Das Ende denken -  - E-Book

Das Ende denken E-Book

0,0

Beschreibung

Derzeit haben Endzeitszenarien Konjunktur. Wegen zunehmend instabiler Verhältnisse in der Politik befürchten einige das Ende der Demokratie. Die »Letzte Generation« warnt angesichts der drohenden Klimakatastrophe vor dem Ende der Menschheit. Und die ökologische Krise lässt sogar ein beispielloses Ende biologischer Arten befürchten. Doch das Nachdenken über das Ende ist nicht neu. Wie die Beiträge dieses interdisziplinär angelegten Bandes zeigen, setzt sich der Mensch seit jeher mit dem Ende von Dingen oder Zeiten auseinander, die ihm wichtig sind. Denn der Mensch ist das Wesen, welches das Ende denken kann. Er kann es fürchten wie den eigenen Tod oder das Ende einer guten Beziehung. Er kann es aber auch nur beschwören, um es zu vermeiden helfen, oder es festsetzen, um Epochen voneinander abzugrenzen. In jedem Fall macht sich der Mensch eine Vorstellung vom Ende und versucht, es gedanklich vorwegzunehmen oder im Nachhinein zu deuten, die Zeit bis dahin zu nutzen und vielleicht sogar das Ende zu einem Neuanfang umzudeuten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 562

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Claus Beisbart, Silvia Berger Ziauddin, Sara Kviat Bloch, Mathias Wirth (Hg.)

Das Ende denken

Vom menschlichen Umgang mit Schlusspunkten

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Derzeit haben Endzeitszenarien Konjunktur. Wegen zunehmend instabiler Verhältnisse in der Politik befürchten einige das Ende der Demokratie. Die »Letzte Generation« warnt angesichts der drohenden Klimakatastrophe vor dem Ende der Menschheit. Und die ökologische Krise lässt sogar ein beispielloses Ende biologischer Arten befürchten. Doch das Nachdenken über das Ende ist nicht neu. Wie die Beiträge dieses interdisziplinär angelegten Bandes zeigen, setzt sich der Mensch seit jeher mit dem Ende von Dingen oder Zeiten auseinander, die ihm wichtig sind. Denn der Mensch ist das Wesen, welches das Ende denken kann. Er kann es fürchten wie den eigenen Tod oder das Ende einer guten Beziehung. Er kann es aber auch nur beschwören, um es zu vermeiden helfen, oder es festsetzen, um Epochen voneinander abzugrenzen. In jedem Fall macht sich der Mensch eine Vorstellung vom Ende und versucht, es gedanklich vorwegzunehmen oder im Nachhinein zu deuten, die Zeit bis dahin zu nutzen und vielleicht sogar das Ende zu einem Neuanfang umzudeuten.

Vita

Claus Beisbart ist Professor für Wissenschaftsphilosophie an der Universität Bern.

Silvia Berger Ziauddin ist Professorin für Schweizer und Neueste Allgemeine Geschichte an der Universität Bern.

Sara Kviat Bloch ist Religionswissenschaftlerin und Geschäftsführerin des Collegium generale der Universität Bern.

Mathias Wirth ist Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Bern.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

Claus Beisbart, Silvia Berger Ziauddin, Sara Kviat Bloch und Mathias Wirth: Das Ende denken – zum Anfang

Literatur

Hansjörg Znoj: Jetzt ist Schluss – zum Beziehungsende und dessen Folgen

1.

Einleitung: Schluss machen

2.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Trennung durch Tod oder Scheidung

2.1

Die Endgültigkeit

2.2

Folgen nach Trennung

2.3

Folgen von Trauer

3.

Modelle der Trauer

3.1

Das Phasenmodell

3.2

Das biologische Modell

3.3

Der Coping-Ansatz

3.4

Verletzte Grundbedürfnisse

4.

Risikofaktoren

4.1

Todesursache

4.2

Persönliche Faktoren

4.3

Exzessive Beschäftigung mit dem Verlust

4.4

Soziale Unterstützung

4.5

Religiosität

4.6

Geschlecht und Alter

5.

Von der Trauer zur Pathologie: Die Trauerstörung

6.

Die Therapie der anhaltenden Trauer

6.1

Zur Wirksamkeit von Trauer-Interventionen

6.2

Behandlungselemente

6.3

LIVIA – Online-Intervention nach Trennung oder Tod von Partnerinnen und Partnern

7.

Fazit zum Beziehungsende

Literatur

Heinz Rüegger und Isabelle Noth: Ein gutes Lebensende – Würde und Selbstbestimmung im Kontext von Sterben und Tod

1.

Diskurse um das »gute Sterben«

2.

Sterben in Würde – phänomenologisch orientierte Vorstellungen

3.

Sterben in Würde – normative Grundperspektive

4.

Würdige Begleitung Sterbender

5.

Selbstbestimmtes Sterben

6.

Ambivalenz und Selbstbestimmung

7.

Selbstbestimmung und Würde im Sterbeprozess

8.

Aspekte eines menschenwürdigen Lebensendes

Literatur

Heinz-Peter Schmiedebach: Human Remains als Forschungsobjekte, rassenanthropologische Zeugnisse und kulturelle Memoriale – Transformationen und Herausforderungen

1.

Kulturelle Kontexte und Transformationen

2.

Human Remains in der Anatomie

3.

Anthropologische Sammlungen und koloniale Gewalt

4.

Rechtliche und ethische Fragen

5.

Provenienzforschung, Deakzessierung und Repatriierung

6.

Resumé

Literatur

Mathias Wirth: Das Ende des Geschlechts? Historische und ethische Anhaltspunkte

1.

Verschiedene Semantiken der Rede vom Ende des Geschlechts

2.

Binäre Geschlechtlichkeit als soziales Unterscheidungskriterium und das prägende 19. Jahrhundert

3.

Binäre Geschlechtlichkeit und die Infragestellung einer Unterscheidung

4.

Abkehr von der Binarität der Geschlechtlichkeit als Ende einer normativen Kategorie?

5.

Fazit: Diskurs über Geschlechtlichkeit als Diskurs über ein Ende

Literatur

Marianne Kneuer: Wie Demokratien enden – Pfade des Zusammenbruchs von Demokratien und die Rolle von Akteuren

1.

Wellen von Demokratisierung und Autokratisierung

2.

Wie enden Demokratien?

2.1

Die Entwicklung von rapid death nach 1990

3.

Demokratische Erosion

3.1

Sequenzierung

3.2

Legalismus

3.3

Legitimierungsstrategien

4.

Herausforderungen im Kontext von demokratischen Erosionen

5.

Ist das Ende tatsächlich das Ende? Die Dynamik von De-Demokratisierung und Re-Demokratisierung

Literatur

Stefan Rebenich: Das Ende der Antike? Vom angeblichen Untergang einer historischen Epoche

1.

Die Verlockung der Zahlen: Chronologie

2.

Eine unendliche Geschichte: Theorien zum Ende der Antike

3.

Was bleibt von der Antike?

Literatur

Christian Rohr: Apokalyptische Umwelt- und Klimaprognosen – Vom sauren Regen zu versinkenden Inseln und gletscherlosen Alpen

1.

Einleitung

2.

Vom Fortschrittsglauben der Wirtschaftswunderzeit zum umweltapokalyptischen Denken der 1980er Jahre

2.1

Das 1950er Jahre-Syndrom. Der Weg zur westlichen Konsumgesellschaft

2.2

Zweifel am technokratischen Fortschrittsdenken. Rachel Carson und der Perspektivenwechsel auf Ökosysteme

2.3

Die »1970er-Diagnose«

2.4

Die Waldsterbensdebatte der 1980er Jahre

3.

Der Aufbruch in der globalen Umwelt- und Klimapolitik seit den 1990er Jahren

4.

Exkurs: die Methoden der Klimaskeptiker*innen

5.

Die Macht der Bilder im Klimadiskurs

6.

Fazit

Literatur

Claus Beisbart: Das Ende von Arten denken – Philosophische Überlegungen zum Artensterben

1.

Einleitung

2.

Biologische Grundlagen zu Arten und Artensterben

3.

Biologische Arten

4.

Metaphysik: Was ist das Ende bzw. Sterben einer Art?

5.

Erkenntnistheorie: Wie erkennen wir das Sterben einer Art?

6.

Ethik: Wie bewerten wir das Sterben einer Art?

7.

Schlussüberlegungen

Literatur

Matthias Bartelmann: Drei physikalische Vorstellungen vom Ende

1.

Zeit und Zeitrichtung

2.

Ende im Gleichgewicht

3.

Entwicklung, die Sonne und die Schwerkraft

4.

Das Ende der Sonne

5.

Beginn des Universums – und sein Ende?

5.1

Gravitation und Geometrie

5.2

Das einfachste mögliche Weltmodell

5.3

Ein Anfang vor endlicher Zeit

5.4

Ende in Dunkelheit und Isolation

6.

Schluss

Literatur

Fernando Esposito: Das Nachdenken über das »Ende der Geschichte«

1.

Das Ende der Geschichte – eine lückenhafte Genealogie

2.

Das Zeitalter des »Post«. Zur Vorgeschichte unseres Nachdenkens über das Ende

3.

Das Ende der Geschichte als Neuanfang

Literatur

Georg Pfleiderer: Apokalypse und Postapokalypse – Zum Orientierungspotenzial der Theologie am Beispiel Karl Barths

1.

Zur Wiederentdeckung des apokalyptischen Christentums in der protestantischen Theologie der Moderne

2.

Apokalyptik im 20. Jahrhundert

3.

Apokalyptische Theologie für apokalyptische Zeiten. Zu Barths Suche nach einem theologischen Neuanfang während des Ersten Weltkriegs

4.

Theologische Dialektik – Strukturen und Inhalte von Barths neo-apokalyptischer Theologie

5.

Orientierung für apokalyptische Zeiten?

Literatur

Tine Stein: Politik und Ethik der Endlichkeit – Warum und wie wir in der Klimakrise politisch das tun müssen, was wir ethisch sollen

1.

Einleitung

2.

Endlichkeit, Hypermoral und Apokalyptik

3.

Moral im Singular als universalistisch begründetes Normensystem und der ökologische Fußabdruck

4.

