Devil's Daughter 1: Königreich der Unterwelt - Lilyan C. Wood - E-Book
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Devil's Daughter 1: Königreich der Unterwelt E-Book

Lilyan C. Wood

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Beschreibung

Ein Prinzessinnenroman der dunkelsten Sorte… **Wenn die Erbin der Hölle erwacht…** Seit ihrer Geburt bekommt die 19-jährige Kunststudentin Lucile beim Betrachten altertümlicher Engelsgemälde ein ungutes Gefühl. Immer wieder verwandeln sich die göttlich anmutenden Wesen vor ihren Augen in grausame Dämonen. Mit dem attraktiven Studenten Felix hat Lucile jedoch jemanden gefunden, der die merkwürdigen Ereignisse um sie herum ernstnimmt und ihnen auf den Grund geht. Nur Luciles Kunstprofessor verhält sich ihr gegenüber zunehmend sonderbar und scheint etwas von ihrer einzigartigen Gabe zu ahnen. Doch erst an ihrem zwanzigsten Geburtstag werden sich Luciles wahre Macht und ihre königliche Vergangenheit offenbaren… //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.// //Alle Bände der teuflischen Fantasy-Reihe: -- Devil's Daughter 1: Königreich der Unterwelt -- Devil's Daughter 2: Thron der Verdammnis -- Sammelband der teuflischen Fantasy-Reihe Devil's Daughter//

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Lilyan C. Wood

Devil's Daughter. Königreich der Unterwelt

Ein Prinzessinnenroman der dunkelsten Sorte … **Wenn die Erbin der Hölle erwacht …** Seit ihrer Geburt bekommt die 19-jährige Kunststudentin Lucile beim Betrachten altertümlicher Engelsgemälde ein ungutes Gefühl. Immer wieder verwandeln sich die göttlich anmutenden Wesen vor ihren Augen in grausame Dämonen. Mit dem attraktiven Studenten Felix hat Lucile jedoch jemanden gefunden, der die merkwürdigen Ereignisse um sie herum ernstnimmt und ihnen auf den Grund geht. Nur Luciles Kunstprofessor verhält sich ihr gegenüber zunehmend sonderbar und scheint etwas von ihrer einzigartigen Gabe zu ahnen. Doch erst an ihrem zwanzigsten Geburtstag werden sich Luciles wahre Macht und ihre königliche Vergangenheit offenbaren … Dies ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.

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Vita

Danksagung

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© Stefanie Blaumeiser

Lilyan C. Wood wurde 1985 in Saarbrücken geboren und lebt nach einem Zwischenstopp in Baden-Württemberg wieder im beschaulichen Saarland. Hauptberuflich bringt sie als Grundschullehrerin Kindern u. a. das Rechnen, Lesen und Schreiben bei. Seit ihrer Kindheit denkt sie sich fantastische Geschichten und Figuren aus und traute sich 2015 endlich, ihre Fantasie auch zu Papier zu bringen. Seitdem geht sie in jeder freien Minute ihrer größten Leidenschaft, dem Schreiben, nach.

PROLOG

EIN JAHR VOR DEM NEUBEGINN

Schweiß lief ihm in Strömen über das erhitzte Gesicht, während er allmählich wieder zu Atem kam. Unter seinem schweren Eisenhelm und dem Brustpanzer pulsierte die Hitze und drohte ihn zu erdrücken. Erschöpft stützte er sich auf sein Schwert, das noch im Körper seines Feindes steckte, und fuhr sich mit der blutverschmierten Hand über das Gesicht. Sein Blick ruhte auf dem am Boden liegenden Engel, dessen Hände die Klinge des Schwertes sogar im Tod umklammert hielten. Nun klebten nur noch die verkohlten Überreste der Gliedmaßen am abgekühlten Feuerschwert. Die Flammen waren erloschen.

Mit Abscheu betrachtete der König das gekrümmte Wesen am Boden. Es hatte ihm und seiner Art so viel Leid gebracht. Wann würden sie diese Monster endlich ausgerottet haben?

Hörbar atmete er aus und hob seinen Blick, um die Lage auf dem Schlachtfeld zu erfassen. Nur vereinzelt gab es noch Kämpfe zwischen seinen Kriegern und den Engeln. Wild fauchten die nackten Ungeheuer, während sie versuchten ihre spitzen Reißzähne in ihre Gegner zu schlagen. Mit ausgebreiteten schwarzen Flügeln stürzten sie sich auf ihr Gegenüber. Es waren hässliche Wesen mit einer irren Fratze und leuchtend gelben Augen, die ledrige Haut schimmerte grünlich und erinnerte an verwesendes Fleisch.

Vor Verachtung triefend lachte der König, spuckte auf seinen am Boden liegenden Feind und zog sein Schwert langsam aus dessen Körper, der sofort zu Asche zerfiel. Als das Eisen klirrend in der Scheide verschwunden war, setzte er sich in Bewegung und machte sich auf die Suche nach seiner Tochter.

