Das Feuer der Dämonen - Peter V. Brett - E-Book
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Das Feuer der Dämonen E-Book

Peter V. Brett

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Beschreibung

Dämonen sind der Schrecken der Nacht. Doch immer wieder gibt es Menschen, die es wagen, sich diesen Kreaturen in den Weg zu stellen. Einer von ihnen ist der junge Kurier Arlen, der auf seinen Missionen lernt, dass es neben Mut auch neue Ideen braucht, um in dieser gefährlichen Welt zu überleben – und der schon bald als der »Tätowierte Mann« den Menschen neue Hoffnung im Kampf gegen die Dämonen gibt. Denn Arlen ist nicht allein. Manchmal an seiner Seite, manchmal aber auch an entlegenen Orten, stehen Menschen auf und fangen an, sich gegen die Bestien der Nacht zu wehren. Menschen, die füreinander und für mehr Gerechtigkeit eintreten, wie die junge Brianne, wie der Waisenjunge Dorn oder wie Selia, die Dorfsprecherin. Menschen mit einzigartigen Schicksalen …

In »Das Feuer der Dämonen« sind erstmals alle vier Erzählungen des Bestsellerautors Peter V. Brett aus der Welt von »Das Lied der Dunkelheit« versammelt, zusätzlich mit drei bisher unveröffentlichten Bonusgeschichten sowie einem ausführlichen Anhang.

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Seitenzahl: 664

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Das Buch

Dämonen sind der Schrecken der Nacht. Doch immer wieder gibt es Menschen, die es wagen, sich diesen Kreaturen in den Weg zu stellen. Einer von ihnen ist der junge Kurier Arlen, der auf seinen Missionen lernt, dass es neben Mut auch neue Ideen braucht, um in dieser gefährlichen Welt zu überleben. In »Das Feuer der Dämonen« sind erstmals alle vier Novellen des Bestsellerautors Peter V. Brett aus der Welt von »Das Lied der Dunkelheit« versammelt – zusätzlich mit bisher unveröffentlichten Bonuskapiteln sowie einem ausführlichen Anhang mit krasianischem Lexikon und einem Grimoire der magischen Siegel.

Der Autor

Peter V. Brett, 1973 geboren, studierte Englische Literatur und Kunstgeschichte in Buffalo und entdeckte Rollenspiele, Comics und das Schreiben für sich. Danach arbeitete er zehn Jahre als Lektor für medizinische Fachliteratur, bevor er sich ganz dem Schreiben von fantastischer Literatur widmete. Mit seinen Dämonensaga-Romanen und -Erzählungen stürmt er regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten und hat sich weltweit ein begeistertes Publikum erschrieben. Der Autor lebt in Brooklyn, New York.

Mehr zu Peter V. Bretts Romanen auf: petervbrett.com

PETER V. BRETT

Alle Novellen der Dämonensagaerstmals in einem Band,mit exklusivem Bonusmaterial undausführlichem Anhang

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Aus dem Amerikanischen von Ingrid Herrmann-Nytko

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 01/2020

Redaktion: Charlotte Lungstrass

Copyright © 2019 by Peter V. Brett

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe byWilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Grafiken: Lauren K. Cannon

Karte: Andreas Hancock

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,unter Verwendung von shutterstock

(ZHU JIAN ZHONG, Slava Gerj, Dmitrijs Bindemanis)

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN: 978-3-641-25058-4V001

twitter.com/HeyneFantasySF

Inhalt

Vorwort

DIE NOVELLEN

Der große Basar

Brayans Gold

Das Erbe des Kuriers

Selias Geheimnis

SZENEN UND ERZÄHLUNGEN

Prolog zu Das Lied der Dunkelheit

Brianne

Ein Feiertag in Tibbets Bach

Die Höhlendämonen

Epilog zu Die Stimmen des Abgrunds

ANHANG

Krasianisches Lexikon

Jardirs Stammbaum

Grimoire der Siegel

Vorwort

Im Laufe der Jahre habe ich beim Schreiben gern das Format einer Novelle benutzt. Es verschafft mir die Gelegenheit, kurze Abenteuergeschichten zu erzählen, die in den umfangreicheren Romanen keinen Platz finden. Neueinsteigern wird die Möglichkeit geboten, sich in die Serie einzulesen und einige der Charaktere kennenzulernen. Leser, die von Anfang an dabei waren, erhalten einen tieferen Einblick in die Welt der Dämonensaga, und ungeduldige Fans kriegen ein »Häppchen Horcling zwischendurch«, um die lange Wartezeit zwischen den Veröffentlichungen der einzelnen Bände zu überbrücken.

Jede Novelle stellt für den Autor einen Lernprozess dar. Meine größte Herausforderung beim Verfassen von Das Lied der Dunkelheit bestand darin, den Spannungsbogen der Story aufrechtzuerhalten, einen Page-Turner zu kreieren, obwohl das Buch doppelt so lang ist wie die meisten Romane und einen Zeitraum von vierzehn Jahren im Leben dreier unterschiedlicher Charaktere umfasst.

Anhand einiger der gestrichenen Szenen, die in dieser Ausgabe erscheinen, werden Sie feststellen, dass es auch zu dem bereits erwähnten Lernprozess gehörte, bereits geschriebene Szenen wieder zu streichen, wenn dadurch dem Gesamtwerk gedient war – obwohl ich diese Szenen liebte. Der Prolog zu dem Buch Das Lied der Dunkelheit und die Story um Brianne sind gute Beispiele für Szenen, die beim Redigieren die letzte Hürde nicht geschafft haben.

Ein ebenfalls wichtiger Teil des Lernprozesses war, vorausschauend zu planen und nicht zu viele solcher Szenen vorab zu schreiben.

Die zeitliche Lücke von drei Jahren zwischen den Kapiteln 16 und 17 im Roman Das Lied der Dunkelheit beinhaltet eine Phase in Arlens Leben, die angefüllt ist mit aufregenden Abenteuern. Diese Zeitspanne eignet sich perfekt für Geschichten, die schildern, wie er von einer Stadt zur anderen reist und mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenkommt, die hinter den Schutzsiegeln leben. Während dieser drei Jahre arbeitet Arlen als Kurier, bereist die Freien Städte, durchstöbert Ruinen und sammelt alle nur erdenklichen Erfahrungen.

Ich hatte massenhaft Ideen, was ihm innerhalb dieses Zeitraums alles hätte widerfahren können, aber so viele Abenteuer hätten im Lied der Dunkelheit keinen Platz gefunden. Und selbst wenn dem so gewesen wäre, hätte diese Fülle an Einzelerlebnissen Arlens Weg hin zu seiner schicksalhaften Bestimmung nur ungebührlich verzögert. Die Folge davon wäre ein gedrosseltes Tempo und ein Mangel an Spontaneität gewesen. Also beschloss ich, diese Nebenhandlungen wegzulassen und sie irgendwann später einmal zu verwenden. Zu Beginn des Kapitels 17, das die Überschrift »Ruinen« trägt, hat Arlen bereits eine Reihe von tollkühnen Eskapaden hinter sich, die lediglich angedeutet werden, um dem Leser einen Eindruck zu vermitteln, wie er die letzten drei Jahre verbracht hat. Die abenteuerlichen Ereignisse gipfeln darin, dass er die verlorene Stadt Anochs Sonne entdeckt, wobei dies den nächsten bedeutsamen Wendepunkt in seinem Leben darstellt.

Doch eine dieser Geschichten durfte nicht unterschlagen werden. Der große Basar ist im Wesentlichen das Kapitel 16,5 im Lied der Dunkelheit. Ich schrieb die Erzählung vor der Veröffentlichung des Bands Das Flüstern der Nacht, als Brücke zwischen diesen beiden doch sehr unterschiedlichen Romanen. Obendrein wollte ich die Grundlagen schaffen, um den Konflikt zwischen Arlen und Jardir verständlicher zu machen, die ja schließlich aus sehr verschiedenen Welten stammen. Dem Leser einen tieferen Einblick in diese prägenden Milieus zu geben, erschien mir angebracht. Der große Basar ist eine spannende, actionreiche Episode, in der erzählt wird, wie Arlen in den Besitz der Karte kommt, die ihm den Weg zu der uralten Stadt Anochs Sonne weist.

Die Novelle Brayans Gold spielt zu einem noch früheren Zeitpunkt. Sie handelt von Arlens erster eigenständiger Mission als Kurier. Allein auf sich gestellt transportiert er eine gefährliche Fracht hoch hinein ins Gebirge. Diese Geschichte erwuchs aus einem Kommentar, den Arlen in der Geschichte Der Große Basar fallen lässt. Die Bemerkung hatte beiläufig sein sollen, nebensächlich, aber das Bild der Schneedämonen und wie man sie sich vorstellen konnte, wollte mir nicht aus dem Kopf gehen, und bald ließ ich den armen Arlen in der Kälte des Hochgebirges mit den Zähnen klappern.

In den Bänden der Dämonensaga, wo Tag und Nacht häufig den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen, ist die Sonnenwende sowohl ein religiöser als auch ein weltlicher Feiertag. Ein Feiertag in Tibbets Bach, eine Kurzgeschichte aus Arlens früher Kindheit, spielt ein Jahr vor den Ereignissen, mit denen Das Lied der Dunkelheit beginnt. Sie diente dazu, die Erinnerung an ein paar Charaktere aufzufrischen, mit denen ich noch einiges vorhatte.

