Vier Mäuse und ein Todesfall - Rita Mae Brown - E-Book

Vier Mäuse und ein Todesfall E-Book

Rita Mae Brown

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Beschreibung

Für Mary Minor "Harry" Haristeen sind Autos eine Leidenschaft. Doch in letzter Zeit häufen sich in Crozet die Unfälle. Eines Tages wird der Mechaniker Walt Richardson mit einem Schraubenschlüssel erschlagen. Harry lässt es sich nicht nehmen, gemeinsam mit Tigerkatze Mrs. Murphy seine Reparaturwerkstatt zu inspizieren. Die beiden Hobby-Detektivinnen fi nden dort so einige Merkwürdigkeiten. Und schon stecken sie mitten in einem spektakulären Fall, in dem es um schmucke Oldtimer, mangelhafte Ersatzteile und den nicht ganz sauberen Umgang mit Versicherungen geht.

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Über das Buch

Mit ihrer Farm in Virginia hat sich Mary Minor »Harry« Haristeen einen Lebenstraum erfüllt. Sie liebt ihre hochklassigen Pferde, und auch das ganze Grünzeug, und lässt allem die bestmögliche Pfl ege angedeihen. Ganz besonders freut sie sich darauf, mit der Weinproduktion loszulegen, die Rebstöcke sind endlich soweit. Harry wäre aber nicht Harry, wenn sie nicht noch eine andere große Leidenschaft hätte: Autos. Doch in letzter Zeit lässt die Freude am Fahren in Crozet rapide nach, denn es häufen sich kleinere Unfälle. Die Menschen stehen in der sonst so zuverlässigen Werkstatt ReNu Schlange. Als eines schönen Tages deren Mechaniker Walt Richardson tot aufgefunden wird, schlägt der Unmut der Kunden in Entsetzen um.

Selbstverständlich lässt es sich Harry nicht nehmen, mit Tigerkatze Mrs. Murphy die Werkstatt zu inspizieren. Die Hobby-Detektivinnen fi nden so einige Merkwürdigkeiten. Und schon stecken sie mitten in einem spektakulären Fall um schmucke Oldtimer, rostiges Werkzeug und ölverschmierte Kleidung.

Über die Autorin

Rita Mae Brown, geboren in Hanover, Pennsylvania, wuchs in Florida auf. Sie studierte in New York Filmwissenschaft und Anglistik und war in der Frauenbewegung aktiv. Berühmt wurde sie mit dem Titel »Rubinroter Dschungel« und durch ihre Romane mit der Tigerkatze Sneaky Pie Brown als Koautorin.

www.ritamaebrown.com

Rita Mae Brown & Sneaky Pie Brown

Vier Mäuse und Ein Todesfall

Ein Fall für Mrs. Murphy

Roman

Aus dem Amerikanischen von Margarete Längsfeld

Ullstein

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www.ullstein-buchverlage.de

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Die Originalausgabe erschien 2012

unter dem Titel The Big Cat Nap

bei Bantam Books, New York.

ISBN 978-3-8437-0707-7

© 2012 by American Artists, Inc.

Illustrationen © 2008 by Michael Gellatly

© der deutschsprachigen Ausgabe

2014 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Umschlaggestaltung: BÜRO JORGE SCHMIDT, München

Umschlagabbildung: Jakob Werth, Teisendorf

Alle Rechte vorbehalten.

Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung,

Verbreitung, Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich

verfolgt werden.

eBook: LVD GmbH, Berlin

Für Dr. phil. Mrs. Harriet Phillips, Absolventin des Smith College, wunderbare Mutter und zuverlässige Freundin.

Ich weiß nicht, was ich ohne sie anfangen würde.

Personen der Handlung

Mary Minor »Harry« Haristeen hat soeben den Brustkrebs überwunden. Sie wirft sich mit Verve auf die Farmarbeit; an manchen Tagen fällt dies der Vierzigjährigen leicht, an anderen nicht. Sie ist eine gutmütige Natur, hat aber den verfluchten Fehler, viel zu neugierig zu sein.

Pharamond »Fair« Haristeen, Doktor der Veterinärmedizin, hat sich auf Pferdefortpflanzung spezialisiert. Der kräftig gebaute Mann ist mit seiner Highschool-Liebe Harry verheiratet. Er ist viel einfühlsamer als seine Frau.

Susan Tucker. Sie ist Harrys Freundin, seit sie beide in der Wiege lagen. Sosehr sie Harry auch liebt, ihre wissbegierige Freundin kann sie schon mal die Wände hochgehen lassen.

Miranda Hogendobber hat mit Harry zusammenge- arbeitet, als Harry noch Posthalterin von Crozet war. Sie ist Ende sechzig, sehr religiös, besitzt einen gesunden Menschenverstand und hat eine klare Sopranstimme. Außerdem ist sie eine gute Gärtnerin.

Olivia »BoomBoom« Craycroft kennt Harry und Susan seit dem Kindergarten. Sie ist groß, blond, schön und hat blaue Augen. Sie leitet die Betonfabrik ihres verstorbenen Mannes; zwar treffen wir sie die wenigste Zeit dort an, ansonsten aber so gut wie überall.

Alicia Palmer. Die hinreißende Frau um die fünfzig war in den 1970er Jahren ein großer Filmstar. Wie die meisten Menschen im Filmgeschäft hat sie etliche Ehemänner verschlissen, viele Affären gehabt, dann aber klugerweise alledem den Rücken gekehrt, um die Farm in Crozet zu übernehmen, die ihre erste Liebhaberin ihr vermacht hat. Sie ist selig.

