Das Diktat des Hashtags - Andreas Bernard - E-Book

Das Diktat des Hashtags E-Book

Andreas Bernard

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Beschreibung

Öffentliche Debatten werden heutzutage per Hashtag geführt. Mit seiner Hilfe werden die Beiträge gebündelt und zugeordnet: Alles muss sich auf ein gemeinsames Schlagwort konzentrieren. Dieses Prinzip sorgt für eine stärkere Sichtbarkeit und Orientierung kollektiver Argumente, hat aber auch eine riskante und manchmal fragwürdige Konsequenz. Denn der Hashtag verstärkt formal genau das, was inhaltlich kritisiert wird: Differenzen verschwimmen und Unterschiedliches wird zu Gleichem. Zuletzt hat die #MeToo-Debatte dieses Problem sichtbar gemacht. In seiner pointierten Darstellung zeichnet Andreas Bernard die steile Karriere des Hashtags nach und zeigt überzeugend, wie unsere aktuellen Debatten durch ein Prinzip strukturiert werden, das so beiläufig wie mächtig geworden ist. Wer unsere öffentliche Diskussionskultur verstehen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei.

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Seitenzahl: 76

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Andreas Bernard

Das Diktat des Hashtags

Über ein Prinzip der aktuellen Debattenbildung

FISCHER E-Books

Inhalt

1 Chiffre der Gegenwart2 Der Hashtag und die Streuung von Aussagen3 # – Biographie eines Zeichens4 Wo war das Schlagwort vor dem Hashtag?5 Schauplätze des Hashtags I: Politischer Aktivismus6 Schauplätze des Hashtags II: Marketing7 Ermächtigung und NivellierungVerwendete Literatur

1Chiffre der Gegenwart

Der Siegeszug der Sozialen Netzwerke ist in den letzten zehn Jahren auch ein Siegeszug des Schlagworts gewesen. Seitdem Twitter ab 2007 und Instagram ab 2010 den »Hashtag« eingeführt haben, charakterisiert eine Form der Organisation von Aussagen und Dokumenten die alltägliche Mediennutzung, die noch vor kurzer Zeit auf hochspezialisierte Berufsfelder und Personenkreise beschränkt war. Wo hat der Gebrauch von »Schlagwörtern« vor einem Vierteljahrhundert eine Rolle gespielt? In den Sinn kommen die Bibliotheks- und Archivwissenschaften, die sich seit dem frühen 20. Jahrhundert darum bemüht haben, durch immer strenger standardisierte »Schlagwortkataloge« die Auffindbarkeit von Dokumenten zu erleichtern. Ein anderer Einsatzort ist die »historische Schlagwortforschung«, eine sprachwissenschaftliche Teildisziplin, der es um die Analyse der prägenden Ausdrücke einer Epoche oder einer politischen Bewegung geht. Beide Schauplätze sind jedoch akademische Randgebiete, und es lässt sich ohne Zweifel sagen, dass der Kategorie des »Schlagworts« in der öffentlichen Wahrnehmung bis an die Wende zum 21. Jahrhundert eine eher unscheinbare Position zukam. Die Etablierung des Hashtags hat dieses Nischenelement in rasantem Tempo ins Zentrum gegenwärtiger Medienrealität gerückt. Jede Twitter-Timeline, jeder Instagram-Beitrag legt heute Zeugnis von der kollektiven Verschlagwortung der Welt ab, die in den Sozialen Netzwerken von allen Nutzern betrieben werden kann, als ein schöpferischer Akt, ohne die Einschränkung vorinstallierter Standards oder hierarchisch gestaffelter Zugangsweisen.

In den frühen Jahren des »World Wide Web« vollzog sich die Verknüpfung von Dokumenten allein über das System der »Hyperlinks«. Vorab markierte Wörter oder Passagen eines Textes führen durch Anklicken bekanntlich auf eine andere Website oder an eine andere Stelle der gerade aufgerufenen Seite. Der Übergang vom »Link« zum »Hashtag« als bestimmendem Vernetzungsprinzip stellt in vielerlei Hinsicht eine Zäsur für die digitale Organisation von Aussagen dar. Er steht zum einen für die Möglichkeit jedes Internet-Nutzers, eigenmächtig und ohne Programmierwissen Verknüpfungen zu schaffen, und repräsentiert daher den vielbeschworenen Eintritt in die »soziale«, partizipative Ära des Netzes. Zum anderen wird der Vorgang der Verknüpfung durch den Hashtag erstmals mit einem eigenen typographischen Element versehen. Das vorangestellte Zeichen # – im britischen Englisch »hash« genannt, im amerikanischen Englisch »number sign« oder »pound sign«, im Deutschen »Rautezeichen« oder »Doppelkreuz« – verwandelt Wörter in vernetzte Schlagwörter. Die Raute und die unmittelbar anschließende Buchstabenfolge haben also zwei Funktionen: Sie sind sowohl Bestandteil des sichtbaren Tweets oder Instagram-Beitrags als auch Auslöser der unsichtbaren Prozedur der Vernetzung.

