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**Liebe ist Licht und die machtvollste Waffe in einer Welt, die in Finsternis versinkt.** Nach einem Schicksalsschlag muss die 19-jährige Aila vor einer Armee aus verfluchten Soldaten fliehen. Nur knapp entkommt sie dem sicheren Tod, bis sie endlich auf Kronprinz Jari und seine Männer trifft und bei ihnen Zuflucht findet. Der rechtmäßige Herrscher des Reiches sucht verzweifelt nach einem Weg, den schwarzen König und seine zerstörerische Dunkelheit zu bekämpfen. Während Aila sich unerwartet stark zu dem Kronprinzen hingezogen fühlt, ist auch Jari zunehmend fasziniert von der jungen Frau. Er ahnt jedoch nicht, dass sie nicht nur ein gebrochenes Herz verbirgt, sondern auch ein Geheimnis, das sie alle in Gefahr bringen könnte. Hoffnung besteht nur, wenn es Aila gelingt, ihr Herz erneut zu öffnen … Strangers to Lovers in hoch spannender Royal High Fantasy-Atmosphäre. //»Curse of the Dark« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//
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Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Lilyan C. Wood
Curse of the Dark
**Liebe ist Licht und die machtvollste Waffe in einer Welt, die in Finsternis versinkt.**Nach einem Schicksalsschlag muss die 19-jährige Aila vor einer Armee aus verfluchten Soldaten fliehen. Nur knapp entkommt sie dem sicheren Tod, bis sie endlich auf Kronprinz Jari und seine Männer trifft und bei ihnen Zuflucht findet. Der rechtmäßige Herrscher des Reiches sucht verzweifelt nach einem Weg, den schwarzen König und seine zerstörerische Dunkelheit zu bekämpfen. Während Aila sich unerwartet stark zu dem Kronprinzen hingezogen fühlt, ist auch Jari zunehmend fasziniert von der jungen Frau. Er ahnt jedoch nicht, dass sie nicht nur ein gebrochenes Herz verbirgt, sondern auch ein Geheimnis, das sie alle in Gefahr bringen könnte. Hoffnung besteht nur, wenn es Aila gelingt, ihr Herz erneut zu öffnen …
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Vita
Danksagung
© Stefanie Blaumeiser
Lilyan C. Wood wurde 1985 in Saarbrücken geboren und lebt nach einem Zwischenstopp in Baden-Württemberg wieder im beschaulichen Saarland. Hauptberuflich bringt sie als Grundschullehrerin Kindern u. a. das Rechnen, Lesen und Schreiben bei. Seit ihrer Kindheit denkt sie sich fantastische Geschichten und Figuren aus und traute sich 2015 endlich, ihre Fantasie auch zu Papier zu bringen. Seitdem geht sie in jeder freien Minute ihrer größten Leidenschaft, dem Schreiben, nach.
Mein Herz rast, Schweißperlen stehen mir auf der Stirn. Eine Hand auf die Brust gepresst starre ich in die Dunkelheit, die nur durch das entfernte Flackern von Flammen durchbrochen wird. Vereinzelt schimmern am Nachthimmel über uns Sterne. Der Mond ist so schmal, dass er die Finsternis kaum erhellt. Mein Atem geht schwer. Ich erinnere mich nicht, aus welchem Traum ich gerissen wurde, doch er muss mich zu dem Ort zurückgeführt haben, an dem mein Leidensweg begonnen hat – nach Hause. Das spüre ich an dem dumpfen Schmerz, der in mir schwelt. Es ist fast jede Nacht dasselbe.
Fahrig reibe ich mir über die Arme, um die hässlichen Erinnerungen abzuschütteln, und sehe zu Katriina hinüber, deren Umrisse ich in der Dunkelheit nur erahne. Ihre Atemgeräusche sind regelmäßig, ihr Körper rührt sich nicht. Ich beneide sie um den tiefen Schlaf. Ob sie von friedlicheren Zeiten träumt? Wir sind im Lager ständig von Soldaten umringt. Ihre Nähe macht es mir unmöglich, den Gedanken an den Krieg zu verdrängen. Ich denke beim Einschlafen daran ebenso wie beim Aufwachen. Daher wundert es mich nicht, dass er meine Träume beeinflusst.
Eine Weile sitze ich still auf der Schlafstätte, bis sich mein Herzschlag beruhigt hat. Vergeblich versuche ich, eine gemütliche Stellung zu finden, denn der harte Ackerboden macht es mir nicht leicht. Die Kälte des Untergrunds dringt durch die Matte und kriecht in meinen Körper. Fröstelnd schlinge ich die dünne Decke enger um meine Schultern und wälze mich auf die andere Seite. Was würde ich für ein wärmendes Feuer geben. Doch es könnte mich schlimmer treffen. Mit einem Kloß im Magen denke ich an die Tage, in denen ich im Wald geschlafen habe – mutterseelenallein und mit der ständigen Angst im Nacken, von den Kirottu, den verfluchten Soldaten des schwarzen Königs, entdeckt und ermordet zu werden. Zweifellos ziehe ich den Ackerboden den grausamen Kriegern vor und übe mich in Dankbarkeit, bei diesem Trupp der Armee Valokirkas’ Zuflucht gefunden zu haben.
Endlich liege ich halbwegs gemütlich und schließe müde die Augen, da nähern sich knirschende Schritte. Angespannt lausche ich. Jemand nähert sich! Blind taste ich nach dem Dolch meines Vaters, den ich unter der Matte verstecke. Mein Herz macht einen Satz, als die Fingerspitzen auf den kühlen Griff treffen. Langsam schließe ich die Hand darum und warte, bis das Geräusch der Schritte so nahe ist, dass sich meine Nackenhärchen aufstellen. Ich spanne die Muskeln an, bereit, die Waffe zu ziehen und um mein Leben zu kämpfen. Plötzlich herrscht Stille.
»Lass den Dolch stecken, Aila«, sagt jemand leise.
Erleichtert stoße ich beim Klang der bekannten Stimme den Atem aus und setze mich auf. Die Anspannung fällt von mir ab. Ich sehe zu dem Mann, der am Fuße von Katriinas Matte steht. Die Lagerfeuer sind so weit von uns entfernt, dass ihre Flammen die Gestalt des Ritters kaum von der Nacht abheben. Wie ein finsterer Schatten ragt er über uns auf.
»Sie schläft«, flüstere ich.
»Tue ich nicht. Nicht mehr …«, nuschelt Katriina verschlafen und richtet sich auf.
»Macht es dir etwas aus, wenn ich euch Gesellschaft leiste, Aila?«, fragt Otso. »Die Nacht kann sehr einsam sein.« Schmerz und Trauer schwingen in seiner sonst energischen Stimme mit.
Verhalten räuspere ich mich. »Solange ihr mich schlafen lasst«, entgegne ich. Zwar bezweifle ich, dass sich die Schrecken des Krieges in den Armen einer schönen Frau verscheuchen lassen, doch schwingt mehr als das Verlangen nach körperlicher Nähe in der Bitte des Ritters mit. Es ist der Wunsch nach Heilung. Nach Geborgenheit und Liebe. Zu gut sind mir diese Sehnsüchte bekannt. Es schmerzt, bloß an sie zu denken.
Geräuschvoll klopft Katriina auf ihre Matte. Obwohl es finster ist, wende ich taktvoll den Blick ab, als sich Otso niederlässt und die beiden zu einem Schatten verschmelzen. Leise seufzt meine Freundin. Es ist nicht nur Ablenkung, die sie in seinen Armen sucht, sondern die Vorstellung, glücklich zu sein und Geborgenheit zu finden. Der Gedanke berührt etwas in mir. Alte Gefühle kochen hoch und reißen mich in einen Strudel, der mich ins Verderben zerrt, wenn ich sie nicht schleunigst unterdrücke. Angestrengt kämpfe ich dagegen an und dränge die Erinnerungen an eine glücklichere Zeit in die Tiefen zurück, aus denen sie gekrochen sind. In dem Versuch, Halt zu finden, klammere ich die Finger um die dünne Decke, ziehe die Beine an und stütze die Stirn auf meine Knie. Diese verdammten Empfindungen frischen die seelischen Wunden immer wieder auf, die mir dieser Krieg zugefügt hat.
