Da beißt die Maus keinen Faden ab - Rita Mae Brown - E-Book

Da beißt die Maus keinen Faden ab E-Book

Rita Mae Brown

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Beschreibung

Mary Minor »Harry« Haristeen hat ihren Job in der Poststelle gekündigt. Ein Ausflug zum Kloster soll sie auf andere Gedanken bringen. Als sie dort im Garten die Marienstatue betrachtet, beginnt diese plötzlich blutige Tränen zu weinen – ein schlechtes Omen. Tatsächlich wird kurz darauf zu Füßen der Statue die steifgefrorene Leiche eines Mönchs gefunden …

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Das Buch

Es ist Ende November, Thanksgiving, und es schneit. Mary Minor »Harry« Harristeen geht es überhaupt nicht gut, denn sie hat schweren Herzens ihre Stellung als Posthalterin nach sechzehn Jahren gekündigt. Die Postbehörde baut in Crozet an den Bahngleisen ein großes, modernes Postamt, in das Harry ihre Katzen Mrs. Murphy, Pewter und den Hund Tucker nicht mehr mitbringen darf. Um sich von ihren Zukunftssorgen abzulenken, fährt sie mit den Tieren zum Kloster Mt. Carmel. Doch als sie die heilige Jungfrau Maria um Hilfe bitten will, weint die Statue vor ihren Augen blutige Tränen – der Legende nach Vorboten für ein tragisches Ereignis, das auch nicht lange auf sich warten lässt: Der alte Mönch Thomas wird erfroren zu Füßen der Statue gefunden. Zunächst glaubt jeder an ein Unglück. Aber dann kommt der Verdacht auf, Thomas könnte Opfer eines Verbrechens geworden sein. Die Leiche soll exhumiert werden – doch der Sarg ist leer …

Die Autorin

Rita Mae Brown, geboren in Hanover, Pennsylvania, wuchs in Florida auf. Sie studierte in New York Anglistik und Filmwissenschaft und war in der Frauenbewegung aktiv. Berühmt wurde sie mit Rubinroter Dschungel. Die Autorin steht seit vielen Jahren mit ihren Kriminalromanen, die sie mit ihrer Tigerkatze Sneaky Pie Brown als Koautorin schreibt, weltweit auf allen Bestsellerlisten.

Von Rita Mae Brown sind in unserem Hause bereits erschienen:

In der Krimiserie »Ein Mrs.-Murphy-Krimi«:

Die Katze lässt das Mausen nicht ·Schade, dass du nicht tot bist

Rache auf leisen Pfoten · Mord auf Rezept

Die Katze im Sack · Da beißt die Maus keinen Faden ab

Die kluge Katze baut vor · Eine Maus kommt selten allein

Mit Speck fängt man Mäuse · Die Weihnachtskatze

Die Geburtstagskatze · Mausetot

Weitere Titel der Autorin in der Krimiserie mit Sister Jane:

Auf heißer Fährte · Fette Beute

Dem Fuchs auf den Fersen · Mit der Meute jagen

Schlau wie ein Fuchs

Außerdem:

Die Sandburg

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-taschenbuch.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen,wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung,Speicherung oder Übertragungkönnen zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Mai 20073. Auflage 2009© für die deutsche AusgabeUllstein Buchverlage, Berlin 2006/Ullstein Verlag© 2005 by American Artists, Inc.

Illustrationen © 2005 by Michael GellatlyTitel der amerikanischen Originalausgabe: Cat’s Eyewitness(Bantam Books, New York)Umschlaggestaltung: HildenDesign, München(nach einer Vorlage von Büro Jorge Schmidt, München)Titelabbildung: © Jakob Werth, MünchenSatz: LVD GmbH, BerlinE-Book-Konvertierung: CPI – Ebner & Spiegel, UlmPrinted in GermanyISBN 978-3-8437-1007-7

Dem Almost Home Pet Adoption Centerin Nelson County gewidmet

Personen und Ort der Handlung

Mary Minor Haristeen (Harry), die Posthalterin von Crozet, Virginia, ist neugierig, manchmal stur und steckt oft mitten im Schlamassel. Ihr Leben ändert sich, und sie rackert sich ab, um sich mit ihm zu ändern.

Mrs. Murphy, Harrys Tigerkatze, kommt mit Veränderungen besser zurecht als ihr Mensch. Sie ist zäh, klug, voller Tatendrang und genießt jederzeit gern etwas Katzenminze.

