Das Feuer im Bootshaus - Kristina Ohlsson - E-Book
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Das Feuer im Bootshaus E-Book

Kristina Ohlsson

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Beschreibung

Ein brennendes Bootshaus, ein Toter mit einem Geheimnis und ein Mann mit einem gelben Leichenwagen ... August Strindberg ist zurück.

August Strindberg ist so glücklich wie schon lange nicht mehr. Sein Secondhand-Laden läuft besser als gedacht, und: August ist verliebt – nämlich in die Kriminalkommissarin Maria Martinsson. Doch dann bricht in seinem neuen Heimatort Hovenäset in einer kalten Januarnacht ein Feuer aus. Dabei werden zwei Bootshäuser zerstört – eines davon gehört August. Als plötzlich eine Leiche auftaucht, ermittelt die Polizei nicht wegen Brandstiftung, sondern wegen Mordes! Jemand in dem verschlafenen Küstenort versucht, ein dunkles Geheimnis zu verbergen, und auf einmal befinden sich sowohl Maria als auch August in der Schusslinie.

Alle Fälle von August Strindberg:
1. Die Tote im Sturm
2. Das Feuer im Bootshaus
Die Romane sind einzeln lesbar und die Fälle abgeschlossen.

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Seitenzahl: 680

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Buch

August Strindberg ist so glücklich wie schon lange nicht mehr. Sein Secondhandladen läuft besser als gedacht, und noch besser: August ist verliebt – nämlich in die Kriminalkommissarin Maria Martinsson. Doch dann bricht in seinem neuen Heimatort Hovenäset in einer kalten Januarnacht ein Feuer aus. Dabei werden zwei Bootshäuser zerstört – eines davon gehört August. Als plötzlich eine Leiche auftaucht, ermittelt die Polizei nicht wegen Brandstiftung, sondern wegen Mordes! Jemand in dem verschlafenen Küstenort versucht, ein dunkles Geheimnis zu verbergen, und auf einmal befinden sich sowohl Maria als auch August in der Schusslinie.

Autorin

Kristina Ohlsson, Jahrgang 1979, arbeitete im schwedischen Außen- und Verteidigungsministerium als Expertin für EU-Außenpolitik und Nahostfragen, bei der nationalen schwedischen Polizeibehörde in Stockholm und als Terrorismusexpertin bei der OSZE in Wien. Mit ihrem Debütroman »Aschenputtel« gelang ihr der internationale Durchbruch und der Auftakt zu einer hoch gelobten Thrillerreihe um die Ermittler Fredrika Bergman und Alex Recht. Neben der Veröffentlichung zahlreicher Jugendbücher schuf Kristina Ohlsson außerdem den hartgesottenen Anwalt Martin Benner, der in den Bestsellern »Schwesterherz«, »Bruderlüge« und »Blutsfreunde« ermittelt. August Strindberg ist Ohlssons neueste Romanfigur, der als Hobbyermittler mit seinem gelben Leichenwagen Fälle löst, obwohl er gar nichts mit der Polizei zu schaffen hat ...

Weitere Schweden-Krimis von Kristina Ohlsson:

Aus der Serie mit Fredrika Bergman und Alex Recht:

Aschenputtel

Tausendschön

Sterntaler

Himmelschlüssel

Papierjunge

Sündengräber

Aus der Serie mit Martin Benner:

Schwesterherz

Bruderlüge

Blutsfreunde

Aus der Serie mit August Strindberg:

Die Tote im Sturm

Das Feuer im Bootshaus

Weitere in Vorbereitung

KRISTINA OHLSSON

DAS

FEUER

IM

BOOTSHAUS

AUGUST STRINDBERG ermittelt

Ein SCHWEDENKRIMI

Deutsch von Susanne Dahmann

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Isbrytare« bei Bokförlaget Forum, Stockholm.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2022 by Kristina Ohlsson

Published by agreement with Salomonsson Agency

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Limes in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Ingola Lammers

Covergestaltung: www.buerosued.de nach einer Idee von © Kristina Ohlsson 2022

Covermotiv: mauritius images / Anders Ekholm; © Kristina Ohlsson 2023; www.buerosued.de

Klappeninnenmotive: © Kristina Ohlsson 2022

Karte: © Peter Palm, Berlin

BL · Herstellung: DiMo

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-28335-3V005

www.limes-verlag.de

Der erste Schnee fiel kurz vor dem zweiten Advent. Sanft segelten vereinzelte Schneeflocken auf Hovenäset herab. Danach war es, als würde die Kälte den kleinen Ort in ihren eisigen Griff nehmen. Um Neujahr lag das Eis dick auf Fjorden und Buchten, und zum ersten Mal seit Ewigkeiten konnte man auf dem Klevekilen beim Campingplatz Johannesvik Schlittschuh fahren.

Alle liebten das Schlittschuhlaufen. Kinder und Erwachsene sausten hin und her über das Eis. Es war ein wunderbares Schauspiel. Die Sonne schien von einem klaren blauen Winterhimmel und spiegelte sich in den kargen, schneebedeckten Klippen, die um die Bucht herum aufragten.

Die Bewohner von Hovenäset beteuerten, es sei Jahre her, dass man eine solche anhaltende Kälte erlebt hätte. Endlich mal wieder ein richtiger Winter. Man erinnerte sich an Winter, die so kalt gewesen waren, dass sogar das Meer gefror und die Eisdecke sich bis nach Håll vor Kungshamn erstreckte. Vielleicht würden sie ja auch diesmal so etwas erleben können.

Jemand, der sowohl das Schlittschuhlaufen als auch die Kälte wirklich liebte, war der sogenannte »Stockholmer«. Der Mann mit dem unwahrscheinlichen Namen August Strindberg wohnte jetzt seit bald einem halben Jahr auf Hovenäset, wurde aber immer noch »neu hinzugezogen« genannt.

Niemand hatte an seinen Secondhandladen geglaubt, den er in den ehemaligen Räumen des Bestattungsinstituts in Kungshamn eröffnet hatte, und schon gar nicht nach all den schrecklichen Ereignissen im Herbst. Trotzdem sah es so aus, als würde der Laden gut laufen. Er hatte sein Unternehmen in Schwung gebracht und schien an der Westküste bleiben zu wollen.

Vielleicht war es der Stockholmer selbst, der die Dinge ins Laufen brachte. Etwas an seinem entspannten, ruhigen Wesen lockte das Sanfte in den Menschen hervor. Eine Art Naivität, verbunden mit messerscharfem Intellekt und dazu einem Namen, der verpflichtete. Er brachte Leben in den Ort und war voller Energie und Ideen.

Und er konnte Schlittschuhlaufen. Deshalb war August einer der Ersten, der sich, als das Wasser fror, auf den Klevekilen begab, und er war es auch, der die anderen warnte, wenn das Eis nach einigen Tagen über null zu dünn wurde.

Was die Leute nicht daran hinderte, trotzdem noch ein bisschen zu laufen, denn das Eis lag ja wie es lag, und woher sollte der Stockholmer mehr über Eis wissen als sie?

So passierte es, dass einer der Bewohner von Hovenäset in dem kalten Wasser landete. Die meisten waren schon nach Hause gegangen, als es passierte, nur eine kleine Schar Jugendlicher saß noch da am Rand und zog sich die Schlittschuhe aus.

Sie hörten schon, was passierte, noch ehe sie es sahen.

Erst das knisternde Geräusch von brechendem Eis.

Und dann ein erschrockener Schrei von der Frau, die im Wasser gelandet war. Nur ein einziger. Laut und gellend.

Dann war es still. So schrecklich verzweifelt still.

Doch nicht sonderlich lange, denn die Jugendlichen auf der Bank begriffen, dass das hier wirklich ernst war. Jetzt oder nie. Einer von ihnen rief nach Hilfe, während ein anderer sich nur in Socken auf das Eis hinausbegab.

Da war wieder ein gellender Schrei von dem Eisloch zu hören.

»Ich stehe!«, rief die Frau. »Ich stehe auf dem Grund.«

Das war eine Geschichte, die die Leute immer und immer wieder gern erzählen sollten.

Sie hatte schließlich alles, was man braucht: Spannung, Schauder und einen glücklichen Ausgang.

Dennoch nahmen sich die Leute danach vor dem Eis in Acht. Während der folgenden Woche war nicht ein einziger Mensch auf Schlittschuhen auf dem Klevekilen unterwegs. Es wurde noch wärmer, und jetzt begann sogar der Schnee zu schmelzen.

Doch dann schlug das Wetter wieder um.

Von einem Tag auf den anderen kehrten die Minusgrade zurück, und es begann erneut zu schneien. Das Eis schloss sich und wurde dick. Vom Unglück war keine Spur mehr zu sehen. Je mehr Tage vergingen, desto sicherer fühlten sich alle, die sich zum Schlittschuhlaufen zurücksehnten.

Diesmal hielt das Eis.

Die Idylle war wiederhergestellt.

Zumindest auf dem Klevekilen.

Doch in einem der Häuser auf Hovenäset wuchs die Verzweiflung. Die Zeit verging zu schnell, und die Geheimnisse wogen zu schwer. Und mit den Geheimnissen kam die Einsamkeit.

Es musste gehandelt werden.

Man konnte nicht länger warten.

