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"Bringt mir diese deutsche Terroristenschlampe - nackt!" Corinnas Herz hüpfte vor Angst - und dabei saß sie doch noch nicht gefesselt auf dem Verhörstuhl, mit Krokodilklemmen an Muschi, Titten und Zehen, bereit gemacht für den elektrischen Schlag zur Erforschung der Wahrheit … Vielleicht musste sie auch wieder "Dienst am Vaterland" leisten, rücklings auf einen Tisch gefesselt: Nr. 1 streichelte sie zärtlich und drang dann in sie ein. Nr. 2 war ein 18jähriger Rekrut. Er hatte noch nie und konnte jetzt nicht - zu aufgeregt. Nr. 3 war schon stark alkoholisiert und schwitzte und stöhnte, als er über sie kam. Nr. 4 versuchte es an ihrer Hinterpforte - vergeblich. Ihre Muskeln waren stärker. Resistir - widerstehen! Nr. 2 durfte nochmal 'ran. Diesmal erfolgreich. Lauter Jubel. Er war vom Jungen zum Manne geworden … … und Corinna war zur Schlampe, Sklavin und Nutte der Militärs geworden. Wenn sie nicht gerade, elektrisch geschockt, die Namen ihrer Mitverschworenen hinausschrie, hieß es: "Tanzabend und Bumsnacht im Offizierskasino. Sucht euch von den Kleidern in der Kiste einfach irgendeins 'raus. Unterwäsche braucht ihr nicht. Ihr wisst ja, wozu ihr da seid." Chile 1973. Pinochet putschte Allende weg - und linksradikale studentische Aktivistinnen steckten plötzlich ganz tief in der Tinte …
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Seitenzahl: 269
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DAS EISENBETT
SM-Roman von Ana Contrera
SCHWARZE SERIE BAND V
Impressum der Paperback-Ausgabe:
© MMXX by Marterpfahl Verlag, Nehren; omnia eius editionis iura reservantur;
Druck: Bookpress, Allenstein
Cover: Lisa Keskin, mit einem Bild der Verfasserin Ana Contrera
ISBN 978-3-944145-63-1; 15,99 €.
Impressum der Ebook-Ausgabe:
© 2021 by Marterpfahl Verlag Rüdiger Happ,
Firstbergstr. 2, D-72147 Nehren
https://marterpfahlverlag.wixsite.com/erotikbuch
E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net
Cover: Rüdiger Happ unter Verwendung eines Bilds »Strappado« von Raimond Spekking vom 13.10.2002 aus der Wikipedia
E-Book ISBN 978-3-944145-81-5
Inhaltsverzeichnis
Casa Concordia (Text) …
Casa Concordia (Skizze) …
Lucía 06. November 1973 …
Pedro 06. November 1973 …
Claudia und Inés 17. Februar 1974 …
Isabella 28. November 1974 …
Corinna 10. März 1975 …
Inés 12. März 1975 …
Claudia 13. März 1975 …
Liliana 14. März 1975 …
Nachbetrachtung …
Casa Concordia
Casa Concordia war einst eine prächtige Hacienda in den Bergen vor Santiago de Chile. Bis 1970 gehörte sie einer alteingesessenen Familie von Großgrundbesitzern, die in der Gegend Weinbau betrieben. Im Zentrum des weitläufigen Grundstücks stand eine imposante klassizistische Villa. Gärtner pflegten die grünen Rasenflächen, die weißen Rosenstöcke und die ziegelroten Wege hinüber zum Schwimmbad. Selbst die zwei Meter hohe Umfassungsmauer des Geländes trug liebevoll ausgearbeitete Ornamente.
Im Zuge von Allendes Bodenreform wurde die Familie enteignet. Die Besitzer flüchteten in die USA. Das Haus gehörte nun den kommunistischen Gewerkschaften. Sie betrieben hier ein Schulungsheim. Reparaturarbeiten wurden immer seltener. Der einstige Glanz verblasste langsam.
Nach dem Putsch im September 1973 besetzten die Militärs das Gelände. Die Junta schränkte unter dem Deckmantel einer Doktrin der nationalen Sicherheit das öffentliche Recht ein. Es entstand eine Art politisches Niemandsland, in dem Streitkräfte und Geheimdienste jenseits des Gesetzes agieren konnten. In diesem Niemandsland begann im November 1973 der Geheimdienst DINA, Casa Concordia zu einer Dienststelle für seine Unterorganisation Brigada de Inteligencia Metropolitana umzubauen.
Jeden Abend arbeitet sich ein Militär-LKW die Serpentinen zwischen den verwilderten Obstplantagen herauf. Am großen schmiedeeisernen Haupttor stoppt er. Soldaten kontrollieren die Papiere, scherzen mit den Fahrern.
Der LKW darf passieren und fährt den Kiesweg weiter nach oben. Vor dem Eingang einer Lagerhalle endet die Fahrt. Ein Dutzend Männer und Frauen in Handschellen steigen von der Ladefläche. Soldaten nehmen sie in Empfang.
Hier sind ihre Geschichten:
Skizze der Casa Concordia
Lucía 06. November 1973
1 In der Universität
Lucía Paulina Iriarte stieg an diesem Dienstagmorgen die Treppe des Universitätsgebäudes schneller nach oben als sonst. Sie hatte ein Paket Flyer aus einer kleinen Druckerei abgeholt. Jetzt kam sie zu spät zum Seminar.
Die illegale Druckerei lag gut getarnt auf einem Industriegelände. Damit die Flyer nicht auffielen, hatte der Kontaktmann sie in Zeitungspapier eingewickelt. Lucía verbarg das Paket tief unten in ihrer braunen Umhängetasche. Studentische Organisationen luden auf den Infozetteln zu einer Versammlung ein, um gegen die Absetzung der gewählten akademischen Leitung durch die Militärs zu protestieren.
