Die Nacht gehört mir - Lilyan C. Wood - E-Book

Die Nacht gehört mir E-Book

Lilyan C. Wood

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

**Draculas Vermächtnis…** Seit ihre Eltern bei einem Vampirangriff ums Leben kamen, sehnt sich Abony Van Helsing, die letzte Nachfahrin des berühmtesten Vampirjägers auf Erden, nach Rache. Sobald die Sonne untergeht, streift sie durch die Straßen Warwicks, um finstere Wesen zur Strecke zu bringen und den Mörder ihrer Eltern zu finden. Bis sie eines Nachts durch einen unvorhergesehenen Fehler direkt in einen maskierten Vampir hineinläuft und nur knapp mit dem Leben davonkommt. Zurück bleibt nicht nur das Gefühl seiner starken Arme, sondern auch eine allererste Spur. Diese führt Abony zum berüchtigten Warwick Castle – einem Schloss, in dem einst eine mächtige Adelsfamilie gelebt hat. Oder es immer noch tut… Nach der erfolgreichen Reihe »Devil's Daughter« wartet Fantasyautorin Lilyan C. Wood nun mit einer großartigen Vampir-Romance auf, die uns mitten ins 19. Jahrhundert und damit in die Welt Draculas hineinführt. »Die Nacht gehört mir« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband. //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.//

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Lilyan C. Wood

Die Nacht gehört mir

**Draculas Vermächtnis …**Seit ihre Eltern bei einem Vampirangriff ums Leben kamen, sehnt sich Abony Van Helsing, die letzte Nachfahrin des berühmtesten Vampirjägers auf Erden, nach Rache. Sobald die Sonne untergeht, streift sie durch die Straßen Warwicks, um finstere Wesen zur Strecke zu bringen und den Mörder ihrer Eltern zu finden. Bis sie eines Nachts durch einen unvorhergesehenen Fehler direkt in einen maskierten Vampir hineinläuft und nur knapp mit dem Leben davonkommt. Zurück bleibt nicht nur das Gefühl seiner starken Arme, sondern auch eine allererste Spur. Diese führt Abony zum berüchtigten Warwick Castle – einem Schloss, in dem einst eine mächtige Adelsfamilie gelebt hat. Oder es immer noch tut …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Danksagung

Das könnte dir auch gefallen

© Stefanie Blaumeiser

Lilyan C. Wood wurde 1985 in Saarbrücken geboren und lebt nach einem Zwischenstopp in Baden-Württemberg wieder im beschaulichen Saarland. Hauptberuflich bringt sie als Grundschullehrerin Kindern u. a. das Rechnen, Lesen und Schreiben bei. Seit ihrer Kindheit denkt sie sich fantastische Geschichten und Figuren aus und traute sich 2015 endlich, ihre Fantasie auch zu Papier zu bringen. Seitdem geht sie in jeder freien Minute ihrer größten Leidenschaft, dem Schreiben, nach.

Prolog

Herbst 1859

Die Wolken hatten sich nach dem sintflutartigen Regen der letzten Stunden verzogen, um den Blick auf den nachtschwarzen Himmel freizugeben, an dessen Weite der Vollmond von funkelnden Sternen umspielt wurde. Das silbrige Licht der Himmelskörper wies zu dieser späten Stunde drei Personen den Weg durch die verwinkelten Gassen von Warwick.

»Das war keine gute Idee, Charles. Wir hätten lieber bei Rosie übernachten und im Morgengrauen nach Hause gehen sollen«, flüsterte die Frau ihrem Mann zu, während sie ihre Hand fester um die ihrer kleinen Tochter schloss.

Mit hochgezogenen Schultern und eng um den Körper geschlungenen Mänteln eilte die Familie über die feuchten Pflastersteine, während ihre Schritte zwischen den Hauswänden widerhallten.

»Keine Sorge, Mary, mein Herz, wir haben es gleich geschafft«, besänftigte Charles seine Frau und versuchte dabei, sein vor Angst wild pochendes Herz zu ignorieren. Jede Faser seines Körpers schrie »Gefahr«. Nervös strich er sich durch die schwarzen Haare, um sich zu beruhigen und das Gefühl abzuschütteln, verfolgt zu werden.

Die Sonne war erst vor einer halben Stunde untergegangen, doch die Schatten offenbarten bereits dunkle Welten, die beunruhigend näher kamen und die kleine Familie zu verschlucken drohten.

»Charles, da ist jemand«, zischte Mary ihrem Mann zu, nachdem sie über die Schulter geblickt hatte. War es ein Schatten gewesen, der über die Pflastersteine gehuscht war, oder hatte sie ein Geräusch vernommen? Sie konnte es sich nicht erklären. Das bedrohliche Gefühl nahm überhand und benebelte ihre Gedanken. Sie schluchzte auf. Schnell schlug sie sich die freie Hand vor den Mund, um ihre Tochter nicht zu ängstigen.

»Mami, was ist los?«, fragte die Kleine dennoch und sah mit geweiteten grünen Augen zu ihrer jungen Mutter auf, widerstand gleichzeitig dem Drang aufzuschreien, da diese ihre Hand zu zerquetschen drohte.

»Nichts, mein Engel, Mami ist nur müde«, wehrte Charles ab, bevor Mary etwas erwidern konnte. »Wollen wir ein Liedchen singen?«

»Au ja, Tante Rosie hat mir erst ein neues beigebracht«, jubelte die Kleine auf und ab hüpfend und begann sofort eine beruhigende Melodie zu summen. Mary stimmte mit zittriger Stimme ein. Der Druck auf die Hand ihrer Tochter ließ nach.

Charles griff nach den zierlichen Fingern der Kleinen und beschleunigte seinen Schritt, sah sich dabei mehrmals prüfend um. Nichts war zu sehen. Wieso konnte er dieses unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden, nicht abschütteln? Es prickelte an seinem Hinterkopf und sandte kalte Schauer über seinen breiten Rücken.

Nur noch wenige Meter trennten sie von ihrem Zuhause, in dem sie sicher wären. Sicher vor den Kreaturen der Nacht, die seit einem Jahr ihr Unwesen in Warwick trieben. Wesen, vor denen Rosie sie gewarnt hatte. Seine Schwester hatte lediglich den Kopf geschüttelt, als er darauf bestanden hatte, in der Dunkelheit nach Hause zu gehen. Er war in dieser Stadt aufgewachsen, kannte die hiesigen Gefahren und war sicherlich kein Schwächling. Gegen Halunken konnte er seine Familie verteidigen, doch kurz nach Verlassen des Hauses hatte ihn die Befürchtung beschlichen, dass in den Schatten keine gewöhnlichen Unholde lauerten. Die unangenehme Vorahnung, die ihn sogleich befallen hatte, hielt sich hartnäckig und ließ ihn erneut frösteln. Sein Rücken verspannte sich. Gleich einer kalten Hand, die an ihm zerrte, spürte er den Sog, der sie dem Verderben immer näher brachte. Sollten sie umkehren oder an irgendeiner Tür klopfen und die dortigen Bewohner um Zuflucht bitten? Würde ihnen nach Anbruch der Dunkelheit überhaupt geöffnet werden?

Ein Rascheln schreckte ihn auf, gefolgt von einem Poltern und Klackern über ihren Köpfen. Die drei blieben ruckartig stehen und Mary hielt die Luft an. Schatten huschten über die Dächer der Stadt. Sie konnten das Kratzen auf den Ziegeln hören. Woher genau kam es? Wild blickten sich alle drei um, drehten sich dabei im Kreis.

Mary schrie auf, als zwei Gestalten vor ihnen vom Himmel fielen und mit einem dumpfen Aufprall auf den Pflastersteinen landeten.

Die Kleine klammerte sich erschrocken an die Röcke ihrer Mutter, die mit bleichem Gesicht zu den beiden Schatten starrte. Quälend langsam richteten sich die Gestalten auf.

»Wie können sie bei diesem Sturz unversehrt sein?«, hauchte Mary. »Die Häuser sind gute neun Meter hoch.« Sie wich einen Schritt zurück, ihre Tochter fest an sich gepresst. Ungläubig betrachtete sie die sich nähernden Gestalten.

»Was wollt ihr von uns?«, schrie Charles ihnen entgegen und hob abwehrend die Hände. »Ich habe kein Geld bei mir, meine Frau trägt keinen Schmuck. Wir sind keinen Überfall wert.« Sein Herz raste, als er auf die Antwort wartete, doch die Befürchtung, dass die schattenhaften Figuren es nicht auf Wertsachen abgesehen hatten, bohrte sich in sein Bewusstsein. Er trat näher zu seiner Familie und schob die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben hinter sich.

Ein Gluckern ertönte, hallte durch die Nacht und schwoll zu einem Lachen an, das ihm eine Gänsehaut bescherte. Wer waren diese Gestalten?

»Papa, was wollen die von uns?«, fragte seine Tochter und krallte ihre kleinen Finger in seinen Mantel.

Er drehte sich um und beugte sich zu ihr hinab, strich ihr liebevoll über die erhitzte Wange.

Sie ist erst acht, dachte er, hat noch ihr ganzes Leben vor sich. Hoffentlich habe ich es mit meinem törichten Verhalten nicht aufs Spiel gesetzt!

»Charles«, wisperte Mary und wies mit dem Finger auf die beiden Fremden, die nicht mehr weit entfernt waren.

