Das Erbe der Macht - Band 26: Seelenträne - Andreas Suchanek - E-Book

Das Erbe der Macht - Band 26: Seelenträne E-Book

Andreas Suchanek

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Beschreibung

Alex setzt alles daran, Jen zurückzuholen. Doch hierfür benötigt er ein Artefakt, das die Erinnerungssplitter aufnehmen kann. Hilfe kommt von unerwarteter Seite. Zur gleichen Zeit versuchen Max und Tomoe alles, um den dritten der mächtigen Essenzstäbe zu finden. Das Erbe der Macht ... ... Gewinner des Deutschen Phantastik Preis 2019 in "Beste Serie"! ... Gewinner des Lovelybooks Lesepreis 2018! ... Gewinner des Skoutz-Award 2018! Das Erbe der Macht erscheint als E-Book und alle drei Monate als Hardcover-Sammelband.

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Table of Contents

Seelenträne

Was bisher geschah

Prolog

1. Der zweite Ritter

2. Die Seelenträne

3. Das nächste Ziel

4. Dichtes Grün und Erinnerungen

5. Memorium

6. Die Summe der Teile

7. Erde und Knochen

8. Das Symbol im Stein

9. In schwarzem Wasser

10. Um zu vollenden

11. Phönixkrieg

12. Freund oder Feind?

13. Stein und Glas

14. Aus Glas gegossen

15. Drache und Phönix

16. Schwarz und Grün

17. Vollendung

18. Das Geschenk der Aquarianer

19. Vergiftete Schuppen

20. Der dritte Essenzstab der Macht

21. Ein neues Zuhause

22. Bereit für die Reise

Epilog

Vorschau

Seriennews

Glossar

Impressum

Das Erbe der Macht

Band 26

»Seelenträne«

von Andreas Suchanek

 

 

 

Was bisher geschah

 

Der Kampf zwischen dem Anbeginn, Merlin und den Widerständlern der Zuflucht geht weiter.

Nach dem letzten Sprung ihres Hauptquartiers haben die Magier um Alex, Max und Tomoe einen sicheren Hafen erreicht. Der mystische Kontinent Talanis bietet nicht nur Zeit zum Atemschöpfen, tief unter dem Eis wartet außerdem eine Überraschung. Dort gibt es die Weiße Krypta, in der die Träger der besonderen Essenzstäbe zu Rittern der Zitadelle geweiht werden. Gemeinsam mit Kevin entdeckt Max den Raum und tritt, gerüstet mit dem Essenzstab des Schutzes, auf das Podest. Er ist der erste von sieben Streitern, die einen neuen König krönen sollen. Es stellt sich heraus, dass auch Alana einen der Stäbe besitzt. Nun gilt es, die übrigen zu finden.

Gleichzeitig dringen Alex, Kyra und Nils über ein verborgenes Portal unter Glamis Castle in das vergehende Splitterreich von Nagi Tanka vor. Dort lebt die tot geglaubte Cixi. In ihren letzten Minuten enthüllt sie, dass Jens Geist noch existiert, aber auf ihre früheren Inkarnationen verteilt ist. Alex beschließt, Jen zu retten. Doch dafür muss er in die Vergangenheit reisen und ihre Geistessplitter einsammeln. Erst dann kann der Drache wieder aus ihrem Körper vertrieben werden. Um das zu schaffen, benötigt er ein Gefäß, das einen zerbrochenen Geist bewahren kann. Doch wo ist ein solches zu finden?

Prolog

 

Es war noch immer ein seltsames Gefühl für Suni, sich hier unten zu bewegen wie auf offenem Land. Das Wasser war in dieser Tiefe tintenschwarz. So weit weg von der Unterwasserstadt Nemos oder dem Areal der Aquarianer gab es kein Leuchtplankton, keine Bernsteinstäbe, nichts.

Einzig ihr Essenzstab riss die Umgebung aus der Finsternis. Was sie sah, war Hoffnung und Gefahr zugleich. Hier hatte der Kampf gegen den Anbeginn getobt, als Spalten sich geöffnet hatten und die niederen Kreaturen eingefallen waren. Doch wie sie mittlerweile wusste, hatten es Alex, Jen und die übrigen Streiter der Unsterblichen geschafft, den Angriff zu blockieren. Die Rückkehr der uralten Macht war verhindert worden.

