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Eine offene Tür, durch die der Wind die Schneeflocken hereinweht. Ein Weihnachtsstern, dem eine Ecke abgebrochen ist. Oder ein Heiligabend im Zug, der für alle Fahrgäste im Abteil zu einem besonderen Moment wird ... Mal besinnlich, mal heiter, dann wieder spannend und abenteuerlich sind die 24 Geschichten, die Elisabeth Büchle für diesen Band zusammengestellt hat. Und wie ein Lichtschein leuchtet immer wieder die Botschaft auf, dass Jesus Christus unsere Hoffnung und der Grund aller Weihnachtsfreude ist.
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Seitenzahl: 172
Über die AutorinElisabeth Büchle hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und wurde für ihre Arbeit schon mehrfach ausgezeichnet. Ihr Markenzeichen ist die Mischung aus gründlich recherchiertem historischen Hintergrund, abwechslungsreicher Handlung und einem guten Schuss Romantik. Sie ist verheiratet, Mutter von fünf Kindern und lebt im süddeutschen Raum. www.elisabeth-buechle.de
Vorwort
1 Perfekt geplant
2 Macht hoch die Tür
3 Der Weihnachtsengel
4 Ruheort im Weihnachtschaos
5 Bevor ich auseinanderbreche
6 Superheld
7 Weihnachten in Oregon
8 Der Glasstern
9 Heiligabend im Irish Pub
10 Das Wunder in den Bergen
11 Heruntergekommen
12 Das beste Geschenk von allen
13 Stromausfall
14 Das Familiengeschenk oder: Herzenswünsche
15 Ein Mann zu Weihnachten
16 Emmas Weg aus der Einsamkeit
17 Das Rolltor – oder: Ein Tag im Dezember 2012
18 Annies Weihnachtswunsch
19 Die zwei Pinselstriche
20 Ich komme zu dir
21 Feuerwehr
22 Weihnachtsreise eines Teenagers
23 Heiligabend im Zug
24 Der „Sternengucker“
Anmerkungen
Liebe Leserinnen und Leser,
sicher kennen mich viele von Ihnen als Autorin historischer und zeitgenössischer Romane. Nun habe ich eigens ein „Weihnachts-Büchle“ für Sie zusammengestellt, denn ich liebe diese ganz besondere Zeit im Jahr, wenn Kerzenlicht die dunklen Tage erhellt und Schneeflocken vom Himmel fallen. Einige der Geschichten habe ich schon vor Jahren verfasst, andere sind eigens für dieses Buch entstanden.
Lesen Sie davon, wie Reisende den Heiligabend in einem Zug feiern, welche Kraft das Lied „Mach hoch die Tür“ in einem dunklen Raum entfalten kann, und was eine alte Frau dazu bewegt, mit Obdachlosen den Weihnachtsabend zu verbringen. Und lassen Sie sich hineinnehmen in die Versöhnungsgeschichte zwischen Mutter und Tochter, in eine Begebenheit bei der Feuerwehr oder die Begegnung mit einem Engel.
Da es sich um vierundzwanzig ganz unterschiedliche Texte handelt, dürfen Sie das Buch gern wie einen Adventskalender behandeln und jeden Tag ein neues „Texttürchen“ öffnen. Aber Sie können auch ganz nach Belieben in die winterlich-weihnachtlichen Geschichten eintauchen und auswählen, welche davon Sie zuerst lesen möchten.
Als ich an diesem Projekt gearbeitet habe, bat ich meine Rundbriefempfänger, mir ihre ganz persönlichen Weihnachtserlebnisse zu schreiben. Eines davon habe ich ein bisschen abgewandelt und als Inspiration für eine der Geschichten genommen. Entsprechend bedanke ich mich bei Sofia Heidebrecht, dass sie mir ihre Kennenlerngeschichte zur Verfügung gestellt hat.
Nun wünsche ich Ihnen viel Freude beim Schmökern und eine reich gesegnete Advents- und Weihnachtszeit!