Jetzt erst konnte er sie genauer erkennen. Es handelte sich um einen älteren Mann mit langen weißen Haaren, die zu einem Zopf zusammengebunden waren, und einen jüngeren Mann mit kinnlangem dunklem Haar. Beide trugen Kleidung, die sie als vornehme Herren ausgewiesen hätten, würden sie nicht nachts herumschleichen und ehrbare Familien bedrohen. Der ältere der beiden lächelte diabolisch und entblößte dabei zwei Reihen weißer Zähne, die selbst in der Dunkelheit aufblitzten und das Mondlicht widerspiegelten.

Charles verkrampfte sich und Mary klammerte sich nach Luft ringend an ihn, als sie die spitzen Reißzähne erkannte.

»Vampire«, flüsterte die Kleine, als sie hinter ihren Eltern hervorlugte.

»Welch schlaues Kind Ihr da habt, Van Helsing«, entgegnete der Ältere mit vor Hohn triefender Stimme. »Welch Schande, dass sie ihr kluges Köpfchen nicht mehr lange brauchen wird.«

Charles versteifte sich und schluckte schwer. »Woher wisst Ihr, wer ich bin?«

Die Van Helsings waren in dieser Stadt eine bekannte Familie, betrieben ein lukratives Handelsgeschäft und zählten zu den wohlhabenden Familien Warwicks. Allmählich dämmerte es Charles, dass diese Monster es gezielt auf sie abgesehen hatten.

»Charles Van Helsing nebst Gattin Mary Van Helsing und einer bezaubernden Tochter, die ich noch nicht kannte«, zählte der ältere Vampir auf und verbeugte sich übertrieben vor der Familie. »Der Ruf der Van Helsings eilt Euch voraus.« Er bleckte die Zähne und der jüngere Vampir verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ihr verwechselt uns sicher mit meinem Cousin, Abraham Van Helsing. Wir haben nichts mit seiner Organisation zu schaffen. Wir stellen keine Gefahr für euch dar«, erwiderte Charles und Mary trat neben ihn.

»Was meinst du damit, Charles? Welche Organisation?« Verwirrt sah sie zu ihm auf, doch Charles schüttelte den Kopf.

»Das ist nichts, was uns etwas angeht, Liebes«, wehrte er ab und tätschelte ihre Hand, die auf seinem Arm lag.

»Genug mit dem Geplänkel«, durchschnitt die scharfe Stimme des Vampirs die Luft und Mary zuckte zusammen. Ihre Tochter begann zu schluchzen.

»An Euren Cousin komme ich nicht heran, da er in den Niederlanden weilt, doch Ihr steht vor mir. Van Helsing bleibt Van Helsing und die Familie wird dafür büßen, was sie unserer Art seit Jahrhunderten antut«, keifte der ältere Vampir, während der jüngere zur Seite trat und sich in die Schatten zurückzog.

Das kleine Mädchen sah dem jungen Vampir nach, blickte in seine schwarzen Augen, bevor diese ein letztes Mal wie die einer Katze im Dunkeln aufblitzten. »Können wir jetzt bitte nach Hause gehen?«, wimmerte sie an ihre Eltern gewandt und zog energisch am Mantel ihrer Mutter.

»Mein Engel«, flüsterte diese ihr zu, die Lippen zu einem schmalen Strich verzogen. »Du wirst gleich laufen, so schnell du kannst. Lauf zu Tante Rosie zurück und verstecke dich bei ihr, hast du das verstanden?« Mit flehendem Blick sah Mary ihre Tochter an, die ihr mit den lockigen braunen Haaren und den grünen Augen wie aus dem Gesicht geschnitten war.

»Aber Mami …«, setzte die Kleine an, doch Mary gab ihr einen Kuss auf die Stirn und brachte sie damit zum Schweigen.

»Mami und Papa lieben dich, das weißt du doch«, flüsterte sie und nahm ihre Tochter fest in den Arm. Sie wusste, dass sie keine Chance gegen die Vampire haben würden, aber vielleicht konnte ihre Tochter fliehen, wenn sie die Bestien ablenken würde.

Die Kleine nickte, während ihr Tränen über die Wangen kullerten und sie ihre Hände in den Mantel ihrer Mutter krallte.

»Braves Mädchen«, lobte Mary und richtete sich auf, um wieder an die Seite ihres Mannes zu treten. Sie nahm seine Hand und drückte sie fest, bevor er ihr einen Kuss auf die Wange gab.

»Zeit, diese Welt zu verlassen«, raunte der ältere Vampir und war verschwunden.

Charles sog die Luft scharf ein und zuckte zusammen, als sich der Untote Sekunden später vor ihm materialisierte und blitzschnell die Reißzähne in seinen Hals schlug. Wie ein wildes Tier riss der Vampir an Charles’ Kehle, der nur noch hilflos um sich schlagen und treten konnte, während Mary panisch aufschrie. Nach wenigen Sekunden ließ das Wesen von ihm ab, um sich ihr zuzuwenden. Charles ging röchelnd in die Knie und presste sich die Hände auf das zerfetzte Fleisch. Er wurde kreidebleich, als er das Blut sah. Sein Blickfeld verschwamm, Funken wirbelten vor seinen Augen und nahmen ihm die Sicht. Der Schmerz raubte ihm den Atem und ein letztes Mal sah er zu seiner Tochter hin, die ihn mit vor Panik aufgerissenen Augen anstarrte.

Die Kleine stolperte rückwärts, als sie ihren Vater nach vorn kippen sah. Charles’ Körper krümmte sich zuckend, bevor er leblos auf den Steinen liegen blieb. Sie wirbelte zu ihrer Mutter herum, die nach dem weißhaarigen Vampir schlug und ihn anschrie. Lächelnd schlich er um Mary herum, kreiste sie ein und kam immer näher. Für einen kurzen Moment sah Mary zu ihrer Tochter und formte lautlos »Lauf!«, bevor sich der Vampir auf die junge Frau stürzte.

Ein grauenvoller Schrei erfüllte die Nacht, ein Schrei, der dem kleinen Mädchen lebenslang Albträume verursachen würde. Ohne zu überlegen, rannte die Kleine auf ihre Mutter zu, die bewegungslos in den Armen des Vampirs hing. Blut strömte deren Hals hinab, tropfte unaufhörlich auf die Pflastersteine.

»Lass sie los!«, fauchte das Mädchen, als sie an dem Körper ihrer Mutter zerrte und auf den Vampir einschlug. Tränen verschleierten ihren Blick und sie schluchzte. Aber sie gab nicht auf.

Der Vampir ließ von Mary ab und sah abfällig auf das kleine Mädchen hinab, fletschte die Zähne wie ein wildes Tier. Marys Körper schlug mit einem Klatschen auf dem Untergrund auf. Ein Stöhnen kroch aus ihrer Kehle empor, als sie nach der Hand ihrer Tochter griff. »Lauf«, brachte sie rasselnd hervor, bevor das Lebenslicht in ihren Augen erlosch und das Mädchen verzweifelt aufschrie.

»Nein, lass mich nicht allein, Mami!«, bettelte die Kleine und rüttelte am Körper ihrer Mutter.

»Deine Mami lebt nicht mehr, Kleines. Genauso wie dein Vater«, verhöhnte sie der ältere Vampir und bückte sich zu dem schluchzenden Mädchen hinab. »Willst du sie wiedersehen?«, fragte er mit zuckersüßer Stimme und strich ihr mit blutverschmierter Hand durch die langen Haare.

Mit zitternder Unterlippe sah sie zu dem Vampir auf, starrte in seine roten Augen. »Du bist ein Monster«, flüsterte sie und hielt tapfer seinem Blick stand.

»So ein hübsches und kluges Kind«, hauchte er und kam mit seinem Gesicht näher, roch an ihren lockigen Haaren, an der zarten Haut.

Die Kleine schauderte, spürte den kalten Atem an ihrer Wange und hielt die Luft an, um den metallischen Geruch nicht mehr ertragen zu müssen. Das Herz pochte ihr schmerzhaft gegen die Brust, doch sie wollte ihre Mutter nicht verlassen.

Der weißhaarige Vampir griff ihr in die Haare und zerrte ihren Kopf nach hinten, entblößte dabei ihren weißen Hals. Sie schnappte erschrocken nach Luft und schloss die Augen, spürte die heißen Tränen über ihre Wangen rinnen.

»Lass sie!«, ertönte eine fremde Stimme und sie sah auf. Der jüngere Vampir war aus den Schatten getreten und schlenderte auf sie zu. Sein Blick aus tiefschwarzen Augen lag auf der Kleinen, die schwer schluckte. »Sie ist doch noch ein Kind, lass sie gehen! Sie hat für heute genug Leid ertragen, findest du nicht?«

Er kam vor ihnen zum Stehen, den Blick noch immer auf die Kleine gerichtet. Der ältere Vampir ließ ihre Haare ruckartig los, sodass sie nach hinten fiel. Sie stemmte sich auf die Ellbogen und starrte zu dem jungen Vampir hinauf, der sie abschätzend musterte.

»Aber sie ist eine Van Helsing«, widersprach der Weißhaarige und erhob sich, um sich vor seinem Gefährten aufzubauen.