Hinter einem kleinen Hügel fand er sie, in ein Gefecht verwickelt. Stolz betrachtete er diesen ungleichen Kampf zwischen der starken Kriegerin und dem bereits schwer verletzten Engel. Elegant wie eine Tänzerin wich sie den Krallen des Wesens aus und parierte dessen Angriffe. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden, der bei jeder ihrer Bewegungen durch die Luft peitschte. Sie spielte mit ihrem Gegner, schien beinahe Freude daran zu empfinden dem Engel einen Flügel abzuschlagen und ihn wimmern zu sehen. Triumphierend hob sie ihr Feuerschwert empor, dessen Flammen aufloderten, sie packte es mit beiden Händen und stieß es in den Körper ihres Feindes. Vor Schmerz fauchend krümmte sich das Wesen zusammen, schlug mit dem verbliebenen Flügel und ruderte wild mit den Armen, doch seine Tochter kannte keine Gnade. Sie ließ das Feuerschwert im Körper des Engels auflodern und verfolgte mit einem Grinsen im Gesicht, wie der Feind zu Asche zerfiel und zu Boden rieselte. Das Schwert formte sich zu einer Feuerkugel und verschwand in ihrer Handfläche.

»Einer weniger«, rief sie ihrem Vater entgegen, als sie ihn erblickt hatte und auf ihn zukam.

»Du sollst nicht mit ihnen spielen, sondern sie töten, Tochter!« Er setzte einen strengen Blick auf, doch sie lächelte ihn an, als wäre sie sich keiner Schuld bewusst, und setzte ihren Weg zu ihm unbeirrt fort. Sie trampelte ohne Rücksicht auf zahlreichen toten Engeln herum, bis sie vor ihm stand.

Ihre Augen schienen zu brennen, leuchteten in verschiedenen Rottönen, bis sie sich abkühlten und ein dunkles Rot annahmen. Amüsiert sah sie ihn an. »Ach, Vater, am Ende töte ich sie immer. Lass mir doch meinen Spaß!« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die beschmutzte Wange.

Seine Tochter hatte schon immer gewusst, wie sie ihn besänftigen konnte. Er gab ein undeutliches Grummeln von sich und legte seinen Arm um sie, überblickte mit ihr das Schlachtfeld, auf dem sich mittlerweile nur noch seine Krieger bewegten und nach Überlebenden suchten. Seufzend nahm er seinen Helm ab – eine goldene Krone prangte darauf – und er entblößte auf der vorderen Kopfhälfte zwei braune Hörner, ähnlich denen einer Ziege, die zwischen den rabenschwarzen Haaren hervorblitzten. Die frische Luft tat ihm gut und so warf er den schweren Helm weit von sich. Er hörte noch den dumpfen Aufprall, als das Metall auf einem zerfetzten Engel aufschlug.

»Da hat aber jemand ganze Arbeit geleistet«, witzelte er und erhob stolz sein Schwert in die Luft. »Männer, wir haben gesiegt. Nieder mit den Engeln!«, rief er seinen Teufelskriegern zu, die sich allmählich um ihn versammelt hatten und wiederum ihre Schwerter erhoben und gemeinsam »Nieder mit den Engeln!« riefen.

»Sieh dir das genau an, meine Tochter!« Mit einer ausholenden Geste umfasste er das gesamte Schlachtfeld. »Irgendwann wirst du über dieses Königreich herrschen und dann wird es deine Aufgabe sein diesen Abschaum zu vernichten.«

»Es wird mir eine Ehre sein in deine Fußstapfen zu treten, Vater!«

Stolz erfüllte ihn, hinterließ in seinem Magen ein wohliges Prickeln. Er drückte sie fest an sich, in dem Bewusstsein etwas Wunderbares geschaffen und in ihr eine würdige Nachfolgerin für sein Königreich gefunden zu haben.

Sie lehnte ihren Kopf an seine Seite und schmiegte sich wohlig in seine Umarmung.

Ein rauschendes Geräusch, gleich eines gewaltigen Flügelschlages, riss ihn aus seinen Gedanken und erschrocken fuhren beide herum, die Feuerschwerter angriffsbereit in den Händen. Hoch über ihnen baute sich ein riesiger Engel auf, viel größer als seine Mitstreiter, die tot auf dem Feld lagen. Seine schwarzen Flügel durchschnitten mit einem Pfeifen die Luft und sein Maul voller Reißzähne grinste höhnisch. Seine grünliche Haut, auf der sich zahlreiche Narben erstreckten, war teilweise von einem Kettenhemd bedeckt. Er war einer der wenigen, die Kleidung trugen, ein ranghoher Engel, der ihnen schon seit Jahrzehnten das Leben schwer machte.

»Was willst du, Gabriel? Siehst du nicht, dass ihr diese Schlacht verloren habt?«, donnerte der König dem Wesen entgegen. Seine Tochter ließ das in der Luft thronende Wesen nicht aus den Augen und verstärkte ihren Griff um das Schwert. Gabriel durfte man nicht unterschätzen, er war einer der stärksten und hinterhältigsten Engel ihrer Zeit.

