Das Dorf steht still und schweiget - Elke Hilsen - E-Book

Das Dorf steht still und schweiget E-Book

Elke Hilsen

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Beschreibung

Untertriblingsbach. Ela Lehmann führt ein ganz normales Leben zwischen Haushalt und Garten. Bis zu dem Tag, an dem sie auf eine seltsame Gestalt trifft, die behauptet, unsichtbar zu sein. Einige Tage später stirbt einer der Altbauern aus ihrem Dorf, zerlegt von seinem eigenen Feldhäcksler - eine furchtbare Sauerei. War es ein Unfall oder Mord? Die Kriminalpolizei sieht sich mit einer auskunftsscheuen Dorfgemeinschaft konfrontiert. Aber nach und nach finden die Beamten einiges über die Bewohner heraus. Bauer Hubertus Huber entsorgt Giftmüll in seinen Wäldern. In einem der Gärten wird Hanf angebaut. Elas Gatte, ein wenig brillanter, allerdings von sich sehr überzeugter Professor, entdeckt radioaktive Strahlung in seinem Büro. Und bald gibt es weitere Tote.

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Diese Geschichte beruht auf wahren Gegebenheiten. Aus Rücksicht auf die Beteiligten wurden alle Namen von Personen und Orten geändert.

Inhaltsverzeichnis

PERSONEN

11. SEPTEMBER 2021

12. SEPTEMBER 2022

13. SEPTEMBER 2022

14. SEPTEMBER 2022

15. SEPTEMBER 2022

20. SEPTEMBER 2022

21. SEPTEMBER 2022

22. SEPTEMBER 2022

23. SEPTEMBER 2022

24. SEPTEMBER 2022

25. SEPTEMBER 2022

26. SEPTEMBER 2022

27. SEPTEMBER 2022

28. SEPTEMBER 2022

29. SEPTEMBER 2022

30. SEPTEMBER 2022

1. OKTOBER 2022

2. OKTOBER 2022

3. OKTOBER 2022

4. OKTOBER 2022

8. OKTOBER 2022

9. OKTOBER 2022

10. OKTOBER 2022

11. OKTOBER 2022

12. OKTOBER 2022

13. OKTOBER 2022

14. OKTOBER 2022

15. OKTOBER 2022

16. OKTOBER 2022

17. OKTOBER 2022

18. OKTOBER 2022

19. OKTOBER 2022

20. OKTOBER 2022

21. OKTOBER 2022

22. OKTOBER 2022

NACHWORT

PERSONEN

Untertriblingsbach

Bachmann, Familie mit zwei Söhnen, Felix und Jonas

Bäcker, Heiner

Brunnthaler, Ottokar und Irmhild, geb. Dellwig (Cousine von Resi, Hannelore, Dieter); Kinder: Sepp, (Ehefrau Liesl, Sohn Tobias), Werner

Dellwig, Dieter und Magdalena, Kinder: Klaus, Konrad;

Klaus’ Tochter: Sonja; Dieters Schwestern: Hannelore Huber, Resi Unterbacher; Dieters Cousine: Irmhild Brunnthaler

Gläser, August, Cousin von Heinrich

Gläser, Heinrich, Sohn Leo, Schwiegertochter Matilde; Cousin von August; mit Hund

Huber, Hubertus (Sohn von Joseph und Hannelore) und Anneliese; Kinder: Simon, Emmi; Bruder: Hermann

Huber, Hannelore, geb. Dellwig, Witwe von Joseph†; Kinder: Hermann, Hubertus; Josephs Schwestern: Rosa Meier, Edwina Schaibing; Hannelores Geschwister: Dieter Dellwig, Resi Unterbacher; Hannelores Cousine: Irmhild Brunnthaler

Lehmann, Ela und Martin, Professor, zwei Kinder

Lindinger, Edith

Maler, Kurt; mit Hund

Matetus, Alien von Plugismon

Meier, Carola, vier Kinder, u.a. Leonie; Schwiegermutter: Oma (Rosa) Meier; mit Hund Goofy

Meier, Rosa, geb. Huber (Oma von Leonie; Schwester von Joseph Huber und Edwina Schaibing)

Moser, Hedwig, Witwe von Karl-Heinz†, Schwiegertochter von Karli†, Haushälterin von Pfarrer

Paulsen, Gustav, Veterinär

Riemer, Margot, Kinder: Lilly und eine Dreijährige

Schaibing, Wilhelm und Edwina, geb. Huber (Schwester von Joseph Huber und Rosa Meier); Schwiegertochter Gesine; mit Hund

Schwammberger, Alfons; mit Hund Emil

Sokolososowski, Zszislaw, Pfarrer

Unterbacher, Resi (Theresa), geb. Dellwig, Witwe von Max†, Schmied; Kinder: Katharina, Gerhard Enkelkinder: u.a. Steffi; Schwester von Dieter und Hannelore, Cousine von Irmhild

KALMENSBURG

Kommissariat:

Gercke, EKHK

Kretschmüller-Krillichmüller, Karin, Dr. Dr., Rechtsmedizinerin

Matthiesen, Forensiker

Nürnberg, Lieselotte, Dr., zweite Rechtsmedizinerin

Obermayer, Suszanne, Archiv

Pennemayer, KHK

Schneider, Kevin, Praktikant

Schulze, Linus, Praktikant

Winkler, Johannes, KOK

Staatsanwältin

Universität (Auswahl):

Gruber, Gertrud, Sekretärin

Herr O., wissenschaftlicher Mitarbeiter

11. SEPTEMBER 2021

Nordkorea schickte im September 2021 testweise eine neue Hyperschall-Rakete, die mit Atomwaffen bestückt war, um den Orbit. Aufgrund unplanmäßiger Vibrationen entstanden Faserrisse in der Testhülle. Einige Partikel der Ladung lösten sich und verteilten sich in der Atmosphäre. Der Hochgeschwindigkeitsgleitkörper flog mit atemberaubender Schnelligkeit bei niedriger Umlaufbahn u.a. auch über Westeuropa, genauer, über Deutschland, und passierte dabei das Dorf Untertriblingsbach. Mikroskopisch kleine Bestandteile der atomaren Ladung rieselten auf einem kleinen Friedhof nieder, wo sie sich mit dem Mäuseabschreckmittel Karbid vermengten. Der Flugkörper landete 90 Kilometer nördlich des berechneten Einschlagbereichs im Meer, ohne dass jemand das Fehlen von einigen Milligramm radioaktiven Materials bemerkt hätte.

12. SEPTEMBER 2022

Ein Jahr später.

Ein Hauch von Schwein durchzog das Dorf, denn entgegen allen Vorgaben kam es durchaus vor, dass auch Dorfwiesen in den Genuss von wertvollem Biodünger kamen. In der Wohnung der Familie Meier ging es wie immer hektisch zu. Gerade war Baby Melanie eingeschlafen, die drei älteren, vier, acht und zwölf Jahre alt, gaben sich ihrer Hauptbeschäftigung hin, einer phantasievollen Komposition aus Spiel und Streit. Oma Meier las laut aus der Zeitung vor. Der Schäferhund-Schnauzer Goofy kam von seiner Bummeltour durchs Dorf heim und machte akustisch klar, bemerkt werden zu wollen.

