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Drei Mailänder Verlagslektoren geraten zufällig an eine Geheimbotschaft des legendenumwitterten Templerordens. Sie machen sich an die Entzifferung, bauen aus zahllosen Elementen ein gigantisches Puzzle, erfinden selbst einen Plan, der zu nichts Geringerem führen soll als zur Beherrschung der Welt. Nicht nur die Templer - so scheint es - haben sich mit dem Plan beschäftigt, sondern sämtliche Geheimgesellschaften der Welt, von den Rosenkreuzern bis hin zu den Freimaurern. Die Weltgeschichte wird von den drei Zauberlehrlingen umgeschrieben. Doch dann wird aus dem intellektuellen Spiel blutiger Ernst: Menschen, die mit dem Plan zu tun haben, verschwinden oder werden ermordet, der Plan verselbständigt sich, wird unheimliche Realität ...
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Hanser eBook
UMBERTO ECO
DAS FOUCAULTSCHE PENDEL
AUS DEM ITALIENISCHEN
VON BURKHART KROEBER
CARL HANSER VERLAG
Die Originalausgabe erschien 1988 unter dem Titel Il pendolo di Foucault bei Bompiani in Mailand
ISBN 978-3-446-23910-4
© Gruppo Editoriale Fabbri,
Bompiani, Sonzogno, Etas S.p.A., 1988
Alle Rechte der deutschen Ausgabe:
© Carl Hanser Verlag München Wien 1989/2011
2. E-Book-Auflage 2017
Datenkonvertierung eBook:
Kreutzfeldt digital, Hamburg
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und viele andere Informationen finden Sie unter:
www.hanser-literaturverlage.de
Für euch, Kinder der Wissenschaft und der Weisheit, haben wir dieses geschrieben. Erforschet das Buch und suchet euch unsere Ansicht zusammen, die wir verstreut und an mehreren Orten dargetan haben; was euch an einem Orte verborgen bleibt, das haben wir an einem anderen offengelegt, damit es fassbar werde für eure Weisheit.
Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim,
De occulta philosophia, 3, 65
Aberglauben bringt Unglück.