»Diese Schlacht habt ihr vielleicht gewonnen, doch dies wird nicht unsere letzte Begegnung sein, Majestät. Ich habe Euch schon einmal tief getroffen und ich weiß, wie ich Euch erneut verletzen und schlagen kann. Nur diesmal wird es schlimmer!« Sein fieses Lachen schallte über das Feld und hinterließ auch beim König eine Gänsehaut. »Ich wünsche noch einen schönen Tag, Hoheit«, säuselte Gabriel, an die Prinzessin gewandt, und deutete eine Verbeugung an, bevor er mit seinen Schwingen ausholte und sich mit kraftvollen Flügelschlägen in den Himmel zurückzog. Einem Instinkt folgend zog der König Lucia näher zu sich heran, doch sie stieß ihn von sich und reckte ihr hübsches Gesicht dem Himmel entgegen.

»Komm ruhig, du Ungeheuer, ich habe keine Angst vor dir und deinesgleichen! Wir haben noch eine Rechnung offen!«, spie sie ihm hinterher, doch das Wesen war längst verschwunden.

Ihr Kampfgeist sollte ihn, den König, mit Stolz erfüllen, doch ein unangenehmes Ziehen machte sich in ihm breit. Die Engel waren zu allem bereit und sie kannten seinen wunden Punkt – seine über alles geliebte Tochter.

1. KAPITEL

57 TAGE VOR DEM NEUBEGINN

»Hoheit, es ist Zeit für die Theorie, bleibt doch bitte stehen!«, jammerte Loana, während sie der Prinzessin mit hochrotem Kopf und einem Stapel Bücher auf den Armen balancierend hinterherstolperte.

Doch die junge Frau dachte gar nicht daran und drängte sich zwischen zwei Wachen hindurch, verließ das kühle Gemäuer und trat auf den Hof ihres elterlichen Schlosses hinaus. Eilig strebte sie in Richtung der Pferdeställe davon.

Bei diesem Wetter würde sie sich nicht mit Büchern und langweiliger Theorie quälen! Doch ein verärgertes, tiefes Grollen ließ sie wie versteinert in der Mitte des Hofes innehalten.

»Junges Fräulein, wo gedenkst du hinzugehen?« Die Stimme ihres Vaters erfüllte den Platz und ließ sogar das Geschwätz der Marktweiber verstummen, die sich schleunigst hinter ihre Stände zurückzogen.

Vorsichtig drehte sich die junge Frau auf den Absätzen um und schielte zum König hin, der sie mit hochgezogenen Brauen musterte und scheinbar auf eine Antwort wartete. Trotzig hob sie ihr Kinn und hielt seinem Blick stand.

»Du erwartest doch wohl nicht, dass ich bei diesem Wetter im Schloss hocke und mir diese verstaubten Bücher durchlese, Vater?« Entrüstet zeigte sie mit dem Finger auf die Bücher, die auf Loanas Armen gefährlich schwankten. »Ich übe mich lieber in meinen Reitkünsten, das hilft mir im Kampf viel mehr als diese langweilige Theorie.«

»Langweilig? Verstaubt?« Mit schnellen Schritten war er bei ihr und funkelte sie von oben herab finster an. Die Krone auf seinem Haupt leuchtete in der Sonne und blendete Lucia, sodass sie mehrmals blinzeln musste. »Diese langweilige und staubige Theorie könnte dir irgendwann das Leben retten, junge Dame! Es ist nie verkehrt die Schwachpunkte seines Feindes und dessen Anatomie zu kennen.«

Stur verschränkte die Königstochter die Arme vor der Brust und starrte weiter zu ihrem Vater hoch. »Ich habe diese Bücher schon so oft gelesen, ich kann sie nicht mehr sehen! Früher hast du nicht so darauf beharrt, dass ich die Theorie kenne. Da war dir die Praxis wichtiger und dass ich kämpfen und mich verteidigen kann. Was hat deine Meinung geändert?«

Nach einem kurzen Moment der Stille drehte sich der König ohne eine Antwort um und ging auf den Eingang des Schlosses zu.

»Ich dulde keine Widerworte, Lucia, also begib dich in das Schloss und lerne deinen Feind besser kennen!«, waren seine letzten Worte, bevor er im Inneren des Gemäuers verschwand.

Prustend kam Loana auf die junge Prinzessin zu. Die übergewichtige Frau hatte mit den vier dicken Wälzern ordentlich zu kämpfen. »Hoheit, bitte, lasst uns hineingehen und etwas lesen. Ihr habt euren Vater gehört und Ihr wisst doch, wie ungern er Befehle wiederholt.«

»Ja, ja, ist schon gut«, murmelte Lucia vor sich hin und folgte mit hängenden Schultern der Dienerin, deren schwarze Haare von einem Tuch verdeckt wurden, in das königliche Schloss. Die kleinen Hörner der älteren Frau waren als winzige Erhebungen unter dem Tuch zu erkennen. Alle Teufel hatten bestimmte Merkmale gemeinsam, so auch die schwarzen Haare, die rötlich-braunen Augen und die kleinen Teufelshörner, die ab dem zwanzigsten Geburtstag aus der Kopfhaut wuchsen. Lucia hatte mit ihren neunzehn Jahren noch keine Hörner und war recht froh darüber, da sie große Nachteile mit sich brachten.

Die Mitglieder der Königsfamilie waren die einzigen Teufel, die leuchtend rote Augen hatten und über gewisse Fähigkeiten verfügten, die Lucia seit drei Jahren trainieren durfte. Das Feuerschwert, das sie herbeirufen und wieder verschwinden lassen konnte, hatte ihr im Kampf bereits gute Dienste erwiesen.

