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Die 48-jährige Marie wird auf einer Hochzeit Zeugin eines kaltblütigen Mordes und einer brutalen Entführung. Danach ist für sie und die 26-jährige Lena nichts mehr, wie es war. Was bleibt, ist Angst. Wird der Mörder mit der lila Rose wieder zuschlagen? Selbst Georg Krammer, der ermittelnde Polizeibeamte, kann es nicht ausschließen, nachdem die dünngesäten Spuren im Sand verlaufen. Während alte Wunden zu heilen beginnen, bringt das Leben neue Wunder hervor. Doch das Phantom mit dem Messer bleibt wie vom Erdboden verschluckt ...
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Inhaltsverzeichnis
Buch
Prolog Mai 2017
Pauls Hut Juni 2016
Hochzeitstanz Juni 2016
Abflug März 1989
Zorn
Positano März 1989
Ameisen im Haar Juni 2016
Die Gestalt Juni 2016
Der Konzertflügel 1970-1989
Blinde Kuh Juni 2016
Der Tag der Tage Dezember 2015
Der Held Juni 2016
Kopfverletzung Juni 2016
Der Bienenstich 1990
Genieße weiter Juni 2016
Rache
Der Schüler Juni 2016
Unredlich Juni 2016
Nicht meine Freundin Juni 2016
Heimatliche Augen Juni 2016
Kopfmassage Juni 2016
Ausgehöhlte Marionette Juni 2016
Plan Juni 2016
Martins Sehnsucht Juni 2016
Der Sämling Juni 2016
Melissentee Juni 2016
Der Motorradhelm Juni 2016
Albtraum Juni 2016
Abwarten Juni 2016
Die öde Glotze Juni 2016
Der Putzmann August 2016
Rumba August 2016
Zitronenlimonade August 2016
Morgendliche Übelkeit September 2016
Das Angebot September 2016
Der Teufel der Verführung September 2016
Die gute Mischung September 2016
Der Zentralniemand September 2016
Normalerweise nichts normal November 2016
Kleiner Engel März 2017
Die Augenringe März 2017
Eine Runde Sekt März 2017
Stunde der Abrechnung März 2017
Wenn zwei eins werden März 2017
Heimliche Augen April 2017
Nüchtern oder sternhagelvoll April 2017
Allein April 2017
Übergeben April 2017
Oh Gott Mai 2017
Attentat Mai 2017
Passendes Blut Mai 2017
Und dann Mai 2017
Der schuldige Emmentaler Mai 2017
Belauscht April 2017
Das zarte Pflänzchen Mai 2017
Voriges Jahrhundert Mai 2017
Over the rainbow März 2018
Solitär März 2018
Mehr von Brigitte Kaindl
Danksagung
Brigitte Kaindl
Das Echo des Rosenmordes
Roman
Ein schrecklicher Mord, eine brutale Entführung und die Frage nach dem Warum. Vernichtender Hass oder sexuelle Besessenheit? Ein Roman über die Kraft, die aus grenzenlosem Leid entstehen kann, die Geheimnisse der Musik sowie die Macht unzerstörbarer Liebe und verborgener Sehnsucht.
Dieser Roman ist Teil 2 der Echo-Trilogie, eines romantischen Dramas, das in die Tiefen der menschlichen Seele blickt. Im Mittelpunkt steht Christian Gottlieb, ein geheimnisvoller, junger Mann, der durch seine rätselhafte Aura sein gesamtes Umfeld verändert, bevor er wieder verschwindet. Jeder Roman kann ohne Vorkenntnisse für sich allein gelesen werden, obwohl die Geschichte fortlaufend erzählt wird.
Teil 1: „Das Echo des Herzens“: Christian Gottlieb erscheint im Leben der 47-jährigen Marie und der 25-jährigen Lena. Als tief verborgene Geheimnisse und ein Verbrechen sichtbar werden, verändert sich wie durch ein Wunder nicht nur Maries Leben völlig.
Teil 2: „Das Echo des Rosenmordes“: Christian Gottlieb ist nicht mehr da und ein schrecklicher Mord bringt der 48-jährigen Marie, aber auch der 27-jährigen Lena unermessliches Leid.
Teil 3: „Das Echo von Gottlieb“: Das Mysterium um Christian Gottlieb lüftet sich, während die 28-jährige Lena in tödliche Gefahr gerät. Am Ende offenbart sich ein Geheimnis, das nicht nur die 50-jährige Marie heftig erschüttert.
Autorin
Brigitte Kaindl wurde 1960 in Wien geboren. Die Autorin und Musikerin ist verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen Kindern.
Ihre bisher veröffentlichten Bücher:
„Mein Weg aus dem Fegefeuer“, Untertitel: „Missbrauch, Leid in der Dunkelheit“, (2018 unter dem Pseudonym „Brenda Leb“) Autobiografie
„Das Echo des Herzens“, (2019), Roman
„Das Echo des Rosenmordes“ (2020), Roman
„Das Echo von Gottlieb“ (2020), Roman
„Christians Geheimnis“, drei Romane der Echo-Trilogie als Sammelband
„Mann, oh Mann!“ (2020), Humorvolle Unterhaltungsliteratur
„Der Tote und das Gänseblümchen“ (2021), Roman
„Der Tod der Braut“ (2021), Roman
„In einem Meer voll Tränen (2021), Roman
„Der Mörder und die Wildrose“ (2022), Roman
„Der Tod des Bräutigams“ (2023), Roman
„Die zwei Wölfe“, Untertitel: „Jenseits des Fegefeuers“ (2024 unter dem Pseudonym „Brenda Leb“), Autobiografie
Besuchen Sie die Autorin auf ihrer Homepage: www.brigittekaindl.at
Autor: Brigitte Kaindl
© Urheberrechtlich geschütztes Material
Umschlaggestaltung, Illustration: Brigitte Kaindl
Niemand nahm die Gestalt wahr, die sich der Hochzeitsgesellschaft näherte.
Des Gerechten Mund ist ein lebendiger Brunnen. Die Wunde schmerzte. Noch immer. Alles was recht ist. Der Kinder Ehre sind ihre Väter.
Die Zeit ist gekommen!
Marie saß an Raffaels Bett und sang das Wiegenlied von Brahms. „Guten Abend, gut’ Nacht, mit Rosen bedacht, mit Näglein besteckt, schlupf unter die Deck. Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.“
Raffaels Atem ging ruhig und gleichmäßig, wurde immer langsamer. Selbst das Nuckeln seines Schnullers verlangsamte sich und bald fielen ihm die Augen zu. Nachdem ihr Enkelsohn eingeschlafen war, strich Marie zärtlich über seine rosige Wange und hauchte ihm einen Kuss auf seine Stirn.
„Schlaf gut, mein kleiner Liebling“, flüsterte sie und verließ auf Zehenspitzen das Kinderzimmer. Ein gemütlicher Abend mit ihrer Tochter Lena wartete auf sie. Darauf freute sie sich.
Obwohl. Freuen konnte sich Marie eigentlich über gar nichts mehr so wirklich.
Seit ...
Ihr stiegen die Tränen hoch, als sie an diesen schrecklichen Tag dachte. Sie schüttelte den Kopf und befahl sich, nicht schon wieder an ihren Verlust zu denken. Stattdessen dachte sie an Lenas Worte.
„Während du Raffael zu Bett bringst, bestelle ich uns eine Pizza und wir lassen es uns bei einem Glas Wein gutgehen!“
Marie wischte sich ihre Tränen aus den Augen und ging in das Wohnzimmer. Sie hatte ein Klingeln gehört, als sie im Kinderzimmer gewesen war, und war davon ausgegangen, dass Lena die Tür öffnen würde.
Wahrscheinlich hat der Pizza-Bote die Lieferung zugestellt, war sich Marie sicher.
Als sie dann aber in das Wohnzimmer trat, gefror ihr das Blut in den Adern: Lena lag blutüberströmt am Boden und hob schützend ihre blutenden Hände vors Gesicht. Über ihr stand ein Mann und hob mit irrem Blick ein Messer, um sein mörderisches Werk zu vollenden.
17. Juni 2016, 17:00 Uhr
Paul Schönherr saß auf der vorletzten Stufe des Treppenaufganges. Seit die Kirche ihre Pforten geschlossen hatte, hörte er nur mehr das Kreischen der Mauersegler. Er blickte hoch und ihm fielen Worte aus seiner Kindheit ein.
“Fliegen die Schwalben hoch, bleibt das Wetter schön“, hatte ihm Olga, die rundliche Köchin erklärt, als er noch ein Bub gewesen war. Also vor vierzig Jahren. Junge, wie die Zeit vergeht, dachte er.
Er schüttelte den Kopf, weil ihm selbst das Wetter eigentlich herzlich egal war. Sicher, bei trockenem Wetter öffneten sich Brieftaschen leichter, wusste er aus Erfahrung. Und ein paar Münzen kämen ihm schon recht. Seit dem Frühstück hatte er noch nichts gegessen. Aber sonst?
Das ist ein optimales Wetter für den sogenannten schönsten Tag des Lebens, hatte er gedacht, als die elegant gekleideten Herrschaften mit ihren riesigen Blumensträußen in das Gotteshaus geströmt waren.
Es war ein sonniger, nicht zu heißer Junitag, doch die wärmenden Sonnenstrahlen brannten erbarmungslos auf Pauls Haupt. Nachdem das früher so üppige und dunkle Haar bereits etwas schütter geworden war, blickte er auf seinen Hut, der ihn vor einem Sonnenstich schützen könnte.
Solange ich noch keine Glatze habe, ist das nicht nötig, entschied er und ließ den Hut, wo er lag. Neben seinen Füßen.