Raymond Smullyan, 5000 B.C., 1.3.8
INHALT
1 KETHER
9 1 Als das Licht des Unendlichen
17 2 Wee have divers curious clocks
2 CHOCHMAH
31 3 In hanc utilitatem clementes angeli
39 4 Wer in den Rosengarten der Philosophen eindringt
44 5 Die zweiundzwanzig elementaren Lettern
55 6 Juda León se dio a permutaciones
3 BINAH
61 7 Erwartet euch nicht zuviel vom Weltuntergang
66 8 Aus dem Licht und von den Göttern gekommen
72 9 In der rechten Hand trug sie eine gülden Posaun
7610 Am Ende erschließt man kabbalistischerweise
8311 Seine Unfruchtbarkeit war unendlich
8912 Sub umbra alarum tuarum
9713 Li frere, li mestre du Temple
11614 Er hätte sogar gestanden, Christus getötet zu haben
12915 Ich werde euch Hilfe holen vom Grafen Anjou
13616 Vor der Verhaftung war er nun neun Monate im Orden
14417 So verschwanden die Tempelritter
15118 Eine von Rissen und Höhlen durchlöcherte Masse
15919 Der Orden hat nie aufgehört zu bestehen
16920 Das Mittelalter wartete auf den Helden des Gral
17921 Der Gral wiegt so schwer
18422 Die Gralsritter wollten nicht mehr befragt werden
4 CHESSED
19323 Die Analogie der Gegensätze
19824 Sauvez la faible Aischa
20425 Diese mysteriösen Initiierten
20726 Alle Traditionen der Erde
21327 Dass er zweitausend Jahre alt sein soll, ist zuviel
21828 Es gibt einen Leib, der die ganze Welt umspannt
22429 Denn dass sie ihre Namen ändern und verbergen
23030 Haben sich auch gelehrte Leut damit äffen lassen
23831 Die meisten angeblichen Rosenkreuzer waren bloß
24232 Valentiniani per ambiguitates bilingues
24533 Die Visionen sind weiß, blau, weiß hell rot
5 GEBURAH
25734 Beydelus, Demeymes, Adulex
26635 Ich bin Lia
26936 Erlaubt mir einstweilen, einen Rat zu geben
27737 Wer über vier Dinge nachgrübelt
28138 Geheimer Meister, Vollkommener Meister
28839 Ritter der Weltkugeln, Prinz des Tierkreises
29540 Der Feige stirbt schon vielmal, eh er stirbt
29841 An dem Punkt, wo der Abgrund
30542 Wisset, dass wir uns alle einig sind
30943 Gewöhnliche Leute, denen man auf der Straße begegnet
31544 Beschwört die Kräfte
31845 Womit sich eine verblüffende Frage erhebt
32446 Setze dich etliche Male vor den Frosch
32947 So war es unser Bemühen, eine Ordnung zu finden
33548 Eine gute Annäherung
34049 Eine spirituelle Ritterschaft
34650 Denn ich bin die Erste und die Letzte
35551 Wenn derohalben ein kabbalistischer Großkopfeter
36052 In gewissen Regionen des Himalaja
36453 Da sie die irdischen Geschicke nicht unverhüllt
37354 The prince of darkness
37655 Ich nenne Theater
38456 Hat so kräfftig in die Posaune gestoßen
39157 Das war so herrlich und meisterlich anzusehen
40158 Deswegen ist die Alchimie eine keusche Hure
40659 Und wenn solche Monster erzeugt werden
40860 Armer Tor!
41261 Dieses Goldene Vlies wird bewacht
41662 Wir betrachten als druidische Gesellschaften
42163 Woran erinnert dich dieser Fisch?
6 TIFERETH
431 64 Zu träumen, man wohne in einer unbekannten Stadt
436 65 Es war ein quadratischer Apparat
441 66 Wenn unsere Hypothese zutrifft
446 67 Von der Rose reden wir nicht mehr
452 68 Deine Kleider seien weiß
460 69 Elles deviennent le Diable
462 70 Wussten wir uns einer Heimlichkeit zu erinnern
467 71 Wissen wir also nicht gewiss
472 72 Nos inuisibles pretendus
476 73 Ein anderer kurioser Fall
491 74 Obgleich er guten Willens ist
495 75 Die Initiierten stehen an der Grenze
501 76 Dilettantismus
512 77 Dieses Kraut wird Teufelsaustreiber genannt
516 78 Gewiss kommt diese monströse Kreuzung nicht aus
521 79 Er machte sein Köfferchen auf
525 80 Wenn das Weiß kommt
527 81 Sie wären imstande, den Planeten zu sprengen
531 82 The earth is a magnetic body
537 83 A map is not the territory
541 84 Gemäß den Plänen des Verulamius
544 85 Phileas Fogg. Ein Name wie eine Signatur
546 86 An sie wandte sich Eiffel
548 87 Es ist eine bemerkenswerte Koinzidenz
552 88 Templerismus ist Jesuitismus
558 89 Inmitten der dichtesten Finsternis
560 90 Alle den Templern zugeschriebenen Infamien
563 91 Wie gut haben Sie diese Sekten entlarvt
565 92 Mit der ganzen Macht und Schrecklichkeit Satans
568 93 Während wir uns hinter den Kulissen halten
570 94 Hatte ihm das wohl geschwant?
572 95 Nämlich die kabbalistischen Juden
576 96 Eine Hülle ist immer nöthig
581 97 Ich bin, der ich bin
59698 Mit eigener rassistischer Gnosis, eigenen Riten
600 99 Guénonismus plus Panzerdivisionen
602100 Ich erkläre, dass die Erde innen hohl ist
606101 Qui operatur in Cabala
608102 Eine überaus dicke und hohe Mauer
613103 Dein geheimer Name wird 36 Lettern haben
618104 Diese Texte sind nicht für gewöhnliche Sterbliche
621105 Delirat lingua, labat mens
625106 Die Liste Nr. 5
7 NEZACH
639107 Siehst du den schwarzen Hund?
646108 Sind da mehrere Mächte am Werk?
655109 Saint-Germain ... sehr kultiviert und geistreich
662110 Sie machten falsche Bewegungen und gingen rückwärts
668111 C'est une leçon par la suite
8 HOD
675112 Für unsere Zeremonien und Riten
682113 Unsere Sache ist ein Geheimnis
703114 Das ideale Pendel
706115 Könnte das Auge die Teufel sehen
712116 Je voudrais être la tour
717117 Die Narrheit hat ein großes Zelt
9 JESSOD
725118 Die Verschwörungstheorie der Gesellschaft
736119 Sah ich einen hellen Feuerstriemen hinabschießen
10 MALCHUTH
751120 Das Übel ist, dass sie wähnen, sie seien im Licht
ANHANG
757Passworte fürs Foucaultsche Pendel
758Übersetzung der fremdsprachigen Zitate
763Bildnachweis
Übersetzungen der fremdsprachigen Zitate finden sich im Anhang
1
Da endlich sah ich das Pendel.
Die Kugel, frei schwebend am Ende eines langen metallischen Fadens, der hoch in der Wölbung des Chores befestigt war, beschrieb ihre weiten konstanten Schwingungen mit majestätischer Isochronie.
Ich wusste – doch jeder hätte es spüren müssen im Zauber dieses ruhigen Atems –, dass die Periode geregelt wurde durch das Verhältnis der Quadratwurzel aus der Länge des Fadens zu jener Zahl π, die, irrational für die irdischen Geister, in göttlicher Ratio unweigerlich den Umfang mit dem Durchmesser eines jeden möglichen Kreises verbindet, dergestalt, dass die Zeit dieses Schweifens einer Kugel von einem Pol zum andern das Ergebnis einer geheimen Verschwörung der zeitlosesten aller Maße war – der Einheit des Aufhängepunktes, der Zweiheit einer abstrakten Dimension, der Dreizahl von π, des geheimen Vierecks der Wurzel und der Perfektion des Kreises.
Auch wusste ich, dass in der Falllinie des Aufhängepunktes, unter dem Boden, eine Magnetvorrichtung, die ihre Anziehungskraft auf einen verborgenen Zylinder im Innern der Kugel übertrug, das Gleichmaß der Bewegung garantierte, ein Mechanismus zur Überwindung des Widerstands der Materie, der aber nicht dem Gesetz des Pendels entgegentrat, sondern ihm vielmehr erlaubte, sich zu manifestieren – denn im Vakuum würde jedes Gewicht am Ende eines unelastischen und gewichtlosen Fadens, der keinem Luftwiderstand und keinerlei Reibung mit seinem Angelpunkt ausgesetzt wäre, gleichmäßig in alle Ewigkeit pendeln.
Die kupferne Kugel emanierte schwach schimmernde Reflexe im Schein der letzten Sonnenstrahlen, die durch die Kirchenfenster eindrangen. Hätte sie, wie einst, mit ihrer Spitze eine Schicht feuchten Sandes auf dem Boden des Chores gestreift, so hätte sie bei jeder Schwingung eine dünne Furche in den Boden gegraben, und die Furche hätte, jedes Mal um ein winziges Stück ihre Richtung ändernd, sich immer mehr in Form einer Bresche, eines Tales erweitert, um eine strahlenförmige Symmetrie erraten zu lassen – wie das Skelett eines Mandala, die unsichtbare Struktur eines Drudenfußes, ein Stern, eine mystische Rose. Nein, eher wie ein Spurengewirr, verzeichnet im Sand einer weiten Wüste, von unzähligen umherirrenden Karawanen. Eine Geschichte langsamer, tausendjähriger Wanderungen – so mochten die Atlantiden des Kontinents Mu sich bewegt haben, in beharrlichen und besitzergreifenden Streifzügen, von Tasmanien nach Grönland, vom Steinbock zum Krebs, von der Prince-Edward-Insel bis nach Spitzbergen. Die Spitze der Kugel wiederholte, erzählte von neuem in einer sehr knappen Kurzfassung, was sie getan hatten von der einen zur andern Eiszeit, und was sie vielleicht noch immer taten, nun als Kuriere der Herren – ja, vielleicht berührte sie gar auf dem Wege zwischen Samoa und Nowaja Semlja, in ihrer Gleichgewichtsposition, das Land Agarttha, die Mitte der Welt. Und ich fühlte: ein einziger Plan verband das hyperboreische Avalon mit der australischen Wüste, die das Rätsel von Ayers Rock birgt.