Die Nacht zwischen dem 25. und dem 26. Januar

»Habe ich vergessen abzuschließen?«

Eine Dachlawine war es, die Axel Ehnbom weckte. Dieses Geräusch, wenn schwere, mit Eis vermischte Schneeberge das Dach herunterrutschen, war unvergleichlich. Es klang wie ein von Angst getriebenes Wimmern, das den vernünftigsten Menschen in Schrecken versetzen konnte. Schuld daran waren die Dachziegel. Eines Tages würde er sich der Sache annehmen müssen, doch das musste warten. Axel war nämlich ein Mann, der weitaus größere Probleme hatte, als dass sein Dach keinen Schnee mochte. Von denen sprach er zwar sehr selten, das machte sie aber nicht kleiner.

Tatkraft, hatte er gedacht. Ich muss Tatkraft zeigen.

Und dann hatte er genau das getan.

Er blinzelte ein paarmal, versuchte seinen Blick und seine Gedanken zu schärfen.

Dass er überhaupt eingeschlafen war.

Es muss der Schock gewesen sein, der mich betäubt hat, dachte er. Der Schock über das, was er getan hatte.

Es war ein Uhr nachts. Im Haus war es vollkommen still, auf ganz Hovenäset war es vollkommen still.

Er hätte sich nie vorstellen können, dass es so kommen würde.

Hoffentlich war es ihm gelungen. Alles noch einmal machen zu müssen könnte er nicht ertragen.

Axel setzte sich im Bett auf. Alle Bewegungen waren so verdammt zäh geworden. Er hatte sich den Feiern sowohl zu seinem 80. wie auch zu seinem 85. Geburtstag verweigert. Was gab es da schon zu feiern? Dass die Zeit verging, ohne dass er sie mit Inhalt zu füllen vermochte?

Nein danke.

Axel gehörte nicht zu denen, die im Mittelpunkt stehen wollten, das konnten andere übernehmen.

In dieser späten Nacht schmerzten die Gelenke mehr als sonst. Sein Rücken war steif, und der Nacken brannte. Es fühlte sich an, als hätte jemand ihn angezündet.

Er strich sich mit der Hand über die schmerzende Region.

In drei Wochen würde er 86 werden.

Auch diesen Geburtstag gedachte er nicht zu feiern.

Das Dach und der Schnee gaben Ruhe. Mit einem Mal kam ihm die Dunkelheit noch dichter vor. Axel schlief immer mit offenen Gardinen. Er war viel zu sehr ein Wachhund, um das Rollo herunterzuziehen. So hatte jedenfalls Denise es ausgedrückt.

»Ich kann ja froh sein, dass du überhaupt schläfst«, hatte sie gesagt. »Wo du doch so viel Angst hast, was zu verpassen.«

Sie selbst war anders gewesen. Sie hatte gemeint, alle Zeit der Welt zu haben. Und dann war sie zuerst gestorben, viele Jahre früher, als irgendeiner von ihnen erwartet hatte.

»Verdammte Scheiße«, hatte Axel an jenem grässlichen Tag gesagt, als sie erfuhren, dass Denise unter ALS litt, der schlimmsten aller Krankheiten.

Damals war sie erst 55 Jahre alt gewesen. Und er 70. Ein Jahr später war sie gestorben.

Wie sollte es überhaupt möglich sein, den Verlust der großen Liebe seines Lebens auszuhalten?

Das konnte Axel sich nicht vorstellen, damals ebenso wenig wie heute.

Die ganze Ehe war ein Hochrisikounternehmen gewesen, das ihn die Beziehung sowohl zu seinen Eltern als auch zu seinen Geschwistern gekostet hatte.

»Wie konnte ich nur so dumm sein, dich zu ermutigen, als du angefangen hast davon zu reden, nach Chicago zu ziehen?«, hatte sein Vater laut geschimpft, als er von der Beziehung erfuhr. »Ich hätte wissen müssen, dass du den letzten Mist aus etwas so Wertvollem machen würdest.«

»Ich liebe sie«, hatte Axel geantwortet und war selbst über die Ruhe in seiner Stimme erstaunt gewesen.

»Sie ist doch so jung, Axel«, hatte seine Mutter gesagt. »Weiß sie denn wirklich, wo sie mit ihrem Leben hin will?«

»Sie ist kein Kind mehr«, hatte Axel geantwortet, »sie weiß absolut, was sie will. Und das weiß ich auch.«

»Wenn du so eine Person heiratest, dann bist du hier zu Hause nicht mehr willkommen«, hatte Axels Vater entschieden.

So eine Person.

Eine, die man schwarz nannte.

»Ich heirate verdammt noch mal, wen ich will«, hatte Axel geantwortet und sein Elternhaus verlassen.

Wie sich herausstellen sollte, für immer.

Erst im Nachhinein hatte er gemerkt, wie naiv er gewesen war.

Er hatte sich nicht vorstellen können, wie es sein würde und dass so viele Leute eine Meinung zu seiner Wahl haben würden.

Keinem von ihnen beiden war das klar gewesen, aber Denise war, obwohl sie jünger war, besser vorbereitet gewesen. Sie hatte ihr ganzes Leben als Afroamerikanerin verbracht, und das war eine Erfahrung, die Alex niemals nachholen könnte. Er würde niemals auch nur annähernd verstehen, was das bedeutete.

Axel hatte nur eine fantastisch schöne Frau gesehen, mit einem Scharfsinn, von dem er weiche Knie bekam, und mit der er so unendlich viel zu reden hatte. Was konnte er mehr begehren?

Axel hustete trocken und ging langsam zum Fenster. Dass Erinnerungen so wehtun konnten, obwohl so viele Jahre vergangen waren. Die Knie knackten, wenn er sich bewegte. Aber man konnte ja nur froh sein, dass der Körper noch wie ein Orchester zu klingen vermochte, sonst wäre die Stille erdrückend gewesen.

In keinem der umliegenden Häuser war Licht. Langsam aber sicher waren es immer weniger Leute geworden, die noch das ganze Jahr über hier in Axels Ecke der Halbinsel lebten. Jetzt im Winter waren es nur noch er selbst und Mary Thynell, die auf der anderen Straßenseite wohnte.

Axel hatte nichts gegen die Ruhe, die einzog, wenn die Häuser leer waren. Im Gegenteil, die Leute waren ja so unglaublich neugierig. Ausnahmen gab es aber auch – der neu hinzugezogene Stockholmer August Strindberg gehörte dazu. Der kümmerte sich um seinen Kram und scherte sich nicht groß, was andere so trieben.

Ihn hätte Denise gemocht, der Gedanke war Axel schon mehrmals gekommen.

Aber der Name.

August Strindberg.

Was hatten seine Eltern sich nur dabei gedacht, ihrem Sohn einen solchen Namen zu geben?

Axel lehnte sich ans Fensterbrett und spähte in die Schatten der Nacht hinaus. In den letzten Tagen und Wochen hatte er viel geschafft. Er hatte aufgeräumt und auf eine Weise ausgemistet wie lange nicht.

Und hier kam Strindberg ins Spiel.

Der hatte ja einen Secondhandladen und würde sicher einige der Dinge, die Axel weder behalten noch auf den Müllplatz fahren wollte, gebrauchen können.

Axel bewegte die Schultern. Die taten auch weh. Er hatte schwere Sachen gehoben, und das war nicht gut. Dann war er müde geworden und konnte sich nicht länger konzentrieren. Je mehr er packte und sortierte, desto mehr Sachen wollte er wegräumen. Die Kartons waren kleiner, als er sich gewünscht hätte. Es wurden zu viele, fast unmöglich sie noch auseinanderzuhalten. Die meisten davon hat er in den Keller gestellt, und da konnten sie stehen bleiben bis zu dem Tag, an dem er starb.

Doch für zwei der Kartons hatte er andere Pläne.

Einen davon sollte Strindberg haben, und einer musste verschwinden. August hatte sich angeboten, rüberzukommen und den Karton zu holen, der in seinen Laden sollte, doch der Vorschlag war Axel nicht angenehm gewesen. Was, wenn August anfangen würde Fragen zu stellen, warum er so groß ausmistete? Selbst eine zurückhaltende Person wie August konnte wegen weniger neugierig werden. Deshalb hatte Axel den Karton stattdessen zu August getragen, aber der war natürlich nicht zu Hause gewesen. Die Sachen in den Laden nach Kungshamn zu fahren fand Axel dann aber unnötig umständlich. Schließlich hatte er entschieden, die Kiste in die Kapelle von Hovenäset zu stellen und August mitzuteilen, dass sie dort auf ihn wartete.

Auch für den anderen Karton hatte Axel eine Lösung finden müssen, und er war sehr zufrieden mit seinem Einfall. Wer hätte gedacht, dass er jemand war, der Sachen wegzaubern konnte.

Schuld und Geheimnisse waren es, die seinen Ordnungssinn hatten explodieren lassen. Trotz aller Bücher, die er gelesen, und aller langen Briefe, die er im Laufe der Jahre geschrieben hatte, fehlten ihm die Worte, um das zu beschreiben, was er jetzt durchmachte.

Er schluckte.

Hovenäset war ein Idyll, da gab es keinen Zweifel, doch ab und zu war die Ordnung durch schreckliche Ereignisse gestört worden. Und noch mehr davon standen bevor, doch das wusste nur Axel.

Er wartete und wartete. Jeden Moment musste es passieren. Niemand sollte zu Schaden kommen, dessen hatte er sich versichert. Trotzdem wollte er einfach nur, dass alles vorbei war.

