Das Ergebnis - Eliyahu M. Goldratt - E-Book

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Eliyahu M. Goldratt

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Beschreibung

Scott Duncan, Präsident einer erfolgreichen Softwarefirma für integrierte Systemlösungen (ERP), arbeitet hart an der Verbesserung seiner Produkte. Technische Probleme in großer Zahl sind zu bewältigen. Doch eines Tages wird er mit einem Problem konfrontiert, das seinen Blick auf die Programme völlig verändert. Scott wird zu einem Denkprozess angeregt, an dessen Ende eine ganz neue Einsicht in Sinn, Zweck und bestmögliche Anwendung von ERP-Software liegt.

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Eliyahu M. Goldratt unter Mitarbeit von Eli Schragenheim und Carol A. Ptak
Das Ergebnis
Ein Roman über profitable Softwarelösungen
Aus dem Englischen von Jeanette Böttcher und Ruth Niel
Campus Verlag Frankfurt/New York
Über das Buch
Scott Duncan, Präsident einer erfolgreichen Softwarefirma für integrierte Systemlösungen (ERP), arbeitet hart an der Verbesserung seiner Produkte. Technische Probleme in großer Zahl sind zu bewältigen. Doch eines Tages wird er mit einem Problem konfrontiert, das seinen Blick auf die Programme völlig verändert. Scott wird zu einem Denkprozess angeregt, an dessen Ende eine ganz neue Einsicht in Sinn, Zweck und bestmögliche Anwendung von ERP-Software liegt.
Über den Autor
Dr. Eliyahu M. Goldratt (1948–2011) war Autor und Managementberater. Das von ihm gegründete Unternehmen berät weltweit agierende Firmen wie Ford, General Motors oder Boeing. Seine THEORY OF CONSTRAINTS ist eine der innovativsten Managementmethoden der letzten Jahrzehnte, seine Wirtschaftsromane sind internationale Bestseller.
Im Campus Verlag erschienen DAS ZIEL, DAS ZIEL TEIL II, DAS ERGEBNIS und DIE KRITISCHE KETTE.
Eli Schragenheim ist einer der Pioniere der Theory of Constraints und spezialisiert auf deren Anwendung im Softwarebereich. Carol A. Ptak ist Expertin im Softwarebereich.
Kapitel 1
24. Januar 1998
»Kommen Sie herein.« Scott Duncan steht von seinem Schreibtisch auf und reicht Jay Johnstone, einem seiner Verkaufsmanager, die Hand. In seiner gelassenen Eleganz wirkt Duncan eher wie ein Aristokrat als wie der einfache amerikanische Junge, der es zu etwas gebracht hat. Mit seinen 46 Jahren leitet er eine Softwarefirma, die zu den erfolgreichsten der Welt zählt.
»Setzen Sie sich doch.« Scott weist auf die andere Seite seines Büros. »Sie kommen gerade recht. Ich habe mich eben gefragt, wie Sie wohl mit Alkar vorankommen.«
Ein Lächeln huscht über Jays Gesicht. Der Gerüchteküche nach ist der Sitzplatz, den Scott seinen Mitarbeitern in Gesprächen anbietet, ein Zeichen der Wertschätzung, die er ihnen entgegenbringt – oder eben nicht. Wer vor Scotts riesigem Schreibtisch Platz nehmen soll, der muss darauf gefasst sein, alle Fakten offen auf den Tisch legen und eine Menge ungeduldiger Fragen beantworten zu müssen. Nicht wenige fanden sich bereits nach fünf Minuten vor der Tür wieder und fühlten sich wie eine ausgequetschte Zitrone.
Wer aber das Glück hat, in einem der Ledersessel am großen Konferenztisch Platz nehmen zu dürfen, der bekommt vielleicht zu hören, wie hervorragend er in die Globalstrategie des Unternehmens passt. Und es gibt kaum etwas Spannenderes als mitzuerleben, wenn Scott seine großen Strategien entfaltet. Nicht allein seine eigenen Leute, sondern auch die Analysten der Wall Street sind inzwischen fasziniert von Scotts Fähigkeit, neue Entwicklungen aufzuspüren: die der Wirtschaft im Allgemeinen und die der Informationstechnologien im Besonderen. Dass er aus einem bescheidenen Softwareunternehmen einen Giganten mit einem Markwert von über 10 Milliarden Dollar geschmiedet hat, trägt nicht wenig zu seiner Glaubwürdigkeit bei. Wäre dem nicht so, gälten seine Visionen und Strategien wahrscheinlich nur als gewagte Spekulationen über neue Technologien und deren Chancen am Markt.
»Wie wir mit Alkar vorankommen? Nun ja, am Anfang waren wir eine von neun Firmen, die Angebote gemacht haben. Jetzt gibt es nur noch uns und DFP.«
»Und?«
»Es sieht gut aus.«
Scotts erwartungsvoller Gesichtsausdruck ermutigt Jay, ins Detail zu gehen. »Wir gingen nach unserer Standardtaktik vor und sie scheint ein weiteres Mal zu greifen.«
Wer auf dem großen Markt der Informationstechnologie konkurrenzfähig bleiben will, braucht weit mehr als nur ein gutes Produkt. Wenn man bedenkt, dass das Auftragsvolumen im Durchschnitt einige Millionen Dollar beträgt, nicht selten aber auch einige hundert Millionen, dann liegt es auf der Hand, dass gute Verkaufsstrategien überlebenswichtig sind.
Scott hat für den Vertrieb eine eigene Verkaufsstrategie entwickelt. Ihm war nicht entgangen, dass Computersysteme in rasantem Tempo immer mehr der üblichen Büroarbeiten übernommen hatten, ohne dass dafür adäquate Standards entwickelt worden wären. Er fand einen Weg, dieses Handicap der gesamten Branche in einen Wettbewerbsvorteil zu verwandeln. Ganz am Anfang des Spiels, möglichst noch bevor ein potenzieller Kunde Angebote verschiedener Softwareunternehmen angefordert hat, machen seine Leute bereits ihre Hausaufgaben. Sie finden heraus, wer in dem betreffenden Unternehmen die vorgeschlagene Softwarelösung wahrscheinlich testen wird. Diesen Profis gilt nun ihre ganze Aufmerksamkeit. Während die Konkurrenz eifrig damit beschäftigt ist, die Entscheidungsträger des Unternehmens auszumachen und den Kontakt zu ihnen zu suchen, sind Scotts Leute ebenso eifrig dabei, die wirklichen Zielpersonen zu instruieren. Jedoch nicht etwa darüber, wie das BGSoft-System funktioniert, sondern ganz allgemein darüber, wie ein für das jeweilige Unternehmen passendes Computersystem beschaffen sein sollte, welche Vor- und Nachteile die angebotenen Konfigurationen haben, welche Features wirklich wichtig sind und welche nur dazu dienen, Neulinge zu beeindrucken.
Das Know-how, das Scotts Leute vermitteln, setzt die Standards, bevor der eigentliche Kampf um den Kunden beginnt und es bildet die Kriterien, nach denen der Kunde entscheidet, welches Angebot sich am besten für ihn eignet. In einer Branche, in der es eigentlich keine Standards gibt, hat das Unternehmen so einen enormen Vorteil.
