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»Der Boden knarrte und knarrte. Dann verhallten die Schritte und es wurde still.«
Simona kann es kaum erwarten, eine Woche Ferien bei ihrer Großmutter zu verbringen. Aber irgendetwas stimmt nicht. Ihre Großmutter ist nicht sie selbst, Simona hört Schritte aus einem der leeren Zimmer im Haus und die Steinstatuen im Garten bewegen sich die ganze Zeit. Und woher kommen die unheimlichen Stimmen auf der alten Kassette? Stimmen, die Simona bitten, sich zu beeilen, bevor es zu spät ist … Zusammen mit ihren Freunden Billie und Aladdin macht sich Simona daran, das Rätsel zu lösen.
Alle Bände der »Glaskinder«-Reihe:
Glaskinder (Band 01)
Silberjunge (Band 02)
Steinengel (Band 03)
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Seitenzahl: 165
KRISTINA OHLSSON
Aus dem Schwedischen
von Susanne Dahmann
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Erstmals als cbt Taschenbuch September 2021
© Kristina Ohlsson 2015
Published by agreement with Salomonsson Agency
© 2021 für die deutschsprachige Ausgabe
cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
»Stenänglar« bei Lilla Piratförlaget AB, Stockholm
Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann
Lektorat: Carola Henke
Umschlaggestaltung: semper smile nach einer Vorlage
von Gediminas Skyrius und Nieko rimto
Umschlagillustration: Gediminas Skyrius
sh · Herstellung: AS
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN 978-3-641-18008-9V001
www.cbj-verlag.de
1.
Es begann mit den Statuen in Omas Garten. Das waren vier und sie sahen aus wie eine Familie. Zwei Kinder und zwei Erwachsene, aus hartem grauem Stein gemacht. Sie standen in einem kleinen Kreis, mit den Rücken zueinander. Solange Simona denken konnte, hatten sie auf der Rückseite von Omas Haus gestanden. Ohne zu wissen, warum, fürchtete sie sich vor ihnen, und das war ein bisschen seltsam, denn Simona fürchtete sich sonst vor fast gar nichts.
»Weißt du, wer das sein soll?«, fragte sie.
Simona stand in Omas Küche und betrachtete die Statuen durch das Fenster. Es war Wochenende, und sie wohnte bei ihrer Oma, weil ihre Eltern verreist waren. Alle Geschwister von Simona hatten gesagt, sie wollten bei Freunden bleiben, aber Simona wollte lieber bei Oma in Åhus sein. Was ihre Oma natürlich sehr gefreut hatte.
»Keine Ahnung«, antwortete die jetzt und stellte sich neben Simona. »Das ist wahrscheinlich ganz einfach eine Gruppe Menschen.«
Es war typisch Oma, so etwas zu sagen. Eine Gruppe Menschen. Ja, das konnte Simona auch sehen. Aber welche Menschen denn? Das wussten weder Oma noch Simona.
Oma wohnte in einem der riesigsten Häuser, die Simona je gesehen hatte. Es war groß und weiß, hatte massenhaft Fenster und lag nur einen Steinwurf vom Strand und dem Meer entfernt. Früher einmal war es ein Hotel gewesen, aber das war lange her. Simonas Oma hatte erzählt, dass der frühere Besitzer das Hotel schließen musste, weil zu wenige Gäste kamen. Am Ende stand es dann zum Verkauf, und da kauften es Simonas Großeltern. Doch sie wollten das Hotel nicht wiedereröffnen, sondern einfach nur dort wohnen. Simonas Oma sagte, sie wollte das Haus mit Kindern füllen, aber dann bekamen sie nur ein Kind, und zwar Simonas Mutter.
Simona war furchtbar gern bei ihrer Oma. Ihr Vater sagte oft, es sei doch verrückt, dass die Oma allein in einem so großen Haus wohnen würde, aber Simona fand das nicht. Sie fand es herrlich mit den vielen leeren, stillen Räumen. Ganz anders als bei ihr zu Hause, wo immer ein wahnsinniges Gelärme war und unheimlich viele Leute herumsprangen.
»Sie sollte renovieren oder verkaufen«, sagte Simonas Vater, wenn die Oma nicht in der Nähe war.
