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Das Finale der 3. Staffel. Auf beiden Seiten beginnt die fieberhafte Suche nach dem König, um die Prophezeiungen zu erfüllen und das Bestehen der eigenen Zeitlinie zu sichern. Unterdessen infiltriert Chris die Zuflucht. Der dunkle Zwilling kennt nur ein Ziel: Sein Bruder muss sterben. Das Erbe der Macht ... ... Gewinner des Deutschen Phantastik Preis 2019 in "Beste Serie"! ... Gewinner des Lovelybooks Lesepreis 2018! ... Gewinner des Skoutz-Award 2018!
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Seitenzahl: 221
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Spiegelkrieg
Was bisher geschah
Prolog
Lösungssuche
Das dunkle Spiegelbild
Expedition
Hinter feindlichen Linien
Damals und Heute
Das Grab der Könige
Die Welt brennt
Sein Spiegelbild
In schwarzem Stein verborgen
Anomalie
Einsatz in Chicago
Ataciaru
Die Ringe der Zeit
Ein Kreis aus Werden und Vergehen
Des Teufels Spiegelbild
Wo einst Hoffnung war
Ein Grab für Ritter und Könige
Begraben in Ruinen
Ein Blick auf Trümmer
Kein König gekrönt?
In Asche wird vergehen
Marionette
Alles oder nichts
Talid
Dunkler Bruder
Schockierende Wahrheit
Zusammenkunft der Schatten
Im sterbenden Licht
Die Verborgenen des Rates
Verantwortung
Die beiden Seiten des Christian Grant
Nur eine Köchin
Am Ende vereint
Die weiße Krypta
Dunkelheit
Königin der Stäbe
Der letzte Zauber
Nachbeben
Epilog
Seriennews
Glossar
Impressum
Das Erbe der Macht
Band 36
»Spiegelkrieg«
von Andreas Suchanek
Der Versuch von Kevin Grant, seinen von Merlin getöteten Bruder durch eine Veränderung der Zeit ins Leben zurückzuholen, führt in die Katastrophe. In der Vergangenheit wurde die Erschaffung des Walls verhindert, die Zeitlinie damit gesplittet. Es gibt jetzt zwei verschiedene Entwicklungen, zwei Realitäten, die nebeneinander existieren. Die eine düster, beherrscht vom gnadenlosen Primus Magicus, und die unsere, in der alles so ist, wie es immer war. In Kürze wird eine der Linien endgültig ausgelöscht.
Auf beiden Seiten müssen die Essenzstäbe der Macht vereint und ein König gekrönt werden. Die jeweiligen ernannten werden dann auf dem Schlachtfeld darüber entscheiden, welche Zeitlinie überlebt.
Die Suche kann erfolgreich abgeschlossen werden, auf beiden Seiten werden alle Essenzstäbe vereint. Jetzt gilt es, den König zu ernennen. Doch nach welchen Regeln muss das erfolgen? Die Antwort soll ein neu erschaffener Brückenraum liefern, der die Weiße Krypta unserer Seite und die Rote Krypta der dunklen Realität verbindet.
Doch der neue Primus Magicus bleibt nicht untätig. Christian Grant wird auf unsere Seite geschickt, um seinen Bruder zu töten und ein Memorium zu bergen. Der Showdown zwischen den Geschwistern steht bevor.
Welche Zeitlinie wird am Ende überleben?
Eine Träne rollt mir über die Wange.
Nie hätte ich gedacht, dass es so weit kommen würde. Erst jetzt, wo ich am Ende stehe und auf das Muster blicke, das sich hinter mir ausbreitet – ein Bild, so einfach, so durchschaubar – begreife ich. Und doch war es bis zuletzt ein Rätsel. Ein Geheimnis.
Ich atme die Kälte der Weißenb Krypta. Die letzte Schlacht steht bevor. Noch nie stand so viel auf dem Spiel. Ob Schattenfrau oder Merlin, ob Varye oder der Anbeginn: Der heutige Tag entscheidet über das Leben auf dieser Welt. Und ich trage die Verantwortung!
König.
Manche alten Texte sollte man ins Feuer werfen. Bedeutungen bekommen mit heutigem Blick einen anderen Kontext. Und wer denkt über all das nach? Niemand. Bis am Ende der Schleier gelüftet wird.
Krieg.
Ein einziges Wort mit so vielen Bedeutungen.