Das erste Kapitel der Novelle Das Erbe des Kuriers, »Ein Feuer, das brennt lichterloh«, sollte ursprünglich den Anfang meines dritten Romans, Die Flammen der Dämmerung, darstellen. Doch da die Geschichte des Knaben Dorn Damaj immer weiter an Umfang zunahm, wurde mir sehr schnell klar, dass sie viel mehr Raum einnehmen würde, als in einer Reihe vorhanden war, in der es bereits von perspektivgebenden Charakteren nur so wimmelte. Das Kapitel wurde gestrichen, aber ich wusste, dass ich zu gegebener Zeit wieder darauf zurückgreifen würde.

Später erschien das Kapitel unter dem Titel Mudboy in Shawn Speakmans Benefiz-Anthologie Unfettered. Trotzdem war es immer noch lediglich ein kleiner Teil von Dorns Geschichte, die erst in Das Erbe des Kuriers in voller Länge erzählt wird. Sie spielt zu der Zeit, als die Krasianer Lakton einnehmen, wie in dem Band Der Thron der Finsternis geschildert wird. Insofern sind die Novelle und der Roman eng miteinander verknüpft.

Selias Geheimnis war der Gipfelpunkt der Pläne, die ich mir für die Charaktere jener kleinen, isolierten Ansiedlung Tibbets Bach ausgedacht hatte. Jedes Jahr töten die Dämonen dort Menschen, und es ist einfach überlebensnotwendig, von jedem einzelnen Bewohner der Gemeinde zu verlangen, dass er früh heiratet und möglichst viele Kinder in die Welt setzt.

Selia, die Stadtsprecherin von Tibbets Bach, eine kinderlos gebliebene Witwe mittleren Alters, wurde von den Gemeindemitgliedern schließlich als »unfruchtbar« bezeichnet. Dieses Wort wurde nur im Flüsterton ausgesprochen und drückte Entsetzen, Mitleid und gelegentlich auch Spott aus. Doch im Lauf der Jahre, nachdem Selia sich immer wieder als Fels in der Brandung entpuppt hatte, wenn es in Tibbets Bach drunter und drüber ging und die Menschen bei ihr Halt und Trost suchten und auch fanden, änderte sich ihre Einstellung. Sie nannten ihre unerschrockene Sprecherin »Selia die Unfruchtbare« – jedenfalls solange sie nicht in Hörweite war – »die Frau, welche die gesamte Gemeinde als ihre Kinder betrachtet«. Wobei sie ihr Anerkennung und Hochachtung zollten.

Viele der Charaktere, mit denen ich Tibbets Bach bevölkerte, hatten ihre ganz persönlichen Geheimnisse. Die Sippschaft der Torfstecher konnte den Fischer-Klan nicht ausstehen. Stam Tailor war ein Trunkenbold. Rusco Vielfraß hatte man aus den Freien Städten vertrieben, und er ließ sich nur gezwungenermaßen in Tibbets Bach nieder. Die Bewohner von Südwache und aus dem Sumpfland wollten ihre Kinder partout nicht mit den übrigen Gemeindebewohnern zusammenkommen lassen. Auf der Familie Gerber lastete ein ganz besonders düsteres Geheimnis. Und Selia war keineswegs unfruchtbar.

Selias Geheimnis schildert die Geschichte dieser bemerkenswerten Frau und enthüllt eine Seite an ihr, die ich länger als ein Jahrzehnt für mich behalten habe. Es ist eine Geschichte, die mir ganz besonders am Herzen liegt, und ich hoffe, meine Leser werden sie genauso anrührend finden.

Chronologische Reihenfolge der Geschichten:

Ein Feiertag in Tibbets Bach

Prolog zu Das Lied der Dunkelheit

Brianne

Brayans Gold

Der große Basar

Das Erbe des Kuriers

Die Höhlendämonen

Selias Geheimnis

Epilog zu Die Stimmen des Abgrunds

DIE NOVELLEN

DER GROSSE BASAR

328 NR

Die Wüste zitterte unter der Hitze. Wie ein schweres Gewicht lasteten die grellen Sonnenstrahlen auf dem Land, und Arlen ertappte sich dabei, wie er sich vornüberbeugte, als gäben seine Schultern unter dieser Bürde nach.

Er ritt durch die Randgebiete der krasianischen Wüste, und so weit das Auge reichte, erstreckte sich in jede Himmelsrichtung nichts als die trostlose Ebene mit ihrem ausgedorrten, von Rissen durchzogenen Lehmboden. Nirgendwo gab es etwas, das Schatten spenden oder wovon die grausame Hitze abprallen konnte.

Kein Mensch, der bei Verstand ist, hat einen Grund, hier herumzuwandern, schalt sich Arlen, der dennoch seinen Rücken straffte, um der Sonne zu trotzen. Über seiner Kleidung trug er ein dünnes weißes Gewand, die Kapuze tief in die Stirn gezogen, und Mund und Nase hatte er mit einem Schleier verhüllt. Der Stoff warf ein wenig von dem gleißenden Licht zurück, bot jedoch nur einen geringen Schutz. Sogar über sein Pferd Morgenröte, einen braunen Renner mit schwarzer Mähne, hatte er ein weißes Tuch gebreitet.

Das Tier hustete trocken in dem Versuch, den allgegenwärtigen Staub aus seiner Kehle zu entfernen.

»Ich bin auch durstig, Morgenröte«, redete Arlen beruhigend auf das Pferd ein und streichelte seinen Hals. »Aber unseren Wasservorrat für diesen Morgen haben wir schon verbraucht, deshalb bleibt uns gar nichts anderes übrig, als zu warten.«

Wieder einmal zog Arlen Abbans Landkarte zurate. Der Kompass, den er an einer Schnur um den Hals trug, verriet ihm, dass sie immer noch in Richtung Osten unterwegs waren, doch von der Schlucht war keine Spur zu entdecken. Schon vor einem Tag hätte sie in Sichtweite kommen müssen. Egal, wie stark er den Proviant rationierte, wenn sie noch einen Tag weiterzögen, ohne den Fluss und somit Wasser zu finden, musste er diesen Ausflug abbrechen und nach Fort Krasia zurückreiten.

Du könntest dir diese Tortur natürlich auch ersparen undgleich umkehren, meldete sich die Stimme in seinem Kopf.

Diese Stimme riet ihm unentwegt, seinen Plan aufzugeben. Arlen hörte aus ihr seinen Vater heraus, sie hielt die Erinnerung an einen Mann wach, den er fast ein Jahrzehnt lang nicht gesehen hatte. Und was sie ihm einflüsterte, waren stets die strengen Ermahnungen und Weisheiten, die sein Vater so gern von sich zu geben pflegte. Jeph Strohballen war ein anständiger, rechtschaffener Mann gewesen, aber seine ernste Besonnenheit und seine Vernunft hatten ihn sein ganzes Leben lang davon abgehalten, sich weiter als ein paar Wegstunden von zu Hause zu entfernen.

Denn wenn man es nicht mehr schaffte, vor Einbruch der Dunkelheit einen sicheren Zufluchtsort zu finden, musste man die Nacht im Freien bei den Horclingen verbringen. Nicht einmal Arlen nahm dies auf die leichte Schulter, aber er war besessen von dem Wunsch, Dinge zu sehen, die vor ihm noch kein anderer Mensch erblickt hatte, und an Orte zu reisen, an denen noch niemand gewesen war. Mit elf Jahren war er von zu Hause weggelaufen. Nun war er zwanzig und hatte mehr von der Welt gesehen als die meisten Männer, bis auf wenige Ausnahmen, die man an einer Hand abzählen konnte.

Die warnende Stimme in seinem Kopf gehörte zu den Prüfungen, die man einfach ertragen musste, fand Arlen, so wie eine vor Durst brennende Kehle. Die Dämonen hatten die Welt schon klein genug gemacht. Er wollte nicht zulassen, dass die Erinnerung an seinen ewig nörgelnden Vater die Grenzen noch enger zog.

Dieses Mal suchte er nach Baha kad’Everam, einem krasianischen Weiler, dessen Name übersetzt »Kelch des Everam« hieß; Everam nannten die Krasianer ihren Schöpfer. Laut Abbans Landkarten lag dieses Dorf in einer natürlichen Bodensenke, die von einem ausgetrockneten See in einer Schlucht stammte, durch die früher einmal ein breiter Fluss geströmt war. Der Ort war einst für seine herrlichen Töpferwaren berühmt gewesen, doch vor über zwanzig Jahren hatten die Keramikhändler plötzlich ihre Besuche eingestellt, und eine nach Baha kad’Everam entsandte dal’Sharum-Expedition war zu dem Schluss gelangt, die Bahavaner seien von den Horclingen getötet worden. Seitdem hatte sich nie wieder jemand dorthin begeben.

»Ich war bei dieser Expedition dabei«, hatte Abban behauptet, worauf Arlen den feisten Händler zweifelnd ansah.

»Es ist wahr«, beteuerte Abban. »Damals war ich noch ein Junge und sollte erst zum Krieger ausgebildet werden. Ich trug Speere für die dal’Sharum. Aber an diese Reise erinnere ich mich noch gut. Von den Bahavanern war keine Spur zu sehen, aber das Dorf war völlig unversehrt. Die Krieger interessierten sich nicht für Töpferwaren und hätten eine Plünderung ohnehin als unehrenhaft empfunden. Bis zum heutigen Tag lagern in den Ruinen die schönsten Keramiken und warten nur darauf, von einem unerschrockenen Reisenden geborgen zu werden.« An dieser Stelle hatte er sich dicht zu Arlen vorgebeugt. »Die Stücke eines bahavanischen Töpfermeisters ließen sich im Basar zu einem sehr hohen Preis verkaufen«, murmelte er bedeutungsvoll.

Und jetzt streifte Arlen durch die glutheiße Wüste und fragte sich, ob Abban die ganze Geschichte nicht vielleicht frei erfunden hatte.