»Ich sagte Nein!« Die Stimme des Jüngeren ließ keine erneute Widerrede zu und das Mädchen zuckte bei dieser Schärfe zusammen. Er schob den älteren Vampir beiseite und ließ seinen Blick über Marys Leiche schweifen. »Du hattest deinen Spaß, das muss genügen.«

Vor sich hin murrend setzte sich der ältere Vampir in Bewegung und versetzte Charles’ Leiche einen Tritt, bevor er in die Hocke ging, um kurz darauf in die Höhe zu springen. Die Kleine traute ihren Augen kaum. Mühelos flog das Wesen meterhoch in die Luft und landete auf einem Hausdach, bevor es mit der Dunkelheit verschmolz und verschwand. Schnell glitt ihr Blick zu dem jungen Vampir zurück, der sie noch immer mit zusammengekniffenen Augen beobachtete.

Sie krallte die Fingernägel in ihr blutbeflecktes Kleid und starrte stumm zu ihm hinauf. Schluchzer vibrierten in ihrer Kehle, die sie mühsam zurückzudrängen versuchte.

Der Vampir wandte sich langsam von ihr ab, schlenderte auf die Schatten zu, hinaus aus dem silbrigen Mondlicht – und verschwand. Die Kleine blinzelte mehrmals, doch sie konnte ihn nicht mehr sehen. Sie war allein in der engen Gasse, in einer mondbeschienenen Nacht mitten in Warwick.

Ihr Blick glitt zu der Leiche ihres Vaters und wieder zurück zu ihrer Mutter, deren leere Augen in den Nachthimmel starrten. Liebevoll strich sie mit der zitternden Hand über Marys Wange, bevor sie schreiend und schluchzend zusammenbrach.

Eine Haustür öffnete sich knarzend und warf einen hellen Lichtschein auf das kleine Mädchen, das zwischen ihren ermordeten Eltern kauerte und bitterlich weinte.

Kapitel 01

Zwölf Jahre später – Herbst 1871

Meine Beine brennen und die Muskeln zittern schmerzhaft, als ich in den dunklen Gassen Warwicks dem Schatten hinterherrenne. Ich sammele meine letzten Kräfte und beiße die Zähne zusammen. Ich darf mein Ziel nicht aus den Augen verlieren!

»Lass ihn nicht entkommen!«, ruft Hannes hinter mir, der immer weiter zurückfällt. Im spärlichen Licht der Dämmerung erkenne ich gerade noch, dass er in eine der zahlreichen Seitengassen abbiegt.

Ich bin allein mit dem Flüchtenden. Die Jägerin und der Gejagte. Der Hall unserer Schritte wird von den Hauswänden zurückgeworfen und dröhnt in meinen Ohren, übertönt das Rauschen meines Blutes. Die enge Gasse zieht rasch an mir vorüber. Ich jage an dunklen Häusern vorbei. Die Türen und Fenster sind mit soliden Brettern und Läden verbarrikadiert, sperren die Kreaturen der Nacht aus, die in den Schatten lauern und nach dem Blut der Bewohner gieren.

In regelmäßigen Abständen schlägt mir mein geflochtener Zopf auf den Rücken, begleitet meinen rasenden Herzschlag. Ich umschließe den Holzpflock in meiner Hand fester, spüre das raue Material an meiner Haut. Es schenkt mir Sicherheit.

Jetzt liegt es an mir, denke ich und hole noch einmal tief Luft, bevor ich mein Tempo steigere und zu der davonlaufenden Gestalt aufhole. Je näher ich komme, desto intensiver wird der metallische Geruch. Blut. Ich muss ein Würgen unterdrücken und verdränge zugleich die Bilder, die vor meinen Augen lebendig zu werden drohen.

Gleich habe ich ihn!

Uns trennt nur noch eine Armlänge. Ich stoße mich ab und springe ihm in den Rücken. Die Wucht des Aufpralls schleudert uns nach vorn und so landet der Flüchtende mit einem Krachen hart auf den Pflastersteinen – und ich auf ihm. Ein Stöhnen ertönt unter mir, gefolgt von einem Fauchen, als ich die Gestalt auf den Rücken drehe und ihre Arme mit meinen Knien auf den Boden drücke. Rot leuchtende Augen fixieren mich, die schwarzen Haare sind zerzaust, Blut klebt an den Mundwinkeln und benetzt das Hemd des Jungen. Er wird gerade mal fünfzehn gewesen sein, als er zum Vampir wurde.

»So jung und schon so verdorben«, sage ich abfällig und halte den Pflock vor meine Brust. Als der Vampir meine Waffe sieht, strampelt er heftig mit den Beinen und versucht seine Arme hochzustemmen, aber ich drücke sie nach unten und beuge mich nach vorn.

»Versuch es nur, kleiner Vampir, es wird dir nichts nützen.«

Er knurrt und roter Schaum quillt aus seinem Mund, bedeckt die scharfen Reißzähne, die mir entgegenschnappen.

»Puh«, kommt es von vorn und ich blicke mit einem Lächeln auf den Lippen auf, beobachte den schnaufenden Hannes, der vornüber auf die Knie gestützt versucht wieder zu Atem zu kommen. Seine blonden Haare stehen in alle Himmelsrichtungen ab und die muskulöse Brust hebt und senkt sich ruckartig unter dem schwarzen Hemd. »Wie kann man nur so schnell laufen wie du?«, stößt er zwischen mehreren Atemzügen hervor und richtet sich auf. Sein Gesicht ist gerötet, die Farbe schmälert jedoch nicht die Attraktivität in seinem Antlitz.

Der Traum jeder Frau – außer Atem und völlig am Ende seiner Kräfte, denke ich belustigt und grinse breit, als er auf uns zukommt, um am Kopf des Vampirs stehen zu bleiben.

Mit vor Verachtung verzerrtem Gesicht sieht er auf das zuckende Wesen hinab und stößt ihn mit dem Fuß an. Ich muss meinen Kopf in den Nacken legen, um zu meinem Partner aufzusehen, er ist beinahe zwei Meter groß. Ein Tier von einem Mann, wie meine Tante Rosie stets schwärmt.

Mein Blick gleitet zum Gesicht des Vampirs zurück, der das Wort »aufgeben« nicht zu kennen scheint.

»Das junge Fräulein hat deinen Angriff nicht überlebt, du Bestie«, raunt Hannes und tritt dem Vampir erneut an den Kopf, woraufhin dieser ein scheußlich hohes Lachen von sich gibt. Es erinnert mich an eine wahnsinnig gewordene Greisin.

»Obwohl ihr mich nicht habt austrinken lassen? Das freut mich«, murmelt das Wesen und hebt seinen Kopf, um mir in die Augen zu sehen. »Soll ich dich auch aussaugen, kleine Van-Helsing-Schlampe?«

In aller Seelenruhe betrachte ich ihn, bevor ich den Kopf schüttele und tadelnd mit der Zunge schnalze. Vampire lieben es, uns Jäger zu provozieren, in der Hoffnung, dass wir die Nerven verlieren und Schwäche offenbaren, ihnen damit einen Angriffspunkt bieten. Nicht mit mir!

»Das Einzige, was ich dir gewähren werde, ist ein qualvoller Tod, du Bastard«, entgegne ich mit kühler Stimme und genieße den Anblick des Wesens, dessen Gesichtszüge sich erst verzerren und dann zu einer versteinerten Maske werden.

»Na komm, Aby, bereite dem Treiben des Jungen ein Ende. Unsere Schicht ist schon lange vorbei«, fordert mich Hannes auf und tritt zurück.

»Bestelle deinem Meister im Jenseits einen schönen Gruß!«, flüstere ich dem Vampir zu, nachdem ich mich nach vorn gebeugt und mit gebührendem Abstand an dessen Ohr verharrt habe.

Während er ein letztes Mal versucht sich von mir zu befreien, greife ich den Holzpflock mit beiden Händen, rutsche ein Stück hinunter, um die Brust frei zu geben, und stoße meine Waffe mit aller Kraft in sein Herz. Er bäumt sich mit wildem Gebrüll auf, versucht nach dem Pflock zu greifen, doch seine Gliedmaßen zerfallen bereits zu Staub. Während ich mich erhebe, ohne meinen Blick von ihm abzuwenden, hallen seine Schreie durch die Gasse, prallen an den Hauswänden ab und erfüllen die Nacht. Nach wenigen Sekunden ist das grausame Schauspiel vorbei und von dem bemitleidenswerten Wesen bleibt nur noch ein Häufchen grauen Staubs, auf dessen Spitze mein Pflock liegt.

»Niemand tötet in unserer Stadt, ohne ungestraft davonzukommen«, murmle ich und hebe meine Waffe auf, verteile den Staub mit dem Fuß und zerreibe ihn mit der Schuhsohle auf den Pflastersteinen.

Hannes tritt neben mich und legt mir seine große Hand auf die Schulter. Ich spüre seine Wärme durch den Wildlederstoff meines schwarzen Oberteils, das für uns Vampirjäger zur Grundausstattung gehört.

»Gut gemacht, Aby«, lobt er mich und ich drehe ihm mein strahlendes Gesicht zu.

»Danke. Ich würde das ja gern auch von dir behaupten, aber wir haben dich mühelos abgehängt und du warst mir keine sehr große Hilfe«, necke ich ihn und strecke ihm die Zunge raus. Er blickt mich empört an, bevor er seine Arme um mich schließt und mich herumwirbelt, bis ich quietsche.