Als die Orgelklänge das Geschrei der Mauersegler übertönten, wusste er, dass die Hochzeit zu Ende war. Er blickte hoch und beobachtete das sich öffnende Kirchenportal.
Das junge Brautpaar trat in die Sonne und ein sanfter Windstoß wehte den Schleier der Braut vor ihr hübsches Antlitz. Der Bräutigam schob ihr lächelnd den Tüll aus dem Gesicht und küsste sie, bevor der nächste Windstoß ihren Mund abermals verdecken konnte. Die beiden wirkten so glücklich und verliebt.
Paul blickte wieder auf den Hut neben seinen Schuhen und lächelte gequält. Er wusste gar nicht mehr, wie sich das anfühlte.
Hatte er es überhaupt jemals gewusst?
Keine seiner verflossenen Ehefrauen hätte auf diese Frage mit einer Antwort gezögert. Das gesamte Repertoire an Schimpfwörtern wäre wie auf Knopfdruck aufgesprungen, um seine Liebesfähigkeit umschreiben zu können. Schmeichelhaft wäre keine Bewertung gewesen. Seine Qualitäten als Ehemann waren tatsächlich überschaubar, dünn gesät und eigentlich gar nicht vorhanden gewesen.
Das wusste er.
Doch er hatte bei der Partnerwahl auch nicht gerade ein gutes Händchen bewiesen.
Ex-Ehefrau Nummer Vier hat eine Zunge wie ein Schwert besessen. Das musste er erst aushalten lernen! Egoistisches Arschloch und versoffener Nichtsnutz waren schon beinahe Kosenamen gewesen, mit denen Gloria ihn damals bedacht hatte. Und nicht erst kurz vor der Scheidung. Nein, derartige Liebenswürdigkeiten hatten sich von Anfang an in Glorias Sprachschatz befunden.
Egoistisches Arschloch und versoffener Nichtsnutz.
War er das wirklich?
Nun ja. Ein Lottogewinn war er tatsächlich nicht gewesen. Bei ehrlicherer Betrachtung und angemessener Eigenreflexion wurde seine Einschätzung konkreter: Ja, Gloria hatte rechtgehabt. Und nicht nur sie. Auch ihre Vorgängerinnen hatten wesentlich mehr Grund gehabt, die Scheidung zu feiern, als den Hochzeitstag.
Er war tatsächlich ein Widerling gewesen.
Warum?
Weiß der Himmel, warum! Er wollte sich mit derartigen Gedanken auch gar nicht mehr herumschlagen. Die Vergangenheit war nun einmal nicht zu ändern.
Vor geraumer Zeit hatte er eine ehrliche Selbstanalyse durchgeführt. Das war gleichermaßen reinigend wie nötig gewesen. Damals hatte ihm ein junger Mann den Spiegel vorgehalten. Durch ein ausführliches Gespräch mit einem Fremden war Paul klar geworden: Seine derzeitige, tatsächlich ziemlich unerfreuliche Lebenssituation war einfach nur die gerechte Strafe für sein Handeln.
Punkt.
Hinnehmen. Aufrappeln. Weiterleben.
Er blickte hoch, denn er hörte Schritte auf sich zukommen.
Peter und Maggie Gutmann, die frischgetrauten Brautleute stiegen die Treppen herunter. Auf der letzten Stufe angekommen, warfen sie einen Schatten auf seine Gestalt.
Das unangenehme Brennen der Sonne auf Pauls Kopfhaut ließ augenblicklich nach. Eine Wohltat. Paul hob sein Gesicht und betrachtete die strahlenden Gesichter der beiden. Automatisch musste auch er lächeln. Das Glück der beiden wirkte ansteckend.
„Mögen Sie gemeinsam glücklich werden“, wünschte er dem Brautpaar Glück und das meinte er ehrlich. Maggie nahm aus ihrem Brautbeutel einen Schein und legte ihn in seinen Hut.
„Ich wünsche auch Ihnen einen schönen Tag“, bedachte sie den Bettler zu ihren Füßen am schönsten Tag ihres Lebens mit netten Worten und einer Spende.
Danach stiegen Maggie und Peter in das wartende Auto und der Mercedes setzte sich in Bewegung.
Irgendwie kommt mir die junge Frau bekannt vor, grübelte Paul, doch er konnte sich nicht erinnern, wo er sie schon einmal gesehen hatte.
Die Gäste der Hochzeitsgesellschaft kamen ebenfalls die Stufen herunter und Paul senkte wieder seinen Kopf. So sehr er früher danach gestrebt hatte, neuerdings wollte er nicht mehr erkannt werden.
„Komm, Marie, unser Auto wartet bereits!“, hörte er eine weibliche Stimme, die ihm ebenfalls bekannt vorkam. Er hatte ein gutes Gehör und blickte hoch, suchte mit den Augen das Gesicht zur Stimme.
Konfus schüttelte er den Kopf, als er die hübsche Frau wahrnahm.
Sie sieht genauso aus wie die Braut, die soeben mit dem Auto weggefahren ist, dachte Paul und starrte irritiert der gutgelaunten, schönen Lady nach. Sie lief mit wiegenden Schritten am Arm eines jungen Mannes zu einem Auto, an dessen Autoantenne ein rosa Fähnchen wehte.
Paul wusste nun definitiv, dass er entweder diese Frau oder aber die Braut schon einmal gesehen haben musste. Woher, das wollte ihm allerdings nicht einfallen.
Ist aber doch auch überhaupt nicht wichtig, dachte er.
Dann blickte er hoch und dachte, seinen Augen nicht mehr trauen zu können.
Er blinzelte.
Das gab es doch nicht!
„Marie, was machst denn du hier?“, fragte er ungläubig, als er die gleichaltrige, elegante Blondine erkannte. Aus ihrem soeben noch strahlenden Gesicht verschwand alle Farbe und ihre großen, blauen Augen blickten ihn fassungslos an.
„Paul!“, rief sie entsetzt. „Was machst denn du hier?“, wiederholte sie seine, in ihrem Fall jedoch völlig unsinnige Frage, weil doch offensichtlich war, was er tat.
Er zuckte mit den Schultern.
„Ich habe wohl meine besten Zeiten hinter mir“, antwortete er mit einem Lächeln, das durch seine Bartstoppeln seine ursprüngliche Wirkung völlig verloren hatte.
„Aber was soll´s? Hier bei der Kirche bekomme ich ab und zu von glücklichen Leuten, wie der schönen Braut soeben, einen kleinen Obolus. Dann habe ich alles, was ich für den Tag brauche“, erklärte er seine Situation und ließ es so klingen, als säße er im Ritz und würde etwas zu lange auf seinen bestellten Hummer warten.
Als er Maries betroffenes Gesicht wahrnahm, lächelte er.
„Bitte schau doch nicht so erschüttert! Ich bin vielleicht zufriedener, als ich es jemals gewesen bin.“
„Das freut mich für dich“, antwortete Marie und blickte weiterhin irritiert. Kann man in so einer Situation wirklich zufrieden sein?, überlegte sie. Er wirkt nicht unglücklich und lächelt sogar, versuchte sie ihr Entsetzen nicht so deutlich zu zeigen.
Sie griff daher in ihre Geldbörse und versenkte in Pauls Hut einen Geldschein, der ihm ein feines Abendessen bescheren sollte.
„Vergelt´s Gott“, bedankte er sich. Als sich Marie aufrichtete, legte der Mann, der neben ihr stand, seine Hand um ihre Schulter.
„Sie sind sicherlich Maries Mann?“, riet Paul.
„Ja! Ich bin Raffael Haller“, stellte er sich vor.
„Angenehm! Paul Schönherr! Ich kenne Marie von früher“, erklärte er und lächelte Raffael zu. „Passen Sie gut auf sie auf! Sie ist etwas Besonderes. War es immer. Nur war ich zu dumm und viel zu eingebildet, um das zu erkennen.“
„Das mache ich. Ich habe schon immer auf Marie aufgepasst und das werde ich auch weiterhin tun“, versicherte Raffael.
„Das ist fein, denn ein kluger, junger Mann hat mir vor kurzem gesagt: Was ihr sät, das erntet ihr. Daher sitze ich heute hier und Marie hat einen guten Mann bekommen. Sie hat es verdient“, nickte er und versuchte ein fröhliches Lächeln, damit Marie endlich diesen entsetzten Ausdruck aus ihrem Gesicht bekam.
Ist das wirklich der gleiche Mann, den ich mein Leben lang gekannt, und doch nichts mehr als das bereut habe? Paul, der ehemals großartige, doch noch viel mehr arrogante und überhebliche Schauspieler? Marie konnte es nicht fassen.
Genauso wenig wie seine letzten Worte.
„Ein junger Mann?“, fragte sie irritiert.
„Ja, damals, vor wenigen Monaten, als ich dich in deiner Künstleragentur aufgesucht habe. Erinnerst du dich?“ Sie nickte und versuchte besser nicht an diesen Tag zu denken.
„Nach dem Verlassen deines Büros haben mich auf der Straße Fans erkannt und ich habe Autogramme geschrieben. Ein junger Mann ist auf mich zugekommen, hat kurz mit mir gesprochen und ist dann durch das noch geöffnete Haustor geschlüpft. Wahrscheinlich hat er in dem Haus gewohnt oder aber er hat jemanden besucht“, zuckte Paul mit den Schultern.
„Christian Gottlieb hat mit dir geredet?“, fragte Marie und nun musste sie doch an diesen Tag denken. Christian hatte nämlich sie an jenem Nachmittag besucht. Keine fünf Minuten nachdem Paul ihr Büro verlassen hatte, war Christian in ihre Agentur gekommen.
„Christian – wer?“ fragte Paul verblüfft. „Egal, Ich weiß sowieso nicht, wie sein Name gewesen ist“, zuckte er mit den Achseln.
