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Was war mit Erich, der mysteriöserweise verschwand, irgendwann früher. Was war mit Josie, die Fotos hatte, die noch viel älter sind? Die Erich gemacht hat und auf denen Tante Josie ist. Eigentlich wollte Meyerle nur friedlich seine Spinnen fotografieren. Eigentlich wollte Jule in Ruhe ihre Bewerbungen schreiben. Eigentlich wollte Trudi ihren Lebensabend genießen. Und eigentlich wollten die beiden Schupos auch nicht viel anderes tun, als sich mit Geschwindigkeitskontrollen ein bisschen Taschengeld verdienen. Nur leider gibt es immer mal wieder Leichen, die dazwischenkommen.
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Seitenzahl: 361
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MITTWOCH, 2. AUGUST
SAMSTAG, 5. AUGUST
SONNTAG, 6. AUGUST
MONTAG, 7. AUGUST
MITTWOCH, 9. AUGUST
DONNERSTAG, 10. AUGUST
FREITAG, 11. AUGUST
DONNERSTAG, 17. AUGUST
FREITAG, 18. AUGUST
SAMSTAG, 19. AUGUST
MONTAG, 21. AUGUST
DIENSTAG, 22. AUGUST
MITTWOCH, 23. AUGUST
DONNERSTAG, 24. AUGUST
FREITAG, 25. AUGUST
SAMSTAG, 26. AUGUST
SONNTAG, 27. AUGUST
MONTAG, 28. AUGUST
DIENSTAG, 29. AUGUST
MITTWOCH, 30. AUGUST
DONNERSTAG, 31. AUGUST
FREITAG, 1. SEPTEMBER
SAMSTAG, 2. SEPTEMBER
SONNTAG, 3. SEPTEMBER
MONTAG, 4. SEPTEMBER
DIENSTAG, 5. SEPTEMBER
MITTWOCH, 6. SEPTEMBER
DONNERSTAG, 7. SEPTEMBER
FREITAG, 8. SEPTEMBER
SAMSTAG, 9. SEPTEMBER
SCHLUSS
EPILOG
DANKSAGUNG
Er starb, weil er unfreundlich war. So und nicht anders musste man es sehen. Auch wenn niemand es für möglich hielt. Letzten Endes war das aber der Grund. Obwohl sich in seinem Leben schon früher einiges andere angeboten hätte. Da war zum Beispiel seine Frau, Ex-Frau, um genau zu sein. Nett war er nicht zu ihr gewesen, eigentlich eher gleichgültig, aber genau das war es, was ihr mehr und mehr zusetzte. Als er ihr schließlich noch sagte, dass sie nichts von ihm bekommen würde, würde er sterben, weil er alles einer Gesellschaft für Männerrechte vermachen würde, hätte sie allen Grund gehabt, ihn hier und auf der Stelle umzubringen. Im Affekt. Damit wäre sie sicher durchgekommen. So, wie die Gerichte manchmal entschieden. Und dann die Schwiegermutter, diese Saatkrähe, wie er sie nannte, oder Pissnelke, auch, wenn sie dabei war und das hörte. Wie oft machte er ihr Essen nieder, wie oft sagte er ihr, sie sei hässlich. Oder dick. Was zwar stimmte. Aber wäre das nicht ein Grund gewesen? Nein. Oder der frühere Nachbar. Als sie noch etwas außerhalb der Stadt wohnten, bevor er versetzt wurde. Dieser Nachbar hatte viele Nerven wegen des Unkrautvernichters verloren. Sie hatten nämlich keinen Rasen im Garten, weil er keine Lust zum Rasenmähen hatte. Stattdessen ein paar Blühpflanzen in Töpfen und Kies und Steine. Diese pflegte er zweimal jährlich mit einem Unkrautvernichter zu überziehen, also nicht die Blühpflanzen in den Töpfen. Aber nicht mit dem gewöhnlichen aus dem Baumarkt, sondern einem besonders starken, den man nur als Gewerbetreibender bekam. Jedes Mal wehte davon etwas in den Garten des Nachbarn und brachte die falschen Pflanzen um. Dann war da noch der Kollege Meier oder Maier, den Namen hatte er sich nie gemerkt, mit dem er vor vielen Jahren zusammenarbeiten musste. Den hatte er, man kann es nicht anders nennen, gemobbt, weil er, wie er glaubte, mehr verdiente und weniger tat. Reine Einbildung, trotzdem aber setzte er Gerüchte über ihn in Umlauf, ließ seine Zimmerpflanzen sterben, schrieb Obszönitäten auf die schlecht geputzten Scheiben des Autos, fing wichtige Informationen ab und tat alles, um ihm sein Leben schwer zu machen. Dabei sah er gar nicht so aus. Auch Meier oder Maier hätte allen Grund gehabt, ihn umzubringen. Auch der machte es letzten Endes nicht. Daher lebte er, letzten Endes, erstaunlich lang.
Meyerle kroch auf dem Boden hinter einer Spinne her. Die Spinne merkte das und bekam Angst. Also suchte sie ein Versteck. Da sie sich mitten auf dem Fußboden im Wohnzimmer befand, bedeutete das ein Problem für sie. Was sie allerdings nicht wusste, war, dass Meyerle aus Prinzip keine Tiere tötete. Auch keine Spinnen. Er hielt seine Kamera bereit und kroch hinterher. Er wollte sie so fotografieren, dass alle acht Beine auf dem Foto waren. Das war nicht einfach. Spinnen können sehr schnell sein. Dann sieht man nicht alle Beine gleichzeitig.
Meyerle, seines Zeichens Arachnologe und stellvertretender Vorsitzender des Vereins Arachnologie, der sich speziell den Spinnentieren, den Arachnida, einer Unterart der Gliederfüßer, den Arthropoda, widmete, versuchte noch eine Weile, ein neues Foto für den World Spider Catalog zu bekommen. Aber da er seine Notizen in Form von Papier auf dem Boden abzulegen pflegte, fand die Spinne, wie sie dachte, eine vorübergehend sichere Unterkunft, und er wurde abgelenkt, als das Handy klingelte.
***
Trudi lebte gern in der Seniorenresidenz. Sie hatte ein komfortables Zweizimmer-Apartment mit Küche und Bad, konnte, wenn sie wollte, Essen bestellen oder aber selber kochen und, das war wichtig, jeden Morgen ihre dreißigminütigen Schwimmübungen im hauseigenen Hallenbad tätigen. Deswegen sah man ihr ihre fünfundachtzig Jahre überhaupt nicht an. Heute allerdings verlängerte sie um fünfzehn Minuten. Sie hatte sich über einen der Ärzte geärgert und wollte noch etwas Adrenalin abbauen.
Das Schwimmbad lag im hinteren Bereich des weitläufigen Gebäudekomplexes. Neben etwa 120 Wohn- und Pflegeplätzen, Therapieräumen und einem Restaurant mit Café verfügte das ehemalige Schloss auch über eine Sporthalle, eine Sauna, einen Friseursalon, eine Kapelle und besagtes Schwimmbad. Alles an dem Gebäude war hell und freundlich. In vielen Ecken standen Blumenkübel mit Pflanzen. Es war der zweite August, ein schöner, heißer Sommermorgen. Überall in der Stadt waren die Leute schon auf dem Weg zur Arbeit. Trudi sah auf die Uhr. Zeit, sich umzuziehen. Heute wollte sie sich wieder einmal mit einer ihrer Nichten treffen. Sie hob sich erstaunlich dynamisch aus dem Wasser, holte Handtuch und Bademantel und zog die Badeschuhe an. Auf dem Weg zur Wohnung klingelte ihr Handy.