»Sie kann es sich nicht leisten, zu renovieren, und verkaufen will sie nicht«, erwiderte dann Simonas Mutter.
Simona verstand nicht, wovon die beiden redeten. Sie liebte Omas Haus genau so, wie es war. Natürlich würde sie es nicht umbauen, denn dann wäre es ja gar nicht mehr schön.
»Du könntest vielleicht ein paar Zimmer vermieten«, sagte Simona zur Oma. »An andere Menschen, die genauso allein sind wie du. Oder an Studenten.«
»Kommt nicht infrage«, kommentierte Oma Simonas Vorschlag. »Soll ich hier einen Haufen fremder Menschen rumlaufen haben? Nie im Leben. Ich bin gern für mich. Ich komme ganz ausgezeichnet klar.«
»Ich meinte ja nicht, dass du das ganze Haus bevölkern sollst«, beeilte sich Simona zu sagen. Und fügte dann hinzu:
»Ich weiß, dass du allein klarkommst.«
Aber so ganz sicher war sie sich da nicht, denn in der letzten Zeit war ihre Oma so erschöpft gewesen. Das Haus wurde immer unordentlicher, und es wirkte doch, als würde sie alles nicht mehr richtig schaffen. Simona half, so gut sie konnte. Erst beim Mittagessen, dann beim Staubsaugen. Aber danach hatte ihre Oma genug und fand, sie sollten stattdessen eine Runde Schach spielen.
Das ging wie immer aus. Oma gewann und Simona wurde sauer.
»Ich denke, ich werde jetzt mal einen Zuckerkuchen für heute Abend backen«, sagte ihre Oma.
Simona räumte das Schachspiel weg.
Sie überlegte, was sie selbst tun konnte. Die Antwort auf diese Frage kam ihr, als sie zu dem grauen Himmel hinaussah.
»Ich werde Fenster putzen«, sagte sie entschlossen.
Omas Fensterscheiben waren nämlich genauso grau wie die Wolken.
»Ist das denn nötig?«, fragte Oma.
Simona fand schon. Ostern stand vor der Tür, da wäre es doch schön für ihre Oma, wenn es im Haus sauber war.
»Aber es wird vielleicht regnen«, gab ihre Oma zu bedenken.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, entgegnete Simona.
Sie fing mit den Fenstern in der Küche an. Die Leiter, auf der sie stand, ließ den Boden knarren. Sie machte es genauso, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte. Erst putzte sie die Fenster von innen, mit Lappen und Abzieher. Dann machte sie das Fenster auf, um es von außen zu putzen. Aber die Fenster gingen nach außen auf. Also musste sie mit Leiter und Eimer in den Garten umziehen und sich ins Blumenbeet stellen.
»Trampel aber nicht irgendwelche Pflanzen platt«, mahnte ihre Oma.
»Nein, keine Angst«, erwiderte Simona.
Das war leichter gesagt als getan. In der dunklen Erde waren einfach überall kleine Pflanzen. Vorsichtig klappte Simona die Leiter auf.
»Fall nicht von der Leiter!«, rief ihre Oma durch das angelehnte Küchenfenster.
Aber Simona antwortete nicht. Sie war damit beschäftigt, die Leiter so hinzustellen, dass sie nicht wackelte. Das war nicht leicht, denn die Erde war viel zu weich.
Als sie schließlich hochgestiegen war, sah sie etwas Seltsames. Ein Stück entfernt stand ein kleiner Pavillon, den ihre Oma nur im Sommer benutzte. Im Winter lag er verlassen und still da. Doch nicht jetzt. Es sah so aus, als würde jemand dort stehen. Jemand, der groß und lang war.
Simona war so erstaunt, dass sie, den Lappen in der einen und den Fensterabzieher in der anderen Hand, schwankte. Vorsichtig beugte sie sich zum Fenster.
»Oma«, flüsterte sie. »Oma.«
Aber ihre Oma hatte den Elektromixer angeworfen und hörte sie nicht. Simona schluckte. Noch einmal spähte sie zu dem Pavillon. Aber der Schatten, der sich dort bewegt hatte, war fort. Das kleine Haus war leer.