***

Die beiden Frauen gingen durch zahlreiche Gänge, die dank der großen Fenster durch das einfallende Sonnenlicht angenehm beleuchtet wurden, und an vielen Türen vorbei, hinter denen prachtvolle Säle lagen. Das Schloss ihrer Eltern war riesig und drückte Reichtum und Geschmack aus. Ihre Mutter hatte das Gemäuer in ein gemütliches Heim verwandelt, bevor sie vier Jahre zuvor gestorben war. Mit Geschmack und stilsicherem Gespür hatte sie die Räume und Gänge eingerichtet, sodass bis heute Besucher mit staunenden Gesichtern durch das Schloss wandelten.

Lucia streckte ihren Arm beim Gehen aus und ließ ihre Hand an dem kalten Stein der Mauer entlanggleiten. Alles hatte an Wärme verloren, seitdem ihre Mutter tot war. All die Pracht und die Schönheit des Schlosses waren ohne Bedeutung. Zornig ballte sie die Hände zu Fäusten und knirschte mit den Zähnen, sie würde diese Engel dafür büßen lassen, dass sie ihr die geliebte Mutter und ihrem Vater die Ehefrau genommen hatten. Hinterhältig hatten diese Wesen sie mit einem unbekannten Gift niedergestreckt, sodass sie bis zum Ende hatte leiden müssen. Jeden einzelnen Engel würde sie dafür büßen lassen, besonders aber Gabriel und Uriel, die ihrer Mutter diesen schrecklich qualvollen Tod angetan hatten. Lucia sah die Fratzen der beiden Wesen vor sich, höhnisch grinsend, und sie kämpfte die Tränen zurück, die in ihren Augen brannten. Wütend schlug sie gegen die Wand und starrte auf den Boden, blinzelte mehrmals, bis sie wieder klar sehen konnte. Erst jetzt bemerkte Lucia, dass Loana direkt vor ihr stand, die Bücher abgelegt hatte und sie aus mitleidigen Augen ansah.

»Ihr habt an Eure Mutter gedacht, habe ich recht?«

»Ja, wie soll man auch nicht an sie denken, wenn man durch dieses Schloss geht? Ich hasse es!«

»Eure Zeit wird kommen und dann könnt Ihr Euch an diesen Monstern rächen. Und wenn es soweit ist, dann schlagt bitte auch einmal für mich zu!«

Die geballte Faust und der kämpferische und entschlossene Blick der Dienerin entlockte Lucia ein Lächeln, Loana hasste die Engel genauso wie sie selbst.

»Darauf kannst du dich verlassen! Ich werde mehr als nur einmal zuschlagen.«

»Davon gehe ich aus«, entgegnete die frühere Dienerin ihrer Mutter mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht. »Na kommt schon, bringen wir die Theorie hinter uns und dann habt Ihr sicher noch Zeit für einen Ausritt.«

Lucia schnappte sich das oberste Buch mit der Aufschrift Anatomie der Engel, während Loana die restlichen Bücher hochhob.

2. KAPITEL

DONNERSTAG, 17. MAI 2018: NOCH 57 TAGE BIS ZUM 20. GEBURTSTAG

Wie ich es verabscheue, denke ich, wende meinen Blick ab und betrachte lieber die übrigen Studentinnen, die fasziniert nach vorn schauen. Entzückt versinken sie in der Betrachtung des Werkes eines der vielen Künstler, die sich dem allzeit beliebten Thema gewidmet hatten. Motiviert schnellen ihre Hände in die Höhe, um dem Professor ihre Analyse und Interpretation mitzuteilen. Ich hingegen senke meinen Blick wieder, darauf bedacht nicht auf die Leinwand und das darauf projizierte Bild zu schauen.

»Lucile, Sie scheinen besonders an diesem Bild interessiert zu sein. Wollen Sie nicht Ihre fachkundige Meinung äußern?«, ertönt in diesem Moment die Stimme meines Professors und ich stöhne genervt auf.

Was soll ich denn sagen? Dass ich das Bild grauenhaft finde und diese hässlichen Fratzen, die mir so finster entgegengrinsen, nicht anschauen will? Dass der Künstler wohl einen im Tee hatte, als er das Bild vor Hunderten von Jahren gemalt hat?

Alle Augen sind auf mich gerichtet, gespannt warten sie, was ich zu sagen habe. Doch ich habe gelernt meine Meinung zu verbergen und ihnen nach dem Mund zu plappern, darauf bedacht keinen Argwohn zu erregen.

»Der Künstler wollte die weichen und lieblichen Formen der Figuren hervorheben. Er verwendete helle Farben und besonders der Goldton schien ihm für die zarten Wesen geeignet. Das Gemälde wirkt friedlich und einladend, besonders die Engel sind harmonisch dargestellt«, ende ich und entspanne mich erst wieder, als die Blicke meiner Kommilitoninnen zurück zur Leinwand schweifen.

»Gut erkannt, Lucile. Sie haben wirklich ein gutes Auge«, lobt Professor Marin und führt seinen Vortrag über den Künstler fort. Erleichtert atme ich aus und blicke noch einmal zu dem Gemälde hoch.