Wer ihn nicht erlebt hat, wird nie verstehen, was er für all jene bedeutet, die in ihm gekämpft haben. Blut, gebrochene Augen, zerschundene Körper.
Wird die Menschheit je lernen? Ob Magier oder Nimag.
Wir werden sehen.
Die Entscheidung naht. Und sie bringt so viel mehr mit sich, als wir dachten.
Mein Blick fällt auf Alex und Jen, auf Clara.
Was ist ein König heute?
Jetzt kenne ich die Antwort. Der Thron in der Weißen Krypta glänzt.
Ich verfluche ihn.
Es beginnt.
I
Der Raum war bis auf den letzten Platz besetzt.
Alex stand an der Seite, den Rücken an die Wand gelehnt, und betrachtete alle aufmerksam. Neben sich spürte er die vertraute Präsenz von Jen, der Duft ihres Duschgels umgab sie. In ihrer Gegenwart fühlte er sich geerdet, stark und – sicher. Selbst jetzt, nachdem das Undenkbare geschehen war. Er verbannte den Gedanken an seine Mutter in den hintersten Winkel seines Geistes. Erst wenn er Merlin gegenüberstand, würde er wieder an sie denken. An all die wunderbaren gemeinsamen Momente, an ihre kleine Familie, die es nicht mehr gab.
Jens Hand schloss sich um seinen Oberarm, drückte zu. Seine Gedanken glitten zurück in die Gegenwart, er erwiderte ihr Lächeln. Wenigstens schmerzten die Erinnerungen nicht mehr so sehr, wie noch vor einigen Tagen.
Sie hatten sich in einem der größeren Besprechungsräume versammelt. Vor dem Fenster waberte der vertraute Nebel, es war früher Morgen.
Johanna, Leonardo, Grace, Anne und H.G. Wells waren gekommen. Nur Tomoe machte sich weiterhin rar. Sie schien in letzter Zeit zunehmend mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt zu sein.
Alle neuen Ritter waren anwesend, dazwischen einige der üblichen Magier wie Sahid, Liz oder Paul. Gesichter, die Alex schon lange nicht mehr gesehen hatte. Ihre Reise durch die Zeit hatte die Gegenwart unwichtig werden lassen. Jetzt war sie das Einzige, was zählte.
»Wir haben also alle Ritter«, fasste Clara zusammen, »aber die andere Seite hat sie ebenfalls. Primus Magicus will dasselbe wie wir: den König der Prophezeiung finden.«
»Prophezeiungen.« Leonardo schüttelte den Kopf. »Ich habe sie noch nie gemocht.«
»Diese hier kann uns retten«, warf Grace ein. »Wenn wir sie richtig deuten. Im Moment weist zumindest alles darauf hin, und es scheint unsere einzige Chance zu sein.«
»Nach der Suche, die hinter uns liegt, will ich das hoffen.« Die Worte waren heraus, bevor Alex sie zurückhalten konnte.
Alle Blicke richteten sich auf ihn.
Irgendwie war es einfach passiert. Er hatte die Magier der Zuflucht ein- oder zweimal gerettet, und jetzt erwarteten sie, dass er das ein drittes Mal tat. Natürlich stand die Existenz der Welt auf dem Spiel, aber Alexander Kent würde es schon richten. Er hatte nicht einmal seine Mutter retten können. Warum glaubten sie, dass es mit der Welt besser laufen würde? All diese verzweifelten Blicke – es drehte ihm den Magen um.
Jen trat einen Schritt vor. »Wir haben die Essenzstäbe verloren.« Sie fasste sich an den Gürtel, löste den Essenzstab und hielt ihn in die Höhe. »Aber jetzt haben wir bessere als vorher. Jeder kann sich einen fertigen, der perfekt mit der eigenen Essenz harmoniert.« Sie zeigte auf die Tätowierung. »Die alten Kontaktsteine konnte man uns wegnehmen, das Whisperband nicht. Wir haben die Ritter gefunden, jeden Angriff überlebt, sind stärker geworden, sind gewachsen. Mit jeder Information, jedem Rätsel, das wir gelöst haben, haben wir etwas gewonnen.«
Und etwas verloren, dachte Alex, sprach es aber nicht aus.