Deputy Cynthia Cooper. Die schlanke Frau wohnt neben Harry auf einer gepachteten Farm. Die zwei Frauen erfreuen sich einer soliden Freundschaft, auch wenn Harry sich hin und wieder in Cynthias berufliche Angelegenheiten einmischt.

Sheriff Rick Shaw ist ein rechtschaffener Mensch, klug, überlastet und unterfinanziert wie die meisten Bezirkssheriffs in Amerika.

Reverend Herbert Jones. Der Vietnam-Veteran ist der Pastor der lutherischen St.-Lukas-Kirche, die über zweihundert Jahre alt ist, ein würdevolles, friedliches Kleinod. Er ist ein Mann von tiefer Überzeugung und tiefen Empfindungen.

Victor Gatzembizi. Obwohl erst Anfang vierzig, hat er ReNu aufgebaut, einen lukrativen Unfallreparaturbetrieb mit Werkstätten in mehreren Städten Virginias. Er ist attraktiv, nett zu den Leuten und hat die typische Vorzeigefrau, aber er sorgt gut für sie, genau wie für seine Angestellten. Er hat sich gegenüber der Brustkrebsstiftung als großzügig erwiesen.

Latigo Bly ist ebenfalls Anfang vierzig und noch erfolgreicher als Victor; er hat das hochprofitable Kraftfahrzeug-Versicherungsunternehmen Safe & Sound aufgebaut, das gegenwärtig in den Mittelatlantikstaaten stark vertreten ist. Viele Leute glauben, er wird die Firma landesweit ausbauen.

Yancy Hampton ist hauptsächlich Obst- und Gemüsehändler, Inhaber von Frisch!Frisch!Frisch!, einem gehobenen Lebensmittelgeschäft. Er betrachtet sich als grün in jeder Hinsicht.

Marilyn »Big Mim« Sanburne ist die Herrscherin über Crozet. Sie tritt in diesem Buch kaum in Erscheinung, aber seien Sie versichert, in Zukunft wird sie sich wieder behaupten.

Marilyn »Little Mim« Sanburne junior steht zu ihrem Verdruss oft im Schatten ihrer Mutter. Sie ist Vizebürgermeisterin von Crozet unter ihrem Vater, dem Bürgermeister. Weil sie verschiedene politische Parteien vertreten, kann das spannend sein. Sie tritt in der Politik zurzeit etwas kürzer, weil sie ihr erstes Kind erwartet.

Blair Bainbridge. Little Mims Ehemann ist außer sich vor Freude über die Aussicht, Vater zu werden.

Tante Tally Urquhart ist hundert, Big Mim ist ihre Nichte.

Inez Carpenter, Doktorin der Veterinärmedizin. Tante Tallys ehemalige Kommilitonin an der William-Woods-Universität ist achtundneunzig und hat Fair Haristeens berufliche Laufbahn gefördert.

Mildred Haldane ist verwitwet und führt den Schrottplatz weiter, den sie mit ihrem verstorbenen Mann betrieben hatte. Sie versteht mehr von Autos als viele Mechaniker und Werkstattarbeiter. Sie hat eine Leidenschaft für alte Autos.

Die ReNu-Mechaniker

Walt Richardson, Nick Ashby, Jason Brundige, Sammy Collona, Lodi Pingrey und Bobby Foltz.

Die wirklich bedeutenden Figuren

Mrs. Murphy. Die Tigerkatze ist meistens cool, ruhig und beherrscht. Sie liebt ihre Menschen, die Hündin Tucker und sogar Pewter, die andere Katze, die ein rechtes Ekel sein kann.

Pewter. Sie ist ichbezogen, rundlich und, wenn sie Lust hat, intelligent. So selbstsüchtig sie auch ist, sie kommt oft in allerletzter Minute, um zu helfen, und will dann die ganze Anerkennung einheimsen.

Tee Tucker. Die Corgihündin könnte für Sie die Aufnahmeprüfung am College bestehen. Sie hängt sehr an Harry, Fair und Mrs. Murphy. An Pewter hängt sie nicht so sehr.

Simon ist ein Opossum und wohnt auf dem Heuboden von Harrys Stall.

Matilda ist eine große Kletternatter mit einem starken Sinn für Humor. Sie wohnt auch auf dem Heuboden.

Plattgesicht. Die große Ohreule haust in der Stallkuppel. Sie triezt Pewter, aber der Katze ist klar, dass der Vogel sie mühelos hochheben und wegtragen könnte.

Die lutherischen Katzen

Eloquenz ist die älteste der Katzen von St. Lukas. Sie ist sehr besorgt um den »Rev«, wie seine Freunde den Reverend Herbert Jones manchmal nennen.

Cazenovia. Diese Katze beobachtet alles und jeden.

Lucy Fur ist die jüngste der Miezen. Obwohl stets verspielt, hört sie auf die älteren.

1

Ein Rotschulterbussardweibchen flog mit einem Mäuschen in den Klauen vor dem 2007er Subaru-Outback vorbei, der auf der nassen Landstraße fuhr. Es landete auf einem alten Kirschbaum, dessen rosa Blüten vom leichten Aufsetzen des Vogels auf die Erde flatterten.

