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"Das Anubis Projekt" ist die fünfte Novelle von Werner Hermann. Nach "Der Bund des Turmes" (Arcanum Fantasy Verlag) und der Trilogie um eine mysteriöse Goldkette – "Das Geheimnis der Pythagoräer", "Apotheosis", "Der Ursprung des Anfangs" (Scratch Verlag) – bleibt der Autor seinen mythischen und mystischen Themen treu, und verarbeitet wieder die Handlungen seiner Protagonisten in einer Geschichte der dunklen Fantastik, welche die ferne, düstere und bewegte Vergangenheit orientalischer Kulturen mit einer ungewissen, konfusen und zerbrechlichen Gegenwart verbindet und beide ineinander verschmelzen lässt.
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Seitenzahl: 85
Wilhelm Kramer
Das Anubis-Projekt
Arcanum Fantasy Verlag
e-book 134
Mystische Schriften 09
Werner Hermann - Das Anubis-Projekt
Erscheinungstermin: 01.10.2022
© Arcanum Fantasy Verlag
Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.arcanum-fantasy-verlag.de
Titelbild: Igor Shaganov
Vertrieb: neobooks
Für Ronin Erik aus Medilihha,
Weltenbummler und Esoteriker
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Das Anubis Projekt
Epilog
Glossar
Über den Autor
Prolog
Am Samstag, den 3. April 2021 hielt in Kairo die Goldene Parade der Pharaonen die Welt für einen Tag lang in Atem. Die pompös inszenierte Überführung von insgesamt zweiundzwanzig Pharaonen und Pharaoninnen vom Ägyptischen Museum im Zentrum nahe des Tahrir Platzes ins neu erbaute, nicht weiter als fünf Kilometer südlich liegende Nationalmuseum der Ägyptischen Zivilisation, fand unter höchsten Sicherheits- massnahmen als makabres Staatsereignis statt, nicht zuletzt, um die eingebrochene Tourismusbranche Ägyptens während der weltweiten Corona-Pandemie wieder schnell auf Touren zu bringen. In jahrelangen Bauarbeiten wurde nicht nur diese neue Kulturstätte, sondern auch die dazugehörige Infrastruktur – Hotels inbegriffen – auf Vordermann gebracht. Die grandiose Prozession nach antikem Vorbild mit geschmückten Leichenwägen und Polizeieskorten entlang der Nil-Promenade endete am neuen Standort mit militärischen Ehren in Form von Salutschüssen in der Anwesenheit von Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Da es sich dabei um mehr als 3.600 Jahre alte Mumien handelte, mussten diese, bevor sie dem Publikum zugänglich gemacht werden konnten, noch gute zwei Wochen lang für Restaurationsarbeiten im museumseigenen Labor behandelt werden. Da kam ich ins Spiel. Meine Aufgabe bestand darin, die wissenschaftlichen Untersuchungen mit den modernsten Mitteln der gegenwärtigen Analysemethoden und forensischen Prozeduren zu koordinieren und zu überwachen. Als Angehöriger der Abteilung des Nationalmuseums der Ägyptischen Zivilisation im Ministerium für Tourismus und Antiquitäten der Arabischen Republik Ägypten lag es in meiner Verantwortung, auf die sachgemässe Behandlung und Konservierung der Körper zu achten, sie auf „Herz und Nieren“ einem Spezialverfahren zu unterziehen, wohlwissend, dass die eigentlichen inneren Organe und Eingeweide sowieso in separaten Gefässen, den sogenannten Kanopen, aufbewahrt worden waren. Also begann ich bereits am Tag darauf, die besagten Überreste (und bei so manchen handelte es sich sehr wohl um nur – sogar sehr unvollständige – Überreste) auf unsere zahlreichen Seziertische zur vorhergesehenen Obduktion und erneuten Vervollständigung (soweit dies überhaupt machbar war) verfrachten zu lassen. Nach einigen kurzen und oberflächlichen Leichenbeschauen durch mein bestens ausgebildetes Team und meiner Wenigkeit und noch häufigeren Besprechungen bei Tee, Kaffee und Baklava stellte ich die Weichen für die weiteren Schritte, welche erst am nächsten Morgen durchgeführt werden konnten, da der Rest des Nachmittags zur Verfügungstellung der Materialien und Ressourcen aufgebraucht werden musste. Erst, wenn alle Utensilien einsatzbereit waren, konnte auf Teufel komm raus mit den akribischen Arbeiten begonnen werden. So verliessen wir allesamt am frühen Abend, nach der erfolgreichen Absolvierung der Vorbereitungen unsere Arbeitsstätte. Ich sollte im Morgengrauen der Erste sein, der wieder im Museum eintreffen würde.