»Keiner von uns wollte, dass das passiert. Wir wurden angegriffen, und jetzt verteidigen wir uns. Die Ritter haben die Weiße Krypta stabilisiert, den Anbeginn ferngehalten. Beenden wir es mit dem König. Und dann widmen wir uns endlich dem, was noch vor uns liegt.«
In diesem Moment wirkte sie auf Alex wie eine Göttin, die von Licht umstrahlt wurde und ihre Kraft mit allen teilte. Rücken wurden durchgestreckt, Gesichter lächelten. Ja, sie wollten endlich wieder frei sein. Die Welt zurückgewinnen, die unterwegs verloren gegangen war. Ihre Lieben wiederfinden, Merlin besiegen, den Anbeginn vertreiben. Er sah ihr Lächeln und fragte sich, wer von ihnen auf dem Schlachtfeld blicklos ins Leere starren und wer am Ende gebrochen davontaumeln würde.
Das Traurige war, dass sie keine Wahl hatten.
Der Kampf war ihnen aufgezwungen worden, war der Welt aufgezwungen worden. Und ja, auch er wollte ihn beenden. Aber an diesem Punkt seiner Reise war Alex sich des Preises bewusst. Und die anderen?
»Wir sind uns einig, was wir erreichen wollen«, sagte Anne. »Aber wie wir dorthin gelangen, das bleibt offen. Soll dieser ominöse König aus unserer Mitte ernannt werden oder ist es jemand, den wir außerhalb finden müssen? Gibt es eine Regel, die bestimmt, wer er ist? Oder ist es eine Wahl, die wir gemeinsam treffen? Oder ein Erbe, von dem noch niemand etwas weiß?«
Was die Ratlosigkeit in diesem Raum gut zusammenfasste.
Artus räusperte sich. »Also, wenn es um Blut geht …«
»Du hast schon einmal ein Königreich in den Sand gesetzt«, sagte Alex. »Halte dich zurück.«
Das hatte gutgetan.
»Du willst wohl auch wenigstens einmal in deinem Leben auf einem Thron sitzen«, stichelte Artus prompt.
»Das wäre doch mal was. Diesmal bist du der Ritter und ich der König.« Obwohl die Erinnerungen an seine früheren Inkarnationen noch in ihm schlief, ärgerte es ihn, dass er einst Artus gefolgt war.
»Aber wenn wir den Spieß umdrehen, bekomme ich am Ende deine Königin.« Der Ex-König und Ex-Unsterbliche warf ihm den Blick eines Raubtieres zu, das zum Angriff ansetzt.
»Wenn ihr nicht sofort aufhört, werde ich das Testosteron aus euch herausprügeln«, stellte Jen klar.
Beide schwiegen und warfen sich böse Blicke zu.
»Da das geklärt ist, schlage ich vor, dass wir uns auf die Suche machen«, kam es von Grace. »Die Lösung muss irgendwo in dem Raum liegen, der die Weiße Krypta mit der Roten Krypta verbindet. Die Hindernisse sind für beide Seiten identisch.«
»Deshalb ist Annora schon dort«, sagte Max leise.
Alex lächelte. Ja, Kevins Großmutter hatte sich sofort auf die Schriften gestürzt. Als ehemalige Ordnungszauberin wusste sie, wie man Akten nach Hinweisen durchforstet. Genau wie Grace, die ebenfalls bis heute Morgen dort gesessen hatte. Am Ende war es ganz einfach: Um den König zu finden, brauchten sie mehr Informationen.
Die Gespräche plätscherten noch eine Weile vor sich hin, aber jetzt ging es um die Verteidigung von Talanis.
Anne hatte die Schiffsflotte vergrößert und gemeinsam mit Freiwilligen Wehrtürme mit integrierten Notfallzaubern rund um die Insel errichtet. Bei Bedarf konnten diese durch verbauten Bernstein aktiviert und nach außen aufs Meer gegen anrückende Feinde abgestrahlt werden. Hängebrücken verbanden sie miteinander. Anne wollte verhindern, dass noch einmal ein Angriff die versammelten Magier überraschte. Dafür war Alex ihr dankbar, auch wenn die Attacke durch Alex’ Mutter bewiesen hatte, dass es keinen absoluten Schutz gab.
»Vielleicht sollten wir uns jetzt verabschieden«, sagte Jen.
Gemeinsam mit Max und Clara verließen sie den Raum.
»Wo ist Chloe?«, fragte ihr ureigener Agent-Unsterblich-Phönixsiegel-Wuschelkopf.
»Titik«, erklärte das Pelztier auf seiner Schulter.