»Guten Tag, spreche ich mit Frau Edeltraud Gerlach?«
»Ja.«
»Mein Name ist Anja Keller. Leider muss ich Ihnen eine traurige Nachricht übermitteln.«
Trudi blieb stehen.
»Ich bin die Nichte von Josefine Keller. Sie ist gestern verstorben.«
Trudi und Josie hatten zusammen studiert und waren eng befreundet gewesen, hatten sich aber seit einigen Jahren nicht mehr gesehen.
»Oh.«
Viel mehr fiel Trudi auf die Schnelle nicht ein. Wie alt war sie gewesen? Sechsundachtzig? Ja, ein Jahr älter als sie.
»Ich dachte, vielleicht möchten Sie zur Beerdigung kommen.«
Trudi schwieg betroffen.
»Ja, natürlich«,
sagte sie.
Eine gute Stunde später betrat sie das Café, in dem sie sich mit ihrer Nichte treffen wollte. Es war wie üblich gut besucht. Edeltraud Gerlach war immer noch hübsch, vielleicht, weil sie so viel lächelte. Wangenknochen und Kiefer klar konturiert, keine schlaffe Haut, keine unnötigen Fettpartien. Trudi war klein, schlank und wirkte sehr agil. Sie trug ein schmales, dunkelblaues Baumwollkleid mit einem weißen Gürtel, dazu eine kleine Goldkette und Diamantohrstecker. Fröhlich winkend schritt sie auf den Tisch zu, an dem ihre Nichte saß und Zeitung las.
Die Beerdigung verlief ereignislos. In dem tristen Wetter wirkte der Friedhof, der östlich des Flusses lag, noch düsterer als sowieso schon, und die knappe, belanglose Trauerrede machte es auch nicht besser. Nur wenige waren zusammengekommen, um Josefine Keller zu verabschieden. Schweigend sahen sie zu, wie die Urne in die Grube gesenkt wurde. Einige Meter weiter standen Leute an einem anderen Grab und sangen. Um die Erde herum türmte sich Blumenschmuck. Als Trudi sich zum Gehen wandte, wurde sie von einer Dame im eleganten Kostüm begrüßt. »Sie sind sicher Frau Gerlach, oder? Wir hatten telefoniert.«
Trudi sah mindestens ebenso elegant aus, auch wenn sie schwarz immer etwas blass machte. Sie war eine nunmehr alte Dame mit strahlend blauen Augen. Wenn sie jemanden ansah, schien es, als durchleuchtete sie ihn, und man konnte schon einmal eine Gänsehaut bekommen. Aber gerade warf die Trauer ihre Schatten und verdeckte alle Fröhlichkeit.
»Ja, angenehm, und mein Beileid.«
Sie hielt der Frau ihre Hand hin.
»Danke, aber sie war ja schon sehr alt gewesen.«
Die Frau zögerte.
»Ich meine, sie war ja krank gewesen.«
Trudi musste innerlich grinsen.
»Tut mir leid, aber wir hatten kaum noch Kontakt.«
»Ich weiß, aber sie hat immer viel von Ihnen gesprochen, und ich dachte, Sie möchten vielleicht mitkommen und sich etwas als Andenken aussuchen, eines ihrer Bücher vielleicht oder etwas anderes.«
Trudi nickte höflich.
»Ja, warum nicht.«
»Ach, das ist meine Tochter Jule.«
Die junge Frau stellte sich dazu und sagte:
»Angenehm, Keller.«
»Guten Tag. Auch Ihnen mein Beileid.«
Die erste Dame, die dann ja wohl Anja Keller war, führte Trudi zu ihrem Wagen, nachdem sie noch die wenigen Teilnehmer der Beerdigung und den Pfarrer verabschiedet hatte.
»Sie kannten sich schon ziemlich lange, nicht?« fragte Jule Keller.
»Ja, wir haben zusammen studiert.«
»An der Berliner TU, oder? Mathematik?«
»Ja.«
»Das muss ungewöhnlich gewesen sein. Ich meine, als Frau.«
»Ja, das ist richtig. Damals gab es nicht viele Studentinnen, schon gar nicht in Mathematik.«
»Deswegen waren sie auch befreundet.«
»Naja, wir hatten auch anderes gemeinsam.«
Sie verließen den Parkplatz und fuhren Richtung Stadt. Dann hielten sie vor einem älteren Haus mit großem Garten.
»Hier hat sie gewohnt, bis sie letzte Woche ins Krankenhaus kam. Ich habe die Blumen gegossen, die Post eingesammelt, das Übliche. Mein Bruder lebt mit seiner Familie in den Staaten und konnte nicht kommen. Eigene Kinder hatte sie ja keine.«
»Ich weiß.«
Noch etwas, was sie gemeinsam hatten.
»Ich hoffe, sie hat nicht zu viel gelitten.«
»Ach, sie hatte Probleme mit der Atmung und Unwohlsein. Wahrscheinlich eine Lebensmittelvergiftung. Ich war bei ihr, weil sie mich angerufen hatte. Da kam sie mir schon ziemlich merkwürdig vor. Sie sprach von Dingen, die nicht mehr ganz zusammenhingen. Irgendwie konfus. Ich habe jedenfalls nicht verstanden, worum es ging. Und sie meinte, sie würde Sie gern sprechen wollen. Ich habe dann nicht mehr groß gewartet und direkt den Notarzt gerufen. Ich meine, sie war sechsundachtzig! Auf dem Weg ins Krankenhaus wurde sie bewusstlos. Am Ende hatte sie eine Lungenentzündung und ist dann nachts gestorben. Herzstillstand. Es tut mir furchtbar leid, dass kaum jemand von uns im Krankenhaus war. Aber ich hatte so viel zu tun. Ich habe sie zweimal besucht, aber sie ist nicht mehr aufgewacht.«
Sie hatten sich seit einigen Jahren nicht mehr gesprochen und nun das, dachte Trudi. Wie schade.
»Ich mache Ihnen einen Kaffee, wenn Sie wollen. Und Sie sehen sich einfach einmal um.«
Trudi betrat ein großes Wohnzimmer, das viele Bücherregale und wenig Möbel enthielt. Josie war schon immer Minimalistin gewesen. Bücher hatte Trudi selbst genug. Sie blieb mitten im Raum stehen. Mittlerweile war die Sonne herausgekommen. Die Fenster standen offen, und ein leichter Lufthauch bewegte die Gardinen. Trudi dachte an ihre Zeit an der Universität zurück, als sie ein völlig neues Leben gemeinsam mit vielen anderen Studenten begannen. Die meiste Zeit verbrachten sie mit Vorlesungen, Übungen und Prüfungen. Aber es blieb immer noch genug übrig, um sich politisch zu engagieren. Die damals noch junge Bundesrepublik hatte durchaus auch ihre Schattenseiten gehabt. Beiden war das Studium sehr wichtig gewesen. Und ihre Zukunft. Beide konnten die meisten ihrer Pläne in den Folgejahren umsetzen. Eine erfolgreiche, zufriedenstellende Zeit, dachte Trudi. Für sie sicherlich, für Josie eigentlich auch, wäre da nur nicht die Sache mit Erich gewesen. Trudi wurde aus ihren Gedanken gerissen.