Tee Tucker, Harrys Corgihündin, birst gleichermaßen vor Glück wie vor Tapferkeit. Sie liebt Harry, wie nur ein Hund lieben kann.

Pewter, Harrys graue Katze, tut unbeteiligt, ist aber im Grunde alles andere als teilnahmslos. Was sie ärgert, sind Bemerkungen über ihre Körperfülle und ihr jägerisches Können.

Mrs. Miranda Hogendobber beobachtet eine Menge, behält aber das meiste für sich. Die Witwe ist so etwas wie Harrys Ersatzmutter, und die Beziehung bedeutet beiden sehr viel.

Susan Tucker, Harrys beste Freundin, erträgt deren Neugierde und Gefahrsucht, seit sie Kinder waren. Sie haben ihre Höhen und Tiefen wie die meisten Freundinnen, aber sie halten zusammen.

Ned Tucker, Susans Ehemann, Rechtsanwalt, kandidiert jetzt für ein politisches Amt.

Fair Haristeen, Doktor der Veterinärmedizin, war einst Harrys Kindheitsschwarm und später ihr Ehemann, und jetzt hofft er, wieder ihr Ehemann zu werden. Er hat ein nettes Wesen, ein redliches Herz und die Geduld, es mit ihr auszuhalten.

Olivia Craycroft (BoomBoom) war einmal Harrys Nemesis, doch die zwei haben zu einer leicht angespannten Annäherung gefunden. BoomBoom ist sehr schön, ein Umstand, der Männer niemals kalt lässt.

Alicia Palmer, ehemalige Bewohnerin von Crozet, unterhält dort ein Gestüt. Sie hat als Schauspielerin Hollywood erobert und ist jetzt, mit Ende fünfzig, nach Hause zurückgekehrt. Sie hat allen Glamour bewahrt, aber die meisten Illusionen aufgegeben.

Reverend Herbert C. Jones ist beliebt, humorvoll und ein passionierter Angler. Ganz Crozet weiß, wenn es hart auf hart kommt, der Reverend wird es überstehen.

Marilyn Sanburne (Big Mim), die Queen von Crozet, übt ihre gesellschaftliche Macht mit so viel Druck aus, wie nötig ist, um ihrer Aufgabe nachzukommen. Sie kann ein Snob sein, aber sie ist auf ihre Art fair und glaubt felsenfest an die Gerechtigkeit.

Jim Sanburne herrscht als Bürgermeister von Crozet über die Stadt, was manchmal leichter zu bewältigen ist als die Aufgabe, Big Mims Ehemann zu sein.

Marilyn Sanburne jun. (Little Mim) entzieht sich dem Einfluss ihrer Mutter. Sie ist im gleichen Alter wie Harry, Susan und BoomBoom, war aber durch den Reichtum ihrer Familie immer abgegrenzt. Sie ist Vizebürgermeisterin von Crozet und Republikanerin; dies ist insofern hochinteressant, als ihr Vater Demokrat ist.

Deputy Cynthia Cooper, die junge, intelligente Beamtin im Sheriffbezirk, liebt den Polizeidienst, fragt sich aber, ob sie das von Romanzen fern hält. Sie hat sich mit Harry angefreundet, und die Katzen und der Hund mögen sie auch.

Sheriff Rick Shaw. Es gibt jetzt Tage, da hat Rick die Verbrecher satt, er hat ihre Lügen satt, hat es satt, die Bezirksoberen um mehr Mittel anzugehen. Aber wenn ein Mord geschieht, konzentriert er seinen scharfen Verstand darauf, die Puzzleteile zusammenzufügen – wenn ihm dabei nur die verflixte Harry und ihre Tiere nicht immer im Weg wären.

Tazio Chappars, die junge Architektin gemischter Abstammung, bringt Männerherzen zum Rasen. Sie ist eine ziemlich ernste Frau, aber freundlich und umgänglich.

Paul de Silva, Big Mims neuer Stallmeister, sieht gut aus, ist tüchtig und ein bisschen schüchtern. Er ist scharf auf Tazio.

Pater Handle, der Prior des Klosters Mt. Carmel, ist ein Sturkopf und darauf erpicht, seinen Orden in einer zunehmend säkularisierten Welt zu erhalten. Die Vorgänge im Kloster erschüttern ihn bis ins Mark.

