Dämonensaat - Christina M. Fischer - E-Book

Dämonensaat E-Book

Christina M. Fischer

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Beschreibung

Vor 60 Jahren brach eine Virus-Epidemie aus. Was vorher nur vereinzelt auftrat, häuft sich nun: Menschen verwandeln sich in Hexen, Vampire, Werwölfe oder Dämonenbräute, kurz: in A-Normalos. Die Agentin Sophie Bernd ist eine von ihnen, eine Dämonenbraut, die mit ihrem Blut Dämonen aus einer anderen Dimension rufen kann. Mit dieser Gabe verdient sie ihr Geld und bekämpft alle, die sich nicht an die Regeln halten. Zwei Jahre sind seit dem schrecklichen Vorfall vergangen, der Sophies Partner Samuel das Leben gekostet hat, nun erschüttert erneut eine Mordserie die Stadt Terimes. Dieses Mal jedoch hat der Mörder es auf Dämonenbräute abgesehen. Je länger Sophie seiner Spur folgt, umso bewusster wird ihr, dass ihre Todfeindin, die Herrin aller Shibuydämonen, zum endgültigen Schlag ausgeholt. Um ihre neue Liebe zu retten, muss Sophie alles opfern. Dämonensaat ~ Teil 2 der Dämonen-Trilogie

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Dämonensaat
Reiheninformation
Impressum
Über die Autorin
Prolog
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Epilog
Dankesagung
Mehr

Christina M. Fischer

Dämonensaat

Reiheninformation

Die Dämonen-Trilogie

Teil 1 – Dämonenbraut

Teil 2 – Dämonensaat

Teil 3 – Erscheint bald im Art Skript Phantastik Verlag

Impressum

Alle Rechte an den abgedruckten Geschichten liegen beim Art Skript Phantastik Verlag und der Autorin.

Copyright © 2020 Art Skript Phantastik Verlag

1. Auflage 2020

Art Skript Phantastik Verlag | Salach

Lektorat » Rohlmann & Engels

» www.lektorat-rohlmann-engels.com

Komplette Gestaltung » Grit Richter | Art Skript Phantastik Verlag

Cover-Illustration » Helene Boppert www.heleneboppert.blogspot.de

Druck » BookPress

www.bookpress.eu

Auch als Buch erhältlich

Der Verlag im Internet

» www.artskriptphantastik.de

» art-skript-phantastik.blogspot.com

Alle Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Über die Autorin

Maria Christina Fischer wurde 1979 geboren und lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Marktheidenfeld, Bayern. Nach einer Ausbildung als Damenschneiderin arbeitete sie in diesem Beruf, befindet sich jedoch im Moment in Elternzeit.

Seit dem Jugendalter liest und schreibt sie leidenschaftlich gerne. Ihre bevorzugten Genres sind High Fantasy, Urban Fantasy und Dark Fantasy.

Besuche Christina auf

www.christinamfischer.de

www.facebook.com/AutorinChristinaFischer

www.bookrix.de/-xchristinax

Prolog

Festgeschnallt auf dem Bett wand Johanna sich in ihren Fesseln hin und her, schaffte es aber nur die Decke von ihrer Gestalt zu streifen. Trotz der späten Stunde blieben ihre Augen weit geöffnet.

»Er ist gekommen«, wisperte sie in der Stille. In ihrem Kreislauf zirkulierten die verschiedensten Beruhigungsmittel, zusätzlich patrouillierte eine Wache auf dem Flur vor ihrer Tür. Diese Vorsichtsmaßnahmen dienten dazu, sie unter Kontrolle zu halten.

»Ich sollte etwas unternehmen«, flüsterte sie weiter und bewegte ihre Handgelenke, um die Lederschnallen zu lockern. »Aber dafür müsste ich ihn rufen.«

Schaudernd drückte sie sich in die Matratze hinein. Sie wollte vor dem fliehen, was ihr bald bevorstand. »Er ist so grausam und dabei habe ich ihm vertraut.«

Der Wachposten blieb vor ihrer Tür stehen und spähte - eine Taschenlampe verwendend - durch den breiten Sichtschlitz ins Innere, doch auf dem Bett rührte sich nichts. Sein Misstrauen musste jedoch geweckt worden sein, denn er ließ den Sichtschlitz geöffnet. Wahrscheinlich würde er seinen nächtlichen Rundgang abkürzen und gleich noch einmal nach ihr sehen. Erst als der Mann nicht mehr zu hören war, kehrte Leben in Johanna zurück.

»Ich muss es tun«, wiederholte sie. Ihre Wärter hatten ihr die Nägel gefeilt, damit sie sich nicht kratzen konnte. Die Beißschiene war dazu da, ihre Zunge und die Innenseite ihrer Wangen zu schützen, aber der letzte Assistent war nachlässig gewesen. Indem sie ihr Gebiss aneinanderrieb, gelang es ihr, sich das Zahnfleisch an der Schiene zu verletzen. Mit dem metallischen Geschmack auf der Zunge fühlte sie die Macht einer Dämonenbraut in sich aufwogen.

Konzentriert versuchte sie durch den Nebel zu spähen, den die vielen Tabletten hervorriefen. Ein winziger Fehler und es wäre vorbei.

Das Mal an ihrem Handgelenk, das an eine Rose erinnerte, war durch die lange Ruhezeit klein und kümmerlich geworden, doch nun blühte es – wie ihre Macht – zu neuer Stärke auf. So viele Jahrzehnte lang war sie zufrieden gewesen, hier zu ruhen, doch nun konnte sie sich nicht mehr vor dem verschließen, was sie tun musste. Sie fühlte seine Gegenwart so deutlich, dass es nur eine Erklärung dafür gab: Er war hier!

»Johanna.«

Der Sprecher, dem die raue Stimme gehörte, hielt sich in der Nähe der Zellentür auf. Sie konnte sehen, wie er mehr und mehr Gestalt annahm. Zuerst wurden seine Umrisse deutlich, dann verdichtete sich sein Fleisch. Nur mühsam konnte sie einen Aufschrei beim Anblick seiner menschlichen Gestalt unterdrücken, die im Lichtstrahl der Flurbeleuchtung, so vertraut wirkte.

»Nein«, stieß sie zitternd hervor. »Zeig dich nicht so. Nicht so!«

Als könne er ihre Furcht spüren, wartete er ab.

Trotz der Schwäche und des Taumels, die durch die Einnahme der Medikamente verursacht wurden, hatte sie ihn gut im Griff. Sein Wille drückte gegen ihren und als er keine Schwachstelle fand, erschien ein verschmitztes Lächeln auf seinen Lippen. »Das ist mein Mädchen.«

»Ich hasse dich«, stöhnte sie. Wegen der Beißschiene klang jedes Wort verstümmelt, aber er verstand sie. Ein einziges Mal hatte sie die Kontrolle aus freiem Willen aufgegeben und er hatte ihr Grausames angetan. Nie wieder würde sie diesen Fehler begehen!

Seine Antwort bestand aus Schweigen, doch er blieb, wo er war.

»Löse meine Fesseln«, befahl sie ihm. Kurz darauf spürte sie die Wärme, die von seiner Gestalt ausging. Ein Zischen entkam ihr, als er ihre Haut berührte.

»Geh einige Schritte zurück«, befahl sie als Nächstes, nachdem er ihre Handgelenke aus den Lederschnallen befreit hatte. Seine Berührung war ihr ein Graus. Wäre sie eine normale Dämonenbraut, sie hätte es vermieden ihn zu rufen, doch vor mehr als tausend Jahren war sie eine besondere Verbindung mit diesem Dämon eingegangen. Seine gewaltige Macht im Tausch dafür, dass sie nur ihn rief. Seitdem waren ihre Lebensfäden bis zum Tod miteinander verknüpft. Wenn einer von ihnen starb, würde der andere ihm folgen. Es war beinahe ironisch. Heute würde sie fast alles geben, um von ihm befreit zu sein, doch das würde auch sie das Leben kosten und sie war nicht bereit, aufzugeben.

Da der Wachposten auf seiner Runde bald wieder zu ihrem Zimmer kommen würde, entfernte sie zügig die Beißschiene und löste die Fesseln um ihre Fußgelenke.

Eine ungewohnte Schwäche überkam sie beim Aufstehen. Ihre Beine waren nicht stark genug, sie zu tragen, und sie fiel nach vorne.

Bevor sie aufschlagen konnte, fing ihr Dämon sie auf. Johanna krümmte sich vor Elend, doch sie sagte kein Wort. Die Jahre des Liegens hatten ihr ihre Kraft geraubt.

Grob schob sie den Dämon von sich, da ihr seine Berührung unerträglich war. Gleich darauf nahm sie ein beunruhigendes Geräusch wahr: Schritte.

»Überwältige die Wache … aber lass sie leben«, wies sie ihn an. Ihr Diener legte sie sanft zu Boden und ging zur Tür. Mit einer raschen Handbewegung zerbrach er das Schloss und öffnete die Zelle in dem Moment, in dem die Wache davor stehen blieb.

Von ihrem Platz aus konnte sie das überraschte Gesicht des Dhag sehen, bevor er niedergeschlagen wurde.

Der Dämon kämpfte gegen ihre Anweisung an, sie spürte sein Verlangen, zu töten.

»Sheruk, nein!« All ihren Zorn und ihren Hass legte sie in diesen Befehl. Seine kurzen Haare sträubten sich, er ballte die Hände zu Fäusten. In seiner Menschengestalt glich er einem jungen Mann, der augenscheinlich niemandem ein Haar zu krümmen vermochte, dabei war er ein uralter Dämon, dazu erzogen, zu morden.

