch die Welt bahnte, und auch die Anwesenden am Tisch wurden davon erfasst.
Als sie fast vollständig aufgegessen hatten, räusperte sich Aldrik kurz – weniger, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sondern um seine Stimme zu finden. »Ich wünsche euch etwas mitzuteilen.«
Allen war klar, wen er mit ›euch‹ meinte, und kurz darauf hatten sie sich zu siebt in das kleine Hinterzimmer zurückgezogen. Die beiden Feuerzähmer beschworen ein paar Flammen herauf, die harmlos in den Ecken schwebten und den Raum angenehm aufheizten – dennoch wurde Vhalla nicht richtig warm. Sie saß direkt neben Aldrik, so nah, dass sie sich berührten.
»Wir werden heute Abend von hier weggehen«, verkündete Aldrik, sobald sein ungewöhnlicher Rat zur Ruhe gekommen war.
»Heute Abend?« Fitz widerstrebte schon allein der Gedanke. »Es ist klirrend kalt draußen. Cass meinte, sie hätte heute Morgen beim Holzholen gesehen, dass sich am Himmel ein Sturm zusammenbraut.«
»Umso besser. Das Mondlicht wird uns den Weg weisen. Der Mond ist voll genug, und der Sturm wird unsere Spuren verwehen.«
Hatte Aldrik etwa am Horizont nach Stürmen Ausschau gehalten? War er so früh aufgestanden, um zu prüfen, ob sie in der Dunkelheit gut vorankommen würden?, fragte sich Vhalla überrascht. Sie hatte keinen Zweifel daran, wie schwer der Kummer wog, der auf seinen Schultern lastete. Aber ihr Prinz – nein, ihr Herrscher, korrigierte sie sich im Geiste – verfolgte trotzdem seine Ziele. Am Ende siegten sein Charakter und seine Erziehung über seine Trauer.
»Fitz«, meldete sich Vhalla zu Wort, ehe ihr Freund noch einmal protestieren konnte. »Wir müssen von hier fort. Wenn wir bleiben, bringen wir deine Familie in Gefahr.«
»Was?« Der Gesichtsausdruck des blonden Südländers veränderte sich dramatisch.
»Victor lässt überall verkünden, dass die gesamte Familie Solaris tot ist. Dass ich tot bin. Das Monster hat alle aufgefordert, das Knie zu beugen vor ihrem neuen König, damit Victor sich von der Loyalität der Bevölkerung überzeugen konnte. Diejenigen, die sich weigerten, traf ein schreckliches Schicksal. Ein Schicksal, das deine Familie niemals teilen soll.« Vhallas Ton war sanft, aber sie würde Fitz die Wahrheit nicht ersparen. Er war im Krieg gewesen, er kannte das Grauen, und er musste begreifen, dass dies auch vor seiner Türschwelle nicht haltmachen würde, wenn sie nicht von hier weggingen.
»Aber …«
»Sie hat recht«, warf Elecia ein. »Falls – wenn – Victor herausfindet, dass Aldrik noch am Leben ist, wird er ihn unerbittlich jagen. Was, glaubst du, wird mit denjenigen geschehen, von denen man weiß, dass sie uns beherbergen oder helfen?«
Fitz sank sichtlich in sich zusammen.
»Du kannst hierbleiben.« Vhalla berührte ihren Freund leicht am Knie. »Wir müssen gehen, aber du musst es nicht. Sie sind nicht hinter dir her, Fitz, und niemand braucht von deiner Beteiligung zu erfahren. Ich verstehe es, wenn du bei deiner Familie bleibst.«
»Sei nicht albern, Vhalla.« Fitz fasste nach ihrer Hand. »Wir Charems sind kein Haufen Weicheier. Wir können uns schützen. Bei der Mutter, Cass kann furchterregender sein als alles, was Victor je erschaffen hat.«
Vhalla versuchte Fitz’ beherztem Lächeln mit undurchdringlicher Miene zu begegnen, aber sie merkte, dass ihr das nicht gelang. Ihr Freund hatte nicht gesehen, was Victor erschaffen hatte. Er konnte nicht begreifen, welch schreckliche Form von Zauberei der frühere Minister für Magie jetzt beherrschte.
»Wenn ich euch im Stich lasse«, fuhr Fitz fort, »wird Larel von den Toten zurückkehren und mich bis zu meinem letzten Atemzug verfolgen.«
Statt einer Antwort drückte Vhalla ihm nur fest die Hand. Sie fühlte sich zutiefst schuldig, dass ihr Freund seine Heimat verließ, obwohl er gerade erst nach Hause zurückgekehrt war. Insbesondere, weil im Moment vollkommene Ungewissheit herrschte. Gleichzeitig war Vhalla erleichtert, dass Fitz an ihrer Seite bleiben würde. Er war ein erwachsener Mann; er konnte seine eigenen Entscheidungen treffen, und als seine Freundin musste sie das akzeptieren.
»Dann ist das also geklärt.« Elecia nickte Fitz beifällig zu, sie schien ebenfalls froh, dass er sie begleiten würde. »Also, die schnellste Route nach Norin von hier führt über die alten Wege. Aber wenn wir die Große Reichsstraße nähmen, würden wir durch …«
»Wir gehen nicht nach Norin«, unterbrach Aldrik sie ruhig.
»Wie bitte?« Elecia klang verwirrt und auch Vhalla wunderte sich.
»Mein Onkel wird sich für den Kampf rüsten, sobald er erfährt, was Victor getan hat. Mit mir oder ohne mich.«
»Mhashan wird niemals einen Tyrannen unterstützen, der – wie sie glauben – ihren Prinzen ermordet hat und sie unterjochen will«, stimmte Jax Aldrik zu.
»Doch im Osten liegen die Dinge anders.« Aldriks Blick fiel auf Vhalla. Sie richtete sich auf, versuchte der Rolle gerecht zu werden, die er ihr ganz offensichtlich zuwies. »Der Osten hat kein Interesse am Krieg. Sie werden sich auf die Seite des Siegers schlagen, wenn sie glauben, dass damit Frieden und eine stabile Regierung für ihr Volk gewährleistet sind.«
»Diese törichten Ostländer.« Elecia verdrehte die Augen.
»Halt dich zurück«, warnte Aldrik seine Cousine. »Sie sind Teil dieses Reiches, und wir brauchen sie zur Verstärkung unserer Armee.« Er wandte sich an die schweigenden Nordländerinnen. »Wir brauchen auch die Unterstützung Eurer Leute.«
»Solange unsere Abmachung bestehen bleibt, habt Ihr sie.« Sehra, Prinzessin von Shaldan, Tochter von Yargen, nickte ihm zu.
Vhallas Magen krampfte sich zusammen, doch ihre Miene verriet nichts von ihren Gefühlen. Falls sie und Aldrik heirateten und sie ihm einen Erben gebar, würde ihr Kind nach Norden geschickt werden – als Geste des guten Willens und als Versprechen, dass sie für die Menschen des jüngst eroberten Landes Sorge tragen würden. Sehra schaute sie an, als wollte sie mit ihrem Blick Vhallas inneren Aufruhr aufspüren.
»Unsere Abmachung steht«, erklärte Vhalla stellvertretend für sich und Aldrik. Sie sprach aus, was die Nordländerinnen hören wollten, und was Aldrik nicht noch einmal sagen konnte, wie sie wusste.
»Reist zusammen mit uns Richtung Norden, bis wir den Abzweig nach Osten nehmen. Als Gruppe sind wir sicherer.« Die Feindseligkeit zwischen Aldrik und den beiden nordländischen Frauen hatte sich deutlich abgeschwächt. Man merkte es daran, wie er seine Worte wählte. Nun da er nicht länger zwangsweise mit Prinzessin Sehra verlobt war, wirkte ihr Verhältnis entspannter. Abgesehen von der Abmachung, die sein erstgeborenes Kind betraf, gab es durchaus Hoffnung, was den künftigen Umgang zwischen den nordländischen Clans und ihrem neuen Herrscher betraf.