Frater Prescott, Stellvertreter des Priors, sucht Handle bei Laune zu halten und den Frieden unter den Mönchen zu bewahren.

Frater Frank ist der mürrische, misstrauische und fleißige Schatzmeister. Andere können in Phantasien schwelgen, er muss die Rechnungen bezahlen.

Frater Thomas, Susan Tuckers Großonkel, ist gütig, geduldig, einem guten Cognac nicht abgeneigt und mit zweiundachtzig Jahren der älteste Mönch.

Frater Mark muss alles ausprobieren, was ihm in die Hände gerät. In einer bitterkalten Winternacht wachte er mitten auf der Beverly Street in Staunton auf und fand Jesus. Er ist ein sehr gefühlsbetonter Mensch.

Nordy Elliott ist ein junger, gut aussehender, selbstgefälliger Moderator bei Channel 29. Er hat einen Riecher für die große Chance, und wenn sie kommt, nutzt er sie.

Frater Andrew ist Arzt im Kloster, der schon mal Bestimmungen umgeht, wenn er sich dazu berechtigt fühlt.

Frater John, ebenfalls Arzt, macht beim Umgehen der Bestimmungen mit.

Bo und Nancy Newell sind Besitzer und Betreiber von Mountain Area Realty in Nellysford.

Pete Osborne, Programmdirektor von Channel 29, verschafft Nordy Elliott den großen Durchbruch und bereut es bitter, dessen übersteigertes Ego entfesselt zu haben. Er hat bald Grund zu anderen Sorgen.

Mt. Carmel ist ein Kloster, das 1866 nach dem Vorbild des Karmelitenordens gegründet wurde.

1

Ein dünnes Rinnsal lief über das kalte Antlitz der Jungfrau Maria. Sie blickte von der Höhe des Blue-Ridge-Gebirges zwischen Afton Gap und Humpback Mountain gen Westen. Ihr Standort befand sich auf zirka sechshundertsechzig Meter Höhe. Unten erstreckte sich das fruchtbare Shenandoah-Tal, das sich westwärts bis zum Alleghenygebirge zog. Das Tal, durch das militärische Genie von Stonewall Jackson unsterblich geworden, hatten die Ureinwohner Amerikas geliebt, lange bevor europäische Einwanderer, Flüchtlinge und Quacksalber seine wohltuende Schönheit erblickten.

Wäre es der heiligen Jungfrau Maria möglich gewesen, den Kopf zu drehen und nach Osten zu blicken, dann würden von Schluchten und Kämmen durchzogene wellige Hügel, die an der Südwestkette endeten, ihr Auge entzückt haben. Die Osthänge der Südwestkette, letzte Vorhut des Appalachengebirges, gehen in leicht hügeliges Land über. Dessen fruchtbare Felder und Wälder erstrecken sich bis zur Falllinie, der eigentlichen geografischen Grenze zwischen Tiefland und Hochland, zwischen Sandboden, roter Tonerde und Lehmmischungen. Diese Grenze schied außerdem die irokesisch-sprechenden Völker von den siouxsprechenden. Keine Seite konnte die andere leiden, es kam regelmäßig zu brutalen Kämpfen und Überfällen. In dieses politisch brisante Gebiet marschierten die Engländer ein; die erste Kolonie, die Bestand hatte, wurde 1607 gegründet. Wer überlebte, lernte.

Das Ende des Unabhängigkeitskrieges anno 1781, einhundertvierundsiebzig Jahre nach der Gründung von Jamestown, löste eine Flut von Handel, Erforschung, Geburten und Optimismus aus. Sogar der grimmige Stamm der Monocaner und seine Verbündeten, die zunächst verhindert hatten, dass die Weißen geschützte Ortschaften westlich der Falllinie bauten, konnten sie nicht zurückhalten.

Das Land, auf dem Maria stand, war 1794 von Katholiken besiedelt worden, die sich auf dem Berggipfel wohler fühlten als unter ihren emsigen protestantischen Nachbarn in Richmond oder an der Meeresküste. Sie errichteten eine Kapelle aus Holzbohlen. Land und Höhe waren gut für Äpfelbäume geeignet, und die Obstwiesen gediehen prächtig. Nach der verfassunggebenden Versammlung machte die neue Verfassung die Trennung von Kirche und Staat fest. Viele katholische Apfelbauern zogen vom Berg herunter nach Nelson oder Albemarle County an den Osthängen, Augusta County am Westhang. In den Tälern, wo es wärmer war und die Winde nicht so grimmig bliesen wie auf dem Berggipfel, waren die einstigen Religionsflüchtlinge vom Glück begünstigt.