»Wenn Sie hier nichts finden, dann vielleicht auf dem Speicher.«
Trudi holte tief Luft und ließ sie langsam wieder aus. Speicher klang irgendwie nach Leiter. Trudi zögerte. Im Geiste taten sich Spinnweben und Mäuseköddel vor ihr auf.
»Hier, ich zeige es Ihnen.«
Eine ganz normale Treppe führte in den ersten Stock und dann weiter hinauf. Der Speicher war ausgebaut. Das Dach bestand zu einem großen Teil aus Glasfenstern, die man zur Seite schieben konnte. Darunter befand sich ein riesiges Teleskop. Auf den Tischen daneben standen mehrere Linsenfernrohre in unterschiedlichen Größen und eine Computeranlage sowie ein Schreibtisch.
»Sie war Amateurastronomin.«
Trudi wusste, dass der Sternenhimmel Josie schon immer fasziniert hatte.
»Sie war gern hier oben gewesen. Warten Sie, dort sind auch noch Sachen, die sie nicht mehr so oft brauchte. Sie können sie sich gern ansehen.«
Trudi interessierte sich mehr für die Computer. Sie setzte sich an den Schreibtisch. Das meiste waren Fachaufsätze. Bis auf ein Blatt Papier. Trudi las. Entsetzt ließ sie es fallen. Dann ging sie zum Regal, in dem mehrere beschriftete Ordner und Kartons standen. Die meisten waren nach Jahren sortiert. Sie nahm einige mit zu einem Tischchen und setzte sich. Anja brachte den Kaffee.
»Ich lasse Sie allein, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich habe unten noch genügend Schreibtischarbeit zu erledigen.
Formulare, Anträge, Behörden, Sie wissen schon.«
Aber Trudi war bereits vertieft.
Zwei Stunden später, Trudi hatte nichts von sich hören lassen, ging Anja Keller zum Speicher hoch, um nach ihr zu sehen. Trudi war immer noch mit den alten Erinnerungen beschäftigt und hatte einen kleinen Stapel Fotos aussortiert.
»Möchten Sie vielleicht zum Abendessen bleiben? Meine Tochter kommt nachher auch noch einmal vorbei. Es gibt Salat und eine leichte Suppe. Außerdem habe ich selbst gebackenes Brot und etwas Käse.«
Nur mit Mühe konnte sich Trudi Gerlach von den Bildern und den Erinnerungen lösen.
»Ja, wie bitte? Essen, ach, gern.«
Trudi sah auf die Ordner und Alben.
»Sagen Sie, benötigen Sie das noch?«
Frau Keller schüttelte den Kopf.
»Hätten Sie etwas dagegen, es mir zu überlassen?«
»Natürlich nicht.«
Wunderlich, eben alt, dachte Anja Keller.
»Ich kann es Ihnen einpacken und vorbeibringen lassen.
Zum Tragen ist es zu viel.«
Trudi überlegte nicht lang.
»Ja, gern.«
»Alles?«
»Ja, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Nein, kein Problem. Ich würde es nur wegwerfen. Diese
Bücher auch?«
In den Regalen standen viele Fachbücher über Mathematik, Astronomie und Physik. Aber die brauchte sie nicht.
Gegen achtzehn Uhr saß Trudi mit Anja und Jule Keller unten am runden Tisch im Wohnzimmer mit den vielen Büchern und hörte sich Geschichten aus Josies Leben an.
Sie war nur mit einem Ohr dabei.
»Sie haben doch auch Mathematik studiert?«
fragte Jule plötzlich.
»Ich nämlich auch. Aber Sie waren beide in Berlin, oder?«
Trudi nickte und schob die Fotos, die vor ihr lagen, zur Seite.
»Und kannten Sie vielleicht Professor Wagner? Martin Wagner? Oder Kurt Hesse?«
»Ja, natürlich.«
»Oh, wie interessant, ich habe einige ihrer Bücher gelesen.«
Anja, die mit Mathematik und anderen zahlenlastigen Wissenschaften nichts am Hut hatte, brachte die Unterhaltung wieder in harmlose Bahnen zurück und erklärte, wie einfach es doch war, Brot selbst zu backen. Kurze Zeit später verabschiedete sich Trudi, im Arm ein paar Fotos und ein Buch, in dem das Blatt Papier versteckt war, auf dem ihr Name stand. Als Jule ihr die Hand gab, sagte sie: »Wissen Sie, ich habe gerade meinen Doktor gemacht. Vielleicht hätten sie Lust, auf meine Feier zu kommen? Am 27. August? Meine beste Freundin Johanna Schmitz und ich feiern zusammen unsere Promotion, sie wird dann auch 30, deswegen haben wir das Datum gewählt.«
»Schmitz?«
sagte Trudi nachdenklich. Aber so hießen ja viele Leute.
Trudi fuhr mit dem Taxi zurück zur Residenz, in der Tasche einen Stapel Fotografien, ein Buch und ein Blatt Papier. Kaum angekommen, traf sie einen ihrer guten Bekannten. Er lud sie ein, mit ihm im Restaurant noch ein Glas Wein zu trinken. Warum nicht, das Bett war ja nicht weit.
Der nächste Tag war ein Sonntag. Gleich nach dem Frühstück setzte sich Trudi an die Recherche. Sie hatte den kompletten Inhalt von Josies Computer in die Cloud geschickt und wollte ihn nun durcharbeiten. Nachdenklich betrachtete sie die vielen Dateien. Nicht alle schienen sich mit Astronomie zu beschäftigen. Sie ging in Gedanken nochmals ihr Gespräch mit Anja Keller durch und beschloss, sie anzurufen.
»Was hatte Josie eigentlich genau gehabt?«
wollte sie von ihr wissen.
»Sie hatte eine Lungenentzündung, und das Herz hat versagt. Völlig normal, kann man fast schon sagen, für eine so alte Dame, ich meine, Entschuldigung.«
»Kein Problem. Aber was war, bevor sie ins Krankenhaus kam?«
»Ihr war nicht gut. Und sie hatte Probleme beim Atmen. Ihr war schwindelig, glaube ich. Kopfschmerzen. Ich weiß es nicht mehr so genau. Als ich kam, wirkte sie schon sehr durcheinander.«
»War sie vorher gesund gewesen?«
»Relativ ja. Sie achtete immer sehr auf Bewegung und gesundes Essen, hatte aber Herzprobleme. Nicht so schlimm, eine Operation war nicht nötig. Aber sie musste zweimal im Jahr zur Kontrolle zum Arzt.«
»Können Sie sich noch daran erinnern, was sie gesagt hat?«
»Ach herrje, etwas von Generationen? Gefährliche Generationen? Das ergab für mich keinen Sinn. Und etwas von der Familie. Eine große Familie. Aber unsere Familie ist überhaupt nicht groß. Sie war nie verheiratet und hatte keine Kinder. Sie hatte nur eine Schwester, meine Mutter. Ich habe einen Bruder. Naja, da kommen doch ein paar Leute zusammen. Aber als groß würde ich unsere Familie nicht bezeichnen.«
Anja dachte nach.