„Was hat er zu dir gesagt?“, wiederholte Marie ihre Frage.
„So im Detail weiß ich das nicht mehr, ich war doch sehr abgelenkt. Aber im Nachhinein ...“ Paul hielt inne, schien nachzudenken. Dann zuckte er abermals mit den Schultern und beschloss, dieses Thema nicht weiter zu vertiefen. Die Situation schien ihm unangenehm zu sein und er wollte offenbar das Gespräch beenden.
„Ich wünsche dir, Marie, und Ihnen, Herr Haller“, er blickte zu Raffael, „einen schönen Tag!“
„Danke, gleichfalls!“, nickte Marie, hakte sich bei Raffael ein und ging mit raschen Schritten zum Auto mit dem rosa Fähnchen. Die junge Frau, die der Braut so ähnlichsah, wartete mit ihrem jungen Begleiter bereits auf Marie und Raffael.
Da erinnerte sich Paul, wo er die junge Frau schon einmal gesehen hatte. Sie war Maries Angestellte. Er hatte sich seinerzeit in Maries Künstleragentur sehr nett mit der jungen Dame unterhalten, bevor er das Büro verlassen hatte.
Verlassen hatte müssen!
Marie hatte ihn nämlich hochkant rausgeworfen. Dabei hatte er an dem Tag doch nur nachgefragt, ob sie ihn unter Vertrag nehmen wollte. Immerhin war er unter seinem Künstlernamen Roy Polaris nicht nur der große Star des heimischen Films, sondern auch in Hollywood gewesen. Er hatte unter namhaften Regisseuren mit Oskar-Preisträgern gespielt. Wenn Marie damals sein Management übernommen hätte, wäre diese Zusammenarbeit für beide lukrativ gewesen.
So hatte er argumentiert. Was sie anders gesehen hatte.
Gut, es hatte da in ihrer gemeinsamen Vergangenheit eine unschöne Sache gegeben, die Marie möglicherweise nicht vergessen hatte. Und irgendwie hatte er die ganze Zeit sowieso befürchtet, dass sie deswegen etwas nachtragend sein könnte.
Aber das alles lag lange zurück.
Paul senkte wieder den Blick. Es kam halt alles, wie es kommen musste.
Alles.
Er blickte in seinen Hut und zählte die Scheine. Marie war großzügig gewesen. Und sie hatte sich überraschend friedfertig verhalten. Jedenfalls ganz anders als bei ihrem letzten Wiedersehen. Es hat wohl wirklich alles sein Gutes, grübelte er und strich über seinen stoppeligen Bart.
Aber auch die Braut war spendabel gewesen. Er steckte das Papiergeld in seine Hosentasche, als zwei Frauen einige Münzen in seinen Hut warfen. Die beiden blieben neben ihm stehen und redeten so laut, dass er ihre Worte mithören musste.
„Komm, lass uns hier in Ruhe auf das Taxi warten. Da stehen wir nicht im Weg herum“, sagte die Jüngere, die sich somit genau vor Paul platzierte.
„Gute Idee!“, stellte sich die Ältere an ihre Seite und die beiden begannen mit einem ausführlichen Frauenplausch.
“Hast du gesehen, Lena dürfte schon wieder einen neuen Lover haben. Peters Trauzeuge scheint ziemlich verknallt in sie zu sein.“
„Ich würde ihr wirklich von Herzen wünschen, dass sie glücklich wird, denn sie hat unter der Trennung von Peter sehr gelitten.“
„Da hast du recht. Ich frage mich nur, wie Peter die Schwestern wirklich auseinanderhält?“, wechselte die Ältere das Thema. „Wenn Lena nicht diese kleine Narbe über dem Auge hätte, könnte ich mir vorstellen, dass Peter die beiden leicht verwechselt“, amüsierte sie sich und ballerte belustigt nach, „nachdem er ja mit beiden etwas gehabt hat!“
Paul verdrehte die Augen. Dieses Frauengeschwätz war für ihn dermaßen uninteressant, dass er sehnsüchtig auf das Auftauchen des Taxis hoffte.
Doch sein Wunsch ging nicht so rasch in Erfüllung.
„Kennst du dieses Lokal beim Lusthaus im Wiener Prater, wo wir zur Hochzeitstafel eingeladen sind?“, fragte die Jüngere.
„Ja! Das ist ein tolles Restaurant und es liegt mitten im Grünen“, antwortete die Ältere und kam wieder auf die Hochzeit zu sprechen. „Hast du mitbekommen, wie ergriffen Marie gewesen ist? Ihr liefen beim Ave Maria unaufhörlich die Tränen herunter.“
Als Paul Maries Namen vernahm, spitzte er interessiert seine Ohren.
„Nun, das ist aber verständlich! Zeige mir eine Mutter auf Gottes Erdboden, die nicht heulen muss, wenn ihr Kind die große Liebe ihres Lebens heiratet. Ich verstehe, dass Marie stolz auf ihre Tochter ist und sich über ihr Glück freut.“
Mutter? Tochter? Paul erstarrte.
„Aber weißt du, was mich wundert?“, begann die Ältere zu flüstern und Paul bemühte sich redlich, um auch wirklich alles verstehen zu können.
„Nein, was?“
„Ich kenne Marie schon so lange, habe aber gar nicht gewusst, dass sie Kinder hat.“
„Ich wusste es auch nicht!“, antwortete die Freundin.
Paul hätte beinahe: „Ich auch nicht!“ gerufen, besann sich aber gleich wieder, dass er unsichtbar war.
Mit ihm redete doch niemand. Er wurde nicht einmal bemerkt.
Dem Bettler, der auf der Stufe vor der Kirche hockte und selbst einmal Teil dieser Gesellschaft gewesen war, schmiss man als guter Mensch eine Münze in den Hut und dann wurde er ignoriert.
„Sonja, Silvia, kommt her, unser Taxi ist da!“, riefen zwei Männer und die beiden Frauen liefen zu ihren Partnern, bestiegen das Auto und weg waren sie.
Paul blickte dem Fahrzeug nach und ihm war mit einem Mal heiß und kalt. So sehr ihn das Geplapper ursprünglich genervt hatte, diese letzte Information war für ihn gleichermaßen interessant, wie überraschend gewesen.
Marie hat Kinder?, wunderte er sich. Die beiden jungen Frauen, die sich so unglaublich ähnlichsehen, sind Maries Töchter?, konnte er es nicht fassen und ordnete seine Gedanken.
Eine Tochter hat soeben geheiratet und deren Schwester ist zuvor anscheinend auch mit dem Bräutigam zusammen gewesen. Was für ein Durcheinander! Er schüttelte den Kopf, wusste aber gleichzeitig, dass ihm dieses Urteil überhaupt nicht zustand.
Nur, weil meine beste Zeit vorüber ist, darf ich nicht verurteilen, wenn andere das tun, was ich früher auch getan habe, dachte er an die Worte des jungen Mannes, die ihn zum Nachdenken gebracht hatten.
Christian Gottlieb! Diesen Namen hatte Marie vorhin genannt, weil sie ihn offenbar auch kannte. Jetzt wusste er wenigstens seinen Namen.
Trotzdem konnte er einfach nicht fassen, dass Marie Kinder hatte.
Obwohl: Warum auch nicht? Nur weil ich in meinem ganzen Leben nichts zusammengebracht habe, das Hand und Fuß hat?, dachte er zweideutig, muss doch nicht jeder so ein nutzloses Leben wie ich führen. Marie hat jedenfalls ihren biologischen Auftrag erfüllt und etwas aus ihrem Leben gemacht, während ich hier wie ein unnötiger Sack herumhocke!Und was hat sie für wunderschöne Töchter, war er beeindruckt.Die beiden jungen Frauen sahen Marie tatsächlich ähnlich. Sehr sogar! Habe ich deshalb mit dieser zuckersüßen Brünetten, die seinerzeit in Maries Agentur im Vorzimmer gesessen hat, geschäkert? Weil sie mich an ihre Mutter erinnert hat? Und ist Marie vielleicht deswegen so fuchsteufelswild geworden? Viel hätte damals nämlich nicht gefehlt und sie hätte mir das Gesicht mit ihren Fingernägeln zerfetzt, erinnerte sich Paul an Maries seinerzeitigen Wutausbruch.
Nachdem er soeben erfahren hatte, dass die junge Angestellte Maries Tochter war, präsentierte sich Maries Tobsuchtsanfall in einem anderen Licht. Marie hat wohl ihre Tochter vor mir schützen wollen!
Und wenn er ehrlich war, und in letzter Zeit war er das immer öfter: Hätte er selbst Kinder, hätte er wahrscheinlich genauso gehandelt.
Trotzdem wäre er damals nie auf die Idee gekommen, dass diese Frau Maries Tochter gewesen ist. Sie hatte Marie schließlich auch mit ihrem Vornamen angeredet und nicht mit ‘Mama‘ oder ‘Mutti‘.
Plötzlich überzog ihn eine Gänsehaut vom Scheitel bis zur Sohle.
Christian Gottlieb! Ihm fiel plötzlich wieder ein, was dieser junge Mann, dieser Gottlieb, zu ihm gesagt hatte!
Oh, mein Gott!
Er musste handeln!
17. Juni 2016, 21:10 Uhr
Alles, was Marie als Brautmutter organisiert hatte, war hervorragend gelaufen und sie konnte ohne Zweifel behaupten: Es war eine gelungene Feier.
Die gereichten Speisen hatten ausgezeichnet gemundet und die Versorgung durch das freundliche und rasche Servicepersonal war so exquisit wie das Ambiente. Die Stimmung in diesem Restaurant inmitten unberührter Natur im Wiener Prater war ausgelassen und die dreistöckige Hochzeitstorte war einfach nur ein Traum.