Sein vertraut menschliches Gesicht überschüttete sie mit qualvollen Erinnerungen, daher wollte sie von ihm fordern, seine dämonische Gestalt anzunehmen, doch dann würden alle Alarmglocken läuten und Massen von Dhags kämen angestürmt.

Nicht umsonst hielt man sie in ihrer Hauptzentrale eingesperrt, sorgfältig bewacht und gefangen gehalten wie ein seltenes Tier, das jeden Moment durchdrehen konnte. Die Dhags hatten gesehen, wozu sie fähig war, und sie zum Staatsfeind Nummer Eins erklärt. Wäre es nach ihnen gegangen, sie wäre hier drinnen verrottet. Bis vor ein paar Tagen war das sogar ihr eigener Wunsch gewesen, aber sie konnte es jetzt nicht mehr ignorieren. Er war da und sie musste ihn finden!

»Lass uns einen anderen Weg nehmen«, schlug Sheruk vor. »Dieses Haus ist voller Feinde. Du bist geschwächt und ich kann dich nicht gleichzeitig tragen und kämpfen.«

Sie wusste sofort, welchen Weg er meinte, und sträubte sich davor. Andererseits stimmte, was er sagte. Wenn die Wache sich nicht innerhalb einer viertel Stunde meldete, ging automatisch der Alarm los. Zwischen ihr und der Freiheit lagen etliche verschlossene Sicherheitstüren sowie eine kleine Armee. Selbst wenn es ihr nicht gefiel, Sheruk hatte recht.

»In Ordnung.«

Obwohl sie sich gegen seine Berührung wappnete, konnte sie trotzdem ein Schaudern der Angst nicht unterdrücken, als er sie hochhob. Es war kaum zu glauben, dass sie ihn früher gemocht hatte.

Vor tausend Jahren war sie in dem Land aufgewachsen, das später zu Österreich wurde. Als der Sohn des Großbauers sich an ihr vergehen wollte, hatte sie ihre Gabe offenbart. Um sich zu schützen, setzte sie ihre Macht gegen ihn ein und verbrannte ihn mit Dimensionsenergie. Weil der junge Mann wegen der dicken Bandagen, die seine Wunden bedeckten, so grauenvoll aussah, fiel das Urteil schnell. Der Scheiterhaufen war bereits errichtet worden und sie rang im Kerker stundenlang mit sich selbst, dann entschloss sie sich einen vor Macht strotzenden Dämon zu rufen, und Sheruk war gekommen.

Ihre Ratgeberin, was diese damals verbotene Kraft betraf, war ihre Mutter gewesen, die in einer Schenke gearbeitet und Gerüchte aufgeschnappt hatte. Es waren nicht viele gute Ratschläge dabei, denn ihre Mutter war ein Mensch. Daher hatte sie nicht gewusst, dass man niemals einen so starken Dämon rief, und vor allem, dass man sich niemals an einen Dämon binden sollte. Die Beziehung von Dämonenbraut und Dämon sollte auf Kontrolle basieren und immer auf den Vorteil der Dämonenbraut abzielen. Sheruk hatte ihre Unwissenheit zu seinen Gunsten ausgenutzt. Sie musste ihn mit ihrer Stärke beeindruckt haben, denn in den vielen Jahrtausenden, die sein Leben bereits andauerte, hatte es keine Dämonenbraut geschafft, ihn zu beschwören. Zu Beginn verhielt er sich zuvorkommend und freundlich. Aufgrund ihres jungen Alters von nur fünfzehn Jahren fiel es ihm nicht schwer, sich ihr Vertrauen zu erschleichen, trotzdem hatte sie immer den wichtigsten Rat ihrer Mutter beherzigt: Behalte stets die Kontrolle über den Lebensfaden deines Dieners!

Sogar Sheruk selbst hatte sie davor gewarnt, ihm zu vertrauen, und sie hatte sich daran gehalten. Sein Lebensfaden in ihrer Hand garantierte ihre Sicherheit. Nur die Androhung des Todes ermöglichte es ihr, sich gegen ihn durchzusetzen. Dabei war sie sich bewusst, dass sein Tod auch ihren bedeutete.

So viele Jahrhunderte danach hatte sie nur für eine Sekunde und nur weil sie beide eine tiefe Freundschaft verband, diese Warnung außer Acht gelassen und in dieser kurzen Zeit hatte er sie überwältigt und ihr seine wahre Natur gezeigt. Er hatte sie nicht töten können, denn sonst wäre auch er gestorben, also hatte er ihr das Schlimmste angetan, was man einer Frau antun konnte. Danach war er in seine Welt zurückgekehrt und hatte sie blutend zurückgelassen.

Geschunden an Körper und Seele hatte sie lange Zeit nicht gewagt, ihn zu rufen. Sein Verrat war unvorstellbar.

Dreihundert Jahre hatte sie nach einem Warum gesucht und am Ende einsehen müssen, dass es in seiner Natur lag. Trotzdem hatte sie ihm nie verziehen und ihn gemieden, deswegen war ihr Körper gealtert.

Heutzutage war sie dem Aussehen nach eine Greisin, doch ihr Geist funktionierte immer noch so gut wie vor vielen hundert Jahren.

Sheruk hielt sie wie ein Kind im Arm.

Obwohl er den Übergang nutzte, wenn sie ihn rief, konnte er ihn nicht von sich aus öffnen. Den Dämonen war es nicht mehr möglich, zwischen den Welten zu wandern. Vor dem schrecklichen Vorfall, der sie entzweit hatte, hatte Sheruk ihr von vergangenen Zeiten berichtet, in denen bestimmte Menschen und Dämonen die Welt des jeweils anderen besuchen konnten. Die beiden Rassen hatten sich vermischt, was die Dämonenbräute auf der Erde und die Shimays in der Dämonenwelt erschaffen hatte. Sie waren in der Lage in eine andere Welt zu reisen, bis zu einem Vorfall, der den Shimays die Macht nahm, auf das Portal zuzugreifen. Dieser Vorfall lag so lange zurück, dass es kaum noch Aufzeichnungen darüber gab. Sheruk hatte von einem Siegel gesprochen, das in der Dämonenwelt eingesetzt worden war, um die Welten endgültig voneinander zu trennen. Es hatte seine Aufgabe nicht vollständig erfüllt, denn nur die Shimays verloren ihre Fähigkeit, auf dieses besondere Portal zuzugreifen. Die Dämonenbräute konnten es weiterhin nach Belieben benutzen.

Aus dem Grund griff Johanna nach den Mächten in ihrem Inneren, die es ihr erlaubten, die Pforte zwischen den Welten aufzustoßen. Es fühlte sich wie eine Entscheidung an, die sie treffen musste, und das Werkzeug dafür lag in ihren Genen. Es zog und zerrte in ihr. Der menschliche Teil wollte diesen Weg nicht gehen, daher musste sie ihn bekämpfen und den Dämon in ihr sein Zuhause finden lassen. Mit einer bewussten Anstrengung schloss sie die Augen und wechselte auf die andere Sicht. Vor ihr erstreckte sich der Äther mit den vielen Lebensfäden der Dämonen, den jede Dämonenbraut zu sehen bekam. Weil sie zum Teil Mensch und zum Teil Dämon war, gelang es ihr, einen Durchgang zu öffnen. Dabei fiel ihr diese Tat leichter, als es sollte, schließlich hatte man sie jahrzehntelang mit Betäubungsmitteln vollgepumpt. Sie vermutete, dass Sheruks Anwesenheit ihr dabei half, die Medikation schneller aus ihrem Blutkreislauf zu bannen.

Mit einem Schritt durchquerte Sheruk das geöffnete Portal. Johanna wappnete sich gegen das Kommende, doch es traf sie auch dieses Mal wie ein Fausthieb. Den Wechsel von dieser Welt in die andere konnte sie noch verkraften, doch sobald sie den ersten Atemzug tat, brach sie zusammen.

Sheruk stellte sie auf die Beine und trat zurück, als sie in die Knie ging. Ätzende Luft drang in ihre Nase. Als Reaktion darauf wurde das Dämonenmal an ihrer Hand größer. Nebenbei ging eine weitere Veränderung durch ihren Körper: Gene, die Jahrhunderte lang geschlafen hatten, wurden wieder aktiviert.

Schmerz pulsierte durch jeden Muskel, jeden Knochen, jeden Nerv. Ihr gebrechlicher Körper erzitterte, als sie sich mit den Händen auf den trockenen Boden abstützte und eine Schmerzwelle nach der anderen durch sie hindurchraste. Sie zwang sich dazu, weiterzuatmen, weil sie wusste, dass es ihr bei ihrer Verwandlung helfen würde.

Allmählich nahm sie ihre andere Gestalt an. Hörner wuchsen ihr aus dem Schädel, ihre Nägel formten sich zu Klauen, der schwache Körper wurde stark. Ihre Jugend würde sie wohl nie zurückbekommen, doch war das eine wesentliche Verbesserung zu ihrem Dahinvegetieren in der Hauptzentrale der Dhags.

Als sie auf die Beine kam, reichte ihr das Nachtgewand nur noch bis zu den Knien und sie füllte es vollkommen aus.

»Wie fühlt es sich an?«, fragte Sheruk, der die Umwandlung in seine dämonische Form problemlos abgeschlossen hatte.