Jenseits der Individualethik: Politische Ethik

Literatur

Karin Harrasser: Nach dem Ende der Welt – Zukunft als Rückblick

1.

Weltuntergangssteine. Anachronismus und Akosmismus

2.

Inka Apokalpyse. Vorgestellt und konkret

Literatur

Autorinnen und Autoren

Das Ende denken – zum Anfang

Claus Beisbart, Silvia Berger Ziauddin, Sara Kviat Bloch und Mathias Wirth

Das Ende ist ziemlich nah, titelte kürzlich der Soziologe Andreas Reckwitz.1 Damit traf er zweifellos einen Nerv unserer Zeit. Angesichts sich häufender und einander überlagernder Krisen, angesichts des Klimawandels und verschärfter kriegerischer Auseinandersetzungen ist vermehrt von Endzeitszenarien die Rede. Teilweise macht sich sogar Endzeitstimmung breit. Auf jeden Fall nennen sich junge Menschen, die sich um die katastrophalen Folgen des Klimawandels sorgen, die letzte Generation. »Geht jetzt die Welt unter?« fragte kürzlich Bettina Dyttrich in der Wochenzeitung.2 Und schon vor ein paar Jahren sprachen Claus Leggewie und Harald Welzer vom »Ende der Welt, wie wir sie kannten«.3

Aber um welches Ende geht es dabei eigentlich genau? Ist wirklich das Ende der Welt zu befürchten? Oder ist das Ende des Menschen gemeint? Das Ende der Geschichte? Oder »bloß« das Ende einer bestimmten Zivilisation, vielleicht sogar »nur« das Ende eines Staates?

Wenn wir solche Fragen stellen, dann wird deutlich, dass wir es mit unterschiedlichen Endpunkten zu tun haben können. Einige davon hat die Menschheit schon häufig erlebt. Schon oft sind Staaten an ein Ende gekommen. Auch Zivilisationen haben ein Ende gefunden. In den letzten Jahren mussten wir vermehrt das Ende biologischer Arten zur Kenntnis nehmen. Und was den einzelnen Menschen angeht, so hat er zwar als heute lebend das eigene Ende noch vor sich. Aber er weiß vom Tod anderer Menschen und muss damit rechnen, dass sein Leben an ein Ende kommt.

Als Menschen haben wir es also dauernd mit Endpunkten zu tun. Wir fürchten oder erwarten sie, wir rechnen mit ihnen, wir stellen sie fest oder rufen sie aus, und manchmal erinnern wir uns an sie. Denn der Mensch ist das Wesen, welches das Ende denkt. Als Menschen leben wir nicht nur in der Gegenwart, sondern bilden uns Vorstellungen über die Vergangenheit und die Zukunft. Zu diesen Vorstellungen gehört auch die Idee, dass wir an ein Ende kommen. »Der entscheidende Einschnitt, der den Menschen vermutlich von den übrigen Lebewesen unterscheidet, ist das Wissen seiner Endlichkeit: dass er sterben wird«, heißt es in diesem Sinne bei Friedrich Dürrenmatt.4 Da wir nicht nur auf uns selbst bezogen sind, werden wir auch berührt vom möglichen Ende anderer Menschen oder vom Ende von Dingen, die uns wichtig sind, und wir bemerken auch das Ende von Zeitabschnitten, die eine Einheit bilden.

Vor diesem Hintergrund möchte dieses Buch vergegenwärtigen, wie der Mensch schon immer das Ende denkt, wie er also diverse Endpunkte gedanklich vorstellt, antizipiert, rekonstruiert und erfasst. Es geht somit darum, wie wir uns in Vorstellungen auf Endpunkte beziehen: Wie wir das eigene Ende befürchten, wie wir uns aber auch das Ende einer schlimmen Zeit herbeisehnen, wie wir das Ende erleben und gestalten, wie wir im Nachhinein Endpunkte markieren und erinnern oder auch zum Neuanfang umdeuten. Dabei unterliegt der Umgang mit diversen Endpunkten selbst einem geschichtlichen Wandel, der sich etwa in Veränderungen der Bestattungskultur zeigt oder im Wandel der Endzeitdiskurse.

Mit seinem Ziel, den menschlichen Umgang mit dem Ende zu thematisieren, möchte das Buch die gegenwärtige Endzeitstimmung kontextualisieren und historisieren. So manche aktuelle Endzeitbehauptung relativiert sich, wenn wir uns verdeutlichen, wie das Ende der Welt oder der Menschheit schon früher immer wieder beschworen wurde. In Nachhinein betrachtet drücken die Befürchtungen eines Weltendes oft mehr über diejenige Zeit aus, in der sie gehegt wurden, als über das Ende der Zeiten. Außerdem kann ein Panorama über die unterschiedlichen Vorstellungen von Enden vielleicht helfen, mehr oder weniger zutreffende Endzeitbehauptungen voneinander zu unterscheiden. Gleichzeitig kann es dazu beitragen, gelungene Umgangsformen mit Endpunkten als solche auszuzeichnen.

Aber welche Endpunkte thematisiert der Mensch eigentlich und wie lässt sich etwas Ordnung in das Denken des Endes bringen? Im Folgenden tragen wir zunächst Beobachtungen zu Endpunkten und dem Denken darüber zusammen und schlagen einige systematisierende Unterscheidungen vor. Dann geben wir einen Überblick über die Beiträge des Buchs, die freilich das Thema nur exemplarisch beleuchten können.

Das Wort »Ende« markiert im Deutschen eine räumliche oder zeitliche Grenze. Wenn vom Ende eines Dorfs die Rede ist, dann ist das räumlich gemeint, ebenso, wenn es in der Bibel heißt: »viele Könige werden sich aufmachen von den Enden der Erde.«5 In diesem Buch geht es aber vor allem um zeitliche Endpunkte.

Ein (zeitliches) Ende ist immer das Ende von etwas. »The End«, heißt es zwar manchmal lapidar am Ende eines Buchs oder Films, aber die Frage, was denn zu Ende sei, kann auch hier gestellt und beantwortet werden. Im Sinne der klassischen Substanzontologie ist es zunächst naheliegend, dasjenige Etwas, das an ein Ende kommt, als Gegenstand oder Ding anzusehen: Ein bestimmter Gegenstand (in einem sehr weiten Sinn von »Gegenstand«) bestand eine Weile und hört nun auf zu bestehen. In diesem Sinne können wir etwa vom Ende eines Menschen sprechen. Auch das Ende eines Staates können wir so denken. Allerdings klingt es alltagssprachlich für viele Dinge eher komisch, wenn wir von ihrem Ende sprechen. Nimmt die Kaffeetasse ein Ende, wenn sie zu Boden fällt und zerspringt? Oder sagen wir, dass der Computer endet, wenn er nicht mehr richtig funktioniert? Bei genauerer Betrachtung ist es oft ein ausgedehnter Prozess oder eine bestimmte Zeitspanne, die endet. Paradigmatisch ist hier sicher das menschliche Leben, das mit dem Tod endet. In einem ähnlichen Sinn können von Menschen veranstaltete Anlässe wie Theateraufführungen oder Festakte enden. Es geht hier um länger andauernde Ereignisse oder Prozesse, die irgendwann einmal beginnen und später an eine zweite Grenze kommen, an der sie aufhören. Ähnlich kann auch ein Jahr enden; ein Jahr bildet zwar keinen einheitlichen Prozess, aber es ist ein ausgedehnter Zeitabschnitt, der irgendwann einmal vorbei ist. Mehr als das Ende eines Jahres interessiert uns aber im Allgemeinen das Ende von Zeitabschnitten, die durch etwas Besonderes gekennzeichnet sind, etwa dadurch, dass ein Mensch darin lebt. Auch wenn wir vom Ende einer Beziehung sprechen, meinen wir letztlich, dass eine bestimmte Zeitspanne endet, nämlich eine Lebensphase, in der die Beziehung besteht.

Die Rede vom Ende basiert auf einigen Annahmen, die so offensichtlich sind, dass wir sie uns nur selten bewusst machen. So setzt die Rede vom Ende die Zeit voraus. Weil wir uns die Zeit linear vorstellen, hat jedes Ding, jeder Prozess nur ein Ende. Mit dieser Voraussetzung spielt der Faschingsspruch »Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei«, wo die Wurstenden eben keine zeitlichen Enden mehr sind. Rein zeitlich gemeint, gibt es Enden im Plural nicht; wenn wir von mehreren Enden oder Endpunkten sprechen, dann meinen wir das Aufhören unterschiedlicher Gegenstände oder Prozesse.

Der Begriff des Endes führt dann aber schnell zu philosophischen Fragen, die keineswegs einfach zu beantworten sind: Ist das Ende punktförmig, findet es also zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt statt? Oder kann ein Ende auch zeitlich ausgedehnt sein und länger dauern, wie man es manchmal vom Sterben eines Menschen sagt? Eine weitere schwierige Frage lautet, ob es Dinge oder Vorgänge gibt, die kein Ende haben. Und ob alles, das einen Anfang hat, auch ein Ende hat. Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Philosophie, aber zum Glück ist das meiste menschliche Denken von Endpunkten möglich, ohne dass die Fragen beantwortet werden.

Doch was heißt es eigentlich, dass ein Ende gedacht wird? Im Rahmen dieses Buches meinen wir mit dem Denken des Endes alle geistigen Einstellungen, die in der einen oder andere Weise auf ein Ende Bezug nehmen. Wie schon angedeutet, kann ein Ende in Einstellungen ganz unterschiedlicher Art vorkommen: Wir können ein Ende betrauern oder befürchten, wir können ein Ende neutral feststellen oder vorhersagen, wir können sogar planen, etwas zu Ende zu bringen.

Viele dieser Einstellungen beruhen auf bestimmten Voraussetzungen. So kann ich nur traurig über ein Ende sein, wenn ich das, was an ein Ende kommt, wertvoll finde. Wenn ich das Ende beispielsweise einer Flut vorhersagen will, dann muss ich Belege finden, die meine Prognose stützen. Eine bestimmte Einstellung zu einem Ende kann dann aber auch die Basis für bestimmte Deutungsmuster und Handlungen liefern, die als Umgang mit dem Ende gelten mögen: Ich zünde im Sinne eines Trauerrituals eine Kerze an oder treffe Maßnahmen für das Ende der Flut.