– Igitt, aus, aus! –

Ein antiquarischer Knochen hing zwischen den Lefzen mit verdächtigen Fragmenten organischer Natur, dem Geruch nach zu urteilen. Carola Meier schaffte es nicht immer, mit dem Tier spazieren zu gehen. Stattdessen hatten sie sich daran gewöhnt, dass Goofy ab und an allein durch das Dorf lief. Manchmal nahm Tochter Leonie ihn auch bei ihren Ausflügen mit Freundin Lilly mit. Die beiden Zwölfjährigen faszinierte besonders der Garten, der um die alte Schmiede angelegt war, aber auch die Gerümpelecken, die sich auf allen vier Bauernhöfen des Dorfes zwangsweise anhäuften. Manchmal konnte man zwischen den alten Kisten, Brettern, Reifen, zerbrochenen Möbeln und Autowracks eine kleine Höhle bauen, sie durften sich bloß nicht erwischen lassen.

Goofy war ein großer, struppiger, gutmütiger Hund. Alle mochten ihn und versorgten ihn gern mit Streicheleinheiten. Wenn er von seiner Runde zu schmutzig zurückkam, wurde er gesäubert. Dafür lag an der Haustür immer ein altes Handtuch parat. Das mochte Goofy weniger, weshalb er es vorzog, sich ersatzweise durch den Garten ins Haus zu mogeln, wenn das ging. Heute hatte er wieder einmal die Reinigungsprozedur geschickt umgangen und war im Wohnzimmer aufgetaucht. Und er stank. Nach Schweinemist.

Ela Lehmann saugte hingebungsvoll hinter dem riesigen Flachbildschirm, einem Lieblingsbaby ihres Mannes Martin, da erblickte sie an der Terrasse einen neuen Erdhaufen im Beet. Na warte, dachte sie, nahm ihre Jacke und ging durch die Terrassentür nach draußen, wo sie sich ihre Gartenschuhe anzog und schnell die Schaufel holte. Beflissen machte sie sich daran, den Hügel zu plätten in der Hoffnung, die Verursacher zu verjagen, als ihr Rachen wieder zu kratzen begann. Sie hielt inne, eine Hand am Hals. Wenn das mal nicht eine Erkältung wird. Sie räusperte sich.

– Eh – hh. –

–?? –

– Eh – hhhhh. –

Aber das kam nicht von ihr. Sie sah sich um. Hinten in der Ecke vibrierte leicht die Luft, dann materialisierte sich langsam ein seltsamer Haufen grau schmutziger Lumpen. Der Haufen bewegte sich. Der Haufen räusperte sich.

– Dieses Scheiß Coronavirus. –

Das war der Haufen, der sich wieder bewegte und sich zu einer Gestalt formierte, die nicht gerade unter ästhetisch laufen dürfte. Davon abgesehen, dass Ela wegen der Kinder im Dorf einiges gewöhnt war an Halloween-Verkleidungen, war sie über diesen Gast in ihrem Garten doch etwas sehr erstaunt. Knubbelige Gesichtszüge, knubbelige Finger, knubbelig alles und farblich in Richtung lila, blau changierend, die lockigen Haare pechschwarz. Dazu wunderbare Hundeaugen.

Steckte einer der Nachbarjungen in dieser auffälligen Verkleidung?

– He, was hast du hier zu suchen? –

Der Haufen erstarrte reaktionslos.

– Hör mal, ich rede mit dir. –

Ela ging näher zu dem Haufen hin. Der klang jetzt nach Panik.

– Wieso siehst du mich wieso siehst du mich? –

– Wieso nicht? –

– Weil du mich nicht sehen kannst. Und auch nicht hören. –

– Ach was? Ich sehr dich sehr gut, so alt bin ich noch nicht. –

Also so etwas!

– Verschwinde sofort, und zieh diese blöde Maske ab, wenn ich das deiner Mutter erzähle. –

– Welche Mutter und welche Maske? –

So langsam begann sich Ela noch etwas mehr zu wundern, als sie sich die Hände näher besah. Sechs Finger. Zweimal.

Zufrieden lehnte sich Prof. Lehmann in seinem Schreibtischsessel zurück. Ein weiteres Kapitel seiner Abhandlung über die Zimmbern war fertig. Sie stammten ursprünglich aus Bayern und Nordtirol und siedelten sich im Hochmittelalter in Norditalien an, wo sie ein eigenes italiano regionale ausbildeten, so dass sich eine Substratsituation entwickeln konnte, trotz allem aber, so Lehmann, läge Polymorphismus vor. Eine geniale These, wie er fand, auch wenn Prof. Neumann aus Hamburg das anders sah. Bisher hatte es aber noch niemand gewagt, diese Herleitung offen zu formulieren.

Lehmann hoffte, nun endlich mit dieser so einmaligen Idee ein Buch in einem vernünftigen Verlag zu veröffentlichen. Seine Kollegen erledigten das üblicherweise in Form ihrer Dissertation. Aber zu einem Doktortitel hatte es bei ihm nie gereicht. Glücklicherweise wurde in den achtziger Jahren diese Universität aus dem Boden gestampft, weil aufgrund der vielen Schüler und des Lehrermangels Bedarf am Ausbau der Lehrämter herrschte. Da es nur um die Ausbildung zukünftiger Lehrer ging und so schnell wie möglich so viele Fächer wie möglich bedient werden mussten und weil es außerdem nicht genügend promovierte Fachkräfte gab, stellte die Universität auch den einen oder anderen Gymnasiallehrer (und Hauptschullehrer) ein, wegen der didaktischen Expertise. So übersprang Lehmann einfach die Dissertationsphase und wurde gleich Geschichtsprofessor an der nahen gelegenen Universität Kalmensburg.

Martin Lehmann war eine blendende Erscheinung. Mit 1,85 überragte er die meisten Kollegen, dazu war er immer perfekt gekleidet. Heute trug er einen mitternachtsblauen Anzug, darunter ein damastweißes Hemd und eine Krawatte in bleu aus reiner Seide. Die Manschettenknöpfe glänzten golden. Socken und Schuhe harmonierten stets mit der restlichen Kleidung, dafür sorgte seine Frau Ela, die ihm alles morgens zurechtlegte. Ein kurzer Blick in den Spiegel, die Krawatte saß, das Haar, klassisch elegant, noch immer voll trotz seiner sechzig Jahre und regelmäßig dezent blondiert, ebenfalls. Schnell die Lippen angefeuchtet, die Augenbrauen glattgestrichen. Eine Gabe des Eau de Cologne, einen Flacon trug er stets bei sich. Zufrieden auch hier verließ Prof. Lehmann sein Büro und begab sich in den Vorlesungssaal.

Ela, eigentlich Maria Eleonora Lehmann, war in den Fünfzigern. Sie hatte eine normale Statur, also leicht dicklich, normale, mausblonde Haare und war hauptamtlich als Hausfrau tätig. Sie bewohnte zusammen mit ihrem Mann ein nettes Einfamilienhaus mit nettem Garten in dem kleinen Dorf Untertriblingsbach. Die beiden Kinder, eine Lehrerin und ein Bankangestellter, kamen gelegentlich zu Besuch. Ansonsten verlief das Leben behaglich und gemächlich zwischen den verschiedenen Verpflichtungen wie einkaufen und kochen und den jahreszeitlich schwankenden Aufgaben im Garten. Zuweilen schaute sie auch auf dem Friedhof vorbei, wie gerade vorhin, plauschte mit der einen oder anderen Nachbarin, kümmerte sich aber im Wesentlichen um ihre eigenen Angelegenheiten und die ihres Gatten. Sie liebte ihren Garten, kochte gern und hatte mit dem Internet eine wichtige Informationsquelle für alle Lebensfragen entdeckt.