Zwei Engel sind darauf zu sehen, in feine weiße Tücher gekleidet umringen sie einen Springbrunnen. Ihre weißen Flügel leuchten in der Sonne und sie scheinen den Betrachter lieblich und freundlich gesinnt anzusehen. Doch diese Idylle währt nicht lange. Die eben noch weißen Flügel färben sich schwarz, die fleischfarbene Haut nimmt einen grünlichen Ton an und die Gesichter verzerren sich zu Fratzen, die spitze Zähne entblößen, während irre Augen leuchtend gelb auf mir liegen. Mich überzieht eine Gänsehaut und die Nackenhaare stellen sich unangenehm auf. Fröstelnd ziehe ich die Ärmel meines Pullis bis zu den Fingerspitzen hinunter und muss meinen Blick abwenden. Übelkeit steigt in mir auf. Wieso sehen die anderen es nicht? Ihre Blicke hängen noch immer an dem Gemälde und sie beschreiben diese zwei Wesen mit den schönsten Begriffen. Bin ich verrückt?

Diese Frage stelle ich mir bereits, seit ich denken kann.

So wie andere sich vor Clowns fürchten, sind es bei mir Engel, vor denen ich schreckliche Angst habe. Schon als kleines Kind verwandelten sich die geflügelten Wesen vor meinen Augen zu hässlichen Monstern. Seien es Statuen, Bilder oder kleine Figuren – allesamt wurden sie zu angsteinflößenden Kreaturen. Doch außer mir sah dies niemand. Meine Eltern hielten es zu Beginn noch für das fantasievolle Geplapper eines Kleinkindes, doch mit dem Lauf der Zeit sahen sie mich immer verwunderter und irritierter an, wenn ich von meinen Beobachtungen erzählte. Auch meine Freunde hielten es für Wahnvorstellungen und wollten nicht mehr mit mir spielen. Irgendwann beschloss ich es für mich zu behalten und einen möglichst großen Bogen um Engel jeglicher Art zu machen. Meine Eltern und Freunde beruhigten sich und nach außen hin schien ich ein ganz normales Kind zu sein.

Meine Vermeidungstaktik funktionierte auch sehr gut, bis ich mit meinem Kunststudium begann und entdeckte, dass sehr viele Künstler ein Lieblingsmotiv hatten – nämlich Engel. Mittlerweile kann ich mich auch hier gut verstellen, doch bekomme ich schwitzende Hände und mein Puls rast, wenn ich mir ein Gemälde mit Engeln anschauen muss.

In Gedanken versunken bemerkte ich nicht, dass die Vorlesung vorbei ist, und erschrecke, als Professor Marin sich vor mir dezent räuspert. Ich fahre zusammen und starre zu dem jungen Mann hoch, der mich belustigt aus hellbraunen Augen mustert. Seine schulterlangen blonden Haare trägt er zu einem Pferdeschwanz gebunden, doch einzelne Strähnen fallen ihm ins Gesicht, als er sich zu mir hinunterbeugt.

Die übrigen Studentinnen sind weg, wir sind ganz allein im Hörsaal. Das Blut schießt mir in die Wangen und ich wende meinen Blick beschämt ab, versuche meinen Herzschlag zu beruhigen.

»Habe ich Sie etwa beim Träumen ertappt, Lucile?« Seine samtene Stimme klingt angenehm in den Ohren, damit kann er sicher jede Frau bezirzen. Mich hingegen beschleicht in seiner Gegenwart stets ein unangenehmes Gefühl, einer bösen Vorahnung gleich, die ich allerdings nicht erklären kann. Am ganzen Körper spüre ich ein Prickeln und halte es nicht mehr auf meinem Stuhl aus.

»Ähm, nein, ich war nur in Gedanken versunken – über das Gemälde von vorhin«, lüge ich und stehe rasch auf. Verlegen lächelnd schnappe ich mir meine Tasche, gehe rückwärts aus der Tischreihe und schiebe mich in Richtung Ausgang. »Bis morgen, Professor Marin!« Zögernd winke ich ihm zu, will nur noch raus aus diesem Raum und weg von ihm. In seiner Gegenwart wird mir ganz schwindelig.

»Bis morgen, Lucile!«, höre ich ihn noch rufen, als ich durch die Tür hinaus ins Freie schlüpfe.

3. KAPITEL

56 TAGE VOR DEM NEUBEGINN

»Ich musste natürlich bis zum Sonnenuntergang über diesen Wälzern sitzen und mir irgendwelche sinnlosen Fakten über Engel anlesen«, murrte Lucia und lenkte den schwarzen Hengst sicher durch das Gestrüpp. Peitschend schnellte ein Zweig nach hinten, nachdem sie ihn passiert hatte.