»Ich habe geschworen, Sehra zu beschützen«, verkündete Za. »Und ich brauche keinen von euch, um das zu tun.«
»Das bleibt auch weiterhin Eure Aufgabe. Aber es wird leichter, wenn nachts ein paar zusätzliche Augen Wache halten, damit du dich ausruhen kannst.« Za schien damit einverstanden zu sein, und Aldrik fuhr fort. »Wenn wir in Hastan ankommen, werde ich Euch Nachricht geben, wie genau wir uns in Norin neu formieren können.«
»Dann führt unser Weg also doch nach Norin?« Elecia konnte ihre Freude bei dem Gedanken, nach Hause zurückzukehren, nicht verbergen.
»Das müssen wir«, bestätigte Aldrik. »Wenn ihr keine weiteren Fragen habt, sollten wir den Tag nutzen, um uns vorzube…«
»Doch, es gibt noch etwas«, fiel Elecia Aldrik ins Wort, der daraufhin die Augenbraue hob. Elecia schaute zu Vhalla. »Sie sollte hierbleiben.«
»Nein.« Vhalla, war sich nicht sicher, wer es zuerst gesagt hatte, sie oder Aldrik.
»Du kannst dich unter die Töchter der Charems mischen«, sagte Elecia bittend. »Falls Südländer auf ihrer Suche hier durchkommen, könntest du dann als …«
»Nein.« Aldrik wollte kein weiteres Wort hören.
Elecia wandte sich ihm zu. »Ich weiß, wie gern du sie bei dir haben willst, Aldrik. Aber du willst doch auch, dass sie am Leben bleibt, oder? Sie kann sich nicht mehr selbst verteidigen.«
»Die Sache steht nicht zur Diskussion.«
»Sie darf nicht mitkommen!« Elecias Geduld war am Ende. »Wenn sie dabei ist, wirst du unbesonnen handeln, doch dein Leben ist sehr viel wertvoller als ihres!«
»Wage es nicht«, knurrte Aldrik seine Cousine an. An seinen geballten Fäusten blitzte Magie auf. Rote Funken entzündeten sich zu orangefarbenen Flämmchen.
Elecia blieb unbeeindruckt und gab auch nicht nach. »Wenn du stirbst, hinter wem sollen sich dann alle vereinen? Wenn sie uns begleitet, wirst du dein Leben für ihres opfern, sobald sie Schutz braucht. Und dieser Moment wird kommen – erst recht, weil sie nur noch eine Unberufene ist.«
»Elecia, ich bin jetzt dein Kaiser …«
Vhalla blieb fast das Herz stehen bei diesen Worten.
»Dann benimm dich auch wie einer!« Elecia empfand offenbar nicht die gleiche Ehrfurcht wie Vhalla. »Denk an die Menschen, für die du verantwortlich bist. Sie brauchen dich, Aldrik. Sie brauchen ihren Herrscher. Keiner außer dir kann Victor herausfordern. Keiner außer dir kann alle unter einer Fahne vereinigen.«
»Glaub ja nicht, ich wüsste nicht, für wie viele Leben ich verantwortlich bin«, sagte Aldrik mit dunkler Stimme. »Es ist nicht deine Entscheidung.«
»Und auch nicht deine, Aldrik«, meldete sich endlich Vhalla zu Wort. »Es ist meine.«
»Vhalla …«
Verzweifelt sah ihr Geliebter sie an. Sein Zorn wich der Furcht, dass Vhalla sich Elecias Meinung anschließen könnte. Dass sie ihn verlassen würde. Vhalla war klar, dass dies rein logisch tatsächlich die richtige Entscheidung war. Aber was sie beide ausmachte, was sie und Aldrik zusammen waren, trotzte jeder Logik.
»Ich werde mitkommen.«
»Bist du verrückt oder nur egoistisch?«, zischte Elecia böse.
Aldrik hingegen schenkte Vhalla ein erleichtertes Lächeln.
»Wenn ich hierbleibe«, setzte Vhalla an und riss ihren Blick von Aldriks lächelnden Lippen, um die vor Wut schäumende Westländerin anzuschauen, »was wird dann geschehen, sobald Aldrik zum ersten Mal glaubt, dass ich in Schwierigkeiten stecke?«
Darauf gab Elecia keine Antwort.
»Wie wird seine dauernde Sorge um mein Wohlergehen seine Konzentration wohl beeinflussen?«
Noch immer antwortete Elecia nicht.
»Wer treibt ihn an, wenn es nötig ist?« Vhalla sah Aldrik verstohlen an. Hoffentlich kränkten ihn ihre Worte nicht. »Wer von uns hat keine Angst, ihm zu sagen, was gesagt werden muss, und zwar zum richtigen Zeitpunkt?«
Es war eine Kampfansage. Bisher hatten Aldrik und Vhalla ihr Leben immer gemäß den »angemessenen« Entscheidungen geführt, die die Welt ihnen diktierte. Sie hatten ihre Wünsche verborgen und Wahrheiten beiseitegeschoben. Und was hatte es ihnen gebracht? Tod und Verderben. Vhalla hatte genug davon, das zu tun, was die Welt wollte.
»Ich bin nicht hilflos«, fuhr sie entschlossen fort. Sie hatte wochenlang mit Daniel trainiert. »Gib mir ein Schwert, und ich kann auf mich selbst aufpassen.«
»Es ist zum Verrücktwerden mit euch beiden!« Elecia konnte nicht einfach so klein beigeben. »Ihr werdet getötet werden, und das ist dann das Ende.«
»Keinem von uns wird etwas geschehen.«
»Das kannst du nicht ernsthaft glauben, Aldrik.«
»Herrje, das reicht jetzt«, stöhnte Jax. »Wenn du dir solche Sorgen machst, dann übernehme ich die Sache.«
»Was?«, fragten Aldrik, Elecia und Vhalla gleichzeitig.
»Cia hat recht, Aldrik muss am Leben bleiben«, erklärte Jax.
Vhalla hatte noch nie jemanden außer Aldrik Elecias Spitznamen aus ihrer Kindheit sagen hören, doch die Heilerin schien sich nicht daran zu stören.
»Ich hingegen?«, fuhr Jax gelassen fort. »Mein Leben bedeutet nichts. Also gelobe ich, Vhalla mit allem, was ich habe, zu verteidigen.«
»Dein Leben ist nicht wertlos«, protestierte Vhalla sofort.
Jax legte lachend den Kopf in den Nacken. »Du weißt wirklich noch immer nicht besonders viel über mich, oder?«
Frustriert presste Vhalla die Lippen zusammen. Sie suchte nach möglichen Einwänden, doch sie fand keine, was die Sache noch schlimmer machte.
»Warum?« Aldrik wirkte eher neugierig als fassungslos.
»Für Baldair.«
Vhalla sog scharf den Atem ein, der Name bohrte sich wie ein Eisdolch in ihre Eingeweide. Sie dachte daran, was Victors Monster über den verstorbenen Prinzen gesagt hatte – dass man seinen Körper gevierteilt und ihn an die Hunde verfüttert hätte. Unwillkürlich legte sie die Hand an die zornigrote Narbe, die von ihrer Schulter bis zu ihrer Brust verlief.
»Der letzte Befehl, den er mir gab, lautete, Vhalla zu beschützen …«
»Was du ja toll hingekriegt hast«, bemerkte Aldrik knapp.
Jax verstummte, sein Ausdruck verriet, wie verletzt er war.
»Das war nicht seine Schuld«, protestierte Vhalla entschieden. »Was geschehen ist, ist nur mir anzulasten.« Sie würde nicht zulassen, dass Jax deswegen Aldriks Zorn abbekam.
»Gib mir noch eine Chance.« Jax blieb unnachgiebig. »Ich bin Eigentum der Krone. Es ist eine passende Aufgabe.«
Bei seinen Worten wandte Elecia den Blick ab – als könnte sie diese Tatsache damit vergessen machen. Vhalla wusste, dass Jax in einer ähnlichen Lage war wie sie damals, als Kaiser Solaris sie versklavt hatte. Aber sie hatte keine Ahnung, wie es dazu gekommen war. Jetzt wollte sie es natürlich unbedingt wissen, doch bevor sie nachfragen konnte, sprach Jax schon weiter.
»Ich gehöre nun Euch, mein Kaiser.« Was er da sagte, schien Aldrik deutlich mehr zu bekümmern als ihn selbst. »Gib mir den Befehl, und ich verteidige sie bis zu meinem letzten Atemzug. Ihr Leben wird mir so kostbar sein wie mein eigenes. Ich tue es für Baldair und für dich, mein Souverän.«
Zu Vhallas Entsetzen schien Aldrik Jax’ Vorschlag ernsthaft zu erwägen.