»Haben Sie das gesehen?«, rief Miranda Hogendobber. Sie saß am Steuer des Subaru-Outback, auf dem Weg zum Gartenzentrum in Waynesboro.

»Raubvögel faszinieren mich, aber sie machen mir auch Angst«, erklärte Harry Haristeen. »Armes Mäuschen.«

»Das ist der Lauf der Dinge.« Miranda verringerte wegen einer scharfen Kurve das Tempo.

Mittelvirginia, das sich eigentlich eines herrlichen Frühlings erfreute, erholte sich soeben von den sintflutartigen Regenfällen des Wochenendes.

Harry, mit vierzig topfit, und Miranda, Ende sechzig, was ihr nicht anzumerken war, hatten jahrelang zusammen im alten Postamt von Crozet gearbeitet.

Als George, Mirandas Mann, starb, hatte Harry, gerade frisch vom Smith College abgegangen, seinen Posten als Vorsteher des Postamtes übernommen, nicht ahnend, dass diese Arbeit fast zwei Jahrzehnte dauern würde. Miranda ließ sich trotz ­ihres schweren Verlustes jeden Tag sehen, um der jungen Frau, die sie schon als Baby gekannt hatte, zu helfen, sich zurechtzufinden. Harrys Jugend heiterte Miranda auf. Besonders wenn man trauert, ist es gut, eine Aufgabe zu haben. Im Laufe der Jahre waren sie sich sehr nahegekommen, es war fast wie eine Mutter-Tochter-Beziehung. Harrys Mutter war gestorben, als Harry Anfang zwanzig war.

Angesichts des Unrats, den das allmählich zurückgehende Wasser auf den überschwemmten Feldern hinterließ, bemerkte Harry: »In diesem Schmutz kann ich die Tiere nicht raus­lassen. Wer weiß, was sich sonst noch alles in den Ästen und Zweigen verheddert hat.«

»Hey, da ist ein Plastikstuhl. Könnte sich hübsch in Ihrem Garten machen.« Miranda lächelte.

Die jüngere Frau war großzügig mit ihrer Zeit und fütterte jedermann gern durch, doch wenn es um Geld ging, war sie oft knauserig. Miranda konnte es sich nicht verkneifen, Harry mit einem kostenlosen, wenn auch hässlichen Stuhl aufzuziehen.

»Dieser Wagen ist viel besser als mein 1961er Falcon«, sagte die ältere Dame. »Zuerst war ich ja gegen das Luxusradio. Ist schließlich ein Gebrauchtwagen, in dem der Einbau eines Sirius­radios vorgesehen war, aber ich wollte kein Extrageld ausgeben. Wie konnte ich bloß ohne das leben?«, Miranda war zur Subaru-Konvertitin geworden.

»Normale Autos leisten heute mehr als ein Mercedes oder sogar ein Rolls-Royce von vor zehn Jahren. Mich verblüfft, mit welcher Geschwindigkeit die technische Entwicklung dieser hochwertigen Gefährte bei viel preisgünstigeren Autos selbstverständlich geworden ist. Trotzdem liebe ich meinen alten 1978er F-150, und Sie fahren noch Ihren alten Falcon. Hey, soll ich ihn für Sie wachsen?«

»Würden Sie das tun? Wie lieb von Ihnen.«

»Sie wissen ja, ich bin versessen auf alles, was einen Motor hat. Ich reinige die Reifen, möbele Ihr Armaturenbrett auf. Ich bin ein Einfrau-Wasch- und Pflegecenter.«

Mit zusammengezogenen Augenbrauen sagte Miranda: »Ah-oh.«

Ein merkwürdiger Knall und das darauf einsetzende Schlingern machten es schwierig, den Outback auf der Straße zu halten.

»Blinker einschalten und bremsen.«

Sie schlitterten auf einen schmalen Abflussgraben zu, und die Airbags bliesen sich auf, als das Rad in den Graben rutschte. Miranda konnte nichts sehen.

Wenn genügend Platz war, verliefen die schmalen, etwa dreißig bis sechzig Zentimeter tiefen Abflussgräben parallel zu den Landstraßen. Gelegentlich führten schmale Durchlässe unter Farmzufahrten oder scharfen Kurven durch und leiteten das Wasser, das sehr schnell steigen konnte, von den Straßen ab.

Auch ohne etwas zu sehen, geriet Miranda nicht in Panik. Sie bremste vorsichtig, und die rechte Wagenseite senkte sich in den Graben. Das Auto wackelte ein bisschen.

Harrys zwei Katzen und ihr Hund, die auf dem Rücksitz schliefen, kullerten herunter.

»Hey!«, heulte Pewter, die rundliche graue Katze.

Mrs. Murphy, die getigerte Katze, und die Corgihündin Tee Tucker kletterten wieder auf den Sitz.

»Keine anderen Autos«, stellte die Hündin fest.

Die Tigerkatze sah sich um. »Stimmt.«

»Ich hab geschlafen.« Pewter hievte sich hinauf und setzte sich zu ihren Freundinnen.

»Haben wir alle«, bemerkte Mrs. Murphy trocken.

»Schon – aber ich hab mehr geschlafen.«

Harry, die bereits ausgestiegen war und in den Airbag mit dem Taschenmesser, das sie immer in der Hüfttasche bei sich trug, ein Loch gestochen hatte, damit die Luft entweichen konnte, duckte sich, um sich das Fahrgestell anzusehen. Dann ging sie zur rechten Seite des Wagens, die mit der Schnauze im Graben steckte.