Leise öffnete Lucía die Tür zum Raum 2.023. Auf dem Stundenplan stand Lateinamerikanische Gegenwartsliteratur. Das Seminar hatte bereits begonnen. Während sie durch die Bankreihen zu ihrem Platz schlich, tauschte sie ein kurzes Lächeln mit Carolina aus. In der Militancia war diese unter dem Namen La Diplomatica bekannt, weil sie gelegentlich Briefe in die jugoslawische Botschaft schmuggelte. Dort gab es eine Person mit Kontakten zur russischen Botschaft und von der wiederum wurden Verbindungen zu Exilgruppen in Frankreich, der DDR und anderen Ländern unterhalten. Auf dem selben Weg, nur andersherum, flossen Geldmittel an die Gruppen im Untergrund.
Lucía kramte ihr Exemplar von Vargas Llosas La Ciudad y los Perros1 aus der Tasche. Sie machte sich klein, um nicht zu Wort gerufen zu werden. Seit letzter Woche hatte sie nicht eine Seite weitergelesen. Zum Glück diskutierten zwei Studentinnen in den vorderen Reihen mit der Seminarleiterin.
Lucía überlegte derweil, wie sie später die zwei Freistunden bis zur nächsten Vorlesung verbringen könnte. Wahrscheinlich würde sie in der kleinen Cafeteria gegenüber der Fakultät etwas essen gehen. Doch dazu kam sie nicht mehr.
Es klopfte an der Tür. Die Studenten drehten sich um. In der Tür erschien ein Offizier in Uniform der Carabineros und scannte mit zusammengekniffenen Augen die Sitzreihen. Mit einem Handzeichen winkte er von draußen weitere Carabineros in den Raum. Zwei von ihnen trugen Maschinenpistolen über die Schulter gehängt.
Solche unangenehmen Zwischenfälle häuften sich seit einigen Wochen. Wahrscheinlich war irgendwo wieder etwas Spektakuläres vorgefallen, und die Militärregierung musste zeigen, dass sie die Lage unter Kontrolle hatte. Meist waren derartige Aktionen nach einer halben Stunde vorbei. Lucía fiel plötzlich das Flugblattpaket wieder ein. Sie wurde blass. Wegen solcher Dinge waren schon Studenten verhaftet worden.
Der Einsatzleiter bedeutete mit einer arroganten Geste den Anwesenden aufzustehen. Die Studentinnen und die Seminarleiterin mussten sich an der Wand zum Nachbarraum aufstellen. Zwei Carabineros kontrollierten dort die Ausweise. Sie hatten eine Liste mit Namen dabei. Offenbar suchten sie bestimmte Personen. Die anderen Männer durchwühlten derweil die Taschen und Tüten der Anwesenden. Sie wählten die unkomplizierte Variante und schütteten den Inhalt einfach auf den Fußboden. Der Offizier scharrte mit der Stiefelspitze in den Häufchen herum.
In der Ecke des Raumes wurde es laut. Patricia hatte aus Nachlässigkeit die Hände sinken lassen. Die Männer zerrten sie unter wüsten Beschimpfungen aus der Reihe und bestraften den Verstoß mit Ohrfeigen. Zwei Knöpfe ihrer Bluse rollten über den Fußboden.
Lucía nahm die Hände freiwillig noch etwas höher. Die Ausweiskontrolle endete schließlich ohne Befund. Der Offizier schloss seine eher oberflächliche Durchsuchung der studentischen Habseligkeiten ab, und alle durften zurück in die Bänke. Lucía inspizierte besorgt ihre auf dem Fußboden verstreuten Sachen. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Das Paket mit den Flugblättern fehlte! Mit verstohlenem Blick entdeckte sie es auf einem der hinteren Tische. Der Offizier hatte es zusammen mit verdächtigen Sachen anderer Studenten einkassiert. Nun diskutierte er mit einem zweiten Carabinero, wie die problematischen Funde einzustufen waren.
Lucía zwang sich, tief durchzuatmen. Sie brauchte jetzt ganz schnell eine plausible Erklärung. Immerhin, sinnierte sie, seien studentische Versammlungen nicht generell verboten. Es gab auch rechtsgerichtete Studentenkreise, die ihre Meinungen kundtaten. Und auch sie machten Werbung für Veranstaltungen.
Die Carabineros forderten schließlich vier Studenten auf, zur Klärung des Sachverhaltes mit nach draußen zu kommen. Lucía war dabei. Mit gesenktem Haupt und weichen Knien folgte sie den Uniformierten hinunter in die Eingangshalle. Unterwegs registrierte sie, dass auch in anderen Räumen Durchsuchungen stattgefunden hatten. Auf dem Universitätsvorplatz sammelten die Carabineros die Verdächtigen, insgesamt etwa 20 Personen. Lucía sah schon von der Treppe aus eine Kolonne von Polizei-Einsatzwagen draußen auf der Straße. Ein Fahrzeug nach dem anderen kam auf das Universitätsgelände gefahren. Die Studenten wurden in Gruppen eingeteilt. Lucía, Liliana und Pedro gehörten nun zusammen. Ein olivgrüner Transporter stoppte direkt vor ihnen, und drei Männer stiegen aus. Sie identifizierten sich als Angehörige des zweiten Polizeikommissariats. Die beiden jungen Frauen sollten sich auf die Rückbank setzen. Pedro kam zwischen zwei Carabineros auf die mittlere Bank.