Sie hob die kräftige Hand und betrachtete das Dämonenmal, das nach der Verwandlung ihren ganzen Körper bedeckte und allmählich verblasste, bis nichts mehr zu sehen war. Sie war keine Augenweide, hatte runzlige Haut und wirres graues Haar, das ihr vom Kopf abstand, doch zumindest konnte sie wieder alleine gehen und in dieser Gestalt würde sie sogar in der Lage sein zu kämpfen.

»Gut«, antwortete sie schroff.

Sheruk musterte sie einen Moment lang prüfend und setzte sich schließlich in Bewegung. »Wir werden eine Weile brauchen, um unser Ziel zu erreichen. Du weißt ja, hier lauern überall Gefahren.«

Wenn man in die Dämonenwelt wechselte, eine gewisse Distanz zurücklegte und danach zur Erde zurückkehrte, hatte man dort dieselbe Strecke überwunden. Genau das wollte sie erreichen. Sie mussten sich westlich halten und würden sich nach einem Tagesmarsch hoffentlich außerhalb der Dhag-Zentrale befinden. In ihrer Welt wäre die Entfernung schnell zu bewältigen, aber hier konnte jeder unachtsame Schritt den Tod bedeuten.

Vor dem schrecklichen Vertrauensbruch hatten sie Sheruks Welt oft besucht. Sie hatte durch die Verbindung zu ihm mehr gelernt als jede andere Dämonenbraut, vieles davon aber für sich behalten, weil dieses Wissen ein Risiko in sich barg. Damals war die Gegend gefährlich gewesen und das hatte sich bis heute nicht geändert. Allerdings schienen die Gebiete derzeit nicht mehr so dicht besiedelt zu sein wie früher. Das vor ihr liegende Tal war leer und von Dämonen fehlte jede Spur. Außerdem befand sich am rotorangenen Himmel ein ungewöhnlich heller Schein. »Was ist das?«

»Das haben wir den Shibuy zu verdanken«, knurrte Sheruk ungehalten. »Sie haben diesen Ort eingenommen.«

Erschrocken sah sie sich um. »Bist du von Sinnen? Wieso hast du mich nicht gewarnt?« Sie hatte angenommen, dass dieses Gebiet immer noch den Garamor gehörte, deswegen hatte sie das Portal nach hierher ausgerichtet. Unter den Garamor hatte sie Verbündete, aber die Shibuy schlachteten alle ab, die nicht zu ihnen gehörten. Mit diesem Wissen hätte sie es lieber mit den Dhags aufgenommen als mit einer Horde Dämonen.

»Reg dich ab. Die Shibuy kamen nicht wegen des Landes. Sie brauchten lediglich Opferlämmer.«

Johanna richtete den Blick wieder auf die felsige Umgebung, hinter der sich ein endlos scheinender Himmel erstreckte. Im Moment liefen sie noch auf sandigem Boden, in dem vereinzelt kleine Büsche und nahrhafte Knollen wuchsen. Bald würden sie sich von Moos ernähren können, der auf dem Felsen gedieh. Dieses Land bevorzugte die Stärkeren, denn das Schwache ging hier ein.

Im Norden erkannte sie ein kleines Gebirge. Darin hatten etliche Dämonen gehaust. Sheruk hatte diesen Ort einst N´gas Fur genannt, was so viel wie Blanker Knochen hieß. Es war keine große Siedlung gewesen, aber ausladend genug um etlichen Brutherrinnen und ihren Kriegern Platz zu bieten.

Als Sheruk ihr zu Beginn ihrer Bindung berichtet hatte, dass in der Dämonenwelt die Frauen herrschten, hatte sie es gar nicht glauben können. Sie war in einer Zeit aufgewachsen, in der eine Frau nichts zählte und Wissen den Männern vorbehalten war. Das Lesen hatte Sheruk ihr beigebracht. Er war ihr Mentor gewesen, von ihm hatte sie alles über ihre Welt und die der Dämonen erfahren.

Ursprünglich stammten die Shibuy und Garamor von der Dämonin Karpyatha ab, die sie als ihre Königin ansahen und Shimay nannten. Diese Shimay hatte Zwillinge hervorgebracht. Das geschah so gut wie nie und wenn doch, überlebte nur ein Dämonenkind. Einer der beiden Knaben wurde Garamor genannt, der andere Shibuy. Beide wuchsen zu hervorragenden Kriegern heran, die Karpyatha verehrten. Da sie nach ihnen keine weiteren Kinder bekam, verfügte sie, dass das Land in zwei Teile gespalten und unter ihnen aufgeteilt werden sollte. Die Bindung der Brüder war so eng, dass die Shimay niemals in Erwägung zog, dass in ferner Zukunft die Nachkommen ihrer Söhne einander bis aufs Blut bekämpfen würden. Doch genau das war geschehen.

»Die Häscher kamen, sackten die Gefangenen ein, plünderten die Vorräte und gingen wieder«, fuhr Sheruk fort. »So geht das schon seit Jahren.«

»Warum sind die Shibuy so stark geworden?«, wollte Johanna wissen. Laut Sheruks eigenen Erzählungen waren die Garamor immer diejenigen gewesen, die mächtige Töchter hervorgebracht hatten.

»Ihre Shimays waren selten stark, aber die, die jetzt die Macht in den Händen hält, weiß ihre Kräfte einzusetzen. Angeblich soll sie eine Tochter haben, die in die Zukunft sehen kann. Zu glauben ist es, denn die Shibuy sind den Garamor in den letzten Jahren immer einen Schritt voraus gewesen.«

Als würde der Gedanke daran ihm missfallen zog er die Lippen über seine kräftigen Zähne. Sheruk hatte niemals für eine Seite Partei ergriffen, aber sie sah ihm an, dass ihm die Taten der Shibuy missfielen.

»Und dieser helle Schein am Himmel?«, fragte sie weiter.

»Dämonenbräute können das Portale in diese Welt öffnen, ohne dass es Auswirkungen hat. Bei den Dämonen ist das nicht so. Wenn wir ein Tor in eure Welt öffnen, ist es schädlich und es bleiben Spuren zurück.« Sheruks Gesicht wirkte im rötlichen Licht der großen Sonne hart, schließlich schnaubte er laut. »Ihre dummen Taten drohen beide Welten zu verändern.«

Johanna versuchte sich ihr Entsetzen nicht anmerken zu lassen. »Sag mir mehr.«

»Ist das ein Befehl?«, fragte er sie mit einem Zwinkern.

Sie blieb kalt. »Niemals wieder, Sheruk.«

Der Schalk in seinen Augen wurde durch Boshaftigkeit ersetzt. »Das ist mein Mädchen«, grollte er, fuhr jedoch fort, bevor sie ihn anfauchen konnte. »Viel habe ich nicht über ihre Pläne in Erfahrung bringen können. Die Shibuy suchen nach einem Weg in die Menschenwelt. Bisher haben sie es nur geschafft, Portale für einige wenige zu öffnen. Ihre Shimay will aber eine ganze Legion entsenden.«

Eine Armee von etwa fünftausend Dämonen, die tödliche Magie wirken konnten und entsetzlich stark waren. Die Menschen und selbst die A-Normalos könnten nicht viel gegen einen solchen Feind ausrichten, besonders nicht in der Panik, die folgen würde. »Wie will sie das anstellen?«

»Mein Wissen stammt aus den Archiven unserer Vorfahren. Es gibt ein uraltes Siegel in unserer Welt. Es verhindert, dass Dämonen in die Menschenwelt reisen können. Allerdings kann es nicht verhindern, dass Dämonenbräute uns besuchen. Ich kann dir nicht sagen, woran es liegt. Vielleicht wussten die Erschaffer dieses Siegels nicht, worauf sie bei euch achten mussten. Auf jeden Fall gibt es Zauber, die das Siegel brechen und ein riesiges Portal gewaltsam öffnen können. Mit der Hilfe ihrer Tochter soll sie einen davon gefunden haben. Der Zauber hat nur einen Haken und die Shibuy sind gerade dabei, dieses Problem zu lösen: Für den Zauber brauchen sie Unmengen von Gefangenen, die sie opfern können.«

Und damit die Shibuy nicht ihre eigenen Leute bluten lassen mussten, nahmen sie Garamor gefangen. Das klang logisch.

»Was unternehmen die Garamor dagegen?«

»Unternehmen?« Sheruk hob spöttisch einen Mundwinkel hoch und entblößte einen scharfen und langen Eckzahn, während er das Wort betonte. »Sie sind zu sehr damit beschäftigt, am Leben zu bleiben, als die Shibuy an irgendwas hindern zu können.«

»Also tut niemand etwas dagegen?«, fragte Johanna erschreckt. Stumm schüttelte der Dämon den Kopf.

Wenn die Dämonenbräute sich in Dämonen verwandeln konnten, dann bestünde die Chance, den Shibuy zu entkommen, aber dazu waren nur die Fähigsten in der Lage. Alle anderen würden getötet werden.

»Das ist grausam«, stellte sie leise fest.

Sheruk zuckte mit den breiten Schultern. »So ist die Welt.«

Sie sparte sich den Atem, ihn zurechtzuweisen. Diese Zeiten waren längst vorbei. »Lass uns weitergehen.«

Während des Gespräches hatten sie die verlassene Siedlung am Fuß des kleinen Gebirges erreicht. Einfache Steinhäuser schmiegten sich gegen den Felsen. Ein von Dämonen erschaffener Pfad führte den Berg hinauf zu mehreren Höhlen, in denen die Brutherrinnen sich früher um ihre Kinder gekümmert hatten. Alles wirkte so verloren, dass sie schnell weiterzogen.