In diesem Augenblick, um vier Uhr nachmittags am 23. Juni, dämpfte das Pendel seine Geschwindigkeit am äußersten Ende des Schwingungsbogens, bis es zum Stillstand kam, um gleichmütig wieder ins Zentrum zurückzufallen, zur Mitte der Bahn an Geschwindigkeit zu gewinnen und zuversichtlich in das okkulte Quadrat der Kräfte zu säbeln, das sein Schicksal bestimmte.
Wäre ich länger geblieben, resistent gegen das Verstreichen der Stunden, um jenen Vogelkopf zu fixieren, jene Lanzenspitze, jenen umgekehrten Helmschmuck, während er seine Diagonalen ins Leere zeichnete, hin- und herschwingend zwischen den jeweils entgegengesetzten Punkten seiner astigmatischen Kreislinie, so wäre ich einer bestrickenden Sinnestäuschung erlegen, denn das Pendel hätte mich glauben gemacht, seine Schwingungsebene habe eine komplette Rotation vollzogen, um nach zweiunddreißig Stunden an ihren Ausgangspunkt zurückzukehren, eine abgeflachte Ellipse beschreibend, die um ihren Drehpunkt mit einer gleichförmigen Winkelgeschwindigkeit proportional zum Sinus des Breitengrades rotierte. Wie hätte sie wohl rotiert, wenn das Pendel am Schlussstein der Kuppel des Salomonischen Tempels aufgehängt worden wäre? Vielleicht hatten es die Ritter auch dort versucht. Vielleicht hätte sich die Berechnung, die letzte Bedeutung nicht geändert. Vielleicht war die Abteikirche von Saint-Martin-des-Champs der wahre Tempel. Perfekt wäre das Experiment ohnehin nur am Pol gewesen, dem einzigen Ort, an dem der Aufhängepunkt in der ideellen Verlängerung der Erdrotationsachse läge und das Pendel seinen scheinbaren Zyklus in vierundzwanzig Stunden zurücklegen würde.
Doch es war nicht diese Abweichung vom Gesetz, die das Gesetz im übrigen vorsah, es war nicht diese Verletzung eines goldenen Maßes, die das Wunder weniger wunderbar machte. Ich wusste, dass die Erde rotierte, und ich mit ihr und Saint-Martin-des-Champs und ganz Paris mit mir; wir alle rotierten gemeinsam unter dem Pendel, das in Wirklichkeit nie seine Schwingungsebene änderte, denn dort oben, von wo es herabhing, und längs der ideellen Verlängerung des Fadens, endlos hinauf bis zu den fernsten Galaxien, dort oben stand, reglos in alle Ewigkeit, der Feste Punkt.
Die Erde rotierte, doch der Ort, wo das Pendel verankert war, war der einzige Fixpunkt im Universum.
Daher war mein Blick nicht so sehr auf die Erde gerichtet als vielmehr dort oben hinauf, wo sich das Mysterium der absoluten Unbeweglichkeit vollzog. Das Pendel sagte mir, dass – während alles bewegt war, die Erde, das Sonnensystem, die Sternennebel, die schwarzen Löcher und alle Kinder der großen kosmischen Emanation, von den ersten Äonen bis zur zähflüssigsten Materie – dass dort oben ein einziger Punkt in Ruhe verharrte, als Zapfen, Bolzen, ideeller Aufhänger, um den sich das ganze Weltall drehte. Und ich hatte teil an dieser höchsten Erfahrung, ich, der sich zwar mit allem und mit dem All bewegte, aber Ihn sehen konnte, Ihn, den Nicht-Bewegten, den Felsen, die Garantie, den leuchtenden Dunst, der kein Körper ist, keine Form, Gestalt, Schwere, Quantität oder Qualität hat, der nicht sieht, nicht hört, nicht gefühlt werden kann, sich an keinem Ort befindet, in keiner Zeit und in keinem Raum, der nicht Seele ist, nicht Intelligenz, Phantasie, Meinung, Zahl, Ordnung, Maß, Substanz oder Ewigkeit, der weder Dunkel noch Licht ist, der nicht Irrtum ist und nicht Wahrheit.
Ein Dialog schreckte mich auf, ein sachliches und teilnahmsloses Gespräch zwischen einem Jüngling mit Brille und einem Mädchen, das leider keine trug.
»Das Foucaultsche Pendel«, sagte er. »Erstes Experiment im Labor 1851, dann im Observatoire und dann unter der Kuppel des Panthéon, mit einem siebenundsechzig Meter langen Faden und einer Kugel von achtundzwanzig Kilo. Schließlich in kleinerem Maßstab 1855 hier aufgebaut, und seitdem hängt es nun da aus dem Loch im vorderen Teil des Kreuzgewölbes.«
»Und was macht es da? Pendelt bloß so?«
»Es demonstriert die Rotation der Erde. Weil der Aufhängepunkt, der bleibt stehen ... «
»Und wieso bleibt er stehen?«
»Weil ein Punkt ... wie soll ich sagen ... in seinem Mittelpunkt ... also pass auf, jeder Punkt, der genau in der Mitte der Punkte ist, die du siehst, ich meine, diesen zentralen Punkt – den geometrischen Punkt –, den kannst du nicht sehen, er hat keine Dimensionen, und was keine Dimensionen hat, kann weder rechtsrum noch linksrum gehen, weder rauf noch runter. Deswegen rotiert er nicht. Verstehst du? Wenn der Punkt keine Dimensionen hat, kann er sich auch nicht um sich selbst drehen. Er hat nicht mal ein Selbst ... «
»Auch nicht, wenn die Erde sich dreht?«
»Die Erde dreht sich, aber der Punkt dreht sich nicht. Ob's dir passt oder nicht, so ist das nun mal. Okay?«
»Seine Sache.«
Erbärmlich. Da hatte sie nun über sich den einzigen festen Punkt im Kosmos, den einzigen rettenden Anker in der Verdammnis des panta rhei, und meinte, es wäre Seine Sache, nicht ihre! Tatsächlich ging das Pärchen gleich darauf weiter – er belehrt von einem Schulwissen, das ihm die Fähigkeit zum Staunen vernebelt hatte, sie träge, unerreichbar für den Schauder des Unendlichen, beide unberührt von der Schreckenserfahrung dieser ihrer Begegnung – der ersten und letzten – mit dem Einen, dem En-Sof, dem Unsagbaren. Wie war es möglich, nicht auf die Knie zu fallen vor dem Altar der Gewissheit?