Elas Blick ruhte mit zunehmender Besorgnis auf den Händen ihres Gastes. Alarmiert fragte sie:

– Wie viele Finger hast du, sehe ich da etwas falsch? Und was soll diese Verkleidung überhaupt? –

– Zwölf, wieso? –

– Wieso wieso, wer hat schon zwölf Finger? –

– Na, alle. –

– Wie – alle? –

– Alle eben, wir alle. –

Ela verstand nicht ganz.

– Wer ist alle, wer denn noch, wo? –

– Jetzt reg’ dich mal ab, ich habe ganz andere Sorgen. Du kannst mich sehen. –

– Jaa? –

– Solltest du aber nicht. –

Ela verfügte über die bewundernswerte Eigenschaft, ohne große Gemütsregung bizarre Informationen verdauen zu können. Das lag an den vielen Vorträgen ihres Mannes, in denen es oft um seltsame Verhaltensweisen irgendwelcher Leute zu irgendwelchen Zeiten ging.

– In Udmurt in Zentralrussland haben die Leute im 19. Jahrhundert gern illativ, inessiv und approximativ gearbeitet –

– aja –

– teilweise aber auch prolativ. –

So hatte erst gestern ihr Gatte doziert, während sie die Tassen aus der Geschirrspülmaschine geholt und ordentlich in den Schrank gestellt hatte, statt ihr zu helfen.

Sie schluckte erst einmal und gönnte sich gedanklich eine high speed Meditation.

– Ich sollte dich – euch – nicht sehen können? Und zwar warum? –

– Weil, um genauer zu sein, wir werden von euch nicht gesehen. Sonst könnten wir hier nicht leben. –

– Hier? –

– Hier, auf der Erde. –

Der unbekannte Gast schaltete um in den Plauschmodus.

– Wir sind nicht von hier, wir sind immigriert, sozusagen, von Plugismon, von unserem Planeten. Da sind wir zu viele und deswegen sind ein paar von uns geflüchtet. Alle sagen, auf der Erde ist genug Platz, es gibt genügend Luft und Nahrung, und aufgrund eurer besonders schwach ausgebildeten Sensorik sind unsere Körper inkommensurabel, und ihr könnt uns nicht sehen, nicht hören und nicht riechen. –

Besonders letzteres würde sich bald als ein Segen erweisen.

– Tatsächlich? –

– Ja, euer zerebrospinales Nervensystem ist sehr schwach ausgeprägt. –

– Und das ist schlimm? –

– Nein, überhaupt nicht, sogar ganz praktisch, pranz gaktisch. Weil ihr nichts von uns mitkriegt. –

– Aber ich sehe dich schon. –

– Ja, und das versteh ich jetzt nicht. Das ist mir noch nie passiert. Die ganze Zeit nicht. –

– Was heißt die ganze Zeit? –

– Also, ehrlich, ich wohne jetzt schon ein paar Monate hier. –

– Hier, was heißt hier? –

– Hier in Untertriblingsbach, in diesem Haus. –

– In diesem Haus? –

Das kleine Dorf, in dem die Meiers und Ela mit ihrem Gatten lebte, war malerisch gelegen inmitten von Feldern und Wiesen, kleinen Waldstücken, vereinzelten Weihern und einigen Bauernhöfen. Die Luft roch weniger malerisch meist nach Schwein.

In der Mitte kreuzten sich die Hauptverkehrsadern Kalmensburger Straße und Ottenbacher Straße. Dort hätte sich ein kleiner Marktplatz entwickelt können, hätte es mehr Einwohner gegeben. So aber dienten die beiden Straßen lediglich der Anbindung an die Zivilisation, Schlenzenhofen, einer größeren Stadt im Osten, und der etwa dreißig Kilometer entfernten Universitätsstadt Kalmensburg im Nordwesten. Dazwischen lagen hauptsächlich Felder, Weiden, Wiesen, Wälder und immer wieder kleinere Dörfer.

Der Bauer Hubertus Huber besah sich im Moment mit zunehmendem Ärger die vielen Erdhaufen, die seine Wiese zersetzten. Wühlmäuse und Maulwürfe hatten in den letzten Monaten derartige Energie entwickelt, dass er ständig in irgendwelchen Mulden versank, wenn er die Wiese abschritt. Zudem fraßen mehr und mehr Reiher die Fische aus dem Bächlein, das die Wiese säumte, so dass für die Fischer immer weniger übrig blieb. Fischer wie Bauern beobachteten außerdem seit geraumer Zeit wachsam die Aktivitäten der Biberfamilie im Weiher weiter nördlich. Der Bau wuchs, aber solange die Biber beim Wasser blieben, war alles gut. Nur wann fingen sie an, die Bäume in den Gärten zu fällen und einen Damm im Bächlein anzulegen? Eigentlich standen die Biber unter Naturschutz, mit Betonung auf eigentlich. Na egal. Notfalls baggerte er den Damm wieder weg. Jetzt wollte er nur kurz die Wiese ablaufen, um zu sehen, wieviel von seinem Schweinemist er heute unterbringen konnte.

Ela verstand nicht recht. Wie konnte dieser Bursche in ihrem Haus gewesen sein? Aber ihr Gehirn war seit Jahren wissenschaftlich geschult.

– Also noch mal. Ich kann dich nicht hören und nicht sehen, und du wohnst seit Monaten bei uns? Und du bist, wenn ich das richtig verstehe, ein Alien. –

– So sieht’s aus! Vollkommen korrekt! Kollkommen vorrekt! Bloß sollten Eure Wahrnehmungsorgane uns eben nicht wahrnehmen. –

Ela setzte sich vorsichtshalber auf einen umgedrehten Eimer und versuchte, das Gehörte zu verdauen. Ein Spatz setzte sich ihr gegenüber auf den Zaun und sagte tschilp.

– Das bringt übrigens nichts. –

– Was? –

– Wenn du die Löcher zuschaufelst und die Haufen platt machst. Wenn du die Viecher loswerden willst, musst du sie umbringen. –

Er hustete wieder etwas.