In der Ferne ertönen plötzlich Schreie. Erschrocken richte ich mich auf und zucke zusammen, als jemand unweit von uns schrill kreischt.
»Kirottu!«, rufen die Ersten. Laut hallen die Warnungen über den Acker, doch sie werden rasch vom Lärm der Soldaten übertönt, die trampelnd umherrennen und Befehle brüllen.
Eine Gänsehaut jagt mir über Arme und Nacken. Mein Puls schießt in die Höhe, pocht an meinem Hals.
Sie sind hier!
Hölzernes Rattern und Knarzen übertönen die Rufe, gefolgt von einem lauten Surren. Kurz darauf springt Otso fluchend auf und sieht nach oben. Ich folge seinem Blick und versteife mich. Am Nachthimmel tauchen Feuerkugeln auf, die die Dunkelheit erhellen und auf das Lager niedersausen. Krachend schlagen sie verstreut auf dem Acker ein und lassen die Erde erzittern. Es geht so schnell, dass ich nur zusehen kann. Flammen fressen sich in die Kleidung der Soldaten, die schreiend durch das erwachte Chaos rennen. Wie lebende Fackeln brechen manche zusammen und wälzen sich verzweifelt auf dem Boden.
Im Schein der Brände beugt sich Otso zu Katriina hinab und zerrt sie auf die Beine. Zeitgleich schüttle ich die Starre ab, greife Vaters Dolch und rapple mich auf.
Der Ritter packt meine Freundin und sieht sie eindringlich an, während sie mit aufgerissenen Augen erstarrt ist. »Verlasst das Lager und lauft in die Berge! Bleibt nicht stehen, schaut nicht zurück! Los!« Ohne ein weiteres Wort rennt er fort und verschwindet im Getümmel.
Katriina presst sich mit einem Aufschrei die Hand vor den Mund und starrt ihm hinterher. Dann wirbelt sie zu mir herum und klammert sich an meinen Arm. Sie zittert am ganzen Leib. »Aila …«, schluchzt sie.
»Warte, ich muss mich orientieren!« Gehetzt sehe ich mich um und versuche, mir in dem Durcheinander einen Überblick zu verschaffen. Die Feuerbälle, die im Lager eingeschlagen haben, tauchen die Umgebung in flackerndes Licht. Die Kirottu müssen unbemerkt mit Katapulten herangerückt sein. Es stinkt nach Pech, mit dem die Geschosse getränkt sind. Soldaten rennen an uns vorbei, doch ich erkenne kaum mehr als flüchtige Schemen. Düstere Schatten stürzen sich auf die Männer und bringen sie zu Fall.
Hektisch zerre ich Katriina am Arm mit mir, als zwei Gestalten rangelnd auf uns zu halten. Wenige Schritte vor uns gehen sie zu Boden – eine Klinge blitzt auf. In einer flüssigen Bewegung schneidet der Kirottu dem Soldaten die Kehle durch. Scharf ziehe ich den Atem ein, während sich die Angst vor den Verfluchten in meine Eingeweide gräbt.
»Scheiße!«, stößt Katriina aus und klammert sich enger an mich.
Wir stolpern von dem Mann zurück, der sich über seinem Opfer aufrichtet. Selbst im Licht der Feuer erkenne ich den schwarzen Nebel, der sich wie eine Schlange um die Klinge seines Schwertes windet. Mit einem schiefen Grinsen sieht der Kirottu zu uns. Sein Anblick lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Schwarze, filigrane Linien ziehen sich in einem rankenartigen Muster über sein Gesicht und den Hals hinab, bis sie unter der dunklen Uniform verschwinden. Die Augen sind so finster wie eine sternenlose Nacht.
»Er ist verflucht«, bringt Katriina mit bebender Stimme hervor, als sähe sie einen Kirottu zum ersten Mal aus dieser Nähe.
»Das sind sie alle«, entgegne ich gepresst und umklammere den Griff meines Dolches, bis die Hand schmerzt. Jeder Muskel ist angespannt.
Der Kirottu marschiert auf uns zu und ich wappne mich gegen seinen Angriff, doch da stellt sich ihm einer der Soldaten von Valokirkas in den Weg. Mit einem Klirren und Schleifen, das mich schüttelt, treffen die Schwerter der beiden aufeinander. Glühende Funken streben von den Klingen auf.
Beherzt ziehe ich Katriina von den Kämpfenden fort. Die Geräusche im Lager sind ohrenbetäubend. Es poltert und kracht bei jedem Einschlag einer Feuerkugel, Holz berstet, Menschen rufen panisch durcheinander. Der Gestank von verbranntem Fleisch und versengten Haaren steigt mir in die Nase und dreht mir den Magen um. Über all den Lärm hinweg höre ich die Schlachtrufe der Kirottu, die uns einkesseln. Die Geräuschkulisse facht die Panik an, die wie eine Druckwelle durch meinen Körper braust und den Herzschlag beschleunigt.
»Wir schaffen es nie aus dem Lager«, ruft mir Katriina schrill zu.
Flüchtig sehe ich zu ihr. Sie ist bleich wie ein Laken, Schatten huschen über ihr Gesicht und sie hat die Augen weit aufgerissen, als könnte sie nicht einmal mehr blinzeln.
Kurzerhand bleibe ich stehen, ringe meine eigene Angst nieder und beuge mich zu ihr vor. »Wir finden einen Weg hier raus. Hörst du? Wir werden nicht sterben – nicht diese Nacht!«
»Nicht sterben …«, murmelt sie und nickt. Tränenspuren schimmern auf ihren Wangen.
Gnadenlos ziehe ich sie weiter durch das Getümmel aus umherrennenden Menschen. Ständig werden wir angerempelt. Um Katriina nicht zu verlieren, klammere ich die Finger angestrengt um ihre Hand. Mühsam dränge ich die Verzweiflung nieder, die sich heiß durch mein Inneres windet. Es ist kaum mehr möglich, den Soldaten auszuweichen und nicht in deren Kämpfe verwickelt zu werden. Auf der Suche nach einem Ausweg aus diesem Chaos sehe ich mich um. Es fällt mir zunehmend schwerer, Freund von Feind zu unterscheiden. Unaufhörlich pocht in meiner Brust die Angst, es nicht lebend aus dem Lager zu schaffen. Sie steigt mir in den Kopf, will mein Denken lähmen und mich drängen, unüberlegt wegzurennen. Doch ich reiße mich zusammen. Es wäre unser Todesurteil, wenn wir den Kirottu direkt in die Arme liefen.
Nicht weit von uns entfernt schlägt ein Feuerball krachend ein. Erschrocken und mit einem Dröhnen in den Ohren wirble ich in die Richtung herum, von der Erdbrocken und Funken in die Höhe spritzen. Vor Schreck quetscht Katriina meine Hand in ihrem Griff und presst sich eng an mich. Wild trommelt mein Herz in der Brust. Menschen weichen vor den Flammen zurück und reißen uns mit. Im nächsten Augenblick zwängt sich eine Gestalt durch die Menge und prallt gegen uns. Jemand zerrt mich mit sich und Katriinas Hand wird aus meiner gerissen. Ihr Aufschrei geht in dem Lärm unter. Verzweifelt um mich schlagend befreie ich mich aus dem Griff, stolpere und schlage hart auf dem Boden auf. Ein scharfer Schmerz jagt durch meinen Brustkorb. Ich ringe nach Atem und starre auf die Klinge des Dolches, den ich krampfhaft umklammere. Niemals dem Feind den Rücken zukehren, geht es mir durch den Kopf. Hastig rolle ich herum und reiße die Augen auf, als ein Mann breitbeinig über mich steigt. Mein Blick huscht über die dunklen Linien in seinem Gesicht, ehe ich ihn in die schwarzen Iriden bohre. Kurz wallt Panik in mir auf, die glühend heiß durch mein Inneres stürmt. Der Kirottu beugt sich hinab, um mich zu packen. Die Routine durch das jahrelange Training hilft mir, die Angst schnell zu unterdrücken und zu reagieren. Kraftvoll hole ich mit dem Dolch aus und erwische den Mann am Unterarm. Fluchend zuckt er zurück, was ich nutze, um von ihm fortzukriechen und auf die Beine zu kommen. Hektisch sehe ich mich nach Katriina um, finde sie aber nicht. Die Sorge um sie schnürt mir die Kehle zu. Allerdings bleibt mir keine Zeit, sie zu suchen, denn der Kirottu rennt wieder auf mich zu.