Um etwas mehr Ordnung in die unterschiedlichen Einstellungen zu Endpunkten zu bringen, können wir einige Unterscheidungen treffen. So kann ein Ende als vergangen, gegenwärtig oder zukünftig repräsentiert werden. Ob ein bestimmtes Ding oder ein Prozess in der Vergangenheit an ein Ende gekommen ist, gilt dabei in der Regel als Tatsachenfrage, die auf der Basis von Quellen und Belegen beantworten werden muss. Aber weil die Quellenlage oft dünn ist, kann es schwierig sein, das Ende genau zu lokalisieren und zu charakterisieren. So ist umsichtige wissenschaftliche Forschung nötig, um das Ende einer Eiszeit zu datieren. Auch die Prognose eines Endpunkts ist mit Schwierigkeiten behaftet. Der Grund der Schwierigkeiten hat aber nichts mit Quellen oder Belegen zu tun, denn von zukünftigen Ereignissen gibt es keine Belege. Vielmehr basiert die Prognose auf Naturgesetzannahmen oder Modellen, die es erlauben, gegenwärtig beobachtete Trends in die Zukunft zu extrapolieren. Die entsprechenden Extrapolation basieren aber oft auf Annahnmen, die sehr unsicher sind.

Während wissenschaftliche Datierungen und Prognosen von Endpunkten letzteren oft neutral gegenüberstehen, involvieren viele Einstellungen zu Endpunkten Bewertungen oder Emotionen. Die Trauer über einen Tod und die Furcht davor sehen diesen als Übel. Wenn ich hingegen das Ende einer Pandemie herbeisehne, dann erblicke ich in diesem Ende etwas Positives.

Die diversen Einstellungen zu Endpunkten unterscheiden sich auch hinsichtlich der Frage, inwieweit sich die Trägerin der Einstellung einen Einfluss auf den Endpunkt zuschreibt. Bestimmte Endpunkte, wie etwa das Ende eines Sterns, repräsentieren wir als unabhängig von unserem Handeln. In anderen Fällen gehen wir hingegen davon aus, dass wir ein Ende mitbestimmen, vielleicht sogar setzen können. So kann die Präsidentin einer Kommission eine Sitzung für beendet erklären. Viele Fälle liegen zwischen diesen beiden Extremen: Oft denken wir, dass wir ein Ende nicht mehr verhindern können, dass wir es aber hinauszögern oder auch beschleunigen, in jedem Fall mitgestalten können. Bei manchen Endpunkten ist unser Einfluss auf das Ende sogar Gegenstand von gesellschaftlichen Debatten. So spiegelt die Diskussion über die Sterbehilfe unterschiedliche Auffassungen darüber, inwieweit der Mensch für den Zeitpunkt seines Endes selbst mitverantwortlich ist. Aber auch in Bezug auf die Vergangenheit lässt sich ein Stück debattieren, inwiefern Endpunkte gesetzt oder gegeben sind. So lässt sich argumentieren, dass auch die Bestimmung eines Epochenendes mehr eine Setzung von Historikerinnen und Historikern denn eine gegebene Tatsache ist.

Wie breit das Spektrum der menschlichen Einstellungen zum Ende in concreto ist, illustrieren unsere Beiträge, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen. Dabei konnten wir bei der Einladung von Beiträgen keinen Anspruch auf Vollständigkeit einlösen; zu breit ist das Spektrum menschlicher Umgangsformen mit dem Ende.

Das Buch beginnt mit Endpunkten, die vergleichsweise kurze Zeitspannen abschließen. Im ersten Kapitel widmet sich der Psychologe Hansjörg Znoj dem Ende von menschlichen Beziehungen, insbesondere von Partnerschaften. Er fragt, welche psychischen Folgen sich einstellen, wenn eine Beziehung endet, und wie diese Folgen untersucht, aber auch beeinflusst werden können. Nun kann eine Partnerschaft aus unterschiedlichen Gründen zerbrechen: aufgrund einer Scheidung oder infolge des Todes der anderen Person. Znoj vertritt die These, dass die Folgen oder Reaktionen im Wesentlichen dieselben sind. Er analysiert deshalb genauer die Trauer als Hauptreaktion auf das Ende einer Beziehung. Dabei unterscheidet er verschiedene Modelle der Trauer und stellt auch in Rechnung, dass die Trauer pathologisch werden kann. Er untersucht ferner, welche Merkmale Menschen besonders empfänglich für die Trauer machen. Schließlich geht es um Versuche, die Trauer durch Interventionen zu mildern. Weil die Trauer aber von sehr vielen Faktoren abhängt, ist es sehr schwer, allgemein nützliche Interventionen zu identifizieren.

Im nächsten Beitrag des Theologen Heinz Rüegger und der Theologin Isabelle Noth geht es um das Ende eines menschlichen Lebens. Ausgangspunkt des Beitrags ist die Beobachtung, dass sich die Menschen ein gutes Ende oder ein würdevolles Sterben wünschen. Aber was genau bedeutet das? Rüegger und Noth unterscheiden in diesem Kontext zwei Verständnisse von Würde. Wenn man die Würde eher phänomenologisch versteht und das würdevolle Sterben als rasches und schmerzarmes Ableben auffasst, dann kann das Sterben nicht immer würdevoll sein. In einem normativen Sinn hingegen ist Würde unverlierbar, auch wenn sich der Sterbeprozess schwierig gestaltet. Rüegger und Noth schlagen daher vor, die Rede vom würdevollen Sterben so zu verstehen, dass es eine Aufforderung an andere beteiligte Menschen ist, die normativ verstandene Würde der Person so gut wie möglich zu respektieren. In diesen Zusammenhang kommen sie auf das selbstbestimmte Sterben zu sprechen, das heute oft als Ideal gilt. Dieses Ideal steht in einem deutlichen Kontrast zu früher vorherrschenden Vorstellungen, der Tod sei etwas Unverfügbares. Doch wie Rüegger und Noth deutlich machen, ist der Eintritt des Todes heute in vielen Fällen auf Entscheidungen von Menschen zurückzuführen. Ihre Sicht auf das selbstbestimmte Sterben fällt dann durchaus ambivalent aus. Obwohl es im Sinne der Autonomie zu begrüßen ist, gestehen Rüegger und Noth zu, dass die Erwartung, die einzelne Person sterbe selbstbestimmt, als Zumutung verstanden werden kann. Außerdem müsse es weiterhin möglich sein, das Sterben so hinzunehmen, wie es komme.

Doch was geschieht nach dem Tod eines Menschen mit seinen sogennanten »sterblichen Überresten« oder den Human Remains, wie es heute oft heißt? Diese Frage steht im Fokus des Beitrags des Medizinhistorikers Heinz-Peter Schmiedebach. Besonders interessant ist diese Frage dort, wo die Reste von Menschen in Museen oder Universitäten Verwendung finden. Schmiedebach zeichnet nach, dass der Eingriff in Leichen wenigstens im europäischen Kontext lange tabuisiert war, bis Sektionen im 19. Jahrhundert immer häufiger wurden. Ein grundlegendes Problem war dabei die Beschaffung von Leichen oder Körperteilen Verstorbener für Forschung und Ausbildung in der Medizin. Am Beispiel eines Arztes, der seine Leiche zur Ausstellung bestimmte, und an Grabrauben illustriert Schmiedebach das weite Spektrum von Umgangsformen mit menschlichen Körperteilen nach dem Tod. Besondere Aufmerksamkeit gilt Beschaffungspraktiken in der Zeit des Kolonialismus: So gelangten im Rahmen des deutschen Kolonialkriegs gegen die Herero 1904–1908 viele Schädel von Herero nach Berlin. Teilweise wurden sie für Forschungen instrumentalisiert, welche die Minderwertigkeit der Herero aufzeigen sollten. Diese Human Remains stellen Sammlungen und Museen daher heute vor gewichtige ethische Probleme. Insgesamt beschreibt Schmiedebach die Verwendung von Leichen(teilen) als Transformation. Diese Transformation kann in mehreren Phasen erfolgen und auch eine Rückführung einschließen. Wie Schmiedebach zuletzt zeigt, muss auch diese Rückführung nicht unbedingt in eine Art von Gleichgewicht führen. Konkurrierende Zuschreibungen und Symbolisierungsversuche lassen die Human Remains nicht zur Ruhe kommen.

Die nächsten Beiträge öffnen den Horizont über das menschliche Leben hinaus und betrachten das Ende von überindividuellen Einheiten und Prozessen. Der Theologe und Ethiker Mathias Wirth widmet sich in seinem Beitrag dem Ende einer tradierten Normierung von Geschlecht. Wie er gerade unter Rekurs auf das 19. Jahrhundert aufzeigt, wurde das Geschlecht lange als binäre Kategorie verstanden: Jede Person galt aufgrund biologischer Merkmale entweder als Frau oder als Mann. Diese Kategorisierung war normativ aufgeladen, denn je nach dem Geschlecht wurde ein bestimmtes Auftreten erwartet; es galt und gilt immer noch, das typisch weibliche oder männliche Verhalten an den Tag zu legen. Wirth weist darauf hin, dass die entsprechenden Normen bestimmte Machtverhältnisse herstellen und stabilisieren. Er plädiert dann dafür, die tradierte normative Aufladung einer binären Geschlechtsunterscheidung aufzugeben. Denn diese lässt keine weiteren Alternativen zu, sondern presst die tatsächliche Vielfalt von Geschlechtsmerkmalen und -ausprägungen in ein sehr einfaches Schema. Wenn das Geschlecht als naturgegeben aufgefasst wird, dann gibt es außerdem nicht die Möglichkeit, das eigene Geschlecht zu ändern. Wirth sieht daher ein »Ende des Geschlechts« als Befreiung. Damit ist nicht jegliches Ende von Geschlechtsunterscheidungen gemeint. Vielmehr geht es um das Ende einer normativ aufgeladenen Kategorie. Dieses Ende kann wenigstens derzeit noch nicht festgestellt werden. Vielmehr geht es Wirth um die ethische Forderung nach einem Ende, das bestimmte gesellschaftliche Kategorisierungen betrifft.