»Jetzt komm schon, ich bin nicht gerade der Heldentyp. Gönn mir diese Chance, wenn wir jetzt losziehen und die Welt retten.« Jax grinste breit, so unbeschwert, als spräche er über das Wetter.
»Jax, ich bin nicht in der Stimmung für Witzeleien.« Aldrik kniff sich in den Nasenrücken und seufzte. »Also schön.«
»Entschuldige mal!«, mischte sich Vhalla endlich in das Gespräch ein. Ihr Ton war scharf. »Habe ich in dieser Sache etwa gar keine Stimme? Ich sagte, ich kann auf mich selbst aufpassen.«
»Dann brauchst du mich eben für die Gelegenheiten, wenn du mal nicht selbst auf dich aufpassen kannst«, gab Jax lässig zurück. Und als er ihren anhaltenden Widerstand spürte, fügte er hinzu: »Nimm mir nicht Baldairs letzten Befehl.«
Vhalla hörte seine Drohung, seinen Zorn, seine Trauer und vor allem seine große Entschlossenheit. Verdrossen senkte sie den Kopf. Er appellierte genau an die richtigen Gefühle, um zu bekommen, was er wollte. Dafür hasste sie ihn.
Widerstrebend nickte sie. »Einverstanden. Aber ich möchte, dass du bei der ersten Gelegenheit ein Schwert für mich auftreibst.«
»Nun denn, falls sonst nichts mehr ist …« Aldrik warf Elecia einem wachsamen Blick zu. »Dann brechen wir bei Sonnenuntergang auf.«
Sie alle folgten der Anordnung ihres Herrschers. Sie füllten sich die Bäuche mit der letzten warmen Mahlzeit, die sie in absehbarer Zukunft bekommen würden, und sattelten dann ihre Pferde. Die Charems schworen Aldrik, ihm insgeheim die Treue zu halten – selbst als er ihnen befahl, sich nach außen hin Victor zu beugen. Nachdem der Mond am Himmelszelt emporgestiegen war, ritten sie los, in die dunkelsten Umhänge gehüllt, die die Charems besaßen.
Kaiser Solaris führte seine wenigen Getreuen in eine ungewisse Finsternis.
ZWEI
Sie hatten Victor unterschätzt, genauer gesagt, das Tempo, mit dem er seine Monster erschuf und aussandte. Diejenigen, die gezwungen waren, seinem Willen zu folgen, wurden schleichend zu Tode gefoltert, indem sie mitansehen mussten, wie ihre Liebsten in Schreckenskreaturen verwandelt wurden. Und das geschah, noch bevor Victor eine ordentliche Armee mobilisierte, um den Kontinent einzunehmen – und mögliche Überlebende aufzuspüren, die sich seiner Regentschaft noch widersetzten.
Als der Herrscher und seine Gefährten am nächsten Tag die erste kleine Stadt jenseits von Fitz’ Zuhause erreichten, war sie in Blut getränkt.
Die Erde war übersät mit halb gefrorenen Leichen, die Körper glänzten rot in der vormittäglichen Sonne. Männer, Frauen, Kinder waren zu bloßen Hüllen ihres früheren Lebens geworden. Erschöpft starrte Vhalla auf die Toten. Es hätte sie nicht länger schmerzen sollen, aber der Kummer wurzelte tief in ihrer Brust. Ein Anblick wie dieser war ihr nicht neu. In letzter Zeit hatte sie ein Leben geführt, das von Blut und Tod geprägt war und ihr inzwischen realer vorkam als die Zeit, in der sie in der kaiserlichen Bibliothek Bücher einsortiert hatte.
Vhalla löste den eisernen Griff, mit dem sie die Zügel umklammert hielt, und berührte mit der Hand ihre Schulter. Durch den starken Schneefall war sie nass bis auf die Haut. Sanft massierte sie das entzündete Narbengewebe. Es pochte und stach bis hinunter in ihren Arm. Der physische Schmerz überdeckte das tiefe Schuldgefühl, das an ihr nagte.
Das war alles ihre Schuld.
»Er hat niemanden verschont, oder?«, flüsterte Elecia. Was auch immer dieses Gemetzel angerichtet hatte, war längst verschwunden, trotzdem sprach sie zu Ehren der Toten mit leiser Stimme.
»Warum haben sie nicht vor ihm gekniet?« Aldrik zog die Augenbrauen zusammen, sodass seine Stirn tief gefurcht war. Er stellte die Frage, die sie alle beschäftigte.
»Das hätten sie nie getan.« Fitz schwankte in der frischen Brise, fast stürzte er aus dem Sattel. Vhalla fragte sich, ob er in dieser Stadt Menschen gekannt hatte – genau wie sie einige Menschen in der Nachbarstadt von Leoul kannte. »Jahrhundertelang diente das älteste Kind einer jeden Familie hier in der Kaiserlichen Garde – schon, als der Süden noch Lyndum genannt wurde.« Der Südländer schüttelte den Kopf. »Sie würden nie einen anderen außer einem Solaris auf dem Thron anerkennen.«
Aldrik presste die Lippen aufeinander. Vhalla suchte nach etwas, das seinen Schmerz lindern würde, aber es gab nichts, was sie sagen konnte. Ihre eigene Schuld saß zu tief.
»Wir machen hier Rast bis Sonnenuntergang«, beschloss Aldrik und zeigte auf eine kleine Schänke.
Die sieben brachten ihre Pferde im angrenzenden Stall unter, in dem noch ein müde aussehendes Pony und eine kopfscheue Stute standen. Wie erwartet war die Schänke verwaist, sie fanden weder Tote noch Überlebende.
»Immerhin gibt es Bier«, verkündete Jax, nachdem er die Bar inspiziert hatte.
»Finger weg!«, befahl Aldrik.
»Nur weil du …«
Aldrik brachte Jax mit einem spitzen Blick zum Schweigen, dann fuhr er sich seufzend durchs Haar. »Ich dulde keinen Rausch auf dieser Reise.«
»Ein Bier bewirkt ja wohl keinen Rausch.« Jax verschränkte die Arme vor der Brust; es verbarg das leichte Zittern seiner Hände, das Vhalla bemerkt hatte, als er mit ihnen über den Tresen der Bar gefahren war.
Wieder seufzte Aldrik schwer. »Tu, was du nicht lassen kannst. Du weißt, wann wir weiterreiten, und solltest von den Betten Gebrauch machen, solange wir welche haben.«
Seinem eigenen Rat folgend schleppte sich Aldrik die schmale Treppe hinauf, die vermutlich zu den Schlafkammern der Schänke führte. Sorgenvoll blickte Jax seinem König nach, dann sah er zu Vhalla. Die nickte bekräftigend, bevor sie Aldrik folgte.
Als sie das Zimmer betrat, das Aldrik ausgewählt hatte, hängte er gerade seinen Umhang zum Trocknen auf. Er fuhr herum und sackte vor Erschöpfung fast zusammen, als er merkte, dass es nur Vhalla war. Sie schloss leise die Tür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.
»Diese Menschen haben meiner Familie jahrhundertelang gedient.« Mit einem Blick entzündete Aldrik ein kleines Feuer. Erleichtert stellte Vhalla fest, dass die Flammen trotz seiner schlechten Stimmung nicht außer Kontrolle gerieten. »Eine ganze Stadt, Söhne und Töchter, stehen loyal zum Haus Solaris – bis zu ihrem Ende. Und niemand hat mir das je bewusst gemacht.«
»Wir werden ihr Andenken ehren.«
»Wie denn? Mit was denn?« Aldriks Ton war scharf, aber seine Miene unendlich müde und sein Blick suchend.
»Bis das hier vorbei ist, müssen wir die Erinnerung an sie in unseren Herzen mit uns tragen, aber sobald wir alles in Ordnung gebracht haben, können wir mehr tun«, gelobte Vhalla, und der Schwur galt ihm, aber auch ihr selbst.