Das Nationalmuseum der Ägyptischen Zivilisation lag neben einem stillen Wasser, dem Ayn as Sirah See, im Gegensatz zum Ägyptischen Museum, welches sich am Nilufer befand. Diese fliessende Energieader hatte über mehr als ein ganzes Jahrhundert, in dem die Mumien der Herrscher dort ihre Ruhestätte gefunden hatten, jeglichen Spuk und paranormale Aktivitäten dauerhaft gebannt. Nun aber, in der Nähe eines ruhenden Gewässers, verhielt sich die gesamte Situation gänzlich anders. Alle zweiundzwanzig Potentaten, männliche wie auch weibliche, befanden sich nun vereint im Labor, allesamt nur wenige Meter voneinander entfernt. Da durch den besonderen hierarchischen Status und den Prozess der Mumifizierung die leblosen Körper jedoch einen unsterblichen Geist aufwiesen, im Gegensatz zu den normalen Menschen, für die der Tod das Ende ihrer Existenz bedeutete, der im Jenseits seiner Bestimmung frönte, konnte durch die ungehemmte Nahdistanz zwischen den Tischen, auf denen die Leichen aufgebahrt lagen, eine stumme, zaghafte aber auch wohlwollende geistige Kommunikation aufgebaut werden, die sich selbstverständlich auch parallel und synchron auf die jenseitige Dimension auswirkte. Die fast physische Verbundenheit der Körper bewirkte in der Duat, der altägyptischen Unterwelt, die spirituelle Vereinigung der Pharaonenseelen, nicht in der Form einer Verschmelzung, sondern vielmehr einer Versammlung. Es wurde gesprochen, argumentiert, Thesen und Antithesen vorgebracht, gefeilscht und gestritten, und das Ergebnis des leidenschaftlichen Diskurses mündete in einer Übereinkunft, bei der sich alle einig waren: Der Pakt der toten Pharaonen erblickte die Finsternis von Keku-semau, der dunklen Seite des Totenreiches. Der gemeinsame Schwur umfasste das Vorhaben, mit den unstofflichen Geistern die Unterwelt zu verlassen und in das irdische Diesseits zurückzukehren, um wieder mit ihren Körpern zu fusionieren, diesen neues – untotes – Leben einzuhauchen, als Herrscher auf die Erde wiederzukehren und die gesamte Menschheit durch den Dunklen Kuss, der die Essenz der Schwarzen Flamme der Duat überträgt, zu ihren willenlosen und gehorsamen Dienern zu machen und in unterwürfige Sklaven zu verwandeln. Gesagt, getan. Es blieb gerade so viel Zeit, den Masterplan zu verwirklichen und die kosmische Verschmelzung von Seele und vertrocknetem Fleisch zu vollziehen, ehe in der Morgendämmerung des folgenden Tages die Spezialisten des Nationalmuseums der Ägyptischen Zivilisation an ihren Arbeitsplatz zurückkehrten und sich um die kosmetische Verbesserung der – nun nicht mehr leeren – Hüllen der einstigen Gebieter kümmern sollten.
Das Anubis Projekt
Wie geplant traf ich als Erster an meinem neuen Arbeitsplatz im Labor des Museums ein. Der Auftrag, welcher meinem Team und mir vom Generalsekretariat des Ministeriums aufgetragen worden war, trug die Bezeichnung „Anubis Projekt“ in Anlehnung an die Aufgaben besagter Gottheit der Totenriten und der Mumifizierung. Die staatliche Anordnung, die einstige Einbalsamierung zu vollenden, indem jedwede Schäden und unerwünschte Spuren, welche die Zeit hinterlassen und verursacht hatte, zu beseitigen und sonstige mögliche und unmögliche Reparaturen vorzunehmen, gehörten zum Grundrepertoire meiner Fachspezialisten und mir selbst. Bevor die anderen Mitarbeiter auftauchen würden, drehte ich noch eine Inspektionsrunde zwischen den Pathologie-Tischen. Alles befand sich in bester Ordnung. Ich hatte mir einstweilen jene Mumie ausgesucht, an der ich mein Werk beginnen wollte: Königin Tiye. Ihre noch vorhandene volle und lange Haarpracht faszinierte mich. Kurz darauf kamen die ersten Beschäftigten meines Teams im Museum an, und gemeinsam zogen wir in den Umkleidekabinen unsere weissen Arbeitskittel an, schoben die am Vorabend hergerichteten Beistellwägen mit den Arbeitsinstrumenten zu den jeweiligen Tischen und begaben uns wie besprochen an unsere Tätigkeit. Zuerst entnahmen wir von allen Objekten an verschiedenen Körperstellen DNA-Proben zwecks Analysen und Archivierung, dann untersuchten wir den Zustand des jeweiligen Gewebes, ebenfalls an diversen Punkten. Dann fertigten wir Zeichnungen – schematische Darstellungen – des jeweiligen Leichnams an, den es zu restaurieren galt. Wir markierten die