»Dann eine Formel, meine Güte, ich weiß nicht mehr. Ich habe auf ihre Zahlen und Sterne nie besonders geachtet, ehrlich gesagt. Sie klang auch so unklar, etwas mit Stoff? Und Ihren Namen, daran erinnere ich mich genau. Ja, und sie sagte etwas von wichtig. Also, ich habe das so interpretiert, dass Sie wichtig wären. Sie schien sehr aufgeregt zu sein und ich sagte ihr, sie solle sich beruhigen, das kriegen wir schon wieder hin. Sie solle lieber nichts sagen und ihre Kräfte schonen. Ich war selbst etwas nervös, ehrlich gesagt. Dann kam auch schon der Krankenwagen. Die Sanitäter haben ihr gleich eine Sauerstoffmaske aufgesetzt, und sie konnte nicht mehr sprechen. Dann wurde sie bewusstlos und ist nicht mehr aufgewacht. Und ich habe vergessen, Ihnen Bescheid zu geben, denn ich war etwas im Stress. Aber sie hätte ohnehin nicht mehr mit Ihnen reden können.«
»Was haben die Ärzte gesagt?«
»Sie vermuten eine Lebensmittelvergiftung. Im Krankenhaus bekam sie erst Fieber und dann wohl Flüssigkeit in die Lungen. Der Arzt meinte, dass bei älteren Menschen die Anzeichen einer Lungenentzündung oft nicht so ausgeprägt sind wie bei jüngeren. Er hat auch gesagt, dass er eine Obduktion in diesem Alter nicht für notwendig erachtet, und ich habe nicht darauf bestanden.«
»Wissen Sie, ob es Proben gibt? Gewebeproben? Urin? Blut?«
»Keine Ahnung.«
Trudi dachte nach.
»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«
»Nein, ich war durch den Anruf erschrocken und dann in Sorge um sie, da habe ich gar nicht auf irgendetwas anderes geachtet, als so schnell wie möglich einen Arzt herzuholen.«
»Können Sie beschreiben, was Sie vorfanden, als Sie kamen? War etwas anders als sonst?«
Langsam fand Anja Keller diese Fragen merkwürdig.
»Nein. Alle Fenster waren auf, als ich kam. Es war warm.
Vielleicht ein bisschen mehr Durcheinander als sonst. Sie war immer sehr diszipliniert und ordentlich. Ach ja, zwei Wasserflaschen standen auf dem Schreibtisch. Normal nahm sie immer nur eine. Und ich sah ein paar Pfützen.
Aber sie war ziemlich zittrig, deswegen hatte sie wohl etwas verschüttet, als sie Durst bekam. Aber sonst, nein, es war alles wie immer.«
Trudi schwieg. Das beruhigte sie. Nur passte es nicht zusammen.
»Falls Ihnen noch etwas einfällt, könnten Sie mir dann Bescheid geben?«
»Ja, natürlich. Meine Güte, Sie klingen ja wie die Polizei.«
Die Seniorenresidenz Schloss Lucrecia lag östlich des Flusses in einem der besten Viertel Fahrenzburgs. In der Einrichtung gab es zahlreiche größere Apartments im Südflügel, Ein- und Zweibettzimmer, eine Abteilung für Pflegebedürftige und eine Krankenstation. Ein großes Team an Sozial-, Pflege-, Hauswirtschafts-, Betreuungs- und Servicefachkräften stand den Bewohnerinnen und Bewohnern dezent und allseits bemüht zur Verfügung. Trudi bewohnte eines der größeren Apartments und hatte daher keine Probleme, als am Montag die Lieferung mit den Unterlagen aus Josies Haus kam. Anja hatte sie sorgfältig verpackt. Nun standen vier Umzugskartons im Wohnzimmer. Der Packer war so freundlich und half ihr, die Ordner, Tüten, Schachteln und Alben herauszuholen und sie ordentlich auf dem Boden aufzureihen. Für die nächsten Tage wäre sie beschäftigt.
***
Das Büro war hell und geräumig. Eine große Topfpflanze stand rechts neben dem Fenster, das bis zum Boden reichte. Deswegen stand die Pflanze daneben und nicht davor. Schließlich muss man ein Fenster regelmäßig öffnen können. Liebevoll nahm er den Spitzer in die Hand, schob den Bleistift hinein und drehte ihn exakt fünf Mal herum. Dann nahm er den zweiten Bleistift, der es eigentlich nicht nötig hatte. Aber das war eine Frage des Prinzips. Dann überprüfte er den Mailzugang und sah auf den Kalender. Seit der letzten Kontrolle vor zehn Minuten hatten sich keine Neuerungen ergeben. Beruhigt griff er zur Zeitung, die für Notfälle, wenn es etwa um Arbeitsengpässe ging, stets griffbereit auf dem Schreibtisch lag. Als Beamter im gehobenen Dienst war er selbstverständlich stets anwesend. Daran hatte er sich gewöhnt. Klaus Schmitz war einer der vielen Mitarbeiter in der Bundesstelle für soziale Fragen Deutschland, BSSD, in der Prinzenstraße 23 in Fahrenzburg. Sein Büro lag nach hinten hin zum Hof, in dem mehrere Bäume standen, die wiederum von einer kleinen Grünfläche umsäumt wurden. Der Ausblick war daher angenehm und beruhigend. Wie eigentlich alles an seiner Arbeit. Draußen funkelten die Tautropfen auf den Blättern der Bäume. Ein schöner Tag kündigte sich an. Der Himmel war blau, und im Haus gegenüber saßen noch einige Leute am Frühstückstisch. Auf dem Schreibtisch stand ein eingerahmtes Foto mit einem Mann im Anzug, einer Frau in einem hellen Kleid und zwei Kindern, einem Jungen und einem Mädchen. Die Familie seiner Schwester, zu einer eigenen war es nie gekommen. Der Job war zu unsicher. Früher gewesen. Jetzt nicht mehr so sehr. Im Grunde war er gut beschäftigt, als es klopfte. Unwillig blickte er auf. Oft kam es nicht vor, dass ihn jemand bei seiner Arbeit störte. Die Stelle war für Besucher lediglich freitags geöffnet. Es konnte also nur ein Kollege sein. Klaus Schmitz legte die Zeitung lieber auf den Schreibtisch und setzte eine grimmige Miene auf. Na, wenigstens verging die Zeit bis zur Mittagspause dann schneller.
Einige Zeit später setzte sich Klaus Schmitz zu seinem Kollegen Jürgen Kuntze an den Tisch in der Kantine. Beide waren gleich alt, 54, und hatten ungefähr zur gleichen Zeit bei der BSSD begonnen. Auch ihre Väter waren hier tätig gewesen. Jetzt gingen sie nur noch einfachen Büroarbeiten nach, denn Klaus hatte Rückenprobleme und Jürgen eine schlechte Allgemeinkonstitution. Aber früher, ja, früher, da waren sie viel im Ausland unterwegs. Man sprach von früher. Dann von ihrem gemeinsamen Projekt. Sie sollten eine Zentrumsfeier für politische Schönheit ausrichten. Dazu hatte man ihnen drei Jahre Zeit gegeben, die waren bald vorbei. Außerdem waren sie und vier weitere Kollegen mit der Pflege der Archive Nummer 50 bis 59 betraut. Der Keller verfügte über weitläufige Flure mit vielen Räumen, in denen sich Akten aus der Vergangenheit Deutschlands stapelten. Viele waren nicht digitalisiert und galten als geheim. Um sie zu betreten, musste man einer bestimmten Sicherheitskategorie angehören. Leider verfügten Schmitz und Kuntze lediglich über Stufe fünf, was sie ärgerte, arbeiteten sie doch schon so lange hier. Auch dies war oft Gegenstand ihrer Gespräche. Dann sprachen sie über die Sekretärinnen, die ihrer Meinung nach ihre Arbeit immer schlechter erledigten und über die Kollegen, für die das gleiche galt.