Wie es mich Rakkain und mein Bruder Leevi gelehrt haben, schätze ich die Bewegungen des Mannes ab. Blitzschnell weiche ich dem Angriff aus und drehe mich fort. Bevor er über seinen nächsten Schritt nachdenken kann, bin ich bei ihm und ramme die Dolchklinge in seinen Bauch. Er zuckt zusammen und das Schwert gleitet aus seiner verkrampften Hand. In dem Moment packt er meine Oberarme mit schmerzhaft festem Griff und will mich von sich schieben. Ich stemme mich dagegen und reiße den Dolch gewaltsam in alle Richtungen, sodass die Klinge durch das Fleisch des Mannes schneidet und die Wunde vergrößert. Sein gequälter Schrei klirrt in meinen Ohren und lässt meine Muskeln krampfen. Warmes Blut rinnt mir über die Hände. Auf der Zunge breitet sich ein säuerlicher Geschmack aus, als sich mein Magen hebt. Ich werde mich nie daran gewöhnen, einen Menschen zu töten. Selbst wenn es sich um einen Verfluchten handelt, der mir das Leben nehmen will.
Der Kirottu gräbt die Finger so tief in meine Oberarme, dass ich vor Schmerz das Gesicht verziehe und den Atem anhalte. Dann lässt er schlagartig locker. Mit einem Ruck ziehe ich den Dolch aus seinem Körper und stolpere zurück. Heiß pochen die Druckstellen seiner Finger in meinen Armen. Kein Laut kommt dem Mann mehr über die Lippen. Mit aufgerissenen Augen starrt er mich an und schwankt gefährlich, ehe er auf die Knie sinkt. Den reglosen Blick auf mich gerichtet, kippt er vornüber und bleibt mit dem Gesicht nach unten liegen.
Schwer atmend und mit rasendem Herzschlag sehe ich auf ihn hinab. Ein penetrantes Prickeln im Nacken erinnert mich an die Gefahr, in der ich noch immer schwebe. Schnell stecke ich den Dolch in die Halterung am Gürtel und greife das Schwert des Kirottus, das erstaunlich leicht in der Hand liegt. Der dunkle Nebel, der sonst um die Waffen der Verfluchten wabert, ist verschwunden. Nur die von schwarzen Ornamenten verzierte Klinge erinnert an den Fluch, der sich in den Stahl gebrannt hat. Es widerstrebt mir, es mitzunehmen, doch mit einem Schwert stehen die Chancen, zu überleben, weitaus höher.
Angestrengt suche ich die Umgebung mit dem Blick ab. »Katriina!«, rufe ich. Meine Stimme wird von dem Brüllen der Kämpfenden verschluckt. Stechender Rauch wabert durch das Lager und raubt mir die Sicht. Jemand rempelt mich so hart an, dass ich vorwärts taumle. Das Schwert abwehrend erhoben, wirble ich zu dem vermeintlichen Angreifer herum. Überrascht springe ich zurück, als zwei Männer auf mich zu halten, die mit ihren Waffen aufeinander einschlagen. Gerade, als ich mich aus dem Staub machen will, zieht sich einer der Kämpfenden hinkend zurück, stolpert über eine Leiche und landet rücklings auf dem Boden. In diesem Moment erhasche ich einen Blick auf sein Gesicht und das hellblonde Haar, das sich aus dem Pferdeschwanz gelöst hat. Otso … Verdammt!
Sofort stürzt der Angreifer hinterher und schlägt gnadenlos mit dem Schwert auf den am Boden Liegenden ein. Otso verliert die Waffe und will sich zur Seite rollen, als der Kirottu zusticht. Der Ritter ist nicht schnell genug, die Klinge bohrt sich in seine Schulter. Der schwarze Nebel der Schwertklinge breitet sich aus, um sein Opfer zu verschlingen. Bis hierhin spüre ich die Kälte der Dunkelheit, sie sticht auf meiner Haut. Ich ignoriere die Schauder, welche die eisige Luft begleiten, und renne auf den Kirottu zu, der nur Augen für den Ritter hat. Als er das Schwert aus der Schulter seines Gegners zieht, um ein weiteres Mal auf ihn einzustechen, hole ich mit der Waffe aus. In einer geschmeidigen Bewegung ziehe ich die Klinge über die Seite des Kirottus. Sie ist so scharf, dass sie mühelos durch sein Fleisch schneidet. Der Verfluchte schreit auf und sieht zur klaffenden Wunde am Torso, ehe er wenige Schritte von mir fort taumelt. Blut fließt an seiner Hüfte hinab und tränkt die Hose. Mit aufgerissenen Augen starrt er mich an. Die schwarzen Linien auf der Haut verschwimmen, der Fluch in seiner Seele muss gegen den nahenden Tod ankämpfen. Nur wenige wacklige Schritte schafft der Mann, dann bricht er zusammen.
»Aila?« Verwirrt sieht Otso zu mir hoch, nachdem ich mich ihm zugewandt habe. Er presst eine Hand auf die verletzte Schulter, Blut quillt zwischen seinen Fingern hervor. Selbst in diesem Licht erkenne ich, dass er unter den hellen Bartstoppeln kreidebleich im Gesicht ist.
Trotz zitternder Finger löse ich flink den Gürtel mit der Schwertscheide von dem Toten und binde sie mir selbst um. Nachdem ich mein Schwert hineingesteckt habe, helfe ich Otso auf.
»Du solltest doch fortlaufen!« Gequält verzieht er das Gesicht, als er sein Bein belastet.
»Du bist nur am Leben, weil ich es nicht getan habe«, kontere ich, greife nach seinem Arm und lege ihn mir um die Schultern, um ihn zu stützen. »Komm! So bist du hier niemandem mehr eine Hilfe.«
Als Antwort erhalte ich ein protestierendes Grummeln. Otso entzieht mir den Arm, humpelt wenige Schritte und bückt sich nach seinem Schwert. »Ich werde nicht wie ein Feigling fliehen, während meine Männer kämpfen.«
Schlagartig wird es so hell, dass ich die Augen zukneife – ein weiterer Feuerball kracht in unserer Nähe in das Lager. Erschrocken zucke ich zusammen und presse eine Hand auf meine Brust, in der das Herz trommelt. Knisternd breiten sich die Flammen aus, verschlingen Zelte und Habseligkeiten. Ich fühle mich wie ein gejagtes Tier, jeder Einschlag zehrt mehr und mehr an meinen Nerven, die zum Zerreißen gespannt sind.
»Rückzug!«, ertönen Rufe, kurz bevor die ersten Männer in der blauen Uniform Valokirkas’ an uns vorbeirennen.
»Soldat!« Otso hält einen der Flüchtenden auf. »Wer hat den Befehl gegeben?«
Hektisch sieht sich der Mann um, bis er in eine Richtung weist, aus der Flammen hoch in den Himmel schlagen. »Lord Samu. Die Kirottu dringen tiefer in das Lager vor. Es sind einfach zu viele«, versucht er den Lärm zu übertönen. Nach einem letzten, wilden Blick zurück zum Getümmel reißt er sich los und rennt weiter.
Ich greife Otso am Arm und sehe ihn eindringlich an. »Lass uns gehen!«, flehe ich ihn an.