Zu den heute gängigen Enddiagnosen gehört die Rede vom Ende der Demokratie. Die Politikwissenschaftlerin Marianne Kneuer greift dieses Schlagwort auf und diskutiert, wie eine Demokratie und damit eine bestimmte Verfasstheit eines Staates an ein Ende kommen kann. Sie richtet ihren Fokus auf die Autokratisierung, die derzeit weltweit Konjunktur hat, und unterscheidet zwei Pfade zur Autokratie: »rapid death« und »slow death«. Dabei ist nicht nur der Faktor Zeit entscheidend, sondern auch die Vorgehensweise der einschlägigen Akteure, die Kneuer Erosionsprotagonisten nennt (in der Tat handelt es sich dabei um Männer). So ist es für den slow death kennzeichnend, dass die Demokratie durch Mächtige von innen ausgehöhlt wird. Kneuer argumentiert, dass die Erosionsprotagonisten vor allem auf drei Mechanismen zurückgreifen: Sequenzierung (schrittweises Vorgehen), Legalismus (Versuch, die Veränderungen als legal erscheinen zu lassen) und Legitimierung durch ein überzeugendes und mobilisierendes Narrativ, das die Unterstützung der Menschen sichern soll. Kneuer illustriert diese Prozesse mit vielen aktuellen Beispielen. Hoffnung gibt der Umstand, dass eine Autokratisierung gestoppt werden kann und einer Redemokratisierung weichen kann. Letztlich sind Autokratisierungen und (Re-)demokratisierungen für Kneuer Bewegungen auf einem kontinuierlichen Spektrum.

Im Kapitel des Historikers Stefan Rebenich geht es um eine noch größere Zeitskala, nämlich diejenige einer Epoche. Offenbar versuchen wir Menschen, Ordnung in die Geschichte zu bringen, indem wir Epochen wie die Antike oder das Mittelalter unterscheiden. Das wirft die Frage auf, wann eine bestimmte Epoche endet. Beispielhaft untersucht Rebenich das Ende der Antike, das wenigstens in der westlichen Geschichtsschreibung oft mit dem Ende des Weströmischen Reichs identifiziert wird. Rebenich diskutiert zunächst unterschiedliche Versuche, das Ende der Antike an einem Ereignis und einer Jahreszahl festzumachen. Dabei stellt er fest, dass sich selbst ChatGPT oder Wikipedia einer eindeutigen Angabe zum Ende der Antike entziehen. Auch in der Wissenschaft finden sich die unterschiedlichsten Antworten auf die Frage, wann die Antike beziehungsweise die Spätantike geendet habe. Diese Vielfalt von Antworten liegt für Rebenich in der Perspektivität der historischen Erkenntnis begründet: Wann das Ende der Antike angesiedelt wird und wie es erklärt wird, hängt von der eigenen Zeit und den eigenen Vorannahmen und Positionen ab. Rebenich illustriert das, indem er einige Theorien zum Ende der Antike resümiert und so die Rede vom Ende der Epoche selbst historisiert. Er erinnert dabei daran, dass die Sicht auf den Epochenbruch stark davon geprägt ist, wie das Christentum und die Migrationsbewegungen, die unter dem Begriff Völkerwanderung zusammengefasst werden, gesehen wurden. Am Ende des 19. Jahrhunderts fanden Künstlerinnen und Intellektuelle dann in der Spätantike ein Spiegelbild der eigenen, als fin de siècle apostrophierten Zeit. Eine Konstante im Diskurs über das Ende der Antike ist lediglich, dass die Antike aktuell bleibt und immer wieder neu angeeignet wird. Rebenich folgert deshalb, dass es ein Ende der Antike nicht gibt. Das kann man so verstehen, dass es angesichts der sukzessiven Transformationsprozesse in der Spätantike keinen eindeutigen Zeitpunkt gibt, der als Ende der Antike genannt werden kann. Man kann die These aber auch so verstehen, dass die Antike gar nicht zu Ende ist, sondern weiterlebt, weil sie sowohl für Verteidiger des Alten als auch für Anhängerinnen des Neuen immer wieder sinnstiftende Modelle liefert.

Viele apokalyptische Szenarien betreffen nicht nur das Ende eines Reichs oder einer Epoche, sondern imaginieren sogar ein Ende der Menschheit. Wenn heute ein solches Ende an die Wand gemalt wird, dann wird das oft mit der ökologischen Krise und dem Klimawandel begründet. Der Umwelthistoriker Christian Rohr historisiert den Diskurs über apokalyptische Umwelt- und Klimaprognosen seit der Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders Mitte der 1950er Jahre. Dabei differenziert er zwischen unterschiedlichen Phasen und Ausrichtungen apokalyptischer Umwelt- und Klimaprognosen. So wird deutlich, dass pessimistische Prognosen nicht etwa ein Alleinstellungsmerkmal der letzten Jahre sind. Schon 1962 sah Rachel Carson in ihrem Buch Silent Spring die Menschheit am Scheideweg. Der bequeme Pfad, den wir bisher genommen hätten, führe ins Desaster. Rohr wendet sich dann unter anderem dem Bericht The Limits to Growth des Club of Rome 1972 zu und analysiert den Diskurs über das Waldsterben, bevor er auf den Aufbruch in der globalen Umwelt- und Klimapolitik nach 1990 eingeht, bei dem sich der anthropogene Klimawandel als dominantes Thema etablierte. Dabei wird deutlich, dass die Furcht vor einer ökologischen Katastrophe Wandlungen unterliegt.

Ein besonderes Augenmerk widmet Rohr der Rolle von Bildern in der Umwelt- und Klimakommunikation. Sogenannte eco-images, die beispielsweise mit einem einsamen Eisbären auf einer schmelzenden Scholle die Emotionen ansprechen, sind bei der medialen Verbreitung von Umweltthemen wirkmächtiger als die nüchterne Bildsprache der Wissenschaftskommunikation. Bilder haben nach Rohr dabei eine eigene Agency und prägen unseren Blick auf die Umwelt nachhaltig. Damit illustriert der Beitrag zum einen, dass Endzeitszenarien auch zur Mobilisierung von Menschen eingesetzt werden können; zum anderen weist er auf die Schwierigkeit hin, eine wissenschaftlich korrekte Kommunikation über das mögliche ökologische Ende mit medienwirksamen Aussagen zu vereinbaren.

Im Kontext der ökologischen Krise wird nicht nur das Ende der Menschheit befürchtet. Als Problem gilt vielmehr auch das massive Artensterben, das sich derzeit ereignet und die Biodiversität beeinträchtigt. Wie Claus Beisbart in seinem Beitrag zeigt, wirft die Rede von Ende einer Art interessante philosophische Fragen auf. So fragt sich, was das Ende einer Art ist, wie das Ende einer Art erkannt wird und was am Ende einer Art problematisch ist. Diese Fragen sind insofern herausfordernd, als der Artbegriff in der Biologie notorisch schwierig ist, weil sich Arten im Lauf der Evolution stetig weiterentwickeln. In seinem Beitrag argumentiert Beisbart dann aber, dass das Artensterben als eine bestimmte Form des Endes einer Art recht einfach charakterisiert werden kann, ohne dass es eine große Abhängigkeit vom Artbegriff gibt. Ausgehend von dieser Bestimmung lässt sich dann auch klären, wie wir erkennen können, ob eine Art ausgestorben ist. Dass das Artensterben problematisch ist, hat unterschiedliche Gründe: Einige Arten sind für den Menschen nützlich oder leisten einen Beitrag zum ästhetischen Wert der Natur. Die Vielfalt der Arten ist vermutlich außerdem ein wichtiger Aspekt des Eigenwerts der Natur.

Im Beitrag von Matthias Bartelmann geht es nicht nur um einzelne biologische Arten und das Leben, sondern um unsere materielle Welt, das Universum insgesamt. Dafür ist die Perspektive der Physik einschlägig, und so untersucht Bartelmann, was die Physik als Ende ansieht. Dabei schlägt er vor, den Begriff des Endes mit dem des Gleichgewichts zu verbinden. Wenn sich eine Tasse Tee in einem Gleichgewichtszustand befindet, dann gibt es innerhalb des Tees keine interessanten Strukturen oder Veränderungen mehr; Zucker, der in den Tee gegeben wurde, hat sich zum Beispiel aufgelöst und gleichmäßig im Tee verteilt. Isolierte Systeme streben einem solchen Gleichgewichtszustand zu. Die Tatsache, dass wir Menschen und viele andere komplexe Lebewesen auf der Welt leben, bedeutet, dass dort kein Gleichgewicht herrscht. Das wiederum liegt daran, dass die Erde kein isoliertes System ist. Durch die Sonne wird ihr vielmehr beständig Energie zugeführt. Wie lange es Leben auf der Erde gibt, hängt daher damit zusammen, wie lange die Sonne Energie spendet. Wie Bartelmann aufzeigt, wird die Sonne in mehreren Milliarden Jahren zu einem sogenannten Roten Riesen, der viel größer ist als die bisherige Sonne. Dabei wird die Erde von der Sonne aufgenommen, so dass sie nicht mehr in der bisherigen Form existiert.  

Wie aber sieht es mit dem Universum als Ganzem aus? Kommt es an ein Ende? Und wie können wir das herausfinden? Bartelmann betont in diesem Kontext die Wichtigkeit von kosmologischen Modellen, die sich auf der Basis von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie formulieren lassen. Das beobachtbare Universum lässt sich mit dem derzeitigen Standardmodell sehr gut beschreiben. Daher verwendet die Physik dieses Modell, um die Zukunft des Universums vorherzusagen. Demnach dehnt sich das Universum immer weiter aus, wodurch interessante Strukturen immer weiter auseinandergerissen werden. Das aber bedeutet, dass makroskopische Objekte wie Teetassen irgendwann einmal nicht mehr existieren. Allerdings ist diese Vorhersage mit großen Unsicherheiten verbunden.  