Axel atmete schwer. Ihm war, als würde er nur die ganze Zeit darauf warten, dass seine Geheimnisse ihn einholten. Wenigstens war es ihm gelungen, Denise mit dem meisten Mist zu verschonen. Das war ein kleiner, aber wichtiger Trost in diesem Zusammenhang.

Sein Mund war trocken und der Körper steif, aber der Blick scharf.

Gerade wollte er seinen Aussichtspunkt am Fenster verlassen, als sich draußen eine Gestalt aus den Schatten löste. Axel runzelte die Stirn und beugte sich, als ob das irgendeinen Unterschied machen würde, näher an die Scheibe.

Die Gestalt bewegte sich langsam vorwärts.

Die Schritte waren schleppend, und die Person war sehr klein, oder zumindest kurz.

Du willst nicht gesehen werden, dachte Axel. Und doch stehe ich hier und schaue dich an.

Unter seinen Füßen knarrte der Schlafzimmerfußboden. Er wartete den richtigen Augenblick ab, wusste, dass er Grund hatte, vorsichtig zu sein.

Die Gestalt auf der Straße blieb stehen. Axel schärfte den Blick noch einmal. Er hatte die Aussicht von ihren beiden Schlafzimmerfenstern immer geliebt. Aus dem einen sah man über Hausdächer und Bootshäuser und dahinter das Wasser. Und von dem Fenster, an dem er jetzt stand, sah er die Straße.

Man konnte nicht erkennen, wer die Gestalt auf der Straße war.

Es könnte jemand sein, der Böses im Sinn hatte, aber genauso gut auch ein Jogger. Obwohl er Letzteres eigentlich nicht glaubte. Jogger joggten (wenn auch sehr selten mitten in der Nacht), und das entsprach kaum dem, was dieser Mensch gerade tat.

Nun verschwand die Gestalt in einem neuen Schatten, und dann war sie weg.

Seltsam.

Etwas störte ihn.

Ein Geräusch aus dem Garten.

Dann ein leises Quietschen, das seinen Puls ansteigen ließ. Die Eingangstür. Jemand öffnete oder schloss die Eingangstür.

Habe ich vergessen abzuschließen?, fragte sich Axel.

Das war durchaus schon mal vorgekommen, aber nur selten. Die Zeiten, zu denen er und Denise völlig sorglos schliefen, ohne die Eingangstür abzuschließen, waren lange vorbei.

Wenn die Tür nicht abgeschlossen war, konnte es passieren, dass sie von selbst aufging und im Wind schlug.

Aber es war ja nicht windig.

Axel griff nach seinem Handy. Das Display war dunkel und das Telefon tot.

Verdammter Mist, dachte er.

Diese modernen Telefone, er begriff nicht, was er damit sollte. Sie hatten nur eine Batterie und mussten alle naselang aufgeladen werden. Axel warf das Telefon aufs Bett. Was für ein Glück, dass er noch sein Festnetztelefon hatte. Viele hatten das ja abgeschafft und verließen sich ganz aufs Handy, doch nicht so Axel. Jeder, der ein Gehirn zum Denken hatte, konnte ja wohl begreifen, dass man das nicht tun durfte.

Er schob die Füße in seine Puschen. Das Festnetztelefon stand nur wenige Meter entfernt im Arbeitszimmer.

Ein neues Geräusch ließ ihn wünschen, er hätte das Handy doch geladen. Ein knarrender Laut, den der Holzfußboden da unten immer von sich gab, wenn man darüber ging.

Er war nicht allein im Haus.

Verdammt.

Doch Axel hatte immer noch einen Vorteil: Sein Besucher wusste nicht, dass er wach war und den anderen hörte.

Nun würde er schnell ins Arbeitszimmer gehen und Hilfe rufen. Aber geräuschlos würde das nicht vonstattengehen. Keine Chance. Und er würde auch nicht hinter sich abschließen können, wenn er erst einmal dort war.

Die Schritte kamen jetzt näher, bewegten sich da unten stetig über den Boden.

Dann hörte er jemanden auf der Treppe.

Das entschied es. Axel überlegte nicht lange, sondern reagierte rein instinktiv. Er nahm Anlauf Richtung Arbeitszimmer. Schnell, schnell.

Auf halbem Weg hielt er inne.

Im Haus war es vollkommen still. Auf der Treppe waren keine Schritte zu hören, und es klang auch nicht so, als würde jemand aus Angst, entdeckt zu werden, fliehen.

Axel stand mucksmäuschenstill.

War er schon so alt geworden, dass er sich etwas einbildete?

Das, dachte Axel, das ist der Anfang vom Ende. Ich bin paranoid geworden. Wie furchtbar traurig und peinlich.

Dann trat er langsam an die Treppe und spähte hinunter.

Fünf Monate.

Wohin war die Zeit nur verschwunden?

August Strindberg lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken in seinem Bett. Er konnte nicht schlafen. Das Zimmer war dunkel wie eine Grabkammer und kalt wie ein Kühlschrank.

Nicht er wollte das so haben, sondern Maria.

Seine Freundin.

Die jetzt mit dem Kopf auf seiner Brust schlief. Jedes Mal, wenn sie ausatmete, kitzelte es. Das schönste aller Gefühle.

Fünf Monate.

Die Zeit verging so schnell und doch so langsam.

Nur noch ein Monat bis zum Halbjahres-Jubiläum. So nannten das seine neuen Freunde und Nachbarn. Dass er auf ein Jubiläum zuginge. Sie fanden, er hätte etwas zu feiern und sollte ein Fest geben.

»Wir hätten nie gedacht, dass du bleiben würdest«, pflegten die Leute zu sagen. »Nicht nach all dem, was passiert ist.

Nach alldem, was passiert ist.

August vermied daran zu denken, was diese Worte bedeuteten. Er war an die Westküste gezogen, um einen Neuanfang zu machen. Nachdem er fast sein ganzes Leben in Stockholm verbracht hatte, wollte er an einem anderen Ort von Neuem beginnen. Deshalb hatte er seinen Job als Vermögensverwalter aufgegeben und in Kungshamn, drei Kilometer von Hovenäset entfernt, in den alten Räumen des Bestattungsinstituts einen Laden eröffnet. Der Laden hieß Strindbergs Secondhand und half Dingen, die genauso verirrt waren wie er selbst, nach Hause zu finden.

Sein bester Freund Henrik, der immer noch in Stockholm wohnte, beurteilte Augusts Umzug ein wenig anders. Ihm gefiel es nicht, dass August vermied, darüber zu sprechen, wie er seine erste Zeit an der Westküste verlebt hatte.

»Ich kann dir helfen, dich zu erinnern«, pflegte er zu sagen. »Du bist von der königlichen Hauptstadt weggezogen, weil du etwas Neues sehen und tun wolltest. Und dann ist dir das Kunststück gelungen, dich in einem Haus niederzulassen, in dem jemand ermordet worden war. Gleichzeitig hast du einen Laden in einem Haus eröffnet, in dem du bald zwei Leichen finden solltest. Zwei plus eins macht drei. Drei Tote. Und trotzdem bleibst du dort. Wenn Maria dich mal in den Wind schickt, dann kannst du die ganze Sache zu einer perfekten Kontaktannonce zusammenkleben: ›Einsamer, todesverachtender, backender Bücherwurm sucht …‹«

August lächelte in der Dunkelheit.

Henrik war der Einzige, der ihn dazu bringen konnte, über diese schrecklichen Ereignisse zu lachen. Außerdem lag er ganz richtig, wenn er August als einen backenden Bücherwurm beschrieb. Das war sogar eine Beschreibung, die er in vieler Hinsicht mochte, denn August liebte es zu lesen, und er liebte es zu backen. Und seit er an die Westküste gezogen war, hatte er diesen beiden Leidenschaften so gründlich nachgehen können wie nie zuvor.

Doch pflegte er Henrik in einem Punkt zu korrigieren:

Er war nicht in dem Haus geblieben, das er gemietet hatte, als er nach Hovenäset gezogen war. Jenes Haus, das am Kärleksvägen – dem »Liebesweg« – lag und von allen das Eishaus genannt wurde, hatte sich nie wie ein echtes Zuhause angefühlt und schon gar nicht, seit August wusste, was dort passiert war. Eine junge Frau war ermordet und zerstückelt und dann in der Tiefkühltruhe gefunden worden, die im Keller stand.

Inzwischen wohnte August in einem Haus ein Stück die Straße hinunter, das er gekauft hatte und in das er eine Woche vor Weihnachten eingezogen war.

Sein eigenes Haus auf dem Kärleksvägen.

Der schönsten Adresse der Welt.

Nicht nur die Lage fand August einfach zauberhaft, sondern auch das Haus. Es war über hundert Jahre alt, und der vorige Besitzer hatte sein Schmuckstück mit großer Sorgfalt erhalten und gepflegt. Es war aus Holz, weiß gestrichen und mit Schnitzereien in Grün hübsch dekoriert. Das Grundstück drum herum war, genau wie die meisten anderen auf der Halbinsel, sehr klein, aber es gab doch einen großen Sitzplatz mit Abendsonne und eine Veranda mit Blick übers Meer. Dazu auf der einen Seite des Hauses auch einen kleinen Balkon, von dem aus man eine noch bessere Aussicht hatte als von der Veranda. Sowie das Frühjahr und die Wärme kommen würden, wollten August und Maria Frühstück und Abendessen draußen einnehmen.

