Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Ein Mann steigt aus der Sicherheit des Bootes und geht auf dem Wasser. Unmöglich? In diesem Buch steht der Glaubensschritt von Petrus als Einladung an alle, die wie er im Glauben losgehen und mehr von Gottes Gegenwart und Kraft erleben wollen. John Ortberg verspricht, dass unser Ja auf Gottes Einladung eine geistliche Dynamik in Gang setzt, die weit über unsere Vorstellungskraft hinausgeht. Wenn Sie dieser Einladung folgen, entdecken Sie, dass Unmögliches möglich wird.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 332
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Über den Autor
John Ortberg ist einer der Pastoren der Menlo Park Presbyterian-Gemeinde in Menlo Park, Kalifornien. Bei ihm vereinen sich erstaunlich tiefgehende Einsichten mit einer klaren Verständlichkeit und einem ansteckenden Sinn für Humor. Kein Wunder, dass seine Bücher regelmäßig zu Bestsellern werden.
Für Sam Reeves und Max DePree,
die mich so viel darüber gelehrt haben,
was es bedeutet, aus dem Boot zu steigen.
Inhalt
Vorwort
Kapitel 1
Die Kunst des „Laufens auf dem Wasser“
Kapitel 2
Boot-Hocker
Kapitel 3
Den Ruf hören
Kapitel 4
Auf dem Wasser gehen
Kapitel 5
Den Wind sehen
Kapitel 6
Angstschreie
Kapitel 7
Das Gefühl unterzugehen
Kapitel 8
Richten Sie den Blick auf Jesus
Kapitel 9
Warten lernen
Kapitel 10
Wie groß ist Ihr Gott?
„Im letzten Viertel der Nacht kam Jesus auf dem Wasser zu ihnen. Als die Jünger ihn auf dem Wasser gehen sahen, erschraken sie und sagten: ,Ein Gespenst!‘ und schrien vor Angst.
Sofort sprach Jesus sie an: ,Fasst Mut! Ich bin’s, fürchtet euch nicht!‘
Da sagte Petrus: ,Herr, wenn du es wirklich bist, dann befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen!‘
,Komm!‘, sagte Jesus.
Petrus stieg aus dem Boot, ging über das Wasser und kam zu Jesus. Als er dann aber die hohen Wellen sah, bekam er Angst. Er begann zu sinken und schrie: ,Hilf mir, Herr!‘
Sofort streckte Jesus seine Hand aus, fasste Petrus und sagte: ,Du hast zu wenig Vertrauen! Warum hast du gezweifelt?‘
Dann stiegen beide ins Boot und der Wind legte sich. Die Jünger im Boot warfen sich vor Jesus nieder und riefen: ,Du bist wirklich der Sohn Gottes.‘“
Matthäus 14,25–32
Vorwort
Ich möchte Sie zu einem Spaziergang einladen.
Die Bibel enthält neben vielem anderen auch Beschreibungen von einer ganzen Reihe von unvergesslichen Spaziergängen. Den ersten machte Gott selbst, der – wie wir im Buch Genesis nachlesen können – abends gerne im Garten Eden spazieren ging. Und immer wieder im Laufe der Geschichte hat Gott Menschen zu einem Spaziergang mit ihm eingeladen.
Da war zum Beispiel der schwere Gang, den Abraham mit seinem Sohn Isaak auf dem Weg zum Berg Morija antrat. Der befreiende Marsch, den Mose und die Israeliten durch das Rote Meer zurücklegten. Die frustrierende Wanderung, die sie 40 Jahre lang auf Umwegen durch die Wüste führte. Da war Josuas Triumphzug um Jericho, der klärende Gang der Jünger nach Emmaus, Paulus’ jäh unterbrochener Weg nach Damaskus. Und da war der Gang des Einen, der so traurig und schmerzvoll und heilig war, dass er einen eigenen Namen bekommen hat; der Weg vom Prätorium nach Golgatha, die „Via Dolorosa“ – der Schmerzensweg.
Doch der vermutlich unvergesslichste Spaziergang von allen war wohl der, als Petrus aus dem Boot stieg und auf dem Wasser ging! Unvergesslich war er nicht so sehr wegen der Richtung, in die er ging, sondern mehr wegen des Untergrundes, auf dem er lief, und der Begleitung, die er hatte.
In diesem Buch steht Petrus’ kleine Wanderung als Einladung an alle, die wie er im Glauben losgehen und mehr von der Kraft und Gegenwart Gottes erleben wollen. Das „Laufen auf dem Wasser“ dient dabei als Bild für etwas, das ich niemals allein schaffen könnte, das aber mit Gottes Hilfe möglich wird.
Aber wie kommt es zu einem solchen Ereignis?
In der Bibel läuft das Eingreifen Gottes in das Leben eines Menschen, den er gebrauchen will, meist nach einem bestimmten Muster ab:
●Es gibt immer eine Berufung. Gott beruft einen ganz normalen Menschen dazu, einen außergewöhnlichen Vertrauensschritt zu wagen – raus aus dem Boot.
●Es gibt immer Angst. Gott hat die unangenehme Eigenart, Menschen um Dinge zu bitten, die ihnen sehr viel Angst machen. Das kann die Angst vor Unzulänglichkeit sein („Ich bin im Reden viel zu schwerfällig und unbeholfen“, meinte Mose). Es kann auch Versagensangst sein („In diesem Land kann man nicht leben, es verschlingt seine Bewohner“, sagten die Spione, die das Gelobte Land erkundet hatten). Es kann sogar Angst vor Gott selbst sein („Denn ich wusste, dass du ein harter Mann bist, der ernten will, wo er nicht gesät hat“, sagte der Diener im Gleichnis von den anvertrauten Talenten). Auf jeden Fall wird die Sache dem Berufenen Angst einjagen!
●Es gibt immer eine Rückversicherung. Gott verspricht seine Gegenwart („Der Herr ist mit dir, mächtiger Krieger“, versichert der Engel Gideon, der ganz sicher noch nie so angesprochen worden war!). Gott sagt auch zu, dass er alles geben wird, was für die Erfüllung seiner Berufung nötig ist („Ich werde dir helfen und dir sagen, was du reden sollst“, erklärt Gott dem stotternden Mose).