»Ist was zu sehen?« Miranda rollte ihren Airbag, in den Harry ebenfalls ein Loch gestochen hatte, so gut es ging zusammen.

Harry rief zurück: »Der rechte Reifen ist aufgeschlitzt, und der Schlauch hat einen Platten. Sind Sie Mitglied beim Automobilclub?«

»Ja.« Miranda zog sich mit Harrys Hilfe aus dem Wagen. »Aber ich ruf lieber Safe & Sound an.«

Die Firma Safe & Sound, von Alphonse »Latigo« Bly gegründet und betrieben, hatte ihren Hauptsitz in Charlottesville. Das auf Autoversicherungen spezialisierte Unternehmen deckte die mittlere Atlantik- und die Südküste ab. Viele Geschäftsleute glaubten, dass Safe & Sound sich früher oder später landesweit ausbreiten würde.

Während Miranda telefonierte, öffnete Harry die hintere Wagentür.

»Muss wer Pipi machen?«

»Muss das hier sein?«, grummelte Pewter. »Ich will mir nicht die Pfoten nass machen.«

»Kein Bedarf«, antwortete die Corgidame für alle drei Tiere. Als Harry sah, dass keine von ihren besten Freundinnen sich rührte, schloss sie die Tür, dann stopfte sie den Airbag mühsam wieder an seinen Platz.

Miranda telefonierte noch mit Safe & Sound und erging sich dabei in – vielleicht allzu vielen – Einzelheiten.

Harry entnahm dem Handschuhfach die Bedienungsanleitung.

Nach Beendigung des Telefonats informierte Miranda Harry: »In zwanzig Minuten ist jemand hier. Den Automobilclub muss ich nicht anrufen, sagt er. Er hat andauernd mit solchen Sachen zu tun.«

»Ist doch immer besser, Geschäfte mit Freunden zu machen«, fand Harry. »Wenn man versucht, Geld zu sparen, verschwendet man meistens Zeit oder gibt sogar mehr Geld aus. Safe & Sound ist vor Ort.«

Miranda seufzte. »Je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass Zeit kostbarer ist als Geld.«

Harry blätterte in der Bedienungsanleitung und blieb an einer schematischen Zeichnung des Autorahmens hängen. »Sie sind nicht alt. Wer wie Sie im Chor singt, im Garten arbeitet und Mitglied bei jedem Wohltätigkeitsverein Virginias ist, ist nicht alt.« Harry wechselte abrupt das Thema – eine ihrer Gewohnheiten bei guten Freunden – und erklärte: »Was passiert ist, lag nicht am Motor. Es könnte ein defekter Reifen gewesen sein, aber da war so ein merkwürdiger Knall.«

»Stimmt. Danach konnte ich nicht mehr lenken.«

»Komisch.« Harry warf wieder einen Blick in die Bedienungsanleitung. »Subaru baut tolle Autos für das Geld.« Ein frischer Wind wehte ihr den Duft von Blüten, Blumen und Heu in die Nase.

»Ich bin gespannt zu erfahren, woran es lag. Wir hatten Glück, dass der Wagen nach rechts geschlingert ist, nicht nach links in den Gegenverkehr. Und was noch besser war, es gab gar keinen Gegenverkehr.« Miranda atmete aus.

»Montagnachmittag. Alle sind bei der Arbeit oder auf den Feldern. Herbs Transporter ist nach seinem Zusammenstoß letzte Woche noch in der Werkstatt«, sagte Harry. Sie sprach von Reverend Herbert Jones, dem Pfarrer der lutherischen St.-Lukas-Kirche. »Aller guten und schlechten Dinge sind drei. Vielleicht bin ich die Nächste.«

»Ich weiß nicht, was passiert ist, aber es wird Herb bestimmt eine Stange Geld kosten. Sein Wagen steht noch bei ReNu«, erklärte Miranda. ReNu war die von der Versicherung bevorzugte Kfz-Werkstatt. »Er war mit seinem Chevy-Transporter unterwegs. Seinem Angeber-Chevy.«

Sie lachten, denn der Chevrolet, der zum Angeln benutzt wurde und mit der entsprechenden Ausrüstung bestückt war, war außerdem randvoll mit Anglergeschichten. Oh, wie poetisch konnte Herb sich auslassen über den Fisch, der ihm entwischt war! Ebenso gern präsentierte er seinen Fang, wobei sich allerdings die Katzen an der Zurschaustellung weit mehr interessiert zeigten als die Menschen.

»Wenn man schon am Straßenrand festsitzt, dann am besten an einem schönen Frühlingstag.« Harry lächelte. »Wir haben Glück gehabt. Anders als Tara Meola.«

Harry schauderte bei dem Gedanken an die bedauernswerte junge Frau, die letzte Woche im strömenden Regen ihr Leben lassen musste, weil ihr ein Reh ins Auto gekracht war.

Miranda nickte. »Wohl wahr.«

»Man kann halt nie wissen«, sagte Harry und seufzte.

2

Nach einem bitterkalten Winter war das Frühjahr bis Ende April kühl geblieben. Jetzt war es Ende Mai. Nächte mit sieben bis dreizehn Grad versprachen Tage mit mindestens sechzehn Grad. Wälder und gepflegte Rasenflächen waren mit spätblühendem Hartriegel gesprenkelt. An Pergolen hingen Glyzinen mit lavendelfarbenen oder weißen Blüten. Die Rosen standen kurz vor der Blüte.