»Ach so.«
»Kannst du für uns übersetzen?«, fragte Clara lächelnd. »Wir haben keine emotional-telepathische Verbindung zu unserem süßen Phönixbaby.«
»Titik!«, protestierte das Wesen sofort.
»Er sagt, er ist kein Baby. Und Chloe ist auf dem Dachboden. Sie ist jeden Tag dort.«
»Ataciaru?«, fragte Clara.
Max nickte.
Die Freundin wollte die alte Seelenverbindung wiederherstellen, die durch Merlin verloren gegangen war.
Alex streckte seine Hand aus und berührte Jen. Er spürte Chloes Schmerz. Sie beide spürten ihn. Einst war er es gewesen, der ohne Erinnerung als Nimag gelebt hatte, bis Jen ihm das verlorene Wissen zurückgegeben hatte. Umgekehrt hatte er sich auf die Suche nach ihr gemacht, als Arwen – der Drache – ihren Körper übernommen hatte.
Sie hatten sich verloren und wiedergefunden. Alleine hätte er all die Schicksalsschläge niemals ertragen. Sie erreichten die Eingangshalle, und der Sprungkreis teleportierte sie tief hinab in das ewige Eis von Talanis. Dort warteten ganze Raumfluchten darauf, wieder zugänglich gemacht zu werden. Eine magische Barriere, erschaffen von Morgana, die das gefallene Antarktika abgrenzte. Und natürlich …
Die Weiße Krypta.
Inzwischen war die Tür geöffnet, umrahmt von den eingemeißelten Wappen der Ritter. Der Thron stand in der Mitte des Raumes, erhaben und ewig. Darüber schwebte die leuchtende Kugel, das Licht von Talanis.
Erst seit Kurzem gab es eine Seitentür, die in einen Brückenraum führte. Stimmen drangen an Alex’ Ohr, als sie näherkamen.
Ein Streit?
Und das in einem neutralen Raum, in dem von keiner Seite Kampfmagie ausgeübt werden konnte?
Sie traten über die Schwelle.
Hasst du mich?«
Annora schaute von ihrem Buch auf und erwiderte den Blick ihres Enkels. »Wie kommst du denn darauf?«
Kevin ließ sich auf einen der Stühle sinken. Das Holz knarrte beunruhigend, was nicht nur daran lag, dass er breiter und muskulöser geworden war als sein verstorbener Zwillingsbruder. Auch der Raum und die Einrichtung waren uralt.
»Ich habe das alles verursacht. Vielleicht sterben wir.« Unter Kevins Augen lagen dunkle Ringe, er sah verzweifelt aus.
Annora wandte sich ganz ihrem Enkel zu. »Es gibt niemanden von uns, der nicht schon einmal Mist gebaut hat. Jen hat damals Alex zurückgebracht und damit den Pakt gebrochen, das hätte katastrophale Folgen haben können, um nur ein Beispiel zu nennen. Du bist lediglich der Erste, bei dem es so richtig danebengegangen ist.«
»Ich bin schuld …«
»Ja«, sagte Annora. »Ich werde dich hier nicht schonen. Du warst bereit, die Zeit zu verändern. Und verdammt, ich verstehe das. Was würde ich nicht dafür geben, Ava zurückzubekommen. Und Chris.«
Sie schluckte, als sie daran dachte, was Chris als Kind hatte ertragen müssen. Er war zu einem Mann herangewachsen, äußerlich stark, aber innerlich verletzlich. In Nikki hatte er jemanden gefunden, den er liebte. Eine Liebe, die erwidert wurde. Und dann hatte er sich geopfert.
Annora schloss die Augen.
»Das Schicksal kümmert sich nicht darum, was wir uns wünschen. Wir müssen das Beste daraus machen. Ich verstehe, dass du kämpfen wolltest. Es ist gut, sich nicht mit dem Status quo abzufinden. Ich wünschte nur, du hättest vorher über die Konsequenzen nachgedacht. Mit mir darüber gesprochen. Aber egal was war oder ist, du bist mein Enkel und ich werde dich immer lieben. Ein Teil von mir ist dankbar für deinen Versuch. Ich hätte Chris so gerne ebenfalls wieder gehabt.«
Sie klappte das Buch zu, in dem sie gelesen hatte. Endlich eine echte Spur.
»Aber, aber, jetzt lass den Jungen doch nicht so einfach davonkommen«, ertönte Annoras eigene Stimme.