Die hartgesottenen Bergmenschen, viele von ihnen Schnapsbrenner – die Bergbäche waren für diesen Zweck hervorragend geeignet –, blieben in den Höhlen. Sie wollten nicht auf einem Berggipfel leben.

Schließlich gründete ein kriegsmüder Konföderierten-hauptmann im Jahre 1866 einen Mönchsorden, der sich an die Karmeliten anlehnte. Er nannte ihn Mt. Carmel nach dem Ursprung in Palästina. Nach dem Bürgerkrieg wurden im Norden Karmelitenorden gegründet. Hauptmann Ainsly war trotzig und blieb unabhängig von dem internationalen Mönchsorden, wenngleich er dessen Regeln befolgte. Statt Whitefriars – Weißbrüder –, wie man die Karmeliten auch nannte, hießen die Mönche auf dem Afton Mountain wegen ihrer grauen Wollkutten Greyfriars – Graubrüder.

Das eigentliche Kloster war für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Jedoch die Molkerei, die Kerzenzieherei, der Lebensmittelladen, wo es Honig und Marmelade gab, und die Eisenschmiede standen dem Publikum ebenso offen wie der schmucke Garten. Die Erzeugnisse wurden von den Mönchen hergestellt. Ihr Apfelschnaps verkaufte sich am besten. Er wurde an Ort und Stelle aus den Äpfeln von den alten Obstwiesen gebrannt, und die Mönche gaben sich große Mühe mit dem Brennen. Die Leute behaupteten, der Apfelschnaps der Greyfriars würde einen schneller umwerfen als der Tritt eines Maultiers.

Die Jungfrau Maria stand an der höchsten Stelle des Landes, unter ihr lag geschützt der Frühlingsgarten. Ein anderer kriegs- und korruptionsmüder Konföderiertenveteran hatte sie aus heimischem Speckstein geschnitzt. Die heilige Jungfrau Maria strahlte Kummer aus, eine Versöhnlichkeit, die viele, die sie betrachteten, rührte. Die von zahlreichen Füßen ausgehöhlten Steine, die zu ihr führten, zeugten von ihrer Anziehungskraft.

Am heutigen 24. November, dem Thanksgiving-Tag, legte sich Schnee in die Falten ihres Gewandes. Er bedeckte die Erde bis hinunter auf dreihundert Meter über dem Meeresspiegel. Weiter unten prasselte Eisregen auf Farmen und Wälder.

Mary Minor »Harry« Haristeen war hinaufgefahren, bevor der Regen die Ostweiden erreichte. Aber als sie in den bleiernen Himmel blinzelte, wusste sie, dass die Abfahrt vom Afton Mountain eine sichere Hand und einen sicheren Fuß ohne gewagte Bremsmanöver erfordern würde.

Ihre drei liebsten Gefährtinnen – Mrs. Murphy, eine Tigerkatze, Pewter, eine graue Katze, und Tee Tucker, eine tapfere Corgihündin – hatten den Wetterwechsel bereits gewittert, noch ehe ihre menschliche Freundin etwas merkte. Im Vertrauen auf ihre Fahrkünste wäre Harry auch dann nicht umgekehrt, wenn sie den Wetterumschwung vorhergesehen hätte. Sie war entschlossen, eine Stunde allein und in Gedanken auf dem Berg zu verbringen, bevor sie sich ins Thanksgiving-Vergnügen stürzte. Sie hatte ihre Stellung als Posthalterin nach sechzehn Jahren gekündigt, weil die Postbehörde in Crozet an den Bahngleisen ein großes, modernes Postamt baute. Im Zuge dieser Verbesserung hatte die Obrigkeit beschlossen, dass Mrs. Murphy, Pewter und Tucker nicht mehr mit Harry »arbeiten« durften. Wie konnte sie ohne die Katzen und den Hund leben? Wie konnten Millionen Amerikaner in fensterlosen Kabuffs sitzen, ohne dass auch nur ein Vogel sie mit dem wahren Leben verband? Harry konnte nicht so leben. Noch keine vierzig, fühlte sie eine beunruhigende Entfremdung vom so genannten modernen Leben. Was andere für wesentlich hielten, etwa ihre E-Mails checken, kam ihr wie ein Pseudoleben vor. Harry stand an einem Scheideweg und wusste nicht so recht, welche Richtung sie einschlagen sollte.