Ihre Elisabeth Büchle
PS: Besuchen Sie mich gern auf meiner Website, auf Facebook und Instagram oder abonnieren Sie meinen E-Rundbrief unter [email protected]
Heiligabend. Zeit der Besinnlichkeit, der Ruhe und des Zusammenseins als Familie. Es soll ein unvergesslicher Abend in feierlicher Stimmung werden. Ganz oben steht dabei ein festlich gedeckter Tisch, ein leckeres Menü und, nicht zu vergessen, ein wunderschön geschmückter Baum, an dessen grünen Ästen die Kerzen ebenso fröhlich funkeln wie die Kindergesichter strahlen. Unter seinen Zweigen warten liebevoll ausgesuchte, hübsch verpackte Geschenke. Draußen liegt prächtiger Schnee und tagsüber werden die romantisch verschneiten Flächen, Hügel und Tannenspitzen von warmen Sonnenstrahlen beschienen.
Das war lange Zeit mein Traum von Weihnachten. Naiv, wie ich bin, hoffte ich jedes Jahr aufs Neue, dass dieser sich erfüllte. Dabei kannte ich doch Silkes Weihnachtsgeschichte, die meiner sehr ähnlich war …
Silke war rundum zufrieden, denn in diesem Jahr hatte sie schon früh alle Geschenke besorgt und eingepackt. Nicht minder stolz war sie auf ihren Anti-Stress-Heiligabend-Plan, den sie bereits im Herbst entworfen hatte. Den Großeinkauf hatte sie bereits am Vortag erledigt. Ihr Mann würde sich den Nachmittag freinehmen und den Baum hereinholen, aufstellen und schmücken – eine Tanne, die seit drei Tagen am Gartenzaun lehnte. Ihre älteste Tochter und ihr großer Sohn waren beschäftigt und die beiden Kleinen lauschten neuen Hörspielen. Die letzten Vorbereitungen könnten demnach ganz nach Plan beginnen, dachte sie, und öffnete tatkräftig den Kühlschrank.
Sie holte die Zutaten für den traditionellen Vier-Jahreszeiten-Kuchen heraus, der von allen Familienmitgliedern am liebsten warm gegessen wurde. Es handelte sich dabei um einen einfachen Versunkene-Früchte-Kuchen, je zu einem Viertel mit Sauerkirschen, Pfirsichen, Birnen und Mirabellen belegt, sodass jeder eine Ecke fand, die er richtig gern mochte.
Silke holte die seit dem Vortag auftauenden Früchte und arrangierte die Zutaten auf dem Küchentisch. Gerade, als sie das Mehl abwog, stürmte Jan, ihr Jüngster, in die Küche. Tränen rollten über seine geröteten Wangen. Mit großen Augen sah er seine Mutter hilfesuchend an. Deshalb ließ sie alles stehen, ging vor ihm in die Hocke und übersah großzügig, dass er in die Dose mit den geschnittenen Birnen griff. Vermutlich hatte er etwas leckeres Tröstliches nötig.
„Ich habe für alle Geschenke gebastelt“, erklärte er schluchzend und fügte hinzu: „Ich habe sie versteckt.“
Silke nickte ungeduldig, die Augen bereits wieder auf den Rezeptblock gerichtet. Wollte sie ihren Zeitplan einhalten, durften nicht viele Störungen dieser Art auftreten. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ein weiteres Birnenstück im Mund des Jungen verschwand. Sie musste sein Problem umgehend lösen, bevor das Jahr ein Quartal zu wenig haben würde – zumindest auf dem Vier-Jahreszeiten-Kuchen!
Schnell fand Silke heraus, was den Bastler bedrückte. Er fand die versteckten Geschenke nicht mehr. Sie ermunterte Jan, nochmals überall zu suchen, schließlich war sein Zimmer nicht so groß, dass Dinge darin einfach verschwinden konnten.