Der geräumige Festsaal des Restaurants war für Maggies Hochzeitsfeier exklusiv reserviert worden, sodass die 50 Gäste unter sich waren. Auf den Tischen standen Blumenarrangements mit gelben Rosen und weißen Freesien und für die Servietten hatte Marie ebenfalls die fröhliche Farbe Gelb gewählt. Die Farbe der Sonne und der Lebensfreude.
Der Raum war durch riesige Fenster und Terrassentüren, die einen Blick auf die angrenzenden Auwälder ermöglichten, lichtdurchflutet. Zumindest bis zum Sonnenuntergang. Inzwischen wurde es draußen dunkel und die historischen Kronleuchter schenkten dem Raum eine freundliche und helle Atmosphäre.
Vor der Terrassentür hatte eine Band mit jungen Musikern ihre Instrumente aufgebaut und die Bandmitglieder spielten abwechslungsreiche Tanzmusik sowie beliebte Evergreens. Auf den Tischen standen Rotwein und Weißwein, Wasserkaraffen sowie Kekse für diejenigen, die noch immer zugreifen konnten.
Marie gehörte nicht dazu. Sie dachte, gleich platzen zu müssen und freute sich, dass sie nun mit Raffael ein Tänzchen wagen konnte.
Vielleicht kann ich auf diese Weise wenigstens die Schlagsahne der Torte runtertanzen, hoffte sie.
Vorweg hatte sie dem Kellner ein angemessenes Trinkgeld zugesteckt und sich überschwänglich für das hervorragende Service bedankt.
„Es genügt, wenn Sie ab nun nur mehr alle 20 Minuten kommen. Die Gäste sind bestens versorgt und Sie können daher Ihre sicherlich schmerzenden Füße etwas schonen.“
„Danke, das ist nett, aber die Füße eines Kellners schmerzen nicht mehr, sie sterben irgendwann ab“, scherzte er und Marie merkte, wie sehr er sich über das positive Feedback freute.
„Ich werde trotzdem alle fünfzehn Minuten Nachschau halten. Vielleicht hat noch jemand Ihrer Gäste einen Sonderwunsch.“
„Danke, das ist sehr nett von Ihnen!“
Nun, in Raffaels Armen, konnte sich auch Marie entspannen. Alles lief wie am Schnürchen und als Marie die fröhlich plaudernden Kollegen, Freunde und Wegbegleiter beobachtete, wusste sie, dass das für Maggie mit Sicherheit der schönste Tag ihres bisherigen Lebens war. So war es aber auch geplant gewesen.
„Ich bin erleichtert, dass alles so fantastisch geklappt hat.“
„Du hast aber wirklich alles bis ins kleinste Detail geplant.“
„Und es hat so viel Freude gemacht. Wenn ich Maggies und Peters glückliche Augen sehe, weiß ich, dass es das wert gewesen ist.“
„Deine Rede war übrigens beeindruckend“, wechselte Raffael das Thema. „Vor allem deine Worte an mich haben mich total berührt! Dass du mir nach 15 Ehejahren noch immer so viele Rosen streust, macht mich unheimlich glücklich“, raunte Raffael. Er sah ihr in die Augen und gab ihr einen zarten Kuss.
„Dass ich dir nach 15 Jahren noch immer so viele Rosen streuen kann, liegt nur daran, dass du so ein toller Ehemann bist! Ich bin unglaublich glücklich mit dir“, lächelte Marie und legte ihren Kopf an seine Schulter.
Jetzt war Raffael doch aus dem Takt gekommen und das, obwohl er ein guter Tänzer war. Natürlich kein derart begnadeter wie David. Allerdings war Peters Trauzeuge auch Tanzlehrer. Aus diesem Grund waren Lena und David vor dem Essen auch kaum von der Tanzfläche weggekommen.
Seltsamerweise fand Marie die beiden bei diesem langsamen Walzer nicht auf der Tanzfläche. Daher gab es auch keine Showeinlage, denn wenn Lena und David tanzten, blieben den Umstehenden Mund und Augen offen. Die beiden wirkten auf der Tanzfläche wie ein Turnierpaar und David bewegte seinen Körper wie Patrick Swayze in ‘Dirty Dancing’.
Raffael hingegen war Raffael. Für Marie einfach nur der beste Ehemann der Welt, ihr Fels in der Brandung und Hafen der Sicherheit.
„Entschuldige, ich bin dir schon wieder auf die Zehen gestiegen!“ bat Raffael mit einem zerknirschten Lächeln um Verzeihung.
„Schon in Ordnung. Ich habe es gar nicht gemerkt!“
„Weil es schon zur Gewohnheit wird, dass ich deine Zehen plattmache?“
„Nein, Raffi, weil ich abgelenkt war. Schau, was da für ein komischer Kauz auf Maggie zukommt.“
Marie deutete mit dem Zeigefinger auf die Tanzfläche, wo Maggie und Peter soeben engumschlungen tanzten. Maggie hatte ihren Kopf an Peters Brust liegen, ihre Arme um seinen Hals gelegt und die Augen geschlossen.
Eine schwarzgekleidete Gestalt mit einer Geistermaske näherte sich den beiden.
„Seltsam“, war Raffael irritiert, „wird das vielleicht eine Hochzeitseinlage?“
„Wenn ja, würde mich wirklich interessieren, wer diesen Einfall gehabt hat“, wunderte sich Marie.
„Diese schreckliche Scream Maske und die schwarze Mönchskutte passen doch eher zu Halloween als zu einer Hochzeit!“, schüttelte Raffael den Kopf.
„Siehst du die lila Rose?“, fragte Marie, doch dann wurde ihr heiß und kalt, denn gleich daneben hing ein Messer. Auch Raffael hatte es entdeckt.
„Ja, die ist wirklich hübsch. Aber was soll dieses Messer? Ist das ein echtes?“, fragte er beunruhigt.
„Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist sicher ein Requisit und gehört wohl zu diesem Brauch, was auch immer das für ein seltsamer Spaß werden soll.“
„Kann es sein, dass jetzt die Braut entführt wird?“
„Möglich. Allerdings wäre das eine besondere Art der Brautentführung!“, wurde Marie nervös. „Ich kenne jedenfalls keinen Hochzeitsbrauch, wo ein Geist mit einem Messer auf das Brautpaar zukommt.“
„Also ich finde das überhaupt nicht lustig, muss ich zugeben!“
„Ich auch nicht“, stimmte Marie ihrem Mann zu. „Mir wird sogar richtig bange!“, offenbarte sie ihre Angst und die Tanzbewegungen der beiden wurden immer langsamer. Schließlich standen sie und starrten mit erschrockenen Augen und aufgerissenem Mund auf das Brautpaar und ihren seltsamen Gast.
Marie lag in Pauls Armen. Gedankenverloren spielte er mit einer blonden Locke, während er mit der anderen Hand über ihren Arm strich. Er spürte ihre weiche Haut an seiner und fühlte sich trotzdem irgendwie unbehaglich.
Alles war plötzlich so anders.
Der Gedanke an die bevorstehende Trennung behagte ihm überhaupt nicht. Und das war das wirklich Ungewöhnliche. Wie alles, was er in den vergangenen Wochen mit Marie erlebt hatte, ungewöhnlich war.
„Kannst du nicht mitfliegen?“, raunte er, in der Hoffnung, dass sie es sich anders überlegte.
„Das würde ich doch selbst gerne, aber wir müssen vernünftig bleiben. Es ist schwierig genug, dass du durch die Dreharbeiten einige Wochen als Arbeitskraft ausfällst. Da kann ich doch unmöglich auch noch Urlaub nehmen. Das geht einfach nicht.“
„Du hast ja recht,“ stimmte er zerknirscht zu.
Paul Schönherr hatte wenige Monate zuvor in der Agentur Berg zu arbeiten begonnen. Anton Berg und seine 21-jährige Nichte Marie betrieben eine Künstleragentur in der Wiener Innenstadt, die in der Branche einen klingenden Namen besaß. In diesem kleinen Familienbetrieb hatte Paul seine erste Arbeitsstelle gefunden, und das, obwohl er ursprünglich ungern, also wirklich total ungern an das Thema ‘Arbeit’ herangegangen war. Obwohl ‘ungern’ gar nicht das richtige Wort war. Nicht freiwillig traf die Wahrheit schon etwas genauer.
Er war von seinem Vater zur Arbeitssuche gezwungen worden, indem er seinem Sohn den Futtersack in derart unerreichbare Höhe gestellt hatte, dass ihm gar nichts anderes übriggeblieben war.
Doch er hätte es schlimmer erwischen können! Die Klientel dieser Agentur bestanden aus Theaterleuten, Musikern und vor allem aus attraktiven Schauspielerinnen. Er konnte daher weiterhin aus dem Vollen schöpfen. Das hatte er zwar bereits sein ganzes, jugendliches Leben lang getan, doch hier liefen ihm die schönsten und faszinierendsten Frauen sogar am Arbeitsplatz über den Weg.
Wie angenehm!
Und dann war das mit Marie geschehen. Das war eigentlich gar nicht geplant gewesen. Überhaupt nicht.
Doch plötzlich war nichts mehr wie zuvor. Nichts!
Marie hatte sein schauspielerisches Talent entdeckt, gefördert und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Paul gelenkt. Und die Rechnung war aufgegangen!
Und wie!
Zuerst bekam er kleine Werbeauftritte, dann Nebenrollen und nun sollte er seine erste Hauptrolle an der italienischen Amalfi-Küste übernehmen.
Bereits am kommenden Morgen würde Pauls Flugzeug abheben und er sollte einige Wochen in Italien verbringen. Allein. Ohne Marie. Und das behagte ihm überhaupt nicht.