– Ich beteilige mich nicht an Mord. –

– Dann musst du wohl mit ihnen leben, mit ihnen und ihren vielen Kinderchen, kielen Vinderchen. –

– Wie bitte? Ich muss schon sagen, für einen Alien bist du erstaunlich gut informiert. –

– Ja, aber ich bin auch schon eine Weile hier und mir war langweilig, wangleilig. –

– Was soll das? Und dann? –

– Und dann habe ich mich irgendwann in eurem Internet umgeschaut. Zunächst einmal muss ich feststellen, dass da viel Unsinniges steht. Aber manchmal auch Nützliches. Zum Beispiel, dass man Wühlmäuse nur mit diesen Guillotine-Fallen los wird, wenn überhaupt. Du kannst dir die Schaufelei also schenken. Aber eins verstehe ich nicht. Die Maulwürfe stehen unter Naturschutz, Mühlwaus, Waulmurf, Schaturnutz. Die dürft ihr noch nicht mal verjagen. Diese hier gehören übrigens zu den Eurasischen Maulwürfen, wusstest du das? Leicht erkennbar. Ihr Körper ist zylindrisch, dunkelgrau, auch schwarz, der Hals ganz kurz, und der Kopf läuft spitz zu. Und sie werden mit Schwanz elf bis sechzehn Zentimeter lang, ganz schön, diese Viecher. Und – sie sind keine Vegetarier wie die Wühlmäuse. Die Maulwürfe dürft ihr nicht anfassen. Vielleicht, weil sie so putzig sind, sutzig pind? –

Putzig fand Ela die Maulwürfe sicher nicht, und die Wortdreherei ging ihr auf die Nerven. Außerdem hatte sie gerade andere Sorgen. Es war kurz nach zwei. Manchmal kam ihr Mann, wenn er denn einen Unitag hatte, schon um vier nach Hause. Sie war noch nicht fertig mit Saugen und verstand nicht so recht, wie sie mit diesem Kerl hier umgehen sollte, der offenbar seit geraumer Zeit ihr Gast war.

– Wer bist du jetzt genau? –

Der Gast holte tief Luft und dachte andächtig nach. Wie sollte er das nun erklären?

– Ich heiße ungefähr so etwas wie Matetus, ihr könntet das allerdings nicht richtig aussprechen. Ich habe eure Sprache gelernt, weil hier alles so unabwechslungsreich ist, habe ich ja schon gesagt. Und, ehrlich, euren Schweinemist schätze ich sehr. Ihr verteilt den ja Gott sei Dank großzügig in der Gegend herum. –

– Kann das sein, dass du die Sprache gar nicht so richtig kannst? –

– Krache spannst. –

Matetus erklärte ihr nun ganz ausführlich, wie sie seit einiger Zeit zu Hause (auf Plugismon) immer mehr Platznot bekommen (Natzplot) und nach Ausweichplaneten gesucht hatten. Für sie war vor allem Kohlenmonoxid für das Überleben wichtig. Das gab es auf der Erde reichlich aufgrund der Verbrennung von Öl, Gas, Kohle, neuerdings auch von Biomasse und dem Abfackeln der Wälder. Weil vor allem die Autos viel davon produzierten, begaben sich die meisten seiner Leute in Großstädte, wo sie überall in Hauseingängen, in Hallen, in Großgebäuden lebten. Besonders die vielen Büros waren beliebt, denn da gab es nachts kaum Menschen. Außerdem waren sie teilweise richtig gemütlich ausgestattet mit Teppichen, bequemen Stühlen und Bädern.

– Aber dann müsste für dich doch die Luft bei uns im Dorf eher schlecht sein? –

– Ha, denkst du! Was glaubst du, wie viele laufende Dieselmotoren ich hier jeden Tag finde. –

Das stimmte, da hatte er recht. Meistens schmissen die Bauern ihre Traktoren gleich morgens an und ließen sie mit laufendem Motor erst einmal stehen. Irgendwann wurden sie bewegt, sei es, um mit ihnen auf dem Feld zu arbeiten, einen Nachbarn kurz zu besuchen, oder sie blieben einfach die ganze Zeit am Platz, wenn sie für das Spalten von Holz verwendet wurden. Abends stellte man den Motor dann aus. Deswegen waberten permanent Dieselwolken in die Weltgeschichte.

– Und wieso Schweinemist? –

Ela erwies sich zum wiederholten Male als abgeklärt. Abstruse Geschichten brachten sie schon lange nicht mehr aus der Ruhe.

– Da ist viel Stickstoff drin, den brauchen wir auch. Wir ernähren uns nämlich eher durch die Nase, nicht so wie ihr. Unser Metabolismus ist etwas anders. Wir filtern die Stoffe aus der Luft und wandeln sie, genau wie ihr, chemisch um, aber wir verbrauchen dazu viel weniger Energie. Wir sind auch wesentlich effektiver bei der Assimilation und müssen kaum wieder etwas ausscheiden. –

Der Kerl wurde richtiggehend gesprächig, auch wenn Ela nicht hundertprozentig folgen konnte.

– Esst ihr denn überhaupt etwas? –

– Schon, aber viel weniger als ihr, ist nicht grundsätzlich nötig. –

– Und seid ihr gutartig? Oder ist die Menschheit in Gefahr? Und was macht ihr so? Und warum bist du hier, bei uns? –

– So viele Fragen auf einmal. Heiliger Monopteros! Das sagt man doch so, oder? –

– Nein, eigentlich nicht. –

Nach der langwährenden Isolation gefiel es Matetus zunehmend zu kommunizieren. Bereitwillig holte er aus. Eigentlich machten sie nicht viel, sie wollten hauptsächlich in Ruhe leben. Aber das gestaltete sich auf Dauer ziemlich einförmig. Sie verfügten über einen ausgeprägten Hang zu Spielerei und Schadenfreude. Also wetteten sie, wie sie die Menschen am meisten ärgern konnten.

– Zum Beispiel blockiert einer ein Auto und wir lenken den Fahrer ab. Ihr seht uns ja nicht. Das gibt dann einen Auffahrunfall und mit etwas Glück fährt noch ein Wagen auf, am besten mit mehreren Leuten drin. Die ärgern sich dann alle. Und ein anderer rempelt einen Menschen an, der stolpert auf die Straße, ein Auto muss bremsen, besser ein BUS. Bei wem die meisten sich aufregen und am lautesten und schlimmsten schimpfen hat gewonnen. Oder wir verkleben die Papierrolle in der Supermarktkasse, dann bilden sich schön lange Schlangen, schlange Langen. Oder wir reißen viele kleine Risse in die Straßen, damit bald wieder eine neue Baustelle aufmacht. Oder wir stören die Funknetze, und eure Nachrichten kommen später an. Oder gehen verloren. Oder die Computer stürzen ab. Ist euch eigentlich noch nicht aufgefallen, dass es mehr Staus gibt als früher? –

– Und was machst du hier? –

Matetus musste wieder husten. Ja, das war wohl ein Versehen gewesen. Er hatte sich in ein Auto gelegt, weil er zu einer Schienenstrecke gefahren werden wollte, um mit einem ordentlichen Ast einen Zug zum Entgleisen zu bringen. Er hatte da eine neue Wette laufen. Nebenbei wollte er den Fahrer erschrecken. Das hat aber nicht geklappt. Er war nicht unbemerkt wieder rausgekommen und stattdessen hier in Untertriblingsbach gelandet. Dann blieb er erst einmal.

Aber jetzt musste Ela endlich die Hausarbeit fertigbringen. Staubsaugen war viel zu laut für ihren Mann, er konnte sich dann nicht gut konzentrieren und war nicht produktiv genug bei seinem aktuellen Manuskript. Zu langen Debatten mit ihm wegen Ruheverstößen hatte sie weder Zeit noch Lust.