●Es gibt immer eine Entscheidung. Manchmal – wie bei Mose und Gideon – sagen die Betroffenen Ja zu Gottes Berufung. Manchmal sagen sie Nein wie die verängstigten Spione oder der reiche junge Mann, mit dem Jesus sprach. Aber sie müssen immer eine Entscheidung treffen.
●Es gibt immer Veränderung. Diejenigen, die Ja zu Gottes Berufung sagen, gehen ihren Weg vielleicht nicht, ohne zu stolpern – zumindest nicht auf lange Sicht. Aber weil sie Ja zu Gott sagen, lernen sie und wachsen an ihren Fehlern. Und sie werden ein Teil von Gottes Plan, die Welt zu retten. Auch diejenigen, die Nein sagen, bleiben nicht die Gleichen. Sie werden ein Stückchen härter, ein bisschen widerstandsfähiger gegen Gottes Berufungen, sind etwas geneigter, beim nächsten Mal wieder den Kopf zu schütteln. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, sie verändert die Menschen – und sie verändert auch die Welt, wo sie mit ihr in Berührung kommt.
Ich glaube, dass wir dieses Muster aus der Bibel auch heute noch im Leben der Menschen erkennen können.
Ich glaube, dass es einen Bereich in Ihrem Leben gibt, in dem Gott Sie auffordert, mit ihm einen Spaziergang zu unternehmen, und dass ein Ja Ihrerseits eine göttliche Dynamik in Gang setzt, die weit über menschliche Grenzen hinausgeht. Vielleicht hat es mit Ihrer Arbeit zu tun oder mit einer schwierigen Beziehung oder mit einer Begabung, die Sie weiterentwickeln sollen, oder mit etwas, das Sie zur Verfügung stellen sollten. Wahrscheinlich müssen Sie auf dem Weg Ihrer größten Angst ins Gesicht sehen. Auf jeden Fall wird es Sie an die Grenzen Ihrer Persönlichkeit und Ihrer Fähigkeiten bringen.
Gemeinsam werden wir in diesem Buch die Fähigkeiten kennenlernen, die man braucht, um auf dem Wasser zu gehen: Gottes Berufung wahrnehmen, Angst überwinden, Glaubensschritte riskieren, mit Versagen umgehen und Gott vertrauen. Ich hoffe, dass Sie dieses Buch nicht einfach nur lesen, sondern dass es Sie dazu motiviert, Ja zu Gott zu sagen.
Kommen Sie mit auf einen Spaziergang. Auf dem Wasser …
Denken Sie dabei immer an eine entscheidende Tatsache: Wenn man auf dem Wasser gehen will, muss man zuerst das Boot verlassen!
Kapitel 1
Die Kunst des „Laufens auf dem Wasser“
Es ist nicht der Kritiker, der zählt; nicht derjenige, der mit dem Finger auf den stolpernden Starken zeigt oder auf die Augenblicke, in denen der Tatkräftige es noch besser hätte machen können.
Die Ehre gehört dem Menschen, der tatsächlich in der Arena steht […], der im besten Fall am Ende den Triumph einer großen Errungenschaft kennenlernt und der im schlechtesten Fall zumindest bei dem Versuch versagt, Großes zu tun.
Dieser Ort wird nie den kalten, engen Seelen gehören, die weder Sieg noch Verlust kennen.
Theodore Roosevelt1
Vor einigen Jahren bekam ich von meiner Frau zum Geburtstag ein ganz besonderes Geschenk – eine Fahrt mit dem Heißluftballon.
Wir fuhren zu der Wiese, auf der der Ballon starten sollte, und stiegen mit einem anderen Pärchen in einen kleinen Korb. Wir stellten uns höflich vor und tauschten Smalltalk aus. Dann begann unser Pilot mit dem Aufstieg. Der Tag war gerade erst angebrochen, der Himmel war klar und wolkenlos. Wir konnten das ganze Canejo-Tal unter uns sehen und bis zum Meer schauen. Es war wunderschön und majestätisch.
Ich erlebte aber auch eine Emotion, die ich nicht erwartet hatte. Wollen Sie raten, was es war?
Angst!
Ich hatte immer angenommen, dass der Rand eines solchen Korbes brusthoch sein würde, aber dieser hier – so kam es mir jedenfalls vor – reichte mir nur bis zum Knie. Eine kleine Windböe und man fiel sicherlich über Bord. Daher klammerte ich mich so wild entschlossen am Rand fest, dass meine Knöchel weiß hervortraten.
Ich sah zu meiner Frau hinüber, die nicht schwindelfrei ist, und beruhigte mich ein wenig. Zumindest war eine Person an Bord, die noch angespannter war als ich! Das merkte ich daran, dass sie sich keinen Millimeter bewegte. Unterwegs fuhren wir beispielsweise über einen Pferdehof. Meine Frau liebt Pferde über alles, doch als ich sie auf den Hof hinwies, wandte sie nicht mal den Kopf, sondern rollte nur die Augen so weit zur Seite, wie es ging, und meinte gepresst: „Ja, toll!“
Etwa zur selben Zeit beschloss ich, dass ich gern mehr über unseren Piloten wissen wollte. Schließlich vertrauten wir ihm unser Leben an. Alles hing von seinem Charakter und seinen Fähigkeiten ab.
Ich fragte ihn also, was er sonst so mache und seit wann er Ballons führe. Tief in mir hoffte ich, dass er vielleicht vorher Neurochirurg gewesen war oder Astronaut, irgendetwas mit viel Verantwortung.
Ich wusste, dass wir ein Problem hatten, als ich seine Antwort hörte: Er hatte eigentlich noch nie einen richtigen Job gehabt. Er surfte leidenschaftlich gerne. Er hatte begonnen, Heißluftballons zu fahren, als er einen Autounfall gebaut hatte, bei dem sein Beifahrer schwer verletzt worden war. Den Führerschein hatte man ihm natürlich abgenommen!
„Übrigens“, sagte er nebenbei, „wenn es beim Runterkommen etwas turbulent wird, keine Panik! Ich habe diesen Ballon hier noch nie gefahren und weiß noch nicht, wie er während des Abstiegs reagiert.“
Meine Frau sah mich an und flüsterte: „Soll das heißen, dass wir gut 300 Meter über dem Erdboden schweben – mit einem arbeitslosen Surfer, der keinen Führerschein besitzt und keine Ahnung hat, wie er dieses Ding hier wieder auf den Boden bekommt?“
Die weibliche Hälfte des anderen Pärchens sagte die einzigen Worte, die die beiden auf diesem Flug überhaupt von sich gaben: „Sie sind doch Pastor – tun Sie etwas Religiöses!“
Aber was?