Ich schaute ehrfürchtig und beklommen. In diesem Moment war ich überzeugt, dass Jacopo Belbo recht gehabt hatte. Als er mir von dem Pendel erzählte, hatte ich seine Erregung einer ästhetischen Schwärmerei zugeschrieben, jenem Krebsgeschwür, das langsam, unförmig, in seiner Seele Gestalt anzunehmen begann, indem es Schritt für Schritt, ohne dass er es merkte, sein Spiel in Realität verwandelte. Doch wenn er mit dem Pendel recht gehabt hatte, dann war ja vielleicht auch alles andere wahr, der Große Plan, das Universale Komplott, und es war richtig gewesen, dass ich hergekommen war, am Abend vor der Sommersonnwende. Jacopo Belbo war nicht verrückt, er hatte einfach beim Spielen, durch das Spiel, die Wahrheit entdeckt.
Und die Erfahrung des Numinosen hält man nicht lange aus, ohne den Verstand zu verlieren.
Ich versuchte den Blick vom Pendel zu lösen, indem ich der Kurve folgte, die von den Kapitellen der im Halbkreis angeordneten Säulen längs der Gewölberippen zum Schlussstein verlief, womit sie das Wunder des Spitzbogens wiederholte, der sich auf einer Abwesenheit errichtet, höchste statische Hypokrisie, und der die Säulen glauben macht, sie stemmten die Rippen nach oben, und diese, vom Schlussstein zurückgewiesen, sie drückten die Säulen fest auf den Boden, während doch das Gewölbe in Wahrheit ein Alles und Nichts ist, Wirkung und Ursache gleichzeitig. Doch bald wurde mir bewusst, dass eine Vernachlässigung des Pendels, das vom Gewölbe hing, um stattdessen das Gewölbe zu bewundern, so viel war wie ein Verzicht auf den Trunk aus der Quelle, um sich stattdessen am Bach zu berauschen.
Das Chorgewölbe von Saint-Martin-des-Champs existierte nur, weil dort kraft des Gesetzes das Pendel existieren konnte, und dieses existierte nur, weil jenes existierte. Niemand entflieht dem Unendlichen, sagte ich mir, während ich zu einem anderen Unendlichen floh, niemand entgeht der Offenbarung des Identischen, wenn er sich einbildet, dem Differenten begegnen zu können.
Ohne den Blick vom Schlussstein des Gewölbes lösen zu können, trat ich langsam zurück, Schritt für Schritt – denn als ich vorhin hereingekommen war, hatte ich mir den Weg gut eingeprägt, und die großen Schildkröten aus Metall, die da rechts und links an mir vorbeizogen, waren imposant genug, um aus den Augenwinkeln wahrgenommen zu werden. Ich ging rückwärts durch das Langschiff der Kirche zum Eingang, und erneut hingen über mir jene drohenden prähistorischen Vögel aus rissiger Leinwand und rostigen Drähten, jene bösartigen Libellen, die ein verborgener Wille dort von der Decke hatte herabhängen lassen. Sie kamen mir vor wie Metaphern der Weisheit, viel bedeutungsvoller und anspielungsreicher, als der didaktische Vorwand sie gemeint zu haben vorgeben mochte. Flug von Insekten und Reptilien der Jurazeit, Allegorie der langen Wanderungen, die das Pendel am Boden resümierte, Archonten, perverse Emanationen – jawohl, das waren sie, die da über mir hingen mit ihren langen Archaeopteryx-Schnäbeln, die Flugzeuge von Breguet, Blériot, Esnault und der Helikopter von Dufaux.
So betritt man tatsächlich das Conservatoire des Arts et Métiers in Paris, nachdem man einen barocken Hof durchquert hat und in die alte Abteikirche tritt, die in den späteren Gebäudekomplex eingebaut ist, wie sie einst in das ursprüngliche Priorat eingebaut war. Man tritt ein und ist geblendet von dieser Verschwörung, die das höhere Universum der himmlischen Wölbungen mit der chthonischen Welt der Mineralölfresser verbindet.
Unten reihen sich alte Automobile, Zweiräder und Dampfwagen, oben hängen die Flugzeuge der Pioniere, manche Objekte sind noch intakt, wenn auch verschlissen und zernagt von der Zeit, und alle gemeinsam erscheinen im teils natürlichen, teils elektrischen Zwielicht wie überzogen mit einer Patina, mit dem Lack alter Geigen; manche sind nur noch Skelette, Chassisgerippe, wirre Gestänge und Hebelwerke, die unsägliche Torturen androhen, schon siehst du dich angekettet an jene Streckbetten, wo sich etwas bewegen und sich dir ins Fleisch bohren könnte, bis du gestehst.
Und hinter dieser Reihe von einst mobilen, nun immobilen Objekten mit verrosteter Seele, reinen Zeichen eines technologischen Stolzes, der sie hier den staunenden Blicken der Besucher ausgestellt haben wollte, öffnet sich, links bewacht von einer Freiheitsstatue, dem verkleinerten Modell derjenigen, die Bartholdi für eine andere Welt entworfen hatte, und rechts von einer Statue Pascals, der Chor mit dem schwingenden Pendel, umringt vom Albtraum eines kranken Entomologen – Scheren, Kiefer, Fühler, Wurmglieder, Flügel, Krallen –, ein Friedhof von mechanischen Kadavern, die sich alle gleichzeitig wieder in Gang setzen könnten – Elektromagnete, Einphasen-Transformatoren, Turbinen, Gruppen von Umsetzern, Dampfmaschinen, Dynamos –, und ganz hinten, hinter dem Pendel, im Chorumgang, assyrische, chaldäische und karthagische Götterbilder, große Baale mit einst brennenden Bäuchen, Eiserne Jungfrauen mit bloßgelegten, nägelstarrenden Herzen, die einst Flugzeugmotoren waren – eine unsägliche Korona von Götzen, die da anbetend vor dem Pendel liegen, als wären die Kinder der Aufklärung und des Rationalismus dazu verdammt, für ewig das Ursymbol der Tradition und der Weisheit zu hüten.