Während an Land ein fataler Zauber Merlins alle Essenzstäbe vernichtet hatte, waren sie hier unten von dieser Magie verschont geblieben. Suni war dankbar dafür.

Sie schwebte über einem Feld aus schwarzer Erde. Überall ragten gewaltige Fragmente aus dem Boden, Steinbrocken und Knochengerippe. Erst bei genauerem Hinsehen wurde deutlich, dass diese aus Noxanith bestanden. Nemo war bereits dabei, einen Weg zu finden, das Material gefahrlos zu zerstören.

Suni schwebte in der Luft und fühlte sich wie ein winziges Sandkorn, das zwischen Wüstendünen hing. Verloren in der Weite.

Das Tattoo auf ihrem Gesicht prickelte. Längst war es nicht mehr notwendig, dieses zu tragen. Das Wesen vom Anbeginn war fort, der Zauber der Bindung nicht länger wirksam. Doch auch hier war Vorsicht geboten. Die Noxanith-Tinte war tief in die Haut gestochen worden, die Bernsteinkörner darin noch immer mit Essenz aufgeladen.

Suni vertrieb den Gedanken an das bösartige Metall, das Teil ihres Körpers war.

Doch schließlich war es genau das, was sie hierhergeführt hatte. Etwas in der Magie des Tattoos führte sie. Trieb sie an. Falls vom großen Kampf weitere, bisher unentdeckte Fragmente zurückgeblieben waren, musste sie diese finden. Und zerstören.

Wasser strömte zur Seite, als sie in die Tiefe vorstieß. Zwischen Hügeln, verborgen von einem besonders gewaltigen Knochenfragment, fand sie den Spalt. Er führte hinab, immer weiter.

Das Wasser wurde wärmer.

Abrupt wurde aus dem Gang eine Höhle, natürlich gewachsen im Felsgestein. In der Luft schwebte totes Plankton, hier gab es kein Leben.

Und da lagen sie.

Artefakte, Apparaturen, schwarzes Gestein.

Suni glitt tiefer, folgte ihrem Instinkt.

Sie sah das magische Konstrukt, streckte instinktiv die Hand danach aus.

Gleißendes Licht loderte auf. Sie wich zurück. Doch es war längst zu spät.

1. Der zweite Ritter

 

Ich sehe dich, im Licht des Unum.« So hallte es herab. »Und erachte dich als würdig. Willkommen, zweiter Ritter. Möge deine Stärke diesem Ort Stabilität verleihen. Nun höre meine Worte.«

Alex spürte die uralte Macht der Weißen Krypta, die gleichermaßen vertraut und fremd wirkte.

Während das Leuchten Alana Franke umspielte und sie zum zweiten Ritter nach Max weihte, wisperte die Stimme abermals jene Prophezeiung, die von einem neuen König kündete. Geweiht von insgesamt sieben Rittern, die besondere Essenzstäbe trugen.

Gemeinsam mit Max und Tomoe wohnte er diesem magischen Augenblick bei.

Im Gesicht der japanischen Unsterblichen war keine Regung auszumachen. Sie war es gewesen, die die Wahrheit um die Insel, auf der die Zuflucht zur Ruhe gekommen war, enthüllt hatte. Sie befanden sich auf Talanis, dem mystischen Kontinent, um den sich Legenden rankten. Geschützt und doch nur durch eine Barriere abgetrennt vom gefallenen Antarktika.

Die Stimme verfiel in Schweigen.

Alana trat als neuer Ritter vom Podest.

»Unglaublich, nicht wahr?«, fragte Max.

Sie nickte zögernd. »Es hat dem geähnelt, was ich in der Vergangenheit spürte, als ich den Essenzstab entgegennahm. Doch es war gleichzeitig anders. Ursprünglicher. Und diese Bilder …«

»Welche Bilder?«, fragte Max mit gerunzelter Stirn.

»Ich …«

Die drahtige Frau wirkte verwirrt. Das schulterlange dunkle Haar war mit einer Schnur nach hinten gebunden, ihre Kleidung war jene einer Frau, die das Abenteuer liebte. Weste, Stiefel, einfache, doch robuste Hose. Lachfalten rahmten ihre Augen ein, in letzter Zeit hatte sie allerdings nur selten gelächelt.