Durch die Tür der Roten Krypta trat ihr Spiegelbild in den Raum. Primus Magicus. Ausgestattet mit dem Ring des Phönix, der Haut eines Wechselbalgs und der gesammelten Macht von Clara Ashwell. Sie hatte einen Spazierstock mit einem runden Knauf bei sich, auf den sie sich stützte.
»Kevin hat fabelhafte Arbeit geleistet«, sagte sie. »Meine Zeitlinie erschaffen, mir zur Macht verholfen und euren Untergang eingeleitet. Und so wie ich das sehe, ist Chris doch wieder da. Du darfst ihn ruhig dafür bestrafen, ich andererseits, muss ihm danken.«
In der anderen Realität war Chris tatsächlich noch am Leben. Und so skrupellos wie die alternative Annora Grant.
»Hier bei uns hat er dich getötet, Kevin«, fuhr die dunkle Annora fort. »Schwäche wird ausgelöscht.«
»Zum Glück hat unsere Geschichte bewiesen, dass das noch niemandem etwas gebracht hat.«
»Ach.« Mit einem spöttischen Lächeln trat Annora näher. »Natürlich. Du meinst, wie ihr gegen Merlin verloren habt? Wie Alexander Kents Mutter sich eingeschlichen und an euere weichen Herzen appelliert hat? Und das alles nur, weil ihr nicht hart genug wart? Ich hätte sie auf der Stelle getötet. Und den Idioten, der dafür verantwortlich war, gleich mit. Aber ja, belehre mich gerne weiter.«
Annora sah ihr Gegenüber lange und eingehend an. »Vielleicht wird diesmal tatsächlich derjenige gewinnen, der das Wettrennen für sich entscheidet. Leider auf dem Schlachtfeld.« Sie hatte Mühe, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. In diesem Moment wurde ihr etwas mit Schrecken bewusst.
Während Kevin eine wütende Diskussion mit dem dunklen Spiegelbild begann, verschwand sie hinter dem Regal. Für diesen Fall hatte sie vorgesorgt. Blitzschnell zog sie ein Bündel Pergamente aus einer Tasche. Zusammen mit Grace hatte sie schon vor langer Zeit damit experimentiert. Im Brückenraum konnte durchaus Magie gewirkt werden, solange es keine Kampfmagie war oder diese sich in irgendeiner Form gegen die Schriften oder die andere Seite richtete. Es war ein neutrales Gebiet.
Annora ließ ihren Essenzstab über das Papier gleiten. »Duplicate Libris.«
Eine Kopie der Seiten erschien auf dem Pergament. Schnell stellte sie das Buch zurück ins Regal und verstaute die nun befüllten frischen Seiten in ihrer Tasche.
Diese hängte sie sich über die Schulter.
Stimmengewirr erklang.
Sie eilte zurück in den vorderen Bereich des Raumes. Alex, Jen, Max und Clara waren aufgetaucht.
»Wie süß, die Welpen sind da.« Die dunkle Annora ließ höhnisch eine Braue in die Höhe wandern.
»Meinst du die, die mitten durchs Institut marschiert sind?«, fragte Jen.
»Das war unter meiner Vorgängerin«, wurde eiskalt erwidert. »Ihr Regnum gehört der Vergangenheit an. Es scheint typisch Ashwell zu sein, an Herausforderungen zu scheitern.«
»Oder an ihnen zu wachsen«, sagte Clara leichthin. »Ich habe mich noch nie von dem Geschwätz irgendwelcher Verrückter beeindrucken lassen.«
»Schade, dass wir hier nicht zaubern können«, flüsterte die dunkle Annora. »Diese Verrückte würde dir zeigen, wozu sie fähig ist. Willst du nicht mit mir in die Rote Krypta kommen? Dann hätte ich mich gleich um beide Ashwells gekümmert.«
»Danke, ich verzichte.«
Annora räusperte sich. »Da ein ungestörtes Studium der alten Werke nicht möglich ist, ziehen wir uns vorerst zurück.«
Annoras boshafter Blick wanderte zur Umhängetasche. Ihre Augen wurden zu Schlitzen. »Du kannst nichts aus diesem Raum stehlen, das habe ich schon versucht.«
»Das würde mir nie einfallen.« Sie schenkte ihr ein überlegenes Lächeln.
»Raus mit euch, los.« Sie deutete durch die geöffnete Tür auf die Weiße Krypta.
Alex wirkte irritiert, kam aber ihrer Aufforderung nach. Jen, Max, Clara und Kevin folgten. Letzterer nach einem hasserfüllten Blick zurück.