Harry spazierte über ihre bestellten Felder. Auf der Farm wurde für ein gesundes Gleichgewicht aus Getreide, Futtergras und Waldbestand gesorgt. Während Mrs. Murphy, Tucker und Pewter Harry folgten, machten sie zahlreiche Abstecher, um Kaninchen- und Fuchsbaue zu erkunden. Schmetterlinge gaukelten miteinander, flatterten mit ihren schönen geäderten Flügeln.

Pewter, die sie lüstern betrachtete, duckte sich.

»Die sehen dich«, sagte Tucker.

Pewter ignorierte den stets sachlichen Hund, wackelte mit ihrem grauen Hinterteil und sprang dann hoch.

Ohne ihren Rhythmus zu unterbrechen, flogen die Schmetterlinge davon.

»Hab sie fast erwischt.«

»Träum schön weiter«, hänselte der Hund.

Mit Mrs. Murphy auf den Fersen drehte Harry sich um. »Kommt weiter, ihr zwei.«

»Immer gibt sie Befehle«, grummelte Pewter.

»Stimmt«, bestätigte der hübsche Hund. »Aber sie füttert uns auch immer pünktlich.«

Dies bedenkend, zockelte die dicke Katze zu Harry, die sich jetzt bückte, um die Sonnenblumen zu inspizieren, die gerade aus dem Boden spitzten.

»Mit ein bisschen Glück werde ich ein gutes Jahr haben.« Lächelnd ging Harry weiter zu ihrem Viertelmorgen mit Petit-Manseng-Weinstöcken.

Dr. Thomas Walker, der nach dem Tod von Peter Jefferson Thomas Jeffersons Vormund wurde, hatte versucht, Wein anzubauen. Jefferson hatte ebenfalls damit experimentiert. Doch die Sorten, die sie anpflanzten, wollten nicht gedeihen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden im Weinbau beiderseits des Atlantiks große Fortschritte erzielt, und heute spülte er Millionenbeträge in die Staatskasse, ein Segen für die Erzeuger und ein Segen für Virginia.

Das Geschäft mit Pferden brachte der Staatswirtschaft allein schon 1,2 Milliarden Dollar ein. Wobei natürlich kein Pferd mit einer Traube verglichen werden möchte.

Shortro, ein sehr sportliches Reitpferd, und Tomahawk, ein alter Vollblüter, senkten die Köpfe über den Zaun ihrer Koppel.

»Dies wird das erste Jahr, in dem sie ihre Trauben verkaufen kann«, bemerkte Tomahawk. »Du weißt ja, sie musste sie die ersten zwei Jahre am Stock lassen.«

»Das wissen sogar die Zuchtstuten.« Shortro lachte. »Harry ist ganz besessen von ihren Trauben und ihren Sonnenblumen. Sie ist sich ganz sicher, dass ihr beides Geld einbringen wird.«

Eine der Zuchtstuten auf der angrenzenden Koppel hatte Shortros Bemerkung gehört. »Das weise ich zurück.«

»Ach Gigi«, – Shortro nannte die Vollblutstute bei ihrem Stallnamen –, »ichhab mir nichts weiter dabei gedacht. Ihr Mädels seid ja total mit euren Fohlen beschäftigt.«

Gigi warf den dunkelbraunen Kopf zurück. »Wenn sie Geld verdient, sät sie Luzerne in die Koppel. Wir alle wünschen Harry Erfolg.«

Die anderen Zuchtstuten nickten beifällig. Ihre Fohlen, das jüngste erst einen Monat alt, wichen ihnen nicht von der Seite.

In seliger Ahnungslosigkeit, dass sie das Gesprächsthema war, plauderte Harry mit ihren Haustieren. »Ich kann Vogelscheuchen und große Plastikeulen aufstellen, aber, Mädels, früher oder später kriegen die Vögel das spitz, drum darf ich nicht zu früh damit anfangen. Ich warte, bis die Trauben – winzig klein – am Stock erscheinen, dann stell ich das Zeug auf.« Sie schüttelte aufgebracht den Kopf. »Ich sag euch, Vögel und Wild können einen fix und fertig machen.«

»Um das Wild kann ich mich kümmern.« Tucker blähte die breite Brust.

»Rehe sind nichts anderes als große Ratten.« Pewter hielt mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg.

»Oh, aber sie sind so hübsch.« Mrs. Murphy beobachtete liebend gern Rotwildrudel mit den noch gefleckten Kitzen, wenn sie die Weiden und Wiesen querten, ehe sie sich wieder in den Wald verzogen.

Die Anfangstakte von Tschaikowskys Ouvertüre 1812 ertönten. Harry zog das Handy aus der Hüfttasche ihrer Jeans.

»Ja, Baby.«

Die tiefe Stimme ihres Mannes antwortete: »Nette Begrüßung.«

»Und, was willst du?« Harry lachte.

»Dich und nur dich.«

Pewter und die anderen zwei Tiere konnten Fairs Stimme hören; Katzen und Hunde haben viel schärfere Sinnesorgane als ein Mensch.

»So ein Schleimer.«

»Ach Pewter, du bist ’ne olle Spielverderberin.« Tucker wedelte mit dem nicht vorhandenen Schwanz.

»Was von Miranda gehört?«, fragte Fair.