Er musste noch mehrere Stunden reiten, ehe er einen Schatten entdeckte, der sich über die Lehmebene vor ihm wellte. Sein Herz hämmerte in der Brust, während Morgenröte müde einen Huf vor den anderen setzte und die Schlucht langsam näher kam. Arlen stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und sagte sich wieder einmal, dass er die zur Vorsicht mahnende Stimme in seinem Kopf aus einem guten Grund ignorierte. Er wendete sein Pferd nach Süden, und schon bald rückte die Senke in sein Blickfeld.

Morgenröte schnaubte zufrieden, als sie in den Schatten der Mulde hinunterritten. Um sich vor der sengenden Hitze zu schützen, hatten die Gründer des Dorfes ihre Behausungen in die uralten Schluchtwände hineingebaut, indem sie die mächtigen Lehmschichten tief aushöhlten und ihre Heimstätten nach außen durch Lehmziegelbauten erweiterten, die farblich mit der Umgebung verschmolzen und aus der Ferne nicht zu entdecken waren. Eine perfekte Tarnung vor den Winddämonen, die auf der Suche nach Beute über der Ebene kreisten.

Aber trotz dieses Schutzes waren die Bahavaner ausgemerzt worden. Der Fluss war versiegt, und Krankheit und Durst hatten die Menschen anfällig gemacht für die Übergriffe der Horclinge. Vielleicht hatten ein paar Leute sogar versucht, sich durch die Wüste nach Fort Krasia durchzuschlagen, doch wenn dem so war, hatte man nie wieder etwas von diesen Verzweifelten gehört.

Arlens erstes Hochgefühl erhielt einen Dämpfer, als er sich vergegenwärtigte, dass er in einen Friedhof hineinritt. Wieder einmal. Während er an Häusern vorbeikam, zeichnete er Schutzsiegel in die Luft und rief: »Ay, Bahavaner!«, in der vergeblichen Hoffnung, es könnte doch noch ein paar Überlebende geben.

Doch als Antwort hörte er lediglich das Echo seiner eigenen Stimme. Die Tücher, die man als Sonnenschutz vor Fenster und Türeingänge gehängt hatte, waren, sofern sie sich überhaupt noch an ihrem Platz befanden, schmutzig und zerrissen. Die in die Lehmziegel eingeritzten Siegel hatte der scharfe, mit Sand befrachtete Wüstenwind im Laufe der Jahre abgeschmirgelt und ihre Konturen verwischt. Die Wände wiesen Kratzspuren von Dämonenkrallen auf. Hier lebte niemand mehr.

Im Zentrum des Dorfes stieß er auf Fallgruben, um Horclinge einzufangen und bis zum Sonnenaufgang festzuhalten. Die steilen Treppenaufgänge und Gässchen, die sich im Zickzack die Schluchtwände hinaufzogen und die einzelnen, terrassenförmig angelegten Häuser miteinander verbanden, waren mit Sperren verbarrikadiert. Es handelte sich um hastig zusammengeschusterte Verteidigungsanlagen, erstellt von den dal’Sharum – jedoch nicht, um die Bahavaner zu beschützen, sondern eher um ihnen eine Ehre zu erweisen. Baha kad’Everam war eine Siedlung von khaffit gewesen, Männern, die aufgrund ihrer Kaste nicht würdig waren, einen Speer in der Hand zu halten oder in den Himmel zu kommen; doch selbst sie verdienten es, in geweihtem Boden zu ruhen, auf dass ihre Seelen in einer höheren Kaste wiedergeboren würden, sofern ihnen dieses Privileg zustand.

Und die dal’Sharum kannten nur einen einzigen Weg, um einen Ort zu weihen. Sie tränkten ihn mit ihrem Blut und dem schwarzen, eitrigen Sekret, das durch die Adern der Horclinge floss. Sie nannten diesen Kampf den alagai’sharak, den »Dämonenkrieg«, und diese Schlacht tobte jede Nacht in Fort Krasia, ein ewiges Gemetzel, das weitergehen würde, bis sämtliche Horclinge tot waren oder es keine Männer mehr gab, die sie bekämpfen konnten. Eine Nacht lang hatten die Krieger in Baha kad’Everam den alagai’sharak geführt, um die Grabstätte der Bahavaner zu segnen.

Arlen ritt um die Barrikaden und Fallgruben herum und weiter zum Flussbett hinab, einem breiten Tal, durch das jetzt nur noch ein schlammiges, mit allerlei Kleingetier verseuchtes Rinnsal tröpfelte. Eine karge Vegetation klammerte sich hartnäckig an den Rand des Bächleins, doch bereits ein wenig weiter ragten die Stängel toter Pflanzen aus dem von der Sonne hartgebackenen Boden, halberstickt im Staub und zu trocken, um zu verfaulen.

In ein paar kleinen Tümpeln sammelte sich das Wasser, eine braune, stinkende Brühe. Arlen filterte es durch Holzkohle und Stoff, doch selbst danach blieb er skeptisch und beschloss, es zusätzlich abzukochen. Während er beschäftigt war, knabberte Morgenröte an irgendwelchen verkümmerten Kräutern und stacheligen Gräsern.

Langsam wurde es spät, und Arlen warf einen bedauernden Blick auf die tief stehende Sonne. »Auf geht’s, Mädchen«, sprach er das Pferd an. »Es wird Zeit, dass wir uns für die Nacht rüsten.«

Er führte Morgenröte die Uferböschung hinauf und in den Haupthof des Dorfes. Durch den Mangel an Regen und Erosion waren die zwanzig Fuß tiefen und zehn Fuß breiten Fallgruben weitgehend intakt geblieben, doch die Siegel, die man in die umgebenden Steine gemeißelt hatte, waren mit Dreck verkrustet und kaum noch zu erkennen. Jeder Dämon, der in eine dieser Gruben geworfen würde, könnte nun sofort wieder hinausklettern.

Trotzdem boten die Gruben einen gewissen Schutz. Arlen legte seine tragbaren Bannzirkel zwischen den Lehmziegelwänden der Behausungen und einer Fallgrube aus, um den Zugang zu seinem Lager zu erschweren.

Arlens tragbare Bannzirkel besaßen einen Durchmesser von zehn Fuß und bestanden aus lackierten Holztafeln, die durch kräftige Schnüre miteinander verbunden waren. Jede Tafel war mit uralten Abwehrsymbolen bemalt, die ausreichten, um ihn vor jeder bekannten Sorte von Horclingen zu schützen. Mit akribischer Präzision breitete er die Zirkel aus und vergewisserte sich, dass die Siegel so angeordnet waren, dass sie ein lückenloses Netz bildeten.

In einem Zirkel trieb er einen Pfahl in den Lehmboden und fesselte Morgenrötes Vorderbeine mit einem Seil, dessen freies Ende er dann mit einem komplizierten Knoten an dem Pflock befestigte. Falls das Pferd an dem Seil zerrte oder wegzulaufen versuchte, wenn die Dämonen heranrückten, würde sich der Strick spannen und die Fesseln noch enger schnüren. Arlen jedoch konnte notfalls den Knoten sowie die Seilschlingen um Morgenrötes Beine mit einem einzigen Ruck lösen und das Pferd augenblicklich befreien.

Sein eigenes Lager schlug Arlen in dem zweiten Zirkel auf. Er bereitete alles für ein kleines Feuer vor, zündete es aber noch nicht an, denn in dieser Gegend gab es nur wenig Holz, und die Nächte in der Wüste konnten bitterkalt werden.

Während Arlen arbeitete, wanderte sein Blick immer wieder die Steintreppen hinauf, die zu den in die Schluchtwände eingebauten Lehmziegelhäusern führten. Irgendwo dort oben befand sich die Werkstatt von Meister Dravazi, einem Kunsthandwerker, dessen bemalte Keramiken noch zu seinen Lebzeiten mit Gold aufgewogen wurden und jetzt einen unschätzbar hohen Wert haben mussten. Mit dem Verkauf auch nur eines einzigen Originalstücks von Dravazi, das vergessen auf der Töpferscheibe lag, konnte er vermutlich seine gesamte Exkursion hierher finanzieren. Weitere Fundstücke würden ihm ein Vermögen einbringen.

Anhand der Karten hatte Arlen sogar eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wo er nach der Werkstatt des Meisters suchen sollte, doch egal wie erpicht er darauf war, mit den Nachforschungen zu beginnen, er musste sich bis zum nächsten Tag gedulden, denn der Sonnenuntergang stand kurz bevor.

Als die große, rotglühende Scheibe unter dem Horizont versank, verflüchtigte sich die in der Lehmwüste gespeicherte Hitze, stieg himmelwärts und gab den Dämonen den Weg aus dem Horc frei. Außerhalb der Bannzirkel driftete ein bösartig aussehender Nebel aus dem Boden und verdichtete sich allmählich zu dämonischen Gestalten.

Als die Dunstschwaden aufstiegen, überkam Arlen ein klaustrophobisches Gefühl; ihm kam es so vor, als sei sein Zirkel von gläsernen Wänden umgeben, die ihn vom Rest der Welt abschnitten. In dem Zirkel fiel ihm das Atmen schwer, obwohl die Siegel nur die Magie der Dämonen abwehrten und just in diesem Moment eine frische Brise über sein Gesicht strich. Er starrte die sich langsam verfestigenden Horclinge an, die die Nacht über seine Kerkermeister sein würden, und fletschte wütend die Zähne.