»He, lass mich runter!«, schimpfe ich und boxe gegen seine Brust. »Wenn uns jemand sieht.«

»Dann was?«, fragt er und stellt mich auf dem Boden ab, lässt seine Hände jedoch auf meinen Hüften verweilen.

Schnell schlage ich seine Pranken weg, drehe mich auf dem Absatz um und marschiere davon. Dabei stecke ich meinen Pflock in die Halterung an meinem Gürtel. Ich bin mir der Wirkung meines Hüftschwungs in der engen Wildlederhose bewusst und werfe einen Blick über die Schulter, sehe Hannes mir nachstarren, bevor das Leben in ihm wieder erwacht und er sich ebenfalls in Bewegung setzt. Mit großen Schritten schließt er zu mir auf und so schlendern wir nebeneinander durch die Gassen Warwicks, in Richtung unseres Hauptquartiers – dem Haus meiner Tante.

»Was wäre so schlimm daran, wenn uns jemand so sehen würde?«, greift Hannes das Thema von vorhin auf.

Möglichst unauffällig werfe ich ihm einen Seitenblick zu, sehe sein ernstes Gesicht, das stur geradeaus blickt.

Er meint es ernst, denke ich und spiele nervös mit meinem Zopf, aus dem sich einzelne lockige Strähnen gelöst haben.

»Ach, Hannes, du weißt doch, wie die Leute hier in Warwick sind. Sie legen viel Wert auf Benehmen und schickliches Verhalten. Gerade bei den jungen Damen der angesehensten Familien«, ahme ich den strengen Tonfall meines Onkels nach, der stets auf Etikette bedacht ist. Leider entspreche ich so gar nicht seiner Vorstellung einer perfekten jungen Lady. Rüschenkleider sind mir zuwider, feine Schnösel mit Schnurrbart und Monokel ebenso. Teegesellschaften finde ich zum Davonlaufen und die Lehren des guten Benehmens machen mich krank. Viel lieber übe ich mich im Kampf, trainiere mit meinen Freunden der Organisation und jage die Bestien der Nacht, die mir alles genommen haben, was mir lieb und teuer war.

»Aby?«, unterbricht Hannes meine Gedanken und sticht mir sachte mit dem Zeigefinger in die Seite, während er mich mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtet.

Vor lauter wirren Gedanken habe ich ihm nicht mehr zugehört und so lache ich verlegen. »Was meintest du?«

»Du hörst mir gar nicht zu.«

»Es tut mir leid, Hannes, ich war mit meinen Gedanken bei meinen Eltern.«

»Oh«, gibt er zurück und legt seinen Arm um meine Schulter. Ich lasse ihn gewähren. »Irgendwann finden wir ihn, da bin ich mir sicher.«

»Hm«, gebe ich zurück und senke den Blick, betrachte die dunklen Pflastersteine, die im zarten Mondlicht schimmern.

Irgendwann. Irgendwann finde ich den Mörder meiner Eltern und dann kenne ich keine Gnade. Dafür lebe ich, dafür trainiere ich und schlage mir viele Nächte um die Ohren – auf der Suche nach dem weißhaarigen Vampir mit den roten Augen. Irgendwann …

»Ich will dich wahrlich nicht nerven, Aby, aber mir ist das Thema von vorhin wichtig. Du weißt, dass ich mehr für dich empfinde als nur Freundschaft.«

Hannes bleibt stehen und sein Arm gleitet von meiner Schulter, entzieht mir seine Wärme. Nach wenigen Schritten verharre auch ich und drehe mich zu ihm um.

Er blickt mir ernst entgegen und wartet auf meine Reaktion. Ich hingegen lasse meinen Blick über ihn schweifen, über seine beeindruckende Statur und sein attraktives Gesicht. Breite Schultern, muskulöse Arme, ein markantes Gesicht mit blauen Augen, die Herzlichkeit und Güte ausstrahlen, und diese blonden Haare, die stets zerzaust sind. Seine Familie ist eine der angesehensten Kaufmannsfamilien in Warwick und er wird eines Tages ein großes Vermögen und Handelsgeschäft erben. Hannes ist einer der begehrtesten Junggesellen in dieser Stadt, dem die Frauen zu Füßen liegen. Allein sein Charme bringt jedes weibliche Wesen zum Dahinschmelzen.

Onkel Alan träumt seit Jahren von einer Verbindung zwischen Hannes und mir und somit unserer beider Handelshäuser.

Wir besäßen den größten Handel in ganz Südengland, höre ich ihn träumen.

Doch will ich das? Ich muss gestehen, dass ich Hannes mag. Er ist mein bester Freund und auch körperlich finde ich ihn anziehend – sehr sogar. Er bringt meinen Puls regelmäßig zum Rasen und lässt meine Körpertemperatur schlagartig ansteigen.

Doch in meinem Herzen ist kein Platz für Liebe. Noch nicht. Erst muss ich das Loch darin füllen, muss es durch die Rache an dem weißhaarigen Vampir heilen.

»Hannes …«, setze ich an und gehe auf ihn zu. Ich lege meine Hand auf seine Brust und spüre sein Herz darunter klopfen. Sein Herzschlag beschleunigt sich, als ich zu ihm aufblicke.

»Du weißt, dass ich dich mag. Es ist nur … Das mit meinen Eltern …« Wie soll ich es ihm bloß erklären?

Er ergreift meine Hand und drückt sie, schenkt mir ein zärtliches Lächeln. »Ich bin der Letzte, der dich drängen würde, das weißt du. Vielleicht fangen wir einfach mit einem Spaziergang an. Wie wäre es morgen nach dem Training?« Er setzt seinen Hundeblick auf, dem ich nicht widerstehen kann. Das weiß er, dieser hinterlistige …

»Na gut«, lenke ich ein und erhalte einen Kuss auf den Handrücken. Meine Haut prickelt an der Stelle, an der seine Lippen sie berührt haben und ich spüre widerwillig, dass mir das Blut in die Wangen schießt. Schnell entziehe ich ihm meine Hand.

»Tante Rosie macht sich bestimmt schon Sorgen um uns. Lass uns zurückgehen«, sage ich rasch, während ich bereits mehrere Schritte von ihm weggeeilt bin und mich bemühe, sein breites Grinsen zu ignorieren, das er bis zum Haus meiner Tante beibehält.

Kapitel 02

»Abony Van Helsing«, begrüßt mich die strenge Stimme meiner Tante Rosie, als Hannes mir die schwere Holztür zum Herrenhaus in der Church Street öffnet und mich – durch und durch Gentleman – zuerst eintreten lässt. Ruckartig bleibe ich im Flur stehen und ziehe den Kopf ein, denn es verheißt Ärger, wenn Rosie mich bei meinem vollen Namen nennt. Das weiß auch Hannes und so drückt er sich an mir vorbei, um zur Tür rechts von uns zu eilen. Jedoch nicht, ohne die finster dreinblickende Frau, die in ihrem dunkelblauen bodenlangen Kleid und mit vor der Brust verschränkten Armen mitten im Flur steht, mit einer angedeuteten Verbeugung zu grüßen. Er huscht in den Versammlungsraum und kurz ist der Flur von Gesprächsfetzen erfüllt, bevor er die Tür hinter sich schließt und unangenehme Stille hinterlässt. So ein Verräter …

»Rosie«, begrüße ich meine Tante mit glockenheller Stimme und einem unschuldigen Lächeln, während ich mit ausgebreiteten Armen auf sie zugehe. Ihre grauen Augen liegen eisig auf mir, durchbohren mich, als wolle sie meine Gedanken beeinflussen. Blonde Strähnen haben sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst, als hätte sie sich mehrmals die Haare gerauft. Sie klopft in rhythmischem Takt mit einem Fuß auf den Holzboden. Das dumpfe Pochen begleitet meinen Herzschlag.

Bei ihr angekommen schließe ich meine Arme um die zierliche Frau, die seit zwölf Jahren versucht mir die Mutter zu ersetzen. Ihr Körper ist steif, jeder Muskel angespannt.

»Mir ist nichts geschehen, Rosie«, flüstere ich und schmiege meinen Kopf an ihre Schulter, atme den blumigen Duft ein, der sie stets einhüllt. Zu Hause. Ihre Wärme, ihr Duft, alles heißt mich willkommen, gibt mir das Gefühl, angekommen zu sein und schenkt mir Ruhe. Auch sie entspannt sich, atmet hörbar aus und legt ihre Arme um mich, bevor sie mich fest an sich drückt.

»Ich habe mir Sorgen gemacht. Ihr hättet längst zurück sein sollen.«

»Es tut mir leid! Wir haben einen Vampir während seines grausigen Werkes überrascht und wollten ihn nicht davonkommen lassen.« Seit meine Eltern diesen Monstern zum Opfer gefallen sind, ist Rosie übervorsichtig. Verspäte ich mich auch nur um wenige Minuten, durchleidet sie Höllenqualen und vermutet bereits das Schlimmste. Wer könnte es ihr verübeln? Sie war diejenige, die mich damals von meinen toten Eltern weggezogen, mich in ihre Arme genommen und tagelang meine Tränen getrocknet hat. Auch sie musste den schrecklichen Anblick erst verarbeiten, der sich ihr in der Gasse geboten hat. Ihr Bruder und dessen Frau, hingerichtet von raubtierähnlichen Wesen, in deren Adern menschliches Blut pulsiert – Blut von all jenen, die sie Nacht für Nacht abschlachten und aussaugen. Bis heute macht sie sich Vorwürfe, dass sie uns nicht untersagt hat nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause zu gehen.