Frustriert presst er die Lippen aufeinander, dann nickt er und stützt sich auf mich. Sein Gewicht abzufangen, verlangt mir einiges an Kraft ab. Der Ritter ist ein Bär von einem Mann. Dennoch beiße ich die Zähne zusammen und kämpfe mich voran. Der Gestank von Pech, Blut, verbranntem Fleisch und verkohltem Holz strapaziert meinen Magen. Der Rauch brennt in den Augen.
Endlich schaffen wir es aus dem Gedränge und nähern uns dem angrenzenden Dorf, das unangetastet in der Dunkelheit liegt. Die Luft wird klarer. Tief atme ich durch, um den üblen Geruch aus dem Lager zu vertreiben, der sich in der Nase festgesetzt hat. Wir halten inne, als jemand auf uns zu rennt. Erst verspanne ich mich, doch dann ertönt eine liebliche Stimme, bei deren Klang mir ein Stein vom Herzen fällt.
»Aila, den Göttern sei Dank!«
»Katriina …«, stoße ich aus und kämpfe mit den Tränen.
Ihr Blick huscht zu Otso und sofort breitet sich Sorge in ihrer Mimik aus. Sie eilt zu seiner freien Seite und hilft mir, ihn zu stützen.
»Lasst mich machen«, spricht jemand, ehe eine weitere Gestalt aus der Dunkelheit tritt. Ein älterer Soldat scheucht uns fort, sodass sich Otso auf ihn lehnt. Seine Kleidung ist von Blutflecken übersät.
»Harmaa hat mich vor einem Kirottu gerettet«, erklärt Katriina, nachdem sie meine Hand ergriffen hat und wir auf das Dorf zugehen. Leise schluchzt sie. »Ich habe dich nicht mehr gefunden.«
»Jetzt wird alles gut«, sage ich in dem Versuch, sie zu beruhigen, und schenke ihr ein tapferes Lächeln. Allmählich lässt das Adrenalin nach und zurück bleiben nichts weiter als Erschöpfung und die niederschlagende Erkenntnis, abermals einen Zufluchtsort verloren zu haben.
»Wir sollten in die Berge zu Kronprinz Jari und seiner Armee fliehen«, schlägt Otso vor. Er bringt die Worte nur schleppend heraus. Seine Lider flattern und der gewaltige Körper schwankt. Ich fürchte, der Ritter könnte jeden Augenblick das Bewusstsein verlieren. Harmaa muss sein komplettes Gewicht abfangen, damit die beiden nicht stürzen.
Katriina und ich eilen ihnen zu Hilfe, aber der Soldat wehrt uns mit einem Wink ab.
»Du kannst mit einem Schwert umgehen, Aila?«, fragt er und begutachtet die Schwertscheide an meinem Gürtel.
»Kann sie«, antwortet Otso für mich. »Ich habe ihr mein Leben zu verdanken.« Sein Blick bohrt sich in mich. Er sagt mehr aus, als Worte es könnten.
Schweigend nicke ich ihm zu. Er hätte das Gleiche für Katriina oder mich getan, dessen bin ich mir sicher. Wir beschleunigen unsere Schritte, so gut es mit dem verletzten Ritter geht. Der Schlachtlärm im Rücken begleitet uns durch das verlassene Dorf. Wie ein nagendes Insekt bohrt sich der Gedanke in mein Bewusstsein, dass die schwarze Armee an uns heranrückt. Ihre Nähe schnürt mir die Kehle zu und richtet meine Nackenhärchen auf. Im Rücken spüre ich trotz des Flammeninfernos im Lager die Kälte des Fluchs.
Hoffentlich sind wir in den Bergen bei Kronprinz Jari von Valokirkas und seinen Männern sicher vor den Kirottu. Ich habe keine Kraft mehr, fortzulaufen.
Die Sonne lugt kaum noch hinter den Berggipfeln hervor. Tief atme ich die klare Abendluft ein, die merklich abgekühlt ist. Im Gebirge fallen die Temperaturen so rasant, als wollte uns die Kälte überfallen. Der Anblick der Berge verschafft mir eine Gänsehaut. Sie erinnern mich daran, dass uns mein Sehnen nach Freiheit zum Verhängnis wurde. Weil ich einen der Gipfel erzwungen habe, statt im Schloss meiner Eltern zu sein, als diese von Konstantin von Tummavarjo und seiner schwarzen Armee überrollt wurden.
Quälend rast der Schmerz durch meine Brust und zerfetzt mir das Herz. Ich balle die Fäuste und presse die Zähne aufeinander, bis der Kiefer gefährlich knirscht. Ich war nicht da, als Mutter und Vater starben. Als sie mich gebraucht hätten! Unter der Anspannung zittert mein Kinn. Es gelingt mir kaum, die rumorenden Gefühle in Schach zu halten, die mich wie eine glühende Klinge durchbohren. Steif senke ich den Kopf und starre auf die Steine unter meinen Schuhen, weil ich den Anblick der Berge nicht mehr ertrage.
Hätten sich meine Männer und ich im Schloss aufgehalten, wäre Konstantins Überfall nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Wir hätten seine Soldaten zurückgedrängt! Oder wären längst tot … Niedergemetzelt von den Kirottu und ihrem verfluchten, schwarzen König. Verdammt! Ein Beben wandert durch meinen Körper, als ich mich beherrsche, um die Verzweiflung nicht hinauszuschreien. Gepresst stoße ich den Atem aus. Die Vorwürfe, die ich mir mache, sind eine nicht enden wollende Folter. Ich kann nicht damit aufhören, mir die Schuld an allem zu geben. Dabei weiß ich tief im Inneren, dass es keinen Unterschied gemacht hätte. Selbst mit meinen Männern und mir wäre das Schloss von der schwarzen Armee überrannt worden. Und ich würde nicht mehr zwischen Konstantin und seiner Befehlsgewalt über unsere Soldaten stehen. Das Wissen darum schmälert die Schuldgefühle und diesen verdammten Schmerz nicht. Wie ein Sturm wütet die Trauer um meine Eltern in den Eingeweiden. Ich presse mir eine Hand auf die Brust, um die Pein zu ertragen.
Nichts, was ich tue, ändert die Vergangenheit oder bringt mir die Toten zurück. Doch ich kann beeinflussen, was in Zukunft geschehen wird. Die Götter sind Zeuge, dass ich Konstantin büßen lasse, was er meinen Eltern und unserem Volk angetan hat.
Dem Schicksal verdanke ich es, dass meine Schwester in der Nacht des Überfalls nicht im Schloss war. Ich zähle die Tage, bis Lahja mit ihrem Gefolge zu uns stößt. Vorausgesetzt, sie überleben die Reise durch das besetzte Valokirkas. Ich bete jeden Tag zu den Göttern, dass sie ihre schützende Hand über sie halten.
Schritte knirschen auf dem steinernen Boden. Aus dem Augenwinkel erkenne ich eine großgewachsene Gestalt, die sich neben mich gesellt und nach Westen blickt. In die Richtung, in der die Hauptstadt von Valokirkas und das Schloss meiner Eltern liegen. In die Richtung, aus der Konstantin mit seiner Armee heranrückt, um neben Lahja die letzte Bedrohung in diesem Reich zu beseitigen – mich.
»Störe ich?«, fragt Tuure.
Träge hebe ich den Kopf und sehe ebenfalls nach Westen. »Du kommst gerade recht.«
Er seufzt und wendet mir das Gesicht zu. Ohne ihn anzusehen, bin ich mir sicher, dass seine Mimik voller Mitleid ist. »Machst du dir wieder Vorwürfe?« Er legt mir eine Hand auf die Schulter, als ich nur verbissen die Lippen zusammenpresse. »Konstantin bringt schon genug Dunkelheit über uns. Lass sie nicht auch noch in deine Gedanken.«
Stumm nicke ich, den Blick weiterhin starr in Richtung der Hauptstadt gerichtet. Tuure ahnt nicht, dass die Dunkelheit seit der Nachricht vom Tod meiner Eltern wie ein ständiger Begleiter ist. Doch es ist nicht Konstantins, es ist meine eigene.