Die letzten Kapitel des Buches wenden sich wieder den menschlichen Dingen zu und thematisieren, wie wir mit epochalen Endpunkten umgehen können. Der Historiker Fernando Esposito untersucht in seinem Kapitel die These, die Geschichte sei zu einem Ende gekommen. Prominent wurde diese Auffassung kurz vor dem Fall der Berliner Mauer von Francis Fukuyama vertreten, einem Mitarbeiter der RAND Corporation und des US-amerikanischen State Department. Esposito zeigt auf, dass Fukuyamas These, die seinerzeit hohe Wellen schlug, nur eine Variation eines Topos ist, der seit Georg Wilhelm Friedrich Hegel oft bedient wird. Im 20. Jahrhundert findet sich etwa eine kulturpessimistische Variante beim Anthropologen Arnold Gehlen, der den französischen Terminus der posthistoire in den deutschen Sprachraum einführte. Gehlen vertrat die Auffassung, dass ideengeschichtlich keine Neuerungen mehr zu erwarten seien. Außerdem wurde das Ende der Geschichte oft unter Verweis auf die Atombombe oder drohende ökologische Katastrophen befürchtet. Esposito erinnert mit Blick auf diese apokalyptische Version des Topos an den Philosophen Günter Anders, der 1956 argumentierte, der Mensch sei antiquiert geworden, weil sein Vorstellungsvermögen nicht mit seinen technologischen Fähigkeiten Schritt gehalten habe. Nach Anders würde mit dem Beginn eines Atomkriegs auch die Dimension der Geschichte mit explodieren. Schließlich findet Esposito beim Historiker Reinhart Koselleck Ansätze zu einem posthistorischen Denken, das eine lineare, einheitliche Zeitlichkeit zugunsten von Pluritemporalität aufgibt.

Das Weltende, das Ende aller Zeiten ist auch ein wichtiges Thema vieler Religionen. Besonders die christliche Religion ist von eschatologischen Endzeiterwartungen geprägt. So ging der historische Jesus augenscheinlich von einem nahen Weltende aus, und die Bibel schließt mit der Offenbarung des Johannes mit einem apokalyptischen Buch, in dem ein abschließendes Weltgericht beschrieben wird. Der Theologe Georg Pfleiderer untersucht in seinem Beitrag, wie die christliche Theologie, insbesondere diejenige protestantischer Prägung, mit dem Thema des Endes der Welt umgegangen ist. Dabei diagnostiziert er zunächst, dass die Rede vom Weltende seit der Aufklärung und insbesondere in der liberalen Theologie oft rein symbolisch gedeutet wurde. Nach Pfleiderer wurde das Ende der Zeiten damit spiritualisiert und ethisiert. Erst im Zuge des Ersten Weltkriegs entstand ein neues Interesse an der Apokalyptik. Pfleiderer illustriert das am Schweizer Theologen Karl Barth und seiner berühmten Auslegung des Römerbriefs. Für Barth kann das Christentum nur eschatologisch gedacht werden. Dabei geht Barth davon aus, dass sich die eigentliche Katastrophe schon mit dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi ereignet hat. Die neue Zeit, die damit angebrochen ist, wird von ihm vor allem als Zustand einer Erkenntnis gekennzeichnet, die freilich eine radikale Erkenntnis der eigenen Nicht-Erkenntnis ist. Aber was bedeutet das für die Zeiterfahrung und -diagnose? Am Schluss seines Beitrags geht Pfleiderer auf einen Vortrag ein, den Barth im Jahr 1940 gehalten hat. Darin vertritt Barth die These, dass Christinnen und Christen einen «Endkampf» erwarten, deutet den Zweiten Weltkrieg aber gerade nicht als diesen Endkampf. Das entlasse allerdings Christinnen und Christen nicht aus der Verantwortung in der Gegenwart. Pfleiderer wirbt am Schluss seines Beitrags dafür, der Theologie Barths auch heute im Angesicht von globalen Krisen einen Orientierungswert beizumessen.

Im folgenden Beitrag nimmt die Politologin Tine Stein das Ende aus ethischer Perspektive in den Blick. Als Ausgangspunkt fungieren die aktuellen Endzeitdiskurse, die sich etwa in der Bezeichnung »Letzte Generation« spiegeln. Angesichts der Klimaerwärmung und der zunehmenden Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen wird von bestimmten Gruppen das Ende der menschlichen Zivilisation oder wenigstens unserer Gesellschaft befürchtet. Vor dem Hintergrund solcher Befürchtungen erscheint ihnen ziviler Ungehorsam legitim, mit dem sie für eine Transformation unserer Gesellschaft kämpfen. Den Forderungen der Letzten Generation wird manchmal mit dem Vorwurf der Hypermoral, also übertriebener moralischer Forderungen, begegnet. Tine Stein argumentiert gegen diesen Vorwurf und versucht zu zeigen, dass ein nachhaltiger Umgang mit unseren Lebensgrundlagen eine basale Forderung einer jeglichen universalistischen Moral ist. Dabei spielt die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen eine wichtige Rolle. Freilich müssen wir nach Stein zwischen Individualmoral und politischer Ethik unterscheiden; die Probleme, die durch die aktuellen ökologischen Krisen bedingt sind, lassen sich letztlich nur auf der politischen Ebene lösen.

Der letzte Beitrag des Buches stammt aus der Feder der Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser und trägt den Titel Nach dem Ende der Welt. Er führt uns auf die andere Seite der Welt, nämlich nach Südamerika, über das Ende der Welt hinaus und zurück zu einem Phänomen, das bereits im ersten Kapitel eine wichtige Rolle spielt, nämlich der Trauer. Harrasser geht von der überraschenden These aus, dass immer wieder Welten enden. Sie plädiert damit für eine Pluralisierung der Rede vom Weltende. Damit wird es möglich, ein Weltende nicht nur in der Zukunft zu erwarten, sondern von der anderen Seite auf Enden zu schauen: Aus der Retrospektive können wir uns mit Weltenden beschäftigen, die sich bereits ereignet haben. Damit ruft Harrasser das Ende des Endes der Welt im Singular aus.

Im Beitrag geht es um zwei konkrete Phänomene. Einerseits untersucht Harrasser sogenannte Weltuntergangssteine, die sich im oberösterreichischen Mühlviertel in der Nähe von Freistadt befinden. Dabei handelt es sich um Paare vom Steinen, deren Abstand sich mit der Zeit verändern soll. Wenn die Steine einander berührten bzw. sich so weit voneinander entfernt hätten, dass ein Heuwagen hindurchpasse, gehe die Welt unter. Harrasser deutet diese Weltuntergangssteine als Versuche, das Weltende materiell zu vergegenwärtigen, aber auch als Überbleibsel von christlichen Endzeiterwartungen und Hoffnungen, die inzwischen erodieren.

Anderseits vergegenwärtigt Harrasser ein Beispiel dessen, was sie als Weltende liest: den Untergang des Inkareichs, insbesondere seines Zentrums Cuzco in den Anden. Durch die Waffengewalt der Konquistadoren, aber auch durch die Bedingungen, welchen die indigene Bevölkerung in Minen und Plantagen ausgesetzt wurden, kam ein Großteil dieser Bevölkerung ums Leben. Gleichzeitig ging die alte Inka-Kultur im Zuge der Christianisierung verloren. Allerdings bildeten sich dann eigene Überschreibungen und Vermischungen, wie Harrasser an einer Figur erläutert, die gleichzeitig als Christus und als Inka-huaca interpretiert wurde. Zum Schluss plädiert Harrasser dafür, das andauernde Enden von Welten als eine Einladung zu spekulativer Trauer zu betrachten. Es geht darum, einzusehen, wie viele Welten wir vernichten und vernichtet haben, um so eine neue Perspektive auf die Zukunft zu gewinnen.

Was bleibt am Ende des Buches? Wir können und wollen an dieser Stelle die vielfältigen Einsichten aus den Beiträgen nicht auf ein paar einfache Ergebnisse herunterbrechen. Aber wir können wenigstens ein paar Beobachtungen zu den Hauptaussagen der Beiträge zusammentragen.

In einer Zeit, in der Endzeitszenarien Konjunktur haben, führen einige Beiträge zunächst vor Augen, dass das nichts Neues ist. Schon öfters ist das Ende der Geschichte, des Menschen oder der gesamten Welt ausgerufen oder wenigstens an die Wand gemalt worden. Damit hat das Denken in Endzeitszenarien seine eigene Geschichte, wie sie etwa in den Beiträgen von Rohr und Esposito beispielhaft dargestellt wurde. Im Nachhinein fügen sich diese Endzeitvorstellungen in das Bild einer Zeit. So gehört zur Zeit des Mauerfalls eben auch die Vorstellung, die Geschichte sei an ein Ende gekommen. Auch wenn sich Fukayamas These nicht bewahrheitet hat, sagt sie etwas über die damalige Zeit: Sie traf einen Nerv, schien Zeitgenossen wenigstens diskussionswürdig zu sein. Und im Nachhinein wird deutlich, dass so manche Endzeitbehauptung mit strategischer Absicht getroffen wurde.

Endzeitdenken neigt dazu, sich auf große Enden zu konzentrieren. Es geht um Ende des Menschen, der Geschichte, der Kultur, ja der Welt. Diskurspragmatisch lässt sich das gut erklären: Je größer und bedeutsamer das Ende, das befürchtet wird, desto höher ist der Einsatz, der gefordert werden kann, die Motivation, die sich mobilisieren lässt. Außerdem tendiert der Mensch, wie schon Kant in seiner »Kritik der reinen Vernunft« herausgearbeitet hat, dazu, aufs Ganze zu gehen. Doch ist es nicht übertrieben, das Ende einer bestimmten Verfasstheit eines Staates zum Ende der Kultur oder der Menschheit hochzustilisieren? Und muss das Ende des Menschen notwendigerweise mit dem Weltuntergang zusammenfallen? So manches Endzeitnarrativ dürfte sich im Nachhinein als Ausdruck menschlicher Hybris erweisen, und die Beiträge des Buchs zeigen, dass wir unterscheiden können zwischen dem Ende einer Staatsform (Kneuer), der Geschichte (Esposito) oder einer Art (Beisbart), ja sogar des Universums (Bartelmann).