Erst als sie den Brückenraum verlassen hatten, hielt Annora inne.
»Was ist los?«, fragte Clara. »Du siehst erschrocken aus.«
Annora atmete tief ein und aus. »Kommt mit. Wir haben ein Problem.«
In den eigenen Reihen
Alex lehnte sich zur Seite und verschränkte die Arme. Seltsamerweise hatte Annora auf direktem Weg die Balustrade hinter den Zinnen des Schlosses aufgesucht. Tief unter ihnen waberte eine Nebeldecke, die nur durch einzelne freie Stellen den Blick auf Talanis freigab.
»Was ist los?«, fragte Jen.
»Hoffentlich kein neuer Ärger«, fügte Clara hinzu. »Davon haben wir genug.«
»Sie weiß zu viel.« Annora stieß einen Fluch aus. »Vorhin in der Krypta hat mein dunkler Zwilling erzählt, wie deine Mutter in unsere Eingangshalle kam, Alex, erinnerst du dich? Sahid und sein Team haben sie hergebracht. Aber woher weiß sie das?«
Er starrte die alte Dame an und spürte, wie sein Körper langsam jedes Gefühl verlor. »Wir sind so dumm.«
»Sie hat jemanden eingeschleust«, sagte Max. »Natürlich. Agenten, die den Platz ihrer Doppelgänger einnehmen und ihr Bericht erstatten. Da sie bereits viel länger von unserer Seite weiß, konnte sie das vorbereiten und durchführen.«
»Aber …« Clara sah von einem zum anderen. »Es könnte jeder sein.«
»Keiner von uns«, sagte Kevin überzeugt. »Wir würden es merken.« Sein Blick fiel auf Max. »Also …« Er schwieg betreten.
Vor einer Ewigkeit war Max durch einen Wechselbalg ersetzt worden. Niemand hatte es bemerkt, bis es fast zu spät gewesen war.
Was die Frage aufwarf, wie man einer solchen Infiltration begegnen konnte. Die Doppelgänger hatten vermutlich Monate Zeit gehabt, ihre Plätze einzunehmen.
»Bei Max können wir sicher sein.« Jen deutete auf den pelzigen Titik auf seiner Schulter. »Sonst wäre es jemandem aufgefallen.«
»Bei jedem Ritter können wir sicher sein«, fügte Clara hinzu. »Denn ich kann sie alle über die Verbindung spüren, die mein Essenzstab schafft.«
In Gedanken ließ Alex die Menschen in der Zuflucht Revue passieren. Da es auf der anderen Seite keine Unsterblichen gab, konnten diese ebenfalls nicht durch Doppelgänger ersetzt worden sein. Blieben also vor allem gewöhnliche Magier übrig, von denen es jeder sein konnte.
»Wesley ist auch echt«, schnippte Max. »Er ist immer noch einer von Merlins Jüngern und nur durch seine Gabe der Rückführung sicher.«
Sie diskutierten hin und her, nannten Namen und verwarfen sie wieder.
Annora ging auf und ab, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. »Ich werde Grace bitten, alle zu befragen. Sie wird die Wahrheit ans Licht bringen. Doch es gibt weitere Neuigkeiten.«
»Du hast etwas gefunden«, sagte Clara. »In den Schriften des Brückenraumes.«
»Ich habe etwas gefunden«, bestätigte Annora. »Zuerst habe ich es nicht verstanden, aber nach und nach ist es mir klar geworden. Die Bücher handeln von verschiedenen Ereignissen der Geschichte, aber sie spielten sich anders ab, als ich es erlebt habe – persönlich oder durch die Studien von Mentigloben.«
Alex ließ die Worte auf sich wirken. »Alternative Geschichte? Das lässt Schlimmes vermuten.«
Annora nickte. »In kleinerem Maßstab scheint es häufiger zu Veränderungen gekommen zu sein; Ausreißer in der Vergangenheit, aber sie wurden immer wieder ›eingefangen‹. Eine zweite Zeitlinie hat sich nie gebildet. Bis heute.«
Clara setzte sich auf eine der Zinnen, ohne Angst vor der Tiefe. »Hilft uns das, den König zu finden?«
»Möglicherweise«, bestätigte Annora. »Es gibt Hinweise auf einen Ort, der uns Antworten geben kann. Vor langer Zeit hat jemand dort nach einer Lösung gesucht und den Zugang auf eine Weise gesichert, die ziemlich …«
Ein Beben fegte Annora die Worte von den Lippen und ließ sie taumeln. Die Zuflucht schwankte. Mit einem kurzen Schrei flog Clara von den Zinnen.