Jan nickte, drehte sich um und rief im Hinausgehen: „Ich wünsche mir zu Weihnachten ein größeres Zimmer!“
Silke runzelte die Stirn. Sie musste sich jetzt unbedingt auf ihren Zeitplan und das Kuchenrezept konzentrieren. Allerdings gaben der kleine und der große Sohn sich die Klinke in die Hand.
Sven wirkte unausgeschlafen und mürrisch, wie sie mit einem kurzen Seitenblick feststellte. Ihm gewährte sie durch ihr Schweigen einen Griff in die Dose mit den Mirabellen, wobei sich in Anbetracht der Größe seiner Hände leichte Bedenken in ihr regten. Dennoch fügte sie Butter, Zucker und Eier zum Mehl hinzu.
„Ich habe Hunger und keine Geschenke“, verkündete Sven. „Hatte keine Zeit, weil die Lehrer alle Arbeiten vor die Ferien quetschen müssen. Und das Geld ging für die Fahrstunden drauf.“
Silke fragte sich, ob sie wohl das Backpulver bereits hinzugefügt hatte. „Kann ich mir was Essbares aus dem Kühlschrank nehmen?“
Ihr Nicken veranlasste ihren Sohn, sich zu bedienen und mit seiner Beute schnell zu verschwinden. Von Sven würden also keine Geschenke kommen.
Immer noch hielt Silke unschlüssig das geöffnete Backpulvertütchen in der Hand. Sie seufzte und legte es beiseite. Mit einem nervösen Blick auf die Küchenuhr stellte sie fest, wie weit sie mit ihrem Zeitplan bereits in Verzug war. Sie griff nach einem roten Stift und notierte auf dem Plan:
Zeit zum Reden und Trösten einplanen. Andere Familienmitglieder in die Planung mit einbeziehen. Schafft schöne, gemeinsame, mit den Großen ohnehin seltene Zeiten. Dann geht uns auch nicht der Sinn von Weihnachten verloren.
Mira und Lia stürmten zeitgleich in die Küche. Die eine Tochter jammerte, weil Jan oben laut weinte, was sie natürlich nervte. Die andere kam mit dem Basteln ihrer Last-Minute-Geschenke nicht zurecht und forderte Hilfe ein. Silke sah keine Chance, das Plündern der Pfirsichstückchen und Sauerkirschen zu verhindern.
Sie bat Mira, ihre nervliche Anspannung hinunterzuschlucken, und rührte den Teig an. Als sie sich wieder umwandte, war die Küche leer, die Behältnisse der Sauerkirschen und Pfirsiche ebenfalls. Nicht eben begeistert versenkte sie die reduzierte Anzahl an Mirabellen und Birnen auf zwei nun mager aussehenden Kuchenhälften und stellte das Gebäck in den Ofen. Bevor sie einen sich anbahnenden Zwergenaufstand ein Stockwerk höher schlichten gehen wollte, notierte sie in Rot:
Wichtig: vor den letzten Vorbereitungen ein Gebet um Geduld und starke Nerven!
Schließlich wusste sie, dass ein besinnliches Weihnachtsfest nur dann stattfinden konnte, wenn auch die anderen Familienmitglieder an diesem Tag zufrieden und ausgeglichen waren.
Sie holte die Zutaten für die Würstchen im Schlafrock aus dem Kühlschrank. Zumindest wollte sie das tun. Von den zehn Saitenwürsten hatten seit dem Einkauf am Vortag drei überlebt. Käse und Schinken waren wohl soeben dem immer hungrigen Magen eines Achtzehnjährigen zum Opfer gefallen.
Wütend knallte sie die Kühlschranktür zu. Mit einem Blick auf ihren Plan griff sie erneut nach dem roten Stift und schrieb:
Zutaten beschriften und die kleinen und großen Räuber dennoch lieben! Nur so ist ein ruhiges Gespräch über den Kühlschrankinhalt möglich – trotz Stress, Ärger und der schwindenden Aussicht auf ein gelungenes Festessen.