Das hier wird mein bestes Frühjahr und mein bester Sommer seit Ewigkeiten werden, dachte August.

Er schlug die Augen auf und wartete, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann blinzelte er und sah zur Decke hinauf. Sie schliefen in einem Dachzimmer mit Schrägen auf beiden Seiten. An den Wänden klebten Tapeten mit einem diskreten Muster, und auf dem Fußboden lagen zwei Flickenteppiche, die August als Weihnachtsgeschenk von Maria bekommen hatte. Im ganzen Haus lagen noch die originalen Holzfußböden, und der einzige Raum, in dem er versucht war, sie rauszunehmen, war die Diele, die er gerne mit Klinker auslegen würde.

Doch alle diese Entscheidungen konnten warten. Er wollte es mit dem Renovieren nicht so eilig haben, sondern sich zunächst einmal einwohnen. In einem der Zimmer im Erdgeschoss standen immer noch einige unausgepackte Kartons, und die konnten auch gut noch ein Weilchen dort stehen. Am wichtigsten war, dass er Küche, Schlafzimmer, Badezimmer und das Wohnzimmer in Ordnung gebracht hatte. Und wie gesagt, in diesem Haus musste man sowieso ziemlich wenig tun.

Das war ein großes Glück, denn gleichzeitig lief ja die Arbeit mit dem Aufbau des Geschäfts in Kungshamn. Da hatte er zumindest ordentlich Wind in den Segeln bekommen.

»Dein Leben verläuft wie im Film«, hatte Henrik gesagt, als er Augusts neues Haus besichtigen durfte. »Tod und Bücher und alter Kram in einer seligen Mischung. Und jetzt – plötzlich – eine kleine charmante Villa Kunterbunt für Erwachsene. Wie in einem Gruselfilm mit tragikomischen Zügen.«

»Du hast die Liebe vergessen«, entgegnete August.

Denn nach den Leichen hatte sich zum Glück die Romantik eingestellt.

Maria.

Die in eiskalten Räumen schlief und mit ihrem Körper an dem von August.

Die das Schönste war, was August jemals gesehen hatte.

Maria war Polizistin und liebte Bücher.

Sie fuhr bei jedem Wetter mit dem Fahrrad und hatte kürzlich entdeckt, wie viel Spaß es ihr machte, Blumen zu ziehen.

Wenn sie Essen kochte, gelang es ihr immer, Rezepte mit massenhaft Knoblauch und Zitrone zu finden. Und wenn August den Konditor gab, umarmte sie ihn von hinten und flüsterte ihm ins Ohr, dass sie ihn wunderbar fand.

Außerdem war sie klug, stark, empathisch, spannend. Und zerbrechlich. Das bisherige Leben hatte ihr übel mitgespielt, aber August war sicher, dass das neue, das sie nun zumindest teilweise mit ihm teilte, sie wieder heil machen würde.

Vorsichtig streckte er sich aus. Es war gerade nach ein Uhr.

Bald würde Maria aufwachen und nach Hause gehen. Ganz gleich, wie fest sie schlief, nachdem sie Sex gehabt hatten, erwachte sie trotzdem immer ein paar Stunden später. Und so wie sie wach war, verließ sie ihn.

Wenn sie gegangen war, dann fühlte sich alles leer und kalt an, als wäre sie nie da gewesen. Es war dunkel, wenn sie kam, und ebenso dunkel, wenn sie ging.

Sie hatte gesagt, dass es nicht so schnell gehen dürfe, dass sie mehr Zeit bräuchte. Er hatte erwidert, dass er dafür Verständnis habe. Dennoch war August ein wenig frustriert. Er hatte sich noch nie auf all die Regeln und Prinzipien und Tipps und Tricks in der Liebe verstanden, und jetzt war es wohl höchste Zeit, da etwas aufzuholen.

Warum war es für Maria so wichtig, ihn mitten in der Nacht zu verlassen?

Warum wollte sie nicht, dass die Nachbarn sie kommen und gehen sahen?

Die Einzigen, die von ihrer Beziehung wussten, waren Henrik und Marias Kollege Ray-Ray.

August wandte langsam den Kopf. Ihre Atemzüge waren gleichmäßig und ruhig, fast schwer.

Sie brauchte ihre Ruhe.

So lange war sie gejagt worden.

Doch nun nicht mehr, dachte August. Bald würde es ein Ende haben.

Und vielleicht war das der Moment, in dem ihr wirkliches gemeinsames Leben beginnen konnte.

Er schloss die Augen.

Auch er sollte noch ein paar Stunden Schlaf bekommen, um Kraft für den nächsten Tag zu sammeln. Sein Kalender war in der kommenden Zeit voller spannender Begegnungen mit neuen Kunden. Einige von ihnen würden in seinen Laden kommen, und manche würde er zu Hause besuchen.

Maria bewegte sich im Schlaf.

»Halt mich fest«, murmelte sie.

August zog sie dichter an sich und drückte seinen Körper an ihren.

Ich liebe dich, dachte er.

Noch hat er das nicht laut gesagt, doch bald würde er sich nicht mehr beherrschen können. Leider hatte er den Fehler begangen, Henrik davon zu erzählen.

Der Freund hatte bestürzt reagiert:

»Es ist viel zu früh, so etwas zu sagen«, hatte der entgegnet. »Ihr seid doch erst drei Monate zusammen. Du musst mindestens noch drei weitere warten.«

»Warum denn?«

»Weil sie sonst glaubt, du seist krank und verzweifelt, und das willst du ja wohl nicht, oder?«

August konnte nicht begreifen, warum er Henrik eine derart private Sache erzählt hatte. Jetzt bereute er es, denn Henriks Einwand war zu einem Spuk in seinem Kopf geworden, den er nicht loswerden konnte, obwohl er fest davon überzeugt war, dass drei Monate der Verliebtheit mehr als genug ausreichten. Die Frage war, was Henrik sonst noch für nötig hielt.

August und Maria waren seit knapp hundert Tagen ein Paar und hatten in den drei Monaten unverhältnismäßig viel Zeit auf Abendessen und Weinstündchen und wahnsinnig guten Sex verwandt.

Letzteres hatte er leider auch Henrik erzählt.

Da war es im Telefon ganz still geworden.

»Teufel noch mal«, hatte Hendrik geantwortet. »Jetzt wird es noch schwerer werden, dich wieder nach Hause nach Stockholm zu kriegen.«

Es störte August, dass er immer noch nicht den magischen Satz herausgebracht hatte, denn er war doch schließlich 45 Jahre alt. Da wusste man doch, wenn man jemanden liebte.

»Bleib heute Nacht«, flüsterte er Maria zu. »Die ganze Nacht.«

Sie schüttelte den Kopf.

Dann schlief sie wieder ein.

Was niemals eine Rolle zu spielen schien. Auch wenn sie in seinem Arm wieder einschlief, wachte sie doch nach einer Weile auf und ging nach Hause. Nach Hause, das war in eine Wohnung auf Fisketången in Kungshamn, wo August nur ein paarmal gewesen war, weil sie lieber zu ihm nach Hause kam.

August küsste sie auf den Kopf und atmete den Duft ihrer Haare ein.

Shampoo und salziger Wind.

Das waren Düfte, die ihm Ruhe schenkten. Und mit dem Gefühl im Sinn schlief er ein.

Und erwachte wieder. Jemand bollerte an die Tür. Hart und laut.

August setzte sich im Bett auf. Es war, als wäre er kaum wieder eingeschlafen gewesen.

Zwei Dinge wurden ihm klar.

Zuerst, dass Maria weg war.

Und dann, dass es immer noch Nacht war.

Da begriff er, dass draußen auf der Straße jemand rief.

»Es brennt! Es brennt in Ihrem Bootshaus!«

Die Puppensammlung befand sich im Wohnzimmer. Zwölf an der Zahl saßen da in der Vitrine. Sämtliche Puppen waren Mädchen oder Frauen, und alle trugen Kleider. Handgefertigt und ganz besonders. Auf den Kragen saß geklöppelte Spitze, und manche hatten handgestrickte kleine Jacken an. Die Schuhe waren aus Leder und die Strumpfhosen aus Seide.

Die Puppensammlung gehörte Ola Thynells Mutter und war ein Erbe von seiner Großmutter.

Ola mochte sie nicht. Und seine Mutter mochte sie auch nicht.

Trotzdem brachte sie es nicht über sich, die Puppen wegzuwerfen. Warum, das konnte Ola nicht begreifen. Es war ja nicht so, dass die Großmutter das irgendwie erfahren würde.

Ola saß in der Küche und trank Kaffee. Von seinem Platz am Küchentisch aus konnte er ins Wohnzimmer sehen, wo die Puppen in der Vitrine saßen und glotzten. Kein feindseliges Gesicht, so weit das Auge reichte, aber ziemlich viel versteinertes Lächeln.

Das war gelinde gesagt unbehaglich.

»Ola?«

Die Stimme seiner Mutter war nur ein heiseres Flüstern, und dennoch schnitt sie ebenso effektiv durch die Stille der Nacht wie ein Schrei.

»Ich komme!«

Er eilte durchs Haus.

Eigentlich lag das Schlafzimmer seiner Mutter im oberen Stockwerk, doch inzwischen schlief sie auf dem Gästebett in ihrem Arbeitszimmer, damit sie nicht die Treppe steigen musste.

Sie sah ihn mit furchtsamen Augen an, als er zu ihr hereinkam.