Die liebenswerte ältere Dame Miranda Hogendobber, ihre Mitarbeiterin, hatte demonstrativ zusammen mit ihr gekündigt. Doch Miranda konnte von ihrer Witwenrente zehren; sie hatte sparsam gelebt und stand sich ziemlich gut.

Harry stand sich finanziell nicht gut. Die Steuern wucherten wie Kudzu und drohten die spärlichen Erträge ihrer Farm im Besonderen sowie letztlich das freie Unternehmertum im Allgemeinen zu ersticken. Dienstleistungen wurden immer teurer, und die Benzinpreise hüpften auf und ab wie ein Basketball in einem Profispiel.

Den Gipfel ihrer Sorgen bildete ihr Ex-Mann Fair Haristeen, der sie noch liebte und reichlich Wiedergutmachung geleistet hatte für das, was Harry als schlechtes Benehmen ansah. Fair war erwachsen geworden und wollte sie zurückhaben, wollte eine reife Bindung. Er sah blendend aus. Harry hatte eine Schwäche für gutaussehende Männer. Mit seinen einsfünfundneunzig, den blonden Haaren und kräftigen Muskeln qualifizierte er sich als gut aussehend. Als Pferdearzt hatte er sich auf Fortpflanzung spezialisiert. Ihn und Harry verband eine große Liebe zu Pferden.

Harry hatte endlich ihren Frieden mit der Sexbombe gemacht, mit der Fair vor vier Jahren herumgeschäkert hatte, als die Ehe in die Brüche ging. Olivia »BoomBoom« Craycroft mähte Männer nieder, wie der langhaarige Samson seine Feinde niedergemäht hatte. BoomBoom hatten es Fairs beeindruckende Statur und seine höfliche virginische Art angetan, aber sie war schnell gelangweilt und hatte ihm bald den Laufpass gegeben. »Betrachte es einfach als kleine Abwechslung«, hatte sie wörtlich gesagt. Bei aller Herzlosigkeit gegenüber Männern in Liebesdingen liebte BoomBoom Tiere, sie war eine gute Sportlerin und bewies großen Gemeinschaftssinn. Mit einem Wort, sie war fabelhaft, solange man nicht mit ihr schlief oder solange man nicht die Frau war, die von ihrem Freund oder Ehemann mit BoomBoom betrogen wurde.

Als Harry zu dem unirdischen Antlitz der Jungfrau Maria aufsah, erschauerte sie.Tucker zu ihren Füßen schüttelte den dichter fallenden Schnee ab.

»Sie ist schön«, fand die Corgihündin.

Harry bückte sich und tätschelte ihr den glänzenden Kopf. »Du hältst mich bestimmt für verrückt, weil ich hier draußen stehe. Bin ich vermutlich auch.«

Tucker hob die Nase und atmete tief durch. »Susan.« Die kleine Hündin sauste der verlockenden Witterung entgegen und bremste nach etwa vierzig Metern ab, wo eine geschwungene Bank stand. Die Bank, die man an einem gewundenen Pfad unterhalb der Statue aufgestellt hatte, war den Blicken verborgen, wenn man vor der Jungfrau Maria stand.

Im Tal war es gewöhnlich kälter als an den Osthängen. Da unten, sechshundert Meter tiefer, fiel Schnee auf eine Patchworkdecke aus Weiß, Beige und Getreidestoppeln.

»Tucker«, sagte Susan erstaunt. »Wo ist Mom?«

Harry, die ihrem Hund nachlief, schlitterte auf dem Gehweg zwischen prächtigem hohen Buchsbaum entlang und war ebenso erstaunt, ihre beste Freundin zu sehen. »Susan, was machst du denn hier?«

Susan lächelte. »Dasselbe könnte ich dich fragen.«

Harry wischte den Schnee fort und setzte sich neben Susan. Tucker quetschte sich dazwischen. »Ich bin hier, weil, hm, weil ich Hilfe brauche. Der heiligen Jungfrau Maria wurde immer eine besondere Macht zugeschrieben – der Statue, meine ich. Miranda sagt, in schweren Zeiten kommt sie immer hier rauf und spricht mit Maria.«

»Gespräch von Frau zu Frau.« Susan lächelte; ihre kupferroten Haare lugten unter der Mütze hervor.