Und die gelangweilten Touristen, die ihre neun Francs an der Kasse bezahlen und sonntags gratis hereindürfen, können sie ernsthaft glauben, dass alte Herren aus dem neunzehnten Jahrhundert, Herren mit nikotingelben Bärten, fettigen und zerknautschten Krägen, schwarzen Schleifenkrawatten, schnupftabakstinkenden Gehröcken, die Finger braun von Säuren, die Hirne versauert von akademischen Neidereien, Gespenster zum Lachen, die sich gegenseitig cher Maître nannten – dass solche Herrschaften diese Objekte hier ausgestellt hätten, hier unter diesen Gewölben, bloß um sie brav vorzuzeigen, um ihre bürgerlichen und radikalen Geldgeber zu befriedigen, um die großen und segensreichen Errungenschaften des Fortschritts zu preisen? – Nein, nein, Saint-Martin-des-Champs war konzipiert worden, zuerst als Priorat und dann als Revolutionsmuseum, um die geheimsten Weisheiten zu versammeln, und diese Flugzeuge, diese automobilen Vehikel, diese elektromagnetischen Drahtgerippe waren hier, um einen Dialog zu führen, dessen Formel mir noch entging.
Hätte ich glauben sollen, wie der Katalog mir weismachen wollte, diese schöne Versammlung sei von den Herren des Konvents ersonnen worden, um den Massen ein Sanktuar aller Künste und Handwerke vorzusetzen, wo doch so klar auf der Hand lag, dass der ganze Entwurf und sogar die Worte dieselben waren, mit denen Francis Bacon das Salomonische Haus in seinem Neuen Atlantis beschrieben hatte?
War es möglich, dass nur ich – ich und Jacopo Belbo und Diotallevi – die Wahrheit erkannt hatten? In dieser Nacht würde ich vielleicht die Antwort erfahren. Ich musste einen Weg finden, im Museum zu bleiben, um abzuwarten, bis es Mitternacht wurde.
Von wo sie hereinkommen würden, wusste ich nicht – ich vermutete, dass im Pariser Kanalnetz ein Gang irgendeinen Punkt des Museums mit einem anderen Punkt in der Stadt verband, vielleicht nahe der Porte-Saint-Denis –, aber mir war klar, dass ich, wenn ich hinausginge, von dort aus bestimmt nicht wieder hereinfinden würde. Also musste ich mich verstecken und drinnenbleiben.
Ich versuchte mich von der Faszination des Ortes zu lösen und die Kirche mit nüchternem Blick zu mustern. Jetzt war ich nicht mehr auf der Suche nach einer Offenbarung, jetzt suchte ich nach einer Information. Vermutlich würde es schwierig sein, dachte ich mir, in den anderen Sälen einen Ort zu finden, wo ich den Blicken der Wärter entgehen könnte (es ist ihr Beruf, nach der Schließung die Säle zu inspizieren, auf der Suche nach eventuell versteckten Dieben), aber hier, was gab es besseres als dieses gotische Kirchenschiff voll alter Vehikel, um sich irgendwo wie ein blinder Passagier einzunisten? Sich lebend in einem toten Fahrzeug verstecken – Spiele hatten wir schon zu viele gespielt, um nicht auch dieses noch zu versuchen.
Auf, mein Herz, sagte ich mir, denk jetzt nicht mehr an die Weisheit: Wende dich an die Wissenschaft.
2
Wee haue diuers curious Clocks; and other like Motions of Returne: and some Perpetuall Motions ... Wee haue also Houses of Deceits of the Senses; where wee represent all manner of Feats of Jugling, False Apparitions, Impostures, and Illusions; And their Fallaces ... These are (my sonne) the Riches of Salomons House.
Francis Bacon, New Atlantis, ed. Rawley, London 1627, p. 41-42
Ich hatte die Nerven und die Phantasie wieder unter Kontrolle. Ich musste das Spiel mit Ironie spielen, so wie ich das andere Spiel bis vor wenigen Tagen gespielt hatte, ohne mich von ihm fortreißen zu lassen. Ich war in einem Museum, und ich musste unheimlich schlau und scharfsinnig sein.
Zuversichtlich betrachtete ich die Flugzeuge über mir. Ich könnte in die Kanzel eines Doppeldeckers hinaufklettern und die Nacht darin abwarten, als überquerte ich den Ärmelkanal, voller Vorfreude auf die Légion d'Honneur. Die Namen der Automobile am Boden klangen reizvoll nostalgisch ... Hispano Suiza 1932, schön und einladend. Leider auszuschließen, weil zu nah an der Kasse, aber ich hätte den Kassierer täuschen können, wenn ich in Knickerbockern gekommen wäre, mit einer Dame in cremefarbenem Tailleur, einen langen Schal um den zarten Hals und ein Glockenhütchen auf dem Bubikopf. Der Citroën C6G von 1931 bot sich nur aufgeschnitten dar, ein gutes Schulmodell, aber als Versteck nicht zu gebrauchen. Schon gar nicht der Dampfwagen von Cugnot – riesig, ganz Topf oder Kessel oder wie man das nennt. Ich musste nach rechts hinübergehen, wo längs der Wand die Velozipede mit den großen Jugendstilrädern standen, draisiennes mit flacher Stange wie Trittroller, Evokationen nobler Herren mit Zylinder, die durch den Bois de Boulogne strampelten, Ritter des Fortschritts.
Vor den Zweirädern prächtige Karosserien, verlockende Schlupfwinkel. Vielleicht nicht gerade der Panhard Dynavia von 1945, zu transparent und eng in seiner tropfenförmigen Aerodynamik, aber erwägenswert der hohe Peugeot 1909, ein Alkoven, eine Mansarde. Einmal drinnen und in die Lederpolster versunken, würde mich niemand mehr dort vermuten. Aber schwierig hinaufzugelangen, einer der Wächter saß genau davor auf einer Bank mit dem Rücken zu den Fahrrädern. Auf das Trittbrett steigen, ein wenig behindert durch den schweren Mantel mit Pelzkragen, während er, die Waden gamaschenbewehrt, die Schirmmütze in der Hand, mir ehrerbietig den Schlag aufreißt ...
Einen Moment lang konzentrierte ich mich auf die Obéissante von 1873, das erste französische Fahrzeug mit mechanischem Antrieb, für zwölf Passagiere. Wenn der Peugeot ein Appartement war, war das hier ein Palast. Aber kein Gedanke, da jemals reinzukommen, ohne allseits Aufmerksamkeit zu erregen. Wie schwer es ist, ein Versteck zu finden, wenn die Verstecke die Bilder einer Ausstellung sind!