Die große Frage lautet in einem solchen Moment: „Kann ich dem Piloten trauen?“
Ich konnte versuchen, mir selbst einzureden, dass alles gut werden würde. Die Fahrt mit einer positiven Einstellung hinter sich zu bringen würde sie sicher zu einer angenehmeren Reise machen. Aber die wäre bald zu Ende. Das wirkliche Thema war und blieb der Typ, der das Ding fuhr. Waren sein Charakter und seine Fähigkeiten so, dass ich ihm bedenkenlos mein Leben anvertrauen konnte?
Oder war es wirklich an der Zeit, etwas „Religiöses“ zu tun?
Jeden Tag drehen Sie und ich eine weitere Runde auf unserer Reise in diesem Riesenballon, der durchs Universum wirbelt. Wir haben nur diese eine Tour und ich möchte sie voller Leidenschaft und Abenteuerlust hinter mich bringen – und ich wette, Sie auch!
Doch manchmal kann es auch ganz schön unsicher werden. Ich wünschte dann, die Ränder meines Korbes wären etwas höher und der Ballon etwas stabiler. Ich frage mich, wie mein Gefährt den Weg nach unten verkraften wird.
Ich kann mir immer wieder einreden, dass man ohne Risiko nichts Tolles erlebt und dass schon alles gut gehen wird, aber die alles entscheidende Frage bleibt doch: Lenkt jemand dieses Ding? Denn wenn nicht, steige ich lieber erst gar nicht ein. Meine Geschichte ist wie die der meisten Menschen ein Kampf zwischen Glaube und Angst.
Darum fühle ich mich seit vielen Jahren von der Geschichte angezogen, in der Petrus aus dem Boot steigt und über das Wasser auf Jesus zugeht. Sie ist eines des besten Bilder für extreme Jüngerschaft. In den folgenden Kapiteln werden wir einen genauen Blick auf jedes Detail dieser Geschichte werfen. Doch den Rest dieses Kapitels möchte ich der Vogelperspektive widmen. Was macht, von oben betrachtet, einen Menschen zu einem Wasserläufer?
Wasserläufer erkennen Gottes Gegenwart
Petrus und seine Freunde stiegen eines Nachmittags in ein kleines Boot, um über den See von Galiläa zu fahren. Da Jesus allein sein wollte, fuhren sie ohne ihn. Petrus machte das nichts aus; er hatte schon sein halbes Leben auf Booten zugebracht und liebte es, zur See zu fahren.
Doch dann kam ein Sturm auf. Und zwar kein kleines Gewitterchen. Im Matthäus-Evangelium lesen wir, dass die Jünger in arge Bedrängnis gerieten. Der Sturm war so heftig, dass die Jünger Mühe hatten, das Boot am Kentern zu hindern. Sie wünschten sich bestimmt, die Seitenränder wären etwas höher und das Holz stabiler … Gegen drei Uhr morgens dachten sie sicher nur noch daran, ob sie das Unwetter wohl überleben würden.
Dann bemerkte einer von ihnen einen Schatten, der sich auf sie zubewegte. Als er näher kam, erkannten sie, dass es sich um die Umrisse einer menschlichen Gestalt handelte – einer Gestalt, die auf dem Wasser ging!
Lassen Sie diese Vorstellung einmal auf sich wirken. Die Jünger steckten in Schwierigkeiten, und die einzige Person, die ihnen helfen konnte, kam auf sie zu. Nur dass sie nicht im Boot war und die Jünger sie nicht erkannten.
Die Jünger waren davon überzeugt, dass sie ein Gespenst sahen, und so schrien sie vor Angst. Von unserer Warte aus fragen wir uns natürlich, warum sie nicht gleich gemerkt haben, dass es Jesus war. Wer sonst sollte es sein? Doch die Geschichte macht deutlich, dass man manchmal Augen des Glaubens braucht, um zu erkennen, dass Jesus da ist. Oft haben wir dieselben Schwierigkeiten damit, seine Gegenwart zu bemerken, wenn die Wellen der Enttäuschung über uns zusammenschlagen und der Zweifel uns durchschüttelt.
Lassen Sie uns tiefer graben. Was machte Jesus wohl da um drei Uhr morgens zu Fuß auf dem tobenden See?
David Garland hat in Markus’ Version der Geschichte einen Hinweis gefunden. Markus schreibt, dass Jesus eigentlich vorgehabt hatte, auf dem Wasser „an ihnen vorüberzugehen“. Doch dann sahen sie ihn und hielten ihn für ein Gespenst. Warum wollte Jesus an ihnen vorbeigehen? Sollte das eine Art Trick sein, so wie beim Rennen von Hase und Igel? Wollte er sie am anderen Ufer erwarten und rufen: „Ich bin schon da!“?2
Garland erklärt, dass das griechische Verb parerchomai („vorbeigehen, vorüberziehen“) im Alten Testament als Umschreibung einer Theophanie verwendet wurde – eines jener unvergesslichen Momente, „wenn Gott auf überwältigende Art und Weise kurzfristig auf der Erde erscheint und eine Gruppe oder eine Person auswählt, um eine Botschaft zu überbringen“.
Gott stellt Mose in eine Felsspalte und bedeckt ihn mit seiner Hand, damit dieser es überlebt, wenn Gottes Herrlichkeit „vorübergeht“ (2. Mose 33,22 ff.). Danach steigt Mose auf den Berg Sinai. Gott kommt in einer Wolke auf den Berg herab und „ging an Mose vorüber“ (2. Mose 34,6).
Gott gebietet Elija, aus der Höhle zu treten und sich auf den Berg vor ihn zu stellen: „Ich werde an dir vorübergehen!“ (1. Könige 19,11). Anschließend erteilt er Elija einen Auftrag.