Simona schüttelte den Kopf. Hatte sie sich alles nur eingebildet? Warum sollte jemand kommen und in Omas Pavillon herumwühlen?
Sie begann, die schmutzigen Fenster zu putzen, und die wurden richtig schön. Die Frage war nur, wie lange es dauern würde, die restlichen Scheiben zu reinigen. Simona seufzte, als sie daran dachte, wie viele Zimmer es in Omas Haus gab. Das würde Ewigkeiten dauern.
Omas Mixer verstummte. Simona schob die Leiter zum nächsten Fensterpaar. Sie stand mit dem Rücken zum Garten. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als würde jemand sie ansehen. Widerwillig wandte sie sich um. Da war niemand. Außer den Statuen.
Und doch spürte Simona im ganzen Körper, dass etwas nicht stimmte. Automatisch sah sie wieder zum Pavillon. Er war leer. Dann wandte sie den Blick zu den Statuen. Die standen groß und grau auf der grünen Wiese. So wie immer.
Nein, nicht ganz.
Simona spürte, wie ihr Herzschlag aussetzte, als sie sah, was geschehen war. Jemand hatte die Statuen verschoben. Jetzt standen sie nicht mehr mit den Rücken zueinander, sondern die Kinder und der Mann waren dem Meer zugewandt, so als warteten sie darauf, dass jemand mit einem Boot käme.
2.
Ihre Oma war erstaunt und empört, als sie die Statuen sah.
»Da muss jemand hier gewesen sein und sie verschoben haben, während wir Schach gespielt haben«, sagte Simona. »Denn kurz vorher haben wir sie ja noch angeschaut, und da standen sie so wie immer da. Mit den Rücken zueinander.«
»Das ist sehr seltsam«, stimmte ihre Oma zu. »Aber vielleicht hat sich nur jemand einen Scherz erlaubt.«
Sie streckte sich und sah wieder so erschöpft aus. Simona war nicht im Geringsten müde. Sie erzählte ihrer Oma aufgeregt, dass sie jemanden in dem Pavillon gesehen hatte.
Ihre Oma schüttelte bedächtig den Kopf.
»Wer sollte das gewesen sein?«, fragte sie.
»Vielleicht derselbe, der die Statuen herumgedreht hat«, schlug Simona vor.
Doch ihre Oma wollte nicht mehr zuhören, jedenfalls nicht so, wie sie es sonst immer tat. Es war, als hätte sie eine Menge anderer Dinge zu bedenken.
»Jetzt komm mal rein«, sagte sie, »der Kuchen ist gleich fertig.«
Während sie Kaffee tranken, schaltete ihre Oma das Radio ein. In den Nachrichten sagten sie, dass eine neue Kaltfront mit Winterwetter zu erwarten sei.
»Typisch«, brummte Simonas Oma.
Es ging ihr besser, wenn es nicht so kalt war. Ältere Menschen bekamen offenbar Schmerzen in Armen und Beinen, wenn es kühler wurde.
»Vielleicht täuschen die sich ja«, meinte Simona. »Schließlich ist bald Ostern, da ist es doch immer warm.«
Aber am nächsten Tag war es so kalt, dass das Gras vom Raureif weiß war und die Straßen von Eis glänzten. Simona sah aus dem Küchenfenster zu den Statuen. Die waren auch mit weißem Raureif überzogen, aber wenigstens hatten sie sich im Laufe der Nacht nicht bewegt.
»Jetzt lass die Armen mal da stehen«, sagte ihre Oma und schob sie vom Fenster weg. »Ich habe etwas für dich.«
Sie lächelte geheimnisvoll.
Sofort ließ Simonas Interesse an den Statuen beträchtlich nach.
»Was denn?«, fragte sie.
»Du kriegst es, wenn wir einkaufen waren«, sagte ihre Oma.
Aber sie kriegte es nicht. Denn da passierte es nämlich.
Ach, wenn sie doch nur besser aufgepasst hätte, dachte Simona. So ein furchtbar überflüssiger Unfall. Als ihre Oma vor ihrem Haus aus dem Auto stieg, stellte sie den Fuß versehentlich auf einen Eisplacken, rutschte aus und fiel hin. Schnell und heftig. Simona konnte schwören, dass sie den Boden erzittern fühlte, und das, obwohl ihre Oma so klein und schmächtig war.