»Da war die Farbe Grün. Künstlich angelegte Gänge. Eine Art Ruf.«

Tomoe trat näher und legte Alana die Hand auf den Arm. »Könnte es ein Hinweis darauf sein, wo der nächste Essenzstab sich befindet?«

»Ich hatte keine Vision«, gab Max zu bedenken. »Andererseits war der zweite Stab bereits entdeckt. Möglicherweise deshalb?«

Alex dachte über die Worte nach und sagte schließlich: »Die Reihenfolge ist schwer zu bestimmen, immerhin sind diese Dinger über die Zeit verteilt. Die Frage wäre also, welcher Ort es ist. Und wann der Stab sich dort befand – oder befindet.«

Sie verließen die Weiße Krypta. Das Portal schloss sich mit einem lauten Schaben. Sieben runde Flächen, ähnlich einem Wappen, waren in das Gestein gehauen. Jedes repräsentierte einen Ritter. Und so konnte auch nur einer von ihnen den Zutritt wieder öffnen.

Sie mussten lediglich wenige Schritte zurücklegen, schon standen sie in einer Traube aus Magiern. Überall waren sie unterwegs, trieben Schächte in das Gestein und verbanden die Zuflucht mit den Räumen hier unten. Gleichzeitig wurden Wärmeelemente angeschlossen und das Eis abgetaut. Immer mehr der Wände und der Böden kamen darunter zum Vorschein.

Am Ende sollte die Zuflucht mit diesem Ort zusammenwachsen und dadurch Stabilität erhalten.

Stiefelschritte erklangen, ein Poltern und Keuchen folgte. »Es hat funktioniert.« Leonardo da Vinci kam herbeigeeilt. Er trug lediglich ein Muskelshirt, in seinem Dreitagebart hingen Eiskristalle. »Die Barriere ist stabiler geworden.«

»Mit jedem weiteren Ritter können wir uns besser gegen den Anbeginn verteidigen.« Max nickte. »Es hat sich bestätigt.«

»Was tut Merlin?«, fragte Tomoe sofort, ganz die Strategin.

»Von ihm ist nichts zu sehen, auch das Wesen vom Anbeginn meidet den Bereich.« Leonardo schluckte. »Nur Rasputin ist …«

Sie alle wussten von seinem Leid. Obgleich sie auf unterschiedlichen Seiten gestanden hatten, hätte Alex dem Unsterblichen sofort geholfen. Als Wechselbalg war er für den Anbeginn die perfekte Batterie. Halb eingesunken in das Noxanith-Tor, litt er schreckliche Qualen. Durch die teiltransparente Barriere konnten sie nach Antarktika blicken.

»Wir …« Ein Kichern erklang, worauf Leonardo sich unterbrach und herumfuhr. »Ich habe doch gesagt, das hier ist nur für Erwachsene!«

Das Gesicht von Piero verschwand, kurz darauf war ein Plopp zu hören.

»Ich gehe dann mal davon aus, dass Piero und Nils Freundschaft geschlossen haben«, sagte Max mit einem Grinsen.

»Du lachst jetzt noch, aber diese beiden haben nur Unsinn im Kopf. Mittlerweile ist ihr Lager auf dem Speicher zu einem Süßigkeitenversteck mutiert. Außerdem möchte ich nicht, dass mein Sohn versehentlich die hohe Kreatur vom Anbeginn sieht.«

Bei diesen Worten wurde Max bleich.

Er hatte von dem Zusammentreffen erzählt, das bei Kevin für buchstäbliche Atemlosigkeit gesorgt hatte.

»Gehen wir zurück in die Zuflucht«, schlug Tomoe vor. »Möglicherweise haben wir eine neue Spur.«

»Hier entlang«, erklärte Leonardo. »Wir haben auf jeder Ebene Sprungkreise aufgebaut.«

Er führte sie zu einer Stelle, an der Bernstein in Form von magischen Symbolen in den Boden eingepasst worden war. Gemeinsam traten sie in den Kreis.

Tomoe rezitierte: »Corpus Disparere. Corpus Aportate.«

Sofort durchzog ihr Essenzecho die Luft: der Geruch nach Kirschblüten, flüssigem Wachs und Sonnenwind. Die Umgebung verging hinter einem Schleier. Sekunden später fiel er in sich zusammen und gab den Blick auf die Eingangshalle der Zuflucht frei.

»Eindeutig bequemer, als außen herum nach unten zu stapfen und den Spalt zu suchen«, merkte Max an.