2 Comisaria de Carabineros Nr.2, Santiago
Die Fahrt durch die Innenstadt dauerte knapp 20 Minuten. Die Sonne stand hoch am Himmel und die Einwohner nutzten die Mittagspause für Erledigungen. Der Transporter hielt vor einer Einfahrt, und ein graues Metalltor wurde geöffnet. Der Wagen fuhr über zwei enge Innenhöfe und blieb schließlich vor einem Hintereingang stehen. Der Beifahrer kurbelte die Seitenscheibe herunter und pfiff über den Hof. Zwei Carabineros mit Maschinenpistolen erschienen. Die Männer legten den Gefangenen Handschellen an und führten sie im Treppenhaus ein Stockwerk nach oben. Die drei Studenten wurden jetzt voneinander getrennt. Lucía wurde von einem der Carabineros durch mehrere Dienstzimmer bis in einen Flur gebracht. Hier standen mehrere Stühle an der Wand. Mit einer Handbewegung forderte er die junge Frau auf, sich zu setzen.
»Ist sicher nur eine Formsache. Man wird Sie aufrufen.« Mit diesen Worten ließ er sie allein.
Zwei Frauen in Uniform schlenderten den Flur entlang. Unter dem Arm trugen sie Aktenordner. Vor der Tür blieben sie kurz stehen und warfen einen Blick auf Lucía. Sie tuschelten etwas, kicherten und betraten dann das Dienstzimmer.
Unruhig rutschte Lucía auf ihrem Stuhl herum. Sie wartete schon fast eine ganze Stunde. Weiter hinten, in einer Raucherecke, erschienen Einsatzkräfte in Uniform. Die Männer rissen Witze und lachten. Irgendwann hatten sie ihre Zigaretten aufgeraucht. Sie verschwanden vom Gang, und Lucía war wieder allein.
Endlich öffnete sich die Tür gegenüber. Ein Carabinero kam heraus. Er sah Lucía und stutzte.
»Hier ist noch eine!« rief er nach hinten ins Zimmer. Jemand antwortete ihm. »Moment«, raunte der Mann ihr zu und verschwand wieder im Raum. Kurz darauf winkte er sie schließlich herein.
»Señorita, setzen Sie sich dort ans Fenster. Es kommt gleich jemand!«
Lucía war nicht allein im Raum. In der Ecke, links neben dem Schreibtisch, saß ein Wachsoldat. Er rauchte Zigaretten und las Zeitung, El Mercurio. Gelegentlich blickte er Lucía über den Rand der Zeitung hinweg an. Belustigt beobachtete er, wie sie ihre Unterarme hin- und herdrehte. Die Bügel der Handschellen hinterließen bereits rote Abdrücke an den Handgelenken.
Nach einer Weile erschien eine junge Frau in Uniform. Sie gehörte zu den beiden, die sie vorhin schon auf dem Flur gesehen hatte.
»Du!« Sie blickte Lucía fest an, bis sie ihre volle Aufmerksamkeit hatte. »Komm mit!«. Lucía folgte ihr in einen Nachbarraum. Die Frau hatte lustige Sommersprossen im Gesicht. Ihre braunen Haare waren zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden.
»Stell dich vor die Wand, Gesicht zu mir, Hände hinter den Kopf!« Die Carabinera trat lässig gegen das Türblatt. Die Tür fiel unüberhörbar ins Schloss. Die Frau streifte sich einen dünnen weißen Gummihandschuh über und tastete die Verdächtige flüchtig ab. Lucía ließ es über sich ergehen. Die Dame suchte wohl nach Waffen oder Messern. Sie erspürte Portemonnaie und Wohnungsschlüssel, zog ihr beides aus den Taschen und warf die Sachen hinter sich auf die Tischplatte.
Viel mehr ist da nicht, dachte sich Lucía und erwartete das baldige Ende der Durchsuchung.
Mit Erschrecken registrierte Lucía, wie die Carabinera ihr den Pullover aus dem Hosenbund zog, dann mit einem Ruck weiter bis über den Kopf nach oben. Lucía fühlte sich überrumpelt. Sie wollte sich wehren, aber sie hatte die Hände in Handschellen hinter dem Kopf.
»Bleib’ ruhig, ich muss dich durchsuchen!«
Durch die Fasern des Pullovers waren nur noch unscharfe Konturen sehen. Lucía nahm sich zusammen, um nicht zu provozieren. Als die Frau ihr aber auch den BH öffnete, ging es ihr zu weit.
»Stopp! Was fällt Ihnen ein?«
»Halts Maul!« erwiderte die Carabinera unbeeindruckt. »Wenn du zickig bist, ruf’ ich die Männer! Dann machen die das.«
Sie öffnete die Knöpfe der Jeans und zog sie bis zu den Knien herunter. Lucía öffnete den Mund zum Protest, aber die Carabinera kam ihr zuvor:
»Kein Wort, meine Süße, klar?«
Es folgte der Slip.
»Manche Guerilleras verstecken eine Giftkapsel in ihrer Vagina«, murmelte die Frau, als wolle sie ihr Tun rechtfertigen. »Um sich umzubringen, bevor sie auf der Folter schwach werden.«
Lucía kannte die Geschichte, hatte aber selbst keine solche Kapsel. Sie spürte die Hand der Frau zwischen ihren Oberschenkeln. Instinktiv zog sie die Beine zusammen. Ein derber Faustschlag in den Magen war die Quittung.
»Beine breit!« fauchte die Uniformierte verärgert.
Lucía japste nach Luft.
Die Finger der Frau erkundeten jede Stelle. Lucía hatte das Gefühl, es dauere länger als notwendig. Aber das zu beurteilen stand ihr offenbar nicht zu. Verstohlene Tränen sickerten auf ihren Wangen in die Wolle ihres Pullovers.
