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Er war acht Jahre alt, als er bei einem plötzlichen Feuer fast umgekommen wäre, und noch keine zehn, als sein Vater, eben erst glücklich aus dem Krieg heimgekehrt, beim Bau des Eigenheims tödlich verunglückte. Lange hoffte er voller Sehnsucht auf eine Rückkehr des Vaters. Als man ihn, den sorbischen Dorfjungen, an ein tschechisches Gymnasium schickte, eröffneten sich ihm neue Welten. Jurij Kochs Kindheitserinnerunge sind geprägt von der Dramatik der letzten Tage des Zweiten Weltkriegs und von der Aufbruchstimmung nach dessen Ende im Mai 1945. Episodenhaft schildert er Kriegs- und Nachkriegsalltag der ländlichen Bevölkerung und das Leben in der tschechischen Grenzstadt Varnsdorf. Sein Buch besticht durch eine sehr lebendige, oft humorvolle Erzählweise sowie durch seine Sprach- und Bildkraft.
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2016
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I
Das Feuer im Spiegel
Zunächst konnte der heimkehrende Krieg, dessen Vorboten sich mehrten, kaum Ängste verbreiten. Die Kindheit ist stark genug, sich selbst mit Spiel und schöner Unschuld vor Beschädigung zu bewahren. Ich ließ es mir im Paradies der Kindheit gutgehen, und weil mörderische Zeiten waren, hatte ich mir mit Gleichaltrigen den Krieg selbst zum Spiel herabgesetzt. Wir pitzelten uns aus Latten und Knüppeln Flinten mannigfaltiger Art und aus verrosteten Ofenrohren wurden Kanonen. Auf ausrangierte Kinderwagen montiert, quoll aus ihren oberen Öffnungen weißer Rauch, weil wir an den unteren halbtrockenes Gras absengten. Mit solch gräulichem Kampfgerät stießen wir auf den Höhen der Horkaer Steinbrüche auf die Kompanien der Neudörfler. Ich erinnere mich, dass die feindlichen Nachbarn gegen uns mit längeren und dickeren Kanonen angetreten waren, weil es sich bei ihren Rohren um ausgebaute verschlissene Mühlentechnik handelte. Und es drängt mich hinzuzufügen, dass aus dem Neudörfler Schießgerät Düfte schmorenden Mehls stiegen. In unseren Kinderkriegen roch es nach ofenfrischen Semmeln. Oder ist dies das Resultat gewünschter Aufwertungen der Kinderzeit?
Ich sehe mich mit meiner Mutter im Dunstlicht des Abends den leicht ansteigenden Weg zum oberen Wohnzipfel des Dorfes laufen. Eine Frau kommt uns entgegen. Wir bleiben stehen. Eines der zur selben Zeit geführten unzähligen Dorfgespräche beginnt. Die Plauderei langweilt mich. Ich zerre an Mutters Rockfalte, komm nun, komm. Aus dieser Unterhaltung der Mutter mit irgendeiner Nachbarin oder Nichtnachbarin am frühen Abend eines wahrscheinlich herbstlichen Monats habe ich mir gemerkt, dass von wachsenden Sorgen die Rede ist und von zunehmenden Verschlechterungen aller Art und dass die Frau in einer Pause der Sorgenaufzählung fragt, wie alt ich sei, und Mutter sagt: Wir stehen also im Kriegsjahr vierundvierzig, wahrscheinlich im September, etwa in der Mitte des aufsteigenden Wegs zum oberen Dorfzipfel, auch Oberes Ende genannt, und mir prägt sich ins Gedächtnis, dass ich acht bin. Die Frau sagt, dass sie sich vor allem um die Kinder sorgt. Mutter stimmt ihr zu, aber ich habe keine Angst, denn ich sehe nirgends Gefahren.
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