Alex stürzte nach vorne, aber er machte sich umsonst Sorgen. Bücherwürmchen schwebte bereits wieder in die Höhe.
Max schwang schon seinen Essenzstab. Die Essenz flammte auf, das Essenzecho entstand. »Agnosco.« Er runzelte die Stirn. »Kein Angriff. Magie ist nicht die Ursache.«
Alex berührte das Whisperband. Mittlerweile besaßen fast alle Magier eines. Er stellte eine Verbindung zu den anderen her und schickte seine Frage hinaus. »Weiß jemand, was hier los ist?«
Zuerst herrschten Panik und Verwirrung. Teile der Zuflucht hatten sich gelöst, Brocken waren zu Boden gefallen. Doch bis auf ein paar Blessuren schien alles in Ordnung zu sein.
Endlich ertönte Sahids Stimme.
»Wir sind im Einsatz. Diese Erdbeben sind auf der ganzen Welt zu spüren.« Er schickte das Bild eines Risses, der sich im Meer aufgetan hatte. »Es sieht so aus, als ob die Realität instabil wird.«
»Es beginnt«, sagte Jen. »Die Zeit korrigiert die Störung. Am Ende bleibt eine Linie. Das sind die Vorboten.«
»Und wir sind eindeutig noch nicht stabil genug.« Annora ballte die Hände zu Fäusten, ihre Knöchel traten hervor. »Es geht zu langsam voran.«
Alex tauschte mit jedem einen kurzen Blick aus.
»Sahid, wir schicken dir Hilfe«, sandte er über das Whisperband. »Nimm Kontakt mit Nemo auf, er kennt sich im Meer am besten aus. Und die Aquarianer werden auch helfen wollen.«
Damit beendete er abrupt die Verbindung und stellte eine neue her.
»Johanna, Leonardo, wir brauchen agile Einsatztrupps, die den Nimags überall auf der Welt helfen«, erklärte er. »Sie sehen zwar keine Magie, aber Naturkatastrophen nehmen sie sehr wohl wahr.«
»Verstanden«, sagte Leonardo. »Wir fangen sofort an.«
»Grace«, Alex wandte sich der nächsten Baustelle zu und fasste Annoras Verdacht zusammen: »Wir müssen herausfinden, wen die andere Annora eingeschleust hat. Und zwar schnell.«
»Ich bin dran«, antwortete die weibliche Sherlock Holmes pragmatisch wie immer.
»Anne«, wandte sich Alex an die unsterbliche ehemalige Piratin Anne Bonny: »Merlin könnte die Situation ausnutzen und einen Angriff planen. Schnapp dir Morgana. Du kümmerst dich um die Verteidigung nach außen. Falls Nemo Hilfe braucht, schick ein Schiff. Morgana soll die Barriere im Auge behalten.«
»Aye, Kapitän«, kam es mit Nachdruck und einem Anflug von Selbstgefälligkeit zurück.
»Ich bin weder ein Captain noch ein König, nur um das klarzustellen«, wandte Alex sich an die Runde. »Das ist lediglich Pragmatismus.«
»Und der wird geschätzt.« Annora klopfte sich den Staub von der Kleidung. »Kümmern wir uns um das, was ich herausgefunden habe. Die Uhr tickt. Kommt mit.«
»Wohin gehen wir?«, fragte Clara.
»In die Küche«, sagte Annora mit einem sphinxhaften Lächeln. »Da ist jemand, dessen Hilfe wir brauchen.«
Auf dem Weg zur Küche kamen ihnen Magier in Kampfmontur, bestehend aus Stiefeln und magisch verstärkten Hosen, Westen und Shirts, entgegen. Am liebsten hätte Alex sich ihnen angeschlossen.
»Braucht ihr Hilfe?«, fragte Kevin.
Annora zog ihren Neffen in eine Umarmung. »Geh. Ich melde mich, wenn es nötig ist.«
Ihr Neffe schickte ein grimmiges Lächeln in die Runde und rannte davon. Noch nie war Alex die Kluft, die sich zwischen Max und Kevin aufgetan hatte, so deutlich vor Augen geführt worden.