In allen diesen Geschichten zeigt sich dasselbe Muster:
Gott muss die Aufmerksamkeit der betreffenden Personen erregen – mittels eines brennenden Dornbuschs, eines Sturms oder eben eines Spaziergangs auf dem Wasser. Jede dieser Personen wurde von Gott zu etwas ganz Besonderem berufen. Jede dieser Personen hatte zuerst einmal schreckliche Angst. Doch immer, wenn jemand Ja zu seiner Berufung sagte, erfuhr er die Macht Gottes in seinem Leben.
Als Jesus also auf dem Wasser lief und an den Jüngern vorbeigehen wollte, vollführte er nicht einfach einen magischen Trick. Er enthüllte seine Göttlichkeit und Gegenwart. Nur Gott tut solche Dinge, „[…] nur er kann über Meereswellen schreiten“ (Ijob 9,8).
Es ist interessant, dass die Jünger auf den persönlichen Wunsch von Jesus das Boot bestiegen hatten – ein Lehrstück für die Tatsache, dass Gehorsam nicht immer eine Garantie dafür ist, dass man von Schwierigkeiten verschont bleibt. Doch nun, wo der Sturm ihre ganze Aufmerksamkeit forderte, beschloss Jesus, dass es an der Zeit war, sie ein bisschen mehr über diesen Mann wissen zu lassen, der alles lenkte. „Ihr könnt mir vertrauen“, schien er ihnen zu sagen, „ihr kennt doch meinen Charakter und meine Fähigkeiten. Ihr könnt mir ruhig euer Schicksal anvertrauen. Nur Mut! Ich bin’s doch!“
Sie begriffen es noch nicht ganz, aber in diesem Moment besuchte sie Gott persönlich, Fleisch geworden in einem Wasserläufer!
Matthäus möchte seine Leser daran erinnern, dass Jesus oft in Zeiten kommt, in denen man ihn nicht erwartet – um drei Uhr morgens, mitten in einem Sturm. Dale Bruner stellt fest, dass „der Bibel zufolge menschliche Katastrophen und Extremsituationen ein gern genutzter Treffpunkt mit Gott sind“.3 Auch Sie und ich werden diese göttlich verordneten Schlüsselmomente erleben. Gott fordert seine Nachfolger immer noch auf, außergewöhnliche Dinge zu tun. Und wenn wir nicht nach ihm Ausschau halten, könnten wir ihn verpassen!
Zwölf Jünger saßen im Boot, und wir wissen nicht, wie die anderen elf auf die Stimme Gottes reagiert haben. Vielleicht waren sie ungläubig, verwirrt, erstaunt oder alles auf einmal.
Doch einer von ihnen war auf dem besten Weg, ein Wasserläufer zu werden. Er erkannte, dass Gott gegenwärtig war – selbst an diesem unmöglichen Ort. Petrus begriff, dass dies eine außergewöhnliche Gelegenheit für ein geistliches Abenteuer war. Und da bekam er eine Idee:
Er beschloss, etwas Religiöses zu tun!
Wasserläufer können zwischen Glaube und Dummheit unterscheiden
Petrus sagte zu dem Wasserläufer: „Herr, wenn du es bist, dann befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen!“Warum schildert Matthäus dieses Detail? Warum stürzt sich Petrus nicht einfach in die Fluten? Ich denke, das geschieht aus einem wichtigen Grund: Es geht in dieser Geschichte nicht um den Mut zum Risiko. Hauptsächlich geht es um Gehorsam. Das bedeutet, dass ich zwischen einer echten Berufung von Gott und einem vielleicht nur dummen Impuls meinerseits unterscheiden können muss. Mut allein ist nicht genug; er muss von Weisheit und Unterscheidungsfähigkeit begleitet werden.
Matthäus glorifiziert hier nicht die Risikobereitschaft von Petrus an sich. Jesus sucht nicht nach Bungee springenden kleinen Helden. Petrus wagt es nicht, auf dem Wasser zu gehen, um mal wieder einen Adrenalinkick zu bekommen oder eine neue Extremsportart auszuprobieren. Es geht hier vielmehr um extreme Jüngerschaft. Deshalb ist es so wichtig, dass Petrus, bevor er aus dem Boot stieg, erst einmal sicherstellte, dass Jesus das auch für eine gute Idee hielt.
Darum fragte er nach.
Und ich denke, dass Jesus in der Dunkelheit in sich hineingelächelt hat. Vielleicht hat er sogar laut gelacht, denn zumindest eine Person im Boot hatte begriffen, worum es ging! Petrus hatte wenigstens eine Ahnung davon, was sein Meister tat und vorhatte. Und er hatte genügend Glauben, um sich vorstellen zu können, dass er an dem Abenteuer teilhaben konnte. Und das wollte er! Befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen …
Wasserläufer steigen aus dem Boot
Bevor wir weitergehen, möchte ich Sie dazu auffordern, sich einmal selbst in diese Geschichte hineinzuversetzen. Stellen Sie sich vor, wie wild der Sturm tobte, so wild, dass sogar die erfahrenen Fischer in Bedrängnis gerieten. Führen Sie sich die Höhe der Wellen vor Augen, die Gewalt des Windes, die Finsternis dieser Nacht. Das waren die Umstände, in denen Petrus aus dem Boot zu steigen gedachte!
Es ist schon schwierig genug, auf dem Wasser zu gehen, wenn die See ruhig ist und die Sonne scheint, meinen Sie nicht? Stellen Sie sich nur einmal vor, aus dem relativ sicheren Boot zu steigen, während die Wellen um Sie herum mit Urgewalt niederkrachen und der Wind pfeift, und es ist drei Uhr morgens und Sie haben furchtbare Angst!
Versetzen Sie sich einen Moment lang in Petrus’ Situation. Sie haben eine plötzliche Erkenntnis dessen, was Jesus da tut – der Herr geht vorüber! Er lädt Sie ein, an dem größten Abenteuer Ihres Lebens teilzuhaben. Doch gleichzeitig sterben Sie beinahe vor Angst. Was wählen Sie – das Boot oder die Wellen?
Das Boot ist relativ trocken, sicher und bequem.
Andererseits ist das Wasser wild und gefährlich. Die Wellen schlagen hoch, der Wind wütet, und wenn Sie aus dem Boot steigen (was auch immer Ihr „Boot“ im Moment ist), stehen die Chancen gut, dass Sie untergehen.
Aber wenn Sie jetzt nicht aus dem Boot steigen, steht hundertprozentig fest, dass Sie niemals auf dem Wasser gehen werden. Das ist ein unumstößliches Naturgesetz.