Sie hatten das Gebiet um die verlassenen Behausungen fast verlassen, als Sheruk abrupt stehen blieb, das dämonische Gesicht strahlte ungewohnte Fassungslosigkeit aus. »Nein! Das kann sie unmöglich getan haben!«

Da Johanna nicht wusste, was er meinte, ging sie um ihn herum und folgte seinem Blick. Ein toter Dämon lag im Sand, der lange Körper ungewohnt flach. Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es sich nur um die Haut eines Dämons handelte. Neugierig geworden ging sie in die Hocke und suchte nach einer Wunde, durch die er ausgeweidet worden war, doch die Hülle schien unversehrt zu sein. Tote, die herumlagen, gehörten in dieser Welt zum Alltag, doch die Todesart hier schien ungewöhnlich zu sein. »Sheruk, was ist?«

Der Dämon antwortete nicht, aber seine Augen verrieten nun eine gänzlich andere Emotion: purer Hass.

Sie hatte sich seit der Vergewaltigung gegen ihre Verbindung zu ihm gestählt und es geschafft, ihn draußen zu halten, doch jetzt drang diese Emotion so grob zu ihr durch, dass sie aufkeuchte.

»Wir haben hier das Opfer eines Ju´ulaks«, knurrte er.

Diese Bezeichnung war ihr bekannt. Sheruk hatte sie viel über seine Welt gelehrt, darunter auch einiges über die Ju´ulaks, obwohl er bei dem Thema zurückhaltender geblieben war. Sie waren mächtige Wesen, die von allen gefürchtet wurden. Außerdem waren sie so wild, dass sie einander töteten, um sich ihre Stärke zu beweisen, weshalb ihre Population gering blieb. Lediglich Karpyatha hatte die Macht besessen, sie zu unterwerfen. Nach ihrem Tod hatten sich die Ju´ulaks in ihr Gebiet zurückgezogen und waren nie wieder gesehen worden. Auch sie hatte keinen einzigen zu Gesicht bekommen. Wenn sie sich richtig erinnerte, lag ihre Heimat fünfhundert Meilen weiter südlich von hier. Was also hatte einen Ju´ulak dazu bewogen, hierherzukommen?

Sheruk straffte die Schultern und ging los, allerdings in die falsche Richtung.

»Sheruk!«

Er blieb nicht stehen. Sie hielt sein Leben in den Händen, aber er ebenso ihres. Wenn ihm etwas zustieß, würde auch sie sterben. »Sheruk, wo willst du hin?«

»In der Gegend ist ein Ju´ulak und ich muss wissen warum. Wir gehen nach Raga Dan!«

Entgeistert schüttelte sie den Kopf. »Bist du verrückt? Bevor wir getrennte Wege gegangen sind, lag dort der Hauptsitz der Shibuy. Korrigiere mich bitte, wenn ich mich irre.«

Sein Schweigen war Antwort genug. Johanna fluchte wütend. Raga Dan war die uralte Ruhestätte von Karpyatha. Darin hielten sich viele Wächter auf. Wäre das alleine nicht gefährlich genug, gab es hier einen Ju´ulak, die dämonische Version eines Raubtieres, das sich von Knochen und Innereien ernährte und sie jederzeit verspeisen könnte.

»Deinetwegen gehen wir noch drauf!«, schrie sie ihm wutentbrannt hinterher. Nachdem sie eine Weile auf seinen Rücken gestarrt hatte, setzte sie sich in Bewegung, um ihn einzuholen. Ihr blieb keine andere Wahl. Für einen Kampf gegen ihn müsste sie zu viel ihrer Kraft aufbrauchen und das wusste er. Also würde sie in das Gebiet der Shibuy eindringen und auf dem Anwesen ihrer Shimay herumschnüffeln. Wenn sie etwas als positiv ansah, dann die Tatsache, dass er weder mit den Garamor noch mit den Shibuy gemeinsame Sache machte. Zumindest konnte sie sich in dieser Sache darauf verlassen, dass er ihr nicht in den Rücken fiel.

1

Mehrere Schüsse erhellten die Gegend.

»Was zur Hölle war das?«, zischte ich in die kleine Sprechanlage, die an meiner Ohrmuschel hing.

»Ups«, erklang es zur Antwort.

»Was soll das heißen? Ups?«

Ich kletterte aus dem Auto und lief zu dem Laden, in dem uralte Antiquitäten verkauft wurden. Wir hatten vor zehn Minuten das nördliche Soutaine-Viertel östlich von Terimes erreicht und uns so abgesprochen, dass Jason Shoda, mein neuer Partner, sich vorsichtig umsah, während ich das Geschäft weiterhin observierte. Würde er etwas finden, sollte er mir Bescheid geben. Den Schüssen nach zu urteilen hatte er etwas gefunden.

»Das soll heißen, dass unsere Zielperson uns entdeckt hat.«

»Uns? Jason, du hast geschnüffelt, ich saß lediglich im Wagen und hab meinen Muffin genossen. Geht es dir gut?« Zumindest klang er nicht danach, als wäre er verletzt worden.

»Ich bin in Topform. Der Kleine hat nur die Nerven verloren.«

Bei dem Kleinen handelte es sich um Justin Warner, ein Kleingauner, der sich darauf spezialisiert hatte, Leichenteile zu stehlen und sie an Leute zu verkaufen, die damit schwarze Rituale durchführten. Zauber dieser Art waren verboten, denn sie fügten immer einer anderen Person Schaden zu. Wir hatten in den letzten Wochen Informationen bezüglich dieses Geschäftes zusammengetragen und daher angenommen, dass der Verkauf hier stattfand.

»Dieser verdammte Welpenschutz geht mir gehörig gegen den Strich. Ich arbeite schon ein halbes Jahr lang als Dhag und davor jahrelang als Agentin«, beschwerte ich mich. »Wir hätten zusammen gehen sollen. Wo bist du?«

»Lauf in die Seitenstraße hinter dem Laden«, wies er mich an. »Ich treibe ihn zu dir raus. Und was den Welpenschutz betrifft, es gibt eine Schießerei, also ist es jetzt ein richtiger Job.«

Er klang, als ob er grinsen würde. Kopfschüttelnd rannte ich um das Haus zu der Straße, die sich vielmehr als Gasse herausstellte. Der Hintereingang schien verlassen, also musste sich unsere Zielperson noch im Haus befinden.

Ich postierte mich hinter einem wuchtigen Metallcontainer und verhielt mich ganz nach Vorschrift, als ich meine Waffe zog. Von Pistolen hätte ich mich am liebsten ferngehalten, aber meine neue Vorgesetzte, Renée Woods, hatte mir mit folgenden Worten befohlen, eine zu tragen: »Benutz das verdammte Ding, oder ich werde dich bis zu deiner Pensionierung einen Schreibtischjob machen lassen!«

»Er muss gleich bei dir sein«, hörte ich Shoda ins Mikro flüstern.

»Ich bin vorsichtig«, flüsterte ich zurück und behielt die Tür im Auge. Als sie aufflog, musste ich in Deckung gehen, denn noch bevor ich unsere Zielperson sah, wurde auf mich geschossen. Der verdammte Werwolf musste mich auf diese große Entfernung gehört haben.

Gleich nach den Schüssen erklang das metallische Geräusch, das von Schuhen auf Stahl verursacht wurde. Alarmiert beugte ich mich zur Seite und spähte vorsichtig an dem Container vorbei. Der junge Mann kletterte im raschen Tempo die Feuerleiter nach oben. Die Waffe hatte er im Bund seiner Hose gesteckt, damit er schneller klettern konnte.

»Stehenbleiben!«, rief ich ihm hinterher, doch das spornte ihn nur dazu an, noch schneller zu werden. Der Waffe in meiner Hand gönnte er keinen zweiten Blick. Werwölfe heilten schnell und ließen sich von Schusswaffen nicht aus der Ruhe bringen.

Mit einem flauen Gefühl im Magen rannte ich zu der Leiter und suchte in einer Nische Schutz, falls er wieder das Feuer auf mich eröffnen wollte. In diesem Moment ärgerte ich mich heillos darüber, dass die Dhags mir auferlegt hatten, meine Kräfte als Dämonenbraut nur dann einzusetzen, wenn ein Dämon involviert war. Als er sich nicht nach mir umdrehte, sondern auf dem Dach weiterlief, folgte ich ihm über die Leiter, die Waffe sicherheitshalber immer noch in der Hand haltend. Oben angekommen, stellte ich frustriert fest, dass er beinahe außer Sichtweite war. So schnell ich konnte, setzte ich ihm nach.

Ich jagte ihn über drei Häuserblocks. In Filmen sah es immer so leicht aus, wenn die Heldin die Kluft zum anderen Dach mit einem eleganten Sprung überwand. Die Realität war vollkommen anders. Meine Knie schmerzten vom Aufprall und ich hatte mir die Handflächen blutig geschrammt, als ich mich abgerollt hatte. Zuvor hatte ich meine gesicherte Waffe in das Holster unter meiner Jacke eingesteckt.

»Sophie, ich glaube, er will zum Park«, informierte Shoda mich, der unten die Verfolgung aufgenommen hatte. Da wir ihm den Weg abgeschnitten und ihn aus dem Wohnviertel getrieben hatten, steuerte er den nächsten Ort an, in dem er uns abschütteln konnte. Der Zentralpark von Terimes war riesig, besaß Waldflächen und einige Seen. Wenn er den erreichte, hatten wir ihn verloren und sein Rudel würde dafür sorgen, dass wir ihn so schnell nicht wiederfanden.