»Das hier ist etwas, das wir nicht in Ordnung bringen können.«
Nachdenklich biss sich Vhalla auf die Lippe. »Für diejenigen, die tot im Schnee liegen? Nein.« Sie kniff die Augen zusammen. Hinter ihren geschlossenen Lidern tauchte Baldair auf, als Geist, der sie begleitete. Der Mann, den sie nicht angemessen hatten betrauern können, an den sie aber auf Schritt und Tritt erinnert wurden. »Er will den Kontinent verwüsten, Aldrik. Aber für alle, die noch am Leben sind, ist es noch nicht zu spät. Für sie kämpfen wir. Wir ehren die Toten, indem wir uns den Lebenden verpflichten.«
Als Vhalla die Augen wieder aufmachte, stand er direkt vor ihr. Lange betrachtete er sie, dann löste Aldrik die Bänder ihres Umhangs und streifte Vhalla das Kleidungsstück von den Schultern. Sie genoss die Wärme seiner Hände, genoss es, wie sie bis zu den eisigen Dornenzweigen vordrang, die sich um ihr Herz rankten.
»Du bist nass bis auf die Knochen«, sagte er leise. »Ist dir nicht kalt?«
»Furchtbar kalt«, flüsterte sie.
»Zu deinem Glück kann dein zukünftiger Gemahl zufällig Feuer heraufbeschwören.« Er beobachtete ihre Reaktion auf seine Verkündung.
»Ja wirklich?« Es war schwer zu glauben, insbesondere im Moment, wo die Welt so aus den Fugen war.
»Wenn du es nicht willst, dann ist jetzt der richtige Augenblick, um es mir zu sagen.« Vielleicht waren Aldriks Worte als Scherz gemeint, aber es lag ein ernster Unterton darin.
Statt einer Antwort legte Vhalla nur sanft die Hand auf die Uhr an ihrem Hals. Die Kette wäre beinahe von Victors Axt durchtrennt worden, doch dieses eine Mal hatte das Schicksal Mitleid mit ihr gehabt. Aldrik folgte ihrem Blick zu dem Unterpfand, das er ihr geschenkt hatte, als er sie zum ersten Mal gefragt hatte, ob sie ihr Leben künftig an seiner Seite verbringen wollte.
»Liebste«, hauchte er erleichtert und legte seine Stirn an ihre.
Ihre Nasen berührten sich und Vhalla drückte ihm einen matten Kuss auf den Mund. Der Tag gestattete keine weiteren Zärtlichkeiten, aber diesem Kuss konnte sie sich ganz hingeben. Ihr Lord, ihr Freund, ihr Geliebter – wenn sie ihr Herz nicht irgendwo verankern konnte, würde es den Rest der Reise nicht überstehen.
Pünktlich bei Sonnenuntergang ritten sie wieder los, genau wie Aldrik es befohlen hatte. Vhalla wusste, dass er kaum geschlafen hatte, aber es stand ihr nicht zu, ihn deswegen zu tadeln, denn auch sie hatte die meiste Zeit über wach gelegen – gepeinigt von der Totenstille der Stadt. Bevor sie aufbrechen konnten, nahm Vhalla sich kurz Zeit, um in der Stadt und bei den Leichen nach einem brauchbaren Schwert zu suchen. Als sie endlich eines fand, war es klein und nicht annähernd so fein geschmiedet wie die Waffen, die sie beim Training mit Daniel benutzt hatte. Trotzdem fühlte sich der kalte Stahl an ihrer Seite beruhigend an.
Am nächsten Nachmittag rasteten sie in den Wäldern, was sehr viel weniger bequem war als in den Schlafkammern einer menschenleeren Schänke, aber seelisch bei Weitem nicht so belastend. Wenn sie unterwegs waren, nutzte Fitz immer wieder seine Fähigkeiten als Wasserwandler, um mit Schnee ihre Spuren zu verwischen – insbesondere während der letzten Stunde, ehe sie ihr Lager aufschlugen. Sie hielten abwechselnd Wache und schliefen eng aneinandergeschmiegt.
In einer Nacht campierten sie an einem umgestürzten Baum, dann in einer Höhle, dann vollkommen ungeschützt im Freien. Sie kamen an verlassenen Häusern vorbei, an verwüsteten Städten und an Orten, wo die Menschen so still und reglos waren, dass sie genauso gut hätten tot sein können. Sie ritten parallel zur Großen Reichsstraße, die ab und an zwischen Bäumen und Schneeverwehungen in der Ferne auftauchte. Aber weil sie ständig auf der Hut waren und ihren Weg mit Bedacht wählten, bekam sie keine Menschenseele zu Gesicht.
Während die Tage und der Weg an ihnen vorbeiglitten, wurde das Schweigen zu ihrem wichtigsten Gefährten. Zunächst schwiegen sie aus Nervosität und weil es unumgänglich war, dann aus Respekt vor den Toten, dann aus Angst vor Entdeckung. Schließlich wurde es zur Regel, denn die Welt war zu viel, um sie mithilfe von Sprache noch fassen zu können. Vhalla fing an, sich nach Aldriks nächtlichen geflüsterten Liebesbekundungen zu sehnen, wenn er sie in seine Arme schloss, damit sie eng zusammengekuschelt schlafen konnten. Es war eines der wenigen Dinge, die sie bei Kräften hielten.
Vhalla verlor jegliches Zeitgefühl. Es hätte schon eine Woche oder auch ein Jahr vergangen sein können.
Als sie auf eine kleine Jagdhütte stießen, hätte sie vor Erleichterung am liebsten geweint. Die Hütte war verlassen und bot ihnen die Möglichkeit, der Kälte zu entfliehen und ihre Stiefel zu trocknen. Der vordere Teil war fast vollständig eingestürzt, aber die übrigen Wände stützten das Giebeldach, das dem Schnee trotzte.
Jax sprang vom Pferd, inspizierte das Gebäude und erklärte es für stabil genug, um die Nacht dort zu verbringen.
»Ist es nicht zu nah an der Straße?« Unruhig schaute Elecia hinüber zur Großen Reichsstraße, die durch die Bäume kaum zu erkennen war.
»Wir sind seit Tagen niemandem mehr begegnet«, stöhnte Fitz. »Ich will ein Dach über dem Kopf.«
»Darunter wird es nicht viel wärmer als draußen sein«, bemerkte Elecia. »Die Hälfte der Hausfront fehlt doch.«
»Wenn wir unsere Umhänge zum Trocknen aufhängen, könnten sie das Licht eines kleinen Feuers abschirmen, das uns warm hält.« Jax drehte sich zu Aldrik. »Was meinst du?«
Der schaute zurück zur Straße, offenbar wog er alle Alternativen ab. »Wenn wir uns nicht aufwärmen, wird einer von uns noch krank werden, und das wäre schlimmer«, sagte er entschieden.
Also saßen sie ab und banden ihre Pferde an den nächstgelegenen Baum. Fitz sorgte dafür, dass sie sich »häuslich einrichteten«, und sammelte rasch alle Umhänge ein. Elecia half Jax, der Vhalla aber nie lange aus den Augen ließ – er war ihr neuer Schatten.
»Ich übernehme die erste Wache«, bot Vhalla gähnend an.
»Bist du sicher?«, fragte Aldrik.
»Ich habe am meisten Schlaf bekommen; ich bin jetzt an der Reihe mit Wache halten.«
»Ja, aber …«
»Mir geht es gut.« Vhalla rieb sich nachdrücklich über die Schulter. Die Wunde war noch immer empfindlich, aber mit jedem Tag schritt die Heilung voran. Sie wusste, dass der Schmerz, den sie fühlte, für immer bleiben würde. Er würde bleiben, bis Victor starb, und auch danach würde er noch ihre Leben lang gegenwärtig sein. »Ruh dich aus, Aldrik.«
Ihr Herrscher gab nach und verschwand hinter dem Umhang, mit dem Jax das klaffende Loch in der Front der Hütte verdeckte. Vhallas Aufmerksamkeit richtete sich auf die beiden jungen Frauen, die draußen im Schnee zurückgeblieben waren.
Sehra ging zu einem Baum und legte beide Handflächen auf den Stamm. Das tat sie jeden Tag, ganz egal wann sie Pause machten, bei Sonnenauf- oder bei Sonnenuntergang. Vhalla beobachtete, wie die junge Frau die Stirn an die kalte Rinde legte und still und andachtsvoll verharrte.
Keiner aus der Gruppe hatte die Nordländerinnen bisher dazu befragt oder versucht sie aufzuhalten. Schließlich gewann Vhallas Neugier die Oberhand.
»Was tut Ihr da?«, fragte sie, als die beiden Frauen auf ihr Nachtlager zusteuerten.