Wenn man auf dem Wasser gehen will, muss man aus dem Boot steigen.
Ich glaube, dass es etwas – oder Jemanden – in uns gibt, der uns sagt, dass es mehr im Leben geben muss als das trockene Plätzchen im Boot. Sie sind zu mehr geschaffen als nur zur Fehlervermeidung. Es gibt etwas in Ihnen, das übers Wasser gehen will, das die Bequemlichkeit der gewohnten Bahnen verlassen und sich ins Abenteuer eines Lebens mit Gott stürzen möchte.
Lassen Sie mich Ihnen daher eine wichtige Frage stellen: Was ist Ihr „Boot“?
Ihr „Boot“ ist das, was für Sie eine wie auch immer geartete Form der falschen Sicherheit verkörpert. Ihr „Boot“ ist das, worauf Sie Ihr Vertrauen setzen, wenn das Leben stürmisch wird. Ihr „Boot“ ist das, was Ihr Leben so bequem macht, dass Sie es nicht aufgeben möchten, selbst wenn es Sie davon abhält, Jesus auf dem Wasser entgegenzugehen. Ihr „Boot“ ist das, was Sie daran hindert, das Abenteuer der radikalen Jüngerschaft einzugehen.
Wissen Sie immer noch nicht, was Ihr „Boot“ ist? Ihre Ängste werden es Ihnen verraten. Stellen Sie sich diese einfache Frage: „Was jagt mir die größte Angst ein, besonders, wenn ich mir vorstelle, dass ich es loslasse und im Glauben einen Schritt ins Ungewisse gehe?“
Für David ist es seine Berufung. Er ist seit 35 Jahren als Architekt tätig und wird bald 60. Sein ganzes Leben lang wird er schon von dem Gefühl verfolgt, dass Gott ihn in den Gemeindedienst beruft. Er hat sein Gewissen mit großzügigen Spenden und guten Taten zum Schweigen gebracht, dennoch kann er die Angst nicht abschütteln, dass er vielleicht seine Berufung verpasst haben könnte. Und er fürchtet, dass es nun zu spät ist.
Bei Kathy ist es eine Beziehung. Sie ist seit Jahren in einen Mann verliebt, dessen Gefühle für sie bestenfalls ambivalent sind. Er sendet Signale, die jeder andere Mensch ganz klar zu deuten weiß. Er tut nie etwas Besonderes für sie, er vermeidet jedes Gespräch über die Zukunft und hält sie immer auf Abstand. Doch sie versucht nie, seine wahren Gefühle zu ergründen – davor hat sie zu viel Angst. Sie glaubt, es nicht ertragen zu können, sollte sie ihn verlieren. Ihr „Boot“ ist ausgesprochen morsch und sicherlich nicht seetüchtig, aber sie traut sich nicht, es zu verlassen.
Ralph ist Pastor einer Gemeinde, in der die Dinge nicht gut laufen. Ständig gibt es Streitigkeiten und Spaltungen. Doch statt auf den Tisch zu hauen, Gottes Wahrheit zu verkünden und eine klare Leitungsposition einzunehmen, versucht Ralph, überall die „Brände“ zu löschen und Frieden zu stiften. Er mag seine Gemeinde nicht; er hasst und fürchtet sie. Doch sie ist sein „Boot“. Wenn er es verlässt, wird er sich doch nur in einem anderen, ebenso schlagseitigen Boot wiederfinden.
Dougs „Boot“ ist die Heimlichkeit. Er ist süchtig nach Pornografie in jeder Form. Es sei keine schlimme Form der Abhängigkeit, redet er sich jedenfalls ein. Hier und da ein Pornofilm im Hotel auf Geschäftsreisen, ab und zu kleine Ausflüge ins Internet. Nichts, was seinen Job oder seine Ehe gefährden würde … bis jetzt. Doch niemand weiß etwas davon. Er hat Angst, es zuzugeben; Angst, Hilfe zu suchen. Die Heimlichkeit bringt ihn um, aber sie ist sein „Boot“.
Kims „Boot“ ist ihr Vater. Sie erzieht ihre Kinder, erledigt den Haushalt und treibt ihre Karriere voran … aber alles nur, um ihren Papa glücklich zu machen! Die Ironie daran ist, dass ihr Vater nicht glücklich ist und dass nichts, was sie tut, jemals gut genug für ihn sein wird. Doch allein der Gedanke, ihn zu enttäuschen, macht ihr furchtbare Angst. Seine Zustimmung ist ein „Boot“ mit einem großen Leck. Aber es ist ihr „Boot“.
Vielleicht ist Ihr „Boot“ beruflicher Erfolg. Das war auch bei dem reichen jungen Mann in der Bibel der Fall. Jesus bat ihn, aus dem Boot zu steigen („Verkauf alles, was du hast, gib dein Geld den Armen, und dann komm und folge mir nach!“). Doch der junge Mann entschied sich dagegen. Er hatte ein sehr schönes Boot, eine wahre Luxusjacht. Sie fuhr sich traumhaft, und er liebte sie zu sehr, um sie aufzugeben.
Ich frage mich manchmal, ob er wohl an diese Begegnung mit Jesus zurückdachte, als er am Ende seines Lebens angekommen war und sein Bankkonto, sein Aktien-Portfolio und seine Pokalvitrine randvoll waren. Erinnerte er sich an den Tag, als der Sohn eines Zimmermanns ihn dazu aufgefordert hatte, all das für die vage Hoffnung auf das Reich Gottes aufzugeben … und er hatte Nein gesagt?
Was ist Ihr „Boot“? In welchem Bereich Ihres Lebens schrecken Sie davor zurück, Gott voll und ganz zu vertrauen? Ihre Angst wird es Ihnen verraten. Dieses Boot zu verlassen wird wahrscheinlich das schwierigste Vorhaben Ihres ganzen Lebens werden!
Aber wenn Sie auf dem Wasser gehen wollen, müssen Sie das Boot verlassen!
Wasserläufer rechnen mit Problemen
Petrus tritt also an den Rand des Bootes. Die anderen Jünger starren ihn an. Sie haben schon öfter miterlebt, dass Petrus den Mund zu voll genommen hat. Wie weit wird er es wohl diesmal treiben?