Erleichtert stellte Silke fest, dass ihr Mann pünktlich nach Hause kam. Sie schnappte die eigens für sich vorbereitete Heiligabend-To-do-Liste, um ihn gleich im Flur damit abzufangen. Doch Markus winkte ab. Sein Kopf glühte förmlich, und seine Augen wirkten glasig. Er hustete bellend und verzog sich nach oben ins Bett.
Silke warf einen Blick auf die Liste, zerknüllte sie und ahnte: Dieser Heiligabend würde schwer zu retten sein. Auf ihrem Zeitplan vermerkte sie den Hinweis:
Genügend Zeit für Unvorhergesehenes einplanen. Mir außerdem vor Augen halten, dass niemand mit Absicht gestresst, krank oder verletzt ist.
Nur so würde sie dem Anflug von Überforderung, Selbstmitleid und leise steigendem Zorn trotzen können. Alles Gefühle, denen sie sich an diesem besonderen Abend nicht hingeben wollte. Sie stapfte die Stufen hinauf, erklärte Sven – in Erinnerung an ihre aufgeschriebenen Zeilen überaus ruhig –, dass er ihr gemeinsames Festessen innerhalb von wenigen Minuten verdrückt hatte. Anschließend schickte sie ihn in den strömenden Regen hinaus, damit er den Baum in die Wohnung brachte. Dann half sie, völlig unplanmäßig, Lia bei ihrer wirklich bezaubernden, aber zeitaufwändigen Bastelarbeit und dem Kleinen bei der Suche nach den versteckten Geschenken. Nach erfolglosem Herumsuchen in allen Ecken erklärte Jan schließlich achselzuckend, dass er nun schon Ostergeschenke für seine Geschwister habe, die sie an Ostern suchen könnten.
In diesem Moment kündigte Sven zwei weitere Katastrophen an: „Was soll denn das rauchende schwarze Etwas im Backofen sein, Mama?“, rief er die Treppe hoch. „Außerdem hättest du Oma und Tante Anna vorgestern genauer erklären müssen, wo sie sich Reisigzweige für ihren Weihnachtsstrauß abschneiden dürfen.“
Es braucht nicht viel Fantasie, um sich den Rest des Abends vorzustellen. Silke war nicht gewillt – zudem fehlte ihr die Zeit –, den Braten für den ersten Weihnachtstag zu opfern. Der Baum sah gerupft aus, da Oma und Tante Anna zielsicher die schönsten Äste für ihren Strauß abgeschnitten hatten. Einen Kuchen gab es nicht, und die Bescherung fiel wegen mangelnder Geschenke äußerst knapp aus.
Dafür saßen sie alle zusammen gemütlich im Ehebett. Und Silke stellte fest, dass das „perfekte Fest“ mehr ist als ein abgearbeiteter Plan! Denn sie genossen nun, was zu Weihnachten am wichtigsten ist: das Füreinander und Miteinander. Die Zeit, die Weihnachtsgeschichte zu hören, über das Wunder von Jesu Geburt zu staunen und darüber zu sprechen. Strahlend sangen sie gemeinsam Weihnachtslieder mit vielen, vielen Strophen.
Gerade in den Tagen vor Weihnachten will ich mich an Silkes Geschichte erinnern. Immer dann, wenn ich mittendrin stecke in meinem oftmals selbst gemachten Stress. Ich möchte meinen Anspruch auf Perfektion loslassen, meine Ungeduld zügeln und unnötigen Streit in der Familie vermeiden. Dabei bedenke ich auch den eigentlichen Grund, weshalb diese Tage etwas Besonderes sind. Nach Gottes perfektem Plan schickte er Jesus in unsere Welt (wenngleich Maria und Josef vielleicht einen anderen Zeitpunkt vorgezogen hätten). Gott befreite uns durch sein Geschenk von unserer Schuld – auch von unseren selbst auferlegten Zwängen. Darum kann ich mir meine Fehler und die der anderen vergeben.