Zuerst formten sich die Winddämonen aus den Nebelschleiern. Einem groß gewachsenen Mann hätten sie bloß bis zu den Schultern gereicht, aber die aus dem Kopf sprießenden rippenähnlichen Fortsätze waren noch einmal acht bis neun Fuß lang. Ihre kräftigen, langen Schnauzen glichen scharfen Schnäbeln, in denen sich obendrein Reihen von fingerdicken Zähnen verbargen. Eine zähe, elastische Haut schützte ihre Leiber wie ein Panzer, von dem jede Speer- oder Pfeilspitze abprallte. Diese widerstandsfähige Schwarte dehnte sich als dünne Membran von den Seiten bis unter die Armknochen aus und bildete die Schwingen, deren Spannweite mitunter die dreifache Körpergröße erreichte. An den Gelenken der Flügel saßen starke, gebogene Krallen, mit denen die Winddämonen im Sturzflug mühelos den Kopf eines Menschen abreißen konnten.

Die Winddämonen nahmen keine Notiz von Arlen, der mit dem Rücken gegen die Lehmziegelwand gelehnt dasaß und sich noch Zeit ließ, das Feuer zu entzünden. Nachdem ihre Körper sich verfestigt hatten, rannten sie los in Richtung Fluss. Auf dem Boden wirkten sie mit ihren verkümmerten Beinen unbeholfen, doch als sie unter misstönendem Kreischen von der Uferböschung sprangen, zeigte sich die grausige Eleganz ihrer Erscheinung und ihrer Bewegungen. Unter lautem Klatschen entfalteten sie ihre enormen Schwingen und schossen in die Höhe; nach nur wenigen machtvollen Flügelschlägen gingen sie in einen Schwebeflug über und hielten in der aufziehenden Abenddämmerung Ausschau nach Beute.

Arlen hatte erwartet, dass als Nächstes die Sanddämonen eintreffen würden, die die Dünenfelder der Krasianischen Wüste heimsuchten, doch im Zwielicht sah er, wie sich die Nebelfetzen auflösten und nur noch einige wenige Winddämonen formten.

Diese Beobachtung hob Arlens Stimmung. Obwohl Horclinge auf fast alle Lebewesen Jagd machten und ihre Opfer töteten, richtete sich ihr größter Hass gegen die Menschen. Manchmal lungerten sie noch sehr lange in Ruinen herum, auch wenn die ehemaligen Bewohner dieser Bauten längst tot waren, nur für den Fall, dass andere Menschen eines Tages diese Stätte aufsuchen könnten. Die Dämonen, die nicht alterten, denen die Zeit nichts anhaben konnte, verfügten über eine schier unendliche Geduld, und es machte ihnen nichts aus, jahrzehntelang an ein und demselben Ort zu verharren.

Es war nur natürlich, dass die Winddämonen sich weiterhin in dieser Gegend herumtrieben. Die steilen Wände der Schlucht boten eine ideale Möglichkeit, um sich in die Lüfte zu schwingen, und während der Nacht konnten sie in weiten Schleifen über die Wüste kreisen und nach Beute spähen. Die an den Boden gebundenen Sanddämonen fanden hier keine derart günstigen Jagdgründe vor, und so sehr Arlen sich auch anstrengte, er konnte nirgends Spuren von ihnen entdecken. Sanddämonen jagten in Rudeln, und es schien, als sei das hiesige Rudel im Laufe der letzten zwanzig Jahre auf der Suche nach einem ergiebigeren Beuterevier weitergezogen.

Arlen stand auf und begann rastlos auf und ab zu gehen, während er beobachtete, wie die letzten Winddämonen zum Fluss hin verschwanden. Dann sah er kritisch zu den Terrassen aus Lehmziegelbauten hinauf und legte sich einen Plan zurecht. Wenn er sich vorsichtig bewegte und sich nicht zu hoch hinaufwagte, würde ein Winddämon, der auf den Klippen der Schlucht Posten bezogen hatte, ihn aller Wahrscheinlichkeit nach nicht entdecken. Und falls doch ein Horcling auf ihn aufmerksam würde, konnte er sich schnell in eines der Häuser zurückziehen. Die Fenster und Türeingänge waren zu schmal, um Winddämonen durchzulassen, es sei denn, sie landeten und versuchten erst dann, sich durch die Öffnungen zu zwängen. Doch Winddämonen entwickelten nur im Flug imponierende Eigenschaften, auf dem Boden konnte man sie mühelos zu Fall bringen oder vor ihnen davonlaufen. Sanddämonen waren immer noch nicht an die Oberfläche gekommen, und mit ihrer Gestalt und Färbung wären sie in diesem ganz aus Lehm gebauten Dorf nicht zu übersehen.

Und bis Einarm hier aufkreuzte, würden noch Stunden vergehen. Wenn er sich beeilte …

Sei kein Narr! Warte, bis die Sonne aufgeht!, schnauzte die Stimme seines Vaters, aber selbst früher hatte Arlen nur selten auf sie gehört. Wenn er sich für ein Leben in Sicherheit entschieden hätte, wäre er in den Freien Städten geblieben, deren Einwohner bis auf wenige Ausnahmen von der Wiege bis zur Bahre ihr Dasein innerhalb eines Schutzwalls verbrachten, ohne sich ein einziges Mal vor das Netz aus Siegeln zu wagen.

Arlen hatte sich schon häufig schutzlos den Gefahren der Nacht ausgesetzt, vor allen Dingen in Fort Krasia, wo er der einzige Fremde war, der jemals am alagai’sharak teilgenommen hatte. Dieses Mal jedoch kämpften keine dal’Sharum-Krieger an seiner Seite, die ihm beistehen würden, sollte ihm etwas zustoßen. Hier war er ganz auf sich allein gestellt.

Daran bin ich gewöhnt, dachte er.

Mitten in seinem Zirkel entzündete er ein langsam glosendes Feuer, damit er im Dunkeln leicht den Rückweg fand, und am Ende seines Speeres befestigte er eine Halterung mit einer Fackel. Auf dem Rücken trug er Ersatzfackeln in einem Beutel, den er hoffentlich bald mit bahavanischen Töpferwaren füllen konnte. Zum Schluss griff er nach seinem runden Schild, der mit den gleichen Abwehrsymbolen bemalt war wie die Tafeln seines Zirkels, und trat aus dem Bannbereich heraus.

Als Arlen den Zirkel verließ, hatte er das Gefühl, zum ersten Mal seit Sonnenuntergang wieder tief durchatmen zu können. Er wusste, dass er es sich nur einbildete, aber ihm schien, als schmecke die Luft außerhalb des Bannkreises viel besser, kühler und lieblicher. Es tat gut, ein bisschen von der Welt zurückzuerobern, die die Horclinge den Menschen Nacht für Nacht raubten.

Behutsam pirschte er sich zu den Treppenaufgängen, stets auf der Hut vor Dämonen, jederzeit bereit, sich zu verteidigen oder zu fliehen.

Der Aufstieg gestaltete sich schwierig. Die einzelnen Stufen hatten eine unregelmäßige Form, manche waren so schmal, dass nicht einmal sein ganzer Fuß darauf passte, andere wiederum bildeten regelrechte kleine Plattformen, die man mit mehreren Schritten überqueren musste, ehe man zur nächsten Stufe gelangte. Gelegentlich verlief der Weg beinahe eben, um dann wieder fast senkrecht anzusteigen. Die Bahavaner mussten sehr kräftige Beinmuskeln entwickelt haben, wenn sie tagein tagaus diese Treppen bewältigten.

Erschwerend kam hinzu, dass die dal’Sharum die meisten der tiefer liegenden Etagen nach Material für die Blockaden durchwühlt hatten. Die Zimmer dort waren wie leergefegt, für die Errichtung der Sperren kam offenbar alles infrage. Zerbrochene Töpferwaren, Möbel, Kleidung; alles, was nicht in die Wände eingebaut war, türmte sich auf den Straßen, um den Ansturm der Dämonen auf die von den Krasianern angelegten Hinterhalte zu stören. Gelangte dann ein Horcling in die Reichweite der Krieger, wurde er über die niedrigen Wälle gestoßen und landete in den darunter klaffenden Gruben.

In geduckter Haltung, die Deckung der Wand ausnutzend, kletterte Arlen nach oben, während er mit argwöhnischen Blicken den Nachthimmel absuchte. Winddämonen konnten sich aus einer Höhe von über einer Meile völlig geräuschlos wie ein Stein herabfallen lassen, um erst im allerletzten Moment die Schwingen zu spreizen; im Nu hatten sie den Kopf eines Mannes vom Rumpf getrennt, den verstümmelten Körper mit dem hinteren Klauenpaar gepackt und sich wieder in die Höhe geschwungen, ohne auch nur ein einziges Mal den Boden zu berühren. Arlen zweifelte nicht daran, dass ein Winddämon ihn von der Wand pflücken konnte, wenn er den Angriff zu spät bemerkte.

Im fünften Stockwerk endeten die Sperren, und die Häuser wirkten, als seien sie niemals angetastet worden, doch Arlen kämpfte sich weiter in die Höhe, obwohl die Muskeln in seinen Oberschenkeln brannten wie Feuer. Angeblich befand sich Meister Dravazis Werkstatt auf der siebten Ebene, denn es gab sieben Säulen des Himmels, und sieben Schichten führten hinab in Nies Abgrund.

Arlen konnte sich ein albernes Grinsen nicht verkneifen, als er das siebte Geschoss erreichte und am Bogengang eines großen Gebäudes den Namen des Töpfermeisters entdeckte. Noch einmal suchte er mit Blicken gründlich die Umgebung ab, doch von Sanddämonen war immer noch nichts zu sehen, und die Winddämonen schienen weit in die Nacht hinausgeflogen zu sein.