»Ich sollte mir nicht immer solche Sorgen machen«, murmelt meine Tante schließlich, während sie mir über den Kopf streicht. »Du bist kein kleines Mädchen mehr, das weiß ich. Aber du bist immer noch meine kleine Aby und das wirst du auch auf ewig bleiben.«Zu Hause. Da ist es wieder, dieses Gefühl, einen Platz im Leben gefunden zu haben. Auch wenn zwei Personen immer fehlen werden. Zwei Personen, die ein tiefes Loch hinterließen und dabei Gefühle mit sich nahmen, die niemand ersetzen kann – auch nicht Rosie.

Ich blicke ihr in die tränenfeuchten Augen und lächle. »Du musst dir keine Sorgen machen. Außerdem passt Hannes auf mich auf.«

Rosie streicht sich eine Träne aus dem Augenwinkel, bevor sich ihre Lippen zu einem breiten Grinsen verziehen.

»Ach ja, Hannes«, murmelt sie und dreht sich von mir weg. Sie schlendert auf den Versammlungsraum zu.

»Wieso grinst du so?«, hake ich nach und folge ihr, zupfe an ihrem Ärmel, nachdem sie nur lachend abgewinkt hat. »Nun sag schon!«

Vor der geschlossenen Tür bleibt sie stehen und wirbelt zu mir herum, sodass ich überrascht einen Satz nach hinten mache.

»Ist es dir denn immer noch nicht aufgefallen?«, fragt sie und lächelt mich selig an.

»Wie … was meinst du?«, stammle ich und spüre, wie mir das Blut in die Wangen schießt. Mein Gesicht scheint zu glühen und so drehe ich mich rasch weg. Doch ich war zu langsam.

»Deine gesunde Gesichtsfarbe verrät dich, mein Engel. Du weißt genau, wovon ich spreche.«

Langsam wende ich mich ihr wieder zu, den Blick auf den Pflock an meinem Gürtel gerichtet, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen. Ich weiß nicht, wie diese Frau es anstellt, aber sie scheint meine Gedanken lesen zu können. Ich vermute schon lange, dass sie mit diesen stahlgrauen Augen in die Seele eines Menschen blicken kann.

»Hat er dich bereits darauf angesprochen?«

Vorsichtig blicke ich zu ihr auf und nestele an meinem Oberteil herum. »Es könnte sein, dass er heute etwas erwähnt hat«, gebe ich zu. Ein Lächeln huscht bei der Erinnerung an Hannes’ Berührung und sein Geständnis über meine Lippen.

»Was hast du geantwortet?« Rosie greift mich an den Schultern und sieht mich mit geweiteten Augen an. Sie hat Hannes sofort in ihr Herz geschlossen, als er vor vier Jahren in unsere Organisation eingetreten ist. Wie auch Onkel Alan träumt sie von einer Verbindung zwischen Hannes und mir. Nicht wegen der lukrativen Zusammenführung der Handelshäuser – nein, sie sieht in dem blonden Hünen den perfekten Beschützer und Partner für mich. Dabei brauche ich keinen Beschützer! Doch Rosie würde nachts wesentlich ruhiger schlafen, wenn sie einen starken und liebevollen Mann an meiner Seite wüsste. Das gibt sie mir beinahe täglich zu verstehen.

Wie soll ich ihr deutlich machen, dass in meinem Herzen eigentlich kein Platz ist? Nun suche ich schon wieder nach erklärenden Worten, wie auch zuvor bei Hannes.

»Er weiß, was mich umtreibt, was meine Gedanken beherrscht«, setze ich an, den Blick auf den Boden gerichtet, aber Rosie unterbricht mich, indem sie mich leicht rüttelt.

»Abony, du kannst nicht dein Leben lang vor der Liebe davonlaufen, nur weil die Rache für den Tod deiner Eltern dein Denken und dein Herz beherrscht. Rache und Liebe sind zwei unterschiedliche Dinge und für beides ist Platz in deinem Herzen. Wenn du diesen weißhaarigen Vampir niemals wiedersiehst, deine Rache nie erhältst, willst du dann auf ewig allein bleiben und einsam sterben?«

»Aber …«

»Kein ›Aber‹! Du musst der Liebe eine Chance geben. Sie kann ein Herz heilen, glaube mir. Die Liebe einer Familie ist genauso Balsam für die Seele wie die Liebe eines Mannes, der alles für dich tun würde.« Mit ihrem Handrücken streicht sie mir über die Wange und verweilt an meinem Kinn, schiebt es hoch, sodass ich ihr in die Augen sehen muss, welche voller Liebe für mich sind. Ihr Gesicht nimmt weichere Züge an. »Wieso hast du solche Angst, dich Hannes zu öffnen?«

»Ist er denn der Richtige für mich?«

Rosie lacht und lässt ihre Hand sinken. »Das musst du herausfinden. Gib ihm eine Chance, lerne ihn als Mann kennen und nicht nur als guten Freund oder Jagdpartner. Dein Herz wird dir den Weg weisen.«

»Hm«, gebe ich unschlüssig zurück und will etwas erwidern, als die Tür zum Versammlungsraum nach innen aufgerissen wird und Rosie und ich vor Schreck zusammenfahren.

»Ich wusste doch, dass ich Stimmen gehört habe.« Alan steht im Türrahmen, die Wangen erhitzt und die dunklen Haare zerzaust. Stimmen dringen in den Flur. Es wird gegrölt, diskutiert und lauthals versucht die anderen zu übertönen. Wahrscheinlich haben sie den Tod des Vampirs bereits mit einem Humpen Bier gefeiert. Oder auch zwei oder drei.

»Was steht ihr noch vor der Tür? Müssen wir euch erst hineinbitten?«, fragt mein Onkel mit einem Augenzwinkern und weist uns den Weg in den Versammlungsraum.

»Wir sprechen morgen weiter«, flüstert mir meine Tante ins Ohr, bevor sie ihrem Mann zunickt und wir den gemütlich erleuchteten Raum betreten, in dem Hannes und vier weitere Vampirjäger an einem langen Holztisch sitzen und uns mit ihren Krügen zuprosten.

Alan mustert mich mit einem schiefen Lächeln, nachdem er die Tür geschlossen hat und an mir vorbei zum Tisch strebt. Was hat Hannes von unserem Einsatz erzählt?

Mit zusammengekniffenen Augen und auf meiner Unterlippe kauend sehe ich zu Hannes hinüber. Er sitzt eingekesselt zwischen Miles und Henry, den Zwillingen. Die beiden gleichen sich wie ein Ei dem anderen, teilen sich die kinnlangen schwarzen Haare, die gerade Nase und die gleichmäßigen Gesichtszüge. Nur die Augenfarben unterscheiden sich. Miles’ Augen leuchten in einem hellen Blau, während Henrys Augen an das Grau des Himmels an einem Regentag erinnern. Sie sind bereits seit meiner Kindheit Teil der Organisation und zählen mit ihren fünfzig Jahren zu den alten Hasen unter uns Jägern. Miles trainiert uns im Umgang mit dem Pflock und weist uns in neue Kampftechniken ein. Henry ist Tischler und fertigt die Holzpflöcke an.

Mein Blick schweift wieder zu Hannes zurück, der in ein Gespräch mit Miles vertieft ist. Er gestikuliert wild mit den Händen. Vielleicht berichtet er von unserer Jagd.

»Aby, setz dich zu uns!«, dringt Alans Stimme zu mir. Erst jetzt bemerke ich, dass ich stehen geblieben bin und Hannes angestarrt habe. Zum Glück ist er dermaßen in sein Gespräch vertieft, dass er davon nichts mitbekommen hat.

Rasch setze ich mich in Bewegung und steuere auf den Platz neben Rosie zu, setze mich zu den anderen an den langen, dunklen Holztisch. Meine Hände gleiten über die glatte Oberfläche. Man spürt die Maserung nicht mehr, so abgegriffen ist das Material. Generationen von Van Helsings und Vampirjägern haben an diesem Tisch bereits ihre Versammlungen abgehalten, in eben diesem Haus. Es wurde von Generation zu Generation weitervererbt, mitsamt des Waffenarsenals, das in unserem Keller verborgen liegt. Ich lasse den Blick umherschweifen, während Sophie, unsere Hausangestellte, mir einen Becher mit gewürztem Wein füllt. Alan sitzt links von Rosie und mir am Kopfende des Tisches. Hinter ihm prasselt ein Feuer im steinernen Kamin. Mir gegenüber sitzen Miles, Hannes, Henry und Arthur. Letzterer ist unser Waffenschmied und befindet sich irgendwo in den Vierzigern. Dem muskulösen Jäger sind bereits vor Jahren die Haare ausgegangen, was ihn nicht zu stören scheint. So könne er sie sich nicht bei der Arbeit versengen, bekräftigt er immer wieder lachend. Hinter den vier Männern weisen drei Fenster in die tiefe Nacht hinaus. In regelmäßigen Abständen unterbrechen die dunklen Rechtecke die cremefarben gestrichene Wand. Wir verbarrikadieren weder Fenster noch Türen mit Brettern, so wie es die restlichen Bewohner Warwicks jede Nacht tun. Wieso auch? Welcher Vampir würde den Fehler begehen und das Haus der Organisation angreifen? Selbst unsere Angestellten sind ausgebildete Vampirjäger und überall im Haus sind Pflöcke versteckt – jederzeit griffbereit.