»Hast du Schmerzen?«, fragte er.

Sie nickte.

»Ich hole Medikamente.«

Ola ging ins Badezimmer und drückte zwei Tabletten aus dem Blister.

Alles hatte sich so schnell verändert.

Im Oktober hatten sie erfahren, dass die Mutter krank war. Ola war mit beim Arzt gewesen, als sie den Bescheid erhielten.

»Es tut mir leid, Mary«, hatte der Arzt gesagt, »das hier sieht verdammt pechschwarz aus.«

Verdammt pechschwarz.

So formulierte man das nur, wenn man seine Patientin sehr gut kannte, und das tat der Arzt, der Mary jahrzehntelang betreut hatte.

Ola hatte wie vom Blitz getroffen dagesessen. Als er sich dann sowohl gegen die Ausdrucksweise als auch gegen die Prognose zu wehren begann, hatte seiner Mutter entgegnet:

»Ich habe die Ärzte gebeten, so aufrichtig wie möglich zu sein. Also lassen wir ihn jetzt mal zu Ende reden.«

Mary hatte Krebs. Die Tumore waren überall. Es würde ihr immer schlechter gehen, und das sehr schnell.

»Wir sprechen von Monaten, nicht von Jahren«, hatte der Arzt gesagt.

»Das ist aber übel«, hatte Mary geantwortet. »Aber schön zu wissen, warum es mir so schlecht ging.«

Ola hatte sie nur angestarrt.

War sie verrückt?

Das war doch so ungefähr das Schlimmste, was ein Mensch zu hören bekommen konnte.

Und trotzdem konnte alles noch schlimmer kommen.

Olas Schwester Patricia hatte entschieden, dass sie Göteborg verlassen und nach Kungshamn ziehen sollte.

»Dann kann ich dir helfen und mich auch um Mama kümmern«, hatte sie gesagt.

Ola hatte seinen Ohren nicht getraut. Patricia konnte sich bisher weder um sich selbst noch um ihre Kinder kümmern. Es würde die Situation nicht im Geringsten erleichtern, wenn sie die Kinder mitten im Jahr aus der Schule riss und mit ihnen an einen Ort zog, an dem sie nie zuvor gewohnt hatten.

»Musst du immer so dramatisch sein?«, hatte Patricia erwidert, als Ola fragte, ob sie sich das denn alles gut überlegt hätte. »Kungshamn ist ja im Grunde genauso wie Hovenäset. Und da bin ich ja wohl ebenso sehr aufgewachsen wie du.«

Dann hatte sie mit ihrer heiseren Raucherstimme gelacht und aufgelegt.

Zwei Wochen später war sie da.

Sie hatte eine Wohnung in Kungshamn gefunden und einen Job im Hafvsbad Smögen, wo es ihr sogar gelungen war, Konferenzbetreuerin zu werden. Es war Ola unbegreiflich, wie das vor sich gegangen sein mochte, aber jetzt gab es Dringenderes, worauf er sich konzentrieren musste.

»Und die Kinder?«, hatte Ola gefragt.

»Man schafft nur eine Sache auf einmal«, hatte Patricia erwidert. »Das mit Schule und Tagesstätte erledige ich dann in der Woche.«

Ola hatte Panik bekommen und alles für sie erledigt.

So war es schon immer gewesen. Patricia hatte einen schrägen oder überstürzten Einfall, und Ola musste hinter ihr aufräumen.

Es machte ihn schon wütend, wenn er nur daran dachte.

Mit den Tabletten in der einen Hand und einem Glas Wasser in der anderen ging er zu seiner Mutter zurück.

»Hier.«

Sie nahm dankbar entgegen, was er brachte.

»Danke«, sagte sie. »Ich komme mir so dumm vor, dass ich dich mitten in der Nacht hierhergerufen habe.«

»Kein Problem.«

»Aber du hast doch deine Arbeit zu machen. Die Leute können ja wohl ihre Schornsteine nicht alleine fegen.«

Ola lächelte.

»Nein, aber ein paar versuchen es.«

Seine Mutter erwiderte sein Lächeln.

»Nächstes Mal rufe ich Patricia an«, sagte sie.

»Nein!«, rief Ola und klang härter als beabsichtigt. »Versprich mir, dass du das nicht tust, Mama.«

Seine Mutter sah wehmütig aus.

»Verurteile sie nicht zu hart«, sagte sie. »Sie tut doch ihr Bestes.«

Ola seufzte.

Es war nach drei Uhr, und er war bald eine Stunde bei seiner Mutter gewesen. Obwohl sie sowohl den Pflegedienst anrufen als auch einen Sicherheitsalarmknopf drücken konnte, meldete sie sich lieber bei Ola, aber das konnte auf Dauer nicht so weitergehen. Sie musste besser mit den Menschen außerhalb der Familie zusammenarbeiten. Im Krankenhaus wollte sie nicht sein, das hatte sie ganz klargemacht, und Ola verstand auch warum. Ihre Tage verliefen immer noch einigermaßen beweglich. Sie schaffte es, wach zu bleiben und fernzusehen und Bücher zu lesen. Manchmal putzte sie sogar. Und jedes Mal, wenn Ola kam, hatte sie irgendetwas anderes gefunden, was sie ihm geben wollte.

Seine Mutter legte sich wieder hin.

»Weißt du«, begann sie, »ich habe an die alte Puppensammlung von Großmutter gedacht.«

Ola erstarrte.

Sie hatte ja wohl nicht vor, ihm ausgerechnet die zu geben, oder?

»Jetzt guck mal nicht so ängstlich«, sagte sie. »Ich habe mir überlegt, ich könnte doch August Strindberg fragen, ob er sie für verkäuflich hält. Ich habe ihn gebeten, hierherzukommen und ein paar Sachen anzuschauen.«

Ola atmete auf.

»Eine ausgezeichnete Idee, August die Puppen zu geben«, erwiderte er. »Das ist super.«

»Ich verspreche nichts«, sagte Mary. »Aber ich habe schon mal daran gedacht.«

»Denk ruhig weiter in die Richtung«, antwortete Ola. »Und jetzt schlaf noch mal. Ich gehe gleich, aber ruf mich an, wenn etwas ist.«

Er machte die Tür zum Arbeitszimmer zu und ging in die Küche zurück. In dem Moment waren auf der Straße draußen Stimmen zu hören. Sie kamen aus dem Nichts und zerschnitten die Stille. Erhitzt und laut, völlig ohne daran zu denken, dass es mitten in der Nacht war und Menschen geweckt werden könnten. Das Haus seiner Mutter war, genau wie viele andere Häuser auf der Halbinsel, sehr hellhörig, aber diese Stimmen hätte man auch bei dickeren Wänden gehört.

Ola schaute hinaus. Da war niemand zu sehen, aber die Stimmen kamen schnell näher. Im Haus auf der anderen Seite der Straße, wo Axel Ehnbom wohnte, war alles dunkel, der gehörte also nicht zu denen, die hier Lärm veranstalteten.

Die Stimmen wurden immer noch lauter, und nun kamen Schatten und dann Personen hinzu. Gunnar Wide – der Vorsitzende der Interessenvereinigung von Hovenäset – und eine weitere Person liefen eilig vorbei.

Strindberg. August Strindberg.

Olas Herz machte einen Satz.

Irgendwas war hier los. Gunnar Wide redete und redete. Ola kannte ihn schon sein ganzes Leben und wusste, dass er sich gerne aufregte. Wenn er die Chance bekam, wütend zu werden, dann ergriff er sie. Doch dann konnte Ola im Licht der Straßenlaternen den Gesichtsausdruck von August erhaschen. Verbissen und verschlossen, überhaupt nicht so offen und harmonisch, wie er sonst immer wirkte. Und da machte er sich Sorgen.

Gunnar gestikulierte und palaverte, und der Stockholmer hörte zu. Beide waren hochgewachsen, aber August war länger. Aus Gunnars Mund rauchte es, als er über die schneebedeckte Straße stiefelte und dabei immer weiterredete.

»Ein reines Glück, dass ich es entdeckt habe«, sagte er mit erregter Stimme. »Jetzt haben wir zumindest eine Chance, dafür zu sorgen, dass sich das Feuer nicht ausbreitet. Und wo zum Teufel bleibt denn die Feuerwehr?«

Die Feuerwehr?

Ola öffnete das Fenster, um zu fragen, was denn passiert sei, doch da waren Gunnar und August schon vorbei. Kalte Luft wallte ins Haus, und es roch nach Rauch.

Ola erstarrte.

Wo brannte es denn?

Gunnar und August gingen eilig hinüber zu Axels Haus.

Ola sah, wie Gunnar die Treppe hinauflief und an Axels Tür bollerte.

»Axel, bist du zu Hause?«

Er benutzte seine lauteste Stimme. So aufgeregt hatte er nicht mehr geklungen, seit er dafür gekämpft hatte, dass Hovenäset eine eigene Postleitzahl bekommen sollte.

August stampfte auf der Stelle. Wahrscheinlich versuchte er, sich in der Kälte warm zu halten.

Ola schloss das Fenster wieder und ging zur Tür. Vielleicht könnte er helfen. Axel jedenfalls hatte wohl nicht die Absicht, seine Besucher einzulassen.

Der Rauchgeruch hing weiterhin im Haus.

»Ola?«

Er öffnete die Tür zum Arbeitszimmer.

»Was ist denn da los?«

Seine Mutter hatte natürlich auch Gunnars aufgeregte Stimme gehört.