»Ich wünschte, sie könnte sprechen. Ich würde gerne hören, dass Jesus nicht vollkommen war.« Harry seufzte. »Es ist einfach anstrengend, vollkommene Götter zu haben – du weißt schon, Gott Vater, Gott Sohn, und ich hab keine Ahnung, was der Heilige Geist ist. Ich mein’s ernst«, sagte sie, als Susan lachte. »Du bist im Sommer in die Bibelstunde gegangen, genau wie ich; wir haben gemeinsam zwei Jahre Kathechismus durchlitten. Wir haben die Konfirmation nur geschafft, weil Reverend Jones Mitleid mit uns hatte. Ich kann das Nizäische Glaubensbekenntnis aufsagen, aber ich kann dir immer noch nicht sagen, warum mir das was bedeuten soll. Was ist der Heilige Geist?« Sie hob die Hände, ihre roten Handschuhe leuchteten in der dunstigen Luft. »Aber ich verstehe Maria, die heilige jungfräuliche Mutter. Sie ist eine von uns; oh, sie ist besser als wir, trotzdem ist sie eine von uns.«

»Ja.« Susan nahm die Hand ihrer Freundin; ihr hellbrauner Handschuh verschränkte sich mit dem roten. »Ich spreche auch mit ihr. Stelle Fragen. Über das Leben. Große Fragen, kleine Fragen.« Susan hob die Schultern.

»Die Fragen werden größer, je älter wir werden, findest du nicht?«

»Ja.«

Harry atmete tief durch, die Luft reinigte ihre Lungen. »Ich bin hier, weil ich nicht weiß, was ich tue. Ich komme mir blöd vor, und vielleicht bin ich wirklich blöd. Und Fair hat mich gebeten, ihn wieder zu heiraten.«

»Aha.« Susan lächelte.

»Das heißt, du hältst das für eine gute Idee.«

»Ich bin froh, dass er dich liebt. Du bist es wert, geliebt zu werden.« Sie drückte Harrys Hand.

»Susan.« Tränen traten in Harrys Augen; denn Güte und Lob berührten sie tiefer als Kritik oder Bosheit. Mit Letzteren konnte sie besser umgehen.

»Doch, das bist du, Schätzchen. Du bist meine beste Freundin, und du weißt, du kannst mir alles sagen.«

»Sagen? Susan, in den letzten drei Monaten hab ich nichts anderes getan als rumgezickt und gestöhnt.«

»Ach was, hast du nicht. Jeder in deiner Situation muss sich Sorgen machen. Es kommt kein Geld rein, und du musst umsichtig sein. Wenigstens ist die Farm nicht belastet und die Maschinen sind abbezahlt.«

»Da sind noch die Raten für den Kombi.« Harry sprach von dem großen Ford-Eintonner mit der doppelten Bereifung, den sie zu einem guten Preis bei Art Bushey junior gekauft hatte, dem Fordhändler und guten Freund. Er hatte denselben verqueren Sinn für Humor wie sie, weswegen sie sich gegenseitig bewunderten.

»Vierhundert und ein paar zerquetschte im Monat.«

»Ja. Die Futterrechnung, Benzin und Strom. Ich meine, ich komme zurecht, aber ich muss unbedingt bald was tun.«

»Du informierst dich immer noch über Weinanbau, stimmt’s? Klingt nach ’ner guten Idee«, meinte Susan aufmunternd.

»Ich muss Geld ranschaffen, während ich das untersuche. Ich kann es mir nicht leisten, schon bald anzufangen, weil der Kapitalbedarf horrend ist. Patricia Kluge sagt, sie will sich mal mit mir zusammensetzen. Ihre Weinberge sind ein voller Erfolg. Auch Felicia Rogan, die den Weinanbau in Virginia wiederbelebt hat, will sich mit mir unterhalten. Trotzdem, ich muss was tun, damit ein bisschen Geld reinkommt. Fair sagt, ich kann bei ihm als tiermedizinische Assistentin arbeiten. Ich kenn mich da aus, aber das ist keine gute Idee. Nicht, solange ich zu keinem Entschluss gekommen bin, und ich ziehe es schon viel zu lange hin. Ich bin so ein Schisshase.« Ihre Miene hellte sich kurz auf. »Wovon ich was verstehe, und was ich kenne wie meine Westentasche, ist Heu. Ich denke, ich könnte einen Heuhandel aufmachen, nicht nur hier, sondern es im Mittelwesten, Pennsylvania und Kanada beziehen und dann verkaufen. Währenddessen kann ich mich über Reben informieren und sehen, ob ich mir noch ein zweites Standbein zulege.«

»Hört sich gut an.«

»Bloß, dass ich jetzt Geld ranschaffen muss.«

»Pug würde dich wieder im Postamt einstellen.« Susan sprach von dem Staatsbeamten, der für den Postdienst dieses Bezirks zuständig war.