In der Tür hing ein zerfetzter Vorhang, der wohl eher dazu dienen sollte, den allgegenwärtigen orangefarbenen Staub fernzuhalten als die Privatsphäre zu wahren oder gar Schutz vor Eindringlingen zu bieten. In einem so kleinen und abgeschiedenen Weiler wie Baha benötigte man nichts, um Außenseiter von sich fernzuhalten.

Arlen hievte sich zu dem Torbogen hinauf, schob mit der Kante seines Schildes den Vorhang zur Seite und hielt den Speer in die finstere Öffnung. Der züngelnde Schein der Fackel tanzte durch einen Raum, der vollgestopft war mit Keramiken.

Verblüfft schnappte Arlen nach Luft; er wagte es kaum, seinen Augen zu trauen. Die Töpferwaren waren zu ordentlichen Stapeln aufgetürmt, verpackt für eine Reise zu einem Markt, die vor zwanzig Jahren hätte stattfinden sollen, aber nie zustande kam. Die Waren lagen unter einer dicken Staubschicht und hatten dadurch die Farbe der Wände und Böden des Hauses angenommen, doch selbst nach so langer Zeit schienen die Sachen unbeschädigt zu sein. Zögernd streckte Arlen eine Hand aus und zog mit den Fingern Linien durch den Staub; darunter kamen glatter Lackfirnis und in kräftigen Farben gemalte Muster zum Vorschein, die im Fackellicht glänzten. Ein einziger Raum, und der enthielt mehr Schätze, als er überhaupt tragen konnte!

Er ließ sich auf ein Knie nieder, legte Schild und Speer auf den Boden und nahm den Rucksack ab. Prüfend musterte er die kleineren Vasen, Lampen und Schüsseln, um zu entscheiden, was er mitnehmen sollte. Ein paar ausgewählte Stücke wollte er gleich in den Rucksack stecken und sie dann später in seinem Zirkel begutachten. Um zurückkehren und den Rest abholen zu können, musste er bis zum nächsten Morgen warten.

Gerade als er vorsichtig eine zierliche Vase in seinem Rucksack verstaute, hörte er ein Poltern. In der Annahme, er hätte einen verkehrten Griff getan und irgendein Turm von Keramiken könnte jeden Moment umkippen, schnappte er sich den Speer und hielt die Fackel in die Höhe.

Doch die Stapel standen voll im Gleichgewicht, und das seltsame Geräusch ertönte wieder; dieses Mal klang es eher wie ein Knurren, heisere, grollende Laute durchdrangen die Dunkelheit.

Ohne sich weiter um die Keramiken zu kümmern, schnappte er sich seinen Schild und wandte sich langsam in die Richtung, aus der das Grummeln kam. Ein Sanddämon musste ihm in den Raum gefolgt sein und schlich sich nun wohl möglichst leise an ihn heran, ohne jedoch die Laute, die sich instinktiv aus seiner Kehle lösten, unterdrücken zu können.

Langsam drehte Arlen sich im Kreis, hielt die Fackel weit von sich und durchsuchte den Raum, doch nirgends fand sich ein Anzeichen für einen Dämon. Dann zuckte er zusammen und blickte rasch nach oben, doch auch an der Decke klebte kein Horcling, der nur einen günstigen Moment abwartete, um sich auf ihn zu stürzen. Ihn schauderte, doch er zwang sich dazu, weiterzuforschen.

Um ein Haar hätte er die Kreatur übersehen. Er wurde nur auf sie aufmerksam, weil sie just in dem Augenblick, als er die Fackel an die richtige Stelle hielt, ein schwaches Fauchen von sich gab. Zuerst fiel ihm an der schlichten Lehmziegelwand nichts Ungewöhnliches auf, bis sich ein Teil des Mauerwerks … bewegte!

Dort versteckte sich ein Dämon. Selbst wenn man ihn direkt im Blickfeld hatte, war der Horcling fast nicht zu erkennen. Seine Panzerung besaß exakt die gleiche orangegelbe Tönung wie der Lehm und war von derselben körnigen Beschaffenheit. Das Wesen war klein und ähnelte von der Statur her einem mittelgroßen Hund, doch der stabile Körper strotzte vor Muskeln, und die Krallen gruben tiefe Furchen in die Lehmwände. Noch nie zuvor hatte Arlen eine solche Kreatur gesehen.

Der Horcling zappelte ein bisschen und trat mit den Pfoten auf der Stelle, dann stieß er ein fürchterliches Gebrüll aus, schnellte in die Höhe und sprang ihn an.

»Bei der Nacht!«, schrie Arlen, während er seinen Schild hochriss und sich fragte, ob die Abwehrsiegel auch bei dieser neuen Art Horcling wirkten. Siegel waren ziemlich heikel, und für jeden Dämonentyp gab es ein ganz spezielles Abschreckungssymbol. Manche konnte man gegen verschiedene Sorten von Horclingen einsetzen, doch eine hundertprozentige Garantie gab es nicht.

Magie flackerte auf, als der Dämon gegen den Schild prallte und Arlen zu Boden warf; doch obwohl die Siegel ihre Macht entfalteten, war Arlen sich bewusst, dass sie nur einen vorübergehenden Schutz boten. Kein Dämon hätte imstande sein dürfen, überhaupt mit diesem Schild in Berührung zu kommen, aber dieser klammerte sich verbissen daran fest, trotz der magischen Energie, die versuchte, ihn zurückzutreiben.

Der Dämon war schwerer als er aussah, doch unter Aufbietung aller Kräfte gelang es Arlen, den Schild hochzustemmen und mit voller Wucht gegen die Wand zu schmettern. Bei dem Aufprall lösten sich die Krallen des Horclings vom Schild, und die Magie, die immer noch dabei war, den mittlerweile am Boden liegenden Dämon abzuwehren, schleuderte nun Arlen nach hinten. Er landete zwischen Keramiken, wobei etliche der unbezahlbaren Kunstwerke zu Bruch gingen.

»Beim Horc!«, fluchte er, doch zum Lamentieren war jetzt keine Zeit, denn mit einem gewaltigen Satz sprang der Dämon in den Stapel hinein, wobei er Tonscherben in alle Richtungen schleuderte. Ein Schauer aus scharfkantigen Scherben hagelte auf Arlen nieder, während er sich verzweifelt bemühte, wieder auf die Füße zu kommen.

Gerade noch rechtzeitig duckte er sich hinter seinen Schild, als der Lehmdämon sich erneut auf ihn stürzte. Dieses Mal schlug die Kreatur ihre Krallen tief in das Holz hinein und zerrte so heftig daran, dass die Lederriemen um Arlens Unterarm rissen und er den Schild verlor. Hastig stolperte er zurück und versuchte, vor dem Dämon zu fliehen, ehe dieser sich von dem Schild löste und zur nächsten Attacke ansetzte. Ohne Schild war es ein langer Weg bis zu seinen tragbaren Bannzirkeln, und nach dem, was er gerade erlebt hatte, konnte er sich nicht einmal darauf verlassen, dass die Zirkel ihn vor den Angriffen dieser Bestie überhaupt schützen würden.

Wieder warf sich der Dämon auf ihn. Geistesgegenwärtig fing Arlen ihn mit seinem Speer ab und traf das Wesen mitten an der Brust. Es war ein kräftiger Stoß mit einer ausgezeichneten Waffe, doch selbst der schwächste Horcling besaß einen Panzer, an dem eine Speerspitze einfach abglitt. Die Klinge konnte den Dämon nicht durchbohren, doch er bekam die Fackel ins Gesicht, die durch den Schlag aus der Halterung fiel. Arlen stieß noch einmal heftig zu und drängte den Horcling zurück. Im zuckenden Schein der Fackel sah er, wie das Scheusal, momentan geblendet durch das Licht, hilflos taumelte.

»Komm schon!«, brüllte Arlen, während er sich langsam in Richtung des Ausgangs bewegte. Noch halb benommen, griff der Horcling ein letztes Mal an, doch darauf hatte Arlen nur gewartet. Er packte den Türvorhang, fing den Lehmdämon in den verkrusteten, staubigen Falten ein und hielt den Stoff fest in den Händen, während der Horcling sich wand und krümmte. Der Vorhang wurde von der Stange gerissen, als Arlen durch die Tür auf den Treppenabsatz stürmte und den Dämon über das Sims nach unten warf. Der Vorhang, in dem die Bestie sich verheddert hatte, dämpfte das zornige Kreischen, das den Sturz in die Tiefe begleitete.

Arlen rannte noch einmal ins Haus zurück, um seine Fackel zu holen. Den Rucksack ließ er liegen, wo er gerade war, zusammen mit dem ramponierten Schild und dem Speer, und hetzte dann wieder zu den Treppen. Er wollte gerade nach unten rennen, als ein scharrendes Geräusch die Luft vibrieren ließ. Verdutzt spähte er die Lehmziegelwände hinauf, die sich längs der Klippe in die Höhe zogen, und ihm drehte sich der Magen um, als es in dem Mauerwerk plötzlich vor Lehmdämonen wimmelte.

Eines Tages wirst du durch deinen Leichtsinn zu Tode kommen, hörte Arlen seinen Vater unken, doch in diesem Moment hatte er weder Zeit noch Lust, ihm zu widersprechen. Er wirbelte herum und hetzte so schnell er konnte die Treppen hinunter.

Er rannte so schnell, dass er in dem unruhig flackernden Licht der Fackel den Weg nicht richtig sehen konnte, trotzdem übersprang er mitunter mehrere Stufen. Doch selbst das nützte ihm nichts. Nicht nur hinter ihm, auch vor ihm tauchten Dämonen auf. Auf dem Weg nach oben musste er nichtsahnend einfach an ihnen vorbeigeklettert sein. Als er einen Absatz erreichte, bogen gerade zwei Lehmdämonen um die Ecke des darunterliegenden Stockwerks; die Krallen fest in den Boden gestemmt, spannten sie ihre Muskeln an, um sich auf ihn zu stürzen.