Scott wirft einen Blick auf seinen Monitor. »Ich sehe, dass DFP sein erstes Angebot um jede Menge weiterer Features verbessern musste, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird.«
»Ja.« Jay lächelt. »Der erste und der zweite Versuch waren totale Flops. Und gestern hatten sie die letzte Chance, das Finanzcontrolling zu rationalisieren. Man munkelt, dass sie sich ziemlich blamiert haben. Ich glaube, dass Alkar sie nur mit im Rennen hält, um bessere Bedingungen aus uns herauszuquetschen.«
»Und wie steht es damit?«
»Besser als erwartet. Das Budget ist verabschiedet und wir haben uns auf die Anzahl der parallelen Nutzer geeinigt. Soviel ich weiß, sind die Verhandlungen mit KPI Solutions über den Support bei der Programmeinrichtung abgeschlossen.« Jay beugt sich vor und fügt leise hinzu: »Und wir haben noch nicht mal unsere Geheimwaffe eingesetzt – die Möglichkeit, Wartungsgebühren für jedes Modul gesondert abzurechnen.«
Selbstbewusst setzt er hinzu: »Wir treffen uns nächsten Montag mit ihnen, um die letzten Details festzulegen. Ich erwarte da keine Probleme mehr.«
Scott lächelt. Er wartet, bis Jay ihn direkt ansieht, und fragt dann sanft: »Wenn es so gut aussieht, wie kommt es dann, dass Sie in Ihrem Verkaufsbericht die Chancen, diesen Deal in diesem Monat abzuschließen, nur auf 50 Prozent einschätzen?«
Jay rutscht unbehaglich auf seinem Stuhl herum. »Das ist nur, weil ...«
»Erwarten Sie noch irgendwelche Überraschungen? Einen Gegenschlag in letzter Minute vielleicht?«, versucht Scott ihm zu helfen.
»Nein, eigentlich nicht. Meiner Meinung nach ist es zu spät für DFP. Nichts wird jetzt noch irgendetwas ändern, egal, was sie noch ins Spiel zu bringen versuchen. Es hat nichts mit DFP oder dem Kunden zu tun, es ist nur ...«
Offensichtlich fühlt sich Jay nicht wohl in seiner Haut. Dann nimmt er seinen Mut zusammen: »Ich dachte nur, dass es in Ihrem Sinne ist, wenn wir besonders vorsichtig sind.«
»Sie meinen die berüchtigte allererste Regel? Meine Redensart: ›Seien Sie paranoid‹?«
»Genau.« Jay ist verlegen.
»Also versuchen Sie in Ihren Verkaufsberichten, von denen Sie genau wissen, dass ich sie lese, paranoid zu sein?«
»Ja.«
Grinsend lehnt sich Scott zurück. »Jay, wenn Sie meinem Vorbild folgen wollen, dann sollten Sie bedenken, dass für mich ›paranoid‹ eine andere Bedeutung hat als allgemein üblich. Meiner Meinung nach verwechseln die meisten Leute ›paranoid‹ mit dem, was ich unter ›kurzsichtig‹ verstehe. Wissen Sie, wie schwierig es ist, wirklich paranoid zu sein?«
»Um paranoid zu sein«, fährt Scott nach einer kurzen Pause fort, »müssen Sie die Auswirkungen Ihrer Handlungen beständig in einem globalen Zusammenhang sehen. Das wiederum bedeutet, dass Sie alles daransetzen müssen, diese globalen Zusammenhänge auch wirklich zu verstehen. Verstehen Sie, was ich meine?«
Jay schaut ein wenig unsicher.
»Möchten Sie, dass ich es Ihnen erkläre?«
»Ja, bitte«, erwidert Jay. Er wartet darauf, das zu hören, wovon man ihm schon viele Male berichtet hat. Sein Chef ist berühmt dafür, in privaten Unterhaltungen ganz neue Dimensionen für das Verständnis des Unternehmens zu öffnen. Jedenfalls behaupten das die Glücklichen, die in den Genuss einer solchen Unterredung gelangt sind.
»Haben Sie Firmenoptionen?«
»Ja. Ich halte auch ein paar Aktien.«
»Und Sie wissen wahrscheinlich, was sie wert sind?«
»Heute Morgen lagen sie bei 76 und fünf Achtel. Sie sind um nur einen halben Punkt gestiegen.«
»Wie ich sehe, halten Sie sich auf dem Laufenden«, nickt Scott anerkennend. »Ist Ihnen ein Unterschied zwischen unseren Aktien und den großen Blue Chips, etwa General Motors oder General Electrics, aufgefallen?«
»Unsere Aktien steigen schneller«, erwidert Jay.
»Das war im letzten Jahr so, aber auch nur ein klein wenig«, korrigiert ihn Scott. »Ich meine einen anderen Unterschied, einen, der uns in eine ganz andere Kategorie bringt als die übrigen erstklassig notierten Unternehmen?«
Jay weiß nicht, worauf Scott hinaus will.
»Ein Faktor, der den Wert eines Unternehmens festlegt, ist der Gewinn, den es erwirtschaftet. Der Markt legt den Wert der meisten Unternehmen zwischen dem Zehn- bis Fünfundzwanzigfachen ihres jährlichen Gewinns fest. Das wird als Multiplikator bezeichnet. In den Achtzigern gab es eine Gruppe von Unternehmen, die eine Zeit lang beispiellos hohe Multiplikatoren aufwiesen. Diese Unternehmen kamen aus einem neuen Industriezweig – der Gentechnik. Zu dieser Zeit glaubte man, dass mit der neuen Technologie viel Geld zu machen sein würde. Diese Unternehmen wurden mit Multiplikatoren gehandelt, die bis an die 40 heranreichten!«
Scott gibt Jay einen Moment Zeit, diese Zahl zu verdauen, dann kehrt er zu seinem Thema zurück.
»Kennen Sie den Multiplikator, mit dem unsere Aktien gehandelt werden?«
Jay hat keine Ahnung.
»Mehr als 100!« erklärt Scott.
Jay ist begeistert. »Das ist hervorragend!«
»Ja, das ist es. Es ist wundervoll, wenn ein kleines Unternehmen um 30 Prozent wächst, sagen wir von 3 Millionen Dollar auf 4 Millionen. Wundervoll, aber nicht außergewöhnlich. Aber diese Wachstumsrate würde man kaum bei einem Unternehmen von 30 Millionen Dollar Umsatz erwarten und schon gar nicht bei einem Unternehmen von 300 Millionen Dollar.«
»Aber ...« Jay kann sich nicht länger zurückhalten: »Letztes Jahr sind wir von 900 Millionen Dollar auf ... auf ...«
»Genau. Wir haben es geschafft. Wir haben das letzte Jahr mit einem Umsatz von 1 Milliarde 370 Millionen Dollar abgeschlossen. Wir haben über 40 Prozent zugelegt. Und nicht nur im letzten Jahr, sondern auch im Jahr davor und in dem Jahr davor.«
»Also wird der Markt erwarten, dass wir das Gleiche auch dieses Jahr schaffen.« Allmählich beginnt Jay zu verstehen. Da er ein professioneller Kaufmann ist, weiß er, dass es einen guten Eindruck macht, wenn er seine Erkenntnisse noch einmal zusammenfasst. »Der hohe Multiplikator, den der Markt uns zuteilt, fußt auf der Erwartung, dass wir weiterhin in so einem phänomenalen Tempo wachsen werden.«
Scott nickt zustimmend und fährt dann mit seinen Ausführungen fort. »Und obwohl unsere Leistung so gut ist, würde sie doch nicht ausreichen, um diesen unglaublich hohen Multiplikator von über 100 zu halten. Das liegt auch an dem Vertrauen, das der Markt unser Branche entgegenbringt.«
Es entgeht ihm nicht, dass Jay ihm nicht ganz folgen kann. »Das liegt nicht nur an uns, sondern auch an unseren Konkurrenten. Alle unsere Konkurrenten wachsen ungefähr mit der gleichen Geschwindigkeit. Quartal für Quartal geben die Großen unserer Branche Zuwachsraten von 40 Prozent pro Jahr bekannt. Das ist mittlerweile der Standard. Sie sehen also, Jay, dass der Markt diese Zuwachsraten von uns nicht nur erhofft, sondern mittlerweile für selbstverständlich hält.«
Jay nickt.