»Wie lange wird es dauern, bis wir auf Samus Trupp stoßen?« Er zieht die Hand zurück und legt sie auf den Knauf seines Schwertes, das in einer Lederscheide am Gürtel steckt. Wie immer wechselt er schnell das Thema. Weil er selbst mit Vorwürfen zu kämpfen hat – wie jeder von uns.
Nachdenklich reibe ich mir über das Kinn. »Die meisten Wege ins Tal sind steil und schmal, deshalb meiden wir sie mit den Kutschen und Karren besser. Der Umweg über die ungefährlicheren Pfade wird uns aber einige Tage kosten.«
»Das bedeutet?«
Langsam wende ich meinem Freund das Gesicht zu. Er ist nur eine Handbreit kleiner als ich, aber ebenso breit gebaut und kräftig. »Lass es sieben Tage sein. Vielleicht auch mehr«, sage ich und erkenne die Ungeduld in seinen braunen Augen. Ich verstehe ihn. Seit Wochen kämpfen wir uns durch mein Reich und drängen die Kirottu zurück, die Konstantin ausgesandt hat, um nach mir zu suchen. Der schwarze König wird sich erst zufriedengeben, wenn er Valokirkas in die Knie gezwungen und jedes Mitglied meiner Familie ermordet hat.
»Knapp sieben Tage noch …«, murmelt Tuure und senkt den Blick. »Ohne Unterstützung werden wir kaum gegen die schwarze Armee siegen können.«
Schlagartig entsteht Unruhe im Lager und Rufe ertönen. Als ich mich zu den Zelten auf der Hochebene umdrehe, entdecke ich einen jungen Soldaten, der auf uns zu rennt.
»Hoheit«, ruft er japsend und verbeugt sich knapp, nachdem er vor uns zum Stehen kommt. Seine Wangen sind gerötet, weiße Atemwölkchen steigen vor ihm auf. »Lord Henrik schickt mich. Die Späher haben Geflüchtete aufgegriffen.« Auf die Knie gestützt ringt er nach Luft.
»Bist du von der Zwischenebene aus hoch gerannt?«, frage ich verblüfft.
»Auf einem Pferd hochgejagt.« Der Soldat richtet sich auf und nimmt Haltung an. »Unter den Geflüchteten befinden sich Lord Otso und Lord Arne. Lord Otso ist verwundet. Die Kirottu … König Konstantin …«, stammelt er und bricht ab. Sein Blick huscht zu Tuure, der neben mir scharf den Atem einzieht.
Kurz wende ich mich meinem Freund zu, der jeden Muskel im Körper anzuspannen scheint. Seine Miene wirkt starr.
»Otso ist zäh«, sage ich und packe ihn an der Schulter, damit er mich ansieht.
Träge nickt er mir zu. Unter der Hand spüre ich ihn zittern.
Als ich mich wieder dem Soldaten zuwende, sieht dieser verbissen auf den Boden.
»Was ist mit Lord Samu?«, frage ich und trete auf ihn zu, sodass er zu mir aufsieht.
Stumm und mit zerknirschter Miene schüttelt der junge Soldat den Kopf.
Ich wende mich ab und gehe wenige Schritte, um die Unruhe zu bändigen, die gleichsam mit den Sorgen um meinen langjährigen Freund erwacht. Vielleicht sind Samu, Arne und Otso nur getrennt worden und meine Schwarzmalerei ist unbegründet. Doch ich kann die Eiseskälte nicht unterbinden, die sich durch mein Inneres gräbt. Den Blick auf die Gipfel gerichtet bleibe ich stehen und knete die Fäuste vor der Brust. Dieser verdammte Konstantin! Er wütet so lange, bis er mir jeden entrissen hat, der mir wichtig ist. Täglich sterben Menschen in Valokirkas. Mein Volk stirbt! Der Versuch, die Wut zu zügeln, beschert mir Magenschmerzen. Am liebsten würde ich sofort losziehen und Konstantin fordern, sich mir zu stellen. Mann gegen Mann. Doch er ist nicht mehr derjenige, der er einmal war – vor dem Fluch. Er hält sich nicht an Regeln, sodass ich geradewegs in mein Verderben rennen würde.
Steif drehe ich mich Tuure und dem Soldaten wieder zu. »Sie haben Samus Trupp also zerschlagen«, murmle ich und atme tief durch, um Ruhe zu bewahren. Die beiden sollen nicht merken, dass es in mir brodelt.
Mit zusammengepressten Lippen nickt der junge Mann. »Es dürften um die hundert Geflüchtete sein. Sie sind auf dem Weg hierher, Hoheit«, sagt er.
»Hundert?« Fassungslos starre ich ihn an, ehe ich mir über die Stirn fahre, um die Zahl zu begreifen. Die Muskeln in der Brust krampfen, jeder Atemzug sticht. Ich wage es kaum, tief einzuatmen. »In Samus Lager müssen sich um die achthundert Leute befunden haben«, hauche ich. All die Menschen … Gejagt und niedergemetzelt von den Kirottu. Trauer und Zorn erwachen so schnell wieder zum Leben, dass sie meinen Körper erschüttern. Kraftvoll schlage ich die Faust in die Handfläche und drücke mit den Fingern fest zu. Der Schmerz lindert die Qual, die ich nach dieser Nachricht durchleide, kein bisschen.
Tuures Blick huscht zu meinen Händen. Besorgt runzelt er die Stirn. »Nur die schwarze Armee ist in der Lage, so einen großen Trupp dem Erdboden gleichzumachen. War es Konstantin höchstpersönlich, der auf Samu und seine Männer getroffen ist?«
»Entweder war er es oder eine gewaltige Vorhut, die ihm den Weg ebnet«, entgegne ich und drücke gegen die Fingerknöchel, bis sie knacken. Ich atme durch und lockere die Arme. »Egal, was es war, Konstantin rückt näher. Das steht fest.« Bald werde ich meinem schlimmsten Feind gegenüberstehen. Ich kann es kaum erwarten, ihn für alles büßen zu lassen. Gleichzeitig lastet die Sorge auf mir, dass meine Heimat dem Untergang geweiht ist, wenn ich sterbe. Nicht nur Valokirkas – jedes Königreich. Die Gier in Konstantins schwarzem Herz ist so groß, dass er nie aufhören wird. Sobald er Lahja und mich getötet und damit alle Thronerben dieses Reiches ausgelöscht hat, wird sein Fluch auf jeden unserer Soldaten übergreifen. Mit einer Armee grausamer Krieger aus zwei Völkern wird er unaufhaltsam sein und ein Königreich nach dem anderen einnehmen.
Meine Männer und ich sind die Letzten, die diesen verfluchten Bastard aufhalten können, bevor er zu viel Macht besitzt. Die Last auf meinen Schultern erdrückt mich jeden Tag ein Stück weit mehr.
Ich richte den Blick gen Osten, wo das Nachbarreich Aurinko hinter dem weitläufigen Gebirge liegt. Vor wenigen Tagen ist König Lasse mit seiner Armee zu uns aufgebrochen, wie ich aus der Nachricht seines Falken weiß. »Der Verlust von Samus Männern ändert unsere Pläne«, sage ich zähneknirschend und sehe zu Tuure. »Wir bleiben erst mal hier, bis Aurinkos Streitkräfte nahe genug sind. Erst dann machen wir uns an den Abstieg. Es wäre Selbstmord, sich ohne König Lasse und seine Männer der schwarzen Armee entgegenzustellen.«
Tuures Miene verhärtet sich, schweigend nickt er und folgt meinem Blick.
Unauffällig drehe ich mich so, dass mein Gesicht den beiden Männern verborgen bleibt. Damit sie nicht sehen, wie ich mit den Gefühlen ringe. Meine Mundwinkel zucken, ich spüre den pochenden Herzschlag am Hals. Der Frust, hier festzusitzen, schnürt mir die Kehle zu. Ich komme mir wie ein Feigling vor, der sich im Gebirge versteckt, während in meinem Reich Menschen sterben. Untertanen, die darauf hoffen, dass ich sie von Konstantin befreie. Doch ich trage Verantwortung für die Soldaten und Geflüchteten im Trupp. Niemandem ist geholfen, wenn ich uns in den sicheren Tod führe. Dennoch kann ich den Eindruck nicht abschütteln, mein Volk im Stich zu lassen. Innerlich bin ich zerrissen. Das Sehnen nach Rache und Freiheit für mein Reich ringt mit der Vernunft. Dieser ständige Kampf mit mir selbst bringt mich um den Schlaf und nagt an meiner Beherrschung.