»He, pass doch auf!«, beschwerte sich eine dunkle Stimme. Lucia musste sich ein Lachen verkneifen, als sie sich nach hinten umdrehte und den verärgerten Gesichtsausdruck ihres besten Freundes sah. Einzelne Blätter hatten sich in den Hörnern verfangen, die zwischen Feros glänzenden schwarzen Haaren emporsprossen. Mit grün-braunen Augen funkelte er die Prinzessin böse an, als er endlich das letzte Grünzeug aus seiner Frisur entfernt hatte. Schnell wendete Lucia sich ab, sah auf den Hals ihres Pferdes hinunter und wartete, bis sich ihr Herzschlag beruhigt hatte. Der Blick in seine ungewöhnlichen Augen, die so untypisch für einen Teufel waren, verunsicherte sie in letzter Zeit immer mehr, dabei kannte sie ihn bereits seit Kindertagen. Sie musste zugeben, dass er alles andere als schlecht aussah mit seinen breiten Schultern und dem trainierten Körper. Bei ihren Spaziergängen durch die endlos wirkenden Gänge des Schlosses starrten ihm viele Frauen hinterher und kicherten hinter vorgehaltener Hand. Lucia hatte ihn damit immer aufgezogen, doch seit Kurzem spürte sie dabei einen leichten Anflug von Eifersucht.

Das durfte nicht sein, sie war schließlich die Prinzessin, so etwas wie Eifersucht sollte sie gar nicht kennen! Mit nur mäßigem Erfolg versuchte sie nun schon seit Tagen dieses Kribbeln zu unterdrücken, das sie in seiner Gegenwart befiel.

Der Weg wurde breiter und Fero trieb seinen großen Braunen zum Trab an, bis er zu ihr aufschloss.

»Das nächste Mal reite ich voran, wenn du wieder auf die geniale Idee kommst mitten durch das Gebüsch zu preschen.«

»Ich weiß gar nicht, was du meinst.« Sie grinste ihn noch einmal frech an, gab ihrem Hengst die Sporen und donnerte im Galopp davon. Ihre offenen Haare flogen ihr um die Nase, während sie in raschem Tempo den Waldweg entlangritt. Hinter sich vernahm sie das dumpfe Geräusch der Hufe von Feros Wallach, der die Verfolgung aufgenommen hatte.

Ungeachtet vieler Wurzeln trieb sie ihr Pferd weiter, sprang über kleinere Hindernisse und kam am Ende des Weges japsend zum Stehen. Vor ihnen lag eine große Wiese, die leicht abfallend bis zum Schloss hinabführte. Während sie ihren Oberkörper leicht drehte, kam Fero neben ihr zum Stehen und klopfte dem nach Atem ringenden Braunen auf den Hals.

»Diavolo ist wirklich das schnellste Pferd, das ich je gesehen habe. Er ist wahrhaftig ein kleiner Teufel«, sagte er anerkennend und betrachtete Lucias kräftigen Hengst, dessen Muskeln im Sonnenlicht zu pulsieren schienen.

Lucia lachte stolz und tätschelte Diavolo den erhobenen Kopf. »Deshalb passt er ja auch so gut zu mir«, gab sie mit einem Augenzwinkern zurück und erntete ein umwerfendes Lächeln.

Die beiden Freunde setzten ihren Weg fort und ritten in gemütlichem Tempo über die üppige Wiese und auf das Schloss zu. Das Gras reichte bis zu ihren Füßen hinauf und verschiedene Blumenarten verteilten sich wie bunte Farbkleckse auf der grünen Fläche. An den strahlend blauen Himmel hatten sich nur wenige Wolken verirrt und Lucia schloss träumerisch die Augen. Sie vertraute ihrem Pferd, gab ihm die Zügel und ließ sich von ihm treiben, spürte deutlich den schaukelnden Rhythmus seiner Bewegungen.

Wenn es doch bloß immer so sein könnte, dachte sie hoffnungsvoll, doch die Engel ließen ihnen keine Ruhe.

Als sie die Augen wieder öffnete, bemerkte sie, dass Fero sie interessiert musterte. Er hatte seinen Wallach dicht an ihren Hengst gelenkt und seine Beine berührten ihre hin und wieder. Stumm sah sie ihn an und wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Stille schien allmählich bedrückend, nur das Zirpen einzelner Heuschrecken und das Zwitschern der Vögel aus dem hinter sich gelassenen Wald wurden vom Wind zu ihnen getragen.

Verlegen räusperte sie sich und sah wieder zum Schloss hinüber. Malerisch lag es umringt von Wiesen und Wäldern. Es verbarg hinter sich das große Dorf, als würde es die Bewohner vor Angreifern schützen wollen. Das Gebäude war prachtvoll, mit runden Türmchen, vielen Rundbögen, Giebeln und Balkonen. Skulpturen prangten an verschiedenen Stellen und zeigten Vorfahren und frühere Könige dieses Reiches. Auf den Dächern waren zahlreiche Stacheln verteilt, um es den Engeln zu erschweren darauf zu landen und die Bewohner heimtückisch anzugreifen.

Fero räusperte sich neben ihr dezent und Lucia sah wieder zu ihm herüber. »Um noch mal auf gestern zurückzukommen. Hast du mittlerweile herausbekommen, warum dein Vater dich seit Kurzem so viel Theorie pauken lässt?«

Frustriert zuckte die junge Frau mit den Schultern. »Nein, er will es mir nicht sagen und lenkt immer vom Thema ab, wenn ich ihn darauf anspreche. Seit der letzten Schlacht ist das so. Dabei haben wir damals haushoch gewonnen und waren den Engeln eindeutig überlegen. Was weiß ich, was in ihn gefahren ist.« Genervt pustete sie sich die Haare aus den Augen, die ihr nun wirr ins Gesicht hingen. Sie lehnte es ab, ihre bis zur Brust reichenden Haare zusammenzubinden, wenn sie ausritt. Das Gefühl des Windes, der in ihrer Haarpracht spielte, wenn sie galoppierte, war zu verlockend.