Und: Während wir Menschen fehlerhaft sind, ist Gottes Geschenk an uns – Jesus Christus – absolut perfekt. Dieser wird es auch sein, der uns „perfekt macht“ für die Ewigkeit. Deshalb ist jedes Weihnachten ein Dankesfest für Gottes perfektes Geschenk – mit oder ohne perfekten Tannenbaum oder Festmenü.
Mariana hob zwei Kisten mit selbst gefertigter Holzdekoration aus dem Kofferraum, stellte sie auf den vom Schnee befreiten Gehweg und verschloss den Wagen. Neugierig sah sie sich um. Wie immer um diese Jahreszeit war das Gemeindehaus mit Tannengrün und großen roten Schleifen geschmückt. Der Schneefall der vergangenen Nacht hatte eine weiße Schicht – Puderzucker gleich – auf die grünen Girlanden gelegt. Das war hübsch anzusehen, und obwohl es Mariana inzwischen kalt war, nahm sie sich die Zeit, den Anblick zu bewundern – immerhin war Schnee in diesem Landstrich eine Seltenheit.
Schließlich bückte sie sich und hob die erste Kiste hoch. Dabei wehte ihr der Duft von Holz und Bienenwachs entgegen. Um nicht auszugleiten oder die zerbrechlichen Teile ihrer Werkstücke zu beschädigen, ging sie ganz vorsichtig die Stufen zum Eingang hoch. Während alle anderen Aussteller bereits am Vortag ihre Stände für den Adventsmarkt bestückt hatten, erledigte sie dies – wie in jedem Jahr – erst am eigentlichen Öffnungstag.
In dieser Ortschaft fand der Adventsbasar stets im großen Saal des Gemeindehauses statt. Mariana erzählte gern, dass es sich hier vermutlich um den wärmsten Advents- und Weihnachtsmarkt schlechthin handele. Dennoch hatte sich nie jemand bereit erklärt, sie zu begleiten und ihr zu helfen. Als Krankenschwester im Schichtdienst hatte sie auch nicht viele Freunde – ihr Lebensrhythmus sah einfach völlig anders aus als bei den meisten Gleichaltrigen. Ihre Zurückhaltung, ja, Schüchternheit, tat das Übrige.
Schwer atmend, weil die Holzdeko ein ordentliches Gewicht auf die Waage brachte, stellte Mariana die Kiste vor der gläsernen Eingangstür ab und drückte die Klinke herunter. Nichts geschah. Erstaunt schaute sie ins Atrium des Gemeindehauses und stellte fest, dass dort gar kein Licht brannte. Noch einmal drückte sie die Klinke und rüttelte sogar daran, doch das Ergebnis blieb dasselbe: Sie stand vor verschlossener Tür.
Hatte man etwa vergessen, dass sie an diesem Morgen vorbeikommen wollte? Leicht überfordert, da sie ohnehin spät dran war und auch gleich wieder wegmusste, strich sie sich mit der Hand durch die kurzen schwarzen Locken. Wie sollte sie jetzt auf die Schnelle an einen Schlüssel kommen? Sie gehörte nicht zu dieser Gemeinde und hatte demnach keine Ahnung, an wen sie sich wenden musste.
Unangenehm berührt von der Situation zog sie ihr Smartphone aus der Jackentasche und scrollte durch die E-Mails, bis sie jene von der Veranstalterin des Adventsbasars fand. Mit einem Anflug von Panik stellte Mariana fest, dass in dieser weder eine Telefonnummer noch eine Adresse stand. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als mit klammen Fingern eine kurze Nachricht zu schreiben mit der Frage, ob ihr wohl jemand die Tür aufschließen könnte.
Mariana steckte das Telefon wieder weg und betrachtete die Kiste zu ihren Füßen. Sie hatte keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis sie eine Antwort bekam. Deshalb nahm sie die Holzkiste erneut hoch, trug sie zurück zum Auto und lud diese und die andere, die noch auf dem Gehsteig stand, wieder in den Kofferraum. Dann setzte sie sich hinters Steuer und wartete. Immer wieder überprüfte sie ihr Mailpostfach, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten, und zunehmend wurde ihr kälter – immerhin lag die Außentemperatur um den Gefrierpunkt.