Meine Entbindung lag zwei Jahre zurück, ich war topfit, trotzdem ermüdete ich allmählich, denn ich versuchte mit einem jungen Werwolf mitzuhalten.

Weil er einen Vorsprung gehabt hatte, erreichte ich die Feuerleiter des Gebäudes, als er die letzten Meter davon zu Boden sprang. Ihn trennte nur noch eine zweispurige Straße von dem großen Park.

Ich folgte seinem Beispiel und bewältigte die restliche Entfernung zum Boden mit einem Sprung, wobei ich feststellte, dass diese Aktion mehr für Werwölfe als für Dämonenbräute geeignet war. Mir schlotterten für einen Moment die Knie und meine Zähne taten weh, weil ich bei der Landung zu fest zugebissen hatte, doch ich gönnte mir keine Ruhe. Würden wir Justin verlieren, würde Shoda mir keine Vorwürfe machen, aber ich würde unentwegt daran denken, dass ich meinen ersten Fall vermasselt hätte.

Justin hetzte gerade über die befahrene Straße. Autos hupten empört, doch der Kerl wurde nicht langsamer. Ich wunderte mich darüber, dass er sein Leben für eine kleine Haftstrafe riskierte. Das war es doch nicht wert, um durch einen Autounfall getötet zu werden. Oder hatte Justin den Leichenvorrat auf ganz direkte Weise gefüllt?

Bei diesem Gedanken war ich auf einmal froh, eine Waffe zu tragen.

Mit dem Überqueren der Straße hatte ich wesentlich mehr Glück als Justin, da ich nur einem Auto ausweichen musste. Ich erreichte gerade den Park, als unser Werwolf einen nächtlichen Jogger umrannte. Wie man seinen entrüsteten Rufen entnehmen konnte, ging es ihm gut, also lief ich weiter. Über die späte Stunde war ich heilfroh, denn tagsüber war der Park überfüllt mit Familien und Kindern. Auch ich ging regelmäßig mit Joshua und meinen Freunden hier spazieren.

Meine Zielperson entschied sich dafür die Abzweigung hinter dem großen Kastanienbaum zu nehmen und ich hätte am liebsten gejubelt. Ich kannte eine Abkürzung und er würde nirgendwo ausweichen können, weil er durch eine Unterführung laufen musste.

Indem ich nach links abbog, lief ich einen schmalen erhöhten Pfad entlang, der durch ein Wäldchen führte. Durch die vereinzelten Bäume sah ich ihn von oben, bis er in der Unterführung verschwunden war. Obwohl ich wusste, dass er nicht fliehen konnte, würde ich mich erst beruhigen, wenn ich ihn wieder im Blickfeld hatte. Ich kratzte meine letzten Reserven zusammen und war unendlich dankbar dafür, dass ich regelmäßig trainierte und meine Kondition der Jagd nach einem Werwolf standhielt.

Da! Nachdem ich zwanzig Meter gelaufen war, konnte ich die Senke sehen, durch die man wieder nach unten gelangen konnte, und diese endete genau am Ausgang der kurzen Unterführung. Wenn er umkehrte, würde er Jason in die Arme laufen, der nur wenige Meter hinter mir gewesen war. Aber das tat er nicht, er sprintete aus der Unterführung auf eine Lichtung zu.

Nur noch wenige Meter trennten mich von ihm und es fiel mir leichter, mitzuhalten, da ich von oben nach unten auf ihn zurannte. Plötzlich bemerkte er mich und versuchte nach rechts auszubrechen. Sein Gesicht wirkte bleich, verängstigt und unglaublich jung. Laut den Akten war er gerade mal achtzehn und verwandelte sich erst seit einem Jahr zu Vollmond. Nur für eine Sekunde gestattete ich es mir, Mitleid zu verspüren, dann fiel mir wieder ein, dass er auf mich geschossen hatte. Bevor er mir endgültig entwischen konnte, sprang ich ihn an und riss ihn zu Boden. Trotz seiner Jugend war er gute zwei Köpfe größer als ich und wesentlich stärker. Als ich ihm Handschellen anlegen wollte, bekam ich einen harten Tritt in den Bauch, der mich nach hinten warf. Nun hob er den Kopf und ich schluckte schwer, als ich seine gelblichen Augen bemerkte. Fantastisch! Er verwandelte sich, weil wir ihn in die Enge getrieben hatten.

»Shoda!«, rief ich, wobei ich mich bemühte, nicht panisch zu klingen. Nur einen Augenblick später tauchte mein Partner aus der Unterführung auf und durchschaute die Situation sofort.

Der Tritt hatte es in sich gehabt, daher kam ich vielmehr taumelnd auf die Beine. Justin war der Sinn nach Flucht vergangen. Aufgrund der einsetzenden Verwandlung hatte sein Jagdtrieb eingesetzt und ich war die Beute. Sein Augenmerk lag so intensiv auf mir, dass er Shoda nicht kommen sah. Ich versuchte mich krampfhaft an meine Trainingsstunden mit Werwölfen zu erinnern. Am Anfang der Verwandlung konnten sie noch auf ihren Verstand zurückgreifen, allerdings sollte man vermeiden, sie wütend zu machen. Justin schien in die Enge getrieben zu sein, aber er sprang mich nicht an. Mir wurde die Schwere meiner Schusswaffe im Holster bewusst, da ich sie nicht einsetzen konnte. Wenn ich jetzt auf ihn schoss, würde er ganz und gar die Kontrolle über sich verlieren.

»Justin, beruhige dich«, versuchte ich auf ihn einzureden. Er stieß ein Grollen aus und schüttelte sich wie ein Hund. Seine Nasenflügel blähten sich und das Gelb vertiefte sich in seinen Augen, als würde er in Panik geraten. Scheiße, das war gar nicht gut. Zum Glück aber verschaffte sein Interesse an mir meinem Partner die Zeit zu uns zu gelangen. Sobald Shoda sich in Reichweite befand, versuchte ich Justin mit einem Schlag abzulenken und wich seinem nächsten Angriff aus. Gemeinsam mit Jason drückte ich ihn zu Boden, während mein Partner gleichzeitig nach der Injektion suchte, die eine Verwandlung bei Werwölfen unterdrückte. Sie funktionierte nicht immer und war auch keine Dauerlösung. Werwölfe mussten sich verwandeln. Dieses Mittel konnte nur bei gelegentlichen Situationen helfen, zum Beispiel, wenn man sich bei den menschlichen Eltern der Freundin vorstellen und sich nicht vor ihren Augen in ein Monster verwandeln wollte. Wenn Justin Warner sich lange nicht verwandelt hatte, würde das Mittel gar nichts bewirken und wir hätten ein gewaltiges Problem.

Mit einem Aufschrei bäumte der junge Werwolf sich unter uns auf und hob mich vom Boden. Als ich meinen Stand festigen wollte, kassierte ich einen Schlag, der mir die Luft aus den Lungen trieb. Der darauffolgende Tritt schleuderte mich einige Meter entfernt zu Boden. Mein Arm, mit dem ich meinen Torso zu schützen versucht hatte, wurde taub, daher konnte ich mich nicht abrollen. Ich prallte mit dem Hinterkopf auf die Wiese. Desorientiert richtete ich mich auf und stützte mich mit den Händen auf meine Oberschenkel ab. Mir war schwindelig. Ich wusste nicht, ob ich das Bewusstsein verloren hatte. Da hörte ich Shoda mit unserem Werwolf ringen und war mir sicher, dass ich nicht lange weg gewesen sein konnte. Stolpernd wollte ich ihm zu Hilfe eilen, aber der Schwindel ließ mich erneut in die Knie gehen. Bald darauf wurde das Ächzen weniger und ich hörte Jason seufzen, dem ein dumpfer Aufprall folgte.

»Der Kleine schläft erst einmal ein Weilchen.«

Erleichtert atmete ich aus und fuhr mir über das Gesicht, als ich das vertraute Klicken der Handschellen hörte. Besser, ich blieb hier knien, bis ich mich wieder fit genug fühlte, um auf die Beine zu kommen.

»Mist, er hat mich richtig erwischt«, brummte ich. Das Taubheitsgefühl in meinem Arm verschwand und machte einem schmerzhaften Pochen Platz. Meine Finger ließen sich bewegen und ich konnte den Arm heben, folglich war nichts gebrochen. Allerdings würde das sicher einen großen blauen Fleck hinterlassen.

»Mit Werwölfen ist nicht zu spaßen«, meinte Shoda.

Ich ließ die Hand sinken, denn ich hatte meine Schwindelfreiheit wiedergefunden, und begegnete seinem Blick. Seinen entsetzten Gesichtsausdruck konnte ich mir beim besten Willen nicht erklären. »Jason?«

»Sophie, beweg dich keinen Zentimeter von der Stelle!«

Erst jetzt wurde mir bewusst, was mich die ganze Zeit über gestört hatte. Es war angenehm warm, im Sommer waren die Nächte gnädig. Meine Knie und Unterschenkel fühlten sich aber an, als würde ich in kaltem Gras knien. Was war das? Es hatte nicht geregnet. Ich wusste das, weil meine beste Freundin Anna, eine waschechte Hexe, sich dauernd darüber beschwerte, dass ihre Pflanzen zu verdorren drohten. Sie musste Unsummen für das Gießen ausgeben.