»Nein.«

»Hochmut kommt vor dem Fall.«

»Das ist kein Hochmut. Ich arbeite nicht ohne meine Babys.«

»Wo sind Mrs. Murphy und Pewter?«

»Im Wagen, die Scheiben anhauchen.« Harry lehnte sich an Susan. »Warum bist du hier?«

Susan blickte schweigend über das Shenandoah-Tal. »Da kommt echt was runter. Hoffentlich schneit es auf unserer Seite, wenn wir die Route 250 runterfahren. Dann haben wir wenigstens kein Glatteis unter den Reifen.«

»Susan.« Harry kannte ihre Freundin in- und auswendig.

»Ned und ich leben uns auseinander.«

»Inwiefern? Ich hab den Eindruck, dass ihr euch gut versteht.«

»Er ist reserviert. Er will nicht mehr so oft Sex. Er geht ganz in seiner neuen Rolle als Senator in Richmond auf. Er verbringt mehr Zeit in der Wohnung, die er dort vor kurzem gemietet hat, als zu Hause.«

»Hm, das mit dem Sex ist beunruhigend.«

»Wem sagst du das.«

»Er muss viel über den Posten lernen.« Harry hoffte, dies würde Susan helfen, die beunruhigenden Gedanken über Ned zu verdrängen.

»Brooks hat dieses Jahr ihren Highschool-Abschluss gemacht. Danny fühlt sich wohl in Cornell. Das Haus wird bald leer sein. Ned fängt ein komplett neues Leben an. Ich habe das Gefühl, mein Leben, oder zumindest der Sinn meines Lebens, schwindet, geht zu Ende.«

Harry lehnte sich an Tucker, Susan desgleichen. »Das Ganze ist eine große Chance für euch beide. Er geht nur anders damit um als du, das ist alles.«

»Das hoffe ich.« Tränen liefen jetzt über Susans Gesicht. »Weißt du, ich bin nicht zur Politikerfrau geboren. Dazu tauge ich nicht.« Sie wischte eine Träne fort. »Ned sieht gut aus. Ich kenne die Geschichten von Politikern und hübschen Praktikantinnen.«

Harry legte den Arm um Susans Schultern. »Ach Herzchen, nicht weinen.«

»Ich weiß noch, wie es dir damals ergangen ist.«

»Fair und Ned sind ganz verschiedene Typen. Ich hab gewusst – es war wie ein kleines seismisches Rumoren im Untergrund –, dass Fair meinte, er verpasst was, als er seine Highschool-Liebe heiratete. Er« – sie machte eine Pause – »na ja, er ist einfach aus der Koppel gesprungen.«

Susan weinte heftiger. »Ich fühle mich so schrecklich. Ich weiß jetzt, wie du dich gefühlt hast.«

»Du warst lieb zu mir.« Harry umarmte sie.

»Aber ich habe nicht richtig gewusst, wie du dich gefühlt hast. Jetzt weiß ich es.«

Harry umarmte sie noch einmal, dann richtete sie sich auf. »Weißt du, wer uns helfen kann?« Susan schüttelte den Kopf, und Harry fuhr fort: »BoomBoom. Sie hat den besten Riecher für unsere Männer. Wenn einer was Mieses vorhat, kriegt sie’s raus. Und ehrlich, Susan, ich glaube nicht, dass es bei Ned so ist.«

Susan dachte darüber nach, während sie sich wieder die Tränen fortwischte; das weiche Leder des Handschuhs lag kühl auf ihrer noch kälteren Haut. »Meinst du, sie würde es tun?«

»Helfen? Bestimmt.«

»Na denn …«

»Komm, wir rufen sie von meinem Autotelefon aus an. Wenn sie Zeit hat, können wir runterfahren und uns mit ihr treffen. Das wird dich beruhigen.«