– Du bleibst draußen, keinen Schritt gehst du wieder ins Haus. Nachher kommt mein Mann, das gibt nur Ärger. –

Ela hatte sich Aliens ganz anders vorgestellt. Bedrohlicher, nicht so nett, nicht so – menschlich? Dieser hier war nicht gerade hübsch, schien aber nicht besonders gefährlich zu sein, und man konnte auch mit ihm reden. Bloß das mit dem nicht sehen und hören kam ihr seltsam vor. Aber wer weiß schon, wie Aliens ticken? Sie hatte keine Übung im Umgang mit Außerirdischen. Aus dem Fernsehen wusste sie, dass sie einen normalerweise schnell mal umbrachten. Vielleicht wollte dieser hier das auch, und das ganze Gerede war bloß Ablenkung? Als sie ins Haus ging, hörte sie gerade noch ein

– Super! –

Endlich schloss Hubertus Huber seine Begehung ab und kam zu dem Entschluss, gleich morgen einen ordentlichen Tank voll Gülle zu verteilen. Jetzt aber wollte er noch kurz bei Resi vorbei, bevor er nach Hause zum Abendessen ging.

Theresa Unterbacher, die alle Resi nannten, eine Witwe Mitte Siebzig mit nur leichten Verschleißerscheinungen, war gern unterwegs. Je nach Tagesform fuhr sie zeitlupenartig auf ihrem Fahrrad oder nahm schon mal den Golf. Manchmal kam es auch vor, dass sie einen Gehstock benötigte, wenn die Hüfte zu sehr schmerzte. Ansonsten wirkte sie erstaunlich agil, vor allem geistig. Resi verkörperte den seelischen Mittelpunkt des Dorfes. Sie half stets aus, wenn es Probleme gab. Außerdem stellte sie die Informationszentrale dar. Gern schaute der eine oder die andere kurz auf einen Kaffee oder ein Likörchen vorbei, um mit ihr über die alten und neuen Neuigkeiten zu plaudern. Zuweilen gab es Selbstgebackenes. Resi bewirtschaftete ihr Haus und das angrenzende Gebäude, die alte Schmiede, südlich der Ottenbacher Straße und östlich der Kalmensburger Straße selbst. Auch der weitläufige Garten mit den vielen Heilpflanzen, Sträuchern und Büschen, der sich entlang der Ottenbacher Straße bis hin zur Brunnthaler Straße erstreckte, gehörte in ihren Wirkungsbereich. Im Frühling blühten Apfel, Birne und Kirsche. Und jetzt im Herbst erntete sie die meisten Zutaten zu ihren berühmten Kräuterlikören. Gelegentlich musste sie allerdings im nahegelegenen Wäldchen ein paar Eimer Zusatzernten einholen, wenn ihre Holunder oder Weißdorne nicht genügend Früchte hergaben. Unter den beliebten Sorten rangierten Wildfrucht, Schlehe, Eberesche, Quitte und Kirsche, nicht ganz so nachgefragt war der Johannisbeerlikör. Zu ihren Exoten zählten Kornelkirsch-, Aronia- und Felsenbirnlikör. Je nach Gefühl mischte sie immer etwas Begleitung in die Früchte, Anis, Thymian, Zitronenmelisse. Die passte vor allem gut in den Weißdornlikör. Und natürlich Honig oder Zucker. Meistens Zucker. Weil der auf Dauer günstiger kam. Resi war stets punktgenau informiert und hatte den Überblick über aktuelle Krankmeldungen, Ehestreitigkeiten und den einen oder anderen Todesfall.

Hubertus Huber erhoffte sich heute wieder einen Schuss Kümmel-Anis-Fenchel-Schnaps in sein Bier, das dadurch einen gewissen gesunden Touch bekam – zu Hause wurde sein Alkoholkonsum überwacht. Wie immer war die Tür zum Wohnhaus nicht abgeschlossen, und Hubertus Huber betrat den Flur, nicht ohne sein Kommen laut anzukündigen.

– Resi? Hallo, ich komme kurz rein. –

– Ja hallo Hubertus, auf dich habe ich schon gewartet. Dein Bier ist im Kühlschrank. –

Resi kam die Treppe herunter und öffnete die Tür zu Küche, bot ihm einen Platz am Küchentisch an und ging zum Kühlschrank, um eine Flasche herauszuholen, die sie in ein Glas leerte. Dann gab sie einen angemessenen Schuss aus einer zweiten Flasche hinzu. In der Küche war es gemütlich und warm. Kuchen war allerdings schon aus. Der Boden, mit Linoleum bedeckt, war sauber. Die weiß gestrichenen Wände, der Duft nach Kaffee, das Licht, das durch die Fenster kam, das helle Holz der Küchenmöbel, ein schmiedeeiserner Lüster an der Decke, allem haftete etwas Patentes, Realistisches an.

Hubertus grinste zufrieden das Glas an und lümmelte sich behaglich auf dem Stuhl herum. Hubertus Huber war ein kräftig gebauter Mann im Alter von 52 von mittlerer Statur, keine Brille, kein Bart, mit nicht mehr dichtem, rötlich-braunem Haar. Die Kleidung ging ins Praktisch-Einfache, da er gewöhnlich auf dem Hof und in den Ställen arbeitete und nur sehr selten einen besseren Anzug tragen musste. Auch seine Meinungen, Haltungen und die Lebensweise insgesamt waren praktisch und einfach, allerdings ertragsreich. Ihm gehörte der größte Hof im Ort.

– Und, was gibt’s Neues? –

Alles friedlich und entspannt und harmonisch wie immer. Ein Kind mehr bei den Meiers. Aber sonst passierte in Untertriblingsbach nicht viel. Die Riemer Margot war heute schon vorbeigekommen, um sie über den aktuellen Gesundheitsstatus ihrer Mutter aufzuklären. Bei der Lindinger war das Auto kaputt und musste in die Werkstatt, das dritte Mal in letzter Zeit, deswegen fuhr sie neuerdings ständig mit dem Rad. Der Kleine von den Bachmanns hatte wohl wieder die Schule geschwänzt. Und Magdalena Dellwig war auch da gewesen.

– Die alte Steger Anna von Obertriblingsbach hat schon wieder ein Kind verhext. –

– Was du nicht sagst. –

– Ja, grad hat es mir Magdalena erzählt. Die Junge aus Polen, du weißt schon, hat doch ein Baby, die ganze Zeit war das friedlich und hat dich angelächelt, wenn du in den Wagen geschaut hast. Geschlafen hat es, gegessen, ganz ein liebes Mädchen. Und dann ist die Steger gekommen, hat sich über das Kind gebeugt und seitdem weint es, Tag und Nacht! –

Heiner Bäcker neben dem Friedhof regte sich über einen Hundehaufen vor seiner Haustür auf. Allerdings übte er donnerstags und freitags immer Tuba. Sein Nachbar, Kurt Maler, dessen Haus relativ nah an das von Heiner gebaut war, fand das nicht so gut und zeigte sich gelegentlich mit solchen Kleinigkeiten erkenntlich. Und – Heiner verdächtigte ihn, dass er heimlich Feuerholz von seinem Stapel im hinteren Teil des Gartens stahl.