Im Auto fand Simona eine Decke, die sie über ihre Oma legte, dann rief sie den Krankenwagen.
»Stirbst du jetzt?«, fragte sie besorgt.
Sie saß auf dem kalten Boden und hielt die Hand ihrer Oma.
»Du bist ja wohl eine ganz Verrückte«, sagte ihre Oma. »Man stirbt doch nicht davon, dass man ausrutscht und hinfällt. Aber es wäre gut, wenn der Krankenwagen bald käme, denn es ist etwas kühl.«
Schnell schlang Simona die Decke fester um ihre Oma.
»Das ist aber auch zu dumm«, seufzte die. »Deine Eltern kommen ja nicht vor morgen Abend, um dich zu holen.«
»Ich komme schon allein klar«, versicherte Simona. »Wir haben doch schließlich eben erst eingekauft. Ich kann Cornflakes essen und Makkaroni kochen, bis Mama und Papa wieder zu Hause sind.«
Aber das fand ihre Oma gar nicht gut. »Kannst du nicht deine Freundin anrufen?«, fragte sie. »Wie heißt sie doch gleich? Die hier in Åhus wohnt?«
»Billie«, sagte Simona. »Ja, die kann ich anrufen. Oder Aladdin. Er wohnt ja auch hier.«
Wind war aufgekommen und flüsterte in den hohen Tannen. Schwarze Vögel flogen kreuz und quer über den Himmel, als wären sie ebenso besorgt wie Simona.
Wenn Oma nur wieder gesund wird, dachte sie. Wenn sie nur wieder gesund wird.
In dem Augenblick kam der Krankenwagen. Simona war enttäuscht. Sie hatten weder Blaulicht noch Martinshorn an. So, als wäre es überhaupt nicht eilig. Ein Mann und eine Frau sprangen aus dem Auto und gingen neben ihrer Oma in die Hocke.
»Was ist passiert?«, fragte die Frau.
»Das sehen Sie doch«, sagte Simona wütend. »Sie hat sich das Bein gebrochen. Vielleicht sogar beide.«
Das Letzte sagte sie, damit die auch begriffen, wie schlimm es stand.
»Das kann man nicht sonderlich gut erkennen, da sie unter einer Decke liegt«, wandte der Mann ein.
Er zwinkerte Simona zu.
Vorsichtig nahmen die beiden Sanitäter die Decke ab und drückten ein bisschen auf dem Bein herum. Oma verzog das Gesicht und Simona ballte die Faust. Wenn die sie jetzt nicht losließen, würden sie einen Kinnhaken bekommen. Aber das erwies sich als nicht nötig.
»Das wird schon wieder«, sagte der Mann.
Die Frau ging und holte eine Trage, auf die sie die Oma hoben.
»Fährst du mit ins Krankenhaus?«, fragte der Mann.
Simona sah zu, wie sie ihre Oma in den Krankenwagen schoben.
»Ja, natürlich«, sagte sie. »Ich muss nur schnell noch was erledigen.«
Schnell kam sie auf die Füße, holte alle Lebensmitteltüten aus dem Auto, rannte damit in die Küche und schob sie in den Kühlschrank. Auspacken würde sie später.
Dann lief sie wieder zum Krankenwagen.
»Du hast doch wohl das Auto und das Haus abgeschlossen?«, fragte ihre Oma besorgt.
Simona nickte.
Eigentlich wollte sie noch hinzufügen, dass sie mehrmals an der Tür gerüttelt hatte, aber sie kriegte keinen Ton heraus. Sie durfte nämlich ganz vorn im Krankenwagen sitzen, und da hatte man an anderes zu denken.
Jetzt sollten Billie und Aladdin mich mal sehen!, dachte sie.
Der Krankenwagen fuhr, als ob es überhaupt nicht glatt wäre. Sie brausten an Häusern und Bäumen und Rondells und an dem Wasserturm vorbei, in dem Aladdin wohnte.