Differenziert man genauer zwischen diesen unterschiedlichen Enden, dann wird deutlich, dass diese je spezifisch untersucht werden müssen. So sind heute unterschiedliche Fächer dafür zuständig, das Ende von normativen Kategorisierungen (Wirth), von historischen Epochen (Rebenich), von politischen Systemen oder Arten zu untersuchen. Dabei wird es umso schwieriger, ein Ende festzustellen oder auch nur vorzustellen, je umfassender ein Ende ist. Wenn sich das Universum im Sinne eines heute gängigen Modells immer weiter ausdehnt und verdünnt, ist das ein Ende – sogar das Ende von allem?

Einfacher zugänglich scheinen uns Enden oder Schlusspunkte, die wir selbst erlebt haben oder wenigstens aus Beschreibungen kennen, wie das Ende einer Beziehung (Znoj). Aber bei genauerem Hinsehen gibt es auch hier Probleme. Wann genau endet eine Beziehung oder ein menschliches Leben (Rüegger/Noth)? Und wann endet eine Epoche? Jedes Ende setzt etwas voraus, das endet, sei es einen Gegenstand im weitesten Sinne des Wortes, oder eine Zeitspanne, die durch einen Prozess oder eine gewisse Gleichförmigkeit zusammengehalten wird. Wenn nicht vollkommen klar ist, was dieser Gegenstand ist oder was die Zeitspanne definiert, wird auch die Rede vom Ende uneindeutig. So ist es kein Wunder, dass sich das Ende der Antike nicht eindeutig angeben lässt (Rebenich). Und die vielen schrittweisen Übergänge in der Entwicklung von biologischen Arten machen es schwierig, allgemein das Ende einer Art zu definieren (Beisbart).

Trotzdem ist die Kategorie des Endes sinnvoll. Für endliche Vernunftwesen wie uns ist es einfacher, manchmal Schluss zu machen – sei es, dass wir im Sinne der Erkenntnis etwas als beendet ansehen, sei es, dass wir aktiv das Ende etwa einer Beziehung herbeiführen. Denn wenn etwas an sein Ende gekommen ist, dann kann es, ja muss es in der Regel anders behandelt werden, als wenn es noch besteht. Natürlich entledigt uns das Ende etwa eines menschlichen Lebens nicht völlig von allen Pflichten gegenüber dem, was ein Ende gefunden hat – das zeigt die Diskussion der Human Remains in eindrücklicher Weise (Schmiedebach). Aber Human Remains sind eben nicht lebendige Menschen. Die Kategorie des Endes hilft uns also, Dinge und Zeitläufe voneinander abzugrenzen und damit ethische Unterschiede zu markieren. Der gedankliche Bezug auf Endpunkte kann uns auch helfen, mit so manchen Entwicklungen umzugehen (Harrasser), vielleicht sogar ein Ende zu vermeiden helfen (Stein) oder es wenigstens angemessen zu gestalten (Rüegger/Noth).

In diesem Sinn setzen wir jetzt einen Schlusspunkt, in der Hoffnung, dass das Ende dieser Einleitung für das Publikum den Anfang einer intensiveren Auseinandersetzung mit den folgenden Beiträgen bildet. Wir wollen aber nicht zum Ende kommen, ohne all jenen zu danken, durch deren Einsatz dieser Band erst möglich geworden sind.

Dieses Buch nahm seinen Anfang mit einer Ringvorlesung des Collegium generale der Universität Bern im Frühjahrssemester 2022. Der Band vereint einen Teil der Vorlesungen mit weiteren Beiträgen zum Thema. Wir danken daher zunächst allen Beitragenden für ihre interessanten Beiträge und für die angenehme Zusammenarbeit. Anna Funk, Nathalie Gut und Layla Huber sind wir dankbar für ihre hervorragende Arbeit beim Bearbeiten der Manuskripte – ohne ihre genaue und effiziente Weiterverarbeitung der Manuskripte würde es diesen Band nicht geben. Last but not least gilt unser Dank unserem Ansprechpartner beim Verlag, Jürgen Hotz, für die professionelle Kooperation und der Universität Bern für finanzielle Unterstützung.

Literatur

Deutsche Bibelgesellschaft, Die Bibel, Lutherübersetzung, Stuttgart, revidiert 2017.

Dürrenmatt, Friedrich, Über die Grenzen, hg. von Michael Haller, Zürich 1990.

Leggewie, Claus/Welzer, Harald, Das Ende der Welt, wie wir sie kannten: Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie, Frankfurt 2011.

Jetzt ist Schluss – zum Beziehungsende und dessen Folgen

Hansjörg Znoj

1.Einleitung: Schluss machen

»Schluss machen« ist eine umgangssprachliche Wendung, die im deutschen Sprachgebrauch benutzt wird, um das Beenden einer Beziehung oder einer Partnerschaft auszudrücken. Das »Schluss machen« kann in verschiedenen Kontexten verwendet werden. Es kann bedeuten, dass eine romantische Beziehung zu Ende ist und einer oder beide Partner beschlossen haben, getrennte Wege zu gehen. Es kann auch bedeuten, dass eine Freundschaft beendet wird oder dass eine Geschäfts- oder Arbeitsbeziehung aufgelöst wird.

Dem »Schluss machen« geht eine Entscheidung voraus; diese Entscheidung trifft mindestens eine der an einer Unternehmung oder einer Partnerschaft beteiligten Personen. Das Ende herbeizuführen kann beabsichtigt sein, die Folgen eines Beziehungsbruchs sind im Gegensatz zum »Schluss machen« selbst kaum kontrollierbar, und um die Folgen soll es in diesem Beitrag hauptsächlich gehen. Auch soll es in diesem Beitrag ausschließlich um Partnerschaften und enge Beziehungen zwischen Menschen gehen.

In diesem Beitrag möchte ich zeigen, dass Trennungen ähnliche Folgen und Symptome auslösen können wie der Tod eines nahen Angehörigen. Es soll auch geklärt werden, ob und weshalb das Ende einer Beziehung zu diesen Folgen führen kann und was die Psychologie tun kann, um die Verarbeitung eines Beziehungsendes zu erklären und oder mindestens zu erhellen.

In der Schweiz werden derzeit 40 % der vorher geschlossenen Ehen geschieden; 45 % der Scheidungen erfolgten nach 15 oder mehr Jahren.6 Im Jahr 2019 waren 4,7 % der Bevölkerung verwitwet, 8,6 % geschieden. Bis zum Alter von 70 Jahren sind mehr Personen geschieden als verwitwet.

Ob eine Person geschieden, getrennt oder verwitwet ist, bedeutet für sie Unterschiedliches, beinhaltet aber immer das Risiko der Vereinsamung und allgemein den Verlust sozialer Kontakte. Eine wichtige Differenz ist jedoch, dass für die Verwitwung Riten existieren, die den Zustand des Alleinseins deuten und die betroffenen Personen dadurch effektiv unterstützen. Übergangsriten vom Zustand des Lebens zum Zustand des Todes sind ein wichtiges Thema in religiösen Kontexten wie auch in Ahnenkulten. Diese Riten beinhalten auch Abschiedsrituale für die Hinterbliebenen.

Je nachdem, wie der Übergang gestaltet wird, geben Rituale den Hinterbliebenen sowohl Struktur als auch Trost. Gleichzeitig ist der Tod eine Erinnerung an die Sterblichkeit. Im Gegensatz zum Tod gibt es bei einer Trennung keine oder weniger kulturelle Hilfsmittel oder Rituale. Eine Trennung oder Scheidung wird oft als Zeichen eines gescheiterten Lebens angesehen, und viele Kulturen verurteilten die Scheidung oder tolerierten sie nur bei privilegierten Mitgliedern der Gesellschaft. Obwohl die Auswirkungen einer ehelichen Trennung oder Scheidung belastend und gesundheitsgefährdend sein können,7 gibt es für eine Scheidung keine Form der Trauerarbeit. Geschiedene müssen allein zurechtkommen und erleben oft soziale Ausgrenzung. Daher wird die Trauer nach einer Scheidung auch als entrechtete Trauer bezeichnet.8 Allerdings sind durch den kulturellen Wandel viele Trauertraditionen bedroht. In seinen Erinnerungen berichtet Pfarrer Georg Vischer, wie sich Trauerrituale verändert haben. 1965, an seiner ersten Pfarrstelle, läutete die Glocke beim Tod eines Dorfbewohners. Die ganze Nachbarschaft nahm Anteil und begleitete den Verstorbenen vom Sterbezimmer in die Kirche und auf den Friedhof. Es war eine einzige große Gemeinschaft, unabhängig vom Glauben des Verstorbenen. Heute sterben nur noch wenige Menschen zu Hause. Das Bestattungsunternehmen nimmt den Toten gleich mit, und es gibt kaum mehr einen Leichenzug. Der Anschluss ans ererbte Brauchtum lockert sich zunehmend. Teilweise werden traditionelle Bräuche abgelöst durch neue Formen: Beisetzung im Gemeinschaftsgrab, Aschenbeisetzungen im Wald bis hin zu einer virtuellen Installation im weltweiten Netz. Das zeigt einerseits, dass Rituale wichtig sind im Umgang mit Trauer, anderseits bedingt der gesellschaftliche Wandel möglicherweise, dass die Trauer als Zustand individualisiert oder teilweise sogar pathologisiert wird.