„Wie soll ich diese Zeit nur ohne dich aushalten?“, seufzte er theatralisch und Marie lächelte, obwohl ihr selbst gar nicht zum Lachen war.
Auch ihr graute vor der Trennung. Paul war ihre erste Liebe und sie war ihm ab dem Moment verfallen gewesen, in dem er seinen Fuß in das Büro gesetzt hatte. Sein Aussehen hatte sie an Rock Hudson, den schönen Mann aus den Hollywoodfilmen der 50-er Jahre erinnert. Seine Stimme, seine Erscheinung, alles an diesem Mann hatte Marie fasziniert und die vergangenen Wochen waren derart stürmisch und leidenschaftlich gewesen, dass auch sie keine Vorstellung davon hatte, wie sie auch nur einen einzigen Tag ohne ihn aushalten konnte. Gar nicht zu schweigen von einigen Wochen.
Trotz ihrer Verliebtheit wollte sie aber nicht engstirnig und besitzergreifend denken. Paul hatte nämlich etwas ganz Besonderes. Das spürte sie. Das wusste sie. Und es war nicht nur sein fantastisches Aussehen. Er war dazu geschaffen, Menschen zu berühren. Er hatte das gewisse Etwas und kam vor der Kamera noch besser rüber als im wirklichen Leben.
„Ich glaube, du übertreibst ein bisschen“, lächelte Marie und dachte an Pauls unzählige Liebschaften, die früher im Wochenrhythmus gewechselt hatten.
„Du hattest doch auch ein Leben vor mir.“
„Aber was für eines?“
„Nun, unglücklich hast du aber auch damals nicht gerade gewirkt und eine Frau war schöner als die andere“, zog sie ihn auf.
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie. Als er sie wieder freigab, legte sie ihren Kopf auf seine Brust und spürte sein Herz schlagen.
„Ja, schön waren sie. Aber das bist du auch. Doch keine war wie du. Jetzt, wo ich den Unterschied kenne, will ich einfach nicht mehr ohne dich leben und mag deshalb nicht allein nach Italien fliegen.“
„Komm, es sind doch nur vier, höchstens sechs Wochen.“
„Ich weiß“, grummelte er. „Aber danach kann ich es gar nicht erwarten, aus dir eine ehrbare Frau zu machen.“
Das darf nicht ungestraft bleiben. Damit darf man nicht durchkommen.
Bald kommt die Stunde der Abrechnung. So viel Geld! So viel Mühe! So viel Einsatz! Und wofür? Die Wunde schmerzt noch immer. Und der Zorn ist nach so vielen Jahren noch mehr gewachsen.
So viele Jahre!
Es war schon ungewöhnlich heiß an der Amalfiküste. Und es war noch heißer im Filmstudio. Paul lief der Schweiß in Strömen von der Stirn und die Maskenbildnerin hatte dieser Tage den härtesten Job, weil sie die Gesichter der Stars, trotz vermehrter Schweißproduktion frisch und erholt aussehen lassen musste. Paul versuchte sich auf seinen Text zu konzentrieren, während die junge Mitarbeiterin sein Gesicht für die nächste Aufnahme trocken tupfte.
„Na, du Grünschnabel, hast du deinen Text brav gelernt?“, zog ihn seine Filmpartnerin auf. Die große Ella Milano war eine ordinäre, bösartige Zecke, die sich einen Spaß daraus machte, Paul bei jeder Gelegenheit zu ärgern.
Am liebsten würde ich ihr den Hals umdrehen, dachte er gereizt und beherrschte sich mühsam. Seit Wochen stand er mit dieser überspannten Diva vor der Kamera und sie machte ihm das Leben zur Hölle. Bei seinen täglichen Telefonaten mit Marie machte er seinem Ärger stets Luft und Marie versuchte ihn zu unterstützen.
„Ich verstehe dich, mein Schatz, aber du musst ihre Gemeinheiten ignorieren. Sie ist schon lange im Geschäft und fühlt sich offenbar besser, wenn sie an anderen herumhackt.“
„Sie behandelt mich wie einen blutigen Anfänger.“
„In ihren Augen bist du das ja auch. Versuche deine Abneigung irgendwie in den Griff zu bekommen. Immerhin sollt ihr vor der Kamera als Liebespaar glaubwürdig rüberkommen. Sie ist doch eine sehr schöne Frau. Stelle dir vor, du wärst in sie verliebt! Das wirst du doch schaffen, immerhin hast du so viel schauspielerisches Talent. Gib nicht auf. Beiße dich durch. Es sind ja nur mehr wenige Wochen!“, versuchte sie ihn aufzumuntern.
Am nächsten Tag stand die Liebesszene am Spielplan. Davor graute ihm. Diesen Drachen sollte er küssen? Am liebsten wäre er schreiend vom Set gelaufen. Bei der bloßen Vorstellung stellten sich seine Nackenhaare auf.
Doch er blieb.
Er hatte versprochen, sein Bestes zu geben. Sich selbst. Und auch Marie, die so viel Energie in seine Karriere investiert hatte.
Er würde das hinbekommen.
Maries Worte hallten in seinem Kopf, als Ella in ihrem Bademantel auftauchte. Die große Diva kam nicht, sie erschien.
„Oh, Roy Polaris ist schon hier!“ nannte sie ihn bei seinem Künstlernamen, obwohl ihn alle am Set mit Paul anredeten. Ihm war es egal, solange sie nicht an ihm herummeckerte.
„Heute wird sich weisen, ob du der große Lover bist!“
Paul schluckte und dachte an Maries Worte.
„Sie ist doch eine sehr schöne Frau. Stelle dir vor, du wärst in sie verliebt! Du wirst das schaffen, immerhin hast du so viel schauspielerisches Talent.“
Er würde es beweisen.
Ella nahm mit einer grazilen Bewegung ihre dunkle Sonnenbrille ab und hielt der Maskenbildnerin ihr klassisches Antlitz entgegen.
Schön war sie in der Tat, stellte er fest. Als sie danach ihren Seidenbademantel von der Schulter gleiten ließ und sich auf dem vorbereiteten Bett auf die Satinlaken setzte, fiel sein Blick auf ihren weißen Bikini, der mehr offenbarte, als er verdeckte. Ellas praller, perfekt geformter Busen sprang ihm entgegen, denn das kleine dreieckige Stückchen Stoff bedeckte lediglich die Nippel. Nachdem diese durch das Ablegen des Bademantels aufrecht standen, spürte Paul voll Unbehagen, dass sich auch bei ihm etwas aufrichten wollte.
Das hätte ihm gerade noch gefehlt. Er wollte keinesfalls bei dieser Zicke einen Ständer bekommen. Obwohl. Eigentlich war es für diesen Gedanken bereits etwas zu spät.
Er versuchte daher an Apfelkuchen mit Zimt zu denken oder an Tom & Jerry. Oder zumindest seinen Blick abzuwenden.
Doch der Regisseur rief bereits: „Und, Action!“
Paul ging mit wiegenden Schritten auf Ella zu. Wortlos riss er sie, wie im Drehplan vorgeschrieben, leidenschaftlich in seine Arme. Sie bog ihren Kopf sinnlich nach hinten, legte ihren makellosen Hals frei und er strich mit seinen Fingern lüstern über ihre Brüste, ihren flachen Bauch, ihren Nabel.
Von der Kamera unbemerkt beulte sich seine Badehose und der Gummibund dehnte sich dramatisch. Paul versuchte dieser körperlichen Reaktion keine Bedeutung beizumessen und mimte weiterhin den leidenschaftlichen Liebhaber.
Als seine Hände über Ellas Schenkeln strichen, gurrte sie, wie im Skript vorgeschrieben. Danach beugte er sich zu ihr und küsste ihren Hals, um gleich danach voll Verlangen über ihren Mund herzufallen. Ella wurde Wachs in seinen Armen. Sie keuchte vor Verlangen und wusste, dass nun die Kameraeinstellung auf ihren Mund zoomte, um danach auszublenden für die nächste Szene, die den Morgen danach zeigen würde.
Die Liebesszene war im Kasten.
„Cut!“ rief der Regisseur. Doch Ella war mit der Szene noch nicht fertig.
Sie spürte Pauls Erektion und schob ein Bein zwischen seine Schenkel, massierte damit seine pulsierende Körpermitte. Und das stand nicht im Drehbuch dieser jugendfreien Liebesromanze.
„Cut!“ rief der Regisseur lauter, falls die beiden es überhört hatten. Doch Paul und Ella waren zu beschäftigt.
„Hervorragend! Sehr gut. Cut!“ rief er daher noch um einige Dezibel lauter, doch weder er noch die umstehenden Crew-Mitglieder hatten das Gefühl, dass die beiden seine Worte überhaupt gehört hatten. In der nächsten Zeit würden die beiden wohl überhaupt nichts hören, wusste er.
„Gut, dann Pause!“ entschied der Boss. „Raus hier. Alle raus!“ Er kannte Ellas Appetit auf junge Schauspieler, wollte aber nicht unbedingt dabei sein, wenn sie ihren Hunger stillte. Paul tat ihm jetzt schon leid.
Als die Mitarbeiter das Set verlassen hatten, schob Ella ihr dünnes Bikinihöschen mit einem Finger zur Seite und griff gleichzeitig nach Pauls Männlichkeit, die bereits vollständig aus seiner Badehose gequollen war.
„Oh, Mamma Mia, du bist ein toller Hengst, ein wirklich toller Hengst. Amore mio!“
Sie spreizte ihre Beine und nahm ihn in sich auf, während sie in spitzen Schreien nach wenigen Sekunden zum Höhepunkt kam. Gleichzeitig mit ihm.
Im selben Augenblick rollte sich Paul auch schon wieder von ihr runter und schob seine Badehose über sein bestes Stück. Wortlos stierte er zur Decke.