Als die Horclinge auftauchten, war es für Arlen zu spät, um seinen Schwung zu bremsen, deshalb tat er das Einzige, was ihm in diesem Moment in den Sinn kam, und hechtete über den niedrigen Wall, der das Sims begrenzte.

Gute zehn Fuß tiefer landete er auf der Treppe der nächsten Etage, wobei er unglücklich mit der Hüfte aufprallte. Die Dämonen nahmen sofort die Verfolgung auf, aber Arlen unterdrückte die Schmerzen, sprang auf die Füße und jagte wieder los.

Die Dämonen legten ein ziemliches Tempo vor, aber Arlen hatte die längeren Beine, und die schiere Verzweiflung trieb ihn zu einer halsbrecherischen Geschwindigkeit. Er rannte um die Blockaden der Krasianer herum, wobei er sich mehr auf sein Gedächtnis als auf seine Augen verließ, und in diesem Moment war er plötzlich dankbar, dass die dal’Sharum die unteren Geschosse auf ihrer Suche nach Baumaterial buchstäblich ausgeschlachtet hatten.

Von oben ließ sich ein Dämon auf ihn herabfallen, bohrte seine Krallen tief in seinen Rücken und verbiss sich mit den Zähnen in seiner Schulter, aber Arlen verlangsamte kaum seinen Lauf. Er stieß dem Horcling die Fackel ins Gesicht und warf sich nach hinten gegen die Klippenwand, so dass der Bestie der Atem aus den Lungen gepresst wurde und sie Arlen unversehens losließ. Der packte den Dämon und schleuderte ihn gegen zwei weitere Monster, die die Treppe hinunterwieselten, um sich auf ihn zu stürzen.

Dann trieb er mit der brennenden Fackel die Dämonen ein Stück zurück und rannte weiter. Zweimal stolperte er und fiel hin, wobei er sich böse den Knöchel verrenkte, aber im Nu war er wieder auf den Beinen und jagte wieder los, bevor er die Schmerzen überhaupt spürte. Hinter ihm schien sich die gesamte Klippe in einen Schwarm aus brüllenden Dämonen zu verwandeln.

Wieder sprang er über einen Wall, um den letzten von Dämonen eroberten Treppenabsatz zu vermeiden, und legte dann einen Endspurt zu seinem sachte vor sich hinglimmenden Lagerfeuer hin. Noch ehe er dort ankam, stellte er fest, dass der Lehmdämon, den er in den Vorhang eingewickelt und die Klippenwand hinuntergeworfen hatte, mitten in seinem Zirkel gefangen war. Die große Höhe und der Stoff, in den er eingerollt war, hatten ihn beim Abtauchen in den Wirkungsbereich der Siegel offenbar geschützt, doch nun versuchte die Kreatur vergeblich, den Zirkel wieder zu verlassen. Wie wahnsinnig bearbeitete der Horcling mit den Krallen das Siegelnetz, und Blitze aus weißer Magie sprühten wie ein flirrendes Spinnengewebe durch die Luft.

Da Arlen sich nicht in seinen eigenen Zirkel flüchten konnte, schlug er einen Haken und steuerte auf den Kreis zu, in dem Morgenröte angepflockt stand. Ein Lehmdämon versperrte ihm den Weg, doch als er ihn ansprang, ließ Arlen die Fackel fallen und schnappte sich das Vieh mit beiden Händen. Die scharfkantigen Schuppen zerschnitten seine Haut, und er bekam einen Schwall faulig stinkenden Atem ins Gesicht, doch er drehte sich geschickt auf dem Absatz herum und nutzte den Schwung der angreifenden Bestie aus, um sie in eine der Dämonengruben im Hof zu schleudern.

Ein grelles Kreischen ertönte, als Arlen sich mit einem Hechtsprung in den Zirkel des Pferdes rettete, und die Siegel flammten auf, weil ein Winddämon gegen das Netz prallte. Der Horcling wurde zurückgeworfen und wäre in derselben Grube gelandet wie der Lehmdämon, hätte er nicht im letzten Moment die Schwingen gespreizt und sich in der Luft gefangen. Der Winddämon zischte Arlen wütend an und entblößte im Licht der funkensprühenden Siegel seine entsetzlichen Zähne.

Aber noch war Arlen nicht in Sicherheit. Die Lehmdämonen brandeten wie eine Welle gegen den Zirkel an und versuchten zu Dutzenden, den Schutzwall zu durchbrechen. Die Siegel loderten in magischem Feuer, wenn die Horclinge mit dem Netz in Berührung kamen, und der Ausbruch an Energie ließ sie abrupt innehalten, aber die Lehmdämonen wurden nicht nach hinten geschleudert, wie es eigentlich hätte sein müssen. Die Magie durchzuckte ihre gedrungenen Leiber, und sie heulten vor Schmerzen, dennoch gruben sie ihre Klauen in den Boden und stemmten sich gegen das Siegelnetz. Arlen hetzte am Rand des Zirkels entlang und scheuchte die Dämonen mit Fußtritten von dem Netz weg, aber lange konnte er diese Taktik nicht anwenden, und die Nacht war noch jung. Früher oder später würden die Lehmdämonen in den Kreis eindringen. Instinktiv witterte Morgenröte die Gefahr und zerrte nervös an den Stricken.

Doch dann erscholl ein Brüllen, das selbst die Kakophonie der Lehmdämonen übertönte, und Einarm kam in den Hof gedonnert. Von den Hornspitzen bis zu den Zehen maß der Felsendämon gute fünfzehn Fuß, und durch seinen dicken schwarzen Körperpanzer war er gegen fast jeden Angriff gefeit; lediglich die stärksten Siegel konnten ihn abwehren.

Eifersüchtig wie immer fegte der riesige Horcling mit seinem verbliebenen Arm die Lehmdämonen beiseite, wie ein Mann welkes Herbstlaub wegkehren würde, und bahnte sich einen Weg zu Arlens Zirkel. Mit zornigem Knurren verjagte er jeden Lehmdämon, der so dumm war, sich ihm zu nähern, und tötete nicht wenige seiner kleineren Vettern, ehe sie ihre Lektion lernten.

Bei ihrer ersten Begegnung vor fast zehn Jahren hatte Arlen Einarm verstümmelt. Damals war er noch ein Junge gewesen, und mehr zufällig als mit bewusster Absicht hatte er dem Giganten den Arm abgetrennt, doch der Felsendämon war unsterblich und konnte nicht vergessen, geschweige denn vergeben.

Jede Nacht stieg Einarm an der Stelle aus dem Boden, an der er Arlen das letzte Mal gesehen hatte, und folgte seiner Spur. Egal, wie viele Flüsse Arlen durchschwamm oder auf wie viele Bäume er kletterte, der hünenhafte Dämon holte ihn stets nach wenigen Stunden ein, wobei er schneller rennen konnte als das beste Pferd. Er kannte weder Erschöpfung noch Durst, sein ganzes Sinnen und Trachten war nur darauf gerichtet, sich an Arlen zu rächen.

Der Felsendämon hämmerte mit seinen wuchtigen Pranken gegen die Siegel, und in seiner Besessenheit, endlich Vergeltung zu üben, beleuchtete er die gesamte Flussniederung mit Magie. Aber Arlen beherrschte das Zeichnen der Schutzzeichen gegen Felsendämonen mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit, und er schätzte die Chance, dass Einarm gewinnen könnte, als denkbar gering ein. Und dennoch, als er sich auf den Boden hockte und zurücklehnte, verspürte er keinen Anflug von Triumph, weil Einarms Auftauchen ihn unverhofft vor den Lehmdämonen gerettet hatte. Er wusste sehr wohl, dass der gewaltige Felsendämon ihn eines Tages auf der falschen Seite der Schutzsiegel erwischen würde, und dann wünschte er sich wahrscheinlich, die Lehmdämonen hätten ihn gekriegt.

Doch vorerst grüßte er Einarm mit einer obszönen Geste und kramte dann in Morgenrötes Satteltaschen nach dem zweiten Kräuterbeutel, den er für Notfälle wie diesen aufbewahrte, und nach Verbandszeug.

Er hatte ein beachtliches Geschick darin entwickelt, seine Wunden selbst zu versorgen.

Kurz vor der Morgendämmerung, als der Himmel allmählich heller wurde, riss ein irrsinniges Kreischen Arlen aus dem Schlummer. Da er notgedrungen einen leichten Schlaf hatte, sprang er sofort auf die Füße und schüttelte die Müdigkeit ab wie eine lästige Decke. Einarm war bereits wieder in den Horc abgetaucht, so wie sämtliche Wind- und Lehmdämonen – bis auf einen.

Der Horcling, der in Arlens Hauptzirkel gefangen war, versuchte verzweifelt, sich daraus zu befreien; mit den Krallen schlug er auf das Siegelnetz ein, doch es gelang ihm nicht, die Barriere aus Magie zu durchbrechen. Die Siegel waren vielleicht nicht präzise auf Lehmdämonen abgestimmt, aber wenn ein Horcling in einem geschlossenen Bannkreis steckte, verstärkte sich die Energie des Netzes um ein Vielfaches.