Linguistisch gesprochen steht der Hashtag damit auf der Schwelle zwischen Text und Metatext und stülpt zuvor verborgene Schritte der Katalogisierung und Verschlagwortung nach außen. Als ein solches Bindeglied von Alltagskommunikation und Computercode ist er zur populärsten Chiffre der Gegenwart geworden, deren Wirkungskraft sich am deutlichsten daran ablesen lässt, dass die Raute inzwischen auch abseits der Bildschirme und Displays ständig auftaucht. Das Zeichen # ist auf Titeln neu erscheinender Romane zu sehen und auf bedruckten T-Shirts, auf Transparenten politischer Demonstrationen, graffitiverzierten Wänden und Werbeplakaten am Straßenrand. In einer Welt aus Stein, Papier und Wolle kann der Hashtag nicht angeklickt werden, kann nichts vernetzen, aber er formuliert inzwischen auch auf diesen Materialien ein Versprechen – das Versprechen, wahrgenommen zu werden, Gehör zu finden, Interessen zu bündeln. Das # ist also längst kein rein funktionales Sonderzeichen mehr, sondern ein verheißungsvolles gesellschaftliches Symbol. Es steht für die Erzeugung und Anhäufung öffentlicher Aufmerksamkeit.

So tief ist der Hashtag in der heutigen Medienrealität implementiert, dass man leicht übersieht, welche elementaren Auswirkungen er innerhalb weniger Jahre auf die Ordnung von Aussagen, auf die Gestaltungsprinzipien von Debatten gehabt hat. Diese Lücke versucht der folgende Essay zu schließen, der sich für die Herkunft und die vielfältigen sozialen Effekte des Hashtags (und des Zeichens # im Allgemeinen) interessiert. Theodor W. Adorno begann seinen berühmten Aufsatz zur Typographie 1956 mit den Worten: »Je weniger die Satzzeichen, isoliert genommen, Bedeutung oder Ausdruck tragen, […] desto entschiedener gewinnt ein jegliches unter ihnen seinen physiognomischen Stellenwert.«[1] Ein gutes halbes Jahrhundert später soll das Augenmerk dem »physiognomischen Stellenwert« des Hashtags in der digitalen Kultur gelten, der Überlegung, inwiefern dieses Zeichen etwa den Gebrauch von Sprache oder die Entstehung von Kollektiven beeinflusst.

 

Gegenstand dieses Essays ist die erstaunliche Karriere des Zeichens # in der Mediengeschichte; er untersucht zudem die Frage, wo das »Schlagwort« vor dem Hashtag war, beschäftigt sich mit den prominentesten Einsatzgebieten des Zeichens im vergangenen Jahrzehnt (dem politischen Aktivismus und dem Marketing) und schließlich mit der Prägung gesellschaftspolitischer Bewegungen durch den Hashtag. Denn dieser letzte Aspekt war es, der zu Beginn des Jahres 2018 den Impuls zu den folgenden Überlegungen gab. Unter dem Namen »#MeToo« ist eine weltweit geführte, epochemachende Debatte über sexuelle Gewalt entstanden, die auch in Deutschland über viele Monate hinweg täglich Hunderte von Tweets und Dutzende von Artikeln in Zeitungen, Online-Portalen und Blogs hervorgebracht hat. Die inhaltlichen Positionen und Legitimationen dieser Debatte sind in allen Facetten diskutiert worden; der Ausdruck »#MeToo« ist inzwischen eine geläufige Wendung und wird etwa im Inhaltsverzeichnis von Nachrichtenmagazinen als selbsterklärender Rubrikenname verwendet.[2] Was bislang jedoch so gut wie nie zur Sprache kam, ist die Frage, inwiefern die medialen und sprachlichen Umstände dieser Debatte die inhaltlichen Verläufe mitgeprägt haben, inwiefern zum Beispiel die wiederkehrenden Missverständnisse und Konflikte zwischen den Beiträgerinnen und Beiträgern angesichts der Eingrenzung dessen, was »Belästigung« oder »Missbrauch« heißt, auf die spezifische Organisation der Aussagen durch den Hashtag zurückweisen. Denn wenn die unterschiedlichen und vielfältigen Stimmen, die ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt teilen, dies allesamt unter dem gleichen, identitätsstiftenden Schlagwort tun – »#MeToo« –, verstärken die Rahmenbedingungen womöglich genau jene Homogenisierungs- und Nivellierungstendenzen, die in der Debatte dann inhaltlich kritisiert werden.