Annora ging zügig weiter, beobachtete aber aufmerksam die Umgebung. Alex verstand, warum. Als ehemalige Ordnungsmagierin konnte sie analysieren. Wenn jemand sich anders verhielt als bisher, würde ihr das auffallen. Er befürchtete allerdings, dass ihre Gegner es ihnen nicht so leicht machen würden.
Doch das war nun die Aufgabe von Grace.
Die Küche war wie immer ein Ort der Ruhe und Stille. Tilda stand hinter dem Herd. Sie hantierte mit Kochlöffel und Bratpfanne, streute Kräuter in eine Suppe, füllte zwischendurch Quellwasser in eine Karaffe. Ein bunter Vogel landete vor dem Fenster.
»Einen Moment, Bert.« Sie eilte zur Balkontür und goss das Wasser in eine Schüssel. »Lass es dir schmecken.«
Der Vogel zirpte zufrieden, bevor er trank.
»Wie immer viel zu tun?«, fragte Annora.
»Ich habe mir zwei Helfer geholt«, antwortete Tilda und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Aber die wichtigsten Dinge mache ich gerne selbst.« Sie deutete zur Seite, wo das Sofa und der Tisch standen. »Die Kekse sind frisch.«
Alex stieg der Duft einer Mischung aus Dinkel und Hafer in die Nase. Er setzte sich und begann zu essen. Schließlich war es besser, mit vollem Magen in den Einsatz zu gehen.
»Schön, dass du isst«, sagte Tilda lächelnd und tauchte den Löffel wieder in den Topf.
»Freut mich, wenn ich helfen kann.« Er stopfte sich den Rest in den Mund.
»Apropos Hilfe«, mischte Annora sich ein. »Genau die brauchen wir.«
»Von mir?« Tilda runzelte die Stirn. »Ihr wisst doch, dass ich kein funktionierendes Sigil besitze. Benutzen kann ich Magie nur, wenn mein Essenzstab oder Sigil von außen aufgeladen werden. Das ist viel zu gefährlich für den Einsatz.«
Alex hörte schweigend zu.
Sie wussten seit einigen Wochen, dass Tilda ein Sigil außerhalb ihres Körpers besaß. Wie so viele andere, hatte dieses sich in Morganas Splitterreich manifestiert. Talid befand sich jetzt in der Zuflucht, aber die beiden sprachen kein Wort miteinander. Was auch immer vor langer Zeit geschehen war, sie machten ein Geheimnis daraus.
»Darum geht es nicht«, erklärte Annora. »Ganz und gar nicht. Eigentlich brauchen wir dich als Köchin.«
Zumindest hatte Annora damit die Aufmerksamkeit aller.
»Ist das ein Kochbuch?« Alex deutete auf den kopierten Wälzer. »Steht da ein Zaubertrank drin?«
Jen seufzte. »Wenn es nur so einfach wäre.« Wenigstens nahm sie endlich ebenfalls einen Keks.
»Ich kann Zaubertränke brauen«, bestätigte Tilda. »Mit dem Beet da draußen hat mir Alana geholfen. Sie besorgt immer besondere Kräuter, die nur in ihrem Zaubergarten wachsen. Da gibt es eine Beere, die die Titiks nach dem Essen ausscheiden. Wenn man daraus einen Trank braut, hat er eine heilende Wirkung. Ich habe diesen dem Quellwasser für die Einsätze beigemischt.
»Wirklich, wir haben Phönix-Wasser?«, fragte Max.
»Titik.« Stolz reckte sich ein pelziges Brüstchen.
»Ich versorge den Krankenflügel ebenfalls damit«, erklärte Tilda. »Ich komme kaum hinterher.«
Alex nahm sich noch einen Keks. »Das ist ja alles schön und gut, aber wie soll uns das helfen, den geheimnisvollen König zu finden?«
Annora hatte sich so positioniert, dass sie sowohl die Haustür als auch die Balkontür im Blick hatte. Abwechselnd musterte sie auch Tilda und die Gruppe.
Sie wollte sichergehen, dass niemand mithörte.
»Ich habe es den anderen bereits erzählt: Vor langer Zeit gab es eine Expedition. Ein König suchte nach Antworten. Nein, nicht Artus, Alex! Er fand eine Lösung und begründete damit alles Weitere.«
»Und mit ›weitere‹ ist wohl die Lösung gemeint, die die Auswüchse jederzeit wieder neutralisiert.« Jen warf Alex einen ärgerlichen Blick zu. »Du krümelst.«
»Das gehört dazu, wenn man Kekse isst.«