In Gedanken sah Alex das fertige Bauwerk vor sich. Übereinanderliegende Gebäude, ein Hof, Erker und Türme. Ein Bollwerk gegen jeden Angriff.

»Ich habe da eine Idee«, sagte Max und deutete in Richtung seines neuen Büros.

Doch Alex winkte ab. »Haltet mich auf dem Laufenden. Ich muss noch etwas erledigen.«

Bevor die anderen nachfragen konnten, eilte er davon. Direkt auf die Gangbiegung zu, hinter der Kyra wartete.

»Und?«, fragte er sofort.

»Von Thunebeck weiß nichts und in den wenigen Schriften, die es hier gibt, war auch nichts zu finden.«

»Verdammt.« Wütend ballte Alex die Fäuste. »Wieso grinst du so?«

»Ich bin kurz weggenickt und dabei habe ich jemanden rufen hören.« Das Grinsen des Wechselbalgs wurde breiter.

»Jules Verne«, begriff Alex mit ein wenig Verzögerung.

»Er hat wohl etwas gefunden.«

Sie steuerten bereits auf den Schlafsaal zu, wo einige der Magier schlummerten, um in der Traumakademie weitere Zauber zu lernen oder alte Bücher zu lesen. Der Silberschädel Vernes war das letzte Überbleibsel der Silberknochen, die die Traumebene versiegelten.

Er war der Wächter und gewährte ihnen in begrenztem Maße Zutritt.

Sie sanken jeder auf eines der bereitstehenden Betten.

»Sonst hat er nichts gesagt?«, fragte Alex.

Immerhin konnte es durchaus sein, dass die Nachricht eine des Misserfolgs war. Wo sie auch suchten: Es schien kein Gefäß zu existieren, das in der Lage war, Geistessplitter aufzunehmen und wieder zusammenzufügen. Doch wenn er Jen retten wollte, benötigte Alex genau das.

»Er hat mich nur gerufen«, gab Kyra zu. »Aber da schwang etwas mit.«

»Ja?«

»Gespannte Erwartung, Hoffnung, aber auch Skepsis.«

Alex schnaubte. »Das fängt ja gut an.«

Sie sprachen den Schlafzauber gleichzeitig. Ihre Körper erschlafften, ihr Geist glitt ab in das Reich der Träume. Sie manifestierten direkt in Jule Vernes Büro.

2. Die Seelenträne

 

Bei jedem Besuch fiel es Alex schwer zu erfassen, wie viel Zeit vergangen war. Vor dem Fenster hing stets der Nachthimmel, darunter lagen die Träume. Wie der Mond über dem Erdenrund, so betrachtete Jules Verne von hier aus die Manifestation aller Fantasie, vermengt mit den Erinnerungen der Menschen.

Heute wirbelten Schneeflocken vor dem Fenster, ein Feuer prasselte im Kamin. Die Holzscheite knackten. Zwei Tassen Tee standen bereit, daneben ein Teller mit Plätzchen.

»Nehmt Platz«, sagte Verne ohne Vorreden.

»Charmant wie eh und je«, kommentierte Alex, ließ sich aber sofort auf das weiche Stuhlkissen sinken.

Täuschte er sich, oder schmunzelte der unsterbliche Wächter der Traumebene?

»Du hast etwas gefunden«, sagte Kyra.

»Die Recherche war nicht leicht.« Verne verschränkte die Arme hinter dem Rücken, entschloss sich dann aber doch, den Platz am Fenster zu verlassen und ebenfalls auf einen Stuhl zu sinken. »Es gibt in der Tat eine Möglichkeit, wenngleich ich nicht sagen kann, ob sie tatsächlich praktikabel ist.«

Natürlich griff Verne jetzt erst einmal nach der Tasse und trank einen bemessenen Schluck Schwarztee mit Milch.

»Es sollen schon Tassen von ungeduldigen Magiern mit Kraftschlägen zerbrochen worden sein«, sagte Alex betont freundlich.

»Es sollen schon Magier in Albträumen gelandet sein, gejagt von lebendigen Tassen, die sich für ihren Tod rächen wollten.« Jetzt schmunzelte Verne eindeutig.

»Er macht sich Sorgen um Jen«, wollte Kyra schlichten.

»Das ist mir doch klar. Ich ebenso. Und du musst dir keine Gedanken machen, wir haben monatelang einen regen Schlagabtausch gepflegt, als Alexander sich hier befand.« Natürlich ergänzte Verne: »Er hat stets verloren.«

»Worüber sich erneut streiten ließe.« Wieder lächelte Alex zuckersüß.