Nachdem die Carabinera sich überzeugt hatte, dass da nichts war, ließ sie von der Verdächtigen ab.
»Dreh dich um, Gesicht zur Wand!«
Lucía, halbnackt und mit den Händen hinter dem Kopf, hörte, wie sie sich einen Stuhl am Schreibtisch zurechtrückte. Nun kamen Fragen: Namen, Wohnadresse, Ausbildung und so weiter. Wohl für eine Polizeiakte. Lucía antwortete wahrheitsgemäß.
Jemand öffnete die Tür und betrat den Raum. Eine Männerstimme fragte, ob die Verdächtige hier eine Cecilia Lagercrantz sei. Lucía zog verschämt die Schultern nach vorn. Die Carabinera verneinte lautstark und warf den Mann wieder ’raus. Sie war sauer, weil er nicht angeklopft hatte. Der Mann fluchte. Die Tür ging zu, und es herrschte wieder Ruhe.
Die Carabinera fragte jetzt detaillierter nach Liliana und Pedro.
Lucía stellte sich unwissend:
»Die sind nicht in meiner Seminargruppe, wir sind erst auf dem Vorplatz der Uni zusammengebracht worden, von den Carabineros dort.«
»Aber du kennst die beiden?«
»Ja.«
»Namen?«
»Liliana Pelemontes und Pedro Dosetto.«
»Ihr habt vor zwei Wochen in Flor de Caballito mitgemacht?«
Die Carabinera beobachtete, wie sich die Haltung der Verdächtigen etwas versteifte. Aufmerksam zog sie eine Augenbraue hoch.
Lucía wusste sofort, worauf die Frau hinauswollte. Bei der besagten Aktion hatten Aktivisten eine Filiale der Zeitung Mercurio überfallen. Es ging um die »Enteignung« von Bargeld, Druckerausrüstung und was sonst noch so in Widerstandskreisen brauchbar war. Die Aktion lief aus dem Ruder, als ein Transporter mit Carabineros zufällig vor der Tür hielt. In den Nachrichten wurde die Aktion als schwerer Raub und Erpressung dargestellt. Lucía selber war nicht dabei gewesen, aber sie hatte danach einem Compañero namens Victor für einige Tage Unterschlupf gewährt. Er erzählte, dass es eine Schießerei gegeben hätte.
Lucía hatte sich nach dem Vorfall eine Alibigeschichte ausgedacht, um die Unterstützung für Victor zu kaschieren. Nun fragte tatsächlich jemand nach der Sache. Lucía antwortete entschlossen:
»Sie meinen den Überfall auf die Zeitungsfiliale? Nein, zu der Zeit war ich in Valparaiso.« Es klang etwas zu sicher, wie auswendiggelernt. Die Carabinera lehnte sich grinsend auf dem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
»Und die beiden anderen?«
»Ich weiß nicht viel über sie. Nur damals, im ersten Semester, hatten wir ein oder zwei gemeinsame Vorlesungen. Aber da saßen auch noch 100 andere Studenten im Saal. Man hat nicht viel Kontakt.«
»Aber es waren doch sicher Studenten der Universität daran beteiligt, oder?« Die Carabinera blieb hartnäckig am Thema. Lucía verstand langsam den Grund für den heutigen Polizeieinsatz in der Universität.
»Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe es auch nur aus den Nachrichten erfahren.«
Die Carabinera erhob sich und kam langsam zu Lucía herübergelaufen. Sie stellte sich dicht hinter die Verdächtige. Lucía konnte die Wärme ihres Körpers spüren.
»Verstehe«, raunte sie. »Dann also nochmal konkret zu dir. Wo genau warst du an jenem Nachmittag?«
Lucía schluckte beklommen. »In Valparaiso. Am Strand.«
Statt einer Antwort begann die Carabinera mit den Fingern die Konturen von Lucías Oberkörper nachzuzeichnen. Sie startete an beiden Achselhöhlen und arbeitete sich langsam nach unten voran. Lucía riss die Augen auf und zuckte erschrocken.
»Bitte …«, entgegnete sie peinlich berührt, »… ich mag so was nicht.«
»Hör mal, Kleines, du bist hier bei einer Vernehmung«, flüsterte die Carabinera. »Hier geht es nicht darum, ob du das magst. Du bist hier, weil du etwas zu verbergen hast, nicht wahr. Aber wir beide werden die Wahrheit herausfinden. So oder so. Es liegt in deiner Hand, wie lange wir dazu brauchen. Verstanden?«
»Ja.«
»Gut. Dann noch mal: Wo warst du an diesem Nachmittag?«
»Wir sind ans Meer gefahren für drei Tage, und an dem Nachmittag waren wir am Strand.«
Die Carabinera schwieg. Ihre Finger zeichneten unsichtbare Kreuze auf die Pobacken der Verdächtigen.
Lucía war verunsichert. War die Frau an der Geschichte interessiert, oder suchte sie eine bestimmte Form von Erregung?
»Wer ist ›wir‹?«
»Ich … und zwei Freundinnen.«
Die Hand der Carabinera wechselte auf die Innenseiten von Lucías Oberschenkeln. Lucía riss wieder die Augen auf und stellte sich auf die Zehenspitzen. Das half nicht viel. Als die Finger den oberen Anschlag berührten, schrie sie: »Aufhören!«
Die Hand verschwand sofort. Im nächsten Moment bekam Lucía einen gewaltigen Tritt in den Hintern. Sie schleuderte gegen die Wand. Die Carabinera brüllte: »Was denkst du, wer du bist?« Lucía konnte sich mit den gefesselten Händen nicht abfangen und rutschte seitwärts zu Boden. Die Tür ging auf. Eine Männerstimme fragte: »Brauchst du Hilfe?«
Die Carabinera wiegelte ab: »Danke, nein! Nur ein bisschen zickig, das kleine Luder. Aber die krieg ich schon eingefangen.«
Die Tür wurde wieder geschlossen.