»Nein. Latigo Bly hat uns persönlich abgeholt. Er hat zuerst sie nach Hause gefahren, dann mich. Er meinte, nur keine Sorge. Die Firma werde sich um alles kümmern. Der Wagen ist zu ReNu geschleppt worden, die haben einen regelrechten Rückstau. Latigo sagt, sie werden mit Ansprüchen überschwemmt. Bei dem vielen Regen gab es eine ganze Reihe Unfälle.«

»Hab ich nie drüber nachgedacht.«

Harry lachte. »Fair, wir sind nicht in der Versicherungsbranche.«

Fair glaubte, wer mit Freunden Geschäfte machte, hatte den Vorteil, mit jemandem zu sprechen, dessen Muttersprache Englisch war. Obwohl Safe & Sound rasch wuchs, war die Firma für Harrys Ehemann immer noch eine hiesige Firma. Fair und Harry waren bei Hanckel Citizens versichert. Beider Eltern hatten sich für diese Gesellschaft entschieden und waren gut damit gefahren. »Morgen werden wir mehr hören. Herb hatte ordentlich Scherereien nach seinem kleinen Unfall. Er konnte nur zu ReNu gehen, dabei wäre ihm Tom Harveys Werkstatt lieber gewesen. Er sagt, Safe & Sound hat auf ReNu bestanden, weil bei denen die Reparaturen billiger sind. Da hab ich unseren guten Reverend das einzige Mal fluchen gehört wie ein Dragoner.«

Harry lächelte. »Ich gäb was drum, das zu hören.«

»Ich ruf an, weil ich BoomBoom getroffen habe«, – Fair sprach von einer gemeinsamen Freundin seit Kindertagen –, »und sie sagt, ich soll dir unbedingt ausrichten, wenn du diesen Herbst deine Sonnenblumenkerne verkaufen willst, musst du dich sofort an den Bioladen wenden. Yancy Hampton kauft jetzt ein.«

»Yancy tut was? Wieso denn jetzt, um Himmels willen? Die Ernte ist noch lange nicht so weit.«

»Das hat sie nicht gesagt. Huch, Anruf auf der anderen Leitung, sieht nach Big Mim aus. Wir sehen uns heute Abend, Liebling.«

Harry legte auf mit dem Gedanken, dass er sich zum Abendessen verspäten würde, da eine von Big Mims besten Stuten Schwierigkeiten mit der Milchabsonderung hatte und das Fohlen die Milch brauchte. Wenn die Stute keine Milch geben konnte, würde Fair Ersatz finden müssen. Weil die Decktaxe für diese besondere Züchtung 75 000 Dollar betragen hatte und das Fohlen makellos war, musste das Kerlchen unbedingt wohlauf bleiben und die Mama wieder gesund werden.

Harry klappte das Handy zu. Sie empfand weder Zuneigung noch Abneigung für Yancy Hampton, aber Neutralität grenzte bei Harry an Misstrauen. Dennoch, Geld war Geld. Sie wollte es sich überlegen.

3

Durch die weit offenen Schiebefenster wehte eine frische Brise in den gemütlichen Raum neben der St.-Lukas-Kirche, wo soeben die Kirchenvorstandssitzung stattfand. Die Verwaltungsbüros waren durch einen alten steinernen Bogengang mit der Kirche verbunden, so dass man dort hingelangen konnte, ohne von einem der für Virginia typischen plötzlichen Regengüsse durchweicht zu werden. Sämtliche Gebäude von St. Lukas waren um einen hübschen symmetrischen Innenhof errichtet. Teile der Kirche waren gut zweihundertdreißig Jahre alt. Die ganze Anlage strahlte Ruhe aus und lud zur inneren Einkehr.

Die ehemaligen Gemeindemitglieder und Pastoren hatten jenseits des großen Innenhofs auf einem tiefer gelegenen weitläufigen rechteckigen Friedhof ihre letzte Ruhe gefunden. Dieses niedrigere Geviert war von achtzig Roteichen umgeben, vor denen sich eine Kaskade aus Kletterrosen über die Trennmauer ergoss. Der Wohnbereich des gegenwärtigen Pastors lag an der Südseite des großen Außenhofes. Die Angelausrüstung von ­Reverend Jones, die gut sichtbar an der Garage lehnte, war ein hoffnungsvoller Anblick.

An der Sitzung des Kirchenvorstands nahmen auch die lutherischen Katzen Eloquenz, Lucy Fur und Cazenovia teil. Während die Menschen – unter ihnen Harry – über Spenden oder gesellige Veranstaltungen diskutierten und gelegentlich stritten, lümmelten sich die Katzen-Pfarrkinder träge auf den Fensterbänken. Angehörige ihrer Spezies waren einst im alten Ägypten Götter gewesen, aber die drei waren klug genug, dies für sich zu behalten. Schließlich liebten sie ihren Reverend. Warum ihn mit einer konkurrierenden theologischen Sicht verstimmen? Die Menschen verstanden so wenig von kätzischer Kommunikation. Somit war allen Katzen – nicht nur Eloquenz, Lucy Fur und Cazenovia – klar, dass die Beziehung von Mensch und Katze oftmals eine Einbahnstraße war. Sie bemitleideten die zweibeinigen Geschöpfe, verehrten sie aber zutiefst, wenn die Büchse mit »Fancy Feast«-Futter geöffnet wurde.