Überrascht zucke ich zusammen, als Tuure mir seine Hand auf die Schulter legt.
»Er wird für alles büßen. Hab Geduld, Jari«, sagt er und knetet meine Schulter, ehe er die Hand zurückzieht. Auch ohne Worte scheint er stets zu wissen, was in mir vorgeht.
»Das wird er«, entgegne ich und mahle mit dem Kiefer.
Konstantin reist mit einer gewaltigen Armee samt Katapulten, Wagen und Tieren. Es dürften mindestens noch zehn Tage vergehen, bis er das Gebirge erreicht. Vor allem, wenn er seine Männer auf dem Weg plündern, morden und zerstören lässt. Die Vorstellung dreht mir den Magen um. Hoffentlich haben die Menschen ihre Dörfer verlassen und sich in Sicherheit gebracht.
Ich sehe in den Himmel, an dem die ersten Sterne funkeln. Mögen uns die Götter beistehen! Wenn es Lasse nicht innerhalb von zehn Tagen schafft, uns zu erreichen, sind meine stark geschrumpfte Armee und ich dem Untergang geweiht. Dann hilft uns nur noch ein Wunder, Konstantin und seine Kirottu zu vernichten.
Mein Körper fühlt sich taub an. Die Kälte, die nachts im Tal herrscht, ist ein ständiger Begleiter, den ich nicht mehr abschütteln kann. Die Bewegungen sind steif und ich bin erschöpft. Jeder Schritt ist ein Kampf gegen den Wunsch, mich hinzusetzen und nie wieder aufzustehen. Vor allem dank des kräftezehrenden, steilen Aufstiegs seit dem Morgengrauen.
Vier Tage lang sind wir durchmarschiert. Bis auf die kurzen Unterbrechungen, um zu verschnaufen, sind wir auf den Beinen. Mit der ständigen Angst im Nacken, die Kirottu könnten uns einholen, war in den Pausen an tiefen Schlaf nicht zu denken. Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen, wie viele auf unserem Marsch ihren Verletzungen erlegen sind.
Auf der Hochebene angekommen, lasse ich den Blick schweifen. Von allen Seiten wird sie von steil aufragenden Gebirgshängen eingerahmt. Die Sonne ist längst hinter den Gipfeln verschwunden und Sterne funkeln wie Diamantstaub am wolkenlosen Nachthimmel. Der Anblick ist trügerisch friedlich.
»So viele Menschen«, murmle ich und betrachte die zahlreichen Zelte.
»Jeder Mann, der eine Waffe halten kann, ist dem Ruf des Kronprinzen gefolgt«, erklärt Otso, nachdem er neben mich getreten ist.
»Das sind alles Soldaten?«, fragt Katriina. Erstaunt sieht sie den Ritter an.
Otso lockert die Schultern und verzieht dabei vor Schmerz das Gesicht. Trotz eines Kräuterwickels verheilt die Wunde nur langsam. In unserer Truppe ist er nicht der Einzige, der dringend einen Medicus und Ruhe braucht.
»Nicht ausschließlich, nehme ich an«, sagt er. »Bestimmt haben auch viele Geflüchtete hier Zuflucht gesucht.«
»So wie wir«, mischt sich Harmaa ein und tätschelt mir ermutigend den Rücken. »Hier können wir endlich schlafen, ohne auf jedes Geräusch und jede Bewegung zu achten.«
»Das klingt verlockend«, entgegne ich mit einem wehmütigen Seufzen. Ich sehne mich nach einem sicheren Schlafplatz. Leicht kreise ich mit den Schultern und bewege den Kopf, um die verkrampften Muskeln zu lockern. Jede Faser meines Körpers schmerzt.
»Lasst uns gehen, die Zelte werden zugeteilt.« Mit einer Geste fordert uns Otso auf, ihm zu folgen, nachdem sich die Ersten in Bewegung setzen. »Die Nächte in den Bergen sind noch kälter als im Tal. Hoffentlich haben sie genug Decken, damit wir uns wärmen können.«
»Noch kälter?«, murrt Katriina, schlingt die Arme um den Oberkörper und schüttelt sich. »Ich spüre die Zehen schon nicht mehr.«
»Du kannst sie gerne unter meiner Decke wärmen«, bietet Otso an. Er schenkt ihr ein ehrliches Lächeln, das sie mit glühenden Wangen erwidert. »Ich kümmere mich darum, dass ihr gut untergebracht werdet«, sagt er und verschwindet in der Menge.
»Ist nicht verkehrt, einen Ritter des Kronprinzen zum Freund zu haben.« Schelmisch lächelt Harmaa. Es ist das erste Mal seit Tagen, dass er eine andere Gefühlsregung als Furcht und Sorge zeigt.
Katriina hakt sich bei mir unter und legt erschöpft den Kopf auf meine Schulter. Schweigend folgen wir den Leuten aus dem ehemaligen Lager über den Pfad, der zwischen den dicht aneinandergereihten Zelten hindurchführt. Gespräche erfüllen die Luft, Holzscheite knacken und knistern im Feuer. Nach dem Erlebten wirken die alltäglichen Geräusche so unwirklich. Aufmerksam werden wir auf dem Weg durch die Zeltstadt von den Lagerbewohnern beäugt. Mir entgehen das Mitleid und die Anteilnahme in ihren Mienen nicht.
Auf einmal ertönt vielstimmiges Raunen in der Menge. »Der Kronprinz«, raunt jemand vor uns.
Katriina und ich recken gleichzeitig den Kopf. Am Rande des Pfads entdecke ich eine Gruppe von Männern, die in einer Lücke zwischen zwei Zelten stehen. Leicht schubse ich meine Freundin an und weise mit dem Kinn in die Richtung der Gruppe. Vier Soldaten in Uniform beleuchten mit Fackeln die Männer in ihrer Mitte, die den vorbeiziehenden Strom an Geflüchteten aufmerksam betrachten. Dabei steht ihnen die Sorge deutlich ins Gesicht geschrieben. Ihre Mimik ist verbissen und ernst.
Überrascht ziehe ich die Brauen hoch, als ich Otso entdecke, der mit einem der Männer spricht.
»Der mit den braunen Locken muss der Kronprinz sein«, sagt Harmaa.
Neugierig mustere ich den Mann, der seinen Blick nicht von der Menge nimmt, während sich Otso zu ihm beugt und lebhaft berichtet. Das ist er – der Mann, dessen Name in Valokirkas wie eine Art Gebet gesprochen wird. Auf seinen Schultern lastet die Hoffnung der Völker zweier Reiche. Sowie meine.
Die sanften, dunklen Locken reichen dem Kronprinzen bis zu den Ohren. Er ist fast so groß wie Otso und überragt die Männer an seiner Seite. Die Statur ist die eines Kriegers – gut gebaut und kraftvoll. Trotz der Sorge in seiner Mimik strahlt er Zuversicht aus, indem er den Vorübergehenden, die das Haupt vor ihm neigen, ein ermutigendes Lächeln schenkt und ihnen zunickt.
Als wir die Männer erreichen, mustert er erst Katriina und dann mich. Ich tue es den Umstehenden gleich und senke den Kopf, um Jari von Valokirkas meine Ehre zu erweisen. Als ich wieder hochsehe, liegt sein Blick noch immer auf mir. Überrascht zucke ich zusammen. Otso weist auf uns und redet unaufhörlich auf den Kronprinzen ein. Erstaunen zeichnet sich in dessen Gesicht ab, er zieht die Brauen hoch und seine Augen weiten sich. Dann sieht er an mir hinab und betrachtet die Schwertscheide an meinem Gürtel. Kaum merklich nickt er und hebt die Hand. Es ist nur eine kleine Geste, aber sie bringt den Strom an Flüchtlingen umgehend zum Stehen.