„Du bist gut, richtig gut!“, schnurrte Ella, nachdem auch sie ihren Bikini wieder zurecht gerückt hatte. Sie zündete zwei Zigaretten an und reichte eine davon an Paul weiter. Schweigend rauchten sie, während Ella ihre Fingernägel inspizierte.
Als der Kameraassistent vorsichtig in das Studio blinzelte, lachte Ella ihr kehliges Lachen.
„Silvio, ich hoffe, ihr hattet eine schöne Mittagspause? Wir schon!“ Lüstern ließ sie ihre Finger über Pauls Bauch und danach über den kleinen Hügel seiner Badehose gleiten und setze sich auf.
„Sag dem Regisseur Bescheid, dass alle wieder reinkommen können. Mein Verlobter und ich sind bereit für die nächste Szene!“
„Sind wir doch, oder?“, versuchte sie sich Pauls Zustimmung zuzusichern.
„Ja, wir sind bereit“, wollte Paul die Dreharbeiten nicht verzögern.
Als Ella für die nächste Szene frisiert wurde, ging er wie benommen zur Bar, schenkte sich einen doppelten Whiskey ein und stürzte den Inhalt des Glases gierig in seinen Rachen.
Maries Worte hallten in seinen Ohren: „Ella ist doch eine sehr schöne Frau. Stelle dir vor, du wärst in sie verliebt. Das wirst du schaffen, immerhin hast du so viel schauspielerisches Talent.“
Er beobachtete, wie Ella von einer jungen Mitarbeiterin der Lippenstift nachgezogen wurde. Als sie seinen Blick auffing, schickte sie ihm eine Kusshand.
„Ich freue mich schon auf heute Abend!“ rief sie ihm quer durch das Studio zu. Dann winkte sie ungeduldig nach dem Kameraassistenten.
„Silvio, laufe in das Hotelzimmer meines Verlobten und lasse seine Kleidungsstücke in meine Suite bringen. Roy Polaris soll sich mit derlei Tätigkeiten nicht herumschlagen müssen. Wir haben anderes zu tun.“
„Sehr wohl, Frau Milano!“, nickte der Junge. Er flitzte aus dem Studio, weil man Frau Milano nicht warten ließ, während Paul auf den Barhocker niedersank.
Zwei Monate später war Ella Milano Ella Schönherr.
Der Film wurde ein Riesenerfolg und Roy Polaris von einem Tag zum anderen der neue Star am internationalen Filmhimmel. Die Presse stürzte sich auf das neue Traumpaar und die Teleobjektive zoomten unentwegt. Ellas lüsterne Finger in Pauls Hemd, an Pauls Schenkel, an Pauls Hintern zierten eine Zeitlang jede Titelseite der Boulevardpresse. Diese Verbindung und die damit verbundene Publicity steigerten Pauls Wert als Schauspieler enorm. Hollywood wartete bereits auf ihn.
Roy Polaris – Ein Stern war geboren.
17. Juni 2016, 20:00 Uhr
Lena stand unter Strom. Sie konnte während des gesamten Hochzeitsdinners an nichts anderes denken als an das, was da vorhin mit ihr und David geschehen war.
Lena und David waren nach der kirchlichen Hochzeit mit Marie und Raffael in das Restaurant gefahren, um gemeinsam mit den anderen Gästen auf das Brautpaar zu warten. Bei Sekt und Tanzmusik war die Wartezeit eine unterhaltsame Angelegenheit gewesen. Sehr unterhaltsam!
Aber auch verwirrend!
Lena und David gemeinsam in einem Raum! Als Freunde! Das allein war schon eine Überraschung.
Lena hatte David, Peters ältesten Freund, nämlich überhaupt nie leiden können. Bei ihrem Kennenlernen wohlgemerkt.
Und wenn Lena früher jemanden nicht leiden konnte, hatte sie das sehr deutlich gezeigt.
Aber auch David hatte mit seiner Abneigung nie hinterm Berg gehalten und die beiden hatten sich in der Vergangenheit nichts geschenkt. Sie konnten sich einfach nicht riechen.
Auch nicht, als sie sich irgendwann zufällig in einem Café über den Weg gelaufen waren.
Auch dann nicht, als sie sich nach einigen Wochen wieder einmal getroffen hatten.
Und irgendwann waren sie halt dann doch Freunde geworden. Nicht die besten, aber es ging so.
Und völlig überraschend sind sie irgendwann dann sogar ziemlich gute Freunde gewesen.
Und nun waren sie beide als Trauzeugen auf dieser Hochzeit.
Doch dann hatte David sie während eines Tanzes geküsst.
Einfach so! Aber nicht auf die Wange, wie es Freunde tun. Nein, er hatte sie stürmisch und leidenschaftlich in die Arme gezogen und auf den Mund geküsst, als gäbe es kein Morgen.
Also kein bisschen wie ein platonischer Freund.
Ihr waren regelrecht die Knie weich geworden und sie hatte nicht einmal die Zeit gehabt, sich überrumpelt zu fühlen. Stattdessen hatte sie, und das war ganz sonderbar, den Kuss sogar erwidert und diesen Kuss, und das war das Unglaublichste überhaupt, genossen.
Trotzdem: Danach war sie verwirrt gewesen und völlig durch den Wind.
Wie hatte das überhaupt passieren können?
In ihren Gedanken hatte sie während des Essens immer und immer wieder diese skurrile Situation vor sich gesehen. Wie in einer Endlosschleife musste sie auch jetzt noch ständig daran denken, wie David seine Lippen auf ihre gesenkt hatte.
Dermaßen abgelenkt, war klar, dass sie dieser Hochzeitsfeier irgendwie gar nicht so richtig folgen konnte. Ihre Gedanken verirrten sich ständig irgendwohin, wo sie nicht hingehörten.
Zu ihrer Endlosschleife.
Sie konnte dem Geplauder und den Gesprächen um sich herum kaum Beachtung schenken, weil ihre Konzentration total gestört war.
Ständig dieses Flattern im Bauch, dieser Druck im Magen und es war kaum auszuhalten, dieses Gefühl, nicht zu wissen, was eigentlich Sache war!
Das herrliche Essen war gereicht worden und hatte wirklich wunderbar geschmeckt. Die zwei Bissen, die sie mit Mühe runtergebracht hatte.
Die wunderbare Torte war angeschnitten, zerteilt und gereicht worden. Einmalig hatte es gemundet, das kleine Stückchen, das es in ihren Mund geschafft hatte.
Lena wollte essen. Doch sie brachte einfach nichts runter. Sie war schlicht und ergreifend total verwirrt und brauchte ..., ja, was eigentlich?
Gewissheit!
Ja, sie brauchte Gewissheit, was in Gottes Namen, da vorhin passiert war.
Doch das war nicht so einfach. Sie saßen nun einmal in einem Raum gemeinsam mit 50 Personen und konnten nicht einfach mal auf ein Vieraugengespräch verschwinden.
David saß als dessen Trauzeuge neben Peter und sie, als deren Trauzeugin, neben Maggie. Ihre Blicke kreuzten sich immer wieder und jedes Mal sah Lena irritiert weg, spürte aber stets einen seltsamen Stich in der Magengegend.
Auch David war überraschend ruhig und das, obwohl sie ihn dermaßen gedämpft gar nicht kannte. David war normalerweise ein Plaudertäschchen.
Dann hielt der Bräutigamvater, Peter Gutmann Senior, seine Rede. Da wurde Lena dann doch wieder aufmerksam und versuchte zumindest vorübergehend nicht an David zu denken. Lena mochte Peters Vater, obwohl sie wusste, oder zumindest stark mutmaßte, dass er eine vorgefasste Meinung von ihr hatte.
Sicher ist er heilfroh, dass Peter die anständigere Schwester geheiratet hat, dachte Lena selbstreflektiert.
„Liebe Maggie, lieber Peter, liebe Hochzeitsgäste! Ich bringe einen Toast auf das junge Brautpaar aus. Möget ihr immer so glücklich sein, wie an diesem Tag!“
Als Peter und Maggie ihm zuprosteten, schmunzelte Peters Vater und fuhr fort: „Ihr habt lange auf das gemeinsame Glück warten müssen, doch ihr habt nie die Liebe zueinander verloren. Jahre der Trennung konnten euch nichts anhaben, denn ihr seid füreinander bestimmt. Peter, dass du so eine wunderbare Schwiegertochter in die Familie bringst, beweist, was für einen hervorragenden Geschmack du besitzt. Und für mich hat eure Bindung den Vorteil, dass ich mich nicht erst an ein neues Gesicht an Peters Seite gewöhnen muss.“
Schallendes Gelächter im Raum. Jeder wusste, worauf er anspielte und Lena wurde kribbelig. Immerhin war sie eine Zeitlang mit Peter liiert gewesen und deren Beziehungsende war nicht gerade ein gesellschaftsfähiges Thema. Sie hoffte inständig, dass sich Peters Vater Details verkneifen würde.
„Entspann dich, mein Schwesterherz!“, drückte Maggie ihre Hand, weil sie Lenas Anspannung spüren konnte. „Peters Vater ist ein Gentleman. Er wird auf deine Kosten keine schlechten Scherze machen.“ Lena lächelte sie dankbar an, dachte und hoffte eigentlich das Gleiche, doch noch konnten sich ihre Schultern nicht ganz entspannen.