Za und Sehra sahen sich an, sie wirkten überrascht. Dann musterte Sehra Vhalla ausführlich. Welche stumme Prüfung sie dabei auch immer vollzog, Vhalla schien sie zu bestehen.
»Ich suche nach Spuren von Kristallmagie«, sagte Sehra schließlich.
»Das könnt Ihr?«, platzte Vhalla ungläubig heraus.
Za schnaubte.
Über Sehras Gesicht huschte ein kleines zufriedenes Lächeln. »Ja, kann ich.«
»Aber wie?«
»Zweifelt Ihr etwa an Sehra?«, fragte Za kämpferisch.
»Ich glaube nicht, dass sie das tut«, entgegnete Sehra, bevor Vhalla den Mund aufmachen konnte. »Sie versteht es nur noch nicht. Kristallmagie gleicht sehr der alten Magie. Sie ähnelt ihr, unterscheidet sich aber doch. Wie Licht und Dunkelheit, wie zwei Hälften eines Ganzen. Die eine weiß von der anderen, auch wenn sie nicht über sie gebieten kann.«
Die Erklärung der Prinzessin hätte herablassend sein können, war es aber nicht, fiel Vhalla auf, während sie darüber nachdachte. Sie verstand, was die Prinzessin meinte, hatte aber immer noch keine Vorstellung davon, was Kristallmagie und »alte Magie« voneinander unterschied.
»Und Ihr könnt das, weil Ihr eine Tochter von Yargen seid?«, fragte sie dann.
Sehras Lächeln wirkte vollkommen aufrichtig. Die junge Frau war in Diplomatie geschult, und das merkte man. Doch ihre Jugend verriet sie in den Augenblicken, in denen sie glaubte, sich entspannen zu können. Vhalla speicherte diese Information ab – für den Fall, dass sie diese zukünftig noch einmal brauchen würde. Wofür sie sich gleichzeitig hasste.
»Genauso ist es«, bestätigte Sehra.
»Und was bedeutet das?«
»Das bedeutet, dass ich dazu auserwählt bin, Yargens Macht auszuüben. Dass ich eine Hüterin des Schicksals bin.« Sehras Ton machte deutlich, wie ernst es ihr war. Sie glaubte jedes ihrer Worte, ganz egal, wie fantastisch sie klangen.
»Wie eine Göttin?« Vhalla wollte sichergehen, dass sie wirklich verstand, was Sehra da behauptete, ehe sie sich ein Urteil darüber erlaubte.
Za lachte über die Frage. »Nur Götter sind Götter.«
»Eher eine Stellvertreterin der Götter«, erläuterte Sehra. »Das interessiert Euch alles sehr, nicht wahr?«
»Stimmt.« Vhalla schluckte und versuchte, in ihre nächsten Worte so viel Anstand und Stärke zu legen, wie sie besaß. »Ich möchte mehr darüber erfahren, wo mein Erstgeborenes seine oder ihre Kindheit verbringen wird, sollte es wirklich dazu kommen.«
Der Wind unterstrich stürmisch Vhallas Worte, indem er ihr Schnee und Haare ins Gesicht peitschte. Sehra blieb so ungerührt, dass Vhalla sich fragte, ob sie den Satz vielleicht nur gedacht und nicht ausgesprochen hatte.
»Habt nicht so viel Angst, Vhalla Yarl.« Sehra ballte die rechte Hand zur Faust und bedeckte sie dann mit der Linken. Die Geste sagte Vhalla nichts, aber anhand der Miene der Prinzessin erkannte sie dennoch, dass es um eine Zukunft in Frieden, Stärke und Respekt für sie alle ging. »Der Weg, den Ihr mit mir beschreiten wollt, ist nicht leicht, aber es ist der richtige Weg.«
Damit schien das Gespräch für die beiden beendet zu sein, denn Za und Sehra verschwanden nach drinnen. Vhalla hatte den Eindruck, dass sie, statt Antworten zu bekommen, nur noch mehr Fragen hatte. Sie ging ein paar Schritte und versuchte dabei, sich an alles zu erinnern, was sie je über den Norden gelesen hatte. Was leider furchtbar wenig war. Vhalla war über sich selbst frustriert. Sie konnte die Namen fast aller südländischen Könige der Reihe nach herunterbeten, aber niemanden aus dem Anführer-Clan der Nordländer.
Ihre Gedanken wurden von einem Knirschen im Schnee und dem Wiehern eines Pferdes unterbrochen. Sie sah zur Hütte, hinter der die Pferde standen. Etwas hatte das Tier erschreckt; ein Schneehase oder vielleicht ein Fuchs, der aus seinem Bau gekrochen war. Ihre Finger schlossen sich um den Schwertgriff. Sollte sie es sicherheitshalber aus der Scheide ziehen? Dann könnte das Geräusch die Aufmerksamkeit eines potenziellen Angreifers auf sie lenken. Und würde dadurch ihren möglichen Vorteil zunichtemachen.
Kurz überlegte sie, ob sie Jax, Elecia oder Aldrik wecken sollte, aber das schwache Glimmen des Feuers, das durch die Ritzen der aufgehängten Umhänge hindurchschimmerte, war gerade erloschen. Also waren sie eben erst eingeschlafen, und sie würde sie ganz gewiss nicht wegen etwas aufwecken, das wahrscheinlich vollkommen harmlos war.
Mit angehaltenem Atem schlich Vhalla um die Jagdhütte herum zu dem Baum, an dem die Pferde angebunden waren, konnte aber nichts erkennen. Gerade als sie sich entspannen wollte, knirschte wieder rechts von ihr der Schnee.
Instinktiv zog sie ihre Waffe, drehte sich zur Seite und erhaschte einen Blick auf eine kaiserliche Rüstung. Eine Palastwache. Alles schien sich zu verlangsamen, als sie in weitem Bogen mit dem Schwert ausholte und es auf die Schulter des Mannes niedersausen ließ. Es prallte scheppernd gegen seine Schulterplatte und alarmierte den Rest ihrer Gruppe.
Das Schwert vibrierte, als es Vhalla aus der Hand fiel. Entsetzt blickte sie auf den Geist, der sich ihr entgegenstellte. Das konnte nicht sein.
»Was zum …« Jax kam als Erster um die Ecke gebogen, blieb dort aber wie angewurzelt stehen.
Ohne Zögern packte der Mann Vhalla. Sie wurde herumgewirbelt und an eine sehr vertraute Brust gepresst. Er drückte ihren Kopf gegen seine Schulter und legte ihr die Hand über den Mund. Augenblicklich hatte sie einen Dolch an der Kehle.
Aldrik war Jax gefolgt und seine Augen loderten vor Zorn, sobald er das Messer entdeckte, das sich in Vhallas Hals grub.
»Keine Bewegung!«, befahl eine raue Stimme. »Wenn ihr nicht wollt, dass sie stirbt, dann rührt euch nicht.«
DREI
»Ich werde eins von euren Pferden nehmen«, fuhr der Mann fort. »Lasst es geschehen oder sie stirbt.«
»Du hast keine Ahnung, wen du dir als Gegner ausgesucht hast, mein Freund.« Lachend schüttelte Jax den Kopf. Er machte einen Schritt nach vorn und erstarrte. Vhalla sah seine Augen in jähem Begreifen aufleuchten. Jax hatte gehört, was sie gehört hatte. Er sah, was sie dazu gebracht hatte, sich bereitwillig entwaffnen zu lassen. »Daniel?«
Vor Erleichterung schloss Vhalla die Augen.
»W-wie-wer-was?« Daniels Griff lockerte sich ein wenig. »Nein, nein, das ist unmöglich. Es ist unmöglich.« Knurrend riss Daniel Vhalla wieder an sich und verstärkte seinen Griff noch. »Lüg mich nicht an, Geist.«
»Daniel.« Jax hob die Hände, um zu signalisieren, dass von ihm keine Gefahr ausging. Kurz würdigte Vhalla die Ironie dieser Geste, wenn sie ein Mann vollführte, der mit einem bloßen Gedanken eine Flamme heraufbeschwören konnte. »Ich bin es, Jax. Und die Frau, die du da festhältst, ist Vhalla.«
Der Mann, der sie umklammert hielt, die Gestalt, die mit Daniels Stimme sprach und Daniel stark genug ähnelte, um Jax zu überzeugen, gab ein Keuchen von sich, das fast unmenschlich klang. Er stieß ein irres Gelächter aus, das den kleinen Hoffnungsfunken, der sich in Vhalla entzündet hatte, sofort wieder zunichtemachte. »Ich habe keine Ahnung, wer Ihr seid, aber ich weiß, dass Ihr lügt. Lady Vhalla Yarl ist tot.«
Sie wünschte, er würde die Hand ein wenig von ihrem Mund lösen, damit sie sprechen konnte.