Der Horizont hellte sich immer mehr auf, und mit großem Interesse beobachtete Arlen den dem Tode geweihten Dämon. Im zunehmenden Tageslicht glich die Kreatur ein wenig einem Gürteltier; über den Rücken verlief ein orangefarbener, in Platten gegliederter Panzer, die kräftigen Stummelbeine waren mit dicken, scharfkantigen Schuppen bedeckt und endeten in gekrümmten Klauen. Der stumpfnasige Kopf besaß die Form eines Zylinders und konnte als kräftiger Rammbock eingesetzt werden, was der Horcling demonstrierte, indem er immer wieder vergeblich gegen die magische Schranke seines Gefängnisses anrannte.

Die ersten Sonnenstrahlen strichen über das trockene Flussbett, und der Horcling schrie gequält auf, obwohl die Wände der Schlucht noch im Schatten lagen. Doch das würde sich schon bald ändern.

In seiner höchsten Not verlor der Dämon seine Stofflichkeit und verwandelte sich in einen orangegelben Nebel, der den Zirkel füllte. Doch selbst in seinem körperlosen Zustand gelang es dem Horcling nicht, aus dem Bannkreis zu entkommen. Im Lehmboden innerhalb des Siegelnetzes existierte kein Fluchtweg in den Horc, und die nebelhafte Form schlängelte sich zu den Rändern des Zirkels hin, aber knisternde magische Entladungen drängten sie immer wieder zurück und zuckten fiebrig durch den Nebel wie Blitze, die in einer Gewitterwolke tanzen.

Der Dunstschleier floss an der Innenseite des Zirkels entlang und forschte unablässig nach einer Bresche in Arlens dicht gewebtem Netz. Obwohl der Horcling keinen festen Körper mehr besaß, konnte Arlen seine Angst und Verzweiflung schmecken, und vor lauter Aufregung verkrampfte er sich. Dämonen waren gegen Waffen immun, mit denen man jedes andere Lebewesen zur Strecke bringen konnte. Der einzige sichere Weg, einen Horcling zu töten, bestand darin, ihn in einen Bannzirkel einzusperren und auf die Sonne zu warten, ein Vorgehen, bei dem oft genauso viele Menschen ums Leben kamen wie Dämonen.

Endlich stand die Sonne so hoch, dass ihre Strahlen die andere Seite des Flusses erreichten, und in dem orangefarbenen Nebel flackerten Funken auf als würde ein Feuer entfacht. Plötzlich entlud sich ein gleißender Blitz, begleitet von einer unglaublichen Hitze, als sich der Nebel entzündete und sogar die Luft in Brand steckte. Arlen spürte, wie ein starker Wind an ihm vorbeirauschte, als das plötzlich entstandene Vakuum die Atmosphäre ansaugte; seine Augen trockneten aus und seine Wangen glühten, doch er hätte den Blick nicht von dem Spektakel abwenden können, selbst wenn es um sein Leben gegangen wäre. Nach allem, was die Dämonen der Welt angetan hatten, wurde Arlen es nie leid, mitanzusehen, wie ein Horcling den höchsten Preis für seine Bösartigkeit zahlte.

Nachdem der Dämon verbrannt und der letzte Funke erloschen war, untersuchte Arlen seine Lagerstätte, doch das meiste von seiner Ausrüstung hatte er verloren. Einen Teil hatte der Dämon durch sein Toben zerstört, und der Rest war verschmort, als die von dem Nebel ausgehende Stichflamme die Luft zum Brennen brachte. In dem Zirkel, in dem Morgenröte stand, bewahrte er Ersatz für die wichtigsten Dinge auf, doch dieser eine tote Dämon verursachte ihm Kosten, die er selbst durch den Verkauf der Töpferwaren kaum abdecken konnte.

Wenn überhaupt noch Keramiken übrig waren, die sich versilbern ließen. Der Gedanke erschreckte Arlen so sehr, dass er sofort die Treppen zu Meister Dravazis Werkstatt hinaufhetzte. Und seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich, als er sah, dass fast jedes Stück beschädigt oder total zerschmettert war. Hastig durchkämmte er die anderen Häuser und fand dort auch eine Menge Töpferwaren, allerdings handelte es sich um robustes Geschirr für den alltäglichen Gebrauch. Die Bahavaner, die auf Handel angewiesen waren, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, hatten keine Zeit darauf verwendet, die Sachen, die sie selbst benutzten, mit kunstvollen Ornamenten zu versehen. Er konnte sich schon glücklich schätzen, wenn der Erlös für seine Ausbeute den entstandenen Schaden ausglich und sein Verlust sich so in Grenzen hielt.

Doch trotz seiner immer noch schmerzenden Wunden und obwohl die Exkursion nicht den erhofften Profit einbrachte, ritt Arlen hoch erhobenen Kopfes und in glänzender Laune aus der Schlucht heraus. Er hatte einen Ort gesehen, den seit über zwanzig Jahren niemand mehr aufgesucht hatte, sich gegen die dort hausenden Dämonen behauptet und überlebt, so dass er zurückkehren und anderen von seinen Abenteuern berichten konnte.

Eines Tages wird dich dein Glück verlassen, ermahnte ihn die Stimme seines Vaters.

Das mag ja sein, erwiderte er in Gedanken, aber nicht heute.

Sich schwer auf seine Krücke stützend, humpelte Abban durch den Großen Basar von Fort Krasia, der Stadt, die den Beinamen »Der Wüstenspeer« trug. Abban schob einen gewaltigen Bauch vor sich her, doch selbst wenn er nicht so ein Fettwanst gewesen wäre, hätte sein lahmes Bein ihn nicht tragen können.

Auf dem Kopf trug er einen Turban aus gelber Seide, der von einer gelbbraunen Stoffmütze gekrönt wurde. Das weit geschnittene, leuchtend blaue Seidenhemd unter der gelbbraunen Wildlederweste war mit einem aufwendigen, verschnörkelten Muster aus Goldfäden verziert, und an seinen Fingern glitzerten Ringe. Seine Pluderhosen, die aus der gleichen Seide bestanden wie der Turban, wurden von einem mit Juwelen besetzten Gürtel gehalten, und das obere Ende der Krücke war aus glattem weißem Elfenbein geschnitzt. Die Schnitzerei stellte das erste Kamel dar, das Abban je gekauft hatte, und seine Achselhöhle ruhte zwischen den beiden Höckern.

Der Basar erstreckte sich meilenweit entlang der Innenseite der Stadtmauern. Scheinbar endlose Reihen von Buden, Zelten und Tierpferchen säumten die heißen, staubigen Straßen, man verhökerte Nahrungsmittel, Gewürze, Parfüms, Kleidung, Schmuck, Möbel, Vieh, Lasttiere – einfach alles, was das Herz eines Käufers begehrte.

So wie das Labyrinth außerhalb der Mauern in einer Weise angelegt war, die es den dal’Sharum ermöglichte, jeden Dämon, der versuchte, in die Stadt einzudringen, einzufangen und zu töten, so gestaltete sich der Basar nach einem ähnlichen Prinzip, um Käufer anzulocken und zu verwirren, damit sich die Händler auf sie stürzen konnten. Die beeindruckende Zurschaustellung von Waren und die Aufdringlichkeit der Verkäufer ließen selbst die schwierigsten, anspruchsvollsten Kunden schwachwerden, so dass sie bereitwilliger als sonst ihre Geldbörsen zückten. Und vermeintliche Ausgänge, von denen man annahm, sie führten aus dem Bezirk heraus, entpuppten sich häufig als Sackgassen, weil die ständig umgestellten Buden die Passage versperrten. Sogar jemand, der sich in dem unübersichtlichen, verwinkelten Basar gut auskannte, verirrte sich von Zeit zu Zeit.

Aber nicht Abban. Der Basar war sein Zuhause, und der Lärm, den die in höchster Lautstärke geführte Feilscherei verursachte, war die Luft, die er zum Atmen brauchte. Er konnte sich genauso wenig in dem Basar verlaufen, wie der Erste Krieger im Labyrinth die Orientierung verlieren würde.

Abban war im Zelt seiner Familie geboren worden, direkt im Zentrum des Basars. Seine Großmutter hatte die Hebamme ersetzt, und Abbans Vater, Chabin, hielt den Laden für Kunden geöffnet, selbst als seine Frau im hinteren Bereich vor Schmerzen schrie. Er konnte es sich nicht leisten, das Geschäft lasch zu führen, zumal es jetzt noch ein weiteres Maul zu füttern gab.

Abban hatte Chabin als einen guten Menschen in Erinnerung. Er arbeitete fleißig, um für seine Familie zu sorgen, obwohl er zu feige war, um ein Krieger zu werden, und die Geistlichen ihm einen Mangel an Glauben vorwarfen.

Da ihm diese beiden Berufsstände verwehrt waren, die einzigen Beschäftigungen, die man eines krasianischen Mannes für würdig erachtete, sah Abbans Vater sich gezwungen, jeden Tag den Buckel krummzumachen und zu schuften wie eine Frau. Er war ein khaffit, ein Mann ohne Ehre, und infolgedessen würde ihm das Paradies des Everam für immer verschlossen bleiben.

Aber Chabin hatte seine Bürde klaglos geschultert und einen winzigen Verkaufsstand, an dem minderwertige Kinkerlitzchen verhökert wurden, in ein blühendes Geschäft verwandelt, das sogar Kunden in so weit entlegenen Gebieten wie den Grünen Ländern im Norden bediente. Er hatte Abban in Mathematik und Geografie unterwiesen, ihm gezeigt, wie man Worte schreibt, und ihn in der Sprache der Leute aus den Grünen Ländern unterrichtet, damit er mit ihren Kurieren in deren eigener Zunge um die Güter, die sie transportierten und feilboten, feilschen konnte. Er brachte Abban vieles bei, doch in erster Linie hatte er ihn gelehrt, die dama zu fürchten. Eine Lektion, für die Chabin mit seinem Leben bezahlt hatte.