»Ich kann nicht sofort«, erwiderte Susan. »Ich bin hergekommen, um nachzudenken, aber auch, um Großonkel Thomas zum Thanksgiving-Essen abzuholen. Er ist jetzt zweiundachtzig. Kaum zu glauben. Wie auch immer« – sie hielt inne –, »es ist höchst merkwürdig. Er hat zu mir gesagt, ›Susan, meine Zeit läuft ab. Ich möchte Thanksgiving mit euch verbringen.‹ Er ist gesund wie ein Pferd. Ich hab ihm gesagt, er ist noch weit weg von der Himmelspforte.«

»Manche Menschen spüren es. Wie Tiere.« Harry dachte über das nach, was Thomas zu Susan gesagt hatte.

»Fang bloß nicht mit so was an.« Susan runzelte leicht die Stirn. »Die Menschen werden älter, und jedes Mal, wenn ihnen was passiert, schieben sie’s auf das Alter. Ich sag dir, G-Onkel« – Susan sagte »G« für »Groß« – »wird seine meisten Ordensbrüder überleben.«

»Hat er bereits.« Harry lachte.

»Stimmt.« Susan schüttelte sich eine Schneeflocke von der Nase. »Er hat gequasselt wie ein Wasserfall. Er hat ununterbrochen davon geredet, wie sehr er seine Arbeit hier liebt. Er repariert die Leitungen, er hält die Brunnen im Garten in Gang. Er erledigt Gartenarbeiten. Es war richtig rührend, ihm zuzuhören.« Susan machte eine Pause. »Er ist auf die Legende von der Marienstatue zu sprechen gekommen. Wie sie 1914 geweint hat, und dann wieder 1941 nach dem Angriff auf Pearl Harbor. Er hat gesagt, er möchte es gerne glauben, möchte ihre Tränen gerne sehen, aber wenn, dann würde es eine furchtbare Krise ankündigen, daher meinte er, er würde lieber sterben, ohne die Tränen zu sehen. Er glaubt, sie wirkt Wunder für diejenigen, die daran glauben. Er ist wirklich rührend.«

»Ob’s wahr ist?« Harry war skeptisch. »Dünnflüssige Vogelkacke könnte wie Tränen aussehen.«

»Harry, du bist unmöglich!«

»Das sagst ausgerechnet du«, meinte Harry und lachte.

Susan stand auf und hakte sich bei Harry unter, worauf Tucker von der Bank sprang und vor ihnen her sauste. »Komm, ich begleite dich zu der Statue, dann geh ich G-Onkel abholen. Er dürfte jetzt so weit sein.«

Tucker, die schärfere Sinne hatte, wollte die Menschen beschützen, deren Sinne – abgesehen von ihren Augen – nicht so scharf waren. Sie raste vorneweg, blieb stehen, schnupperte, spitzte die Ohren. Die Luft war rein, darum drehte sie sich nach den Menschen um, wartete auf sie, lief dann wieder wachsam voraus. Tucker erreichte den Sockel der Marienstatue, wo sie auf die zwei Freundinnen wartete.

Bei der hohen Statue angekommen, blickten beide erwartungsvoll zu ihrem Gesicht auf.

»Mein Gott!«, rief Susan aus.

Harry fasste sich ans Herz. »Sie weint Blut.«

2

Die Hände in die dicken grauen Ärmel seiner Wollkutte geschoben, betrachtete Frater Prescott aufmerksam das Antlitz der Jungfrau Maria. Ohne die großen, wasserblauen Augen von ihr abzuwenden, machte er »hmm«.

Ein blassrosa Rinnsal lief ihre Wangen hinab.

»Es war Blut, als wir von ihr weggegangen sind.« Harry kam sich ein bisschen blöd vor.

»Irgendwas ist da anscheinend, aber…« Er stellte sich auf die Zehenspitzen. Die Statue ragte auf dem großen Findling vor ihm auf, auf den man sie zurückgestellt hatte, nachdem sie den Sommer über restauriert worden war.

»Es tut mir so Leid, dass ich Sie nach draußen in die Kälte kommen ließ. Das Barometer fällt.« Susan fröstelte.

»Oh, das macht mir nichts aus. Tief drinnen im Stein könnten rote Adern sein. Sie stammt ja aus einem Steinbruch in Nelson County, drüben in Schuyler.« Stolz schwang in seiner Stimme mit.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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