Monate des Lernens, aber auch der Angst – wenigstens das blieb Jen erspart.

Die Tasse klirrte, als Verne sie wieder auf den Untersetzer stellte. Wie von Geisterhand füllte der Inhalt sich auf. »Habt ihr je etwas über die Seelentränen gelesen?«

»Nein«, erwiderte Alex.

Selbst in seinen Studien hier ›oben‹, bei denen er zahlreiche Artefakte und Zauber eingesehen hatte, war ihm so etwas noch nie untergekommen.

»Ich auch nicht«, ergänzte Kyra.

»Das wundert mich nicht«, sagte Jules Verne. »Sie basieren auf einer uralten Handwerkskunst. Dabei werden gläserne Gefäße geschaffen, die den Geist eines Menschen aufnehmen können.«

»Wie ein Mentiglobus?«, hakte Alex sofort nach.

Die Artefakte, die einer angeschmolzenen Schneekugel ähnelten, konnten Erinnerungen konservieren. Es war auf diese Weise möglich, darin einzutauchen.

Verne schüttelte den Kopf. »Mentigloben nehmen nicht den Geist eines Magiers auf, nur dessen Erinnerungen. Was ihn selbst aber ausmacht, bleibt außen vor. Im Falle der Seelentränen geht es um alles. Das gesamte Ich.«

Womit eine solche Träne sich perfekt dafür eignete, die Splitter von Jen aufzunehmen und wieder zusammenzufügen.

»Wo ist der Haken?«

»Du magst noch nicht lange Magier sein, aber du hast die Gemeinheit des Schicksals erfasst.« Verne nickte langsam. »Die alte Kunst der Tränenschmiede ging in der Geschichte verloren, als das letzte Volk ausstarb, das sie anwendete.«

Alex schnaubte frustriert auf. »Also läuft es auf eine Zeitreise hinaus?«

»Wenn es nur so einfach wäre.« Jules Verne drehte seinen Stuhl und blickte gedankenverloren zum Fenster. »Ich könnte dir nicht einmal genau sagen, wohin und in welche Zeit es geht. Gleichzeitig stellt sich mir hier ein Rätsel.«

»Wie das?«, fragte Kyra.

»Ich habe in den alten Schriften recherchiert und dort Skizzen zu jenem Volk gefunden, das die Tränenschmiede nutzte. Doch es verschwand in einem Splitterreich und blieb verschollen. Zuerst dachte ich, dass die Spur zu nichts führt.«

»Aber?« Auch Alex’ Neugierde war geweckt, immerhin hatte Verne sie hierherbestellt.

»Es gibt seltsame Träume, die ich wahrnehmen kann. Sie sind diffus, schwer zu greifen. Immer wenn ich an jene Gebilde denke, die in den alten Schriften skizziert sind, kommen auch diese Träume auf.«

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Alex.

Er selbst hatte sich bisher nur einmal direkt innerhalb der Träume von Menschen aufgehalten. Er dachte ungern daran zurück, hatte die Schattenfrau ihm und Jen damals doch übel mitgespielt.

»Zuerst wusste ich es nicht. Dann wurde mir klar, dass es die Träume von Eingeschlossenen sind«, sprach Verne weiter. »Wie mir scheint, werden die Seelentränen als Gefängnis benutzt.«

Kyra riss entsetzt die Augen auf. »Aber … das ist ja schrecklich.«

»Was geschieht mit dem Körper eines auf diese Art Gefangenen?«

»Ein Leib kann ohne Geist und Seele nicht überleben«, sagte Verne. »Das zumindest steht in den alten Schriften. Womöglich könnte man das jedoch mithilfe einer Konservierung in Bernstein ändern. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen. Wir begeben uns hier auf das Feld der Theorie.«

»Aber das bedeutet auch, dass es diese Gefäße noch gibt, richtig?«

Verne hob mahnend den Finger. »Ich weiß, woran du denkst. Aber selbst wenn ihr diese Gefäße findet, würde es euch nichts nützen. Die Seelentränen müssen für jede Seele spezifisch angefertigt werden. Andernfalls wird der innewohnende Geist in den Wahnsinn getrieben.«

Alex’ abrupte Euphorie wandelte sich in Ärger. »Aber wie soll uns das dann weiterhelfen?!«