Lucía lag erschrocken auf dem Boden und schwieg, um die Situation nicht noch weiter anzuheizen.
Die Carabinera trat ihr wieder derb in den Hintern: »Los, steh auf, du Stück Scheiße!«
Lucía bemühte sich, aber mit den Händen hinter dem Kopf kam sie nicht vom Boden hoch. Die Carabinera zog sie am Oberarm herauf. Mit deutlich milderer Stimme erklärte sie:
»Du hast es gehört: Wenn du nicht kooperierst, dann kommen die Männer ›helfen‹. Weißt du, was das heißt? Sie reißen dir die Kleidung gleich hier im Zimmer vom Leib. Dann schleifen sie dich nackt über den Flur und bringen dich ’runter in den Keller. Dort ziehen sie dir die Ohren lang, bis runter auf den Fußboden. Verstehst du? Das ist deren Geschäft. Die lassen nicht locker. Wenn du nicht singst, wie eine Lerche, dann holen sie dich morgen wieder und jagen dir Strom in die Titten. Und übermorgen noch woanders hin.«
Lucía hatte Knie wie Pudding. Hastig nickte sie.
»Gut. Dann lass uns noch etwas in die Details gehen. Ihr wart also in Valparaiso. Ich brauche ein paar Namen, die das bezeugen können!
»Carolina Villepen.«
Die Carabinera spitzte die Lippen und umfasste von hinten mit beiden Händen Lucías Brüste. »Auch eine Studentin?«
Lucía ließ sie gewähren und nickte gehorsam. »Ja.« Sie konnte das Parfum der Carabinera riechen und spürte, wie sich die Uniform an ihrer Haut rieb.
»Wer war noch dabei?« Die Frage kam sehr leise, fast geflüstert, aber dennoch dominant.
»Eine Brasilianerin, die von allen ›Patsy‹ genannt wurde. Mehr weiß ich wirklich nicht.« Lucía flüsterte jetzt auch. Einerseits hatte sie Angst, andererseits fühlte sie sich geborgen, solange die Carabinera friedlich blieb. Der Charakter der Vernehmung änderte sich nun. Die beiden hatten einen Modus gefunden, miteinander auszukommen. Lucía ließ die Nähe der Carabinera zu und erzählte dafür ihre Version des fraglichen Vorfalls. Die Carabinera fragte nicht weiter nach, sondern lieferte gelegentlich sogar kleinere argumentative Hilfestellungen für eine akzeptable Geschichte.
Irgendwann löste sie sich von Lucía und ging zurück zum Schreibtisch.
«Du kannst dich wieder ankleiden.« Der Ton war jetzt wieder sachlich nüchtern. Sie schob die persönlichen Sachen der Verdächtigen auf dem Tisch zusammen. »Du musst noch abwarten, was deine Mitstreiter zu Protokoll geben. Hoffentlich erzählen sie keine Geschichten über dich. Sonst wird dein Aufenthalt hier deutlich unangenehmer werden. Falls aber alles okay ist, wird man dich nachher wieder entlassen. Sei vorsichtig in den nächsten Monaten, hörst du? Die Lage ist sehr gespannt. Für uns alle.«
Die Carabinera warf einen letzten Blick auf Lucía. Dann verließ sie den Raum und befahl dem Wachposten, die Verdächtige in Raum 217 zu bringen. Kurz vor acht Uhr abends fiel die Entscheidung. Lucía durfte gehen. Wenige Minuten später stand sie tatsächlich wieder auf der Straße. Sie war erschöpft, aber erleichtert. Ihre erste direkte Begegnung mit dem Militärstaat hatte gut zehn Stunden gedauert.
1 »Die Stadt und die Hunde« (Anmerkung des Verlegers)
Pedro 06. November 1973
1 Comisaria de Carabineros Nr.2, Santiago
Pedro Alfredo Dosetto wurde am späten Vormittag zusammen mit Lucía Iriarte und Liliana Pelemontes festgenommen. In einem Fahrzeug der Carabineros brachte man sie in die Comisaria Nr. 2 in der Pasaje Reyes. Nach der Einlieferung wurden die drei getrennt voneinander verhört.
Pedro landete in der ersten Etage in einem Warteraum. Dort saßen bereits vier andere »Problemfälle« des Vormittags: ein betrunkener Obdachloser, eine aufreizend geschminkte Prostituierte und zwei Personen, die ihrer Kleidung nach Bauarbeiter waren. An der Tür hielt ein Posten mit MP Wache. Sprechen war verboten, nur der Betrunkene grölte gelegentlich seine Unzufriedenheit in den Raum. Der Wachposten trat ihn dann ans Schienbein und rief »Callate, mierda!«.
Pedro rutschte nervös auf seinem Stuhl umher und fragte sich, was die Typen wohl schon über ihn wussten.
Zuerst wurde die Prostituierte abgeholt. Ein kleiner, stämmiger Carabinero forderte sie freundlich auf mitzukommen. Die Frau schimpfte wie eine Elster, ihre Papiere seien in Ordnung, der Freier sei ein Betrüger gewesen und die Polizei solle sich besser um diesen Typen kümmern, statt ihr die Zeit zu stehlen. Der Carabinero nickte gelassen, winkte sie mit den Fingern von ihrem Stuhl herunter und führte sie den Flur nach hinten. Kurz darauf brachte ein Einsatzkommando zwei neue Verdächtige, beide männlich. Auch sie wurden angewiesen zu warten.