„Scherz beiseite. Ich mag diese beiden jungen Frauen und danke Lena, dass sie mit ihrer Lebendigkeit Peter aus seiner Isolation geholt hat. Manchmal passt es und manchmal passt es nicht. Aber oft kommt alles, wie es kommen muss und nun hat Peter sein großes Glück bei Maggie gefunden und ich wünsche euch daher von ganzem Herzen, dass eure Liebe immer so groß und stark bleibt, wie sie heute ist. Prost!“
Er hob sein Glas und jetzt konnte sich Lena entspannen. Ihre Schultern sanken wieder nach unten. Als sie Peters Vater ihr Sektglas zum Anstoßen bot, formulierte sie ein ‘Danke!’ mit den Lippen und nickte ihm dankbar zu.
Er erwiderte mit einem herzlichen Nicken den Dank und nachdem die Rede des Bräutigamvaters beendet war und alle einen Schluck auf das Brautpaar getrunken hatten, erhob sich auch Marie, die Mutter der Braut.
„Maggie und Peter! Ich bin so glücklich, wenn ich euch beide hier vor mir sitzen sehe.“
„Peter, dich kenne ich schon so viele Jahre. Du warst für mich immer ein ganz besonders netter und hilfsbereiter Arbeitskollege, damals, als wir noch gemeinsam bei der Unito-Versicherung gearbeitet haben. Obwohl: Du bist ja noch immer dort“, verbesserte sie sich und alle lachten.
„Dass du das Herz meiner Tochter erobert hast und der Ehemann meiner Maggie bist, macht mich selbst so glücklich, denn ich kann mir für Maggie keinen besseren Ehemann vorstellen, als dich. Maggie, du hast es in deinem Leben bisher nicht immer leicht gehabt und es freut mich umso mehr, dass du nun an der Seite dieses tollen Mannes glücklich werden kannst, denn du hast es verdient.“ Sie blickte liebevoll zur Braut und ihre Augen bekamen einen wässrigen Schein.
„Maggie, meine Tochter! Ich hätte mir diesen Tag nie träumen lassen, weiß ich doch erst seit kurzer Zeit ...“, sie konnte nicht weitersprechen, fing sich aber bald wieder.
„Egal, ich bin dem Schicksal so unendlich dankbar, dass es meine beiden Mädchen auf diese wundersame Weise in mein Leben zurückgeführt hat, nachdem ich ...“
Marie stockte abermals und Maggie stand auf und ging zu ihrer Mutter. Sie nahm Marie liebevoll in den Arm. Auch Lena erhob sich und kuschelte sich zu Marie. Die drei Frauen wirkten wie ein dicker Baum, den kein Wind umwehen konnte.
„Auch ich bin überglücklich, dich gefunden zu haben!“ antwortete Maggie mit starker Stimme und Lena nickte heftig: „Ich auch, Marie, ich auch!“
„Aber, bitte, Marie, setze deine Rede fort, damit unsere Gäste und ich nicht verdursten!“, mischte sich nun Peter lachend ein und Marie lächelte in seine Richtung.
„Wieso nennen Maggie und Lena ihre Mutter eigentlich beim Vornamen?“ wunderte sich Silvia Schneider, die neben Sonja Jung am Tisch von Peters Arbeitskollegen saß.
Nachdem Sonja mit Lena eine enge Freundschaft verband, konnte sie diese Frage beantworten.
„Weil Marie seinerzeit, als junges, vom Kindesvater sitzengelassenes Mädchen, einer Adoption zugestimmt hat. Marie hat erst im Vorjahr durch Zufall erfahren, dass Lena und Maggie ihre Töchter sind.“
„Oh! Das ist aber ein starkes Ding! Daher habe ich nicht gewusst, dass Marie Kinder hat! Wenn sie selbst davon keine Ahnung gehabt hat?“
„Nun, dass sie Mutter war, hat sie natürlich schon gewusst“, relativierte Sonja, wusste aber, was Silvia gemeint hatte. „Aber nachdem sie seinerzeit durch einen Notkaiserschnitt niedergekommen ist, hat sie nicht erfahren, dass sie Zwillingsmädchen geboren hat.“
„Und wo sind Maggies Eltern, also Adoptiveltern?“, wunderte sich Silvia, die mitbekommen hatte, dass Lenas Adoptiveltern zu der Hochzeit gekommen waren, Maggies Eltern aber scheinbar nicht.
„Maggies Adoptivmutter ist vor vielen Jahren tödlich verunglückt und ihr Vater lebt in einem Pflegeheim. Er soll, laut Lenas Erzählungen, sehr viel getrunken haben und Maggie hat wohl keine schöne Jugendzeit gehabt. Details hat mir Lena allerdings nicht erzählt.“
„Ach, deswegen hat Marie erwähnt, dass Maggie viel durchgemacht hat. Ich habe mich bereits gewundert, was so ein junges Mädchen denn schon Schlimmes erlebt haben kann.“
„Ja, mit Sicherheit hat sie darauf angespielt. Doch nun, mit Marie als Mutter und Peter an ihrer Seite? Schöner geht es nicht!“
„Stimmt, Maggie ist wirklich zu beneiden“, gab ihr Silvia recht und blickte zu den drei Frauen.
Inzwischen hatten sich Marie, Maggie und Lena aus ihrer Umarmung gelöst, einige Taschentücher aufgeweicht und Marie strahlte wieder die ihr innewohnende Ruhe und Gelassenheit aus, als sie weitersprach.
„Ja, also, nachdem mich Peter an meine Brautmutterpflichten erinnert hat, setze ich meine Rede fort, dabei weiß ich jetzt gar nicht mehr, wo ich stehengeblieben bin.“ Hilflos blickte sie in die Runde, bis ihr Blick auf ihren Mann fiel.
„Dass deine beiden Mädchen auf diese wundersame Weise in dein Leben zurückgeführt worden sind!“, half ihr Raffael auf die Sprünge.
„Danke, Raffi. Was würde ich nur ohne dich tun. Und das sage ich nicht nur, weil ich ohne dich diese Rede nicht fortsetzen hätte können, nachdem ich den roten Faden verloren habe. Das sage ich auch deshalb, weil ich ohne dich wirklich nicht wüsste, wie schön das Leben ist. Es ist einfach wunderbar, wenn man einen Mann gefunden hat, auf den man sich verlassen kann!“
„Danke, Marie, aber ich befürchte, du wirst wieder den roten Faden verlieren,“ lächelte Raffael, merkbar geschmeichelt über das Kompliment, aber ihr weiterhin helfen wollend.
„Nein, mein Schatz, ich vollziehe nur soeben die beste Überleitung, die eine Rede jemals erlebt hat. Maggie, ich wünsche dir, dass du mit Peter genauso glücklich wirst, wie ich es mit meinem Mann geworden bin. Und die Chancen dafür stehen gut, denn Raffael und Peter haben eines gemeinsam: Sie sind verlässliche, treue und bodenständige Männer, die der Frau, die sie lieben, den Himmel auf Erden schenken. So wie mir mein Raffael als Wiedergutmachung für vieles zuvor Geschehene geschickt wurde, ist dir Peter geschenkt worden. Davon bin ich überzeugt. Wir beide sind gesegnet und ich danke ganz intensiv ...“ Maries Blick glitt nach oben, bevor sie weitersprach. „Ich danke wirklich aus tiefstem Herzen für dieses große Glück, das ich mit meinem Raffael und du nun mit deinem Peter erleben darfst.“
Raffael erhob sich und nahm Marie gerührt in seine Arme. „Das nenne ich eine wirklich gelungene Überleitung“, streute er ihr Rosen.
„Habe ich es nicht gesagt?“, witzelte Marie, um gleich wieder ernst zu werden. Sie hob ihr Glas Sekt und gleichzeitig ihre Stimme: „Auf Maggie und Peter, auf die Liebe und auf Christian Gottlieb!“
„Auf den Wirtschaftsprüfer stoßt sie an?“ wunderte sich Silvia, warum Marie den jungen Mann, der im Vorjahr bei der Unito-Versicherung in Erscheinung getreten war, in ihrer Ansprache erwähnte.
„Ich glaube, Christian Gottlieb ist mehr als ein Wirtschaftsprüfer. Zumindest für Marie. Und für Lena. Und für Peter ...“ Sonja zog ihr Gesicht in Falten. „Ich glaube, er ist mehr für alle Menschen, die ihm begegnet sind.“
„Ja, er ist wirklich ein besonderer Mensch, er bringt einem zum Nachdenken“, nickte Silvia und sah sich suchend um.
„Wo ist er eigentlich?“ fragte sie Sonja, „hast du ihn schon gesehen?“
„Er ist nicht hier. Lena hat mir erzählt, dass er überhaupt nicht mehr da ist.“
„Das ist aber schade. Wo ist er denn?“
„Das weiß ich nicht“, zuckte Sonja mit den Schultern.
„Oh, sieh nur, die Musiker gehen zu ihren Instrumenten“, rief Silvia erfreut und das Thema war beendet. „Ich glaube, jetzt beginnt der fröhlichste Teil der Feier. Ich schnurre mal bei meinem Mann etwas herum. Vielleicht bekomme ich ihn auf die Tanzfläche.“
Die Musiker starteten ihr Musikprogramm mit einem Wiener Walzer. Der Leadsänger sang: „Wunderbar, wunderbar, diese Nacht so sternenklar. Ja, ein Märchen wird wahr, es ist wirklich wunderbar.“
Peter zog Maggie auf die Tanzfläche und die beiden eröffneten mit diesem schwungvollen Walzer aus ‘Kiss me Kate’.
Auch Marie und Raffael standen auf und schwangen das Tanzbein, wonach immer mehr Paare dem Beispiel folgten und auf die Tanzfläche strömten.
Nachdem Maggies Stuhl leergeworden war, huschte David neben Lena.
„Wer ist eigentlich dieser Christian Gottlieb, den deine Mutter vorhin in ihrem Toast erwähnt hat?“, fragte David, der es gar nicht erwarten hatte können, sich endlich neben Lena setzen zu dürfen.