Die dama,Heilige Männer des Everam, die gleichzeitig als weltliche Führer fungierten, nahmen in der Krasianischen Gesellschaft den höchsten sozialen Rang ein. Sie trugen strahlend weiße Gewänder, die man schon von weitem sah, und dienten als Brücke zwischen den Menschen und ihrem Schöpfer. Dama hatten das Recht, jeden beliebigen Stammesangehörigen, der im Rang unter ihnen stand, auf der Stelle und ohne Furcht vor Bestrafung zu töten, wenn sie glaubten, dieser Mann entböte ihnen oder den heiligen Gesetzen, die sie erließen, nicht den gebührenden Respekt.

Abban war acht Jahre alt gewesen, als sein Vater umgebracht wurde. Cob, ein Kurier aus dem Norden, war an ihren Verkaufsstand gekommen, um Vorräte für seine Rückreise einzukaufen. Er galt als hochgeschätzter Kunde, auf den sie überdies angewiesen waren, damit der Warenstrom aus den Grünen Ländern nicht versiegte. Abban behandelte diesen Mann als sei er ein Prinz.

»Auf dem Weg hierher wurde einer meiner Bannzirkel beschädigt«, erklärte Cob, der hinkte und sich beim Gehen auf seinen Speer stützen musste. »Ich benötige Schnüre und Farbe.«

Chabin schnippte mit den Fingern, Abban reichte seinem Vater einen kleinen Topf mit Farbe und sprintete gleich darauf los, um Schnüre zu holen.

»Ein verfluchter Sanddämon hat mir den halben Fuß abgebissen, ehe ich mich in meinen Ersatzzirkel flüchten konnte«, erzählte Cob und hob sein bandagiertes Bein.

Abgelenkt von diesem Anblick, bemerkten weder Chabin noch Cob, dass ein dama an ihrem Stand vorbeiging.

Doch der dama hatte sie gesehen; vor allen Dingen war ihm übel aufgestoßen, dass Abbans Vater sich nicht unterwürfig verbeugt hatte, wie es sich für einen khaffit gehörte, wenn ihm ein Geistlicher begegnete.

»Nieder mit dir, du dreckiger khaffit!«, schnauzte der dal’Sharum, der den dama begleitete.

Vor lauter Schreck über das donnernde Gebrüll wirbelte Chabin herum und verschüttete Farbe auf die blütenweiße Robe des dama.

Einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen, dann fasste der empörte dama über den Verkaufstresen, packte Chabin bei seinem Haupthaar und beim Kinn und drehte seinen Kopf mit einem scharfen Ruck herum. Ein knackendes Geräusch wie von zerbrechendem Holz hallte durch das Zelt, und Abbans Vater fiel tot um.

Seit jenem Tag war über ein Vierteljahrhundert vergangen, doch an diesen entsetzlichen Laut konnte Abban sich noch immer lebhaft erinnern.

Als Abban alt genug war, hatte man gewaltsam versucht, einen Krieger aus ihm zu machen, damit er die Schande seines Vaters tilgte. Doch obwohl die Zugehörigkeit zu seiner Kaste nicht erblich war, erwies sich Abban als genauso feige und schwach wie sein Vater. Er diente immer noch als Novize, als er durch den brutalen Drill zum Krüppel wurde und ihm gar nichts anderes übrigblieb, als ebenfalls die ehrlose Laufbahn eines khaffit einzuschlagen.

Abban nickte ein paar Händlern zu, an deren Buden er vorbeikam. Die meisten Verkäufer waren Frauen, von Kopf bis zu den Füßen in schwere schwarze Tücher gehüllt, obwohl es auch noch andere khaffit wie ihn gab. Genau wie Abban konnte man sie leicht an ihrer farbenfrohen Tracht erkennen, doch alle trugen die schlichte gelbbraune Kappe und Weste ihres Standes. Außer den khaffit kleideten sich nur die Frauen in bunte, prächtige Sachen, aber auch nur dann, wenn sie entweder mit ihren Männern allein waren oder sich in rein weiblicher Gesellschaft befanden.

Falls die Händlerinnen auf Abban, den khaffit, verächtlich herabschauten, so hüteten sie sich, es offen zu zeigen. Wie Abban die Schwächen seines Vaters geerbt hatte, so hatte er auch dessen Stärken als Veranlagung mitbekommen, und seit Abban geschäftlich die Zügel übernommen hatte, war der Familienbetrieb mit jedem Jahr gewachsen. Wer ihn beleidigte, riskierte unweigerlich einen Rückgang seiner Gewinne, denn der fette khaffit hatte Kontakte und laufende Transaktionen nicht nur im ganzen Basar, sondern er trieb auch Handel mit Städten, die Hunderte von Meilen weit im Norden lagen. Die meisten Geschäfte mit den Grünen Ländern liefen über Abban, und jeder, der Zugang zu den kostbaren exotischen Gütern haben wollte, ließ sich seine Geringschätzung nicht anmerken.

Doch eine Ausnahme gab es. Als Abban seinen eigenen Pavillon erreichte, hallte ein Ruf über die Straße. Angewidert fasste er den Konkurrenten ins Auge, der auf ihn zuhoppelte.

»Abban, mein Freund!«, trompetete der Mann, der ihm in Wahrheit alles andere als wohlgesonnen war. »Dachte ich mir doch, dass ich deine schrillen, weibischen Klamotten gesehen habe, als du die Straße hochgekommen bist! Wie laufen deine Geschäfte heute?«

In Abban brodelte es, doch er hütete sich, eine ruppige Antwort zu geben. Amit asu Samere am’Rajith am’Majah war ein dal’Sharum-Krieger und stand so hoch über Abban dem khaffit wie ein Mann über eine Frau erhaben war; und obwohl es eigentlich gegen das Gesetz verstieß, wenn ein dal’Sharum einen khaffit ohne einen triftigen Grund tötete, so würde derjenige, der es trotzdem tat, nur milde oder gar nicht bestraft werden.

Und deshalb musste Abban beide Augen zudrücken, wenn gelegentlich ein Karren mit Gütern, der ihm gehörte, verschwand, und so tun, als sei dieser Vorfall nie passiert. Er durfte nicht einmal über diesen Verlust reden, geschweige denn einen Diebstahl vermuten, selbst wenn er genau wusste, dass Amits Leute die Sachen geraubt hatten.

Amit war erst seit kurzem auf dem Markt tätig. Ein Sanddämon hatte ihm in einer Schlacht ein Stück aus der Wade herausgebissen, und die Wunde hatte angefangen zu eitern. Zum Schluss blieb den dama’ting gar keine andere Wahl, als zu amputieren. Es galt als große Schmach, im Kampf verkrüppelt zu werden und nicht zu sterben, doch da er es geschafft hatte, den Dämon bis zum Sonnenaufgang festzuhalten, war Amit ein Platz im Paradies nach dem Tode sicher.

Im Gegensatz zu Abban trug Amit ausschließlich schwarze Gewänder, wie es sich für einen Krieger geziemte, und der Schleier, mit dem sich die dal’Sharum nachts die Gesichter verhüllten, war locker um seinen Hals drapiert. Seinen Speer schleppte er immer noch mit sich herum, obwohl er ihn inzwischen mehr als Gehhilfe denn als Waffe einsetzte, aber er schärfte regelmäßig die Spitze und war schnell bereit, damit zu drohen, wenn jemand seinen Zorn erregte.

Ein Mann in der schwarzen Kriegerkluft zog im Basar die Aufmerksamkeit auf sich, denn hier traf man im Allgemeinen nur Frauen und khaffit. Die Leute neigten dazu, wie auf Zehenspitzen um einen Krieger herumzuschleichen, aus Angst, ihm zu nahe zu treten, und deshalb hatte Amit oben an seinen Speer einen grell orangefarbenen Stofffetzen gebunden, um auf seinen Händlerstatus hinzuweisen und das Interesse möglicher Kunden zu wecken.

»Ach, Amit, mein teurer Freund!«, entgegnete Abban und legte einen Ausdruck aufrichtiger Wärme in seine Züge, wie er es bei Tausenden von Kunden geübt hatte. »Bei Everam, ist das schön, dich zu sehen. Wenn du in der Nähe bist, scheint die Sonne gleich heller. Die Geschäfte gehen in der Tat gut. Danke für die Nachfrage. Vermutlich laufen die Dinge in deinem Pavillon auch bestens?«

»Natürlich, natürlich«, versetzte Amit, während er Abban mit Blicken durchbohrte. Er schien noch mehr sagen zu wollen, doch dann bemerkte er zwei Frauen, die stehen blieben und die Waren auf einem von Abbans Obstkarren prüften.

»Kommt, kommt, verehrte Mütter, da drüben in meinem Pavillon findet ihr Obst von viel besserer Qualität!«, rief Amit. »Wollt ihr lieber bei einem seelenlosen khaffit kaufen oder bei einem Krieger, der nächtens todesmutig gegen Dämonenhorden gekämpft hat?«

Nur wenige konnten seine Aufforderung ausschlagen, wenn er sie so formulierte. Die Frauen wandten sich von Abbans Karren ab und steuerten auf Amits Pavillon zu. Amit grinste Abban höhnisch an. Es war nicht das erste Mal, dass er Abban auf diese schäbige Weise ein Geschäft verdorben hatte, und es würde vermutlich auch nicht das letzte Mal sein.

Ein Zischen überlagerte den allgemeinen Radau auf dem Markt, und beide Männer blickten hoch. Mit diesem Laut warnten die Händler sich gegenseitig, wenn dama