»Irgendwo brennt es, ich gehe mal raus und sehe nach.«

Seine Mutter wurde bleich.

»Doch wohl nicht bei Axel?«, sagte sie.

Ola schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte er.

»Aber es klingt, als würden sie versuchen, ihn zu erreichen.«

Sie sah ängstlich und besorgt aus. Und etwas benebelt. Das lag an den starken Tabletten.

»Ich gehe raus und sehe mal nach«, sagte Ola.

Seine Mutter kämpfte dagegen an, dass ihr die Augen zufielen. Wie bei einem sehr müden Kind.

»Ola, mach jetzt keine Dummheiten. Pass auf dich auf.«

Ola starrte seine Mutter an.

»Dummheiten?«, fragte er. »Wie sollte das aussehen?«

Er bekam keine Antwort. Seine Mutter war eingeschlafen.

Ola zog sich Schuhe und Jacke an.

Draußen hörte man, wie Gunnar wieder laut an Axels Tür klopfte.

Ola sah seine Mutter ein letztes Mal an, dann ging er.

»Mach dir keine Sorgen«, flüsterte er. »Bestimmt ist alles halb so schlimm.«

Der Schlaf hatte sich gerade eingestellt, als Kriminalinspektorin Maria Martinssons Diensthandy ein schwaches Brummen von sich gab. Sie hatte die schlechte Angewohnheit noch nicht ablegen können, immer das Handy sowohl eingeschaltet als auch in der Nähe liegen zu haben, wenn sie schlief.

Verwirrt und desorientiert griff sie nach dem Telefon. Es war Ray-Ray, der eine SMS geschickt hatte:

Hast du gesehen, dass es auf Hovenäset brennt? Bist du dort?

Sofort schlug ihr das Herz bis zum Hals.

Als Ray-Ray ranging, klang seine Stimme heiser.

»Ja?«

»Wo brennt es?«, fragte sie.

»In einem der Bootshäuser. Vielleicht aber auch in zwei, ich hab es nicht richtig verstanden. Aber aus deiner Frage entnehme ich, dass du nicht bei August bist.«

Ihr Puls sank wieder. Natürlich war ein Brand keine gute Nachricht, aber jetzt wusste sie zumindest, dass August in Sicherheit war. Er war kaum der Typ, der sich mitten in einer Winternacht ins Bootshaus setzte.

Außerdem konnte sie feststellen, dass er sich auf ihrem privaten Handy gemeldet hatte. Aber das Gespräch hatte sie verpasst.

»Bist du jetzt auf dem Weg nach Hovenäset?«, fragte Maria.

»Nein, warum sollte ich das? Es ist ein Streifenwagen hingeschickt worden, um bei den Löscharbeiten dabei zu sein. Die machen eine erste Einschätzung der Lage. Roland meldet sich bei uns.«

Roland war ihr Chef und eine vernünftige Person. Maria hatte großes Vertrauen in ihn. Und soweit sie es wusste, beruhte das auch auf Gegenseitigkeit.

»Anyway«, sagte Ray-Ray. »Wollte nur, dass du weißt.«

»Danke.«

Maria klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter, während sie gleichzeitig Unterhose und Jeans anzog.

Ray-Ray lachte gedämpft.

»Du fährst hin, oder?«

Maria hielt inne.

Was machte sie hier eigentlich? Zuallererst sollte sie natürlich August anrufen und sich erkundigen, wie es ihm ging und ob er sie brauchte.

Sie ließ sich mit halb über die Knie gezogenen Hosen auf die Bettkante sinken.

»Ich bin wohl noch ein bisschen verschlafen«, sagte sie und rieb sich das eine Auge mit dem Handrücken.

»Verschlafen und verliebt«, erwiderte Ray-Ray. »Warum schläfst du zu Hause? Gibt es Stress?«

Maria schluckte.

Ray-Ray wusste fast alles von ihr, und deshalb natürlich auch, dass August und sie zusammen waren. Doch kannte er nicht alle Details, und so sollte es auch bleiben.

Warum sie nicht bei August übernachtete und warum sie aus ihrer Beziehung so ein Geheimnis machte, das wollte sie am liebsten nicht aussprechen müssen.

Es machte ihr Angst.

Genau wie ihr die Reaktionen ihrer Familie und ihrer Freunde Angst gemacht hatten, als sie erzählt hatte, dass sie und Paul sich scheiden lassen würden und dass er im Gefängnis saß, weil er sie misshandelt hatte.

Ihre Mutter hatte gar nicht wieder aufhören können zu weinen und musste krankgeschrieben werden.

»Warum hast du das nicht erzählt?«, hatte sie gesagt. »Ich hätte dir doch helfen können.«

Es tat so weh, das zu hören.

Nichts hätte sie tun können.

Denn wie hätte diese Hilfe auch aussehen sollen? Und welche Konsequenzen hätte sie gehabt?

Die Ehe mit Paul war vorbei, doch formell waren sie immer noch verheiratet. Sie hatte einen Antrag auf Scheidung eingereicht, und da Paul sich dem verweigerte, verlangte das Gesetz, dass die Scheidung erst nach einer halbjährigen Bedenkzeit rechtskräftig sein würde.

Doch nicht nur die Ehe war vorbei. Auch das Haus auf Smögen, das Maria im Grunde niemals gemocht hatte, war weg und gleichzeitig der einzige Alltag, den sie kannte. Das Haus war eine Woche nach der ersten Besichtigung verkauft worden, und zwar an Pauls Mutter – die einzige Käuferin, die Paul akzeptiert hatte. Das machte Maria Sorgen. Plante Paul, nachdem er seine Strafe abgeleistet hätte, nach Smögen zurückzukehren?

Sie vermied es, darüber nachzudenken.

Maria hatte alle Hände voll zu tun, ihr Leben neu zu ordnen, und zwar so, wie sie es selbst wollte und sich wohl fühlte. Das hatte sich schwieriger gestaltet, als sie sich vorgestellt hatte. Die Wohnung, die sie auf Fisketången gekauft hatte, fühlte sich immer noch nicht wie ein Zuhause an, obwohl sie Potenzial hatte. So jedenfalls hatte August es ausgedrückt.

»Hell und schön«, hatte er gesagt, als er das erste Mal dort war. »Diese Bude hat Potenzial.«

Potenzial wozu, fragte sich Maria im Stillen.

Die Wohnung lag im obersten Stock eines großen Hauses, das umgebaut worden war. Die Lage war betörend. Maria hatte sowohl vom Balkon als auch aus dem Wohnzimmerfenster Meerblick. Ray-Ray und August hatten ihr geholfen neu zu tapezieren, und ein Handwerker hatte in der Küche Fliesen verlegt. Dann hatte sie begonnen, ihre Wohnung einzurichten.

»Willst du nicht ein paar mehr Sachen aus dem Haus mitnehmen?«, hatte ihre Mutter gefragt.

»Die fühlen sich nicht wie meins an«, hatte Maria geantwortet.

Was absolut stimmte, aber nichts an der Tatsache änderte, dass sie jetzt in einer Wohnung wohnte, die gelinde gesagt luftig möbliert war. Und obwohl sie einen großen Balkon besaß, hatte sie nicht vor, wenn der Frühling käme, irgendwelche Blumenkästen übers Balkongeländer zu hängen. Stattdessen nahm sie ihre kleinen Pflänzchen mit zu August, in der Hoffnung, sie in seine Beete setzen zu können, wenn erst einmal der Schnee verschwunden und die Kälte aus dem Boden wäre.

»Hallo?«, sagte Ray-Ray am Telefon. »Bist du noch da?«

Sie kam schnell auf die Füße und zog die Hose hoch.

»Ja, ich bin noch da. Und nein, es gibt keinen Stress. Es hat heute Nacht nur einfach nicht funktioniert, auf Hovenäset zu übernachten. Danke, dass du dich gemeldet hast.«

Sie legte auf und zog BH und Pullover an.

Das Thermometer zeigte drei Grad minus.

Genauso kalt, wie kurz zuvor, als sie dieselbe Strecke in die andere Richtung mit dem Fahrrad gefahren war. War es denn überhaupt notwendig, noch einmal rauszugehen?

Ja, das ist es, dachte sie. Das ist es immer.

Trotzdem rief sie erst an.

Während im Hintergrund eine Sinfonie aus Geräuschen tönte, klang August bestürzend klar, als er ranging. Sie hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, wie dunkel seine Stimme war, wie tief und kraftvoll. Sie wollte sich nicht daran gewöhnen – sie wollte für den Rest ihres Lebens jedes Mal, wenn sie ihn anrief, exakt dasselbe Erstaunen und dieselbe unmittelbare Anziehungskraft verspüren.

»Es brennt im Bootshaus«, sagte August.

»Deshalb rufe ich an«, erwiderte Maria, und erst da wurde ihr klar, was er gesagt hatte:

Es brennt im Bootshaus.

Nicht in irgendeinem Bootshaus. Sondern in seinem.

»Bist du okay?«, fragte sie.

»Ja, alles gut. Ein Nachbar ist gekommen und hat mich geweckt. Aber das Haus wird zerstört sein, Maria. Man wird es nicht retten können.«

Schuldgefühle machten ihr zu schaffen.

Warum hatte sie ihn in der Nacht allein gelassen?

Wer hatte solche Angst vor Nähe, dass er mitten in der eiskalten Nacht nach Hause radelte?