Nach einigen Minuten erschien der Carabinero wieder. Er wischte sich über den Schnauzbart und blätterte dann in einem braunen Schnellhefter. Er zeigte erst auf Pedro, dann auf die beiden Bauarbeiter.
»Ihr seid dran. Mitkommen!«
Der lange Flur führte zu einer Treppe im Hinterhaus. Pedro wunderte sich, dass es außer dem Carabinero keine weiteren Wachsoldaten zur Begleitung gab. Dem unsportlichen Typen würde er im Ernstfall glatt davonrennen. Aber vielleicht war die Verhaftung in der Universität ja auch ein Irrtum gewesen. In dem politischen Durcheinander nach dem Putsch passierte derartiges alle paar Tage. Meist wurden die Betroffenen dann schnell wieder freigelassen.
Durch das Treppenhausfenster sah Pedro hinunter auf den Innenhof. Er begriff, dass ein Fluchtversuch spätestens dort zu Ende gewesen wäre. Im Untergeschoss übergab der Carabinero die vier Verdächtigen an einen Offizier. Er händigte ihm auch den braunen Schnellhefter aus. Der Offizier übernahm das Kommando.
»Aufstellen vor der Wand, Gesicht zu mir, Hände in den Nacken!«
Er studierte einige Sekunden die Unterlagen.
»Arturo Mendez?«
»Ja?«
»Es heißt ›Hier, mi Teniente‹. Klar?«
»Klar, mi Teniente.«
»Du bist zuerst dran. Stell dich hier vorn hin!«
»Pedro Dosetto?«
»Hier, mi Teniente.«
»An zweiter Stelle!«
»Ruben Calvo?«
»Hier, mi Teniente.«
»Du bist der letzte.«
Nachdem sich die Männer in der geforderten Reihenfolge aufgestellt hatten, verschränkte der Offizier die Arme auf dem Rücken.
»Tja, ihr Böcke. Euch ist hoffentlich klar, dass ihr tief in der Jauche steckt!« Der Offizier schaute die Verdächtigen mit ernster Miene an und machte eine wohlberechnete Pause. »Ich erzähle euch jetzt, was ihr tun müsst, um da wieder ’rauszukommen. Garantieren kann ich nichts, die Entscheidung liegt beim Kommissar. Aber soviel ist klar: Wer sich nicht an die Spielregeln hält, der bleibt länger hier … Also: Zum Verhör zieht ihr jetzt die Schuhe aus, Hosen, Hemd, Strümpfe, Unterwäsche, alles. Die Sachen ordentlich auf einen Stapel legen, zwischen euch und die Wand. Dann umdrehen, Gesicht zur Wand, Hände in den Nacken.«
Die Männer murrten lautstark. Der Offizier blockte ab.
»Maul halten und ausziehen! Na los, los, ihr Böcke! Ja, ganz blank! Schüchtern könnt ihr bei euren Frauen sein, hier gibt es nichts zu verbergen.«
Während die Männer widerwillig begannen, sich auszuziehen, erklärte der Offizier weiter:
»Wann ihr hier wieder rauskommt, entscheidet allein der Kommissar. Er wird euch da drin gleich einzeln verhören. Vielleicht setzt er euch heute abend schon wieder auf freien Fuß. Oder ihr bleibt noch Tage hier in Untersuchungshaft. Oder bis ihr vermodert seid. Also benehmt euch, spielt nicht die Helden und sagt die Wahrheit! Verstanden?«
Die Tür vom Verhörzimmer ging auf. Der Kommissar schaute persönlich heraus. Er schien gereizt.
»Teniente, warum sind die nicht fertig? Wir können wieder nicht weitermachen, weil Sie hier rumtrödeln!«
»Si, mi comisario!« salutierte der Offizier und beeilte sich, den ersten Gefangene in den Raum zu beordern.
Als die Tür zu war, zischte der Offizier:
»Mierda! Ihr habt’s gesehen. Der Kommissar hat schlechte Laune. Sieht nicht gut aus für euch Böcke. Ich hab’s gesagt: Ihr steckt in der Jauche.«
Er schüttelte den Kopf, setzte sich auf einen Stuhl neben die Tür und zündete sich eine Zigarette an. Die Standpauke vom Kommissar ärgerte ihn. Was konnte er dafür, dass der Carabinero die Männer nicht eher gebracht hatte? Missmutig ließ er eine Ermahnung vom Stapel, weil der Mann neben Pedro die müden Arme sinken ließ.
Pedro wurde bewusst, dass er sich zum ersten Mal tatsächlich in den Händen der Sicherheitskräfte befand. Bisher hatte er den Gegner nur aus der Ferne gesehen. Auf den öffentlichen Straßen und Plätzen war er stets einer von vielen Studenten gewesen. Sie demonstrierten, verteilten Flugblätter, warfen gelegentlich Steine. Manchmal, wenn sie sich überlegen fühlten, stürmten sie eine Straßensperre und freuten sich, wenn die Sicherheitskräfte die Flucht ergriffen.
Durch die geschlossene Tür hörte er ein paar Mal den Kommissars brüllen. Pedro ahnte Böses. Als ein Wachposten ihn dann hereinholte, schlug sein Herz bis zum Hals. Pedro bedeckte seine Blöße notdürftig mit den Händen. Der Verhörraum war klein und dunkel. In der Mitte stand ein Schreibtisch. Davor ein Stuhl mit Handschellen an der Rückenlehne. Auf dem Tisch stand eine der typischen Kommissariats-Schreibtischlampen. Ihr Licht beleuchtete den Stuhl.