»So einen hohen Multiplikator zu haben übt einen enormen Einfluss auf unser Unternehmen aus«, fährt Scott fort. »In gewisser Weise ist das der Schlüssel zu unserem rasanten Wachstum.«
In der Annahme, dass Jay dieser Aspekt bisher entgangen ist, erklärt Scott: »Um wachsen zu können, müssen wir unsere Produktpalette ständig erweitern. Wir sind in der beneidenswerten Position, diese Produkte nicht von Anfang an entwickeln zu müssen. Wir müssen keine Zeit darauf verwenden, um ein Produkt und das notwendige Know-how zu entwickeln. Wir suchen uns einfach die beste Firma auf dem Markt und kaufen sie. Egal zu welchem Preis. Und wir müssen nicht einmal mit Geld bezahlen. Unsere Aktien sind so wertvoll, dass wir mit einem Bruchteil des Wertes bezahlen können, den der Takeover wirklich hat.«
Scott hält inne und sieht Jay an. »Lassen Sie uns jetzt einmal paranoid sein. Können Sie in dieser durchaus positiven Situation irgendwelche versteckten Gefahren entdecken?«
Jay weiß, dass er nun ein wenig geprüft wird und lässt sich mit der Antwort Zeit. »Wird es nicht zunehmend schwieriger, diese Zuwachsrate zu halten? Ich meine, jetzt, wo wir die Milliardengrenze erreicht haben ...«
»Ja, das ist es. Erst heute Morgen habe ich mir gesagt, je besser es wird, desto schlechter wird es. Aber wissen Sie, welche Gefahr ich genau meine?«
»Der Markt geht ganz selbstverständlich davon aus«, sagt Jay, »dass wir auch weiterhin um 40 Prozent pro Jahr wachsen werden. Wenn wir also diese Prognose auch nur ein einziges Mal nicht erreichen ... und sei es nur um ein kleines bisschen ...«
»Das ist der Punkt. Was wird dann geschehen?«
»Ich nehme an, dass der Markt sein Vertrauen in uns verliert und unsere Aktienkurse entsprechend einbrechen.«
»Genau. Diese Prognose zu verfehlen und Gewinnmeldungen vorzulegen, die die Erwartungen um sagen wir mal 30 Millionen unterschreiten, hätte ernste Konsequenzen. Ich schätze, dass unsere Aktienpreise um ungefähr 20 Prozent fallen würden. Der liebe Gott bewahre uns davor, zwei Quartale hintereinander die Prognose nicht zu erreichen. Dann wäre der Markt gezwungen, uns neu einzuschätzen und darüber zu spekulieren, ob wir mit unserem schnellen Wachstum am Ende sind. In diesem Fall wäre ich nicht überrascht, wenn unsere Aktien auf vielleicht 20 Prozent ihres derzeitigen Wertes sinken würden.«
»Ein Desaster!«, ruft Jay.
»Das können Sie wohl laut sagen«, bestätigt Scott. »Glücklicherweise sind wir von einer solchen Situation weit entfernt«, lächelt er selbstsicher und führt seine Ideen weiter aus: »Paranoid zu sein bedeutet also, selbst in guten Zeiten die Gefahren im Blick zu behalten und einzuplanen. Sie sehen, wie hilfreich das in unserer speziellen Situation ist. Ein durchschnittliches Unternehmen sollte sich darauf konzentrieren, seinen Gewinn zu maximieren. Da wir unser Geschäft sehr genau analysieren, wissen wir, dass für uns nicht der Gewinn das Entscheidende ist, sondern die Stabilität unserer Zuwachsrate, denn sie beeinflusst unsere gesamten Aktivitäten.«
Jay schweigt und denkt über das nach, was er gerade gehört hat. »Jetzt verstehe ich allmählich«, murmelt er schließlich.
»Was?«
»Jetzt verstehe ich, was mir vor kurzem widerfahren ist. Ich war gerade dabei, einen netten Vertrag von über 40 Millionen Dollar abzuschließen. Es fehlt nur noch ein kleines Zugeständnis bei der Benutzeranzahl, eine Routinesache. Dann wurde ich angewiesen, nicht nachzugeben.« Jays Stimme macht deutlich, wie sehr der Vorfall ihn irritiert hat. »Es bestand keine Gefahr, den Vertrag zu verlieren, aber die Sache hat sich deswegen um beinahe zwei Monate verzögert.«
»Und zu welchen neuen Erkenntnissen sind Sie nun gekommen?«
»Ich vermute, dass wir für dieses Quartal schon genug hatten und deshalb den Verkauf auf das nächste Quartal verschieben wollten.«
Scott sieht auf seine Uhr. Es ist Zeit, die Unterredung zu beenden. »Jay, ich hoffe, dass Sie jetzt verstehen, was ich meine, wenn ich Sie dazu auffordere, ›paranoid‹ zu sein. Lassen Sie sich nicht von dem guten Anschein einer Sache blenden und ergreifen Sie die geeigneten Maßnahmen, um wirklichen Erfolg zu garantieren.«
»Das werde ich«, versichert Jay.
Scott steht auf und meint beiläufig: »Unter diesem Aspekt sollten Sie vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob die Chancen dieses Geschäftesabschlusses, den wir beinahe in der Tasche haben, wirklich nur bei 50 Prozent liegen.«
Jay grinst über das ganze Gesicht. »Ich habe verstanden, worauf Sie hinauswollen.« Beschwingt verlässt er den Raum.
Als Scott an seinen Schreibtisch zurückkehrt, murmelt er vor sich hin: »Er hat es verstanden, aber habe ich es auch verstanden?«
Die Dinge sind mit jedem Quartal schwieriger geworden. Das letzte Quartal hatte keine sichere Prognose zugelassen, trotz des Jahresabschlusses. Es gab keine Abschlüsse, die in das neue Jahr mitgenommen werden konnten. Die Messlatte war höher gerückt und sie zu überspringen wurde immer schwerer. Was taten sie, um diese Situation zu korrigieren? Hatte BGSoft die richtige Strategie? Eine Strategie, die die Wachstumsrate sicherte?
Bislang hatte man sich darauf beschränkt, das Gleiche immer öfter zu tun und Scott tat nichts als darüber zu wachen, dass alles reibungslos funktionierte.
Er kümmerte sich um die großen Geschäftsabschlüsse, die am Kochen waren, er kontrollierte seine Führungsleute und den Fortschritt ihrer Entwicklungsbemühungen, die Qualität des Services, den sie ihren Kunden boten – die Liste der Kleinigkeiten, die seine gesamte Zeit in Anspruch nehmen, war endlos. Aber würde das auch in Zukunft ausreichen? Würde es genügen, das Gleiche in stets größerem Umfang zu tun?
Kapitel 2
23. Februar 1998
Um genau acht Uhr dreißig öffnet sich in der Zentrale die elektrische Tür der Abteilung Systementwicklung und Lenny tritt ein. Er hat eine ganz eigene Art, seine Aktentasche und zwei Tassen zu tragen. Die beiden Tassen, Kaffee mit Milch in der einen, schwarzer Tee in der anderen, sind Lennys Markenzeichen.