Ich, dachte Maria. Ich habe solche Angst.

»Jeder hat eine Vergangenheit«, pflegte August zu sagen. »Ich auch.«

Er sagte das, um sie zu trösten, aber es funktionierte nicht so wirklich. Ob er wohl wusste, warum?

Natürlich hatte er auch eine Vergangenheit.

Er war, seit er Anfang zwanzig war, mit der derselben Frau zusammen gewesen, Helena.

Hatte mit ihr zusammen eine Wohnung gekauft.

Hatte noch eine Wohnung mit ihr zusammen gekauft.

Niemals Kinder bekommen, aber einen verlässlichen Kreis von Freunden und Bekannten aufgebaut.

Und während all der Jahre, in denen er Helene seine Lebensgefährtin nannte, hatte er sich doch niemals richtig glücklich gefühlt.

Alles das wusste Maria. Aber sie hatte ihn noch nie etwas so Dunkles erzählen hören, das auch nur im Entferntesten ihrer eigenen Geschichte ähnelte.

Niemals hatte er etwas von physischer Gewalt erzählt, von Nächten, lang wie Ewigkeiten. Von groben Händen, die einem den Kopf auf den Boden schlugen, oder von hässlichen Worten, die das Selbstwertgefühl zunichtemachten.

Paul war in mehreren Anklagepunkten vom Gericht schuldig gesprochen worden, hatte aber gegen das Urteil Berufung eingelegt. Die Verhandlung darüber würde in knapp zwei Wochen stattfinden, und solange saß Paul noch im Gefängnis in Uddevalla.

»Wir waren vor dem Amtsgericht sehr stark, und das werden wir auch vor dem Oberlandesgericht sein«, hatte ihre Anwältin zu Maria gesagt. »Wir werden auch diese Runde gewinnen.«

Sie wünschte sich nichts lieber, aber vorsichtshalber freute sie sich nicht zu früh.

Maria vermied es, zu viel über die kommende Verhandlung nachzudenken.

Und sie vermied es, über die Zukunft nachzudenken. Denn selbst wenn Paul verurteilt werden würde, dann wäre er wahrscheinlich in weniger als drei Jahren wieder draußen.

Drei Jahre.

Das waren tausend Tage, das war eine Ewigkeit, das war im Grunde gar nichts.

Vielleicht sollte sie hier wegziehen, wenn er rauskam. Vielleicht sollte sie sich eine andere Arbeit suchen.

Aber nicht heute. Heute war sie immer noch Polizistin. Und sie war immer noch in August Strindberg verliebt.

»Ich komme zurück nach Hovenäset«, sagte sie entschlossen. »In zwanzig Minuten bin ich bei dir.«

»Hör auf, bist du verrückt? Du bist doch gerade erst hier weggefahren. Du musst absolut nicht zurückkommen. Draußen ist es schweinekalt.«

Für einen Moment blieb ihr fast das Herz stehen.

Sagst du jetzt nein, August?

Er musste gehört haben, wie falsch das rauskam, denn er fügte schnell hinzu:

»Aber ich freue mich natürlich, wenn du kommst. Sehr.«

Das Herz schlug wieder schneller.

»Ich setze mich in drei Minuten aufs Fahrrad.«

»Ich hole dich.«

»Nein, du musst doch jetzt wohl mit der Polizei sprechen, oder?«

»Schon erledigt. Ich nehme den Dienstwagen und hole dich ab. Oder komme zu dir und schlafe da.«

Maria lächelte. Den Dienstwagen. Ein gelb lackierter Leichenwagen, den die meisten Menschen nicht hätten anrühren wollen, aber mit dem herumzufahren August nicht das geringste Problem hatte.

»Wir schlafen bei dir«, sagte sie. »Und ich fahre mit dem Fahrrad. Ich brauche das Fahrrad, wenn ich dann zurück zur Arbeit will.«

Ein eiliger Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bis dahin nur noch ein paar wenige Stunden waren. Und dann würden die Bewohner von Hovenäset wach sein (wenn es ihnen überhaupt gelungen war, wieder schlafen zu gehen, denn die meisten mussten doch von der Feuerwehr geweckt worden sein). Maria wusste, wie klein Hovenäset war und wie schnell sich Gerüchte verbreiteten. Und kaum jemand dort wurde besser überwacht als August.

Aber da konnte man jetzt nichts machen.

Wenn jemand sie sah, dann mussten sie sich was ausdenken. Denn in dieser besonderen Nacht wollte sie August nicht allein lassen.

»Okay, mach das, wie du meinst«, sagte er. »Ich muss dich nicht fahren.«

Immer gleichermaßen hellhörig, immer voller Integrität.

»Es tut mir so leid für dich«, sagte Maria. »Wegen deinem Bootshaus, meine ich.«

»Danke«, sagte August. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, viel darüber nachzudenken, aber ja, lustig ist es nicht.«

Sie legten auf.

Maria zog die Jacke an und nahm den Fahrradhelm.

Nichts in ihr protestierte gegen eine weitere nächtliche Fahrradtour. Nicht mehr.

August brauchte sie.

Und sie brauchte ihn.

Es schauderte sie, als sie auf die Straße hinaustrat.

Was war nur mit Hovenäset, dass es so oft zum Schauplatz für seltsame Ereignisse wurde? Da war nicht nur der brutale Mord im Eishaus vor dreißig Jahren, sondern auch im letzten Herbst hatte Maria an einem Fall gearbeitet, dessen Verästelungen sich bis nach Hovenäset erstreckten (und vor allen Dingen bis nach Fisketången, doch der Ort war kriminalistisch gesehen nicht so belastet wie Hovenäset).

Jetzt war also Augusts Bootshaus abgebrannt.

Zwar wusste sie noch nicht, ob es sich um ein Unglück oder Brandstiftung handelte, gleichwohl war auch dieses besorgniserregende Ereignis wieder mit dem kleinen Ort verbunden.

Die Polizistin in ihr war geweckt.

Sie setzte sich entschlossen aufs Fahrrad und radelte Richtung Hovenäset.

Draußen war es finster, aber der Brand loderte hoch auf. Das gesamte große rote Bootshaus von Axel Ehnbom war vom Flammenmeer verschlungen worden, das sich auch in das Bootshaus nebenan, das August gehörte, weitergefressen hatte. Doch weiter würde es nicht kommen, denn jetzt war die Feuerwehr vor Ort.

Teufel auch.

August hatte sich Hals über Kopf in die Hütte verliebt, die am Dampfschiffanleger lag, fast genau gegenüber dem Ort, an dem sich das alte Schwimmbad der Halbinsel befunden hatte. Außerdem war es nur wenige hundert Meter von seinem Haus auf dem Kärleksvägen entfernt. Diese Beschreibung passte allerdings auf die meisten Orte auf Hovenäset. Keiner war weiter als ein paar hundert Meter entfernt.

Der Badeplatz, die Eisbude, der einzige Briefkasten der Halbinsel, das Hostel, die Kapelle.

Man konnte sie alle in wenigen Minuten zu Fuß erreichen.

Auf Hovenäset waren knapp zweihundert Personen gemeldet. Der letzte Lebensmittelladen hatte vor mehreren Jahrzehnten geschlossen. Der nächste größere Ort war das ungefähr drei Kilometer entfernte Kungshamn. Und hinter Kungshamn kam der im ganzen Land bekannte Badeort Smögen.

Augusts Stockholmer Freunde fragten ihn immer wieder, ob er keine Sehnsucht nach zu Hause habe.

»Macht es dich nicht wahnsinnig, all das hier nicht mehr zu haben?«, pflegten sie die wenigen Male, zu denen sie sich meldeten, zu fragen.

Er nahm an, dass sie alles das, was die Großstadt ausmachte, meinten. Die Restaurants und die Bars, die Theater und die Kinos, die Geschäfte und die Ausstellungen.

Seine Antwort lautete immer gleich:

Alles, was Stockholm ausmachte, gab es auch an der Westküste. Der einzige Unterschied war, dass es nicht andauernd zugänglich war und dass nicht alles so nahe lag, wie das in Stockholm der Fall war. Also nein, er vermisste nichts. Er hatte alles, was er brauchte, und noch mehr dazu.

Als die Feuerwehrleute ihre dicken Schläuche ausrollten und sie gleichzeitig auf die beiden Bootshäuser richteten, fiel das von Axel wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

August holte tief Luft und schloss die Augen. Dann öffnete er sie wieder – gerade rechtzeitig, um sein eigenes Bootshaus zusammenbrechen zu sehen.

Neben ihm stand Gunnar Wide. Er hatte den Brand zufällig entdeckt und die Feuerwehr gerufen. Dann hatte er einen Nachbarn animiert zu versuchen, das Feuer mit einem … Wasserschlauch unter Kontrolle zu bringen, während er August holte.

»Sie sind ja nicht ans Telefon gegangen!«, hatte Gunnar gerufen, als August ihm verschlafen und verwirrt die Tür geöffnet hatte. »Und Axel auch nicht!«

Das Feuer war so intensiv, dass August es schon hörte, ehe er es sah. Und als er es dann sah, konnte er den Blick nicht mehr abwenden. Die Hitze, der Lärm und das fantastische Farbenspiel hypnotisierten ihn geradezu. Die Flammen flatterten in der Nacht und spiegelten sich im Wasser.

Dass etwas so Gefährliches so schön sein konnte.

Die Feuerwehr war nach nur wenigen Minuten da gewesen.