Er hebt einen Fuß über die Reling und klammert sich dabei krampfhaft fest. Dann den anderen Fuß. Seine Fingerknöchel treten weiß hervor.
Und dann tut er etwas Religiöses: Er lässt los. Er liefert sich voll und ganz der Macht Jesu aus. Und plötzlich, zum ersten Mal in der Geschichte, geht ein ganz normaler Mensch übers Wasser.
Einen Moment lang ist es so, als gäbe es nur noch Petrus und Jesus auf der Welt. Petrus strahlt vor Freude und Jesus freut sich über seinen Schüler.
Doch dann passiert es: Petrus „sieht die hohen Wellen“. Die Realität setzt ein und Petrus fragt sich: „Was habe ich mir nur dabei gedacht?“ Er merkt, dass er sich mitten im Sturm auf dem Wasser befindet, ohne Boot unter sich, ohne Netz und doppelten Boden. Und er bekommt Angst. Dabei hat sich eigentlich gar nichts geändert. Der Sturm und die Wellen hätten ihn nicht weiter überraschen dürfen, denn sie waren ja schon die ganze Zeit da gewesen. Doch Petrus’ Blickwinkel hat sich verlagert, weg von Jesus und hin zu dem Sturm.
Wir wissen alle, wie es ist, plötzlich die Wellen zu sehen. Sie beginnen voller Hoffnung ein neues Abenteuer; vielleicht treten Sie eine neue Stelle an; vielleicht probieren Sie eine geistliche Gabe aus; vielleicht möchten Sie Gott auf eine neue Art dienen. Am Anfang sind Sie voller Zuversicht und Glauben. Der Himmel ist blau und die Sonne scheint.
Doch dann setzt die Realität ein. Rückschläge, Gegenwind, unerwartete Hindernisse. Sie sehen die Wellen. Das war zu erwarten; die Welt ist ein sehr stürmischer Ort. Aber irgendwie haben Schwierigkeiten immer noch die Macht, uns zu überraschen.
Wegen des Winds und der Wellen beschließen viele Menschen, niemals das Boot zu verlassen. Wenn man aussteigt, muss man sich dem Sturm stellen. Aber wenn man die Sache ehrlich betrachtet, dann gibt es im Grunde keine Garantie, dass man im Boot davon verschont bleiben wird.
Eileen Guder schreibt:
„Sie können von Schonkost leben, um ein Magengeschwür zu vermeiden, im Namen der Gesundheit keinen Tee, Kaffee oder Ähnliches trinken, früh ins Bett gehen, das Nachtleben meiden, alle kontroversen Themen umgehen, um nie Anstoß zu erregen, sich um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, sich aus den Problemen anderer Leute raushalten, Geld nur für wirklich Notwendiges ausgeben und so viel wie möglich sparen. Trotzdem können Sie sich in der Badewanne das Genick brechen – und das geschähe Ihnen recht!“4
Der Philosoph Larry Laudan hat sich in den letzten zehn Jahren der Erforschung des Risiko-Managements gewidmet. Er schreibt davon, dass unsere Gesellschaft so von Angst getrieben ist, dass wir an etwas leiden, das er als „Risikostarre“ bezeichnet – ein Zustand, der uns unfähig macht, uns zu bewegen. Er fasst die Erkenntnisse der Fachliteratur zum Thema Risiko-Management in 19 Prinzipien zusammen. Das erste ist das einfachste: Alles ist riskant.5
Wenn man absolute Sicherheit will, dann sollte man am besten nicht als Mensch zur Welt kommen. Natürlich kann man zu Hause im Bett bleiben – aber dazu muss man wissen, dass jedes Jahr allein in Amerika eine halbe Million Menschen in die Notaufnahme eingeliefert werden, weil sie sich mehr oder weniger schwer verletzt haben, als sie aus dem Bett fielen! Sie können Ihre Fenster verrammeln – aber passen Sie auf, dass Sie sich nicht in die Statistik einreihen, laut der sich jährlich zehn Amerikaner versehentlich an ihren Rollladenschnüren erhängen. Sie können Ihr Geld in der Matratze verstecken – aber dann kann es passieren, dass Sie sich in die Riege der vielen Tausenden von Menschen einreihen, die wegen Verletzungen im Umgang mit Geld (Schnitte, Blasen, Allergien) ärztlich behandelt werden müssen.
Wenn Sie hinaus aufs Spielfeld gehen, riskieren Sie etwas. Die besten Torschützen der Welt schießen zwei von drei Malen daneben. Doch wenn Sie nicht hinausgehen, erfahren Sie auch nie, wie es ist, ein entscheidendes Tor zu schießen. Es ist gefährlich, das Boot zu verlassen – aber es liegt auch eine gewisse Gefahr darin, drinnen zu bleiben. Wenn Sie im Boot leben, werden Sie irgendwann an Langeweile und Stagnation zugrunde gehen. Denn alles ist riskant!
Wasserläufer akzeptieren Angst als Preis für Wachstum
Jetzt kommen wir zu einem Teil der Geschichte, der Ihnen vielleicht nicht so gut gefallen wird. Ich mag ihn auch nicht besonders. Die Entscheidung, Jesus zu folgen – die Entscheidung für das Wachstum –, bedeutet immer wiederkehrende Ängste. Man muss jeden Tag wieder neu aus dem Boot steigen.
Lassen Sie mich das erklären. Die Jünger steigen ins Boot, erleben den Sturm, sehen den Wasserläufer und haben Angst. „Habt keine Angst“, sagt Jesus. Petrus rafft sich auf, bittet um Erlaubnis, geht auf dem Wasser, sieht die Wellen und bekommt wieder Angst. „Du hast zu wenig Vertrauen“, erklärt ihm Jesus. Meinen Sie, dass dies die letzte Gelegenheit war, bei der Petrus Angst bekam?
Hier kommt noch eine wichtige Wahrheit über das Laufen auf dem Wasser: Die Angst wird nie ganz verschwinden! Warum? Weil jeder Schritt aus dem Boot einen Aufbruch in unbekannte Bereiche bedeutet, neue Herausforderungen. Jedes Mal, wenn ich mich dem aussetze, werde ich Angst haben.