Zu meiner Rechten, am anderen Kopfende, sitzt Phil, der sechzehnjährige Bruder unserer Angestellten Sophie und Neuling bei den Vampirjägern. Jeder kann Mitglied in unserer Organisation werden, weder Stand noch Reichtum sind ausschlaggebend für eine Mitgliedschaft. Mutig muss ein Anwärter sein, tapfer und entschlossen sein Leben im Kampf mit den blutsaugenden Kreaturen der Nacht zu riskieren. Nicht wenige Vampirjäger wurden im vergangenen Jahrhundert von unseren Feinden niedergestreckt. Nur ein kurzer Moment der Unachtsamkeit – und die Biester schlagen ihrem Gegner die Reißzähne ins Fleisch, zerreißen die Kehle im Bruchteil einer Sekunde. Nicht ohne Grund trainieren wir auch unsere Konzentration, meditieren mehrmals in der Woche und schulen unsere Wahrnehmung.

Diejenigen, in deren Adern Van-Helsing-Blut fließt, sind klar im Vorteil gegenüber den anderen: Sie sind für die Jagd geschaffen. Sie besitzen das Jäger-Gen, das ihre Sinne schärft und sie stärker macht als gewöhnliche Menschen. Ein Grund mehr, warum ich Hannes bei jeder Jagd mühelos abzuhängen vermag. Es ärgert ihn immer wieder, mir unterlegen zu sein, obwohl er mehr trainiert als ich. In Gedanken daran muss ich grinsen und mein Blick schweift zurück zu meinem Jagdpartner, der mich mittlerweile aus seinen blauen Augen beobachtet und dem Gespräch seiner Nachbarn anscheinend nur noch mit halbem Ohr lauscht. Meine Gesichtsmuskeln erstarren und mir schießt schon wieder das Blut in die Wangen. Nervös rutsche ich auf meinem Stuhl herum und blicke in den gusseisernen Becher vor mir, in dem die rötliche Flüssigkeit dunkel schimmert.

Wieso macht er mich auf einmal so nervös? Liegt es an seinem Geständnis? Ich habe doch bereits gewusst, dass er in mir mehr sieht, als nur eine gute Freundin. Das hat er bereits mehrmals angedeutet, jedoch noch nie ausgesprochen.

Ich muss mich zusammenreißen! Gefühle dürfen mich nicht von meinem Ziel abbringen. Ich bin es meinen Eltern schuldig, ihren grausamen und viel zu frühen Tod zu rächen.

»Geht es dir nicht gut?«, ertönt neben mir eine Stimme.

»Wie?« Verwirrt blicke ich Rosie an, deren Hand auf meinem Oberschenkel ruht.

»Dein Blick ist so starr auf deinen Wein gerichtet und deine Augen glänzen fiebrig.« Bevor ich es verhindern kann, legt sie ihre Hand an meine Stirn und fühlt die Temperatur. »Du bist ganz heiß. Vielleicht solltest du dich lieber schlafen legen. Es war sicher eine anstrengende Nacht.«

»Fühlst du dich unwohl, mein Schatz?«, kommt es prompt von Alan und schon sind alle Blicke im Raum auf mich gerichtet.

»Nein, ich … vielleicht ein wenig erschöpft«, gebe ich zu und lasse den Kopf sinken. Tatsächlich schwankt meine Körpertemperatur von Sekunde zu Sekunde. Mir ist heiß, dann plötzlich eiskalt. Habe ich Fieber? Oder sind es Hannes’ Blicke, die meinen Körper so verunsichern?

»Dann ab mit dir ins Bett, junges Fräulein! Hannes hat uns bereits von eurer erfolgreichen Jagd erzählt. Wir können dir beim Frühstück die Ergebnisse unserer Besprechung mitteilen.« Alans Blick lässt keinen Zweifel daran, dass er mich eigenhändig in mein Schlafgemach schleifen würde, sollte ich widersprechen. Also füge ich mich. Wenn ich ehrlich bin, freue ich mich auf mein Bett und den verlockenden Schlaf. Ich bin auf einmal hundemüde. Zustimmend nicke ich, erhebe mich und schiebe den Holzstuhl geräuschvoll zurück.

»Ich begleite dich ein Stück«, beeilt sich Hannes anzubieten, doch Rosie unterbricht ihn mit einem Schnalzen.

»Also, Hannes, es ziemt sich nicht für eine junge Dame, von einem Mann in ihr Schlafgemach geleitet zu werden«, erklärt sie in strengem Tonfall und mit erhobenem Zeigefinger.

Es herrscht eisige Stille im Raum, bis Alan lauthals losprustet und sich auf den Schenkel klopft. »Ach, Hannes, du müsstest dein Gesicht sehen. Rosie macht nur Spaß. Sonst würden wir euch sicher nicht nachts allein durch die Straßen ziehen lassen.«

Hannes lacht verlegen, doch ich kann ihm den Schrecken ansehen. Ich muss ebenfalls lachen, bevor ich abwinke. »Danke für das Angebot, Hannes, aber die Treppe hoch schaffe ich allein.« Mit einem Kopfnicken verabschiede ich mich von den Versammelten, nehme die Genesungswünsche entgegen und verlasse den Raum, in dem die Gespräche wieder einsetzen.

Tief atme ich durch, nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen habe und mich gegen das kühle Holz lehne. Ich fühle mich tatsächlich fiebrig und genieße die angenehm kalte Luft, die das Foyer erfüllt. Im Versammlungsraum war es durch das Kaminfeuer und die Menschen warm und stickig.

Ich benehme mich wahrlich kindisch, denke ich und mache mich auf den Weg zur Treppe, die in das obere Stockwerk führt. Ein Knarzen begleitet mich Stufe für Stufe, während ich zu den Schlafzimmern emporsteige. Hier herrscht herrliche Ruhe und die Hitze in meinen Wangen lässt allmählich nach. Ich ärgere mich, dass ich die Besprechung verpasse und nicht mitreden kann. Gleichzeitig freue ich mich auf einen Moment der Ruhe, um meine Gedanken und Gefühle ordnen zu können.

Dunkelheit hüllt den oberen Flur ein. Durch das Fenster schimmert gerade so viel Mondlicht, um mir den Weg vorbei an zahlreichen Türen zu weisen, bis hin zum letzten Zimmer am Ende des Ganges. Mein eigenes kleines Reich. Ein blumiger Duft empfängt mich, als ich die Tür öffne und sofort meine Kleider abstreife, um sie von mir zu schleudern. Dank meiner geschärften Sinne finde ich den Weg zum Bett auch ohne Licht und so manövriere ich mich an einem Sekretär und einem Schrank vorbei, hin zu dem Himmelbett, das noch aus meinem Elternhaus stammt. Seufzend lasse ich mich auf die weiche Matratze fallen und atme den blumigen Duft ein, den die Federdecke verströmt. Sophie parfümiert alle Betten im Haus. Ein angenehmer Duft beschert jedem Schlaf Suchenden zauberhafte Träume, betont sie stets.

Ob mir ihr Trick zu Beginn meiner Zeit in diesem Haus geholfen hätte?

Das erste Jahr haben mich furchtbare Albträume gequält. Immer wieder habe ich jene Nacht vor zwölf Jahren durchleben müssen, bin schweißgebadet aufgewacht, habe geheult und geschrien, bis Rosie in mein Zimmer gestürmt gekommen ist und mich bis zum Morgengrauen in ihren Armen geborgen hat. Sie hat tröstende Worte gefunden und versucht meinen Schmerz zu heilen, obwohl ihr das eigene Herz vor Trauer fast zerbrochen ist.

Erst Jahre später hat sie mir gestanden, dass ich der einzige Grund gewesen bin, der ihr die Kraft gegeben hat, jeden einzelnen Tag zu überstehen. Wegen mir hat sie stark sein müssen, sie hat durchgehalten und den Verlust Stück für Stück überwunden.

Rosie und Alan haben nie eigene Kinder bekommen. Sie haben es versucht, doch ihnen war das Glück nicht geneigt gewesen. So haben sie mich als ihre Tochter angenommen, die Nichte, die auf einen Schlag zur Waise geworden war.

Ich liebe Alan und Rosie. Sie sind mir im Laufe der Jahre zu richtigen Eltern geworden, doch in meinem Herzen schlummert die Erinnerung an das Gefühl, das ich meinen leiblichen Eltern gegenüber empfunden habe. Meine Mutter, der ich so ähnlich sehe, und mein Vater, dessen Sturheit ich geerbt habe. Der Meinung ist Rosie jedes Mal, wenn wir aneinandergeraten und ich meinen Sturkopf wieder einmal durchsetze. Doch nicht nur Aussehen und Charakterzüge teile ich mit meinen Eltern, auch das gewichtige Erbe der Van-Helsing-Familie, das mein Vater nie hat annehmen wollen – oder nach Leibeskräften zu ignorieren versucht hat –, trage ich mit mir. Er hatte seine Gründe, meine Mutter und mich aus der Organisation herauszuhalten.