2.Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Trennung durch Tod oder Scheidung

Zu den Unterschieden zwischen einer Trennung/Scheidung und dem Tod des Ehepartners oder der Ehepartnerin gehören die Vorgeschichte des Verlustes und die zeitliche Dynamik des Verlustes. Das Scheidungs-Stress-Anpassungsmodell9 hebt hervor, dass eine Scheidung kein diskretes Ereignis in der Zeit ist, sondern ein Entkopplungsprozess. In den meisten Fällen umfasst dieser Prozess Konflikte oder Gefühle der Entfremdung vor der Trennung, die gerichtliche Scheidung, die unmittelbare Zeit nach der Scheidung, Auseinandersetzungen über das Sorgerecht für die Kinder oder den Verlust des Kontakts zu den Kindern, den Auszug aus der gemeinsamen Wohnung und möglicherweise länger anhaltende Konflikte mit dem Ex-Partner, der Ex-Partnerin. Eine neue Beziehung muss ausgehandelt werden. Dieser Entkopplungsprozess kann zahlreiche belastende Ereignisse in Gang setzen, die wiederum negative emotionale, verhaltensbezogene und gesundheitliche Folgen haben können. Im Falle des Todes des Ehepartners sind viele Verluste plötzlich und nicht vorhersehbar. Dennoch sind frühere Konflikte oder unerledigte Angelegenheiten mit dem Verstorbenen Risikofaktoren für die Verstärkung oder Verlängerung von Trauerreaktionen und sogar für trauerbedingte Störungen.10

2.1Die Endgültigkeit

Ein Hauptunterschied zwischen dem Tod des Ehepartners und einer Trennung/Scheidung ist die Endgültigkeit des Verlustes. Der Tod eines Ehepartners ist unumkehrbar und erleichtert die Idealisierung der verlorenen Beziehung und des verlorenen Partners. Im Gegensatz dazu ist eine Trennung/Scheidung das Ende einer Ehe, aber oft nicht das Ende einer Beziehung. Die Beziehung kann ungewiss und potenziell wiederherstellbar sein, und ungewisse Verluste führen oft zu komplizierten Formen der Trauer.11 Der Kontakt zwischen ehemaligen Partnern kann intensiv und lang anhaltend sein, insbesondere wenn die Geschiedenen kleine gemeinsame Kinder haben.12 Konfliktreiche Kontakte zwischen Ex-Partnern wurden mit einer schlechteren emotionalen Anpassung im Laufe der Zeit in Verbindung gebracht.13 Die Beziehungen zwischen ehemaligen Partnern können jedoch auch eine mögliche Ressource für die Anpassung an die Scheidung darstellen.14

Trotz dieser Unterschiede weisen Trennung/Scheidung und Tod des Ehepartners viele Gemeinsamkeiten auf. Der Kern beider Erfahrungen ist die Trennung vom Ehepartner und der Verlust einer Bezugsperson, die emotional weder verfügbar noch Teil des täglichen Lebens ist. Ein Verlust wird oft als kritisches Lebensereignis erlebt. Bei beiden Ereignissen ist das Bindungssystem betroffen. Beide Arten von Verlust erfordern Anpassungsaufgaben wie die Neuorganisation von Aspekten des täglichen Lebens, die Schaffung eines neuen Lebensziels und einer neuen Identität ohne den Partner sowie die Umgestaltung der Bindung an die verlorene Person. Sbarra und Coan betonten, dass eine Scheidung soziale und finanzielle Ressourcen, kognitive und affektive Erfahrungen und das Gesundheitsverhalten beeinflusst.15

2.2 Folgen nach Trennung

Viele Studien zeigen, dass der Tod eines Ehepartners oder eine Trennung/Scheidung negative Auswirkungen auf das psychische, soziale und körperliche Wohlbefinden hat. Allerdings gibt es individuelle Unterschiede in der Dauer und Schwere dieser Folgen. Die Bindungstheorie bietet einen Rahmen für das Verständnis der Folgen und Reaktionen auf soziale Verluste.16 Andere theoretische Modelle gehen von einer kognitiven Stressperspektive aus und konzentrieren sich auf die Bewältigung von Stressoren, die Sinngebung und die Störung der Identität,17 oder sie konzentrieren sich speziell auf die Umstände des Verlusts und die Beziehung zum Verstorbenen im Laufe der Zeit.18

Trotz der Ähnlichkeiten bei den Folgen des Verlusts stehen Theorie und Studien zum Tod des Ehepartners und zur Trennung/Scheidung in unterschiedlichen Forschungstraditionen und decken selten beide Ereignisse ab. Häufig wird argumentiert, dass der Verlust durch den Tod von der Scheidung unterschieden werden muss, weil Trauer und Verlust für bestimmte Ereignisse reserviert sind. Anders als dieses semantische Argument suggeriert, wirken sich Trennungsverlust und Verlust durch Tod auf ähnliche psychologische Prozesse aus und haben ähnliche spezifische Folgen für das Bindungssystem. Nicht nur der Tod des Partners, sondern auch eine Trennung in der Partnerschaft kann zu Trennungsstress mit Symptomen wie Sehnsucht nach und Beschäftigung mit der verlorenen Person führen. Hinzu kommen Reaktionen wie Schwierigkeiten, den Verlust zu akzeptieren, das Vermeiden von Erinnerungen oder Aktivitäten im Zusammenhang mit dem ehemaligen Partner, die Unfähigkeit, anderen zu vertrauen, Gefühle der Abgehobenheit, Bitterkeit und Wut auf die Person, die die Trennung eingeleitet hat, Schwierigkeiten, mit dem Leben weiterzumachen, Gefühllosigkeit und die Überzeugung, dass das Leben seit dem Verlust unerfüllt, leer, bedeutungslos oder unerträglich ist.19

Absichtsvolle Trennungen scheinen sich zwar von unabsichtlichen, nicht gewollten Trennungen zu unterscheiden, die Folgen sind aber durchaus vergleichbar. Der Motivationspsychologe Eric Klinger befasste sich mit der Aufgabe von Zielen.20 Die Trennung von einem Vorsatz, von einer Unternehmung oder von einer Person ist in dieser Theorie das Ergebnis eines Bewertungsprozesses in drei Schritten: a) Entspricht das Ergebnis meinen Erwartungen? b) Kann ich es erreichen, habe ich die Mittel dazu? und c) Wieviel Anstrengung ist es mir wert (Valenz)? Kommt es zu einer negativen Bewertung, ist die Konsequenz Disengagement, das Aufgeben des Ziels.

Es fällt schwer, auf das unerreichbar gewordene Ziel zu verzichten, weil man sich schon darauf festgelegt hat – eine Bindung, die nicht ungeschehen gemacht werden kann. Bei ersten Anzeichen von Misserfolg setzt Frustration ein, und Personen bekräftigen für gewöhnlich die Zielverfolgung. Stärkere Bemühungen, die nicht zur Zielerreichung führen, haben Ärger und Aggression zufolge. Wenn der Misserfolg unvermeidlich erscheint, kommen Enttäuschung und Entmutigung bis hin zu Depression hinzu. Normalerweise führt diese Entmutigung zu einem verringerten Interesse für jegliche Reize und schließlich auch für das verlorengegangene Ziel. Die Ablösung vom ehemaligen Ziel und die Festlegung auf neue Ziele begünstigt die Erholung. Allerdings ist das Ziel nicht ganz verschwunden, es werden lediglich Reaktionen auf seine Auslösungsreize gehemmt. Die Phasen des Zyklus können sich mit den Umständen ändern und sie unterscheiden sich zwischen Personen. Erfolgt der endgültige Misserfolg z.B. durch den Tod einer geliebten Person, kann die Bekräftigungsphase Ungläubigkeit oder Bestrebung nach Rettungsmöglichkeiten beinhalten und die Aggressionsphase kann Schuldzuweisungen an die ärztliche Behandlung oder Anschuldigungen an sich selbst mit sich bringen. Die Frustration ist die Voraussetzung für das Disengagement, wobei der ganze Prozess nicht linear, sondern zirkulär erfolgt, als ein Wechselspiel von Ermutigung, Aggression, Depression und Erholung. Disengagement ist ein Zyklus von Anreiz und Abkehr und begleitet den Prozess der Extinktion (Auslöschung des Vorhabens oder der aktiven Bindung). Depression ist nach Klinger ein Teil von Disenagegement. Laut Klinger ist nicht die Frage, ob die Trennung aktiv oder passiv erfolgt, für die psychischen Folgen entscheidend, sondern der Prozess selbst fordert einen psychischen Tribut.

Weil beide Arten von Beziehungsenden wesentliche Elemente teilen, geht es im nächsten Abschnitt um die psychischen Folgen der Trauer.

2.3Folgen von Trauer

Typische Reaktionen in der Trauer können in drei Bereiche eingeteilt werden: Verhaltensebene, kognitive Ebene und somatische Ebene.

Auf der Verhaltensebene finden sich einerseits Apathie, anderseits eine große Unruhe, Betäubungsverhalten, exzessive Reizsuche, Selbstverletzungen und Ess- und Schlafstörungen. Auf der kognitiven Ebene Verleugnung (nicht wahrhaben Wollen), Gedankenleere oder Gedankenrasen (Rumination) und auf der somatischen Ebene Schmerzen, motorische Unruhe und Herz-Kreislaufstörungen. Es kommen intensive Emotionen von Angst, Wut, Schuld und Trauer, aber auch Gefühle der emotionalen Leere, Kälte und Zustände von Erleichterung oder Einsamkeit vor. Bei sehr intensiver Trauer können emotionale Regulationsvorgänge nachhaltig gestört werden. Dies beeinträchtigt die adaptive Funktion des emotionalen Erlebens. Langfristig kann dies zu psychischen, aber auch somatischen Störungen führen. Selten kommt es zu einer Stress-Kardiomyopathie, einer Störung der Herzfunktion. Charakteristisch sind plötzlich beginnende heftige Brustschmerzen (Angina Pectoris) und Luftnot (Dyspnoe). Im Akutstadium ist eine Unterscheidung zum Herzinfarkt ohne Herzkatheteruntersuchung nicht möglich. Fast allen Patientinnen ist gemeinsam, dass die Symptome kurz nach einem emotional belastenden Ereignis wie beispielsweise dem Tod einer nahestehenden Person, der Trennung vom Partner, einem Unfall, einem Überfall, einer Naturkatastrophe, einem heftigen Streit, dem Verlust der materiellen Existenz oder der Diagnose einer schweren Erkrankung einsetzen.