Ihre Oma hatte offensichtlich ziemliche Schmerzen. Sie bekam eine Medizin, damit es ihr besser ginge, und die wiederum machte sie schwach und schwindelig.
»Wohin fahren wir?«, fragte sie.
»Zum Krankenhaus in Kristianstad«, sagte der Mann, der am Steuer saß. »Wir sind gleich da.«
Simona und ihre Familie wohnten in Kristianstad. Åhus hingegen lag zwanzig Kilometer entfernt. Dummerweise gab es da kein Krankenhaus. Jetzt würde Simona, wenn sie bei Billie übernachten wollte, wieder nach Åhus zurückfahren müssen.
»Das ist jetzt wirklich alles sehr dumm«, sagte ihre Oma, als sie ins Krankenhaus gerollt wurde. »Und dabei hatte ich gedacht, dass wir es so schön zusammen haben könnten. Du solltest doch heute den Kassettenrekorder bekommen.«
»Den Kassettenrekorder?«, fragte Simona.
»Ja, wahrscheinlich weißt du gar nicht richtig, was das ist«, erklärte ihre Oma. »Das ist eine Art Musikabspielgerät, das man früher hatte. Also, weißt du, man hatte etwas, das hieß Kassette, und …«
»Klar weiß ich, was das ist«, unterbrach Simona sie und verdrehte die Augen. »Papa hat massenhaft alte Kassetten, die er nicht wegwerfen will. Aber warum wolltest du mir einen Kassettenrekorder geben? Ich habe doch gar keine Kassetten.«
»Nein, aber du solltest eine bekommen«, sagte ihre Oma. »Damit du ein paar Sachen aufnehmen könntest.«
Simona runzelte die Stirn. Ihre Oma war offenbar immer noch etwas weggetreten. Warum sollte Simona rumlaufen und Sachen aufnehmen?
»Weil das ein ganz besonderer Kassettenrekorder ist«, flüsterte ihre Oma, als sie sie fragte.
»Wieso besonders?«, flüsterte Simona zurück.
Ihre Oma antwortete nicht. Zwei Krankenschwestern waren an die Trage getreten und hoben ihre Oma in ein normales Bett hinüber. Das Bettzeug war weiß und das Bett war aus Metall. Simona ging neben ihrer Oma her, als man sie zur Röntgenabteilung rollte. Da würden die Ärzte Fotos davon machen, wie der Körper ihrer Oma innen aussah. An der Decke leuchteten Lampen, die Simona fast blendeten. Überall roch es stark nach Seife. Simona kräuselte die Nase. Wenn ihre Oma nur nicht länger im Krankenhaus bleiben musste.
Bald waren sie wieder allein. Simona erinnerte die Oma an den Kassettenrekorder.
»Wieso besonders?«, fragte sie beharrlich.
Ihre Oma lächelte. Sie winkte Simona, dass sie näher kommen sollte, als würde sie ihr nun ein großes Geheimnis verraten.
»Der Kassettenrekorder kann Geräusche aufnehmen, die niemand sonst hört«, flüsterte ihre Oma.
3.
Nach einer Weile hatte Simona vergessen, dass sie die Nase gerümpft hatte. Es machte richtig Spaß, im Krankenhaus zu sein. Alle waren nett, und Simona durfte so viel Saft trinken, wie sie wollte. Aber ihre Oma sah die meiste Zeit ziemlich traurig aus. Vor allem, als der Arzt sagte, sie solle über Nacht im Krankenhaus bleiben.
»Sie haben Glück im Unglück gehabt«, sagte der Arzt. »Das Bein ist angeknackst, aber es ist nicht gebrochen. Das sollte innerhalb weniger Wochen heilen.«
»Und das Mädchen?«, fragte ihre Oma und zeigte auf Simona. »Ich möchte lieber nach Hause fahren und mich um sie kümmern.«
»Aber ich kann auch zu Billie gehen«, warf Simona ein. »Das hab ich ja schon gesagt.«
Ihre Oma sah sie wütend an. Oha, da war es wohl besser, wenn sie jetzt still war.
Der Arzt klang ernst.