»Der Aufsitzmäher braucht einen neuen Luftfilter, und die Klingen müssen geschärft werden.« Susan Tucker, Harrys Freundin seit Kindertagen, die gegenwärtig für Gebäude und Außenanlagen zuständig war, las aus ihrem Monatsbericht vor. »Das ist nicht furchtbar teuer. Jimmy Carter arbeitet ausgezeichnet und ist mehr als erschwinglich, hat aber deswegen eine sehr, sehr lange Wartezeit.«

»Wir können das Gras nicht wachsen lassen. Das sieht schlimm aus.« BoomBoom Craycroft, eine hinreißende Schönheit, wusste, dass die Leute – und nicht nur Gemeindemitglieder – über ungepflegte Anlagen murren würden.

»Können wir uns keinen Rasenmäher leihen?«, fragte die praktische Harry.

Craig Newby, der sein erstes Jahr im Vorstand absolvierte, erwiderte: »Theoretisch ja, aber im Moment mäht alle Welt. Es war ein nasses Frühjahr. Manche Leute mähen dreimal die Woche.«

Herbs graue Augenbrauen schnellten in die Höhe. »Dreimal?«

»Martha Stewart vielleicht«, scherzte BoomBoom, und alle lachten.

Während der Vorstand mit den Mähproblemen der ausgedehnten Rasenflächen von Kirche und Friedhof befasst war, sah Eloquenz aus dem Fenster. »Andenbaumläufer.«

Der Läufer war ein kleiner Vogel mit ziemlich breiter Brust und leicht gebogenem dünnem Schnabel. Er arbeitete sich an einer Robinie hoch.

»Wetten, dass wir ihn fangen könnten?« Lucy Fur machte große Augen.

»Die sind aber ziemlich schnell«, erklärte Cazenovia.

Lucy Fur murmelte zustimmend, grübelte dann aber: »Die sind so gesellig, hängen dauernd mit Spechten und Meisen rum. Meisen kannst du manchmal ablenken und schnappen, aber Spechte nie. Ganz egal, welche Art Specht.«

»Ich möchte keinen Specht verspeisen«, erklärte Eloquenz. »Aber ein fetter kleiner Maulwurf – lecker.«

Zur Lösung des Mähproblems erklärte Harry sich bereit, ihren Null-Wendekreis-Mäher herbeizuschleppen, bis der alte John Deere der Kirche repariert war. Das Gespräch wandte sich nun Maulwürfen zu.

»Streut Gift in die Löcher«, meinte Craig achselzuckend.

»Alle Geschöpfe von schöner Pracht, alle Dinge groß und klein, wir alle sind von Gott gemacht.« Herb faltete die Hände. »Hab ich das richtig zitiert?«

»Hört sich für mich gut an.« BoomBoom setzte ein Megawatt-Strahlen auf, dann wandte sie sich an Craig. »Es gibt Ultraschall-Vertreiber. Man schiebt einen kleinen Stab in ihren Gang, und sie ziehen um. Sie werden nicht getötet.« Sie sah Harry an. »Ist nicht teuer.«

Harry lachte. »Und wir müssen ihnen keine Umzugskartons besorgen?«

Schließlich kam die Versammlung zu einem ersprießlichen Ende, und alle blieben noch auf einen Kaffee, Tee oder eine Cola. Normalerweise begannen derartige Sitzungen um sechs Uhr abends, aber es hatte sich ergeben, dass die heutige für den Vormittag anberaumt worden war.

Man kam auf Mirandas merkwürdigen Unfall sowie auf Herbs Problem mit seinem Transporter zu sprechen.

»Hab ich euch schon mal erzählt, wie ich drei Unfälle an einem Tag hatte?« Herb lächelte.

»Er schwelgt mal wieder in Erinnerungen«, bemerkte Eloquenz, die mittlere von den drei Katzen.

»Ich war sechzehn, hatte mein erstes Auto, einen alten 1939er Chevy. Lief wie geschmiert. Also, ich fuhr von der Farm und war noch keine anderthalb Kilometer auf der Straße unterwegs, da knallte die gute alte Kitchie Richards von hinten auf mich drauf. Habt ihr sie noch gekannt?«

Die älteren Vorstandsmitglieder erinnerten sich an sie. Sie erinnerten sich auch, dass Kitchie gerne mal einen über den Durst trank.

»Und was dann?«, fragte Craig wie aufs Stichwort.

»Tante Tally kam vorbeigefahren, wendete, fuhr zurück nach Rose Hill und rief den Sheriff an. Während ich auf den Sheriff wartete, kaum zu glauben, da ist wieder einer hinten draufgeknallt, diesmal John Barrow. Er hat einfach nicht aufgepasst, wohin er fuhr.«

»Was ist mit Kitchie passiert?«, wollte BoomBoom wissen.

»Sie hat sich entschuldigt, so gut es ging, hat gewendet, und weg war sie. Der stellvertretende Sheriff kommt angefahren und sieht, dass mir zweimal jemand draufgeknallt ist. Ich wollte Kitchie nicht verpfeifen, aber ich wusste nicht, was tun. Jedenfalls hatte Tom Ix Dienst, er lebt übrigens noch. Hat alles aufgenommen, auch Johns Aussage. Dann hat er gesagt, ich soll weiterfahren. Ich steige in den Chevy – Motor, Reifen in Ordnung – und fahre Richtung Charlottesville. War keine drei Kilometer unterwegs, als es wieder kracht. Zu meinem Glück kam Tom vorbeigefahren, als ich mit dem Übeltäter am Straßenrand saß. An keinem der Unfälle war ich schuld. Also, Tom hat mich angeguckt und gesagt: ›Junge, du gehörst nach Hause.‹ Also bin ich nach Hause gefahren.«

Sie lachten und plauderten, dann löste sich die Gruppe auf. Harry, BoomBoom und Susan blieben noch, um aufzuräumen.