Angespannt halte ich den Atem an, als er auf uns zutritt. Katriinas Griff wird so fest, dass sie mir den Arm fast zerquetscht. Wie gebannt starre ich dem Kronprinzen ins Gesicht.
Sein Blick ruht auf mir, als er vor uns stehen bleibt. Dunkel schimmern seine Augen in der Farbe von Ebenholz. Ich kann nicht anders als hineinzustarren. Versunken in seinen Anblick rieselt ein feiner Schauer über meinen Nacken und entlang der Wirbelsäule den Rücken hinab. Der Kronprinz ist zwar ein gut aussehender Mann, doch seiner Ausstrahlung haftet etwas an, das mich fasziniert. Und das ich mir nicht erklären kann. Die unerwartete Reaktion meines Körpers und dieses fast vergessene Kribbeln, das sich auf der Haut ausbreitet, bringen mich zur Besinnung. Mehrmals blinzle ich, bis ich aus dem Augenwinkel erkenne, dass Katriina abermals den Kopf vor dem Kronprinzen neigt. Und ich starre ihn bloß unverhohlen an! Hitze steigt mir in die Wangen, ertappt schnappe ich nach Luft.
»Hoheit«, sage ich rasch und versinke in einen tiefen Knicks. Den Blick bohre ich in den Boden, während mein zu schneller Herzschlag in den Ohren dröhnt. Hoffentlich habe ich den Kronprinzen nicht verärgert. Die Muskeln in den Beinen krampfen bereits schmerzhaft, trotzdem verharre ich steif in der Haltung und beiße die Zähne zusammen.
»Eure Manieren sind tadellos, doch ich lege keinen Wert auf Knicksen und Verbeugungen«, sagt der Kronprinz. »Vor allem nicht im Krieg und nicht von einer Frau, die Ehre und Respekt verdient hat, weil sie einem meiner Ritter das Leben gerettet hat.« In seiner samtig dunklen Stimme schwingt etwas Bestimmendes mit. Dieser Mann ist es gewohnt, Befehle zu erteilen. Dennoch entgeht mir sein bewundernder Tonfall nicht.
Wärme entsteht in meinem Inneren und verdrängt die Kälte der vergangenen Tage. Warum löst seine Anerkennung dieses eigenartige Flattern in der Brust aus? Langsam richte ich mich wieder auf und unterdrücke den Drang, mir die Hände auf die noch glühenden Wangen zu pressen, um sie zu verstecken. Es hilft auch nicht, mich daran zu erinnern, wer vor mir steht. Ich blamiere mich vor dem Kronprinzen dieses Reiches und kann nichts dagegen unternehmen.
»So ist es schon besser«, sagt er und lächelt. Die braunen Locken hängen ihm in die Stirn und verschaffen ihm ein verwegenes Aussehen. Da seine Haut sonnengebräunt ist, scheint er viel Zeit im Freien zu verbringen. Seine Ausstrahlung und das Leuchten in den Augen erinnern mich eher an einen draufgängerischen Krieger als an einen vornehmen Prinzen. Vielmehr wirkt er mit seiner schlichten, graublauen Uniform wie jeder andere Soldat im Lager. Alles an seiner Erscheinung überrascht mich. Und beschäftigt mich mehr, als es sollte.
»Habt Dank für Euren Schutz, Hoheit«, sage ich in dem Versuch, das Durcheinander in mir zum Schweigen zu bringen.
»Ihr verdient vielmehr meine Dankbarkeit, Aila«, entgegnet er und neigt das Haupt vor mir.
Sprachlos starre ich auf sein dunkles Haar. Auf meinen Armen breitet sich Gänsehaut aus, während ich eine Hand auf die Brust presse, in der das Herz trommelt. Die Reaktion des Prinzen rührt mich, dabei will ich das gar nicht. Wie auch die Unruhe, die auf einmal in mir erwacht und mich zittern lässt. Rakkains Verlust ist erst ein halbes Jahr her. Wie kann mich da ein anderer Mann faszinieren? Energisch strecke ich beide Arme durch und drücke die Fingernägel in die Handballen, um mich zusammenzureißen.
Nachdem der Kronprinz sich wieder aufgerichtet hat, dreht er sich zu einem der Soldaten um und winkt ihn herbei. »Bring die Damen in ihr Zelt, Roland. Neben Otsos und Tuures Unterkunft steht noch eines leer.« Er wendet sich uns wieder zu. »Es interessiert mich, wer Euch das Kämpfen gelehrt hat, Aila. Vielleicht erzählt Ihr es mir bei Gelegenheit«, sagt er und schenkt mir erneut ein Lächeln, das mich nervös macht.
»Gewiss, Hoheit«, antworte ich, ohne die Absicht, ihm je von den beiden Männern zu erzählen, deren Verlust mir das Herz gebrochen hat. Sofort steigt der gewohnte Schmerz in mir auf und verscheucht die Wärme, die von der Bewunderung des Prinzen ausgelöst worden war. Mit aller Macht dränge ich ihn zurück. Es ist weder der richtige Ort noch der passende Zeitpunkt, um mich der Trauer hinzugeben.
Aufmerksam bohrt der Kronprinz seinen Blick in mich und lässt damit jeden Gedanken an die Vergangenheit auf einen Schlag verstummen. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich lieber so schnell wie möglich Abstand zwischen uns bringen oder herausfinden will, weshalb er mühelos dieses Durcheinander in mir anrichtet.
»Hoheit«, sagt Katriina. Am Arm zieht sie mich mit sich, bevor sich der Strom an Flüchtlingen hinter uns wieder in Bewegung setzt.
Trotzdem schaffe ich es nicht, den Blick von Jari von Valokirkas zu nehmen, der mich in seinen Bann zieht. Wie schafft er das bloß? Ich lasse mich doch sonst nicht so leicht beeindrucken.
Der Kronprinz sieht mir ebenfalls nach, bis ich mich endlich besinne und dem vor uns liegenden Pfad zuwende. Unaufhörlich rauscht Adrenalin durch meinen Körper und bringt die Fingerspitzen zum Kribbeln. Druck steigt mir in den Kopf, als ich an die Begegnung zurückdenke. Was ist da geschehen?
Schweigend folgen wir dem Soldaten, der uns mit sicheren Schritten durch das Lager lotst, bis sich Katriina zu mir beugt. »Du hast den Kronprinzen angestarrt«, flüstert sie und dreht mir das Gesicht zu. Breit grinst sie, die blauen Augen funkeln belustigt.
Gegen meinen Willen flammt das Glühen in den Wangen erneut auf. »Seine Erscheinung hat mich bloß überrascht«, sage ich ernst. Das nervöse Zucken meiner Mundwinkel kann ich jedoch nicht verhindern.
»Und gebannt.«
Als sie amüsiert prustet, dreht sich der Soldat nach uns um.
Warnend stoße ich ihr den Ellbogen in die Seite und bringe sie mit einem Zischen zum Schweigen. »Du verstehst das falsch. Es ist nur …« Tief atme ich durch, während ich nach einer Ausrede suche. »Unser Schicksal liegt in seinen Händen. Und er wirkt so … normal. Dabei muss er sich einer übermächtigen, verfluchten Armee und deren König entgegenstellen. Mehr noch, er muss sie vernichten und den Fluch brechen. Schafft er das? Ist er wirklich die Rettung, nach der wir uns sehnen?« Das habe ich mich schon vor meinem Aufeinandertreffen mit Jari von Valokirkas gefragt. Konnte mich sein Anblick deswegen so fesseln? Weil meine Hoffnungen auf ihm ruhen?
Leise grummelt Katriina vor sich hin. »Wenn nicht er, wer dann?« Kummer hat sich in ihre Stimme und die Mimik geschlichen. Bedrückt wendet sie das Gesicht ab und starrt gedankenversunken in die Dunkelheit.