Stellen, an welchen Ausbesserungen und Vervollständigungen durchzuführen waren, notierten und verglichen die Tönungen und Schattierungen der jeweiligen Kolorierungen mit jenen auf unseren Farbtabellen, welche keine noch so kleinen Nuancen vermissen liessen. Diese Beschäftigung sollte den ganzen Vormittag andauern und nach der Mittagspause ging es darum, sich an die Anfertigungen aus Textilfasern und Bandagen zu machen, getränkt und vermischt mit speziell haltbaren Wachs-Konsistenten, synchronisiert mit der typischen Bemalung des beschädigten Gewebes der uralten Leichen. Am dritten Tag der Aufnahme unseres Dienstes an den Pharaonen und Pharaoninnen begann die eigentliche Auffüllung der fehlenden Teile und die Komplettierung der organischen Bereiche der Objekte. Ich hatte in der Nacht davor nicht besonders gut geschlafen und deutete gewisse aleatorische Eindrücke und Bewegungen, welche meinem übernächtigten Geist entsprangen, als solide und unverkennbare Anzeichen meiner latenten Müdigkeit. Die offensichtliche Erschöpfung, welche mir die nächtliche, feuchte Hitze bereitet hatte, konnte auch durch die effiziente Kühlung der Klimaanlage des Labors und die tadellos funktionierende Steuerung der Luftfeuchtigkeit nicht wettgemacht werden. So fantasierte mein schläfriger Verstand andauernd und spielte meiner wissenschaftlichen Vernunft gar sonderbare Streiche. Bei jeder meiner Abwendung von der Mumie der Königin, wenn ich zu meinem handwerklichen Werkzeugkasten griff, um daraus ein Utensil zur weiteren Bearbeitung zu entnehmen, wurde ich das Gefühl nicht los, dass sich die Tote in meine Richtung bewegte und mich musterte, nur um im nächsten Augenblick wieder in ihre ursprüngliche Position zurückzukehren und in dieser weiter zu verharren, sobald ich mich ihr wieder zuwandte, was natürlich rationell gesehen gar nicht sein konnte. Seltsamerweise berichteten mir meine Teamkollegen und -kolleginnen über das gleiche Phänomen. Hatten auch sie alle schlecht geschlafen? Trotz dieser atmosphärischen Ungereimtheiten schritten die Restaurierungsarbeiten zügig voran. Wir befanden uns im vorgegebenen Zeitplan und der Abschluss unserer Tätigkeiten rückte immer näher. Obwohl die offizielle und feierliche Eröffnung des Nationalmuseums der Ägyptischen Zivilisation erst am Sonntag, den 18. April 2021 stattfinden sollte, mussten wir bereits am Freitag zuvor mit unserer Arbeit fertig sein, da am Samstagabend noch ein aussertourlicher Besuch der gesamten Regierungsgilde in der Halle der Königlichen Mumien geplant war, als geheim gehaltene VIP-Vor-Premiere sozusagen. Und so kam es, dass wir alle am Freitagnachmittag unsere Beistellwägen mit den Arbeitsinstrumenten zurück in das Materialien-Auf- bewahrungszimmer rollten, die Objekte unseres „Werkes“ mit Schaukästen aus Sicherheitsglas abdeckten, um sie von der Raumluft abzuschirmen, und letztendlich wieder gemeinsam unsere weissen Arbeitskittel in den Umkleidekabinen bis auf Weiteres auszogen. Wir hatten uns zuvor entschlossen, zwanzig der zweiundzwanzig Gebieter des altägyptischen Reiches dem Publikum zugänglich zu machen, da bei zwei der insgesamt vier Gebieterinnen der Zustand ihrer Körper noch zu wünschen übrig liess, und trotz unserer intensiven Bemühungen ein für uns befriedigendes, vormals erhofftes Ergebnis nicht erreicht werden konnte. Diese beiden Pharaoninnen, Königin Meritamun und Königin Tiye, mussten wir wohl oder übel in Abstellkammern des Museumskomplexes zwischenlagern, bis sich eine andere, nachhaltigere Lösung des Problems bot. Alle Angehörigen meines Teams hatten bereits die heiligen Hallen der letzten Ruhestätte der Pharaonen verlassen, als ich meinen gewohnten Inspektionsrundgang zwischen den künstlichen, modernen Sarkophagen absolvierte. Wieder befiel mich das Gefühl, dass alle Mumien mir hinter meinem Rücken ihre Häupter zuwandten, um sie blitzschnell wieder in ihre eigentliche Lage zu bringen, sobald ich mich abermals zu ihnen drehte. Diesmal musste dieser unmöglich scheinende Trugschluss tatsächlich aus meiner Erschöpfung resultieren, welche von meinen ununterbrochenen, tagelangen Anstrengungen samt unzähligen Überstunden verursacht worden war, denn schlecht geschlafen hatte ich – abgesehen von absonderlichen Albträumen – diesmal nicht.