»Fährst du Herb zu ReNu?«, fragte BoomBoom, die gerade einen Müllsack zuband.

»Ja«, erwiderte Harry, während sie Gläser in den Schrank stellte. »Zwei Unfälle. Aller guten und schlechten Dinge sind drei.«

»Harry, sag so was nicht«, warnte die abergläubische BoomBoom.

»Stimmt aber.«

»Vielleicht tun wir besser, was der alte Sheriff Ix Herb geraten hat: nach Hause gehen.«

»Fertig!«, rief Susan zu Herb hinüber, der sich in sein Arbeitszimmer verzogen hatte.

»Prima. Will noch wer von euch Mädels mitfahren?«

»Was? Ich dachte, ich bin Ihre einzige Freundin«, neckte Harry ihn.

»Schon, aber welcher Mann umgibt sich nicht gern mit schönen Frauen?« Herbs Augen leuchteten auf.

»Gut gekontert.« BoomBoom lächelte ihn an, dann küsste sie ihn auf die Wange. »Ich muss raus zur Farm. Wir wollen im Hauptstall einen neuen Brunnen installieren. Die Gewitter haben den Stallbrunnen zerstört. Wir sind noch dabei, den Schutt wegzuräumen.«

»Ich hab auch einiges abgekriegt, aber ich glaube, euch hat’s stärker getroffen als mich«, erwiderte Harry.

»Mutter Natur hat keine Favoriten«, vermeldete Susan. »Ich fahr nur mit, wenn du mit dem Kombi da bist, Harry. Sonst können wir meinen nehmen.«

»Bin ich.«

Kurz darauf saßen die drei bequem in Harrys Volvo-Kombi, einem Geschenk von ihrem Mann. Harry – genau wie BoomBoom eine Autonärrin – bewunderte, wie gut sich der Wagen trotz seiner Ausmaße handhaben ließ. Wenn sie die Sitze umklappte, konnte sie hinten eine Menge Ladung unterbringen.

Sie fuhren auf die Route 240, bogen links auf die Route 250 in Richtung Charlottesville. Nach zwanzig Minuten in mittelstarkem Verkehr nahmen sie die Route 29 nach Norden und hielten vor der ReNu-Kfz-Werkstatt. Harry und Susan stiegen auch aus. Sie wollten sicherheitshalber warten, ob Herb seinen Wagen tatsächlich mitnehmen konnte. Wie oft sollte ein Fahrzeug fertig sein, dann kam man hin, und es war doch nicht fertig.

Hinter dem Schalter des nach vorn gelegenen Büros saß ein junger Mann. Herb sagte, er sei gekommen, um seinen Transporter abzuholen.

Ein Anstecker auf der linken Tasche des jungen Mannes wies ihn als »Kyle« aus. Er griff zum Telefon. Die drei hörten die Anweisung, den 1994er Chevy-Halbtonner zu bringen.

Nichts geschah. Kyle forderte den Chevy abermals an. Kein Chevy.

Leicht pikiert sah Kyle Herb an. »Die Leute sollten längst aus der Mittagspause zurück sein.«

»Ich gehe nach hinten und suche sie«, erbot sich Herb. »Der Schlüssel steckt?«

»Ja.«

»Und Sie stehen mit meiner Versicherung in Verbindung?«

»Oh ja. Safe & Sound bezahlt die Rechnungen immer pünktlich. Ich kann auch nach hinten gehen, wenn Ihnen das lieber ist«, sagte Kyle.

»Wir können einen Kunden hier im Büro nicht so gut bedienen wie Sie.« Herb lächelte. »Wir gehen – es macht mir nichts aus. Wenn es ein Problem gibt, bin ich gleich wieder bei Ihnen.«

Damit begab Herb sich zur Werkstatt, Harry und Susan kamen mit.

Beim Betreten der geräumigen Halle sahen sie viele saubere Gruben, auf jeder Hebebühne ein Wagen. ReNu hatte zwei Gebäude im Abstand von fünfzig Metern, dazwischen parkten Autos. Links war die Werkstatt, rechts der Karosseriebetrieb. Der Parkplatz dazwischen war überfüllt. Mirandas Outback stand in einer Reihe ganz am Rand.

Drinnen war keine Menschenseele zu sehen.

»Lange Mittagspause«, stellte Susan fest.

Harry bemerkte einen Montierhebel, der aus einem Stapel Motorteile unter einer Wand mit Regalen hervorragte. Neugierig, wie sie war, ging sie hin.

»Was zum …« Ein Ende des Schwermetallwerkzeugs war mit Blut und Hirnmasse überzogen.

Dann sah sie hinter den Kartons ein Paar Arbeitsstiefel hervorschauen.

»Kommt mal her.«

Harrys dringlicher Ton ließ Herb und Susan herbeieilen.

Sie traten hinter die Kartons und erblickten die Leiche eines Mechanikers, noch in seiner ölverschmierten Arbeitskluft, das Gehirn auf dem Boden verspritzt.

Jetzt gab es ein Problem.

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