Das »Diktat des Hashtags«, das für die Bildung von Öffentlichkeit seit einigen Jahren zu gelten scheint, bündelt Statements und formt Kollektive. Gleichzeitig schleift es Differenzen ab und arbeitet am Verschwinden des Nicht-Rubrizierbaren. Dieser Essay versucht der Macht eines Zeichens, das vor kurzem noch eine mysteriöse Taste auf Schreibmaschinen und Telefongeräten war, auf die Spur zu kommen.

2Der Hashtag und die Streuung von Aussagen

Die Geschichte des Hashtags beginnt nach allgemeiner Auffassung mit einem Twitter-Beitrag vom 23. August 2007. An diesem Tag stellt der kalifornische Netzaktivist und Produktdesigner Chris Messina seinen Followern die Frage, was sie davon halten würden, künftig das Doppelkreuz zu benutzen, um Themengruppen auf Twitter zu markieren: »how do you feel about using # (pound) for groups. As in #barcamp«[3] Das Beispiel, das er anfügt – der, wenn man so will, erste jemals gebrauchte Twitter-Hashtag – weist auf das Milieu, in dem diese Idee entstanden ist; das offene Konferenzformat der »Barcamps«, 2005 von Messina mitbegründet, zeichnet sich gerade durch nichthierarchische Abläufe und Echtzeit-Berichterstattung in Sozialen Netzwerken aus. Die Anregung einer neuen Organisationsform von Beiträgen auf Twitter soll also genau die Kommunikationspraxis der »Barcamps« unterstützen.

In seinem Blog »Factory Joe« präzisiert Chris Messina zwei Tage später, was die Beweggründe für diesen Vorschlag waren. Er betont den »Vorzug«, den es mit sich bringen würde, »auf Twitter die Kontextualisierung der Beiträge, das Filtern von Inhalten und auch die Möglichkeit von Zufallsentdeckungen zu verbessern«; das neue Zeichen soll also, wie es zwei frühe Theoretiker des Hashtags nennen, die Funktion eines »Koordinationsmechanismus«[4] übernehmen. Heute firmiert Chris Messina sowohl in zahllosen Abrissen zur Geschichte digitaler Kultur als auch in den Selbstauskünften seiner Social-Media-Profile und Websites als »Erfinder des Hashtags«, obwohl diese klare Zuweisung weder im Hinblick auf die Sache noch auf das Wort vollständig zutrifft. Messina bezeichnet das Doppelkreuz mit dem angehängten Schlagwort 2007 zunächst als »channel«, »Kanal«; sein Blogeintrag vom 25. August trägt den Untertitel »A Proposal for Twitter Tag Channels«. Die Bezeichnung »Hash Tag« für das neue Organisationselement (anfangs noch in zwei separaten Worten) schlägt kurze Zeit später der Informatiker Stowe Boyd vor, dem das Zeichen #, in seinem Arbeitsumfeld zumeist »hash« genannt, aus der Computersprache C vertraut ist: »Der Name«, so Boyd rückblickend, »kam also letztendlich aus dem Umfeld der Programmierer«.[5]

So wie seine Bezeichnung prägt sich auch die Funktion des Hashtags in der vielstimmigen Arbeit eines »Denkkollektivs« heraus, um mit dem Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck zu sprechen. Ein Jahr nach der Markteinführung von Twitter beschäftigen sich im Sommer 2007 verschiedene Netzaktivisten und auch das Unternehmen selbst mit der Frage, wie sich die immer größer werdende, unstrukturierte Masse von Beiträgen besser kanalisieren ließe. Am 21. August 2007, zwei Tage vor dem historisch gewordenen Vorschlag Chris Messinas, setzt etwa ein Mitarbeiter von Mozilla-Firefox aus Michigan, ein Mann namens Les Orchard, den lakonischen Tweet »Twitter needs Tags« ab. Er erhält dafür bis heute ein einziges Like. Auch Orchard stellt seine Idee in einem Blogeintrag einen Tag später, am 22. August, ausführlich vor, ganz ohne den Effekt, den die zeitgleichen Überlegungen des im Epizentrum der digitalen Kultur verorteten Messina hervorrufen.[6]