Roger, Vizepräsident der Systementwicklung, sitzt in seinem Büro, das sich rechts von Lennys befindet. Er wirft einen Blick auf seine Uhr. Pünktlich wie immer, denkt er. Er wäre jede Wette eingegangen, dass sich nichts an dieser Verabredung je ändern würde. Lenny und Scott waren wahrscheinlich wieder gemeinsam essen gewesen. Roger sammelt die Papiere von seinem Schreibtisch und folgt Lenny in dessen Büro.
Lenny setzt die Tassen ab, lässt seine Aktentasche fallen, trinkt schnell einen Schluck und sieht dann auf. »Guten Morgen, Roger. Bevor du auf die Idee kommst zu fragen, die Antwort ist ja, der Termin für die bearbeitete Version ist immer noch der 15. April. Um die Features für die Beurteilung der Vertriebsperformance werde ich mich nicht kümmern können, es sei denn, es gelingt mir heute noch, die detaillierten Spezifikationen fertig zu stellen. Noch Fragen?«
Roger holt Luft: »Lenny, ich schlage vor, dass wir noch einmal die Liste der Features für Version 7.2 durchgehen. Die Liste ist viel zu lang, um realisierbar zu sein. Ich rede nicht über Umsatzprämien für den Außendienst. Ich befürchte, dass wir nicht genug Zeit für die Qualitätssicherung haben werden. Wir müssen unseren Programmierern klare Prioritäten setzen.«
Lenny denkt ein paar Sekunden lang nach. »Ich weiß genau, was passiert, wenn ich auch nur in einem Punkt nachgebe. Und ich bin nicht bereit, auf irgendeins der angebotenen Features zu verzichten.«
»Das ist nicht fair, Lenny«, erwidert Roger. »Du kannst nicht alles haben. Wenn das Programm termingerecht freigegeben werden soll, dann musst du uns bei der Anzahl der Features einen gewissen Spielraum einräumen.«
Lenny schaut Roger an, denkt eine Weile nach und sagt dann: »Okay, Roger, ich nenne dir die Prioritäten, aber ausschließlich für den Fall, dass du alles Menschenmögliche versucht hast und es zeitlich trotzdem nicht hinhaut. Aber vergiss nicht, ich will alles. Wo ist die Liste?«
Roger ist offensichtlich erleichtert und holt die Liste heraus, in die Lenny sich vertieft. Das Telefon klingelt, aber Lenny nimmt nicht ab.
Dann unterbricht der Anrufbeantworter das Klingeln: »Hier ist Rudy von KPI Solutions. Ich habe einen wichtigen Kunden, dessen Vertrag bei NAM ausgelaufen ist und der jetzt zu uns kommen will. Wir müssen ihm zeigen, wie wir eine coole, schnelle Implementierung machen. Wenn es nicht gelingt, die Daten zu konvertieren, dann ist die Implementierung gekillt. Ich bin hier in einer sehr schwierigen Situation. Bitte rufen Sie mich so bald wie möglich zurück.«
Lenny sieht Roger an. »Auch wenn KPI Solutions beinahe ausschließlich für uns arbeitet, heißt das nicht, dass wir sie vernachlässigen dürfen«, sagt er.
»Du brauchst mich nicht daran zu erinnern, dass KPI unser größter Systemintegrator ist.« Roger ist beinahe beleidigt.
»Aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass Phils Team mit der Webanbindung beschäftigt ist. Und du hast gesagt, das hat die erste Priorität.«
Lenny zuckt mit den Schultern. »Phils Team hat vielleicht viel zu tun, aber deshalb können wir KPI nicht im Regen stehen lassen. Du weißt so gut wie ich, dass wir genauso von KPI abhängig sind wie sie von uns. KPI Solutions implementiert bei über 80 Prozent unserer Kunden die Software.«
Roger erklärt, was er bereits unternommen hat, um das Problem zu lösen. »Ich habe Arthur in unserem Londoner Büro die Sache übertragen. Er hat mir eine Antwort innerhalb von zwei Wochen versprochen. Ich habe herausgefunden, dass er die Aufgabe einer gewissen Mary anvertraut hat. Arthur hat auf sie geschworen, sie muss eine brillante Programmiererin sein, aber sie ist noch ein halbes Kind mit wenig Erfahrung. Nachdem die ersten beiden Versuche, die Daten zu konvertieren, gescheitert sind, habe ich Arthur aufgefordert, sich der Sache selbst anzunehmen. Aber das hat offensichtlich auch nicht viel geholfen. Es muss sich also um einen wirklichen ernsten Fehler handeln. Ich werde Steve Chin bitten, jemand wirklich Guten daranzusetzen.«
Er hält inne und holt tief Luft.
»Warum starrst du mich an? Ich werde es nicht selbst machen. Das letzte Mal, dass ich eine Programmzeile geschrieben habe, liegt 13 Jahre und drei Monate zurück – die Tage zähle ich nicht.«
Lenny lächelt. »Vor ein paar Jahren war das alles noch anders. Ich kann mich daran erinnern, dass du solche Probleme in weniger als 15 Minuten gelöst hast.«
Roger erwidert das Lächeln. »Du musst da jemanden verwechseln.« Dann setzt er hinzu: »Einige unserer Leute sind wirklich hervorragende Programmierer, aber ich kann sie nicht dauernd rausreißen. Wenn sie ihren Job ständig unterbrechen müssen, um Fragen zu beantworten und Fehler zu finden, endet ihre eigene Arbeit im Chaos.«
»Ich plane gerade ein System, das so einfach und benutzerfreundlich ist, dass es keine Fragen, Gebrauchsanweisungen und Technikzentren mehr geben wird«, triumphiert Lenny. »Komm nächste Woche noch einmal vorbei und ich zeige es dir. Das wird wirklich alle unsere Probleme lösen.«
»Was?« Roger schnappt hörbar nach Luft.
»War ein Witz«, kichert Lenny. »Wenn ich in Schwierigkeiten bin, muss ich einfach Witze machen. Mein jüdisches Erbe. Aber ganz nebenbei, es ist nicht so schwierig, ein Computersystem zu schreiben, das beim ersten Mal funktioniert. Du musst nur ein System entwickeln, das nichts tut und du hast eine 12-prozentige Chance, dass es reibungslos funktioniert. In den übrigen Fällen wird es irgendetwas tun – und das bedeutet, dass irgendwo Fehler sein werden. Stachelschweine haben Stacheln und Computerprogramme haben Fehler, so ist nun einmal das Leben.«
Roger grinst gequält. Lennys Witze sind selten komisch, aber wer will schon jemanden beleidigen, indem er nicht über seine Witze lacht? Außerdem mag er Lenny. Jeder mag Lenny und er ist einfach zu wichtig, als dass man es riskieren würde, seine Gefühle zu verletzen.
Lenny ist fertig mit der Liste. Bevor er sie Roger zurückgibt, sagt er: »Übrigens, Maggie hat sich eingeladen, um mit mir über einen Bericht zu sprechen, den sie mir geschickt hat. Es geht darum, wie wenige der Features ich genehmigt habe, die von KPI Solutions nachgefragt wurden. Ich glaube also nicht, dass ich dir zu viele Features aufgetragen habe. Hier ist deine Liste, Roger. Und denk dran: Ich möchte, dass in der Endversion alle Features enthalten sind.«
Als Roger gegangen ist, versucht Lenny sich auf die technischen Einzelheiten des Vertriebsmoduls zu konzentrieren, die seiner Meinung nach überhaupt nicht nötig sind. Aber wenn ein 6-Milliarden-Dollar-Unternehmen einen Wunsch äußert, muss sogar er sich fügen. Er versucht, die neuen Programmteile so zu gestalten, dass sie keinen Schaden anrichten können. Eine echte Herausforderung. Die Tür geht auf. Lenny konzentriert sich auf seine Arbeit. Er hat schon vor langer Zeit gelernt, dass es nicht ausreicht, beschäftigt zu sein, man muss auch danach aussehen. Oft genug dachten die Leute, er hätte nichts zu tun, bloß weil er dasaß und an die Decke starrte. Er hat seine Lehren daraus gezogen und zwingt sich jetzt, stattdessen auf den Computerbildschirm zu starren. Nun glauben die Leute, dass er tatsächlich beschäftigt ist, aber selbst das hilft nicht immer.