„Das ist der junge Mann, von dem ich dir schon einmal erzählt habe.“
„Der Wirtschaftsprüfer, von dem du behauptet hast, er hätte aus dir einen anderen Menschen gemacht?“
„Das hast du dir gemerkt?“, war Lena beeindruckt. David nickte.
„Ja, das ist Christian Gottlieb“, antwortete sie daraufhin.
„Wo ist er denn, ich würde ihn gern kennenlernen und mich bei ihm bedanken.“ David blickte durch den Raum.
„Wozu das denn?“
„Nun, wenn er dafür verantwortlich ist, dass du so eine hinreißende und liebenswürdige Person geworden bist, gebührt ihm doch Dank.“
Lena wurde rot und antwortete auf Davids vorherige Frage.
„Christian ist nicht mehr hier. Er hat von einem erledigten Auftrag gesprochen und zu seinem Vater zurückkehren müssen.“
„Zu seinem Vater? Wie alt ist dieser Gottlieb, wenn er noch bei seinem Vater wohnt?“
„Ich schätze ihn so um die Dreißig, aber ich weiß nicht, ob er tatsächlich bei seinem Vater wohnt ...“ Lena schien nachzudenken.
„Eigentlich weiß ich nicht einmal, wer sein Vater ist. Ich habe damals gedacht, sein Vater betreibt eine Wirtschaftsprüferkanzlei, nachdem Christian immer erklärt hat, sein Vater hätte ihn geschickt.“
Dann sah Lena auf ihre Finger, die in ihrem Schoß lagen.
David hatte sich während des Gespräches ihre Hand ergriffen und seine Finger verhakten sich mit ihren. Sie hielten unter dem Tisch Händchen und Lena packte die Gelegenheit beim Schopf.
„Aber eigentlich will ich jetzt gar nicht mit dir über Christian reden, sondern viel lieber ...“
„Komm Prinzessin, ich weiß, worüber du reden willst. Lass uns auf die Terrasse gehen, da sind wir ungestört.“
David zog sie hoch und die beiden verschwanden durch die leicht geöffnete Schiebetür. Die geräumige Terrasse war unbeleuchtet und menschenleer, die Luft kühl und eine leichte Brise wehte Lenas Seidenkleid hoch. Sie strich den Stoff mit der freien Hand nach unten, doch David hatte die makellose Schönheit ihrer Schenkel bereits aufblitzen sehen. Und die erregende Wirkung ließ nicht auf sich warten, versetzte ihn in einen zügellosen Rauschzustand. Augenblicklich war ihm überhaupt nicht mehr danach, zu reden.
„Lena!“ flüsterte er, während er vor Verlangen seine Hand an ihren Hals legte und mit sanftem Druck ihr Gesicht zu seinem zog. Er blickte ihr in die Augen, die ihm in der Dunkelheit wie schwarze Kohlen entgegensahen. Lena bot ihm ihre geöffneten Lippen und er stürzte sich wie ein ausgehungerter Löwe auf ihren Mund. Während er sie stürmisch küsste, drängte er Lena an die holzvertäfelte Wand, die noch die gespeicherte Wärme des Sommertages wiedergab. Gierig pressten seine Hände ihren zarten Körper an seinen, während Lenas Finger hemmungslos unter sein Sakko fuhren, sein Hemd aus der Hose zerrten und sich leidenschaftlich in seinen Rücken krallten.
„Lena, du machst mich so verrückt!“, flüsterte er, als seine Hände an ihrer Schenkelinnenseite hochfuhren. Lena nahm seine Erregung deutlich wahr und fühlte ebenfalls ein heftiges Verlangen.
„Lass uns in den Garten gehen, bevor noch jemand kommt“, hauchte David und Lena ließ sich bereitwillig in die Schwärze der umliegenden Bäume mitziehen. Die beiden liefen in den menschenleeren Park und verschwanden hinter den Büschen in der Dunkelheit.
Dort küssten sie sich wie Verhungernde und ihre Begierde aufeinander wurde immer größer, immer stärker. Dieser Hunger schrie nach Erfüllung.
Das wussten sie.
Das spürten sie.
Das wollten sie.
Entschlossen schob Lena ihren Slip herunter und auch David öffnete seinen Gürtel. Dann hielt er inne.
„Dürfen wir das? Geht das nicht zu schnell? Ich meine, ich begehre dich schon so lange. Seit Monaten träume ich von dir und habe trotzdem nie gewagt, dir zu sagen, wie verliebt ich in dich bin.“ Fast schrie er sein Liebesgeständnis in diese Nacht.
„Du hast deine Gefühle tatsächlich bis zum heutigen Tag sehr geschickt unter Verschluss gehalten. Dabei hast auch du mir immer besser gefallen. Immer besser!“, gestand nun auch Lena. „Doch ich wollte es nicht aussprechen. Und ich wollte es wohl auch gar nicht wahrhaben. Immerhin waren wir doch die meiste Zeit so etwas wie beste Feinde!“
„Ach, Prinzessin, ich kann dir gar nicht sagen ...“
„Dann sag auch nichts!“, flüsterte Lena. Sie öffnete den Reißverschluss ihres Kleides, wand sich mit geschickten Bewegungen aus der Hülle und warf das unnötig gewordene Stück Stoff über den tiefhängenden Ast einer jungen Buche.
Als David diese wunderschöne Frau wie die personifizierte Verführung nackt vor sich stehen sah, gab er seine Bedenken auf. Er strich zärtlich über Lenas wohlgeformten Busen, dessen Brustwarzen durch die Kühle hart geworden waren. Wie seine Männlichkeit, die schmerzhaft seine gefräßige Erregung signalisierte. Er eroberte abermals ihren Mund und seine zügellos werdenden Küsse brachten Lena dazu, ungestüm an seiner Kleidung zu zerren.
Nachdem sie das letzte Stück Stoff von seinem Körper gerissen hatte, wollte sie ihn sehen. Sie ging einen halben Schritt zurück und musste bei Davids Anblick an die gemeißelte Statue seines Namensvetters denken. Bis auf die Körpermitte. Die hätte Michelangelo wohl eher nicht in dieser Position gestaltet. Doch Lena ergötzte sich an Davids sichtbarem Begehren und fühlte ihre eigene Lust mit jeder Pore. Ein heftiger Schauder und eine süße Sehnsucht durchströmten ihren Körper. Eine Sehnsucht nach David!
„Du bist schön!“, offenbarte sie voll aufrichtiger Bewunderung in ihrer Stimme. Diese Ehrlichkeit schuldete sie ihm, nachdem sie ihn monatelang mit dem Spitznamen ‘Woody Allen’ verspottet hatte. Obwohl sie es bisher nie zugegeben hatte, fand sie ihn schon attraktiv, seit er seine grässliche Hornbrille gegen Kontaktlinsen getauscht hatte. Seit er sich ihr gegenüber wie ein Freund verhalten hatte, hatten sich aber auch ihre Gefühle für ihn total verändert. Sie hatte Davids humorvolle Seite und sein hilfsbereites, liebevolles Verhalten zu schätzen gelernt. Und offenbar sogar mehr als das.
David wirkte nach Lenas Kompliment fast verlegen und mit einem Mal war er nicht mehr so forsch wie noch kurz zuvor auf der Terrasse. Fast schüchtern stand er vor ihr und schien den nächsten Schritt nicht zu wagen.
Er wollte schon! Das sah sie. Doch er zögerte, wollte sich nicht einfach nehmen, was er begehrte.
Lena bedeutete ihm viel. Er konnte doch nicht wenige Stunden nach dem ersten Kuss über sie herfallen wie ein wildes Tier. Obwohl ihm genau danach der Sinn stand. Aber das konnte er doch nicht tun!
Immerhin hatte er sie früher als leichtfertige und ungezügelte Person abgekanzelt. Nicht ganz zu Unrecht, denn Lena war tatsächlich oberflächlich und flatterhaft gewesen. Damals, als sie noch Peters Freundin gewesen war.
Doch sie hatte sich verändert. Und David hat ihren Wandel miterlebt. Ungläubig zuerst, doch dann immer klarsehender. Und in diese neue Lena hatte er sich Hals über Kopf verliebt.
„Lena, ich will nicht, dass du denkst, ich will nur das Eine ... “, versuchte er sein Zögern zu erklären und stammelte weiter. „Natürlich will und kann ich nicht abstreiten, dass ich gierig auf dich bin“, versuchte er zu scherzen, sprang sein Wollen doch stramm in Lenas Auge, „aber nicht nur ... ich habe mich nämlich wirklich ... ich meine ... es wäre respektlos dir gegenüber ... jetzt sofort ... also ...“
„Ich habe mich auch in dich verliebt. Mir wird es nur jetzt erst klar!“, unterbrach Lena sein Gestammel. „Wow, David, du erstaunst mich. Ich bin wirklich gerührt, dass du dir darüber Gedanken machst!“ Sie strich ihm mit der Hand über seine Wange und er schloss die Augen, genoss ihre Zärtlichkeit, indem er sich an ihre Handinnenfläche schmiegte.
„Danke, David, das bedeutet mir sehr viel!“
Er legte seine Hand auf die von Lena, die noch immer seine Wange umschmeichelte. Dann öffnete er seine Augen und küsste ihre Fingerspitzen.
„Dann lass uns wieder zurückgehen“, hauchte er mit rauer Stimme.
„Meinst du das ernst?“
„Nun, ich dachte ...“
„David! Ich will dich! Jetzt noch mehr als zuvor. Ich will dich genauso wie du mich! Und ich will dich jetzt! Spürst du das nicht?“
Sie warf sich in seine Arme und drückte sich ihm entgegen, damit er nicht weiterhin an Anstand oder ans Zurückgehen denken konnte.