Ich ging nochmals zurück zum Chor: die Freiheitsstatue erhob sich, »éclairant le monde«, auf einem Sockel von etwa zwei Metern Höhe, konzipiert wie ein Schiffsbug mit einem spitzen Schnabel. Innen enthielt er eine Art Guckkasten, einen schmalen mannshohen Raum, aus dem man nach vorn durch ein Bullauge auf ein Diorama der Bucht von New York sah. Ein guter Beobachtungspunkt, wenn es dunkel geworden war, denn von hier aus könnte man links den Chor und rechts das Langschiff im Blick behalten und wäre von hinten gedeckt durch eine große Steinfigur von Gramme, die zu anderen Korridoren blickte, da sie in eine Art Querschiff postiert war. Aber im vollen Licht war gut zu sehen, ob sich jemand in dem Guckkasten befand, und ein normaler Wärter hätte sofort einen Blick hineingeworfen, um sich zu vergewissern, sobald die Besucher hinausgeströmt waren.
Ich hatte nicht mehr viel Zeit, um halb sechs wurde das Museum geschlossen. Rasch prüfte ich den Chorumgang. Keiner der Motoren bot eine Zuflucht. Auch nichts auf der rechten Seite, weder die großen Schiffsmaschinen, Reliquien mancher gesunkenen Lusitania, noch der riesige Gasmotor von Lenoir mit seiner Vielzahl von Zahnrädern. Nein, eher erfasste mich jetzt wieder Angst – jetzt, wo das Licht schwächer wurde und wässrig durch die grauen Fenster eindrang –, Angst, mich zwischen diesen Tierleibern zu verstecken, um sie dann womöglich im Dunkeln, unter dem Strahl meiner Taschenlampe, wieder zum Leben erwachen zu sehen, keuchend mit schwerem, tellurischem Atem, Knochen und Eingeweide entblößt von Haut, knirschend und stinkend nach öligem Geifer. In dieser Ausstellung, die ich langsam anfing obszön zu finden, in dieser Exhibition von Diesel-Genitalien, Turbinen-Vaginen, anorganischen Rachen, die zu ihrer Zeit gerülpst hatten – und vielleicht in dieser Nacht wieder rülpsen würden – mit Flammen, Qualm und Geheul, oder die gefühllos brummten wie Hirschkäfer oder zirpten wie Zikaden, zwischen diesen skelettierten Manifestationen einer puren abstrakten Funktionalität, diesen Automaten, gemacht zum Zerquetschen, Zersägen, Zerbrechen, Zerschneiden, fähig zu beschleunigen, zu stocken, aufzuheulen, zu ächzen, sich zu zergliedern wie beschädigte Marionetten, Trommeln zu wirbeln, Frequenzen zu konvertieren, Energien zu transformieren, Schwungräder sausen zu lassen ... wie sollte ich da überleben? Sie würden mich angreifen, aufgestachelt von den Herren der Welt, die sie so gewollt hatten, um vom Irrtum der Schöpfung zu sprechen, als unnütze Apparate, Idole der Herren des niederen Universums – wie würde ich ihnen widerstehen können, ohne zu schwanken?
Ich musste weg hier, weg hier, es war alles ein Wahnsinn, ich war drauf und dran, demselben Spiel zu verfallen, das Jacopo Belbo um den Verstand gebracht hatte, ich, der Ungläubige ...
Ich weiß nicht, ob ich vorgestern Abend gut daran tat zu bleiben. Andernfalls wüsste ich heute zwar den Anfang, nicht aber das Ende der Geschichte. Oder ich wäre nicht hier, wie ich es nun bin, einsam auf diesem Hügel, während drunten im Tal die Hunde bellen, allein mit der Frage, ob dies wirklich das Ende war, oder ob das Ende noch kommen muss.
Ich beschloss weiterzusuchen. Durch einen Seitenausgang hinter der Statue von Gramme gelangte ich in eine Galerie. Es war die Eisenbahnabteilung, und die kleinen bunten Modelle von Lokomotiven und Zügen kamen mir wie beruhigendes Spielzeug vor, wie Teile eines Landes Bengodi, eines Madurodam, eines Märchenparks oder Disneyland ... Langsam gewöhnte ich mich an diesen Wechsel von Angst und Zuversicht, von Schrecken und Ernüchterung (ist dies nicht ein Prinzip der Krankheit?), und sagte mir, dass die Visionen in der Kirche mich so verwirrt haben mussten, weil mir noch immer die Aufzeichnungen von Jacopo Belbo im Kopf herumgingen, die ich unter Aufbietung so vieler Mühen dechiffriert hatte – wobei ich doch wusste, dass sie pure Einbildung waren. Ich war in einem Museum der Technik, sagte ich mir, du bist in einem Museum der Technik, das ist eine reelle Sache, vielleicht ein bisschen stupide, aber ein Reich von harmlosen Toten, du weißt, wie Museen sind, niemand ist je von der Mona Lisa verschlungen worden – androgynes Monster, Medusa nur für die Ästheten –, und du wirst schon gar nicht von der Wattschen Dampfmaschine verschlungen, die bloß die romantisch-neugotischen Aristokraten erschrecken konnte – und eben deshalb erscheint sie dir so pathetisch unentschieden zwischen Funktion und korinthischer Eleganz, Hebel und Kapitell, Kessel und Säule, Rad und Tympanon. Jacopo Belbo, so fern er auch sein mochte, suchte mich in die halluzinatorische Falle hineinzuziehen, die sein Verhängnis geworden war. Ich musste mich, sagte ich mir, wie ein Wissenschaftler benehmen. Verbrennt etwa der Vulkanologe wie Empedokles? Floh Frazer gehetzt aus dem Hain von Nemi? Also reiß dich zusammen, du bist Sam Spade, okay? Du musst nur die Unterwelt erkunden, ganz professionell. Die Frau, die dich einfängt, muss vor dem Ende sterben, und möglichst durch deine Hand. So long, Emily, es war schön, aber du warst ein herzloser Automat.
Doch wie sich's trifft, folgt auf die Galerie der Eisenbahnen der Hof Lavoisiers, von dem aus die große Treppe zum Oberstock führt.