Er starrt noch eine Weile auf den Monitor und schaut dann erst hoch.
»Lenny«, sagt Roger, »da ist noch dieser junge, französische Programmierer, den ich dir vorstellen möchte.«
»Gern, aber ich habe keine Zeit. Nicht heute.«
»Das hast du letzte Woche auch schon gesagt. Man hat ihn vor zwei Monaten rübergeschickt, damit er an dem neuen Display für das ATP-Modul arbeitet, das Available-to-Promise-Modul für die Verfügbarkeitsprüfung im Internet. Und ich vermute, dass man ihm den Eindruck vermittelt hat, er könne mit dir zusammenarbeiten.«
Lenny zuckt nur mit den Schultern.
Roger versucht es mit einer anderen Taktik. »Er glaubt, dass im ATP-Modul ein Fehler steckt und er besteht darauf, mit dir persönlich darüber zu sprechen.«
»Konnte er dich davon überzeugen, dass das so ist?«
»Ja. Ich glaube ihm. Er hat ein sehr detailliertes Beispiel und eine Analyse vorbereitet. Sehr beeindruckend, das Ganze.«
»Was genau ist das Problem? Wenn du es für so wichtig hältst, dann nimm es mit in die Liste.«
»Lenny, darum geht es doch gar nicht. Dieser Junge ist wirklich brillant, auch wenn er ein bisschen durchgeknallt ist. Er hat gesagt, dass er nach Hause fährt, wenn er nicht mit dir sprechen kann. Und ich glaube, es ist ihm durchaus ernst damit. Lenny, das ist ein schlauer Junge. Wir brauchen Leute wie ihn.«
»Okay, dann schick mir das Wunderkind.«
Die Unterhaltung mit Jean-Claude dauert länger als eine halbe Stunde und während dieser Zeit laufen noch zwei weitere Anrufe auf Lennys Anrufbeantworter. Lenny versteht jetzt, warum Roger so stark daran interessiert war, ihm den Jungen vorzustellen. Jean-Claude hat das Zeug zu einem Star. Er ist ein Programmierer mit einem breiten Verständnis für die Anwendung von Software. Bits und Features scheinen ihn weniger zu faszinieren. Ganz nebenbei hat er auch noch einen logischen Fehler in einem der Programme gefunden, die Lenny geschrieben hat. Lenny weiß es durchaus zu würdigen, wenn jemand in der Lage ist, in seinen Spezifikationen Fehler aufzuspüren.
Als das Telefon klingelt, denkt Lenny immer noch über die neuen Programmschritte nach, denen er gerade zugestimmt hat. Er hat dem Jungen erlaubt, den Fehler zu korrigieren, aber jetzt wünscht er sich, er hätte das Ganze nicht so schnell akzeptiert, denn nun muss eine ganze Reihe an Veränderungen in die neue Version integriert werden, nur weil ein einziger Fehler korrigiert worden ist. Das wird Sharon gar nicht gefallen. Das Telefon klingelt weiter und er macht den Fehler, den Hörer abzunehmen.
»Hallo, Lenny, hier ist Rudy. Wir haben da dieses Problem bei MACTEL mit den Konvertierungen von NAM. Wir müssen es wirklich ganz schnell lösen. Eigentlich müssen wir nur mit dem Finanzmodul beginnen, aber es gibt Probleme mit der Konvertierung und wir kommen nicht weiter. Roger hat versprochen, dass das Konvertierungsprogramm höchste Priorität bekäme, aber es funktioniert einfach nicht. Wenn ich das Finanzmodul aufrufe, stürzt das Programm wegen fehlerhafter Daten ab. Ich habe jetzt schon das dritte Konvertierungsprogramm, das eigentlich funktionieren sollte, aber sie stürzen alle ab. Ich habe die Programmiererin gefunden, die an dem Projekt arbeitet. Sie heißt Mary und gehört zu dem Londoner Team. Ich habe in London angerufen und mit ihr gesprochen. Lenny, auf mich wirkt sie, als hätte sie überhaupt keine Ahnung.«
»Rudy, ich habe gerade mit Roger darüber gesprochen. Gib uns noch zwei Tage Zeit, wir kümmern uns darum.«
»Ich wünschte, ihr würdet euch um sie kümmern, Lenny. Ich weiß, dass du jede Menge wichtigere und schwierigere Dinge erledigen musst, aber wir reden hier von einem großen Kunden, den wir überredet haben, von NAM zu BGSoft zu wechseln. Du weißt selbst, wie viel Mühe wir uns machen, um der Konkurrenz die Kunden abzujagen. Ich befürchte wirklich, dass wir den Kunden verlieren, wenn es uns nicht gelingt, unsere Software schnell zu installieren. Kümmere dich bitte um das Problem! Ich weiß, dass du Programmschwierigkeiten in zehn Minuten beseitigen kannst.«
Lenny mag penetrante Leute – er nennt sie Bulldoggen – durchaus gern, aber nicht, wenn er ihre Zielscheibe ist. Andererseits möchte er Rudy nicht mit einer boshaften Bemerkung verärgern. Rudy ist von Boyd and Neel zu KPI Solutions gewechselt. Da Maggie sich zurzeit überall nach guten Beratern umsieht, sollte Lenny lieber freundlich zu so einem Import sein. Widerstrebend sagt er zu, mit Arthur in London zu sprechen. Dann schließt er die Tür und stellt das Telefon ab. Allmählich nimmt das gewünschte Feature für die Vertriebsperformance in seiner Vorstellung Gestalt an. Es gibt einen Weg, wie man es einbringen kann, ohne dass viele neue Programmierungen nötig werden. Aber das erfordert viele kleine Veränderungen. Er könnte es schnell selbst machen, es wäre zu kompliziert, es jemandem zu erklären.
Soll er es selbst machen? Es würde sicher nicht lange dauern, bis einige Leute erkennen, dass es nicht ganz das ist, was sie eigentlich erwartet hatten. Weitere Veränderungen würden erforderlich sein. Aber dann würde es bereits Teil des gesamten Pakets sein und niemand könnte die notwendigen Anpassungen mehr vornehmen. Es würde nur Ärger geben. Früher waren die Dinge viel einfacher. Lächelnd erinnert er sich daran, wie alles angefangen hat. Auf einen simplen Nenner gebracht, gab es die Firma BGS oft nur, weil Scott sich darüber ärgerte, dass ein Professor ihm für eine Diplomarbeit, die er selbst als sein Meisterwerk betrachtete, nur ein »befriedigend« gegeben hatte. Das Seminar trug den Titel »Trends vorhersagen«. Scott, der die Semesterferien als Aushilfsprogrammierer verbrachte, hatte sich die Computerindustrie für seine Seminararbeit ausgesucht. Im Jahre 1979 wurde diese noch völlig von den Hardwareherstellern dominiert. Da gab es zum Beispiel IBM, damals ein gigantisches Unternehmen, das 70 Prozent des Weltmarktes beherrschte, dazu noch viele kleinere Unternehmen, deren jährlicher Umsatz bei mehreren hundert Millionen Dollar lag. Es gab nur wenige kleine Softwareunternehmen, die die Zubehörpakete herstellten. Eine Softwarefirma mit einem Umsatz von 10 Millionen Dollar pro Jahr galt zu dieser Zeit als großes Unternehmen.