Zwei große Einsatzwagen mit Feuerwehrleuten und Schläuchen, lauten Stimmen und massenhaft Adrenalin.

Die Sirenen hatten das ganze Dorf geweckt. Es war kaum halb vier Uhr morgens, und wer noch nicht von der Unruhe geweckt worden waren, kam jetzt schnell auf die Füße. Aus allen Richtungen eilten Menschen herbei und versammelten sich beim Feuer und den Rettungswagen.

Gunnar schniefte und hustete, seine Augen und seine Kehle waren sichtlich vom Rauch angegriffen. Aber da war noch etwas. Er sah niedergeschlagen aus.

August hatte sich die Augen gerieben, sowie sie anfingen zu jucken, was sich als Fehler erwies. Jetzt brannten sie noch schlimmer, und die Tränen liefen ihm die Wangen hinunter.

Er wischte sie schnell weg, vor anderen zu weinen war ihm unangenehm. Und eigentlich weinte er ja auch nicht, seine armen Augen versuchten ja nur, den stickigen Rauch loszuwerden.

Gunnar sah sich hilflos um. Er war ein Mann der Tat, das wusste August. Hier zu stehen und zu glotzen, während andere arbeiteten, das war überhaupt nicht sein Ding.

»Zurück!«, rief ein Feuerwehrmann. »Sie stehen zu nahe!«

Gunnar holte sein Handy heraus.

»Ich begreife nicht, warum Axel nicht rangeht«, sagte er. »Ich habe ihn wieder und wieder angerufen, erwische ihn aber nicht.«

Sie waren an Axels Haus vorbeigegangen, um ihn mit runter zu den Bootshäusern zu nehmen, aber er hatte ihnen nicht geöffnet.

Wahrscheinlich war er nicht zu Hause, oder er schlief sehr fest, nahm August an.

Er hatte erst am selben Tag von ihm gehört. Axel wollte ihm einen Karton mit Sachen überlassen, von denen er meinte, dass sie vielleicht für Augusts Secondhandladen interessant sein könnten. Laut der SMS stand der Karton bereits in der Kapelle von Hovenäset, doch August hatte ihn noch nicht geholt. Das musste bis zum nächsten Tag warten.

»Axel ist komisch geworden, als sein Sohn in Harvard aufgenommen worden ist«, hatte August eine Nachbarsfrau sagen hören. »Da taugten wir anderen Sterblichen nicht mehr.«

Neid, dachte August.

Natürlich könnte es sein, dass Axel komisch geworden war, als der Sohn an einer der renommiertesten Hochschulen aufgenommen worden war, doch konnte es genauso gut sein, dass dieser Erfolg mehr war, als Axels Umgebung verkraften konnte, und alle so neidisch machte, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten.

August hatte Axel nur ein paar wenige Mal getroffen, doch einen rundum guten Eindruck von ihm gewonnen. Axel war alt, aber glasklar in der Birne, erdverbunden und stabil und völlig desinteressiert an Tratsch. Das waren Eigenschaften, die August sehr hoch schätzte.

»Wahrscheinlich ist Axel einfach nicht zu Hause«, sagte er zu Gunnar. »Vielleicht ist er verreist.«

»Natürlich ist er zu Hause«, entgegnete Gunnar. »Ich gehe gleich noch mal hin.«

»Ich fand auch, dass Axels Haus leer aussah«, war eine Stimme zu hören, die sie daran erinnerte, dass auch Schornsteinfeger Ola vor Ort war. Bisher hatte er hauptsächlich dagestanden und das Spektakel beobachtet.

Gunnar warf Ola einen schiefen Blick zu.

»Bei Axel weiß man nie«, beharrte er. »Er ist ein unberechenbarer Teufel.«

August fiel der Unterkiefer herunter.

»Jetzt sehen Sie mal nicht so erstaunt aus, Strindberg«, sagte Gunnar. »Sie sind noch nicht so lange hier. Wir anderen, die seit Generationen auf Hovenäset wohnen, wissen es besser. Axel ist unangenehm. Ganz zu schweigen davon, wie seltsam seine Frau war.«

August hasste diese Art blödes Gerede und merkte, dass er hier mal eine Grenze ziehen musste.

»Axels Frau habe ich nie kennengelernt«, sagte er, »aber Axel habe ich doch ein paarmal getroffen, und mit dem ist absolut alles in Ordnung.«

»Mit allem Respekt, aber Sie kennen Axel überhaupt nicht. Seine ganze Person ist eine einzige große Revolution. Genauso war seine Frau. Total versackt in diesem Chaos, das in den Sechzigerjahren herrschte. Die schwarze Denise. Die hat hier auch nicht reingepasst.«

Da brannte bei August eine Sicherung durch.

Das eine Mal, als er bei Axel zu Hause gewesen war, hatte er Fotos von Denise gesehen. Sie war schön, und sie war Afroamerikanerin. August konnte sich nur zu gut vorstellen, dass Denise es schwer gehabt haben musste, als sie in den Sechzigerjahren nach Hovenäset kam. Und nicht nur dort, sondern überall in Schweden zu der Zeit.

»Ich verstehe, dass Sie schockiert sind, aber es ist schließlich nicht Ihr Bootshaus, das heute Nacht abgebrannt ist«, sagte er zu Gunnar. »Und wenn Sie nichts Vernünftiges zu sagen haben, dann schlage ich vor, dass Sie die Klappe halten.«

Die Stille, die daraufhin folgte, würde August nie vergessen.

Alle (außer den Feuerwehrleuten), erstarrten und bestaunten das Unerhörte, was hier geschehen war: Jemand hatte Hovenäsets ungekröntem König widersprochen.

Gunnar starrte ihn eine gefühlte Ewigkeit lang wortlos an.

»Sie haben Schneid, Strindberg«, sagte er schließlich. »Das gefällt mir.«

Dann, als wäre nichts gewesen, wandte er sich wieder Ola zu:

»Wie geht es Mary? Denn du bist ja wohl ihretwegen mitten in der Nacht auf Hovenäset.«

Ola nickte.

»Alles gut«, antwortete er.

August sah ihn an. Mit Mary war überhaupt nicht alles gut, das konnte man an Olas Miene leicht ablesen.

Gunnar schien denselben Schluss zu ziehen, konnte aber nicht den Mund halten.

»Warum solltest du wohl um diese Uhrzeit hierherkommen, wenn es nicht wegen Mary ist.«

Ola antwortete nicht.

»Haben Sie weit zu fahren?«, fragte August, um das Gespräch auf eine andere Spur zu lenken.

»Nein, ich wohne doch in Kungshamn, ich brauche nur ein paar Minuten hierher.«

August sah wieder zum Feuer.

Das neue Jahr war weniger als vier Wochen alt, und das Leben beliebte, ihn mit dem hier zu überraschen. Als hätte er im vorigen Jahr nicht schon genügend Mist erlebt. Er hoffte, der Brand bedeutete keine Vorwarnung auf schlechtere Zeiten, die im Anzug waren. Alles, was schön war, würde das hoffentlich auch weiterhin bleiben.

Rein rational wusste August, dass man das Bootshaus wieder aufbauen könnte.

Es zählte einzig und allein, dass niemand verletzt worden war, auch das war ihm klar. Und soweit er es erkennen konnte, war niemand im Feuer zu Schaden gekommen. Im Sommer wäre es schlimmer gewesen, denn da übernachteten Junge wie Alte gern in ihren Hütten.

»Es ist doch verflucht«, sagte Gunnar. »Man könnte meinen, dass wir auf Hovenäset schon genug Schlimmes erlebt hätten, aber offensichtlich geht immer noch mehr. Reicht denn nicht, was der armen Agnes Eriksson im Herbst zugestoßen ist? Ich dachte, da wäre mal die Grenze erreicht.«

August antwortete nicht, doch das war Gunnar egal.

»Ich weiß, dass Sie Hovenäset für den besten Ort der Welt halten«, fuhr er fort, »aber wir haben hier viel erlebt, das schmerzhafte Erinnerungen hervorruft. Dieser Stückelmord und die Tatsache, dass der Schuldige niemals gefunden wurde. Wenn so was passiert, ist man hinterher nicht mehr derselbe. Und vergessen kann man auch nicht.«

August atmete schwer.

Wenn er in seiner Zeit auf Hovenäset etwas gelernt hatte, dann so viel, dass es nicht gut war, in die Diskussionen über den Stückelmord an Lydia Broman einzusteigen. Das war ein zu heißes Eisen. Doch war August der Überzeugung, dass Gunnar in der Sache falschlag. Die Polizei hatte den Schuldigen durchaus gefunden.

Ein weiteres Fahrzeug kam angefahren.

Ein Streifenwagen mit Blinklicht auf dem Dach hielt hinter den Feuerwehrautos. Zwei uniformierte Polizisten stiegen aus. Es war nicht verwunderlich, dass sie nach der Feuerwehr ankamen. Nachts gab es nur wenige Streifenpatrouillen in Fyrbodal, der Polizeiregion, zu der die Gemeinde Sotenäs und somit auch Hovenäset gehörte. Die Region war groß, aber nur dünn besiedelt, weit entfernt von dem Großstadtgedränge, dem August entflohen war.

Gunnar eilte zu den Polizisten. August folgte ihm gemächlich.

Maria hatte angerufen und gesagt, dass sie auf dem Weg zurück sei. Ein Trost in dem ganzen Elend.