Die Angst wird nie verschwinden. Na, das sind ja tolle Nachrichten! Ja, wirklich, das sind sie, denn jetzt können Sie mit dem verzweifelten Versuch aufhören, die Angst zum Verschwinden zu bringen. Angst und Wachstum gehören zusammen wie Makkaroni und Käse. Es gibt sie nur im Doppelpack. Wenn wir uns zum Wachstum entschließen, dann bedeutet das, dass wir auch immer gleichzeitig eine Entscheidung zwischen Risiko und Bequemlichkeit treffen müssen. Als wahre Nachfolger Jesu müssen wir aufgeben, die Bequemlichkeit als höchstes Ziel unseres Lebens zu sehen. Das sind ziemlich ernüchternde Aussichten für die meisten von uns, weil uns Bequemlichkeit viel wichtiger ist, als wir normalerweise annehmen. Der Theologe Karl Barth meinte, dass Bequemlichkeit der lauteste Sirenengesang unserer Zeit ist.
Wissen Sie, wie der Name des meistverkauften Fernsehsessels in den USA lautet? Er heißt La-Z-Boy („Fauler Knabe“). Das macht deutlich, wie wichtig uns Komfort ist. Wir wollen regelrecht in Komfort eintauchen. Wir haben sogar eine eigene Sprache entwickelt, die diesen Bereich unseres Lebens beschreibt. Kennen Sie den Ausdruck „Couch-Potato“? Er bezeichnet einen Stubenhocker, jemand, der gemüsegleich im wahrsten Sinne des Wortes auf seinem Sofa (oder dem „La-Z-Boy“!) dahinvegetiert.
Die Jünger hätte man als „Boat Potatoes“ bezeichnen können, als Boot-Hocker. Zugucken war ganz in Ordnung, aber selbst etwas tun, das wollten sie nicht.
Millionen von Gemeindemitgliedern könnte man heutzutage „Kirchenbank-Potatoes“ nennen. Sie möchten den Komfort, der mit ein bisschen wohl dosierter Frömmigkeit verbunden ist, aber das Risiko und die Herausforderung, die es mit sich bringt, wenn man Jesus nachfolgt, das wollen sie nicht. Doch Jesus hält noch immer Ausschau nach Menschen, die bereit sind, aus dem Boot zu steigen. Er sucht nach jemandem, der sagt: „Ich mag eine mickrige Kartoffel sein, aber ich folge dir, Herr!“
Wie wir in diesem Buch sehen werden, können beide Möglichkeiten – Risiko und Bequemlichkeit – zu einer Gewohnheit werden. Jedes Mal, wenn Sie aus dem Boot steigen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie das nächste Mal auch aussteigen. Die Angst wird nicht geringer, aber Sie gewöhnen sich daran, weil Sie merken, dass sie nicht die Macht hat, Sie zu zerstören.
Andererseits wird die Stimme in Ihrem Inneren jedes Mal ein bisschen leiser, wenn Sie nicht auf sie hören und im Boot sitzen bleiben. Und irgendwann hören Sie sie überhaupt nicht mehr.
Wasserläufer betreiben Fehlermanagement
Als er den Wind und die Wellen bemerkte und sich von seiner Angst besiegen ließ, begann Petrus zu sinken. Die Frage ist: Hat Petrus versagt? Bevor ich Ihnen meine Antwort verrate, möchte ich zuerst einmal über das Versagen an sich nachdenken, denn darüber werden wir in diesem Buch noch oft sprechen.
Versagen ist kein Vorfall, sondern eher unsere Beurteilung eines Vorfalls. Versagen passiert uns nicht einfach oder kommt über uns. Es ist die Art, wie wir über Ergebnisse denken.
Bevor Jonas Salk die wirksame Impfung gegen Polio erfand, probierte er 200 andere Möglichkeiten aus, die nicht funktionierten. Jemand fragte ihn einmal: „Wie fühlt es sich an, 200-mal zu versagen?“
„Ich habe noch nie 200-mal versagt“, gab Salk zurück. „Das Wort ,Versagen‘ ist hier völlig unpassend. Ich habe einfach 200 Wege entdeckt, wie man Polio nicht verhindern kann!“
Winston Churchill wurde einmal gefragt, was ihn am besten darauf vorbereitet hatte, sozusagen politischen Selbstmord zu begehen, indem er sich Mitte der 30er Jahre öffentlich gegen Hitler aussprach und Großbritannien in den Krieg gegen Deutschland führte. Churchill sagte, die Grundlagen hierfür habe er gelernt, als er in der Grundschule eine Klasse wiederholen musste.
„Sie meinen, Sie sind sitzen geblieben?“, fragte jemand.
„Nein, ich bekam eine zweite Gelegenheit, es besser zu machen“, gab Churchill zurück.
Jonas Salk unternahm 200 erfolglose Versuche, einen Impfstoff gegen Polio zu finden. War Jonas Salk ein Versager?
Winston Churchill drehte eine „Ehrenrunde“ in der Grundschule. War Winston Churchill ein Versager?
War Petrus ein Versager?
Na ja, in gewisser Weise hat er schon versagt. Sein Glaube war nicht stark genug. Seine Zweifel waren stärker. „Er sah die hohen Wellen.“ Er wendete seine Augen von Jesus ab, er versank, er scheiterte.
Aber jetzt sage ich Ihnen, was ich wirklich denke: Ich denke, die größeren Versager hockten noch im Boot! Sie scheiterten natürlich unauffälliger und nicht ganz so offenkundig. Ihr Versagen wurde nicht bemerkt, nicht beobachtet, nicht kritisiert. Nur Petrus erlebte die Scham des öffentlichen Scheiterns.
Doch nur Petrus erfuhr auch zwei andere Dinge: Nur er kannte das Gefühl, wie es ist, auf dem Wasser zu laufen. Nur er wusste, wie es war, etwas zu wagen, zu dem man ohne Hilfe nicht fähig war. Das euphorische Gefühl, von Gott ermächtigt zu werden, es tatsächlich zu schaffen! Wenn man einmal auf dem Wasser gegangen ist, vergisst man es nie wieder.
Ich denke, Petrus hat diesen großartigen Moment bis zu seinem Tod im Herzen getragen.
Und nur Petrus erlebte, wie es ist, in einem Moment größter Verzweiflung und Hilflosigkeit von Jesus ergriffen zu werden.