Hinten, im Halbdunkel des Raumes saßen der Kommissar und drei weitere Personen. Ein Wachposten zog die Tür zu.
Der Kommissar blickte Pedro an, zeigte auf den Stuhl.
»Setz dich da hin! Arme hinter die Lehne!« Seine Stimme klang bestimmt, aber nicht aggressiv. Er öffnete die Akte, entnahm ein Blatt und schob es dem Carabinero neben sich zu.
»Name?« fragte er.
»Dosetto.«
Der Kommissar nickte. Der Mann mit dem Blatt trug die Antworten ein.
»Vorname?«
»Pedro Alfredo.«
»Beruf?«
»Student.«
»Wo?«
»Universidad de Chile.« Pedro bemühte sich, möglichst nicht provozierend zu wirken.
»Namen der anderen beiden Studentinnen?«
Hinter Pedro öffnete sich kurz die Tür. Eine Frau betrat den Raum und setzte sich ganz außen zu den anderen Offizieren an den Tisch. Sie trug Carabinera-Uniform und hatte braune Haare mit kurzem Pferdeschwanz. Pedro presste überrascht die nackten Oberschenkel zusammen.
Der Kommissar rief ihn zur Aufmerksamkeit:
»Hast du nicht gehört?« Er trommelte mit einem Stift auf die Tischplatte.
Pedro konzentrierte sich wieder auf das Verhör. Lügen machte jetzt keinen Sinn, Lucía und Liliana waren reguläre Studenten. Daran war nichts Illegales.
»Lucía Iriarte und Liliana Pelemontes.«
Der Kommisar bohrte weiter.
»Ihr wart bei der Aktion vor zwei Wochen in Flor de Caballito dabei, stimmt’s ?«
»Ich bin nicht in der Militancia, und soweit ich weiß, die Studentinnen auch nicht.«
»Du lügst! Du bist ein Terroristenschwein!« brüllte der Kommissar genervt und sprang auf. »Also, raus mit der Wahrheit!«
Pedro ließ sich seine Furcht nicht anmerken. Er fragte sich, ob der Kommissar bluffte oder ob die Carabineros wirklich mehr über ihn wussten
»Na los, rede!« Der Kommissar stand seitlich hinter ihm.
»Was wollen Sie, dass ich sage?« Er klang selbstsicher, aber seine Hände zitterten.
»Wie ihr die Sache in Flor de Caballito organisiert habt, wer dabei war, wer den Auftrag dazu gegeben hat, die ganze Geschichte!«
»Ich bin nicht in der Militancia.«
»Er lügt«, sagte die Frau mit dem Pferdeschwanz trocken.
»Es ist die Wahrheit!« beharrte Pedro stur.
»Wer ist Victor?« fragte die Carabinera mit geheimnisvollem Lächeln.
»Welcher Victor?«
»Victor Ramirez Tello!«
Pedros letzte Reste innerer Sicherheit verflogen augenblicklich. Er kannte diesen Victor. Der hatte Verbindungen zu einem Zeitungsverlag und besorgte Papier, wenn Flugblätter gedruckt werden sollten. In Flor de Caballito, so gingen die Gerüchte, war er wohl auch beteiligt gewesen. Es hieß, er sollte in der Filiale geeignetes Material für die Druckerei identifizieren und nach der »Enteignung« beim Abtransport helfen. Was dann tatsächlich gelaufen war, wusste Pedro aber nicht.
»Na, wird’s bald?« rief der Kommissar ungeduldig. Pedro spürte einen leichten Schlag gegen seinen Hinterkopf und zuckte zusammen.
»Der Name sagt mir nichts!« fingierte Pedro mit kleinem, hilflosem Lachen.
Eine schallende Ohrfeige fegte ihn vom Stuhl. Er landete auf dem Fußboden und spürte die kühlen Fliesen. Der schwarze Stiefel des Kommissars drückte seinen Kopf zu Boden.
»Beschwere dich nicht, wir hätten’s nicht im Guten versucht. Ab jetzt reden wir unter Männern, verstehst du! Das hier ist ausschließlich deine Schuld.«
Der Kommissar packte Pedro an den Oberarmen und zog ihn wieder auf den Stuhl. Die anderen Uniformierten standen jetzt im Kreis um Pedro. Jemand klickte die Handschellen an der Stuhllehne um seine Handgelenke. Pedro schwirrte der Kopf. Die Carabinera tauchte direkt vor seinem Gesicht auf. Ihr Grinsen hatte etwas Beunruhigendes. Er bemerkte, dass sie Sommersprossen im Gesicht hatte. Dann zog sie ihm eine dunkle Augenbinde über den Kopf.
Er spürte, wie sie seine Fußgelenke festbanden und etwas an die großen Fußzehen klemmten.
»Gib her!« sagte eine Stimme.
»Die?« fragte die Stimme der Frau.
»Nein, die anderen beiden!«
Pedro spürte Finger an seinem Geschlechtsteil. Zwei Krokodilklemmen am Hodensack. Er versuchte, die Beine zusammenzupressen. Es half nichts. Die Klemmen saßen fest.
Kurzes Stühlerücken. Dann war herrschte gespannte Ruhe im Raum.
Pedro schwitzte vor Angst. Sein Atem ging schnell und flach.
»Wer ist Victor?« Der Kommissar wiederholte ungerührt die Fragen von vorhin.
»Ich weiß es nicht!« rief Pedro aufgeregt.
Er hörte ein surrendes Geräusch, dann zuckte der erste Stromstoß in seine Fußzehen, raste hinauf in die Hoden und verließ seinen Körper durch die dort angebrachten Klemmen. Pedro schrie kurz auf. Mehr aus Überraschung als aus Schmerz.