Zwei neue Entwicklungen waren gerade eingeführt worden. Da waren zunächst einmal die Minicomputer, deren Leistungsfähigkeit an die der großen Mainframerechner nahezu heranreichte. Was noch ein paar Jahre zuvor mehrere Millionen Dollar gekostet hatte, konnte nun für weniger als 200000 Dollar erworben werden. Die zweite Entwicklung waren Terminals, die schnell das Lochkartensystem ersetzten, mit dessen Hilfe man zuvor mit dem Computer kommuniziert hatte. Dies waren tief greifende Veränderungen, aber kaum jemand konnte sich vorstellen, dass die Softwareunternehmen je mit den Hardwarefirmen gleichziehen würden. Außer Scott.
Er hatte erkannt, dass die Minicomputer und die Terminals alle größeren Hindernisse überwinden würden, die einer kommerziellen Anwendung im Wege standen. Eine kleine Softwarefirma konnte sich jetzt durchaus einen Computer leisten. Durch die Terminals, die direkt mit den Minicomputern verbunden waren, konnten die Programmierer ihre Programmtexte dutzendmal am Tag testen und nicht mehr nur drei- oder viermal. Das, so schloss Scott, würde dazu beitragen, die zusammengeschusterten, hausgemachten Programme, die die Unternehmen einsetzten, durch billigere, leichter zu wartende und leistungsfähigere Pakete zu ersetzen, die von vielen Unternehmen genutzt werden konnten.
Ausgehend von der Annahme, dass die Preise für Hardware weiter fallen würden und voraussehend, dass das Interesse an diesen leistungsfähigen Maschinen steigen würde, verkündete Scott in seiner Seminararbeit, dass der Markt für große Softwareanwendungen explodieren würde. Bedauerlicherweise teilte sein Professor diese Ansicht nicht. Damals hatten nur sehr wenige Leute Zugang zu einem Computer, sodass Scott nur wenige Zuhörer fand, die er für seine Ideen begeistern konnte. Einer von ihnen war Lenny, ein Mathematikstudent, der seine Sommerferien in einem Zimmer neben Scotts verbrachte.
Lenny hörte aufmerksam zu und stellte einige Fragen, aber seine Schlussfolgerung kam einigermaßen überraschend: »Scott, du glaubst doch selbst nicht, was du da geschrieben hast.«
Auf Scotts wütende Antwort setzte er nur hinzu: »Wenn du wirklich daran glaubst, dann verschwende deine Zeit nicht damit, hier dumm herumzulabern. Mach es einfach. Gründe eine Softwarefirma.«
Scott nahm das Grundkapital auf, Lenny schrieb das Programm und Scott verkaufte es. Lenny passte die Programme an die Wünsche der Kunden an. Innerhalb von 20 Jahren wuchs die Firma von zwei Leuten auf an die 1000 Beschäftigte.
Es war so einfach, damals, als sie noch alles selbst machen konnten. Lennys Freude darüber, einen eleganten Weg gefunden zu haben, die Vertriebsperformance zu integrieren, wird von Frustration überschattet. Die Tage der einfachen Lösungen sind vorbei. Es ist besser, schwerfällige Umwege zu nehmen, als den direkten Weg zu gehen. Seine Lösung wird nicht in das Programm aufgenommen werden. Eigentlich schade.
Lenny fühlt, dass er in einer Zwickmühle steckt, nicht nur gerade jetzt, sondern bei allem, was er tut. Es liegt an dem monströsen System, das da herangewachsen ist. Aber heute wird er keine Lösung dafür finden. Eigentlich hat er gar keine Ahnung, wie er das Problem lösen soll.
Maggie, die Chefin von KPI Solutions, hat ihm ein Memo mit Beschwerden geschickt. Heute Nachmittag will sie kommen, um mit ihm darüber zu sprechen, und leider hat Lenny keine guten Neuigkeiten für sie.
Er wirft einen Blick auf seine Uhr, es ist schon nach zwei. Vielleicht sollte er einen Happen in der Cafeteria essen gehen, denn er hat Hunger. Aber es besteht immer das Risiko, dass ihn jemand sieht und ihn in irgendwelche Gespräche verwickelt. Besser, er lässt sich etwas in sein Büro bringen. Tee wäre auch schön. Also ruft er in der Cafeteria an und bestellt Geflügelsalat, Tee und Kaffee. Er hält den Hörer noch in der Hand, als ihm sein Versprechen an Rudy einfällt.
Er wählt die Nummer des Londoner Büros. Es dauert lange, bis sich eine weibliche Stimme meldet. »Kann ich bitte Arthur sprechen?« Lenny hofft, dass es nur einen Arthur in dem Londoner Büro gibt, denn er kann sich nicht an Arthurs Nachnamen erinnern.
»Es tut mir Leid, aber Arthur ist schon fort. Es ist niemand mehr im Büro.«
Wie merkwürdig. Ach nein, es ist ja schon nach neunzehn Uhr in London.
»Und wer sind Sie?«
»Mein Name ist Mary Wittaker. Ich gehöre zu Arthurs Team.«
»Oh, gut. Eigentlich möchte ich mit Ihnen sprechen. Soviel ich weiß, arbeiten Sie an dem Konvertierungsprogramm für NAM und haben damit ein paar Probleme, nicht wahr?«
Einen Moment lang herrscht Schweigen.
»Mit wem spreche ich, bitte?«
»Lenny Abrahms.«
Wieder bleibt die Leitung still.
»Mary, machen Sie sich keine Sorgen. Ich war auch mal Programmierer. Ich dachte nur, dass wir uns über diesen Fehler unterhalten könnten. Die Leute, die mit MACTEL zusammenarbeiten, sind ein bisschen nervös geworden und sie haben keine Ahnung von Programmierung. Ich dachte, ich könnte vielleicht behilflich sein.«
Mary braucht eine Weile, um sich zu beruhigen und gelassen mit dem ›großen Lenny‹ zu sprechen. Kaum 15 Minuten später, in denen immer wieder irgendjemand an Lennys Tür klopft, ist es ihm gelungen, den Fehler in der Stücklistenstruktur aufzuspüren.
»Das kann nicht sein«, ruft Mary aus. »Ich habe das schon dreimal überprüft.« Aber halt, so etwas wie »das kann nicht sein« sollte man eigentlich nicht zu Lenny sagen.
»Überprüfen Sie es noch einmal. Es muss dort sein, alles deutet darauf hin.« Wieder wird an seine Tür geklopft.
»Sorry, ich muss jetzt auflegen. Überprüfen Sie das, Mary, ich habe immer noch eine gute Nase für Fehler.«
Das Klopfen wird lauter. Lenny öffnet seine Tür. Er hat vergessen, dass er abgeschlossen hatte. Seine Sekretärin steht davor, zusammen mit dem Ober aus der Cafeteria, der ein Tablett in den Händen hält.
»Bitte entschuldigen Sie, aber Sie haben Ihr Telefon abgestellt.«
Auf dem Schreibtisch findet sich kein freies Plätzchen mehr. Lenny bedeutet dem Ober, das Tablett auf einen Stapel Papier zu stellen.
»Sie haben nicht mehr viel Zeit«, erinnert ihn seine Sekretärin. »Sie sollen sich mit Maggie in Scotts Büro treffen. Das Meeting beginnt in weniger als zehn Minuten.«
»Okay, ich nehme nur schnell ein Häppchen vom Salat und dann gehe ich hinüber. Ich werde aggressiv, wenn ich Hunger habe und es ist nicht gut, Maggie gegenüber aggressiv zu werden.«
Drei Minuten später ist Lenny auf dem Weg zu Scotts Büro.