Nachmittags stand Jürgen Kuntze am Fenster in seinem Büro und blickte auf das gleiche Baumensemble wie sein Kollege. Dann setzte er sich wieder an den Schreibtisch. Er stand auf und ging zur Sekretärin, um seine Post abzuholen. Er musterte sie missbilligend, weil sie sie ihm nicht sofort hinüberreichte. Kuntze sah die Briefe durch, fand aber keinen neuen Auftrag, der ihn von den Vorbereitungen zur Zentrumsfeier hätte ablenken können. Er dachte darüber nach, was Klaus Schmitz ihm erzählt hatte. Der war bei seiner Nichte eingeladen, die ein Fest anlässlich ihres dreißigsten Geburtstages und dem Bestehen irgendeiner Universitätsprüfung feierte. Er selbst war geschieden, hatte keine Kinder und keine Geschwister und entsprechend auch nie Einladungen zu Familienfeiern. Jürgen Kuntze wusste nicht, ob er das gut oder schlecht finden sollte. Eigentlich war es egal.
Mit strengem Gesicht blickte er in die Runde. Der Besprechungsraum war kaum besetzt. Aber nachdem er nun die Leitung übernommen hatte, wollte er das Gefühl, hier vorne sitzen zu dürfen, ausprobieren. Rechts neben ihm saß Kommissaranwärter Philip Pfeifer, ein junger Mann im dritten Ausbildungsjahr mit dunklen Locken und mahagonibraunen Augen, die die Damenwelt schnell in Verzückung geraten ließen, links Felberts Lieblingsstreifenpolizisten Alfons Müller und Bertram Carl Müller, kurz Müller A und Müller BC. Müller A war ein unscheinbarer Mann in den Dreißigern mit Geheimratsecken, Bierbauch und stets schmuddeligen Hemdmanschetten. Sein Kollege wog mehr, denn er mied jede unnötige Bewegung. Ansonsten war er mindestens genauso schlicht, optisch wie auch hirntechnisch.
Kriminalkommissar Frank Felbert oblag momentan die Leitung des Kommissariats, das unter anderem für Eigentums- und Rauschgiftkriminalität sowie die Verletzung von Rechtsgütern zuständig war. Für Internet und Cybercrime hatte die Fahrenzburger Kripo eine eigene Abteilung. Sein Vorgesetzter weilte momentan für einige Wochen auf Fortbildung in den Staaten, und aus Kostengründen hatte man bei Felbert auf die restliche Zeit der Suspendierung verzichtet, denn eigentlich war er seit Sonntag vom Dienst befreit, weil es in seinem Verantwortungsbereich zu einer tödlichen Schussverletzung gekommen war. Felbert trug wie immer Jeans, T-Shirt und Sneakers, war einen Meter siebenundsechzig groß, neununddreißig Jahre alt, hatte ein rundes Schweinsgesicht mit kleinen, wässrig-grauen Augen, eine Vollglatze und einen deutlichen Bauch. Trotz seines Äußeren und den nicht besser gestalteten geistigen Gaben hatte er eine hohe Meinung von sich. Er hatte gerade eine Einbruchsmeldung auf dem Tisch, bei der offenbar nichts gestohlen worden war, zwei Verkehrsunfälle mit je fast tödlichem Ausgang und eine Schlägerei. Derzeit hatte die Stadt wenig spannende Morde zu bieten, genaugenommen keinen einzigen. Und so mussten sie sich mit dem Einbruch ohne Diebstahl zufrieden geben und anderen langweiligen Dingen. Aber das Langweiligste war sowieso das Berichteschreiben, für das ab sofort Pfeifer zuständig war.
Müller A saß etwas zurückgelehnt da. Er hielt sein Handy unter den Tisch und prüfte seine Nachrichten. Müller BC machte sich mit dem Draht einer Büroklammer die Nägel sauber. Pfeifer sah konzentriert aus.
»Also, was war das mit dem Einbruch?«
Müller BC ließ die Büroklammer fallen.
»Na, nichts Besonderes. Die Wohnung war durchwühlt, aber die Frau, die uns reingelassen hat, konnte nicht genau sagen, ob etwas fehlte. Aber sie meinte, wahrscheinlich nicht. Es war sowieso mehr alter Kram gewesen bis auf den Dachboden, da war alles neu.«
»Wahrscheinlich?«
»Ja, war alles zu groß, um es mitzunehmen oder uninteressant. Schätze ich.«
Felbert warf einen Blick auf den kryptischen Bericht.
»Astrologiezubehör«,
las er laut vor.
»Was ist das?«
»Na, Fernrohre und so. Die waren aber alle noch da. Und die Computer auch.«
Pfeifer betrachtete eingehend die Tischplatte. War er der Einzige, dem es auffiel?
»Mehrere?«
fragte Felbert.
»Ja, ich habe aber nicht gezählt. Oh, hätte ich das tun sollen? Die waren aber auch alle noch da gewesen. Die Frau meinte, da fehlte wohl nichts.«
»Mmh«,
murmelte Felbert.
»Sonst noch was?«
»Nee, bei dem einen Unfall war der Fahrer stark alkoholisiert, bei dem anderen haben wir Fahrerflucht, aber alle Leute sind noch am Leben.«
»Mmh.«
sagte Felbert noch einmal.
»Ich glaube, die Protokolle können wir nicht so lassen.
Pfeifer, pimp die mal auf!«
Er streckte sich.
»Und zwar ASAP.«
Als Pfeifer nicht sofort reagierte, präzisierte er:
»Hoppigaloppi.«
Pfeifer nickte seufzend. Felbert schob ihm die Blätter zu.
»Ach!«
sagte Pfeifer dann.
»Der Einbruch und die Fahrerflucht waren ganz nah beieinander, habt ihr das gemerkt?«
»Nee, wieso?«
»Naja, und beide in der Nacht zum Dienstag.«
Das Haus, in dem Josie Keller gewohnt hatte, war relativ einfach gehalten, symmetrisch, weiß gestrichen, Dachziegel dunkel. Nur der Dachausbau war auffällig. Der Garten wurde an drei Seiten von einer Hecke begrenzt. Weiter hinten wuchsen eine Eiche, zwei Birken und ein Apfelbaum. Vorne, hinter dem schmiedeeisernen Zaun, blühten Sommerblumen und Stauden. Die Beete waren ebenfalls sehr gepflegt. Statt Gartenzwerge standen Elfen zwischen Oleander- und Oliventöpfen vor der Haustür.
Trudi klingelte, und Anja machte ihr auf.