Meine Nachtsicht konnte mit der von Jason nicht konkurrieren, aber als ich den Kopf senkte, um nachzusehen, erkannte ich dank des Mondes am Himmel genug. Ich kniete in etwas, das wie zerfleischte Überreste aussah. Noch während ich das registrierte, hoffte ich, dass es sich um irgendein Tier handelte, mit dem ein Hund zu intensiv gespielt hatte, aber als ich mich umsah, erkannte ich die Umrisse einer menschlichen Hand.

»Shoda«, entfuhr es mir erstickt.

»Ich sehe es«, stieß er hervor und zückte sein Handy. »Das ist ein möglicher Tatort, Sophie, und es ist zu dunkel. Beweg dich bitte nicht.«

Mein erster Impuls bestand darin, ihn anzufauchen. Wie konnte er von mir erwarten, hier zu bleiben? Unter mir ragte etwas hervor, das einem Dünndarm ziemlich ähnlich war. Ich kniete entweder in menschliche Innereien oder Exkremente, und keines der genannten Dinge wollte ich auf meiner Haut haben!

»Die Spurensicherung wird in spätestens zwanzig Minuten da sein«, informierte Jason mich.

Seine Antwort brachte mich in Rage, doch ich sah ein, dass sie sich unglaublich beeilten, wenn sie es in der Zeit hierherschafften.

»Shoda, du siehst doch besser als ich, kannst du mich nicht herausführen?«

»Wir könnten Beweise vernichten«, lehnte er ab.

Ich wusste, dass er recht hatte, trotzdem fiel es mir immer schwerer, knien zu bleiben, und jetzt bemerkte ich auch den schrecklichen Geruch, den ich im Eifer des Gefechts ausgeblendet hatte. Eigentlich sollte ich mich nicht beschweren, diese arme Person hatte es härter getroffen als mich, trotzdem ließ sich das Grauen nicht verdrängen. Ich rechnete es Shoda hoch an, dass er versuchte mich abzulenken, damit die Zeit viel schneller verging.

»Sophie, stell dir vor, wie hoch du in den Augen von Woods punkten wirst, wenn sie hört, was du an diesem Tag geleistet hast.«

Mein Partner hatte eine Vorliebe dafür entwickelt, unsere Chefin zu reizen. Sie war – laut Shodas Worten – fähig, einem das Blut aus den Adern zu saugen, ohne ein Vampir zu sein. Ich fand, dass sie wie eine gut gestylte Anwältin in meinem Alter aussah, aber laut Shoda ging sie auf die Fünfzig zu.

»Sie wird mich fragen, warum ich mich von einem Werwolf verhauen lassen habe.«

»Aber hättest du dich nicht verhauen lassen, hätten wir diesen Tatort nicht so früh entdeckt«, wandte er ein.

Er hatte recht. Trotzdem fühlte ich mich schrecklich und musste die ganze Zeit dagegen ankämpfen, auf die Beine zu springen und davon zu laufen.

»Ich hasse eure Anzüge«, stieß ich kläglich hervor. Was gäbe ich in einer Situation wie dieser dafür, meine Lederhosen tragen zu dürfen, die nichts durchließen. »Und diese furchtbare Einschränkung finde ich auch zum Kotzen. Hätte ich für diesen Idioten einen Dämon beschwören können, würde er brav auf den Boden knien und nicht ich.«

»Sag es Woods«, schlug Shoda vor. »Ich für meinen Teil würde dich gerne in diesen knallengen Hosen sehen«, scherzte er.

Ich verhielt mich zickig und wusste es, aber ich war kurz davor, in Hysterie auszubrechen. In meinem Beruf hatte ich schon einiges erlebt, auch gesehen, wie Angreifer von meinen Dämonen zerfetzt wurden, aber ich war niemals so stark auf Tuchfühlung mit den Toten gegangen.

Ich war unendlich erleichtert, als fünfzehn Minuten später ein Van der Spurensicherung durch die Unterführung zu uns fuhr. Mir war schlecht wegen des Geruchs und der Vorstellung von dem, worin ich kniete. Als man zwei große Scheinwerfer angebracht hatte, die einen Großteil der Wiese beleuchteten, durfte ich sie unter den Augen einer strengen Ermittlerin verlassen, die mich um Gliedmaßen und Gedärmen herumlotste.

Endlich bei Shoda, wagte ich es aufzuatmen, und lächelte ihn schwach an, als er mir kurz die Schulter drückte. Danach durfte ich mich im Van der Spurensicherung reinigen. Ich hatte einen weiten Overall mit ihren Insignien und eine Beweistüte bekommen, in die ich meine Hosen eintüten sollte. Seit ich Mutter eines Kindes geworden war, achtete ich penibel darauf chemische Substanzen zu meiden, aber heute schrubbte ich meine blutverschmierten Beine und Hände bereitwillig mit der streng riechenden Lösung ab, die man mir gegeben hatte.

Als ich hinauskam, war der Fundbereich der Leichenüberreste eingegrenzt. Alles wurde akribisch gemessen und fotografiert.

»Sie meinen, die Frau wäre woanders getötet und in Stücken hier abgelegt worden. Die Überreste deuten darauf hin«, teilte Jason mir mit. »Es handelt sich um eine Dämonenbraut. Sie haben das Ohr gefunden, auf dem sich das Mal befindet.«

Es fiel mir schwer, zu glauben, dass diese abgetrennten Körperteile einmal eine Dämonenbraut gewesen waren. »Vielleicht das Ergebnis einer fehlgeschlagenen Anrufung? Der Diener kam frei und hat sich gerächt?«

»Das muss länger gedauert haben und die Leichenteile sehen aus, als ob sie sorgfältig auseinandergeschnitten worden sind. Außerdem befinden sich Körperteile in allen vier Himmelsrichtungen. Du bist im Zentrum genau auf ihren Organen gelandet.«

Mein Magen rebellierte und ich atmete flach, um dem entgegenzuwirken. Vor all diesen Leuten wollte ich mir nicht die Blöße geben und mir die Seele aus dem Leib kotzen.

»Kann ich das Beweismittel haben?« Die freundliche Ermittlerin von vorhin streckte die Hand nach der Anzugshose aus und ich gab sie ihr bereitwillig. Selbst gereinigt hätte ich dieses Kleidungsstück niemals wieder anziehen können.

»Was ist mit unserem Werwolf? Das hier ist nicht unser Aufgabengebiet«, sagte ich schließlich. Eigentlich war Justin Warner ein Fall für die Agentur, doch irgendetwas lief im Moment gewaltig schief bei meinem alten Arbeitsplatz. Die meisten A-Normalos schienen durchzudrehen, sodass die ganze Abteilung überlastet war. Da die Dämonen ungewöhnlicherweise die Füße still hielten, hatte mein ehemaliger Boss, Karl, die Dhags um Hilfe ersucht. Daraufhin wurde instanzenübergreifend geholfen, was bedeutete, dass die Dhag-Zentrale einige Fälle der Agentur übernommen hatte.

»Eine Dämonenbraut lässt sich doch nicht so einfach von einem Menschen überwältigen und ein Dämon, der Derartiges tut, macht mir große Sorgen«, sagte Jason abwesend. »Die meisten sind wild. Sie zerreißen die Dämonenbraut, die sie gerufen hat, eben weil sie sie gerufen hat, aber dieser Mörder hier hat sich die Zeit genommen, sie ordentlich zu filetieren. Es sieht fast aus wie ein … Ritual.«

Wenn ich die Wahl hätte zwischen einem Dämon, der auf Serienmörder machte und einem Menschen, dann würde ich immer den Menschen wählen. »Vielleicht ist es doch kein Dämon. Weiß man schon, wie lange die Frau tot ist?«

»Sie ermitteln noch. Auf jeden Fall wurde der Fundort erst vor wenigen Stunden präpariert. Das ist ein gut besuchter Ort. Hätte sie schon tagsüber hier gelegen, hätte es jemand bemerkt.«

Ein blauer Wagen traf am möglichen Tatort ein. Mir schlug das Herz bis zum Hals, als ich ihn als Karls BMW identifizierte. Unsere letzte Begegnung hatte kurz nach Joshuas Geburt stattgefunden. Er hatte mir Blumen ins Krankenhaus gebracht und mir zu meinem Sohn gratuliert. Sein Misstrauen Bash und Richie gegenüber war aber nicht verschwunden. Diese beiden hatte ich an mich gebunden und ihnen mein Vertrauen geschenkt, aber Karl konnte einfach nicht über die Tatsache hinwegsehen, dass sie Dämonen waren.

»Vielleicht will die Agentur den Fall für sich haben«, meinte ich mit einem Nicken in Karls Richtung, der nun auf uns zukam.

Er sah mitgenommen aus, das Gesicht hagerer. Das rote Haar war wie immer zerzaust, aber als ich seinem Blick begegnete, fühlte er sich fremd an.

»Hallo Sophie, Mr. Shoda«, begrüßte er uns. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, als hätte er nächtelang nicht gut geschlafen.

»Hallo Karl. Ist mit dir alles in Ordnung?«, fragte ich besorgt. Er war auch früher überarbeitet gewesen, aber niemals hatte er so erschöpft ausgesehen.

Kurz erschien ein Lächeln in seinem Gesicht. »Man hat mir mitgeteilt, dass ihr die Tote gefunden habt?«, überging er meine Frage nach seinem Wohlergehen.