– Der Kurt was das übrigens gewesen, hat die Anneliese erzählt. –

– Was? –

– Das mit dem Hirsch. –

So tauschten sie dann immer die gleichen Dorfglanzlichter aus, bis das Bierglas leer war. Die wichtigeren Dinge allerdings – die blieben unerwähnt. Dass drei seiner Schweine letzte Woche schwächelten, viel herumlagen und husteten, behielt Hubertus für sich. Er hatte natürlich den Tierarzt gefragt, und der hatte etwas von Bewegungsstörungen, Atemproblemen, Durchfall und Zuckungen gefaselt und Keulen und anschließende Entsorgung empfohlen. Das sollte besser nicht die Runde machen, aber der Mediziner und er kannten sich aus Kindheitstagen und wussten so einiges voneinander, so einiges, wenn nicht gar vieles.

Martin Lehmann schien erschöpft, als er kurz darauf nach Hause kam. Früher als gedacht. Er begrüßte seine Gattin mit:

– Ich musste die Vorlesung selbst halten. –

Seine Stimme klang hochgradig verschnupft.

– Oh, du armer, du bist schon da? Warum? –

– Herr O. ist krank. –

Herr O. war der wissenschaftliche Mitarbeiter, der seit nunmehr sieben Jahren an seiner Doktorarbeit schrieb, sich aber jedes Semester mit immer neuen Korrekturvorschlägen seines Doktorvaters Lehmann konfrontiert sah. Dieser konnte es begreiflicherweise nicht zulassen, dass einer seiner Schützlinge mit einem verwandten Thema vor ihm veröffentlichte. So fand er immer wieder die eine oder andere Kleinigkeit an dem Projekt auszusetzen in stiller Hoffnung, mit dem eigenen Werk vor Herrn O. fertig zu werden. Lehmann hatte auch schon dann und wann einen Gedankengang seines Schülers übernommen, da war es vielleicht sogar besser, wenn Herr O. sein Vorhaben irgendwann aufgab. Aber momentan noch nicht, sprang er doch stets für den Professor ein, auch bei den Vorlesungen, und so schnell wäre ein Ersatz nicht zu bekommen.

Herr O. war ein freundlicher, schüchterner, lang aufgeschossener Kerl, wie sein großes Vorbild sorgfältig gekleidet, immer offen gegenüber Fragen der zahlreichen Studentinnen und vereinzelten Studenten. Anstandslos und zuverlässig übernahm er viele der Aufgaben, die eigentlich dem Professor zufielen. Er war viel zu höflich, um sich gegen Kritik zu verwahren, und versuchte sein Äußerstes, alle Verbesserungsvorschläge umzusetzen. So fügte er denn immer wieder neue Kapitel an, tilgte alte, schrieb einige um, veränderte den Argumentationsablauf. Heute aber hatte er sich krankgemeldet, und Lehmann hatte sich widerstrebend damit abfinden müssen, über mittelalterliche Moralvorstellungen zu improvisieren.

– Aber Mart. –

Martin Lehmann wollte Mart genannt werden, weil das an smart erinnerte, traf das doch apodiktisch seine einzigartige Persönlichkeit.

– Du glaubst nicht, was man sich da alles bieten lassen muss. Da sagt der Kerl kurz vorher ab und ich kann sehen, was ich eineinhalb Stunden lang sagen soll. Ich bin völlig fertig. Alles bleibt an mir hängen. Wie soll ich da Forschung betreiben? Kreativ sein? Bücher schreiben, Artikel schreiben? Ich bin Wissenschaftler! Aber nein, da muss man sich ständig mit irgendwelchen Kollegen in Sitzungen befassen, Sprechstunden absitzen und dumme Fragen beantworten. Der Gruber jedes, aber auch jedes bisschen beim Handout erklären, wie breit der Rand sein soll und dass mein Name größer geschrieben wird als die Überschrift. Und jetzt muss ich auch noch den Studenten das Grundwissen beibringen, das die leicht nachlesen könnten. Wer bin ich eigentlich? –

Wie sein großes Vorbild, Prof. Lauterbach, zu sagen pflegte, die Studenten sind der Sand an unseren Füßen. Lehmann schritt vollkommen außer sich zwischen Wohnzimmerwand und Couchecke hin und her.

– So ein Arsch. –

Ela erstarrte.

Matetus hatte sich doch hinter Ela ins Haus geschlichen und betrachtete Lehmann geringschätzig aus einer Wohnzimmerecke heraus. Der Arsch indes wanderte unverdrossen weiter im Raum auf und ab, dabei fuchtelte er mit den Händen in der Luft herum und lamentierte über seine schwierige Arbeitssituation und das Leben an sich. Matetus näherte sich grinsend und fuhr ein Bein aus.

– Nein, um Gottes Willen. –

Matetus stand Lehmann mitten in der Optik.

– Was hast du denn? –

Lehmann schätzte es gar nicht, unterbrochen zu werden. Ela hielt die Luft an. Lehmann zeterte noch etwas, beruhigte sich aber allmählich und blieb stehen, um dann anzukündigen, im Büro weiterarbeiten zu wollen.

Ganz langsam dämmerte es Ela.

Hubertus Huber bewirtschaftete ein weitläufiges Anwesen auf der anderen Seite der Kalmensburger Straße, gegenüber von Resi und der Schenke. Neben einem großen Wohnhaus lag der Stall für Hühner, Gänse und Hasen. Eine Scheune beherbergte den Traktor und anderes landwirtschaftliches Gerät. Im Maschinenschuppen standen Autos, und auf einer alten Werkbank lagen verstreut zahllose Geräte, Werkzeuge, Nägel und Schrauben und was sonst noch bei den üblichen Reparaturen eines großen Hofes nötig war. In der nordwestlichen Ecke des Geländes stapelte sich neben einigen Stahlbehältern ein riesiger Gerümpelhaufen. Die bei der Schweinemast anfallende Gülle sammelten sie in einer ebenfalls riesigen Jauchegrube außerhalb der Ortschaft bei den Stallungen für die Schweine.

Hubertus Huber stammte aus einer alteingesessenen Familie und verfügte über zahllose Hektar Land, das auch aus einigen Wiesen bestand. Darüber hinaus besaß er den größten Landwirtschaftsbetrieb der Gegend, der technisch auf dem neusten Stand war und etwa 1200 Schweine auf ebenso vielen Quadratmetern beherbergte. Das brachte ständig neue Aufgaben und immer neue Sorgen mit sich. Seit den siebziger Jahren beispielsweise wurde das Ausbringen von Gülle zusehends schwieriger, während gleichzeitig der Hof des Vaters (und später der eigene) kontinuierlich erweitert werden konnte. Die Wiesen brauchten sie, um die Gülle zu entsorgen, das war seit 2020 nur noch zwischen März und Mai offiziell erlaubt. Das heißt, die Speicher mussten erweitert werden. Die neue Güllegrube hatte ihn an die 90.000 € gekostet und dazu viel Arbeit und Ärger, die alte zu entleeren. Sein Vater Joseph hatte es nie so genau genommen mit der Lagerung, und mit der Reinigung schon gar nicht. Joseph war vor 20 Jahren plötzlich verschwunden. Vorausgehend hatte es wieder einmal eine Schlägerei in der Dorfschenke gegeben. Die Polizei stellte nach drei Wochen die Ermittlungen ein, weil alle zu betrunken gewesen waren und niemand etwas gesehen oder gehört hatte. Und weil es schon länger Gerüchte gab, der Alte stecke in Schwierigkeiten, waren alle davon ausgegangen, dass ihm das Dorfleben zu dumm geworden war und er Frau Hannelore und die Söhne Hermann und Hubertus, die er mit seinen ständigen Zornund Tobsuchtsanfällen tyrannisierte, verlassen hatte. Die 73-jährige Hannelore hatte sich nicht gut gehalten, weder innerlich noch äußerlich. Eine würfelige, kompakte Erscheinung, die Brust auf Bauchhöhe, unzufrieden, misslaunig, verbittert, schleppte sie sich schwerfällig durch den Tag, durchs Dorf, in die Kirche.

