Das Ende der Schonzeit - Werner Rohner - E-Book

Das Ende der Schonzeit E-Book

Werner Rohner

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Beschreibung

In seinem klug komponierten Debütroman erzählt Werner Rohner die Geschichte eines jungen Mannes, der in seine Heimatstadt zurückkehrt. Dort holen Joris die Erinnerungen ein: an den Krebstod seiner Mutter zehn Jahre zuvor, an das Versprechen, ihr beim Sterben zu helfen, aber auch an seine Beziehung in Wien, in die er sich stattdessen geflüchtet hatte. In Zürich beginnt für ihn ein neues Kapitel. Am Abend seines ersten Arbeitstages beim Fernsehen stösst er in der Zeitung auf das Foto eines Mannes, den er nicht kennt, jedoch sofort erkennt, so ähnlich sieht er ihm: sein Vater. Als sich die beiden Männer schliesslich treffen, erfährt Joris, dass nicht nur er, sondern auch seine Mutter im politischen Untergrund aktiv gewesen war. Diese Begegnung zwingt ihn, sein eigenes Leben und das der Mutter neu zu begreifen. Mit einer lebendigen Sprache dringt der Roman in Bereiche vor, in denen das Politische und das Private nicht mehr voneinander zu trennen sind.

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Seitenzahl: 244

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Der Autor

Werner Rohner wurde 1975 in Zürich geboren, studierte am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel und arbeitete u.a. als Sportjournalist und Filmkritiker. Er veröffentlichte Texte in Zeitschriften und Anthologien, für die er mehrfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet wurde, und schrieb zwei Theaterstücke. Das Ende der Schonzeit ist sein erster Roman.

E-Book-Ausgabe 2014

Copyright © 2014 by Lenos Verlag, Basel

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Hauptmann & Kompanie, Zürich, Dominic Wilhelm

www.lenos.ch

ISBN EPUB-E-Book 978 3 85787 591 5

WENNICHNOCHZEHN JAHREWEITERRAUCHENKANN– immer wieder hatte Mutter diesen Satz gesagt; wenn ich noch zehn Jahre weiterrauchen kann, sagte sie, bin ich zufrieden. Steckte sich eine Muratti an und lächelte mir zu, mehr mit den Augen als mit dem Mund.

Sie sagte den Satz auch dann noch, als ihre Schwester Susanne sie zwei Jahre nach Doktor Kerns Prognose, sie habe höchstens noch ein Jahr, zum letzten Mal ins Triemlispital einlieferte und sie– noch keine fünfzig Jahre alt– bereits zu schwach war, um sich selbst eine Zigarette anzuzünden. Mindestens einmal pro Stunde musste man sie ins Treppenhaus schieben; wenn ich an der Reihe war, zündete ich immer gleich zwei an, während sie aus dem Fenster im vierzehnten Stock schaute.

Draussen Zürich in jenen ersten Tagen des neuen Jahrtausends im Nebel wie stillgelegt. Und ich stellte mir vor, wie Mutter fast dreissig Jahre zuvor am Hauptbahnhof aus dem Zug gestiegen war, mit ihren seltsam langen Beinen und den hellblonden Haaren, die sie zu Zöpfen geflochten hatte. Eigentlich wollte sie nur ein paar Tage bleiben, dann aber verliebte sie sich sogleich und so sehr in diese Stadt, dass sie nachts ihre Häuser besetzte und tagsüber in einem kleinen Blumenladen an der Aemtlerstrasse Sträusse an die anderen Verliebten verkaufte. In der Küche eines der besetzten Häuser an der Venedigstrasse, in das sie sich gleich am ersten Abend nach ihrer Ankunft verirrt und wo sie sich schon am zweiten Abend die Zöpfe mit einem Brotmesser abgeschnitten hatte, lernte sie auch den Mann kennen, den sie später nur noch »deinen Vater« nannte. David Mourlin, geboren 1946, bekannt. So steht es in seiner Akte des Staatsschutzes, die er mir, nachdem ich ihn vor ein paar Monaten zum ersten Mal überhaupt getroffen habe, kommentarlos zugesandt hat. Als ich noch ein Junge war, erzählte mir Mutter bloss, dieser David habe ihr die Welt so wunderbar erklären können, dass sie anfangs kaum mehr geschlafen habe. Zur Arbeit aber, schob sie schnell und etwas verlegen nach, sei sie trotzdem nie zu spät gekommen.