Was auch immer der Auslöser dafür ist, der Kronprinz hat etwas in mir berührt. Das würde ich vor Katriina nur niemals zugeben. Dabei habe ich mir verboten, je wieder so zu fühlen, nachdem ich Rakkain verloren habe. Zwischen all dem Hass auf den Fluch und dem Schmerz habe ich angenommen, mich nicht mehr von einem Mann angezogen fühlen zu können. Wie falsch ich doch gelegen habe.
Doch er ist der Kronprinz! Ich will in ihm nicht mehr sehen als unser aller Rettung. Als das Licht, das hoffentlich in der Finsternis des Fluchs überdauert und unser Leiden beendet. Anstatt über die Unruhe nachzudenken, die ich in seiner Nähe empfunden habe und die sich bis in meine Eingeweide gegraben hat, bete ich lieber zu den Göttern, dass dieser Mann sein Reich davor bewahrt, ebenso von der schwarzen Magie verschlungen zu werden wie Tummavarjo. Wenn Jari von Valokirkas die Dunkelheit nicht zurückdrängt, sind wir alle verdammt.
Das Klappern von Metall weckt mich. Darunter mischen sich Stimmen, die durcheinanderreden, und Schritte, die nah an unserer Unterkunft vorbeiziehen. Nur widerwillig öffne ich die Augen und strecke mich. Es ist schon hell, die Sonne zaubert leuchtende Streifen auf die Zeltplane. Ich ziehe die Decke bis zur Nase hoch und genieße die Wärme, die sich darunter angestaut hat. Die Kälte der vergangenen Tage erscheint mir mittlerweile wie ein schlechter Traum.
Vor sich hin murmelnd regt sich Katriina, die mit dem Rücken zu mir liegt. Sie knautscht im Schlaf das zusammengerollte Tuch unter ihrem Kopf, dann kehrt wieder Ruhe ein. Ihr leuchtend rotes Haar ergießt sich in üppigen Wellen über die Matte.
Unbewusst streiche ich durch meine Locken. Vor einem halben Jahr haben sie mir wie ein schwarzer Wasserfall bis zur Taille gereicht. Nach der Flucht aus meinem Elternhaus habe ich mir das Haar abgeschnitten, um mit ihm einen Teil der Vergangenheit hinter mir zu lassen. Mittlerweile reicht es mir bis auf die Schultern. Ich klemme eine Strähne zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachte sie gedankenversunken. Ohne es zu wollen, stelle ich mir Rakkain vor, wie er mit den Fingern sanft durch mein Haar streicht. Ein scharfer Schmerz jagt durch meine Brust. Die Sicht verschwimmt und eine Träne tropft auf die dunkle Strähne in meiner Hand. Bevor die Trauer mich überwältigt, blinzle ich, bis die Sicht wieder klar ist, und streiche mir das Haar hinter das Ohr. Ich will das nicht mehr! Jede Erinnerung an Rakkain ist wie ein weiterer Riss in meinem Herzen.
Um die bedrückenden Gedanken abzuschütteln, richte ich mich auf und winde mich aus der wärmenden Umarmung der Decke. Die eisige Luft weckt meine Lebensgeister. Leise stehe ich auf, um Katriina nicht zu stören. Ich schleiche zum Ausgang des Zeltes, der durch eine Plane verdeckt ist, und schlüpfe ins Freie.
Draußen sehe ich mich um. Unzählige Menschen wuseln durch das Lager. Vor den Zelten haben sich Bewohner um Feuerstellen zusammengefunden und unterhalten sich angeregt. Die Sonne steht schon hoch oben am Himmel.
Kurz sehe ich an mir hinab. Das Kleid ist zerknittert und verdreckt. Vor allem der ausgefranste Saum ist von Matschflecken übersät. Meinen eigenen Geruch nehme ich kaum mehr wahr. Es ist lange her, dass ich mich ordentlich säubern konnte. Niemand duftet in diesem Krieg nach Rosen und Kräutern. Und niemand legt Wert darauf.
Nachdem ich mir die Lage unseres Zeltes eingeprägt habe, marschiere ich los. Schon nach kurzer Zeit steigt mir das verführerische Aroma von Haferbrei in die Nase. Eine Weile folge ich ihm, bis sich ein neuer Geruch daruntermischt. Es ist der von frischem Gras, Leder und Pferden. Sehnsucht erwacht in mir und überdeckt den Hunger, der in meinem Bauch rumort hat.
»Kann ich dir helfen?«
Blinzelnd, als wäre ich aus einem Traum erwacht, drehe ich mich zu dem Mann in Uniform um. »Wo finde ich die Pferde?«
Der Soldat weist zum Rande des Lagers, wo dicht stehende Bäume hinter den Zelten aufragen. Sie reichen bis in die Ferne und wachsen sogar auf dem dahinter ansteigenden Hang, der sich ab einer gewissen Höhe kahl zu einem der Gipfel erhebt.
Ohne mich zu bedanken, eile ich los. Mein Magen protestiert grummelnd und zieht sich schmerzhaft zusammen, doch das Sehnen ist stärker. Ich kann nicht anders, als zwischen den letzten Zelten hindurch zu rennen. Mein Herz macht einen Satz. Auf den Pferchen neben einem kleinen Wäldchen stehen Pferde, die den Kopf in Bergen von Gras versenken. Der Duft der Tiere ist so vertraut, dass die Erinnerungen an zu Hause und Vaters Pferdezucht ein Eigenleben entwickeln. Gemeinsam mit unzähligen Gefühlen prasseln sie wie Peitschenhiebe auf mich ein. Die Sehnsucht und der Wunsch, ein letztes Mal mit Vater durch die Stallungen zu schlendern, löst ein nicht enden wollendes Stechen in der Brust aus. Ich presse eine Hand auf die Stelle, an der es am meisten schmerzt: mein Herz. Mir kommen Tränen, als ich die Leere darin nicht mehr ertrage. Ich vermisse meine Familie! Mein Zuhause. Die Pferde. Eine einzige Nacht hat ausgereicht, um alles zu zerstören, was mir je etwas bedeutet hat.
Mit weichen Beinen trete ich an den Zaun heran, der aus in den Boden gerammten Pflöcken und Leinen besteht, und lehne mich gegen einen der Pfosten. Meine Anwesenheit scheint die Pferde nicht zu stören. Gelassen schlagen sie mit ihren Schweifen hin und her und widmen sich den Grashaufen, die im Pferch verteilt liegen.
Mit ausgestrecktem Kopf traut sich ein Rappe an mich heran. Durch sein tiefschwarzes Fell sticht er in der Herde hervor. Gebannt von seiner Schönheit begutachte ich ihn mit geschultem Blick. Er ist groß, aber nicht zu stämmig, sondern eher filigran gebaut. Weiße Fesseln zieren beide Vorderbeine und ein heller Stern prangt auf seiner Stirn. Mein Arm, den ich nach ihm ausstrecke, zittert vor Aufregung. Es ist, als würde ich nicht nach dem Pferd greifen, sondern in meine Vergangenheit.
Neugierig streckt der Rappe mir seine Nüstern entgegen und schnuppert an meiner Hand. Sein warmer Atem kitzelt auf der Handfläche. Der Wallach spielt mit den Ohren, wirkt jedoch nicht, als würde er in mir eine Gefahr sehen. Auffordernd stupst er meinen Arm an und entringt mir damit ein Lachen. Wohlige Wellen fluten meinen Magen, als ich seine weiche Nase streichle. Dann wandere ich zur Stirn hoch und streiche dem Tier durch das schwarze Haar. Die Sehnsucht, die entflammt, reißt mir den Boden unter den Füßen fort. Mit geschlossenen Augen lehne ich die Stirn gegen den Kopf des Rappens. Die Wärme, die auf mich übergeht, wandert bis ins Herz. Als wollte sie versuchen, meine seelischen Wunden zu heilen. Das Tier hält still, vielleicht weil es spürt, dass ich seine Nähe und die Berührung dringend brauche.