In einem direkten Vergleich der emotionalen Reaktionen von über 700 getrennte bzw. geschiedenen und verwitweten älteren Erwachsenen (LIVES-Projekt) untersuchten Brodbeck, Knoepfli, Znoj und Perrig-Chiello, ob der Ausdruck von Trauer nach einer Trennung bzw. Scheidung auf der einen Seite und dem Tod des Ehepartners auf der anderen unterschiedlich war.21 Obwohl getrennte/geschiedene und verwitwete Personen ähnliche affektive Reaktionen berichteten, zeigten sich unterschiedliche Ergebnisse für die beiden Gruppen. Bei den Getrennten bzw. Geschiedenen waren Schwierigkeiten, den Verlust zu akzeptieren, sowie Schwierigkeiten, anderen nach dem Verlust zu vertrauen, die häufigsten Reaktionen. Diese Reaktionen standen nicht im Zusammenhang mit einem hohen Grad an zugrundeliegender Trauer. Ein hohes Maß an Trauer zeigte sich in Fassungslosigkeit, dem Eindruck, dass das Leben leer sei sowie in Sehnsucht, Verlangen und emotionalem Schmerz. Im Gegensatz dazu waren Sehnsucht oder Verlangen nach der verlorenen Person häufige Reaktionen der verwitweten Teilnehmenden, ebenso wie Schwierigkeiten, den Verlust zu akzeptieren und intensive Gefühle von emotionalem Schmerz oder Trauer. Diese Reaktionen standen aber in Zusammenhang mit einem geringeren Ausmaß an Trauer. Im Gegensatz dazu waren Verbitterung über den Verlust, der Versuch, Erinnerungen an den Verlust zu vermeiden, und Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen, mit einem höheren Grad an zugrundeliegender Trauer verbunden. Im Vergleich zu verwitweten älteren Erwachsenen berichteten getrennt lebende/geschiedene Teilnehmende über ein geringeres Ausmaß an anhaltender Trauer. Burger und Mitarbeitende führten zwei Netzwerkanalysen für depressive Symptome bei verwitweten und getrennt/geschieden lebenden älteren Erwachsenen in der LIVES-Stichprobe durch.22 Etwa 18 % der verwitweten und 30 % der getrennt lebenden/geschiedenen Personen erfüllten die Kriterien für die Diagnose einer Depression. Ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Gruppen bestand darin, dass getrennt lebende/geschiedene Personen im Vergleich zu verwitweten älteren Erwachsenen vermehrt berichteten, ein unfreundliches Umfeld zu erleben und sich selbst als Versager zu betrachten. Netzwerkanalysen zeigten, dass der Verlust in beiden Gruppen in erster Linie mit Einsamkeit verbunden war, die wiederum mit anderen depressiven Symptomen zusammenhing.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Trennung/Scheidung und Verwitwung zu ähnlichen affektiven Reaktionen führen, einschließlich Einsamkeit, Sehnsucht und Verlangen sowie Schwierigkeiten, den Verlust zu akzeptieren. Diese Ergebnisse legen nahe, dass bei Verlusten aufgrund von Trennung/Scheidung oder Tod ähnliche psychologische Mechanismen wirken. Die Ähnlichkeit der kurz- und langfristigen gesundheitlichen Folgen von Trennung/Scheidung und Tod des Ehepartners, vergleichbare Anpassungsaufgaben und ähnliche affektive und kognitive Reaktionen sprechen für die von Sbarra und Coan23 postulierten Wirkungsmechanismen und damit für eine Kombination von spezifischen Reaktionen durch den Bruch des Bindungssystems sowie weiteren Stressoren wie Ressourcenverlusten, namentlich des Verlusts an sozialer Unterstützung. Dazu kommen allgemeines Gesundheitsverhalten, Einstellungen und kognitiv-affektive Erfahrungen, welche generell die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen mit stressreichen Situationen umgehen. Um die beschriebenen psychologischen Faktoren zu akzentuieren, werden in der Folge gängige Vorstellungen und Modelle der Trauer dargestellt.

3.Modelle der Trauer

3.1Das Phasenmodell

Traditionellerweise wird Trauer als ein emotionales Aufarbeiten und Ablösen beschrieben, als »Durcharbeiten«. Entsprechende Modelle werden oft als Phasenmodelle beschrieben.

Sigmund Freud schreibt in seinem Aufsatz Trauer und Melancholie: »Die Realitätsprüfung hat gezeigt, dass das geliebte Objekt nicht mehr besteht, und erlässt nun die Aufforderung, alle Libido aus ihren Verknüpfungen mit diesem Objekt abzuziehen.«24

Diesen Ablöseprozess begreift er als Entwicklung, die in mehreren Phasen erfolgt. Das Phasenmodell postuliert fehlende Trauersymptome als Prädiktor für eine pathologische Entwicklung.

Phasenmodelle als Prozessmodell des Ablaufs einer Trauerreaktion sind trotz mangelnder empirischer Evidenz beliebt. Die Popularität dieser Modelle reicht zurück bis zu Sigmund Freud oder zur bekannten Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross. Demnach wird die Trauer als Verlust einer »Bindungsenergie« der Libido verstanden, durch die die trauernde Person mit der verstorbenen Person verknüpft ist. Die Trauerarbeit (in der Regel in der zweiten Phase nach dem Prozess des Realisierens) besteht darin, sämtliche Verbindungen zu lösen. Erst wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, sei man wieder frei, neue Bindungen einzugehen. Aus heutiger Sicht fehlt diesem Modell die empirische Evidenz für die meisten postulierten Folgen.

Im Gegensatz zur These des Durcharbeitens, welches notwendig mit depressiven Zuständen assoziiert sei, konnten Bonnano und Keltner empirisch zeigen, dass positive Emotionen einen günstigen Verlauf und weniger Belastung über zwei Jahre voraussagen.25 Die theoretische Forderung, die Bindung zur verstorbenen Person abzubrechen, um einen ungünstigen Verlauf zu verhindern, findet ebenfalls keine empirische Unterstützung. Untersuchungen wie die von Klass und Walter machen deutlich, dass die weitergeführte Bindung nicht zu psychischen Störungen führt.26 Voraussetzung dafür ist allerdings, dass stattdessen Formen gefunden werden, die nicht zu einer Realitätsverzerrung führen. Dann können auch Beziehungen zu real nicht mehr existierenden Personen eine Ressource darstellen.

Nach Studien von Klass und Mitarbeitenden hält ein hoher Anteil (bis zu 50 %) von Trauernden die Bindung zur verstorbenen Person ohne Belastung aufrecht.27 Nicht nur älteren verwitweten Personen ist die Vorstellung unerträglich, keine innere Verbindung mehr zu haben. Ein Großteil der Jugendlichen und älteren Kinder, die einen Elternteil verloren haben, berichteten, dass sie Trost empfinden in der Gewissheit, dass ihre verstorbenen Eltern ihnen nahe sind; diese komplexe Empfindung ist keineswegs krankhaft, sondern stellt eine Ressource für die verwaisten Kinder dar.28 Zudem hat die Forschung gezeigt, dass die Fähigkeit, ein gutes Gefühl zu den verstorbenen Angehörigen aufzubauen, mit einer verbesserten Verarbeitung des Verlustes assoziiert ist.29 Auch gibt es Hinweise, dass das Vermeiden von Emotionen – also das Gegenteil von »Durcharbeiten« – prognostisch günstig sein kann.30 Die Forschungsarbeiten zu Emotionsregulation in der Trauer haben verschiedentlich gezeigt, dass die Fähigkeit, sich emotional zu kontrollieren, mit einer verbesserten Verarbeitung des Verlustes zusammenhängt.31 Insgesamt spricht wenig für die Beibehaltung von Phasenmodellen. Dennoch findet man sie immer noch in Lehrbüchern an prominenter Stelle, und nicht wenige professionelle Helferinnen kennen nichts Anderes.

3.2Das biologische Modell

Trauer, oder besser gesagt eine Verlustreaktion, kann jedes bindungsfähige Tier erleiden.32 Diese Fähigkeit erlaubt Arbeitsteilung z.B. in der Brutpflege und garantiert somit einen Überlebensvorteil. Viele Tierarten haben spezielle Formen von Zusammengehörigkeit entwickelt, die sich nicht nur gegenüber dem Nachwuchs manifestieren, sondern auch in der Partnerschaft, respektive der Sexualität. Bindung ist somit keineswegs eine kulturelle Errungenschaft, sondern sie ist auch ein biologischer Vorgang. In diesem werden wesentliche Merkmale dessen verändert, was als Identität bezeichnet werden kann. Beobachten lässt sich eine Erwartungshaltung, die sich darauf bezieht, dass die oder der »verbundene« Andere sich immer wieder manifestiert. Damit die Bindung aufrechterhalten bleibt, braucht es Signale (Zeichen der Präsenz), die diese Bindung (re)aktivieren. Diese Signale können chemischer oder sozialer Natur sein. Bleiben die Signale aus, beginnt ein Suchen nach diesen Signalen. Andauerndes Ausbleiben der Signale führt zu einer Reaktion, die wir als Trauern bezeichnen. Trauer ist aus dieser Perspektive eine »Nebenwirkung« der adaptiven Eigenschaft, die für die Entwicklung von vielen Arten einen entscheidenden evolutionären Vorteil bot.33 Da die Trauerreaktion unterschiedlich intensiv ausfällt, liegt die Vermutung nahe, dass sie mit der adaptiven Funktion der Bindungsfähigkeit zusammenhängt. Daher erwarten wir, dass Kinder stärker um Mütter und Väter trauern als um ihre Geschwister oder ihre Großeltern.

Das biologische Modell erklärt viele Symptome, die in der Trauer vorkommen, reicht aber nicht aus, um alle Reaktionen zu erklären, wie Menschen mit Verlusten umgehen. Das nächste Modell erklärt die Verlustreaktion als Versuch, mit dieser Situation umzugehen, sie zu bewältigen.

3.3Der Coping-Ansatz

Unter Coping wird die Bewältigung einer Situation verstanden, welche Stress verursacht.34 Der Verlust einer angehörigen Person führt zu einer ganzen Reihe von Verhaltensweisen und Reaktionen, die als Stressreaktion gesehen werden können. Im Grunde kann die Trauer als Bewältigung betrachtet werden, denn die Trauer hilft uns bei der Neuorientierung nach dem Verlust.35 Die Sichtweise, dass die Trauer als Bewältigung betrachtet werden kann, ist zwar in den Phasenmodellen impliziert. Im Gegensatz zu diesen schlägt das Copingmodell jedoch kein Modell der »richtigen« Trauer vor, sondern beschreibt die psychischen Reaktionen und Handlungstendenzen zwischen den Polen Verlustverarbeitung und Neuorientierung. Diese zwei Pole wurden von Stroebe und Schut als duales Prozessmodell der Trauer bezeichnet.36