Dieses Spiel der Vitrinen an den Wänden, dieser Alchimistenaltar im Zentrum, diese Liturgie im Stil einer zivilisierten Barock-Macumba – das war nicht Zufall, das war symbolisches Strategem.
Zunächst die Vielfalt der Spiegel. Wo ein Spiegel ist, da ist ein menschliches Stadium, du willst dich sehen. Und hier siehst du dich nicht. Du suchst dich, suchst deine Position in dem Raum, in dem dir der Spiegel sagt: »Du bist da, du bist du«, und du plagst dich, du mühst dich ab, denn die Spiegel von Lavoisier, ob konkav oder konvex, enttäuschen dich, narren dich: du trittst zurück und findest dich, du bleibst stehen und verlierst dich. Dieses katoptrische Theater ist erdacht worden, um dir jede Identität zu nehmen und dich an deinem Ort zweifeln zu lassen. Wie um dir zu sagen: Du bist weder das Pendel noch der Ort des Pendels. Und du zweifelst nicht nur an dir, sondern auch an den Gegenständen, die sich zwischen dir und einem anderen Spiegel befinden. Gewiss, die Physik kann dir sagen, was da geschieht und warum: Stell einen konkaven Spiegel auf, der die von einem Gegenstand ausgehenden Strahlen auffängt – in diesem Fall von einem Destillierkolben auf einem Kupferkessel –, und der Spiegel wird dir die einfallenden Strahlen so zurückwerfen, dass du den Gegenstand nicht klar umrissen im Spiegel siehst, sondern meinst, ihn gespenstisch flimmernd und verkehrtherum außen vor ihm schweben zu sehen. Natürlich brauchst du dich nur ein bisschen zu bewegen, und schon ist das Bild verschwunden.
Aber dann plötzlich sah ich mich selbst verkehrtherum in einem Spiegel.
Unerträglich.
Was wollte Lavoisier damit sagen, was wollten die Regisseure des Conservatoire suggerieren? Schon seit dem Mittelalter, seit Alhazen, kennen wir die Magie der Spiegel. Lohnte es sich, die Encyclopédie zu entwerfen, die ganze Aufklärung und die Große Revolution zu machen, bloß um zu behaupten, dass man nur die Oberfläche eines Spiegels zu krümmen braucht, und schon stürzt man ins Imaginäre? Und ist Illusion nicht das, was man im normalen Spiegel sieht, der andere, der dich da anschaut, verurteilt zu ewigem Linkshändertum, jeden Morgen, wenn du dich rasierst? Lohnte es sich, dir bloß das zu sagen, in diesem Saal hier, oder wollte man dir nicht damit suggerieren, den ganzen Rest mit anderen Augen zu sehen, all diese Vitrinen und Instrumente, die hier vorgeben, die Anfänge der aufgeklärten Physik und Chemie zu feiern?
Lederne Schutzmaske für Experimente mit Kalzinierungen. Wirklich? Hat sich der Herr da mit den Kerzen unter der Glasglocke wirklich diese Kanalrattenmaske, dieses Visier für Invasoren aus dem All aufgesetzt, bloß um seine Augen zu schützen? Oh, how delicate, doctor Lavoisier. Und wenn Sie die kinetische Theorie der Gase studieren wollten, wozu dann diese pedantische Rekonstruktion des Äolusbällchens, einer kleinen Tülle auf einer Kugel, die, wenn sie erhitzt wird, dampfsprühend rotiert, wo doch das erste Äolusbällchen bereits von Heron konstruiert worden war, zur Zeit der Gnosis, als Trickmaschinerie für die sprechenden Statuen und die anderen Wunder der ägyptischen Priester?
Und was war dieser Apparat zum Studium der Fäulnisgärung, 1789, schöne Anspielung auf die stinkenden Bastarde des Demiurgen? Eine Sequenz von Glasröhren, die aus einem blasenförmigen Uterus durch Kugeln und Gänge verlaufen, gestützt von Gabeln, ins Innere von zwei Flaschen, aus denen eine Essenz von der einen in die andere übertragen wird, durch Serpentinen, die ins Leere münden ... Fäulnisgärung? Nein: balneum Mariae, Sublimation des Quecksilbers, mysterium conjunctionis, Produktion des Elixiers!
Und diese Maschine zum Studium der Gärung (schon wieder) des Weins? Ein Spiel kristallener Bögen, das von Athanor zu Athanor geht, aus einem Destillierkolben austritt, um in den andern einzumünden? Und diese kleinen Augengläser, und die winzige Sanduhr, und das kleine Elektroskop, und die Linse, das Seziermesserchen, das wie ein Keilschriftzeichen aussieht, der Spatel mit Ausstoßhebel, die Glasklinge, das drei Zentimeter große Tiegelchen aus Schamottestein zur Erzeugung eines Homunkulus in Zwergengröße, infinitesimaler Uterus für klitzekleinste Klonierungen, oder das Mahagonikästchen voll weißer Päckchen wie Kapseln aus Dorfapotheken, eingehüllt in Pergamente mit unübersetzbaren Lettern, gefüllt mit (so heißt es) mineralogischen Proben, in Wahrheit mit Fetzen vom Grabtuch des Basilides, Reliquiare mit der Vorhaut des Hermes Trismegistos, und das lange dünne Ziselierhämmerchen zum Eröffnen eines sehr kurzen Gerichtstages, für Auktionen von Quintessenzen bei dem Kleinen Volk der Elfen von Avalon, und der unsägliche kleine Apparat zur Analyse der Ölverbrennung, diese Glaskügelchen, angeordnet wie Vierblattklee und miteinander verbunden durch goldene Röhren und diese mit anderen Röhren aus Glas und diese wieder mit einem Zylinder aus Kupfer, und dann – direkt darunter – ein anderer Zylinder aus Gold und Glas, und weiter unten noch andere Röhren, Hängebeutel, Testikel, Drüsen, Auswüchse, Kämme ... Ist das die neuzeitliche Chemie? Und dafür musste ihr Urheber guillotiniert werden, wo doch, wie er lehrte, nichts sich kreiert und nichts sich zerstört? Oder hat man ihn umgebracht, um ihn zum Schweigen zu bringen über das, was er erfindend enthüllte, wie Newton, der güldene Ritter, der so mächtig die Schwingen spreizte, aber fortfuhr, über die Kabbala und die qualitativen Essenzen zu meditieren?