»Das ist Magneto, unser kleiner Helfer.« erklärte der Kommissar in einem Ton, als würde er eine Küchenmaschine vorstellen.
Pedro fing sich schnell. Es hatte weh getan, war aber zu ertragen. »Resistir« fiel ihm wieder ein. Widerstehen war möglich!
»Wer ist Victor?«
Pedro nahm sich vor, kein Wort zu gestehen. Er presste die Lippen aufeinander und wartete mutig auf Magneto.
»Aaaaaaaauuaah! Jesus! Er … er ist in einer Gruppe … Aaaah!« Der Stromstoß war viel stärker als der letzte. Als Pedro wieder klar denken konnte, wurde ihm bewusst, dass er geredet hatte. Fieberhaft suchte er nach einem Weg, aus der Geschichte wieder herauszukommen. Doch die Carabinera hakte schon nach:
»Von welcher Gruppe redest du?«
Noch bevor Pedro antworten konnte, raubte ein furchtbarer Stromschlag ihm fast das Bewusstsein. Er sprang in die Höhe, riss den Stuhl hinter sich her. Die Ketten an den Fußgelenken hielten ihn zurück.
»Gütiger Gott!« rief die Carabinera entsetzt.
»Pass’ doch auf, nicht so viel, du Unmensch!« rief der Kommissar. »Bin halt abgerutscht.« entschuldigte sich eine Männerstimme.
»Grobian! Lass die Señora ran, die macht das mit mehr Gefühl!«
Pedro schnappte nach Luft – als hätte ihm jemand voll in die Eier getreten. Er brauchte einige Sekunden, bevor er wieder vernehmungsfähig war.
»Noch mal: Welche Gruppe?«
Pedro lernte schnell, dass er nach jeder Frage nur zwei Sekunden hatte. Wenn er bis dahin nicht redete, drehten sie an der Kurbel des Generators. Wenn er leeres Zeug redete, um Zeit zu gewinnen, auch.
Das Verhör wurde durch dieses Verfahren beschleunigt, und der Kommissar kam mit seinen Fragen schnell voran.
»Wann hast du Victor das letzte Mal gesehen?«
Pedro spürte seine Fußzehen bald nicht mehr. Wenn die Klammern am Geschlecht Strom führten, brannte es wie glühende Kohlen. Seine Oberschenkel zuckten unkontrollierbar. Im Mund spürte er einen metallischen Geschmack.
Bröckchen für Bröckchen gestand er, was er über Victor T. wusste.
Zum Glück hatte die Führung der Widerstandsgruppen darauf Wert gelegt, dass die Teilnehmer von Aktionen immer nur das Allernotwendigste erfuhren. Es war eiserne Regel, dass die Teilnehmer nicht wussten, wie die Kontaktkette jenseits der nächsten Person weiterging. Über Victor T. hinaus konnte Pedro nichts sagen, auch als die Behandlung härter wurde.
Nach zwanzig Minuten Befragung und der Beihilfe von Magneto sah sich der Kommissar bezüglich des Falles hinreichend im Bilde. Die Carabinera entfernte die Klemmen und zog dem Verdächtigen die Augenbinde vom Gesicht.
»Alles gut. Du hast es überstanden!« sagte sie tröstend. Pedro glaubte, ein spitzbübisches Lächeln in ihrem Gesicht zu erkennen.
Der Kommissar öffnete die Handschellen und bedeutete Pedro mit einer Handbewegung aufstehen. Der Wachsoldat warf er ihm seine Kleidung hin. Zitternd zog Pedro sich wieder an. Man brachte ihn nach oben in einen Warteraum.
Wieder musste er warten. Pedro erholte sich langsam. Er fragte sich, warum die Carabineros nicht weiter nach den beiden Mitstudentinnen gefragt hatten. Hatten sie sich einfach auf diesen Victor eingeschossen? Musste er nachher noch mal in den Verhörraum? Welche Folgen würde es für Victor haben, dass Pedro »gesungen« hatte. War das bereits Verrat an einem Compañero? Eigentlich, so befand er, hatte der Kommissar doch gar nicht viel Neues von ihm erfahren. Schließlich waren er und seine Leute über Viktor schon vorher umfangreich informiert gewesen.
Der stämmige Carabinero von heute mittag betrat den Raum.
»Noch mal Glück gehabt! Der Kommissar lässt dich laufen.« Er lächelte. Pedro fragte sich, ob das mit dem Glück ironisch gemeint war. Der Carabinero legte seine Hand auf Pedros Schulter.
»Nimm’s nicht persönlich, Junge. Es sind halt rauhe Zeiten. Das ist alles eine große Maschine. Und wir sind die Rädchen, die sich drehen müssen. Mach’ kein Drama draus. Ist doch alles noch glimpflich abgelaufen, oder?«
Pedro sah ihn etwas ratlos an.
Der Mann richtete sich auf und ging zur Tür.
»Ich bringe dich zum Ausgang.«
Pedro atmete auf. Draußen auf dem Flur gestikulierte der Carabinero, als wolle er das alles noch einmal rechtfertigen:
»Der Kommissar muss halt die Wahrheit herausfinden. Nimm es wie ein Mann. Geh’ nach Hause und red’ nicht mehr drüber – und sei in Zukunft vorsichtig! Du bist jetzt registriert.«
Claudia und Inés 17. Februar 1974
1 Instituto Pedagógico
Claudia Lidia Morales war Studentin im vierten Semester an der Universidad Catholica de Chile. In der Avenida Mackenna teilte sie sich ein Wohnheimzimmer mit Inés Flores Cardenas, einer Studentin aus der Fakultät für Soziologie.