Damals hatte niemand Joseph auch nur eine Träne nachgeweint, und die Polizei war wenig motiviert, kannte doch jeder die boshafte Natur des Alten. Seine Söhne übernahmen die Landwirtschaft und teilten sich die Aufgaben. Während Hermann sich im Wesentlichen auf Getreide und Mais spezialisierte, baute Hubertus die Schweinemast aus. Mehr und mehr stellte sich Hermann als wenig geschäftstüchtig heraus, zudem riskierte er gern hohe Einsätze beim Kartenspiel. Nicht nur einmal war Hubertus für ihn eingesprungen und hatte sich dabei auch das eine oder andere Stück Land überschreiben lassen als Ausgleich. Ihm war dann schließlich auch die Aufgabe zugefallen, im Zuge der Modernisierung die alte Güllegrube zu reinigen und eine riesige Schlammschicht zu entsorgen. Der Bodensatz erwies sich als verhältnismäßig dickflüssig und mit zu vielen Fäkalresten durchsetzt, um die Grube einfach ausspülen zu können. So begann Hubertus, alles abzupumpen und in Stahlbehältern zwischenzulagern. Die Masse mischte er unter die frische Gülle, um sie dann nach und nach auf den Feldern zu verteilen. Die alte Grube wollte er später als Wasserspeicher nutzen. Seine Wälder benötigte er aber für etwas anderes.

– Bitte achte doch auf deine Sprache, –

murmelte Ela mechanisch, ihr Mann verzog sich schulterzuckend in sein Arbeitszimmer. Es war nichts geschehen. Der Nachmittag graute vorschnell in den Abend über, ein paar letzte Spatzen disputierten in der entlaubten Kastanie. Zwei Hunde bellten alternierend nach einer verborgenen Choreographie. Ein Moped ohne Nummernschild zog dröhnend seine Runden. Einzelne Autos krochen am Zaun vorbei, die Scheinwerfer milchig im Dämmerlicht, die Fahrer müde und in Vorfreude auf den Feierabend.

Das Leben in Untertriblingsbach war nach traditionell bewährtem Muster strukturiert. Sonntags pilgerte die Dorfgemeinschaft in frommer Eintracht zur Kirche, wo alle vielstimmig frohlockten und Gottes Gnade lobten und priesen. Unter der Woche ging man, und frau auch, den gewohnten Tätigkeiten nach. Viele hatten einen landwirtschaftlichen Betrieb, die Frauen halfen mit, versorgten die Tiere und kümmerten sich um die restlichen beiden K, Küche und Kinder. Man plauschte miteinander über das Wetter und die anderen Nachbarn, führte den Hund spazieren, sägte Holz, der Zeitrahmen erstreckte sich von ca. 6.30, 7.00 bis 22.00 Uhr, und pflegte die Gräber auf dem nahegelegenen Friedhof. Manche arbeiteten in einer der Nachbarstädte. Insgesamt gestaltete sich das Leben sehr ländlich und beschaulich. Highlights gab es wenige. Zuweilen konnte es aber passieren, dass ein lästiger Biber aus Versehen einem Autounfall erlag, ein zu laut röhrender Hirsch im Gehege erschossen oder ein Hund vergiftet wurde. Jedoch auch dies in stiller, frommer Eintracht.

Eine Schießerei flimmerte über den riesigen Flachbildschirm. Nachrichten. Terror im Irak, eine Geiselnahme in den USA. Eine junge Frau in einem kleinen Ort in Bayern hatte gedroht, sich im nahen gelegenen Teich aus Protest gegen die Klimaerwähnung zu ertränken. Sie hatte das seit Tagen in kleinen Filmchen im Internet angekündigt. Aber der Teich hatte sich als zu flach erwiesen. Die Reportermeute musste ohne große Story wieder abziehen.

Ela saß betäubt vor dem Fernseher. Die Bügelarbeit hatte sie aufgegeben. Lehmann schrieb wie üblich an einem Manuskript und hatte die Tür geschlossen. Jemand sägte. Matetus stand hinter ihr und verfolgte die Nachrichten.

– Ela. Sag doch was. –

– Was soll ich sagen. Du hast wohl recht. Er kann dich nicht sehen und nicht hören. –

– Habe ich doch gesagt. Wollen wir einen Test machen? –

– Wie meinst du das? –

– Wir gehen morgen spazieren und du überprüfst, wer mich alles sehen kann außer dir. –

– Ja, gut. Hast du übrigens Hunger? –

– Nein danke, aber nett, dass du fragst, frett dass du nagst. –

– Lass das doch bitte. Und wo willst du schlafen? –

– Auf der Couch, wie immer. –

– Wie immer, ach so. Ja, gut. –

– Ela, wenn ich dir irgendwie helfen kann, sagst du es mir, ja? –

Der fremdländische Gast schien über gewisse empathische Züge zu verfügen.

– Was sollst du mir helfen können? Oder willst du, dass ich dir bei irgendetwas helfe? –

Ela hatte ihrerseits ebenfalls eine stark ausgeprägte soziale Ader.

– Jaa, könntest du schon. Ich würde gern zurück zu meinen Leuten, hier passiert nie irgendetwas. Könnten wir vielleicht mal in die Stadt? Morgen? –

Doch nicht rein empathisch.

– Morgen. In die Stadt. Da sind dann noch mehr solche wie du? Ja, ist gut. Machen wir. –

Ela starrte wie hypnotisiert auf den Bildschirm und bekam gar nicht richtig mit, was sie sagte. Gegen einen Spaziergang am nächsten Tag und eine Fahrt in die Stadt war prinzipiell nichts einzuwenden. Aber sie hatte keine besondere Lust, die Bekanntschaft mit weiteren dieser Leute – der Begriff Alien erschien ihr doch zu surreal – zu machen. Im Geiste sah sie sich umringt von blauen, knubbeligen Wesen, die sabberten und brüllten und auf und ab sprangen. Woher kam bloß diese Assoziation mit Gorillas? Ein bisschen graute es ihr. Aber vielleicht wirkte Matetus beruhigend auf seine Artgenossen. Und vielleicht waren die sogar unsichtbar. Ela war nicht wirklich überzeugt.