Ein Anflug von Panik bemächtigte sich ihrer, zumal ihr die Zeit davonlief. Irgendwann ließ sie den Wagen an und drehte die Heizung hoch. Sie fuhr durch die Straßen des Wohngebiets und orientierte sich dabei am Kirchturm, dem höchsten Gebäude in der unmittelbaren Nähe. So fand sie zur Kirche, parkte dort und stieg aus. Mit klopfendem Herzen begab sie sich zu dem Haus, das sie für das dazugehörige Pfarrhaus hielt. Da es ihr unangenehm war, jemanden auf ihr Problem ansprechen zu müssen, legte sie sich sorgfältig die Worte zurecht, ehe sie läutete. Eine ältere Frau öffnete ihr. Freundlich wies sie Mariana darauf hin, dass das Gemeindehaus, in dem der Adventsmarkt stattfand, zu einer anderen Kirchengemeinde gehörte.
Mariana entschuldigte sich für die Störung und presste dann fest die Lippen zusammen. Die ganze Angelegenheit war ihr schrecklich peinlich. Das hatte sie nun davon, dass sie sich so schwer damit tat, sich mit ihren Mitmenschen zu unterhalten. Ansonsten hätte sie sicher gewusst, welche Gemeinde den Basar veranstaltete. Im Krankenhaus verhielt Mariana sich völlig anders. Immerhin waren die Patienten auf ihre Unterstützung angewiesen und für ihre Hilfe dankbar. Dort war sie in ihrem Element und hatte kein Problem dabei, sich zu äußern. Doch außerhalb …
Die Frau war so freundlich, ihr den Weg zur anderen Kirche zu beschreiben. Erneut erhöhte sich Marianas Pulsschlag, als sie wenig später am nächsten Pfarramt klingelte – was jedoch vergeblich war. Offenbar war weder der Pfarrer noch dessen Familie oder die Pfarramtssekretärin anwesend.
Inzwischen war Mariana ziemlich gehetzt und warf wieder einen Blick auf die Uhr. Ihr blieb nur noch eine halbe Stunde, ehe sie zu einer Schulung in der Klinik sein musste. Sollte dies wirklich das erste Mal seit fünf Jahren sein, dass sie diesen wunderbaren, gut besuchten und sehr gemütlichen Adventsmarkt verpasste? Dabei hatte sie wunderschöne neue Werkstücke aus Holz und anderen Naturmaterialien hergestellt, die sicher reißenden Absatz finden würden. Am traurigsten machte sie jedoch der Gedanke, dass sie den Gewinn nicht wie üblich ihrem Patenkind im ostafrikanischen Malawi zugutekommen lassen konnte.
Betrübt schüttelte sie den Kopf, hastete zu ihrem Wagen und fuhr wieder los. Auf dem Weg in Richtung Hauptstraße, die sie in die Nachbarstadt zur Klinik nehmen musste, kam sie noch einmal am Gemeindehaus vorbei. Mit einem Seitenblick stellte sie fest, dass das Atrium nun in Licht getaucht war. Sie zögerte einen Moment und wog ab, ob es Sinn ergab, ihre Kisten einfach hineinzutragen, abzustellen und dann zu gehen. Ob es möglich war, ihre Werkstücke erst auszupacken, wenn der Markt bereits geöffnet hatte? Beim Gedanken an das Patenkind beschloss sie, dass es sich lohnen würde, auf diese etwas unangenehme Art aufzufallen. Also suchte sie eine Parklücke, stieg aus und eilte die Stufen hinauf. Eher zögerlich drückte sie die Klinke, doch diesmal ging die Tür auf! Leise Musik schallte ihr entgegen, und als sie die Melodie erkannte, brach sie in heiteres Lachen aus.
Macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Wie passend!
Durch ihr Gelächter angelockt, kam eine Frau aus der großen Halle ins Atrium. „Ich bin Anne. Du bist sicher Mariana?“, wollte die etwa Gleichaltrige wissen.
Mariana bejahte und wurde förmlich mit Worten überschüttet, die eine Entschuldigung enthielten. Anne erklärte ihr, dass sie sich leider verspätet habe, doch dafür bot sie nun ihre tatkräftige Hilfe an. Gemeinsam schleppten sie die schweren Kisten die Stufen hinauf und in den Raum mit den festlich dekorierten Holzständen, die alle bis auf einen bereits mit allerlei Auslagen bestückt waren.
Da Mariana keine Zeit mehr blieb, um ihre Werkstücke auf der Verkaufsfläche zu arrangieren, versprach Anne, das für sie zu erledigen.
Als Mariana nach der Schulung zurück ins Gemeindehaus kam, schlugen ihr ein Stimmenpotpourri und der Duft von gebrannten Mandeln, Punsch und Gewürzen entgegen. In den Gängen zwischen den Verkaufsständen drängten sich bereits eine Menge Menschen, die sich unterhielten, das Beisammensein genossen, den angebotenen Leckereien zusprachen und fleißig Weihnachtsgeschenke einkauften.
Mariana schob sich in Richtung ihres Marktstandes und grüßte die Aussteller links und rechts von ihr. Vor ihrem eigenen Stand blieb sie verblüfft stehen. Obwohl sie eine Gabe dafür hatte, bezaubernde Dekorationsgegenstände herzustellen, war es ihr noch nie gelungen, diese so ansprechend zu arrangieren wie Anne. Außerdem stand diese hinter der Kasse und war bereits fleißig dabei, die Dekorationsstücke zu verkaufen.
Mariana verharrte und lächelte in sich hinein. Die aufwühlende Unsicherheit über das Missgeschick war verflogen. Was sie die ganze Zeit während der Schulung beschäftigt und ziemlich mitgenommen hatte, hatte sich zu etwas wirklich Gutem gewandelt. Denn zum ersten Mal in all den Jahren hatte sie heute Hilfe beim Tragen der schweren Gegenstände und beim Aufbau gehabt. Zudem war ihr Stand wunderschön anzusehen. Und vielleicht hatte sie sogar eine neue Freundin gefunden!
Nachdenklich rieb sie sich den verspannten Nacken. Womöglich war es weit hergeholt, überlegte sie, aber sie hatte den Eindruck, dass sich das, was sie am Morgen in der Bibel gelesen hatte, in ihrem Herzen so richtig festsetzen sollte: Vor verschlossener Tür zu stehen, ergab keinen Sinn. Es war traurig, herausfordernd, frustrierend. Wie schrecklich musste es erst sein, vor der Himmelstür zu stehen und nicht eingelassen zu werden? Jesus hatte gesagt, dass er die Tür sei. Eine Tür, die einladend weit offen stand. Und dahinter würde garantiert noch größere Freude herrschen als hier auf diesem Adventsbasar. Dazu Wärme, Heiterkeit, Glück, Wohlduftendes, Wunderschönes …
Mariana jedenfalls war neu bewusst geworden, wie wichtig und wunderbar zugleich es war, durch diese Tür zu gehen.
Gegen das Licht der Deckenlampe und in ihrer weißen Arbeitskleidung wirkte ihre Pflegerin wie ein Engel. Sie war zwar nicht ganz so pausbackig wie die Putten, die auf alten Postkarten abgebildet waren, doch eine gewisse Ähnlichkeit ließ sich nicht verleugnen. Schwester Christina war jedoch sichtlich in Eile. Zwar stopfte sie ihr, wie immer, die schwere Bettdecke um ihre kalten Füße fest und zog das Bettgitter nicht schnell und laut nach oben, sondern bewusst langsam und leise, doch mit ihren Gedanken schien sie weit fort zu sein.