Kapitel 3
23. Februar 1998
»Wir haben uns um sieben Monate verspätet, es ist uns immer noch nicht gelungen, die Verkaufskonfiguration zu installieren, und Sie wollen mir erzählen, dass wir trotzdem den Vertrag mit Osboron in der Tasche haben?« Scott hat Mühe, diese Informationen zu verdauen. Dann setzt er ironisch hinzu: »Unsere Konkurrenten müssen wirklich in schlechter Verfassung sein.«
»Das ist eine Erklärung.« Maggie grinst. »Die andere ist die Jahr-2000-Problematik. Wenn Osboron deshalb nicht so unter Druck stünde, hätte wahrscheinlich niemand das Rennen gemacht.«
Scott lacht. »Wenn es das Jahr 2000 nicht gäbe, hätten wir es erfinden müssen. Diese Angelegenheit hat uns zu einem enormen Aufschwung verholfen. Wir haben wirklich Glück.«
Ernster setzt er hinzu: »Aber wir wissen beide, dass Glück nichts damit zu tun hat. Wir bekommen den Vertrag, weil unsere Leute Tag und Nacht gearbeitet haben. Ich weiß, dass Osboron ein besonders schwieriger Kunde mit einer Menge Sonderwünsche war, aber Maggie, waren wir wirklich so spät mit den Features, die wir zugesagt hatten?«
»Offen gesagt, jedes Einzelne hatte Verspätung. Und mein Team wäre auch mit weniger Systemfehlern zufrieden gewesen. Aber was zählt, ist, dass unsere Leute es geschafft haben, die Programmierung auf die Beine zu stellen. Und schließlich funktionieren auch die meisten dieser merkwürdigen Features.«
»Sie sind also zufrieden mit der derzeitigen Leistung?«
»Bei weitem nicht«, widerspricht Maggie energisch. »Wir haben da ein Problem. Ein ernstes Problem, das schnell wächst.«
»Den Eindruck habe ich auch. Haben Sie schon mit Roger darüber gesprochen?«
»Ständig. Er gibt sich große Mühe, aber er ist nur stellvertretender Leiter der Systementwicklung. Ich fürchte, dieses Problem kann er nicht lösen.«
»Wollen Sie deshalb mit Lenny sprechen?«
»Genau. Wir haben ein Meeting in ...«, sie blickt auf ihre Uhr, »weniger als 30 Minuten. Ich habe ihm vor zwei Tagen meine Analyse geschickt. Wir müssen einen Weg finden, diese zunehmende Verschlechterung aufzuhalten, und das schnell.«
Welche Verschlechterung?, fragt sich Scott. Er weiß, dass Maggie für Systemfehler keinesfalls so harte Worte benutzen würde.
Maggie führt ein hektisches Leben. Obwohl sie manchmal sogar Freunden gegenüber ein wenig kurz angebunden ist, ist sie doch ein netter Mensch. Ihr volles, rotes Haar lässt sie sportlich wirken und sie ist eine groß gewachsene, elegante Erscheinung.
Ihr warmes Lächeln und ihre blitzenden grünen Augen haben schon viele Geschäftsleute zu falschen Schlüssen veranlasst, wie sich Scott erinnert. Sie ist sehr ernst und arbeitet ausgesprochen hart. Was immer auch das Problem sein mag, Lenny und Maggie werden es sicher lösen können. Er muss sich jetzt eigentlich um andere Dinge kümmern, wie zum Beispiel die Umsatzzahlen. Scott fürchtet aber, dass es sich nicht um ein einzelnes Problem handelt, sondern eher um eine grundsätzliche Schwierigkeit, derer er sich annehmen muss. Er weiß, Implementierungsprobleme können alle Geschäftsbereiche beeinflussen.
Er trifft eine Entscheidung. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, Lenny hier bei mir zu sprechen?«
»Ganz im Gegenteil.«
Scott geht zur Tür. »Mary-Lou, können Sie Lenny fragen, ob er damit einverstanden ist, sich in meinem Büro mit Maggie zu treffen?«
Wieder an Maggie gewandt, sagt er: »Können Sie mir in der Zwischenzeit noch etwas über den Osboron-Vertrag erzählen?«
»Gut, also zurück zu Osboron. Wie schon gesagt, die Erstimplementation in der Abteilung Leichtflugzeuge haben wir letzte Woche den Systemeinkäufern von Osboron vorgestellt. Sie haben gestern beschlossen, nicht länger auf die DFP oder Data Storm zu warten und unser System als Standard im gesamten Unternehmen einzusetzen. Heute Morgen habe ich zugesagt, dass ich mich nächsten Montag persönlich mit ihnen treffen werde, um die geforderten Änderungen unserer Vorschläge von vor zwei Jahren durchzugehen.«
Bei all den Problemen und den häufigen Verzögerungen, die das Implementierungsteam in den letzten zwei Jahren erfahren hat, ist es kein Wunder, dass man dem Deal eine so geringe Wahrscheinlichkeit gegeben hat, denkt Scott. Nicht einmal im nächsten Quartal hatte er damit gerechnet.
»Wie groß ist Ihr Anteil?«, fragt Scott Maggie.
»Beinahe doppelt so groß wie Ihrer.« Sie grinst breit. »Sie werden nicht weniger als 90 Millionen an KPI Solutions zahlen müssen.«
»Das heißt, dass Sie noch 50 Leute mehr daransetzen müssen.« Scott geht mit Zahlen um wie ein Computer. Er hat im Geiste schon ausgerechnet, dass der Vertrag mit Osboron ausreichen würde, um das Quartal erfolgreich abzuschließen.
»Ungefähr 50«, bestätigt Maggie. »Wir sind darauf vorbereitet.«
»Ich weiß nicht, wie Sie das schaffen. Wir können uns den Luxus erlauben, überall in der Welt Programmierer anzuheuern. Wir müssen sie nicht einmal hierher holen. Sie wissen selbst, dass die Hälfte unserer Programmierarbeiten in unserem Büro in Indien geleistet wird. Sie aber sind viel weniger flexibel. Um Ihre Kunden in Frankreich bedienen zu können, brauchen Sie Leute, die nicht nur die Sprache sprechen können, sondern auch mit der französischen Kultur vertraut sind.«
»Das stimmt. Genug Leute zu haben, die gute Qualität abliefern, hat bei mir erste Priorität. Sie wissen, wie viel ich investiert habe, um ein Headhunter-Netzwerk aufzubauen.«
»Eigentlich nicht. Wie viel denn?«
»So viel wie nötig.« Maggie wirkt entschlossen. »Dieses Problem wird noch schlimmer werden. Sie haben Glück. Wenn ein Vertrag erst einmal unterzeichnet ist, nimmt der Kunde Ihre Leute nicht mehr oft in Anspruch. Bei mir ist das Gegenteil der Fall. Meine Leute arbeiten mit Ihren zusammen, bis wir den Vertrag haben, aber dann muss ich noch viel mehr Mitarbeiter anstellen, die zwei oder drei Jahre an dem Projekt arbeiten.«
»Und dafür bekommen Sie schließlich 2000 Dollar am Tag!«, versucht Scott sie zu ärgern.
»Darum geht es doch gar nicht«, widerspricht Maggie. »Wir verkaufen heute beinahe doppelt so viel wie noch vor zwei Jahren, also brauche ich für jeden Mann, der eine Implementierung abgeschlossen hat, zwei weitere für neue Implementierungen. Ich habe ausgerechnet, dass ich, wenn Sie nur in dem Umfang absetzen wie im Augenblick, was unrealistisch ist – wenigstens ...«
»Hallo!« Lenny tritt ein und setzt sich zu ihnen.