»Dein Vater ist seit Neuestem auch so mürrisch. Er hat sich irgendwie verändert.«

»Das stimmt. Er lässt mich auch nur noch ungern ausreiten, vor allem, wenn ich allein losziehen will. Er ist ein richtiger Übervater geworden. Als wenn mir hier etwas passieren könnte.« Mit einer ausschweifenden Handbewegung versuchte sie die gesamte Umgebung zu erfassen. »Außerdem kann ich mich verteidigen, ich bin schließlich kein hilfloses Burgfräulein wie in diesen Märchen, die mir Mutter immer vorgelesen hat, als ich klein war.«

Fero lachte laut los und Lucia sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. »Nein, das bist du wirklich nicht, hochwohlgeborenes Fräulein.«

Sie knuffte ihn in die Seite und trabte das letzte Stück zum Schloss, während er ihr immer noch lachend hinterhereilte.

4. KAPITEL

FREITAG, 18. MAI 2018: NOCH 56 TAGE BIS ZUM 20. GEBURTSTAG

»Schon wieder?« Mitleidig sieht Marie mich über ihre Kaffeetasse hinweg an und schüttelt ungläubig den lockigen Kopf. »Ich verstehe echt nicht, warum dein Gehirn dir immer wieder solche Bilder vorgaukelt.«

Wie beiläufig wickelt sie eine blonde Strähne um ihren Zeigefinger und lässt die Locke zurückschnellen. Als Kind hätte ich meine glatten schwarzen Haare liebend gern gegen ihre blonden Locken eingetauscht, doch seit wir in unserer Mädels-WG zusammenwohnen, weiß ich meine pflegeleichten Haare zu schätzen.

»Du immer mit deinem psychologischen Kram. Ich bin einfach nicht normal, das ist die einzig mögliche Erklärung«, gebe ich gereizt zurück, während ich mit meiner Gabel spiele und einen bösen Blick aus den blauen Augen meiner Freundin ernte. Seitdem sie Psychologie studiert, versucht sie meine Wahnvorstellungen psychologisch zu ergründen. Sie ist die Einzige, der ich von den schrecklichen Bildern erzähle, und das Beste daran ist: Sie glaubt mir. Schon in der Grundschule war sie das einzige Kind, das mir ohne einen Beweis geglaubt hat und ohne Wenn und Aber meine Freundin sein wollte. Dafür liebe ich sie bis heute. Ich würde mein Kunststudium nicht überstehen, wenn ich niemandem von den abscheulichen Engeln erzählen und dabei meinen Frust loswerden könnte. Mir liegt die moderne Kunst viel mehr, da sie ohne die geflügelten Wesen auskommt, doch leider sind auch antike Werke Teil dieses Studiums. Augen zu und durch, denke ich mir immer wieder.

»Du bist normal! Lass dir von niemandem einreden, du wärst es nicht. Vielleicht ist es deine Gabe das wahre Gesicht der Engel zu sehen«, sagt sie mit einem Augenzwinkern und ich muss kichern.

Gabe, na klar, denke ich belustigt. »Kann es sein, dass du wieder eine dieser Sendungen über ein übernatürliches Medium gesehen hast?«

»Diese Sendung ist sehr informativ, du siehst das Potenzial dahinter nur nicht«, verteidigt sich Marie.

»Das wird es wohl sein«, lache ich und stochere in meinem Apfelkuchen herum. Mir ist wieder einmal der Appetit vergangen, wie immer nach solchen Situationen, wie ich sie in der gestrigen Vorlesung erleben musste. So habe ich immerhin keine Probleme mein Gewicht und damit meine schlanke Figur zu erhalten, während Marie mit jedem Kilogramm kämpft.

»Du musst was essen, sonst fällst du mir noch vom Fleisch.« Maries besorgter Blick ruht auf mir, sie macht sich ständig Sorgen um mich. Seit meinem neunzehnten Geburtstag habe ich vermehrt Albträume und wache nachts schweißgebadet und verstört auf. Diese angsteinflößenden Engelsfratzen verfolgen mich bis in meine tiefsten Träume, reißen mich aus der schönsten Illusion und führen mich in grausame Schlachten und Kämpfe bis zum Tod. Doch woher kommen diese Bilder? Ich kann es mir beim besten Willen nicht erklären. Auch Marie ist ratlos, sitzt nachts oft an meinem Bett, bis ich wieder schlafen kann oder quatscht mit mir die Nacht durch, weil ich nicht mehr schlafen will. Es dauert, bis die Bilder abklingen, die wieder lebendig werden, sobald ich meine Augen schließe. Vielleicht sollte ich doch ihren Rat beherzigen und einen Therapeuten aufsuchen.

Resigniert schiebe ich Marie den Kuchen zu, die erst den Kopf missbilligend schüttelt, um die Gabel dann doch begeistert zu nehmen und den Kuchen zu verschlingen. Während sie genüsslich isst, schweift mein Blick durch die große Fensterscheibe hinaus auf den Campus, auf dem Studenten wie ein Haufen wild gewordener Ameisen herumwuseln. Mitten zwischen den jungen Leuten taucht Professor Marin auf und ich zucke zusammen.