»Vielen Dank, dass Sie sich die Mühe machen.«
Anja ließ sie ein.
»Ich dachte mir, Sie wollten es vielleicht wissen. Ich habe noch nicht richtig aufgeräumt.«
Der Einbruch hatte seine Spuren hinterlassen. Aber Trudi wollte zum Computer. Deswegen warf sie nur einen kurzen Blick ins Wohnzimmer, wo die meisten Bücher auf dem Boden lagen, und ging gleich die Treppe hoch. Anja Keller hatte sie eine Stunde zuvor über den Einbruch in Kenntnis gesetzt, über vierundzwanzig Stunden danach. Trudi setzte sich an Josies Computer und fand schnell heraus, dass hier jemand die Dateien gelöscht hatte.
»Weiß jemand, dass Sie mir die Ordner und die anderen Unterlagen geschickt haben?«
»Nein, nur der Paketbote. Der hat die Sachen am Montag früh mitgenommen.«
»Hat jemand sich danach erkundigt?«
»Nein, wieso?«
»Wenn jemand fragt, sagen Sie bitte, Sie hätten schon alles weggeworfen!«
»Ja, kann ich machen.«
»Wissen Sie, was mir aufgefallen ist? Sie hatte überhaupt keinen Terminkalender oder etwas mit Adressen. Ich habe zumindest nichts gefunden.«
»Den habe ja auch ich, bei mir im Büro. Ich habe nach Leuten gesucht, die ich wegen ihres Todes informieren sollte. Warum?«
»Standen da Termine drin?«
»Ich glaube ja. Warum?«
»Könnte ich mir den einmal ansehen?«
»Natürlich.«
»Jetzt gleich?«
»Oh, schon, ja. Ich muss sowieso zurück. Ich kann Sie mitnehmen.«
Trudi musterte die leeren Regale. Sie musste sich beeilen.
Jegar Michajlowitsch Gagarin, Fjodor Wladimirowitsch Petrow und Sergej Sergejewitsch Sokolow bildeten die schnelle Eingreiftruppe von Arthur Schmiedehummer. Da er keine Lust hatte, sich die Namen zu merken, nannte er sie Jega, Fjop und Seso. Alle drei groß und kräftig, bilingual deutsch-russisch, jung und voller Energie, hatten sie beim letzten Bruch Mist gebaut und zwei Autos angefahren. Jetzt mussten sie ihr eigenes so entsorgen, dass keine Spuren blieben. In der Szene gab es genügend Schrotthändler, kein Problem. Sie konnten sich nur nicht darauf einigen, wer die Strafe zahlen musste. Jega hatte hinter dem Steuer gesessen. Fjop hatte auf ihn eingeredet, ergo abgelenkt, und Seso hatte seine Musik hinten zu laut gehabt, so dass Jega Fjop nicht hatte verstehen können und sich nur eine Sekunde zu ihm umgedreht hatte, als der mit ihm sprach. Da war es schon zu spät. Und aufgrund fortgeschrittener Nervosität waren sie dann an ein weiteres Auto gefahren. Alle drei weigerten sich auch strikt, die Zahlung zu dritteln. Seso meinte, dass die Versicherung der Gewerkschaft für die Kosten aufkommen müsste, allerdings war dann zu befürchten, dass die Mitgliedsbeiträge stiegen. Ein scheußliches Dilemma.
Jega hatte Informatik studiert. Fjop war Geisteswissenschaftler und Seso Jurist, allerdings mit kläglichen Noten. Deswegen hatte er zusätzlich eine Ausbildung als Zahntechniker absolviert. Er galt als handwerklich sehr geschickt und trug als einziger eine dicke, schwere Kette um den Hals. Die drei gehörten der neuen Bewegung der intellektuellen Kriminellen Europas an. Sie hatten sich mit vielen anderen zusammengeschlossen und waren nun Mitglied in der Gewerkschaft der Klein- und Großganoven, der GKG. Voraussetzung war ein abgeschlossenes Universitätsstudium mit mindestens der Note gut oder eine ausgleichende handwerkliche Ausbildung sowie das flüssige Beherrschen mindestens dreier europäischer Sprachen, Ziel die Aufwertung des Ganovengewerbes und dadurch eine Anhebung des Durchschnittsverdienstes. Die drei konnte man allerdings nur in Kombination anheuern. Schmiedehummer hatte sie seit vielen Jahren exklusiv gebucht. Sie waren ihm von seinen Auftraggebern empfohlen worden und hatten sich als äußerst kompetent und zuverlässig erwiesen.
Arthur Schmiedehummer war von seiner Connection über ein Leck informiert worden. Der große, kräftige Mann schob sich seine Brille hin und her und brütete über den Dateien, die ihm Jega, der Computerspezialist, vom Computer der Alten kopiert hatte. Er wurde nicht klug daraus. Auch die Kopien der Papiere, die sie gefunden hatten, halfen nicht viel. Der Computer war ordnungsgemäß geleert worden. Er hoffte, sie hatten vorher wirklich alles erwischt. Arthur war enttäuscht. Sie hatten ihm herzlich wenig geliefert. Oder seine Connection hatte einen Fehler gemacht. Wahrscheinlich. Er hatte es sowieso nicht geglaubt. Jedenfalls konnte er nichts finden. Nichts Verdächtiges da, aber trotzdem alles gelöscht. Das war wichtig gewesen. Und die Frau war jetzt tot. Sie konnten beruhigt sein. Deswegen setzte er sich relativ gelassen an den Bericht. Scheiß Berichte, wirklich.
Trudi brauchte nicht lange, um virtuell an die Krankenakte von Josie Keller zu kommen. Aber sie konnte nichts Ungewöhnliches sehen. Trotzdem, ihr Verdacht war begründet, sie war sich sicher. Dann setzte sie sich wieder an den Schreibtisch. Auf einem der handgeschriebenen Blätter standen Formeln, die sie nicht einordnen konnte. Sie rief noch einmal bei Anja an.
»Wissen Sie, woran Josie zuletzt gearbeitet hat?«
Aber Anja konnte ihr nicht helfen, allein schon, weil sie sich nicht für Astronomie interessierte.
»Aber vielleicht weiß Jule ja etwas. Die beiden haben sich öfter getroffen. Warum eigentlich?«
Trudi bezweifelte, dass es sinnvoll wäre, ihr etwas von ihrem Verdacht zu sagen.
»Ach nur, weil wir uns schon so lange kannten und ich von ihren letzten Lebensjahren nichts mitbekommen habe.«
Trudi konnte ganz harmlos klingen, wie eine ganz normale alte Dame. Gut, dass Anja weit weg war. Sie rief bei Jule an, und diese schlug direkt ein Treffen vor.
»Heute Abend?«
»Gern, ich kenne da eine gute Pizzeria.«
Um sieben Uhr abends saßen sie draußen an einem der hübsch gedeckten Tische und bestellten zunächst Wein und Salat. Im Hintergrund geisterten einige Kinder zwischen den Gästen herum und spielten Fangen. Der größte der Jungen, er war sicher bereits über zehn, rief mehrfach etwas in die Runde, woraufhin lautes Kreischen ertönte. Ein Kellner stieß mit ihm zusammen und verschüttete die Getränke. Daraufhin begann eines der kleineren Kinder zu weinen, weil es einen Schuss Cola abbekommen hatte. Die Eltern saßen entspannt an ihrem Tisch und unterhielten sich.