»Sie sollten wirklich nicht nach Hause fahren«, sagte er. »Sie sind erschöpft und mitgenommen, und … Wir müssten auch noch über eine Sache mit Ihnen reden. Ich denke, das klingt doch nach einer guten Lösung. Sie, Margareta, bleiben hier, und das Mädchen fährt zu seiner Freundin.«
Simona fand, es klang immer komisch, wenn jemand ihre Oma Margareta nannte. Sie hieß doch Oma. Und sie selbst Simona und nicht »das Mädchen«.
Während ihrer Oma mit dem Bein geholfen wurde, ging Simona raus und rief Billie an. Sie erzählte, was passiert war.
»Kann ich heute Nacht bei dir schlafen? Oma kommt morgen wieder nach Hause«, erklärte sie.
»Ja, natürlich! Mama und ich holen dich gleich ab«, sagte Billie.
Und so kam es. Eine halbe Stunde später saß Simona im Auto auf dem Weg zurück nach Åhus. Billie sah froh aus. Nicht, weil Simonas Oma sich verletzt hatte, sondern weil Simona bei ihr übernachten würde.
»Und ich hatte schon befürchtet, dass dieses Wochenende das langweiligste der Welt werden würde«, sagte sie. »Aber das wird nun anders.«
Simona zwang sich, zu lächeln, doch fiel es ihr schwer, Billies Freude zu teilen. Warum hatte dieser Arzt denn so ernst ausgesehen? Und worüber wollte er mit Oma noch reden? Er hatte doch selbst gesagt, dass sie Glück gehabt habe.
Außerdem musste sie an den Kassettenrekorder denken, von dem ihre Oma gesprochen hatte. Der Sachen aufnahm, die sonst keiner hören könnte. Das konnte doch nicht wahr sein. Wahrscheinlich hatte ihre Oma einen Scherz gemacht, weil sie fürchtete, Simona würde einen Kassettenrekorder doof finden. Bestimmt war das alles.
Bei Billie war alles wie immer. Früher einmal hatten sie gemeint, in ihrem Haus würde es spuken. Da waren die seltsamsten Dinge passiert. Billie war außer sich vor Angst gewesen und hatte nicht mehr da wohnen wollen. Jetzt war das anders. Billie liebte ihr Haus und wohnte schrecklich gern in Åhus. Simona fand das immer noch öde. Denn früher hatte Billie genauso wie sie in Kristianstad gewohnt. Wenigstens ging Billie immer noch dort in die Schule, aber es war trotzdem nicht mehr dasselbe wie früher. Da hatten sie sich nachmittags und an den Wochenenden, sooft es ging, treffen können, das war jetzt nicht mehr so einfach.
Bei Billie war es ungewöhnlich laut. Ihre Mutter hatte eine Maschine gekauft, auf der sie joggte, und in der Küche kochte ihr Lebensgefährte Josef das Abendessen und klapperte dabei mit Bratpfannen und Töpfen.
»Fleisch und Kartoffeln«, kündigte er fröhlich an.
Zu Anfang war Josef nur ein Freund gewesen, doch das war jetzt anders. Jetzt wohnte er bei Billie und ihrer Mutter. Billie sagte, es sei okay. Er dürfe nur nicht versuchen, Billies neuer Papa zu werden, denn das wollte sie nicht. Ihr Papa war gestorben.
»Man kann ihn ja nicht einfach austauschen«, sagte sie.
Simona konnte das verstehen. Sie wollte auch auf keinen Fall einen neuen Papa haben.
Josef deckte das feine Porzellan und rosa Servietten auf.
»Schließlich haben wir einen Gast«, sagte er und lächelte Simona an.
Nach dem Abendessen rief Simonas Oma an.
»Ich komme morgen und hole dich ab, mein Trollmädchen«, sagte sie.
Simona kicherte. Oma hatte sie immer Trollmädchen genannt, weil sie so viele und wuschelige Haare hatte.
»Geh heute Abend nicht so spät ins Bett«, mahnte ihre Oma.
»Versprochen«, erwiderte Simona.
Aber das Versprechen hielt sie nicht. Billie und sie redeten bis spät in die Nacht. Über Freunde in der Schule. Über Omas Unfall und die Fahrt mit dem Krankenwagen.