Mit wenigen Sätzen berichteten wir ihm, was passiert war. Karls Gesicht wurde immer sorgenvoller, je mehr er hörte. »Das ist übel. Auf noch einen Fall hätten wir gut und gerne verzichten können.«

»Was ist bei euch los?«, fragte ich ihn verwundert. Wir waren ab und zu so überlastet gewesen, dass wir um Hilfe bitten mussten, aber dieser Zustand hatte nie länger als eine Woche angedauert.

Karl schien kurz zu überlegen, dann antwortete er. »Wir hatten ein paar Ausfälle in der Agentur. Nichts Außergewöhnliches, aber in letzter Zeit scheint sich einiges zusammenzubrauen. Samuels Tod hinterließ eine Lücke bei den Hexen. Selbst jetzt schlachten sie einander ab, um einen der begehrten Sitze im Hexenrat zu ergattern.«

Ich zuckte zusammen, weil ich gerade jetzt nicht an den Vater meines Sohnes denken wollte. Ich hatte ihn bei der Jagd nach einem Serienmörder verloren, noch bevor ich von meiner Schwangerschaft mit Joshua gewusst hatte.

»Außerdem scheint sich auch einiges bei den Vampiren zu tun. Neue Meister, die kommen und die alten verdrängen wollen. Das Übliche, nur kommt es dieses Mal geballt auf einmal. Es erscheint mir wie ein Wunder, dass zumindest die meisten Werwölfe sich ruhig verhalten. Trotzdem können wir keinen weiteren Fall übernehmen.«

»Die Dhags sind dazu da, Dämonen zu überwachen«, stellte Shoda klar.

»Aber es gab doch schon seit Monaten keine Grenzübergänge mehr«, wandte ich ein und ignorierte Jasons missbilligend gehobene Braue, weil ich mich auf Karls Seite gestellt hatte. »Außerdem könnte bei diesem Fall ein Dämon involviert sein.«

»Das ist noch nicht bewiesen. Woods muss das entscheiden«, sagte Jason schließlich. »Ich rufe sie an.«

Während er sich für das Telefonat von uns entfernte, wurde mir die Stille zwischen Karl und mir überdeutlich bewusst.

»Wie geht es deinem Jungen?«, fragte er mich leise.

»Er ist die ganze Zeit auf den Beinen und lernt immer neue Wörter«, erzählte ich ihm stolz. »Und wie geht es deinen Exfrauen?«

Karl lachte. »Sie saugen mir immer noch das Blut aus den Adern.«

Als erneut eine peinliche Stille einsetzte, seufzte ich betrübt. »Was hat sich verändert, Karl?«

»Du.«

Verwirrt wandte ich mich ihm zu. »Ich?«

»Du lässt Dämonen in deinem Haus wohnen, die dir nichts antun. Du bist eine Dhag und hast ein Kind bekommen. Die Sophie, die ich kannte, mit der wusste ich umzugehen. Die neue Sophie gibt mir zu denken.«

Ich wollte seine Worte widerlegen, aber sie entsprachen der Wahrheit. »Karl …«

»In gewisser Weise verstehe ich dich. Du bist die ungekrönte Herrscherin dieser Dämonen. Das gibt mir jedoch das Gefühl, dass du dich mehr und mehr von uns entfernst.«

In den letzten Jahren war zwar viel geschehen, womit ich noch nicht klarkam, aber meine Loyalität galt meiner Welt. »Ich bin hier. Das ist mein Zuhause und das meines Kindes.«

Eine Weile betrachtete er mich forschend, schließlich zuckte er die Schultern. »Das weiß ich, aber ich kann mir nicht helfen. Ich habe das Gefühl, diese neue Sophie hat die alte Sophie getötet, die ich … geschätzt habe.«

Hatte er geschätzt sagen wollen oder etwas anderes? Ich erinnerte mich an den Tag damals im Krankenhaus. Es hatte so ausgesehen, als wollte er mich küssen. Ja, wir hatten uns beide verändert. »Selbst, wenn du es so siehst, ich werde immer für dich da sein.«

Was er auch antworten wollte, blieb ungesagt, denn Shoda kehrte zurück. »Woods stimmt zu, aber nur, weil es sich um eine Dämonenbraut und vielleicht um einen Dämon handelt.«

»Richten Sie ihr bitte meinen Dank aus«, bat Karl und verabschiedete sich von uns.

Nachdenklich sah ich seinem davonfahrenden Wagen hinterher. »Was diese vielen A-Normalos betrifft, die Ärger machen …«

»Ist Sache der Agentur«, unterbrach mich Shoda. »Wir kümmern uns um die Grenzen unserer Welt und um Dämonen. Du bist jetzt eine Dhag, Sophie. Versuch nicht, alle Probleme der Welt zu lösen, löse nur die, für die du zuständig bist.«

Natürlich stimmte das, aber ich empfand große Loyalität für Karl und ich wollte ihn nicht im Stich lassen. »In Ordnung, dann liefern wir diesen Werwolf mal ab.«

***

Während der Heimfahrt diskutierten Shoda und ich über die A-Normalos, die Karl solche Probleme bereiteten. Die Medien hatten davon nichts berichtet, also tat Karl alles, um die ganze Sache unter Verschluss zu halten. Dann unterhielten wir uns über unseren neuen Fall. Obwohl ich mich gesäubert hatte und einen Overall trug, wurde ich das Gefühl nicht los, schmutzig zu sein. Dabei empfand ich diese Zimperlichkeit selbst als störend. Ich wollte nicht so sein, aber ich konnte es nicht abstellen. Was ich aber tun konnte, war, den Fall zu Ende zu bringen und den Mörder zu fangen.

Nach einer halben Stunde Autofahrt bog Shoda in mein Viertel ein. Ich sehnte mich nach meinem kleinen Sohn, doch er schlief um diese Uhrzeit, und am dringendsten wollte ich unter die Dusche steigen. Obwohl ich wusste, dass es nur Einbildung war, spürte ich das Kribbeln von tausend kleinen Insekten auf meiner Haut.

»Du kratzt dich schon zum zehnten Mal an deinen Beinen«, stellte Shoda trocken fest.

»Ich habe das Gefühl, als würde sich das Blut immer noch auf meiner Haut befinden. Und außerdem hast du keine Bruchlandung in den Gedärmen einer Toten gemacht«, hielt ich ihm vor.

»Selbst wenn, ich hätte mich garantiert nicht so verhalten«, fuhr er fort.

Auch nach den zwei Jahren, die wir uns kannten, konnte ich nicht einschätzen, wann er scherzte und wann er es ernst meinte. Bei unserer ersten Begegnung war er mir als der übermächtige und angsteinflößende Dhag erschienen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal die Seiten wechseln und selbst als Dhag arbeiten würde »Und wie verhalte ich mich?«

»Wie eine Pussy!«

Das brachte das Fass zum Überlaufen. Meine Augen weiteten sich, während die Stille im Wagen sich in die Länge zog, dann brach ich in schallendes Gelächter aus. Shoda grinste mich breit an. Der Humor meines Partners war einzigartig, doch er vermochte immer, mich aus der Reserve zu locken.

»Pass auf, wen du hier Pussy nennst«, drohte ich ihm schmunzelnd. Er hatte vor meinem Haus angehalten.

Seit Joshuas Geburt hatte ich vieles geregelt. Anna hatte ich die Vormundschaft übertragen, falls mir etwas im Job zustoßen sollte. Nach ihr kam ihre Tochter Maggie, sofern sie alt genug dafür war. Bash und Richie besaßen lebenslanges Wohnrecht, außerdem hatte ich dafür gesorgt, dass es ihnen finanziell gutging. Diese fünf waren meine Welt, sie waren meine Familie.

Auf diesen Gedanken folgte ein weiterer. Wäre Samuel noch am Leben, hätte sich alles in eine andere Richtung entwickelt. Ich hatte Joshuas Vater innig geliebt.

Die Schwangerschaft war nicht geplant gewesen. Samuel war ein Hexenmeister und durchaus auf magische Weise in der Lage gewesen, zu verhüten, doch wie Bash und Richie mir erklärt hatten, ließ sich der Zyklus einer Shimay nicht so einfach überlisten. Dass ich erst ab einem Alter von siebenundzwanzig Jahren empfängnisbereit geworden war, war mir auch nicht bewusst gewesen. Diese Eigenheit traf nur auf mich zu, nicht auf die anderen Dämonenbräute.

Obwohl mein Junge nicht geplant gewesen war, füllte er mein Leben vollkommen aus und ich wünschte, Samuel hätte ihn kennengelernt.

Dass ich von ihm in der Vergangenheit sprach, verunsicherte mich jedes Mal. Wir hatten in einem Mordfall ermittelt, in dem A-Normalos von einem schwarzen Hexenmeister brutal gefoltert und getötet wurden, um mittels eines verbotenen Rituals ihre Kräfte auf ihn zu übertragen. Im Nachhinein erfuhren wir, dass John, Samuels Beschützer und Freund, der Mörder gewesen war. Aus Liebe zu Samuel hatte er versucht Gweny zu retten, Samuels schwerkranke kleine Tochter, indem er ihr die Macht einer Dämonenbraut verlieh, damit sie sich mithilfe ihrer Diener regenerieren konnte. John hatte alles getan, um Samuel auf seine Seite zu ziehen und dabei auch Gwenys tödliche Krankheit benutzt. Mein Liebster war nahe dran gewesen, mir zu schaden, immerhin hatte es geheißen, Gweny oder ich.

Die Frage, ob er mich wirklich getötet hätte, quälte mich immer noch.