Petrus hatte auf besondere Weise erlebt, dass Jesus da war, wenn er sank, und dass Jesus in der Lage war, ihn zu retten. Er hatte ein Glaubenserlebnis, eine Verbindung, ein begründetes Vertrauen auf Jesus, das den anderen fehlte.
Sie hatten es nicht erlebt, weil sie gar nicht erst aus dem Boot gestiegen waren. Und darin liegt das viel größere Versagen.
Wasserläufer betrachten Versagen als Möglichkeit zum Wachstum
Sobald Petrus um Hilfe rief, war Jesus da. Er half Petrus physisch, indem er ihn aus dem Wasser zog. Doch indem er das Problem auf den Punkt brachte, half er Petrus auch zu wachsen: „Du hast zu wenig Vertrauen! Warum hast du gezweifelt?“
Ich denke nicht, dass Jesus hier hart oder überkritisch ist. Tatsächlich finde ich sogar, dass diese Stelle ein liebenswertes Detail der Geschichte ist: Jesus kommentiert Petrus’ Verhalten, als er mit diesem allein draußen auf dem Wasser ist. Erst danach steigen sie zusammen ins Boot. Vielleicht wollte Jesus wie jeder gute Mentor seinen Schüler nicht vor den anderen kritisieren, als er die Quelle seines Problems offen legte.
Es ist ganz offensichtlich, was diese ist: Ob Petrus auf dem Wasser ging oder versank, hing davon ab, ob er sich auf den Sturm konzentrierte oder auf Jesus. Doch nun verstand er dieses Prinzip viel besser. Seine Risikobereitschaft ließ ihn wachsen.
Noch mehr als unser eigenes Versagen fürchten wir es, vor anderen zu versagen. Wenn ich an Petrus’ Stelle gewesen wäre, hätte ich bestimmt versucht, irgendwie zu vertuschen, was vorgefallen war. „Ach ja, es war ganz nett, auf dem Wasser zu gehen. Aber dann wurde mir so warm und ich wollte mich abkühlen …“
Versagen und Wachstum sind zwar untrennbar miteinander verbunden, aber das Versagen allein bringt noch kein Wachstum hervor. Es ist die Art, wie wir mit unserem Versagen umgehen, die etwas in unserem Leben verändert.
Sir Edmund Hillary startete mehrere erfolglose Versuche, den Mount Everest zu besteigen, bevor es ihm schließlich gelang. Nach einem Fehlversuch stellte er sich zu Füßen des riesigen Berges, schüttelte die Faust und rief: „Ich werde dich schon bezwingen! Denn du kannst nicht mehr größer werden – aber ich wachse noch!“
Jedes Mal, wenn Hillary scheiterte, lernte er dazu. Und eines Tages versagte er nicht mehr.
Wasserläufer lernen, auf den Herrn zu warten
Diese Geschichte vom Risiko ist auch eine Geschichte vom Warten. Die Jünger mussten im Boot ausharren, bis Jesus zu ihnen kam. Selbst dann dauerte es noch eine ganze Weile, bis sie endlich bekamen, was sie eigentlich wollten: Rettung aus dem Sturm. Warum hat Jesus die Wellen nicht beruhigt, bevor Petrus aus dem Boot stieg?
Vielleicht, weil die Jünger – so wie wir – Geduld lernen mussten.
Wir müssen lernen, auf den Herrn zu warten, um die Kraft zu bekommen, auf dem Wasser laufen zu können. Wir müssen warten, bis Gott den Sturm zum Schweigen bringt. Eigentlich ist dieses „Warten auf den Herrn“ der schwierigste Teil des Vertrauens. Es geht nicht darum, irgendwie die Zeit totzuschlagen. Es bedeutet, dass ich mich selbst in all meiner Verletzlichkeit in seine Hände lege.
Ich habe schon immer gern geredet. Als ich noch keine zwei Jahre alt war, lernte ich den Part meiner Schwester im Krippenspiel auswendig und wollte ihn auch vortragen (das hat man mir zumindest erzählt, ich kann mich nicht daran erinnern). In Umfragen und Statistiken steht „Reden in der Öffentlichkeit“ immer ganz oben auf der Liste der größten Ängste von Menschen, oft sogar noch vor der Angst vor dem Tod. Das konnte ich nie verstehen, denn schon von frühester Kindheit an war es für mich das Größte, vor einer großen Gruppe von Menschen zu reden.
Als ich nach dem Studium schließlich zu predigen begann, bewegte mich dies ganz tief. Ich hatte das Gefühl, dass dies meine Bestimmung sei, ein Teil meiner Berufung.
Eines Sonntags hatte ich ungefähr zehn Minuten gesprochen, als mir plötzlich schrecklich heiß und schwindlig wurde. Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich auf dem Boden lag und mehrere besorgte Gesichter auf mich herabschauten. Ich war mitten im Gottesdienst bewusstlos zusammengebrochen!
Nachdem ich ein Jahr im Ausland verbracht hatte, kehrte ich in diese Gemeinde zurück. Als ich zum ersten Mal wieder predigen sollte, passierte dasselbe noch einmal: Wieder kippte ich nach zehn Minuten ohnmächtig von der Kanzel!
Pech für mich, dass dies eine Baptistengemeinde war, die keinerlei charismatische Ambitionen hatte. Hier erhielt man keine Anerkennung für solche Aktionen und meine Aussetzer wurden auch nicht als „Ruhen im Geist“ interpretiert. Bei den Baptisten ist eine Ohnmacht eine Ohnmacht. Eine Weile hob es die Aufmerksamkeit, so wie ein Unfall bei der Formel 1: Man hofft nicht direkt, dass es passiert, aber wenn, dann will man es auf keinen Fall verpassen.
Für mich war das Ganze eine ausgesprochen schmerzliche Angelegenheit. Ich verstand nicht, warum es geschah. Ich war nach wie vor sicher, dass ich eine Berufung zum Predigen hatte. Aber vielleicht konnte ich es gar nicht? Schließlich war es klar, dass jemand kein Prediger sein kann, der regelmäßig von der Kanzel kippt. Das macht einfach die Zuhörer nervös.
Wohlmeinende Menschen gaben mir alle möglichen Ratschläge. „Du musst dich einfach mehr um Entspannung bemühen.“ (Widersprechen sich die Begriffe „Entspannung“ und „bemühen“ nicht irgendwie?)