»Daniel«, sagte Fitz sanft, der jetzt hinter Jax hervortrat. »Sie ist nicht tot, sie steht direkt …«
»Erzählt mir nicht, dass sie noch lebt! Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie auf der Sonnenlicht-Bühne gestorben ist! Ich habe gesehen, wie er sie dazu gezwungen hat, vor ihm zu knien. Dann hat er seine Monster auf sie gehetzt, und sie haben sie in Stücke gerissen.« Er brüllte beinah und Vhalla hoffte, dass Sehra recht gehabt hatte und es keine Kristallmagie und damit auch keine Monster in ihrer näheren Umgebung gab.
Wer war bei dieser öffentlichen Hinrichtung gestorben?
»Und als Nächstes …«, wieder lachte Daniel und seine Hände zitterten so stark, dass sich seine Dolchspitze in Vhallas Kehle bohrte, »… als Nächstes wollt Ihr mir einreden, dass-dass der Mann, der dort steht …«
Seine Worte erstarben, verwehten im Wind. Aldriks Blick war noch immer voller Zorn und seine Haltung war straff, aber er schaute nicht länger zu Vhalla, sondern zu Daniel. Vhalla nahm an, dass sie sich in die Augen blickten.
»Ich bin Kaiser Solaris«, vollendete Aldrik Daniels Satz gefährlich ruhig.
»Der Allwaltende König Anzbel, er …« Noch mehr heiseres Lachen. »Genug, ich habe keine Ahnung, wer oder was Ihr wirklich seid, aber ich schnappe mir jetzt dieses Pferd und verschwinde. Und es ist mir egal, wenn ich sie dafür töten muss!«
»Du würdest Baldairs Andenken Schande bereiten?!«, rief Jax. Keiner rührte sich. »Daniel, er hat dir einen Befehl erteilt. Er hat dir befohlen, die Frau zu beschützen, die du gerade töten willst. Bis zu deinem letzten Atemzug.«
»Hört auf …«, flüsterte Daniel.
»Nein! Du hast der Goldenen Garde einen Eid geschworen. Und solange dein Herz schlägt, musst du diesen Eid erfüllen«, drängte ihn Jax. Das Messer an ihrem Hals zitterte, aber Vhalla ignorierte den Schmerz, so gut es ging. »Bruder.« Bei diesem einen Wort kippte alles. »Lass sie los.«
Ganz plötzlich verschwand das Messer und Daniels Griff erschlaffte. Doch Jax traute seinem Waffenbruder in dessen gegenwärtigem Zustand wohl nicht vollständig, denn er sprang nach vorn, griff nach Vhalla und zog sie halb hinter sich.
Jetzt konnte sie den Mann, den alle anderen die ganze Zeit schon im Blick hatten, näher betrachten. Den Mann, den sie, der Mutter sei Dank, nicht getötet hatte. Daniel wirkte ausgezehrt. Seine Rüstung war mit Blut verkrustet und um seinen Unterarm, an dem die Armschiene fehlte, waren gelb verfärbte Verbände gewickelt. Schweiß und Schmutz ließen sein Haar glatt am Kopf anliegen. An seinem Kinn wucherte ein Bart.
Nichts davon bereitete Vhalla Sorgen. Ein Körper konnte gewaschen, Verletzungen konnten behandelt werden. Es waren Daniels Augen, die einen Schmerz in ihr entfachten. In seiner Seele war etwas zerstört worden, etwas, das kein Heiltrank und keine Salbe wiedergutmachen konnten.
»Daniel, ich bin es.« Sie zog ihre Kapuze zurück und suchte in seinem Gesicht nach Spuren des Mannes, neben dem sie marschiert und von dem sie so viel gelernt hatte.
»I-ich habe dich am Hals verletzt«, stammelte er.
Vhalla legte eine Hand an ihre Kehle. »Das hast du. Aber mach dir keine Sorgen, es tut nicht weh.«
»Ich hätte dich beschützen sollen.« Daniel begann zu schwanken. »Und dann habe ich gesehen, wie du gestorben bist.«
»Mir geht es gut.« Vhalla machte einen Schritt nach vorn. Jax warf ihr einen warnenden Blick zu und Vhalla reagierte, indem sie ihn wütend anfunkelte. Der Westländer hielt sie nicht auf, blieb aber nah bei ihr, während sie auf Daniel zuging. Je näher sie an ihn herantrat, desto klarer erkannte sie in ihm einen gebrochenen Menschen. Kühn ergriff Vhalla seine Hände und Daniel erschreckte sich angesichts der Berührung fast zu Tode. »Siehst du, mir geht es gut. Dir allerdings nicht. Komm mit in die Hütte. Du musst raus aus der Kälte.«
Za schlug vor, dass sie und Sehra an Vhallas Stelle Wache hielten. Sie betrachtete Daniel mit einigem Argwohn. Auch ohne die beiden Nordländerinnen war es drinnen noch sehr eng, was Daniel sichtlich nervös machte. Sein Blick irrlichterte durch den Raum.
»Elecia, schaust du dir bitte seine Verletzungen an?«, bat Vhalla die Westländerin.
Elecia sah zu Jax und Aldrik, die ihr beide stumm zunickten. Eine gewisse Unsicherheit ging von der Heilerin aus, trotzdem tat sie ihre Pflicht. Doch sobald sie ihre Hände auf seinen Unterarm legte, riss Daniel sich grob von ihr los.
»Nein!« Er bewegte sich ungelenk zur Seite. »Fasst-fasst mich nicht an.«
»Daniel, wir können dir nicht helfen, wenn du …«
»Ich habe sie umgebracht!« Er machte einen Satz nach vorn und packte Vhalla so fest an den Oberarmen, dass sie wahrscheinlich blaue Flecke bekommen würde. »Versucht nicht, mich zu heilen, ich bin zerstört.« Daniel schüttelte sie, woraufhin ihr der Schmerz brennend in die rechte Schulter schoss und sie zischend nach Luft schnappte.
»Bruder, hör auf«, ging Jax dazwischen. »Du tust ihr schon wieder weh.«
In absolutem Entsetzen sah Daniel sie an, dann stieß er Vhalla beinahe um, als er hastig zurückwich. Mit gebrochenem Herzen sah Vhalla zu, wie der Mann zu Boden sank, die Knie eng an seine Brust zog und den Kopf in den Händen barg.
»Ich habe getötet, sie sind tot, sie sind tot, sie sind tot, und ich habe sie getötet, es war …«, murmelte er und wiegte sich dabei ruckartig vor und zurück.
Vhalla schlang beide Arme um seine Schultern. Er erstarrte, wehrte sich aber diesmal nicht mehr gegen die Berührung. »Hör auf«, sagte sie leise. »Erlaube Elecia, dich zu untersuchen.«
Daniel winselte und wand sich, doch solange Vhalla ihn an sich drückte, ließ er sich von Elecia behandeln. Es war umständlich, seine Wunden zu versorgen, während Vhalla ihn umschlungen hielt, aber Elecia besaß genug Takt, um kein Wort darüber zu verlieren.
Als die Heilerin fertig war, löste Vhalla die Arme und fragte: »Warum bist du hier?«
»Ich-ich bin geflohen.« Der Ostländer verschluckte sich fast an diesen Worten und gab einen gepeinigten, erstickten Laut von sich.
»Was ist passiert?«, drängte Jax.
Daniel fasste sich an die Schläfen und blickte ins Leere. Er begann zu weinen, die Tränen bahnten sich ihren Weg durch das Blut und den Dreck auf seinen Wangen.
»Daniel …«
»Nein! Nein!«
»Soldat«, mischte sich Aldrik entschieden ein. Daniel erstarrte. »Das ist ein Befehl von deinem Kaiser: Erstatte Bericht.«
Vhalla hätte ihn wegen seines Tonfalls am liebsten gescholten, aber Aldrik hatte offenbar etwas bemerkt, das ihr entgangen war. Durch seinen Befehl rastete Daniels Verstand wieder ein, seine Atmung wurde ruhiger und in seinen Blick kehrte eine gewisse Vernunft zurück.