Was hat es ihm gebracht? Wir sind dennoch Opfer dieses Krieges geworden, einer bereits Jahrhunderte andauernden Feindschaft zwischen den Vampiren und unserer Familie.

Heiße Tränen der Wut rinnen mir über das Gesicht, tropfen auf die Bettdecke und befeuchten den Stoff. Ich drehe mich auf die Seite und starre zum Fenster hin, hinter dessen Scheibe ich die Umrisse der gegenüberliegenden Häuser erkennen kann. Geräuschvoll ziehe ich die Nase hoch und wische mir mit dem Handrücken über die feuchten Wangen.

Wie viele Tränen habe ich bereits vergossen? Man könnte mehrere Fässer damit füllen. So stark ich mich auch gebe – nachts, allein in meinem Zimmer, wenn die Gedanken ihr Eigenleben entwickeln und sich auf die Reise in die Vergangenheit begeben, kann ich meine Fassade nicht mehr aufrechterhalten.

Bedeutet stark zu sein denn, dass man sich nie seinem Schmerz hingeben darf? Dass man kalt und gefühllos werden muss?

Eine kühle Brise streift mich, wandert über meine Nasenspitze und verfängt sich in meinen Haaren. Ruckartig richte ich mich auf und starre in die Dunkelheit, versuche etwas zu erkennen. Eine Bewegung, eine Silhouette, irgendetwas.

»Hallo?«, flüstere ich und warte auf Antwort. Nichts. Enttäuscht lasse ich mich wieder hinabsinken und kuschele mich unter meine Decke.

In diesem Gebäude haben bereits viele Generationen der Van Helsings gelebt, seit unsere Vorfahren vor vielen Jahrhunderten aus den Niederlanden nach England übergesiedelt waren. Jeder verstorbene Van Helsing lässt etwas von sich in der irdischen Welt zurück. Ein Teil jeder Seele haftet an diesem Haus und wacht über die Nachkommen. Manchmal spürt man sie als leichten Luftzug, ein anderes Mal lassen sie das Kaminfeuer aufflackern oder schlagen Türen zu. Das sorgt immer wieder für Überraschungen während unserer Versammlungen.

Jedoch sind nur wenige Van Helsings in der Lage, mit den verstorbenen Seelen zu kommunizieren oder sie zu lenken. Ich bin seit Jahrzehnten die erste Van Helsing, die diese Gabe besitzt. Was zu Beginn äußerst unheimlich war. Nicht nur, dass mich jede Nacht, kurz bevor ich einschlafe, eine Gänsehaut überzieht, weil mich die Seelen in den Schlaf führen und mich in meine Träume begleiten. Nein, es ist die ersten Male äußerst beunruhigend, wenn man mitten in der Nacht aufwacht und in der Dunkelheit Bewegungen ausmacht oder neben dem Bett eine Silhouette aufragt. Die Seelen haben mir bereits das ein oder andere Mal einen ordentlichen Schrecken eingejagt. Mittlerweile habe ich mich an ihre Anwesenheit gewöhnt und oft genug haben sie mir bereits durch ihren Rat geholfen. Sie nehmen die Gedanken eines Menschen wahr und reagieren im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Leider kann ich nicht erkennen, wessen Seelen in diesem Haus zurückgeblieben sind und so weiß ich nicht, ob vielleicht die Seele meines Vaters über mich wacht und mich begleitet.

Haben mir die Seelen also auf meine Fragen geantwortet? Darf man Gefühle zulassen und dem Moment der Schwäche nachgeben, auch wenn man stark sein will?

Wieder streift mich eine Brise und ich lächle. Also doch. Dann könnte ich auch weiterhin meinem Streben nach Rache folgen und gleichzeitig mein Herz für die Liebe öffnen. Sollte ich Hannes also eine Chance geben? Mein Bauch kribbelt bei dem Gedanken an diese blauen Augen, mit denen er mich ständig mustert und abschätzt. Noch immer meine ich seine Hände auf meinen Hüften zu spüren. Ich erinnere mich an seinen rasenden Herzschlag, als meine Hand auf seiner muskulösen Brust lag.

Die Liebe einer Familie ist genauso Balsam für die Seele wie die Liebe eines Mannes, der alles für dich tun würde, höre ich Rosie sagen.

Kann Hannes mein Herz heilen? Ich sollte es auf einen Versuch ankommen lassen. Wie meinte Rosie so schön? Dein Herz wird dir den Weg weisen. Mit diesem Gedanken empfange ich die Seelen meiner Ahnen, folge ihnen in den Schlaf und betrete das Reich der Träume.

Kapitel 03

»Konzentrier dich auf deinen Gegner, Aby!«, schreit Miles, als meine Gedanken abschweifen und mich ein Schlag in den Magen trifft.

Ich taumle zurück und starre Kate an, die siegessicher grinst und die Fäuste schwingt. Sie hüpft von einem Bein auf das andere, während ihr rötlich brauner Zopf hin und her schwingt. Ihre blassblauen Augen fixieren mich, während darin der Ehrgeiz aufblitzt. Ich kenne meine beste Freundin in und auswendig, bin mit ihrer Kampftechnik vertraut und kann normalerweise jeden ihrer Schritte vorhersehen. Doch heute erwischt sie mich auf dem falschen Fuß. Das darf mir nachts, auf der Jagd, nicht passieren.

Während ich meine Gedanken sortiere und mich wieder auf das Training zu fokussieren versuche, streiche ich mir über den Bauch, der schmerzhaft brennt.

»Ordentlicher Schlag, Kate«, gebe ich anerkennend zu und sie lacht, sodass die Grübchen neben ihren Mundwinkeln erscheinen.

»Ich muss ausnutzen, dass du mit deinen Gedanken nicht bei der Sache bist«, erwidert sie und prescht nach vorn.

Schnell reiße ich die Arme in die Höhe und wehre ihren Angriff ab, stemme die Füße in den weichen Boden, um nicht nach hinten geschoben zu werden. Für einen kurzen Moment huscht mein Blick hinab zur weißen Linie, die unseren Kampfbereich eingrenzt. Kate darf mich nicht aus dem gezeichneten Kreis befördern, sonst hat sie diese Runde gewonnen. Ich beiße die Zähne zusammen und sammle mich, atme einmal tief durch, bevor ich sie von mir stoße und sie mit einem gezielten Tritt gegen die Beine aus dem Gleichgewicht bringe. Sie knallt auf den Boden und rollt sich auf den Bauch, um rasch wieder auf die Füße zu kommen. Dabei dreht sie mir den Rücken zu. Mein Fuß schnellt nach vorn und trifft sie am Hinterteil. Im hohen Bogen fliegt sie vorwärts und landet mit einem Aufschrei – und dem Gesicht zuerst – im Gras, außerhalb des Kreises.

»Von wegen, nicht bei der Sache«, murmle ich und eile auf sie zu, um ihr aufzuhelfen.

»So schnell kann es gehen. Drehe deinem Feind nie den Rücken zu«, kommentiert Miles, bevor er sich zwei weiteren Trainierenden zuwendet.

Kate richtet sich stöhnend auf, während sie sich mit der einen Hand den Hintern reibt und mit der anderen den Dreck aus dem Gesicht wischt.

»Du hast da noch was an der Nasenspitze«, ärgere ich sie und weiche ihrem Schlag aus.

»Werd nicht unverschämt! Du hast doch bereits gewonnen – wieder einmal«, schimpft sie, verschränkt die Arme und verzieht beleidigt das Gesicht. »Was treibt dich heute um? Du sahst aus, als würdest du träumen.«

»Geträumt? Nein«, wehre ich ab und drehe mich von ihr weg, damit sie mir die Lüge nicht ansieht.

»Du flunkerst mich an!«

»Nein!«

»Doch! Ich spüre es, wenn du mir die Wahrheit verschweigst. Schließlich kenne ich dich schon lange genug.« Sie stapft um mich herum und bohrt ihren Zeigefinger in meinen Bauch. Genau auf die Stelle, an der sie mich zuvor mit der Faust getroffen hat.

»Aua. Nimm deinen Finger weg!«

Prustend zieht sie ihre Hand zurück und legt den Kopf schief, um mich von oben bis unten zu mustern. »Möchtest du darüber reden?«

Ich schaue mich rasch um, will mich vergewissern, dass niemand in Hörweite steht. Wir befinden uns auf dem parkähnlichen Übungsgelände der Organisation, das außerhalb von Warwick liegt. Ein weiß gekalktes Landhaus, eingerahmt von Buchen und Eichen, befindet sich im Herzen des Anwesens. Es ist der Landsitz meiner Familie, der mir mit seinen Stallungen und den edlen Pferden schon oft Zuflucht und Ablenkung bot, wenn mich mein Sinnen nach Rache wieder einmal zu sehr beherrschte.

Rosie tritt gerade aus der offen stehenden Haustür, ein Tablett mit Getränken in den Händen balancierend. Sie steuert zielsicher eine kleine Gruppe von Männern an, die ein Stück von uns entfernt Alan und Hannes umringt. Auch die beiden Männer stehen in einem Kreidekreis und liefern sich einen Kampf. Kurz bleibt mein Blick auf Hannes haften, der mit konzentriertem Blick um meinen Onkel herumpirscht, die Muskeln unter dem weißen Hemd angespannt. Hitze steigt in mir empor und ich drehe mich wieder zu Kate um, die mich interessiert beobachtet.