»Genau der Mensch, den ich gern sehen wollte«, wendet sich Maggie an ihn.
»Hallo, Lenny«, begrüßt ihn Scott. »Maggie, bevor Sie anfangen, Lenny zu bombardieren, können wir eben unser Gespräch beenden? Wie viele Leute werden Sie brauchen, was meinen Sie?«
»Wenigstens noch 2000 mehr. Und Sie sind ein Teil des Problems, Lenny.«
»Das ist wirklich eine Erleichterung.« Lenny ist offenbar nicht sehr betroffen. »Nachdem man mir den ganzen Tag vorgeworfen hat, ich sei das Problem, ist es nett zu hören, dass ich wenigstens für einen Menschen nur ein Teil des Problems bin. Vielen Dank, Maggie.« Er verbeugt sich galant.
Sie lächelt ihn an. »Haben Sie meine Analyse bekommen?«
»Ja. Sieht nicht so gut aus«, erwidert Lenny.
»Könntet ihr mir erklären, um was es geht?«, fragt Scott.
»Mit Vergnügen«, lächelt Lenny. »Wir teilen unsere Kopfschmerzen gern mit dir. Maggie, Sie haben davon angefangen, also erklären Sie es ihm.«
»Es hat auch mit dem zu tun, worüber wir gerade gesprochen haben«, beginnt Maggie. »KPI arbeitet auf Hochtouren. Ich habe immer zu wenig gute Leute. Da ich keine Mitarbeiter übrig habe, habe ich darüber nachgedacht, wie ich die vorhandenen effizienter einsetzen könnte. Schauen Sie sich das mal an.«
Maggie öffnet ihre Aktentasche und reicht Scott zwei farbige Blätter. »Diese Grafik zeigt für jeden Monat, wie lange ihre Technikzentren durchschnittlich brauchen, um eine Frage zu beantworten.«
Die Tabelle ist alarmierend. Vor zwei Jahren lag die Wartezeit für Fragen von KPI Solutions durchschnittlich bei drei Tagen, jetzt liegt sie bei fast zehn Tagen.
»Schauen Sie sich die nächste Grafik an. Das ist die Antwortzeit im letzten Quartal. Sie können sehen, dass die Wartezeit bei 10 Prozent der Fragen über drei Wochen betrug. Das ist tödlich. Lenny, Scott, wir alle wussten, dass es nicht gut steht, aber haben Sie geahnt, dass es so schlecht läuft?«
»Nein, das haben wir nicht.« Scott geht zu seinem Schreibtisch. »Mir wird berichtet, dass die durchschnittliche Wartezeit in unseren Technikzentren immer noch bei 20 Minuten liegt. Aber das betrifft alle Fragen, auch die von Leuten, die sich nie die Mühe gemacht haben, eine Gebrauchsanweisung zu lesen oder in das Hilfeprogramm zu sehen, und das sind eine ganze Menge.«
Er greift nach der Maus. Nach ein paar Klicks verkündet er: »Die Wartezeit für Fragen an KPI. Das hat nicht einmal Ähnlichkeit mit Ihren Daten.«
Er denkt eine Sekunde lang nach. »Maggie, wie definieren Sie Wartezeit?«
»Das ist einfach. Wenn ein Problem entdeckt wird, bei dem wir euren Input benötigen, messen wir die Zeit, während der wir mit dem Center sprechen. Wir messen so lange, bis wir die Antwort erhalten, die das Problem löst.«
»Das erklärt die Diskrepanz«, sagt Lenny. »Unsere Technikzentren messen nur die Zeit zwischen Frage und Antwort und nicht, wie KPI es tut, die Zeit zwischen Frage und richtiger Antwort.« Nach einer kleinen Pause setzt er hinzu: »Ich sehe ein, dass Ihr Weg sinnvoller ist.«
»Ich muss Ihnen sagen, dass die erste Antwort in den meisten Fällen nutzlos ist. Eine bessere Lösung zu bekommen, das dauert. Die Grünschnäbel an den Telefonen müssen immer erst jemand anderen kontaktieren, der besser Bescheid weiß. Aber – Überraschung! – die meisten der zweiten Antworten sind genauso nutzlos. In letzter Zeit ist es vorgekommen, dass wir es ein halbes Dutzend Mal versuchen mussten.«
Lenny erhebt keinen Einspruch.
»Das kostet meine Leute mehr Zeit als alles andere. Wir kommen mit Fehlern zurecht, wenn wir sie schnell beheben oder wenigstens in Angriff nehmen können. Aber es wird unerträglich, wenn meine Leute Wochen damit verschwenden, auf eine intelligente Lösung zu warten.«
»Und dabei haben wir die andauernden Reibereien zwischen unseren Unternehmen noch gar nicht erwähnt«, stimmt Lenny zu. »Oder die diversen Programmänderungen, die dann zu einer Verlängerung der Implementierungsphase führen und dem Ruf beider Unternehmen schaden«, fügt Maggie hinzu.
»Aber was können wir dagegen tun?«, fragt Scott Lenny.
»Warte noch. Ich weiß, es ist schlimm, aber es wird noch schlimmer. Maggie, erklären Sie ihm das nächste Problem.«
Maggie holt ein anderes Blatt Papier, reicht es jedoch nicht hinüber.
»In den letzten sechs Jahren hat die Implementierung eine zunehmend größere Rolle bei BGSoft gespielt. Man sollte meinen, dass BGSoft nun eher auf Anfragen von KPI eingeht. Besonders, wenn diese Anfragen nur ein Ziel haben, nämlich den Kunden mit Ihrer Software zufrieden zu stellen.«
»Ist das denn nicht der Fall?«, fragt Scott alarmiert.
»Ich bin sicher, dass wir eine Vorzugsbehandlung bekommen«, lächelt Maggie.
»Jetzt nehmen Sie mich nicht auf den Arm!«
»Ich möchte nur etwas betonen. Was ich Ihnen jetzt zeigen werde, ist nicht BGSofts Verhalten gegenüber Anfragen aus dem Markt im Allgemeinen. Es stellt BGSofts Reaktion auf seine bevorzugten Systemintegratoren dar. Das Gesamtbild ist noch düsterer. Hier ist die knallharte Realität, mit der wir leben müssen.« Sie reicht Scott das Blatt.
Maggie erklärt die Grafik. »Vor sechs Jahren, als sich KPI von BGSoft gelöst hat, haben Sie uns alles gegeben, worum wir baten. Wir bekamen jedes neue Feature, das wir haben wollten. Vielleicht nicht so schnell, wie wir es uns gewünscht hätten, aber wir bekamen es. Vor ungefähr drei Jahren hat BGSoft eine neue Regel eingeführt. Jede Anfrage für ein Feature musste genehmigt werden. Ich fand das absolut lächerlich. Was glauben Sie eigentlich – dass wir Features ohne den Auftrag des Kunden anfragen?«
Bevor Lenny sie unterbrechen kann, fährt sie fort. »Eigentlich war es mir egal, denn wie aus der Grafik hervorgeht, wurden über 80 Prozent unserer Anfragen genehmigt. Und ja, es stimmt, einige der Features entsprangen nur der Laune einiger meiner Mitarbeiter. Aber sehen Sie, was seither geschehen ist. Es wird stetig schlimmer. Scott, wussten Sie, dass weniger als 20 Prozent der Anfragen für neue Features genehmigt werden? Weniger als 20 Prozent!«