Wieso erschreckt mich sein Anblick so dermaßen?

Er sieht im Vorbeilaufen in das Café hinein, als wüsste er, dass ich dort sitze, und er lächelt mich an. Dabei zeigt mein Lehrer seine strahlend weißen Zähne. Ich traue mich nicht mich zu bewegen, bis er aus meinem Sichtfeld verschwunden ist.

»Ach, war das nicht grad dein schnuckeliger Kunstprofessor?«, nuschelt Marie mit vollem Mund. Einzelne Krümel fallen lautlos auf ihren Teller zurück.

»Doch«, grummle ich und sehe sie missmutig an.

»Was ist los? Soviel ich mitbekommen habe, ist er der Grund für die vollen Hörsäle der Kunstvorlesungen. Allein diese Haare, da würde ich zu gern mal mit meinen Fingern durchfahren.«

Ich gebe ein undeutliches Zischen von mir und verschränke die Arme. »So toll ist der gar nicht und die langen Haare finde ich weibisch. Außerdem überkommt mich immer ein ganz unangenehmes Gefühl in seiner Nähe. Gestern war ich kurz allein mit ihm im Hörsaal, meine Warnglocken spielten verrückt und ich wollte nur noch weg.«

»Na, mit dem wäre ich auch gern mal allein«, raunt Marie mit tiefer Stimme und wackelt vielsagend mit den Augenbrauen.

Ich muss unwillkürlich lachen und schüttel den Kopf, während ich mit der Zunge schnalze. »Du und deine Männer.«

»Das sagst du nur, weil du viel zu hohe Ansprüche hast. Dabei könntest du mit deinem Aussehen jeden Einzelnen von ihnen haben.«

»Tja, ich will aber nicht jeden, ich will den Richtigen und der ist mir noch nicht über den Weg gelaufen. Bisher bin ich nur an Idioten geraten.« Erinnerungen an misslungene Beziehungen strömen auf mich ein und ich verziehe das Gesicht, schiebe die Gedanken an viele Enttäuschungen weit von mir.

»Und wie willst du den Richtigen erkennen?« Neugierig stützt Marie ihr Kinn auf die Handfläche und schaut mich an.

Verlegen zeichne ich mit meinem Zeigefinger Kreise auf die Tischplatte. »Das weiß ich auch nicht so genau. Aber sollte einem nicht das Herz stehen bleiben, wenn man den Richtigen sieht, und gleichzeitig in tausend Stücke zerspringen? Sollte man nicht Atemnot bekommen und das Gefühl haben, Schmetterlinge würden den Leib von innen heraus explodieren lassen?«

»Das hört sich ja an wie in einem Kitschfilm.«

»Na und, ich will meinen eigenen Kitschfilm erleben.«

»Das sei dir vergönnt, nach all dem Leid, das du durch diese verfluchten Engel ertragen musst.« Aufmunternd legt sie ihre Hand auf meine und lächelt mich an.

»Apropos Engel, ich muss Sonntag mit meinen Eltern in die Kirche, sie bestehen darauf.« Genervt verdrehe ich die Augen und schüttele mich.

»Na toll, kannst du nicht aus der Kirche austreten? Dann müsstest du nie wieder dorthin und diese Engelbilder stundenlang ertragen.«

»Ha, meine Eltern würden mich köpfen, wenn ich diesen Schritt wagen würde. Du weißt doch, wie sie sind. Religion hier, Glaube da, Gottesdienst dort. Typisch Religionslehrer.«

»Das ist echt blöd gelaufen, dass gerade du an solche Eltern geraten musstest.«

5. Kapitel

54 TAGE VOR DEM NEUBEGINN

Sachte hin und her schwingend glitt eine schwarze Feder vor ihrem Gesicht vorbei und bewegte sich in der gleichbleibend wiegenden Bewegung auf den Boden zu. Die Sonne brannte vom Himmel, schützend beschirmte sie ihre Augen mit der Hand und suchte die Umgebung ab. Das Gefühl beobachtet zu werden drängte sich ihr auf und so ging sie auf dem Hof umher und hielt nach Feinden Ausschau. Doch kein Wesen verdunkelte das reine Blau über ihr und es drangen lediglich die betriebsamen Geräusche aus dem Schlossinneren an ihr Ohr. Rätselnd hob sie die Feder auf und legte sie in ihre Handfläche, die daraufhin vollständig verdeckt wurde. Für eine Rabenfeder war sie eindeutig zu groß. Noch einmal sah sie in den Himmel, der sich wie verlassen über ihr und dem Schloss erstreckte. Schulterzuckend ließ sie die Feder fallen und ging in das kühle Innere des Gemäuers hinein. In dem roten Kleid mit den langen Armen und dem bodenlangen Rock wurde es ihr nach einer Weile zu heiß in der Sonne– Zeit die Sommerkleider auszupacken. Vielleicht sollte sie einfach ihre Reithose anziehen und einen Ausritt in den schattigen Wald wagen, auch wenn ihr Vater ihr verboten hatte allein auszureiten.

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