»Letzte Nacht war ich mit Hannes auf der Jagd. Er … nun ja, sprach ein gewisses Thema an«, beginne ich und verstumme. Kate scheint zu verstehen. Ihre Augen weiten sich und sie ergreift meine Hände.

»Aby, sag bloß, er hat dir seine Liebe gestanden?«

»Liebe? Nein! Also nicht offensichtlich«, stammle ich und schüttele ihre Hände ab. »Er will nach dem Training mit mir spazieren gehen. Von Liebe kann noch keine Rede sein. Er mag mich.«

»Vertrau mir, er mag dich nicht nur, er liebt dich. So etwas sehe ich mit meinem geschulten Auge.« Sie zwinkert mir zu, woraufhin ich lachen muss.

»Geschultes Auge nennt man das also heutzutage.«

»Lenk nicht ab!«, schimpft sie und stampft mit dem Fuß auf. »Jede ledige junge Frau in Warwick und über die Stadtgrenze hinaus würde alles dafür geben, Hannes’ Aufmerksamkeit zu erlangen. Nicht nur die ledigen Frauen …«, deutet sie an und grinst.

»Kate, schäm dich!«, schimpfe ich und schüttele den Kopf, doch sie lacht bloß und hakt sich bei mir unter. Sie zieht mich mit sich, weg von den trainierenden Jägern.

»Magst du ihn denn auch?«, fragt sie und schielt zu mir herüber.

»Natürlich. Er ist mein bester Freund, mein Jagdpartner.«

»Nicht solch ein ›Mögen‹, du Dummerchen. Empfindest du etwas für ihn? Als Mann?«

»Ich …«, setze ich an und verstumme, während ich nachdenklich auf die Wiese starre. Bedeutet das dieses Ziehen in meinem Magen und die Hitzewallungen, die mich unter seinem Blick befallen? Oder sind das normale Reaktionen auf einen Mann? Ich bin schließlich bereits zwanzig, somit im heiratsfähigen Alter und nicht blind, was die Vorzüge des anderen Geschlechts betrifft. Noch habe ich keine Erfahrungen mit Männern, bis auf den harmlosen Kuss des Nachbarsjungen vor zwei Jahren. Von einer Tochter der höheren Gesellschaft wird erwartet, als Jungfrau in die Ehe einzugehen, doch bis jetzt habe ich kein Interesse daran gezeigt, verheiratet zu werden. Alan und Rosie wollten mich nie zwingen oder zwangsverheiraten, wie es in unserer Gesellschaft nicht unüblich ist. Da mich stets der Sinn nach Rache beherrscht hat und immer noch gefangen hält, stellte ich eine Heirat hinten an. Aber mein Körper macht sich immer wieder bemerkbar, lenkt meine Aufmerksamkeit auf Bedürfnisse, die ich bisher zu verdrängen vermochte.

Kate räuspert sich und holt mich damit aus meinen Grübeleien. Ich bleibe stehen und bohre meine Fußspitze in die Erde, grabe damit ein kleines Loch, während ich nach den passenden Worten suche.

»Meine Eltern liebten sich abgöttisch. Seitdem ich den Sinn einer Ehe begriffen habe, wünsche ich mir solch eine Liebe. Ich war schon als Kind sehr aufmerksam und bemerkte ihre Blicke füreinander. Blicke voller Liebe und Leidenschaft. Die Luft schien zu knistern, wenn sie zusammen waren. Bei Alan und Rosie ist es anders. Sie lieben sich sehr und nach so vielen Jahren färben sich Rosies Wangen immer noch rot, wenn Alan ihr ein Kompliment macht. Doch es ist eine bodenständige Liebe, voller Zuneigung und gegenseitigem Respekt. Das ist erstrebenswert, aber ich will mehr. Ich will dieses Knistern, das ich von meinen Eltern kenne. Leidenschaft und Abenteuer, einen Mann, der mich um den Verstand bringt.«

»Hast du nicht schon genug Abenteuer in deinem Leben?«, wirft Kate ein und zieht die Augenbrauen hoch.

»Das ist doch nichts Neues mehr.«

Kate lacht trocken auf. »Für dich ist das vielleicht nichts Aufregendes mehr, Miss Obervampirjägerin. Dir liegt die Jagd im Blut. Du wurdest dafür geboren. Mir bleibt bei jedem Kampf beinahe das Herz stehen und ich danke Gott nach jeder Begegnung mit einem Vampir, aus der ich unversehrt zurückkehre.« Sie bekreuzigt sich vor der Brust.

»So meinte ich das nicht. Wünschst du dir denn keine aufregende Liebe?«

»Doch, aber die hätte ich schon mit Hannes. Sieh ihn dir nur an!« Sie weist mit dem Kopf zu der Gruppe neben dem Haus, in deren Mitte noch immer ein erbarmungsloser Kampf stattfindet. Hannes macht es Alan nicht leicht, schließlich ist er einen Kopf größer als mein Onkel und wesentlich jünger. Alan hingegen zieht seinen Vorteil aus der jahrelangen Erfahrung.

»Er sieht gut aus, ist weltgewandt, charmant und zudem sehr reich. Irgendwann erbt er das Handelsgeschäft seines Vaters und gemeinsam wärt ihr unschlagbar. Ich würde alles darum geben, dass er mich so ansieht wie dich.«

»Ja, er sieht wahrlich gut aus«, stimme ich zu und verfolge jede seiner Bewegungen, kann nicht verleugnen, dass mich der Gedanke an den ausstehenden Spaziergang nervös macht. Unzählige Male streiften wir nachts gemeinsam durch Warwick, nur Hannes und ich, auf der Suche nach Vampiren. Aber noch nie waren wir tagsüber spazieren – mit dem Hintergedanken, uns auf andere Art und Weise kennenzulernen.

»Fassen wir zusammen: Du willst eine aufregende Liebe voller Leidenschaft und Abenteuer. Du hast zwar von Haus aus bereits viel Geld und Ansehen, wärst aber nicht traurig, wenn du standesgemäß heiraten könntest«, beginnt Kate aufzuzählen. Ich will sie unterbrechen, aber sie würgt mich mit einem Fingerzeig ab und setzt ihren Monolog fort, während sie mit dem anderen Finger auf Hannes weist. »So, meine Liebe, und dort wartet ein ansehnlicher und reicher Mann auf dich – der Traum jeder Frau –, der dich begehrt und Gefühle für dich hegt und den du mit einem Ausdruck in den Augen beobachtest, den ich sonst von ausgehungerten Tieren kenne.« Ich will etwas einwenden, doch sie spricht schnell weiter. »Streite es nicht ab! Dein Körper verrät dich. Gib dem Mann eine Chance. Vielleicht entwickelt sich daraus diese leidenschaftliche Liebe, nach der du dich so sehr sehnst.«

»Darf ich nun etwas erwidern?«, frage ich grinsend.

»Gewiss.«

»Ich schwanke, ob ich die Liebe zu diesem Zeitpunkt bereits will. Genau genommen finde ich gar keine Zeit für solche Gefühlsduseleien. Ich verfolge höhere Ziele.«

»Wann findet die Miss dann Zeit für die Liebe? Wenn du alt und schrumpelig bist? Wenn Hannes längst mit einer anderen Frau verheiratet ist und vier Kinder hat? Was, wenn du deine Rache nie erhältst?«

»Dann … ich weiß es auch nicht.« Mutlos lasse ich die Schultern hängen.

»Du bist wahrlich stur«, schimpft Kate und seufzt verzweifelt. »Du kannst beides haben. Zumal dir ein Ehemann wie Hannes bei der Suche nach diesem weißhaarigen Vampir helfen kann.«

Da könnte sie recht haben. Vier Augen sehen mehr als zwei. Ich stöhne auf und lasse mich auf dem kühlen Gras nieder, ziehe die Beine an und schlinge die Arme darum. Kate setzt sich neben mich und starrt in den grauen Himmel, der bereits Regen ankündigt.

»Wie ist es mit einem Mann?«, frage ich leise. Kate antwortet nicht und ich glaube bereits, dass sie mich nicht gehört hat, als sie sich dezent räuspert.

»Wenn es der Richtige ist, wunderschön.«

Kate war vor zwei Jahren der Überzeugung, sie hätte in dem hübschen Tischlerlehrling William den richtigen Mann gefunden, hoffte sogar auf eine Heirat mit ihm. Sie war bis über beide Ohren in ihn verliebt und ließ sich auf ihn ein, doch nach wenigen Wochen verschwand er spurlos. Bis heute weiß sie nicht, ob er sie verlassen hat oder ihm etwas zugestoßen ist. In Anbetracht der Existenz grausamer und blutrünstiger Wesen ist alles möglich.

Da Kate als Hausmädchen einem unteren Stand angehört, ist es nicht so bedeutend wie bei mir, als Jungfrau in die Ehe einzugehen. Auch wenn sie insgeheim noch immer hofft, dass ihr Liebster zurückkehrt, hält sie nach einem zukünftigen Ehemann Ausschau.

Ich sehe zu ihr hinüber. Sie blickt immer noch in den Himmel, scheint mit den Gedanken nicht mehr bei mir zu sein. Ihre Augen schimmern wässrig und ich erkenne den Schmerz darin.