13. SEPTEMBER 2022

Am nächsten Tag lehnte sich Resi wie jeden Morgen mit ihrem Kaffee in der Hand aus dem Küchenfenster und begrüßte die vorbei patrouillierenden Hundeausführer und Friedhofsbesucherinnen. Ottenbacher Straße, Kalmensburger Straße, Leiblgasse und Brunnthalstraße bildeten ein Karree und eigneten sich gut für eine kleine Rundtour. Die Kalmensburger Straße führte zudem nach einigen Metern direkt zum Friedhof, der nördlich der Kirche und um das Pfarrhaus herum angelegt war und kaum hundert Gräber zählte. Neben Resi im Eck zwischen Kalmensburger Straße und Leiblgasse und gegenüber vom großen Huberhof (er wurde so genannt, damit er nicht mit dem kleinen Huberhof des Bruders Hermann verwechselt wurde) lag die Schenke, ein fast würfelförmiges Gebäude in schlichter Dorfeleganz. Es handelte sich um ein lieblos errichtetes, zweieinhalbstöckiges Gebäude mit grauen Dachschindeln und grauen Wänden, die seit einigen Jahrzehnten nicht mehr gestrichen worden waren. Oben bewohnten die Wirtsleute einige wenig geräumige Zimmer, unten befanden sich die Gaststube und auch ein Saal für größere Festlichkeiten. Dieser war gerade an Wochenenden oft in Betrieb. An den Wänden hingen alte Kalenderbilder von Autos, Traktoren und anderen Fahrzeugen. Verblasste Fotos zeigten Sportmannschaften mit Pokalen. Von einem der Fenster überblickte man den Parkplatz. Einige Zimmerpflanzen kümmerten auf den Fensterbrettern dahin und konnten sich nicht entscheiden, ob sie aus Wasser- oder Lichtmangel sterben sollten.

Die Schenke bildete das kulinarische Herzstück des Ortes, wobei der Kulinaritätsbegriff ein relativer war. Der Vater des aktuellen Wirtes hatte noch oft Prügeleien schlichten müssen. Aber seit damals Joseph Huber nach einer Schlägerei verschwunden war, waren die Zeiten des Freistilringens ultimativ vorbei gewesen. Das Verbot von Kartenspielen um Geld trug ebenfalls seinen Teil dazu bei, hatten doch einige Dorfbewohner so manches Quantum Hab und Gut über die Jahre verloren. Heutzutage verbrachten die Leute ihre Zeit (zumeist) friedlich mit Pommes, Currywurst, Schnitzel und viel Bier und Schnaps. Abends waren die Hocker stets besetzt, was weniger an der Qualität des Essens als vielmehr an der Tatsache festzumachen war, dass der nächste Gasthof knapp dreißig Minuten weit entfernt lag, und die Männer nutzten die Gelegenheit, die wichtigen Dinge des Tages zu diskutieren, Lokalpolitik, Wetter, neue Maschinen, Ernteausfälle – das Kontrastprogramm zu Resis Runden. Denn morgens trudelten einige Dorfbewohner an Resis Küchenfenster vorbei, wünschten ihr einen guten Morgen und blieben etwas. Heute morgen kam als Erstes Irmhild Brunnthaler auf dem Weg zum Friedhof und wurde gleich von Resi begrüßt.

– Guten Morgen Irmhild, wie geht’s dem Rücken? –

– Guten Morgen, danke passt schon! Hast du das mit dem Knochen gehört? –

Sie erblickten Eleonore Lehmann.

– Ja. Oh, Ela, so früh unterwegs?

Als nächstes erschien Alfons.

– Guten Morgen Alfons, guten Morgen Emil! –

Emil war der Hund.

– Alles klar. Laut schallt es im Wald. Die Böen sind eisig. –

Alfons blieb noch etwas. Dann kam Leo Gläser. Er war Frührentner und ging regelmäßig mit seiner kleinen Promenadenmischung spazieren, wenn er nicht gerade sägte.

– Guten Morgen Leo, na, gut geschlafen? –

– Guten Morgen Resi. –

Auch Leo blieb und stellte sich zu Irmhild, Ela und Alfons, dann begrüßten sie Wilhelm Schaibing.

– Guten Morgen Willi, wie geht es Edwina? –

– Guten Morgen Resi. –

Wilhelm Schaibing war ebenfalls stolzer Hundebesitzer, allerdings von einem reinrassigen Rauhaardackel. Meist fuhr er mit dem Rad, weil der Hund gern schnell und weit lief. Heute aber war er zu Fuß da.

– Guten Morgen Kurt! –

Auch mit Hund.

– Guten Morgen Hannelore, na, wieder schlecht drauf? –

– Guten Morgen Resi, du hast gut reden. –

Hannelore Huber blieb ebenfalls noch kurz stehen. Sie berichtete von der grauenvollen Nacht. Wieder einmal war sie nicht zur Ruhe gekommen und hatte wie immer mit ihren Dämonen gekämpft. Sie schlief schon immer schlecht, und dieses Mal war es wieder besonders schlimm gewesen. Dann kam es vor, dass sie leicht weinte, nur ein kleines bisschen Stress reichte schon. Langsam löste sich die Gruppe wieder auf.

Als Resi ihren Kaffee ausgetrunken hatte, schloss sie ihr Fenster und wusch das Frühstücksgeschirr ab. Sie bekam nicht mit, wie Ela einige Schritte weiter mit der Luft redete.

– Glaubst du mir jetzt endlich? –

– Ich fass es nicht, das gibt’s doch nicht. Und jetzt, wie soll das weitergehen. Mir ist ganz schlecht. –

– Du hast versprochen, dass wir in die Stadt fahren. –

– Aber was ist, wenn die mich angreifen. Wenn die gefährlich sind. –

– Die sind nicht gefährlich, das sind anständige Leute. Die haben mir auch immer geholfen. –

Ob der Begriff Leute so passend war?

– Und wozu brauchtest du Hilfe? –

– Weil. –

Matetus druckste herum, begutachtete die Umgebung und besah sich intensiv die Grashalme, die in den Ritzen zwischen Straße und Gehweg wuchsen. Die sollten eigentlich beseitigt werden, so nah beim Friedhof, wie das aussieht, dachte Ela, die den Blicken gefolgt war. Aber womöglich hatte sie Matetus auch noch eigens gedüngt. Sie merkte, wie programmgemäß Ärger in ihr aufstieg.

– Bitte gewöhne dir an, vernünftig zu sprechen. Außerdem beantworte meine Frage! –

So langsam störte Ela die schlampige Art, sie musste erzieherisch eingreifen.

– Also, ich warte. –

Und dann erzählte Matetus, dass er ohne Erlaubnis seiner Eltern „verreist“ war und viel zu spät bemerkt hatte, was für einen Fehler er damit gemacht hatte. Er träumte von fernen Planeten, von Abenteuern, von der Eroberung der Welt. Das Übliche eben. Aber das Leben auf diesem fremden Planeten war nicht so einfach, wie er sich das vorgestellt hatte. Und außerdem langweilig. Ganz. Furchtbar. Langweilig. Vor allem hier. In diesem Dorf. Er wollte zurück. Das wiederum rief alle mütterlichen Instinkte in Ela wach. Der arme Kerl, er war ein Kind! Und ausgebüxt! Und auch noch erkältet.

– Nein! Doch kein Kind, ich bin ein Jugendlicher. –

– Und wie alt bist du? –

– Schon dreißig. –

– Ja, das ist ja mal jung! –

– Nein, du musst das umrechnen, bei euch wäre das so um die vierzehn. –

Ob das stimmte? Zweifelnd sah sich Ela um, ob jemand ihren Disput mitbekam, aber sie konnte niemanden sehen.