Trudi hatte einige Papiere dabei. Der Kellner kam und stellte ihnen die Gläser hin, dann legte er Besteck und Servietten dazu. Trudi hob ihr Glas und stieß mit Jule an.
»Schön, dass Sie so schnell Zeit hatten.«
»Ja, kein Problem.«
Jule war intelligent, attraktiv und wusste, was sie wollte:
Mathematik, Zahlen, Gleichungen, Unbekannte und Unbekannte finden. Sie tranken einen Schluck. Trudis Augen blitzten. Die Kinder spielten weiter. Eines wurde gefangen und stieß, sicherlich aus Versehen, an einen der Nachbartische, so dass ein Glas umfiel. Der Wein floss über die weiße Tischdecke.
»Ehrlich gesagt hat Tante Josie mir Einiges von Ihnen erzählt.«
»Ach, tatsächlich?«
Trudi lächelte und dachte an schöne und unterhaltsame alte Zeiten. Das Kind schrie. Die Eltern unterhielten sich angeregt und aßen eine Vorspeise.
»Wollen wir vielleicht du zueinander sagen?«
schlug Trudi vor.
»Aber gern.«
Wieder hoben sie die Gläser und stießen an. Der Salat kam. Die Kinder hatten nun Stöcke in der Hand und spielten Totschießen. Nach einer Weile fragte Trudi:
»Woran hat Josie zum Schluss gearbeitet?«
Sie sahen sich eine ganze Weile starr in die Augen. Dann erzählte Jule. Weder Trudi noch Jule fanden es ungewöhnlich, so etwas über eine Sechsundachtzigjährige zu fragen.
Jule wusste Bescheid. Josie war wissenschaftlich noch aktiv gewesen. Für die astronomischen Themen interessierte sich Trudi nicht, aber sie hörte zu und wartete, ob noch etwas anderes kam.
»War das alles?«
fragte sie schließlich. Mittlerweile standen zwei gut dimensionierte Pizzen vor ihnen.
»Wieso willst du das wissen?«
Jule musterte ihr Gegenüber. Auch ihre Augen blitzten. Jule hatte etwas, was man nicht klar benennen konnte. Eine Präsenz, der man sich nicht leicht entzog. So war Josie auch gewesen. Dunkelbraune Haare mit einem Stich ins Rötliche, Rehaugen, harmlos und lieb, wenn man es nicht besser wusste. Trudi beobachtete das Gesicht, das dezent geschminkt war. Die dunklen Augen, die langen, dichten Wimpern, die fein geschwungene Nase, der Mund, der nicht lächelte. Sie blickten ernst, fast lauernd. Lange sagten beide nichts, wie zwei Kämpfer, die sich gegenüberstanden und herausfinden mussten, ob Angriff oder Flucht die angemessenere Reaktion war. Samurai, die sich schweigend umkreisten, ohne eine Entscheidung treffen zu können. Eine unbehagliche Stimmung breitete sich aus und griff um sich, leise und unsichtbar. Dann entschloss sich Trudi zu einem ersten Schritt.
»Ich weiß nicht, was du über deine Großtante wusstest.
Aber ich finde ihre Todesumstände ungewöhnlich.«
Jule legte das Besteck nieder und lehnte sich zurück.
»Du hast den Brief gefunden?«
sagte sie.
»Ja, allerdings.«
»Ungewöhnlich ist noch harmlos ausgedrückt.«
Wieder schwiegen die beiden. Wie weit durfte man gehen?
Prüfend blickten sie sich an. Jule konzentrierte sich auf ihre Pizza.
»Ich habe im Terminplaner von Josie eine Adresse gefunden«,
fuhr Trudi fort. Mehrere Schüsse fielen in Form von lautem Peng-Peng-Gejohle. Direkt in Trudis Ohr. Dann brach ein Kind unter ihrem Tisch schwer verletzt zusammen.
»Ahh!«
Trudi und Jule retteten ihre Gläser, die bedrohlich schwankten, und prosteten sich mit zusammengepressten Lippen zu. Eine geheime Botschaft surrte zwischen den beiden Augenpaaren hin und her.
»Ich bin tot.«
»Gar nich.«
»Ahh!«
»Ich habe dich gar nicht getroffen.«
Jule leerte ihr Glas und stellte es auf den Tisch. Das Kind war wieder gesund und lief johlend weiter.
»Ach ja?«
sagte Jule. Sie ließ Trudi nicht aus den Augen. Was wusste sie?
»Prinzenstraße 23.«
Jule reagierte nicht.
»Warum war sie da?«
Jule kaute sehr langsam, nahm einen Schluck Wein und schnitt ein Stück von ihrer Pizza ab.
»Sie wollte etwas im Archiv nachsehen.«
Nun schwieg Trudi eine Weile.
»Und was?«
»Dann hast du die Fotos noch gar nicht gefunden?«
Sie aßen fertig und beschlossen zu zahlen. Die Kinder hatten ein neues Spiel angefangen, bei dem man im Zickzack um Tische herumlaufen musste. Sie kamen nun zum dritten Mal an Trudis Stuhl vorbei, als ein lauter Schrei ertönte und der große Junge zu Boden fiel.
»Wäh, Mama, die hat mir ein Bein gestellt.«
»Aber Schatz, du bist halt nur gestolpert.«
»Gar nich, die war das.«
Er zeigte diffus in irgendeine Richtung. Trudi schlug die Augen nieder, aber Jule war das Glitzern nicht entgangen.
Die Seniorenresidenz Schloss Lucrecia war der ehemalige Sitz der Familie derer von Tarquilus und zu Ehren einer der Frauen benannt. Der letzte Lebende der Adelsseite hieß Don Luigi Caspar Tarquilus d’Adige. Er starb 2001 und hinterließ keine Erben, lediglich eine größere Villa. Noch zu Lebzeiten verkaufte er seinen Besitz. Eine Firma übernahm das Gebäude unter der Auflage, ihm bis zu seinem Tode einen Teil der Räumlichkeiten zu überlassen und ihn mit allem, was er brauchte, zu versorgen. So konnte er seinen relativ anspruchsvollen Lebensstil weiterführen. Bereits damals wurden schon Anbauten vorgenommen. Nach seinem Tode wurden auch die restlichen Räume renoviert. Es entstand die heutige Seniorenresidenz um das ursprüngliche Gebäude, der Villa Lucrecia, als Kern. Einrichtung und Technik waren auf dem neusten Stand, die Zimmer hell und großzügig. Die moderne Ausstattung bot einen interessanten Kontrast zu dem alten, ehrwürdigen Bauwerk in der Mitte der Anlage.
Eine halbe Stunde später saßen Trudi und Jule in Trudis Wohnung vor den Ordnern und Alben und suchten.
Schließlich hob Jule zufrieden einen Handvoll Fotos hoch.
»Hier.«
Jule sah eine junge, bildschöne Josie, vor einer Kirche, zwischen zwei Autos, im Park vor einer Statue, auf einer Bank.
Sie drehte die Aufnahmen um.
»Auf der Rückseite steht in Liebe.«
Trudi betrachtete die Bilder genauer.