Damals war ich tief zerrüttet von Trauer und Verrat, heute, wo ich selbst ein Kind habe und verstehe, bin ich nur noch traurig. Nachdem Anna ihm gesagt hatte, dass ich sein Kind unter dem Herzen trug, hatte er sich gegen John gewandt, der mich durch ein geöffnetes Portal in die Welt der Dämonen stoßen wollte. Die beiden fielen statt meiner hindurch und ich hatte als letztes Bild vor Augen John, der sich in einen Dämon verwandelte und Samuel, der sich am Boden wand, weil er die Luft nicht atmen konnte.

John hatte Samuel abgöttisch geliebt. Ich hätte noch hoffen können, dass er das verbotene Ritual an Samuel vollzog und ihm die Kraft einer Dämonenbraut schenkte, aber ich konnte die Massen von Shibuy-Dämonen nicht ignorieren. Sie hatten den Übergang bemerkt und die beiden entdeckt, als das Portal sich schloss, deswegen machte ich mir keine Hoffnungen, dass Samuel noch am Leben war. Und Gweny war kurz nach diesem Vorfall ihrer Krankheit erlegen.

»Wo sind deine Gedanken?«, fragte Shoda mich sanft. Ich setzte ein Lächeln auf, das ihn kaum überzeugte, denn er sah mich weiterhin sorgenvoll an. »In einem Moment bist du gut gelaunt und im nächsten zu Tode betrübt. Anna hat recht. Du solltest dich flachlegen lassen!«

Ich rang überrascht nach Luft, schließlich schmunzelte ich. »Soso. Und seit wann redest du heimlich mit Anna über mich?«

»Seit deiner Einstellung bei uns, jeden Dienstag- und Donnerstagnachmittag.«

Sein Gesicht war wieder ernst, sodass ich ihn nicht durchschauen konnte, also beschloss ich für mich, dass er scherzte. »Dann werde ich dagegen etwas unternehmen müssen.«

Ich öffnete die Tür und stieg aus, bückte mich jedoch, um ihm in die Augen sehen zu können. »Möchtest du noch eine Tasse Tee?«

»Deine Tee-Liebe in Ehren, mein Schatz, aber damit treibst du mich eher in die Flucht«, erklärte er mir ungerührt, weshalb ich ihm die Zunge rausstreckte. Das hatte er verdient! Niemand durfte so über meinen Tee sprechen!

»Außerdem hat Camilla mich zum Mittagessen eingeladen und ich will bis dahin noch etwas Schlaf bekommen.«

Camilla war Shodas ehemalige Partnerin, die eine Auszeit genommen hatte, um ihr Kind auf die Welt zu bringen. Die beiden waren gute Freunde und pflegten regelmäßigen Kontakt.

»In Ordnung, Jason. Bis später«, verabschiedete ich mich und schloss die Beifahrertür. Während er zurücksetzte, ging ich zum Haus. Die neuen Amulette von Anna waren auf die Bewohner und engsten Freunde des Hauses geprägt, deswegen konnte ich es problemlos betreten. Besucher mussten eingeladen werden. Roan, neben Bash und Richie eine weitere Bewohnerin, befand sich derzeit mit ihrem Dad auf Reisen. Wenngleich ich ihren schlecht gelaunten Kommentaren am Telefon hatte entnehmen können, dass sie am liebsten bei uns geblieben wäre, war ich froh, dass sie Jebidiah begleitete. Der exzentrische Hexenmeister war Samuels Lehrmeister gewesen und hatte dessen Tod nur schwer verkraftet. Wenn alles gutging, kehrten sie in drei Monaten zurück.

Ich schloss die Tür auf und fühlte den Zauber über mich gleiten, als ich hineinging. Anna hatte sich mit ihren Amuletten verbessert. Sie besuchte abends ein Förderprogramm, um die richtig schweren Zauber zu lernen, da die viel mehr Geld einbrachten. Damit wollte sie Maggies Studium finanzieren.

»Hey, Sophie.«

Ich verstaute gerade meine Schlüssel in der Jackentasche, da sagte Bash neben mir meinen Namen. Mit einem Fluch auf den Lippen fuhr ich zu ihm herum. Der Parany stand regungslos neben der Tür und spähte nach draußen, weswegen ich seine Gestalt hinter dem Vorhang nicht gesehen hatte.

»Bash, du hast mich zu Tode erschreckt!«

»Es ist nicht mehr leer.«

Da er mich die letzten Wochen damit gelöchert hatte, wusste ich, was er meinte. Das Haus gegenüber sah so düster aus, dass es auf einen Dämon wie ein ansehnlicher Palast wirkte. Mehrmals hatte er die Vermutung geäußert, dass der alte Bewohner des Hauses ein vollwertiger Dämon sein musste. Seit Mr. Freeman vor drei Wochen an Altersschwäche gestorben war, brannte Bash darauf, das Haus von innen zu sehen. Nun, da es einen neuen Besitzer hatte, würde er vielleicht die Gelegenheit dazu bekommen, immerhin war es ungeschriebenes Gesetz in unserem Viertel, dass man jemandem bei seinem Einzug half.

Vor dem gedrungenen Haus stand ein voll beladener Jeep. Im Inneren brannte Licht, doch ich konnte niemanden sehen.

»Es ist unhöflich, die leere Heimstatt eines Toten nach so kurzer Zeit in Besitz zu nehmen«, äußerte sich Bash missbilligend.

»Unsere Bräuche sind anders«, hielt ich dagegen und ging zur Treppe, die nach oben zu meinem Schlafzimmer und meinem Bad führte. »Hat Joshua durchgeschlafen?«

»Er ist einmal aufgewacht und es hat gedauert, ihn wieder hinzulegen. Die ganze Zeit hat er ein neues Wort geplappert. Aachtun…«, versuchte der Dämon den Tonfall meines Sohnes zu treffen. »Außerdem hat er den Richan an seinen Fühlern gezogen.«

»Autsch! Wo ist er?«

»Mit Anna auf diesem Sabbat.«

In gewissen Kreisen war bekannt, was Bash und Richie waren, zum Beispiel bei den Dhags, in anderen hielten wir es geheim. Obwohl ich meine Nachbarn mochte, traute ich ihnen nicht zu, tolerant genug zu sein, neben Dämonen wohnen zu wollen. Außerdem lag mir die letzte Nachbarschaftsbesprechung immer noch schwer im Magen, weil ich die Dhags in unser Viertel gebracht hatte. Ich wollte mir das Szenario gar nicht vorstellen, wenn sie erfuhren, dass ich nun selbst eine von ihnen war.

Das gleiche galt für den Sabbat. Offenheit war ein wichtiges Gebot, doch Richie konnte schlecht hingehen und den Hexen die Wahrheit sagen. Dämonen waren immer noch die einzigen Wesen, vor denen sich Menschen und A-Normalos gleichermaßen fürchteten. Anna hatte mir erzählt, dass Richie sich zurückhielt, wenn die Frage aufkam, was er denn nun sei. Dadurch umgab ihn eine Aura des Geheimnisvollen und wie ich die Hexen kannte, wurden sie davon angezogen wie die Motten vom Licht. Insofern war es nicht verwunderlich, dass Richie gerne zu den Treffen ging. Bash hatte sie anfangs auch besucht, bis der Reiz des Neuen verflogen war.

»Ich glaube, eine Hexe hat es ihm angetan.« Grinsend drehte Bash sich vom Fenster weg. »Zumindest geht er an die Decke, wenn ich ihn danach frage.«

Da ich wusste, was fragen bei Bash bedeutete, konnte ich den Richan verstehen. »Ich geh mich duschen«, teilte ich ihm mit.

»Wirst du mir danach sagen, warum du nach Innereien stinkst?«

In vielen Situationen war Feingefühl nicht die größte Stärke eines Dämons. Unvergessen blieb mir der Vorfall, als ich zwölf Stunden lang mit Wehen im Krankenhaus lag und Bash zwischen meine gespreizten Beine in die Knie gesunken war, um mir voller Stolz zu beschreiben, wie viele Haare mein Sohn auf dem Kopf hatte, während das Köpfchen noch in mir steckte. Ich glaube, damals verhinderten nur die großen Schmerzen und Richies spröde, aber standhafte Gestalt am Kopfende neben mir, dass ich wie eine Furie auf ihn losging. Heute konnte ich darüber schmunzeln. Bash war eben Bash, er sprach das aus, was ihm auf der Zunge lag.

»Mache ich. Ich komme danach zum Frühstück hinunter.«

»Stimmt, ich habe auch Hunger«, stellte er überrascht fest und marschierte schnurstracks in die Küche. Mittlerweile war ich sehr froh über das großzügige Gehalt eines Dhag, denn die beiden aßen das Doppelte von dem, was ein Mensch am Tag brauchte.

Bevor ich in mein Zimmer ging, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und öffnete die Tür des Kinderzimmers, um hineinzuspähen. Das Licht aus dem Flur fiel auf das Gesicht meines Sohnes. Seine Bäckchen waren gerötet, weil derzeit seine oberen Backenzähne durchbrachen. Es lag an der Durchblutung und nicht daran, dass er Fieber hatte, wie ich feststellte, nachdem ich seine Stirn berührt hatte. Was Krankheiten anging, war Joshua bisher unkompliziert gewesen.

Nachdem ich sanft über sein weiches Haar gestreichelt hatte, verließ ich das dämmrige Kinderzimmer und ging ins Bad, in dem ich mir endlich die lange Dusche gestattete, nach der ich mich so gesehnt hatte.