»Er-er war allein. Er kam einfach rein und keiner dachte auch nur im Traum daran, ihn aufzuhalten. Bis die erste Gruppe von Wachen starb.« Niemand musste nachfragen, wen Daniel mit »er« meinte. »Es hätte kein großes Problem sein dürfen, ihn zu überwältigen, schließlich war er allein. Aber jedes Mal, wenn jemand fiel, berührte er dessen Auge und verwandelte es in einen dieser Steine – dieser Kristalle.«
Bei der Erinnerung an ihre Begegnung mit dem Mitglied der Palastwache in dem Dorf in der Nähe von Fitz’ Zuhause krampfte sich Vhallas nahezu leerer Magen zusammen.
»Plötzlich erhoben sich die Toten wieder. Sie kämpften für ihn. Sie waren tot, liefen aber immer weiter herum, bis dieses grässliche, grässliche blaugrüne Licht verblasste.« Daniel drehte sich fast flehend zu Vhalla. »Was hätten wir denn tun sollen?«
»Mein Vater?«, fragte Aldrik, aber als Vhalla Daniels Miene sah, wünschte sie, er hätte es nicht getan.
»Sein Tod war nur der Anfang.« Daniel schaute zu Jax. »Nur wir beide sind noch übrig, Bruder.«
»Was ist mit dem Rest der Goldenen Garde geschehen?« Ein düsterer Ernst lag in Jax’ Worten.
»Raylynn hat versucht, Baldairs Leiche vor ihm zu schützen. Damit er ihn nicht schändete, wie er es getan hat. Du weißt ja, wie sie und der Prinz zueinander standen. Nie waren sie einander gleichgültig, immer gab es da eine Anziehung. Sie starb bei der Verteidigung seines Leichnams.« Daniel bekam einen Schluckauf. »Der Allwaltende König zerschmetterte Erion beide Beine, nahm ihm die Kleider weg, setzte ihn auf ein Pferd und schickte ihn zurück in den Westen. In dieser Kälte kann er niemals überlebt haben.«
»Und Craig?«, fragte Jax nach einer langen Pause.
»Craig und ich …« Auf einmal sprach Daniel zu schnell, die Worte brachen aus ihm heraus wie eine Lawine. »Erion sagte, wir sollten uns Victor beugen, und dass wir niemandem helfen würden, wenn wir auch starben. Erion war als Botschaft an den Westen besser geeignet, also … hob uns Victor für seine Monster auf.«
»Monster?«, flüsterte Vhalla.
»Diejenigen, die seinen Unwillen erregten, wurden in die Räume gebracht. Sie wurden der Verderbnis der Kristalle ausgesetzt … Zunächst ging es ihnen gut, aber dann, ihre Schreie, ihre Körper. Die Körper veränderten sich, sie veränderten sich. Bei der Mutter, ihre Schreie – ihre Schreie, als ihre Haut aufriss, um Platz zu schaffen für Klauen und Flügel und Hörner und Schuppen und …«
Wieder fing er zu weinen an.
»Genug, das ist jetzt genug«, versuchte Vhalla ihn zu besänftigen.
»Fass mich nicht an!« Daniel schien wieder in seinen alten Zustand zurückzufallen. Er schwankte zwischen Fassungslosigkeit, Gewalttätigkeit und herzzerreißender Traurigkeit. »Ich habe sie getötet. Dann begannen die Fütterungen. ›Blut, sie müssen einen Geschmack für Blut entwickeln‹, sagte der König. ›Sie brauchen Frischfleisch‹, sagte der König. Craig und ich, wir waren gemeint. Wir wussten, dass einer von uns als Nächster an der Reihe sein würde. Craig sagte, er wollte mir die Möglichkeit geben, zu überleben. Er bot sich als Opfer an – in dem Wissen, dass ich derjenige sein würde, der ihn an die Monster verfüttern würde – in dem Wissen, dass er mir damit die Gelegenheit zur Flucht verschaffte. Er schrie meinen Namen, als sie ihn auffraßen. Er schrie meinen Namen, als ich floh.«
Vhalla war vor Entsetzen wie betäubt. Sie hatte Mühe, Worte zu finden, nach allem, was Daniel hervorsprudelte.
»Wenn er mich findet, werde ich auch verfüttert. Oder er verwandelt mich in ein Monster.« Daniel schaute zu Jax. »Liefert mich ihnen nicht aus. Lasst nicht zu, dass er mich bei einer Feier seiner Blutwache opfert, die trunken von Blut und Macht ist. Lasst nicht zu, dass sein Hofstaat von Magiern mich in die Finger bekommt.«
»Bruder, jetzt ist alles gut«, log Jax.
Nichts mit Daniel war gut. Nichts an ihrer Situation oder an der Welt um sie herum war gut.
»Wir bringen dich nach Hause«, schwor Vhalla. »Wir sind unterwegs in den Osten.«
Das alles war ihre Schuld. Sie hatte Victor geholfen und diese Mächte entfesselt. Und außerdem: Wenn sie Daniel in ihrer Nähe behalten und ihm eine bessere Freundin gewesen wäre, dann wäre er vielleicht schon vorher bei ihnen gewesen. Vielleicht hätte Jax dann daran gedacht, ihn mitzunehmen, ehe er in jener dunklen Nacht zu den Kristallhöhlen aufgebrochen war. Sie hatte so viele Fehler gemacht. Wie viele Menschen, die sie liebte, würden noch dafür bezahlen?
»Er wird uns nur aufhalten.« Elecia konnte ihre Überlegungen offenbar nicht für sich behalten.
»Er braucht unsere Hilfe.« Selbst Fitz schien überrascht über Elecias herzlose Schlussfolgerung.
»Wir brauchen selbst Hilfe.« Elecia wich nicht von ihren Überzeugungen ab. »Er wird uns aufhalten, er ist ja schon halb verrückt. Ganz zu schweigen davon, dass wir auch ihn in Gefahr bringen, nun da er weiß, dass wir noch am Leben sind.«
Vhalla hielt inne, um Elecias Argumente abzuwägen. Das war der Grund, warum sie die Charems verlassen hatten. Doch die Charems waren in der Lage, kluge Entscheidungen zu treffen. Daniel war wie ein Kind, das sich im Wald verirrt hatte.
»Die Sache ist entschieden.« Sie hatten jetzt die Verantwortung für Daniel, und Vhalla würde ihn nach Hause bringen. Dazu war sie fest entschlossen.
Elecia schnaubte. »Mit welchem Recht entscheidest du das?«
»Mit dem Recht der zukünftigen Kaiserin!«, gab Vhalla zurück, so schnell, dass ihr fast selbst schwindlig wurde.
Alle hielten den Atem an, und Vhallas Herzschlag verlangsamte sich. Die zukünftige Kaiserin.
Aldrik tat nichts, um ihren Anspruch infrage zu stellen.
»Na schön«, schnaubte Elecia. Sie wirkte beinahe zufrieden über Vhallas Verkündigung, obwohl sie deren Zorn auf sich gezogen hatte.
»Werdet ihr mir wirklich helfen?« Daniel blickte zu ihr auf.
»Das werden wir.«
»Warum? Danke. Aber warum?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Ich bin wertlos. Ich kann nicht … ich bin erbärmlich, wertloser als ein Wurm. Ich habe meinen Bruder getötet und seinen Tod genutzt, um meine eigene Haut zu retten. Ich verdiene es, ein Monster zu sein.« Er begann zu jammern. »Lasst nicht zu, dass ich eines werde!«
»Schsch, genug«, sagte Vhalla besänftigend und fuhr Daniel mit der Hand über das fettige Haar. »Es ist entschieden. Und jetzt iss etwas und dann ruh dich aus. Bei Sonnenaufgang ziehen wir weiter.«
Daniel aß eine winzige Portion von ihren Vorräten und das Essen schien ihn ein wenig zu beruhigen. Die Übrigen nutzten die Gelegenheit, um sich wieder hinzulegen – in der Hoffnung, dass Daniel ihrem Beispiel folgen würde. Was er tatsächlich tat. Er rollte sich nahe neben Vhalla, die sich wie immer an Aldrik schmiegte, zu einer Kugel zusammen. Jax quetschte sich in die Nische zwischen Daniel und Vhalla. Das Flattern seiner Augenlider verriet ihn. Solange Daniel derart instabil und in Vhallas Nähe war, würde Jax selbst beim Schlafen immer ein Auge auf ihn haben.