»Meine Güte, wie sie lächelt. So strahlend, so sorglos und glücklich. Die hat bestimmt Erich gemacht. Die beiden waren schwer verliebt.«
»Was weißt du von ihm?«
wollte Jule wissen.
»Sie waren sehr eng befreundet. Erich Heinze war damals um die zwanzig und studierte Politikwissenschaften und Kommunikations- und Medienwissenschaften an der FU, dort, wo Josie und ich auch Sprachkurse belegt hatten.
Nach seinem Studium arbeitete er als Journalist. Im Herbst 1968 war er bei einem Auslandseinsatz und kehrte nicht zurück. Seitdem gilt er als vermisst.«
Nachdenklich hielt Jule eines der Fotos in der Hand.
»Sie sieht aus, als ob sie direkt aus dem Foto ins Leben springen wollte. Sie war schön, und so jung.«
So wie du, dachte Trudi wehmütig.
»Ja, die beiden waren sehr glücklich miteinander.«
Trudi lächelte.
»Ist er der Grund, warum sie nie geheiratet hat?«
Trudi sah Jule aufmerksam an. Sie zögerte.
»Ja, ich denke schon.«
Auch Jule blickte auf. Wieder stand ein seltsames Hindernis zwischen den beiden. Was weißt du noch? schienen die Augen zu fragen. Jule wurde es ungemütlich. Trudi hatte eindeutig mehr Erfahrung in dem Spiel mit dem Niederstarren.
»Und was ist nun mit den Fotos?«
Jule zögerte. Sie schnippte etwas Unsichtbares von ihrem Ärmel.
»Vielleicht ist es besser, wir erzählen uns, was wir wissen.
Okay?«
»Okay«,
sagte Trudi leise.
»Was ist mit den Fotos?«
»Das weiß ich eben nicht. Ich hatte sie besucht und sie hat von früher erzählt. Wir haben uns alte Fotos angesehen, und plötzlich war sie still. Ich dachte, ihr wäre schlecht.
Aber sie schüttelte nur den Kopf, fasste sich an die Stirn und sagte, sie müsse unbedingt etwas überprüfen. Ob ich ihr helfen könnte. Na klar, habe ich gesagt.«
Trudi sah sich noch einmal die Bilder an.
»Und?«
»Sie sagte, dass sie in eine Behörde wollte und dass sie befürchtete, dort nicht ernst genommen zu werden. Sie müsse etwas in den Archiven nachsehen. Aber sie müsse erst noch zu einem Fotoshop. Deswegen dachte ich, dass es mit den Fotos zusammenhing.«
»Und?«
»Und dann waren wir beide in dieser Behörde, und sie hat einen Termin für die Recherche im Archiv bekommen. Das war wirklich nicht einfach. Es hieß, diese Archive seien für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Aber sie sagte etwas von alten Erinnerungen und sie würde sicher bald sterben. Und ich habe auch ordentlich geblinzelt und gelächelt, da ist der Mann weich geworden. Den Rest hat sie allein gemacht, aus Sicherheitsgründen, hat sie noch gesagt.«
»Wie kommt es, dass ich dir nicht glaube?«
Trudi lächelte nicht mehr. Jule auch nicht.
»Was genau hat sie gemacht?«
»Sie war bei einem der Mitarbeiter.«
»Name?«
»Klaus Schmitz.«
»Schmitz?«
»Ja, und dann im Archiv.«
Jule fiel das Glitzern in Trudis Augen auf.
»Die Fotos müssten aus den fünfziger Jahren sein«,
sagte Trudi. Jule lächelte immer noch nicht.
»Und welcher Fotoshop war das?«
fragte Trudi.
»Keine Ahnung, da muss ich passen.«
»Und das hier?«
Trudi hielt Jule Josies Terminkalender vor die Nase.
»Hier, am 21. Juli.«
»Ef en, ef en«,
murmelte Jule vor sich hin.
»Ja, was bedeutet das? Kennst du jemanden mit diesen Initialen.«
»Nein, tut mir leid.«
Beide schwiegen.
»Und nun?«
fragte Jule.
»Warum glaube ich, dass du mir nicht alles erzählt hast?«
sagte sie. Zwei Augenpaare schossen Blitze.
»Warum glaube ich du auch nicht?«
Zwei Lippenpaare schlossen sich, entschieden und ernst, und blieben geschlossen.
»Ich schlage vor, du übernimmst die Fotoshops und ich diese Behörde«,
sagte Trudi schließlich.
»Und wenn du etwas findest, sagst du Bescheid. Aber nicht am Telefon. Was hältst du davon, wenn wir uns am Donnerstag wieder treffen? Ich lade dich ein. Inder oder Italiener?«
»Italiener.«
Trudi steckte den Terminkalender wieder ein.
»Okay.«
»Und dann erzählst du mir etwas mehr?«
fragte Jule.
»Wir werden sehen.«
Nach ihrem wie gewohnt einfachen Frühstück setzte sich Trudi wieder an ihren Computer. 1953, 1954, 1955, 1956. Was war da gewesen? Trudi scrollte tief in die Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland. Natürlich war nicht alles einfach so Online, aber sie hatte ihre eigenen Kanäle. Nur nicht hier. Am frühen Nachmittag verließ sie die Residenz und machte einen Spaziergang in die Luisenstraße.
Die Sonne stand hoch am Himmel, ein herrlich warmer Sommertag in Fahrenzburg. Trudi ging Richtung Innenstadt, vorbei an zahlreichen prachtvollen, villenartigen Gebäuden auf großzügigen, gepflegten Grundstücken mit altem Baumbestand. Viele der Anwesen waren in Wohnungen, Büros für Anwälte oder gleich in Arztpraxen umgewandelt worden. Dann schloss sich eine Gegend mit älteren Fabrikgebäuden an. Es folgten Geschäfte und altmodische Lokale und schließlich die üblichen Touristenläden, Cafés und Hotels.
Die Luisenstraße lag im Zentrum Fahrenzburgs. Hier, in einem der großen Mietshäuser, unterhielt Edeltraud Gerlach eine weitere Wohnung, die mit dem Nötigsten ausgestattet war, allerdings über eine größere Computeranlage verfügte, mit der es sich wesentlich besser recherchieren ließ. Nach mehreren Stunden hatte sie ihre Ergebnisse zusammen und überlegte, wie sie nun vorgehen sollte. So kam sie nicht weiter. Sie benötigte mehr Informationen. Und das beste Archiv hatte nun einmal die BSSD. Und die hatte nur freitags Publikumsverkehr, also heute. Wie praktisch.
Trudi genoss den Spaziergang in der Sonne. Das viele Laufen genauso wie das regelmäßige Schwimmen hielten Gelenke und Figur in Schuss.
Gegen sechzehn Uhr erreichte sie die Prinzenstraße 23, vor der lauter Verkehr im üblichen Stau entlangkroch. Das Büro von Herrn Schmitz war schnell gefunden. Sie klopfte und betrat den Raum. Der Herr räumte eilig etwas beiseite und sah sie wenig begeistert an. Kurz vor Feierabend, das hatte man nicht gern.
»Guten Tag. Mein Name ist Edeltraud Gerlach und ich hätte gern eine Auskunft.«
Der Herr regte sich kaum, reagierte dann aber doch mit einem mittelfreundlichen
»Guten Tag.«
»Darf ich mich setzen?«