Aldriks Berührung, seine Wärme und sein Atem besänftigten Vhallas angespannte Nerven, als sie sich unter seinem Umhang zusammenkuschelte. Ihr Blick ruhte auf Daniel, wobei sie instinktiv noch näher an Aldrik heranrückte, weil sie spürte, wie Daniel sie musterte und sein Urteil fällte. Sobald Vhalla und Aldrik sich eingestanden hatten, dass sie mehr als nur Prinz und Untertanin waren, hatte auch Daniel Verdacht geschöpft. Aber dies war das erste Mal, dass er sie wirklich zusammen erlebte.
»Du wirst Kaiserin sein?«, flüsterte Daniel.
»Das wird sie«, antwortete Aldrik.
Wieder stieß Daniel sein irres Lachen aus. »Nein. Nein, das werdet ihr nicht. Es gibt nicht länger einen Thron, für keinen von euch. Nur Blut.«
Dann ließ er sich wieder auf den Boden sinken, diese leere Hülse ihres Freundes, des Mannes, der ihr Geliebter hätte sein können. Er betrachtete sie und Aldrik mit einem wilden Funkeln in den Augen. Ein verstohlener Blick, der von den Schrecknissen erzählte, die nur er kannte.
VIER
Am nächsten Morgen war Vhallas Schulter so steif, dass sie das Gelenk fast nicht mehr bewegen konnte. Sie hatte nicht über ihre Schlafposition nachgedacht und die ganze Nacht zusammengekrümmt und eng an Aldrik gepresst dagelegen. Behutsam begann sie, ihre Schulter zu massieren.
»Wie regeln wir das mit den Pferden?«, fragte Fitz mit einem Seitenblick auf Daniel.
»Wir müssen uns heute irgendwo mit weiteren Vorräten eindecken«, überlegte Vhalla laut. »Dann gucken wir, ob wir noch ein Pferd auftreiben können.«
»Es gibt kaum mehr Pferde«, meldete sich Daniel zu Wort. »Da alle aus dem Süden fliehen wollen. Das war ja auch der Grund, warum i-ich …« Sein Blick fiel auf die blassrote Stelle an Vhallas Hals und er begann zu schwanken, taumelte einen halben Schritt zurück. »Es tut mir so leid, Vhalla.«
»Schon gut, Daniel.« Sie lächelte ihn tapfer an, als Vorbild für alle anderen. Eine stumme Erinnerung daran, dass er jetzt zu ihrer Gruppe gehörte. »Wir reiten ins nächste Dorf. Es gibt eins, kurz bevor der Weg nach Osten abzweigt. Dort versuchen wir weiteren Proviant und ein Pferd zu bekommen.«
»Und bis dahin?«, wiederholte Fitz seine vorherige Frage.
»Vhalla und ich reiten zusammen auf einem Pferd«, verkündete Aldrik. »Und zwar auf Blitz.« Er zeigte auf das Pferd, auf dem für gewöhnlich Vhalla ritt – das Pferd, das sie auch auf dem Marsch bis Estrela geritten hatte. »Gib Daniel deinen Umhang, Vhalla. Du kannst mit unter meinen schlüpfen.«
»Das … es ist, es ist zu viel. Das verdiene ich nicht.« Nur zögernd griff Daniel mit seinen zitternden Fingern nach dem Umhang, den sie ihm in die Hände drückte. »Danke. Es tut mir leid. Danke.«
»Nimm die Hilfe an, Bruder«, ermunterte ihn Jax.
Aldrik schwang sich in Blitz’ Sattel, rutschte ein Stück nach vorn und zog dann den Fuß aus dem Steigbügel, damit Vhalla ebenfalls aufsitzen konnte. Sie verlagerte ihr Gewicht so, dass sie es beide bequem hatten.
»Schlüpf unter meinen Umhang«, forderte Aldrik sie auf.
»Aber dann sehe ich nichts.«
»Du zitterst jetzt schon. Und außerdem hältst du ohnehin nicht die Zügel.«
Vhalla verabschiedete sich mit einem Nicken von ihren Freunden und hob den Saum seines Umhangs an, um ihn sich über Kopf und Körper zu ziehen. Dann legte sie ihre Arme um Aldriks Taille und drückte sich eng an ihn. Er strahlte wie immer große Wärme ab, war ihr persönliches Lagerfeuer. Es stellte sich fast etwas wie Gemütlichkeit ein unter dem schweren Stoff. Die Welt reduzierte sich auf Aldriks langsamen, regelmäßigen Atem; das Geräusch wusch ihre Anspannung weg wie Wellen, die an den Strand brandeten. Als sich Blitz in Bewegung setzte, schloss Vhalla die Augen und tat so, als wären sie nicht auf der Flucht, sondern im Begriff, sich in ein großes Abenteuer zu stürzen.
Sie hatte genug Abenteuer erlebt. Vhalla seufzte leise. Für einen kurzen Moment stellte sie sich vor, dass sie eigentlich nur unterwegs war, um ihren Vater zu besuchen. Nicht mehr und nicht weniger.
»Wird Blitz das schaffen?«, fragte sie unruhig. Das Pferd war nicht daran gewöhnt, zwei Reiter zu tragen.
»Ja«, sagte Aldrik knapp und zog sich die Kapuze über den Kopf. Das Ohr an seinen Rücken gepresst hörte Vhalla in perfekter Klarheit das tiefe Grollen seiner Stimme. »Er stammt aus derselben Blutlinie wie Baston. Blitz ist ein kräftiges Pferd. Ihn trennt nur eine Generation von einem reinrassigen Schlachtross.«
»Was?« Vhalla war überrascht.
»Als ich wusste, dass du in den Krieg ziehen würdest, wollte ich, dass du ein verlässliches Pferd bekommst. Doch es war unmöglich, in so kurzer Zeit ein richtiges Schlachtross zu beschaffen, schon gar nicht, ohne dass jemand Fragen stellt. Doch Blitz war wendig und schnell; jedenfalls schien er gut zu dir zu passen.«
»Warum hast du mir das nicht erzählt?«, wollte Vhalla wissen.
»Auf dem ersten Abschnitt unseres Marsches war ich ratlos, wie ich es dir sagen sollte. Wie hätte das denn ausgesehen? Dass ich eine Rüstung für dich schmiede? Ein Pferd für dich aussuche? Ich wollte nicht schon wieder ›Marionettenspieler‹ genannt werden.«
Das aus seinem Mund zu hören, entlockte Vhalla ein belustigtes Schnauben. Sie rieb ihre Nase sanft an Aldriks Rücken und spürte, wie aus seinem Bauch ein Lächeln aufstieg, das bis hinauf zu seinen Lippen wanderte.
»Du bist so dumm«, hauchte sie. »Ich danke dir. Und ich danke dir auch für deine Hilfe mit Daniel.«
Aldrik schwieg für längere Zeit. »Ich weiß, dass er dir etwas bedeutet.«
»Das tut er.« Vhalla leugnete es nicht.
»Du und er …« Aldrik verstummte, offenbar wusste er nicht genau, ob er Vhalla zu diesem Thema wirklich weiter befragen sollte.
Vhalla wollte nicht, dass Aldrik Unsicherheit verspürte, aber es hatte fast etwas Beruhigendes, daran erinnert zu werden, dass er sterblich war und wie alle Menschen Hemmungen haben und eifersüchtig sein konnte.
»Zwischen uns war nichts«, versicherte sie ihrem Verlobten. »Es hätte etwas sein können, aber da war nichts. Ich hatte dir mein Herz versprochen.«
Aldrik ließ die Zügel mit einer Hand los und verschränkte seine Finger mit ihren. Vhalla seufzte zufrieden. Sein Daumen strich über ihr Handgelenk, während die Bewegung des Pferdes sie einlullte, bis sie halb benommen war.
»Ich werde dafür sorgen, dass du diese Entscheidung niemals bereust. Niemals wieder«, gelobte Aldrik.
»Das verspreche ich dir auch.«