Der Saal Lavoisier des Conservatoire ist ein Bekenntnis, eine chiffrierte Botschaft, eine Kurzfassung des Conservatoire insgesamt, ein Hohn auf den Stolz des starken Denkens der modernen Vernunft, ein Raunen von anderen Mysterien. Jacopo Belbo hatte recht, oui, il avait raison, und die Raison hatte unrecht.
Ich musste mich sputen, die Zeit drängte. Hier das Meter, das Kilo und die anderen Urmaße, falsche Garantien der Garantie. Ich hatte es von Agliè erfahren: das Geheimnis der Pyramiden enthüllt sich nur, wenn man es nicht in Metern, sondern in alten Ellen berechnet. Hier die Rechenmaschinen, trügerischer Triumph des Quantitativen, in Wahrheit Verheißung der verborgenen Qualitäten der Zahlen, Rückkehr zu den Ursprüngen des Notarikon der Rabbiner auf der Flucht durch die Länder Europas. Astronomie, Automaten, Uhren – wehe, wenn ich mich bei diesen neuen Offenbarungen aufhielt! Ich war dabei, ins Zentrum einer Geheimbotschaft einzudringen, die sich mir in Gestalt eines rationalistischen Theatrums darbot – rasch weiter, dies hier konnte ich später erkunden, zwischen der Schließung und Mitternacht, diese Objekte, die im schrägen Licht des Abends ihr wahres Gesicht annahmen: Figuren, nicht Instrumente.
Hinauf, durch die Säle der Werkzeugmaschinen, der Energiegewinnung, der Elektrizität, in diesen Vitrinen würde ich mich ohnehin nicht verstecken können. Mehr und mehr, während ich den Sinn dieser Sequenzen entdeckte oder erahnte, überfiel mich die Angst, nicht rechtzeitig ein Versteck zu finden, um der mitternächtlichen Offenbarung ihrer geheimen Ratio beizuwohnen. Schon bewegte ich mich wie ein Gehetzter – gehetzt von der Uhr, vom erbarmungslosen Vormarsch der Zahlen. Die Erde drehte sich unerbittlich, die Stunde kam, bald würden sie mich hinausjagen.
Dann aber gelangte ich, nachdem ich die Galerie der Elektroanlagen passiert hatte, zum Saal der Glasarbeiten. Welche Unlogik hatte gewollt, dass nach den avanciertesten und aufwendigsten Apparaturen der modernen Ingenieurskunst eine Zone kam, die für Techniken reserviert war, mit denen schon die alten Phönizier hantiert hatten, vor Jahrtausenden? Der Saal bot eine Kollektion von chinesischem Porzellan im Wechsel mit androgynen Vasen von Lalique, Poterien, Fayencen, Majoliken, Muranogläser – und im Hintergrund, in einer enormen Wandvitrine, in Naturgröße und in drei Dimensionen, die Figur eines Löwen, der eine Schlange tötete. Was sollte die hier? Der scheinbare Grund ihrer Anwesenheit war, dass die ganze Gruppe aus farbigem Glas bestand, doch der emblematische Grund musste ein anderer sein ... Ich versuchte mich zu erinnern, wo ich dieses Bild schon einmal gesehen hatte. Dann fiel es mir ein: der Demiurg, der verhasste Spross der Sophia, der erste Archont, Jaldabaoth, der Verantwortliche für die Welt und ihren Grundfehler, er hatte die Gestalt einer Schlange und eines Löwen, und seine Augen sprühten ein feuriges Licht. Vielleicht war das ganze Conservatoire ein Abbild jenes infamen Prozesses, durch den aus der Fülle des Urprinzips, woher das Pendel kommt, und aus dem Glanz des Pleroma, von Äon zu Äon die Achtheit zerbröckelt und man zum kosmischen Reich gelangt, wo das Böse herrscht. Aber dann wollten mir jene Schlange und jener Löwe sagen, dass meine Initiationsreise – leider à rebours – nun zu Ende ging und ich die Welt wiedersehen würde, nicht so, wie sie sein soll, sondern so, wie sie ist.
In der Tat bemerkte ich in der rechten Ecke des Saales, an einem Fenster, den mannshohen Guckkasten des Periskops. Ich trat ein. Vor mir befand sich eine schräge Glasscheibe ähnlich einem Armaturenbrett, auf der sich die Bilder eines Films bewegten, sehr verschwommen, eine Stadtszenerie. Ich sah mich um und bemerkte, dass die Bilder von einem anderen Schirm projiziert wurden, der schräg hinter mir über meinem Kopf angebracht war und auf dem sie umgekehrt erschienen. Und dieser zweite Schirm entpuppte sich als das Okular eines primitiven Periskops, das aus zwei hohen langen Kästen bestand, die in stumpfem Winkel ineinandergefügt waren, wobei der längere Kasten wie ein Rohr aus dem Guckkasten hinausragte, schräg hinter mir nach oben bis hinauf zu einem Dachfenster, durch welches er die Bilder von draußen auffing, sicher dank einer sinnreichen Disposition von Linsen in seinem Innern, die einen weiten Blickwinkel erlaubte. Rasch überschlug ich den Weg, den ich bis in diesen Saal herauf zurückgelegt hatte, und begriff, dass mir das Periskop nach draußen zu sehen erlaubte, als schaute ich aus den oberen Fenstern der Apsis von Saint-Martin hinaus – als schaute ich oben am Pendel hängend hinaus, letzte Schau eines Erhängten. Ich fasste das verschwommene Bild etwas schärfer ins Auge: jetzt erkannte ich die Rue Vaucanson, die quer hinter dem Chor verlief, und die Rue Conté, die das Langschiff ideell verlängerte. Die Rue Conté mündete links in die Rue Montgolfier und rechts in die Rue Turbigo, an der Ecke waren zwei Bars zu sehen, Le Weekend und La Rotonde, und gegenüber eine Fassade, auf der ich mühsam eine Schrift entzifferte, LES CREATIONS JACSAM.
Das Periskop. Nicht ganz klar, wieso man es hier im Saal der Glasarbeiten aufgebaut hatte anstatt in dem der optischen Instrumente, offenbar war es wichtig, dass der Blick nach draußen an diesem Ort und mit dieser Perspektive erfolgte, aber ich verstand nicht, warum. Was sollte diese Zelle, diese positivistische Konstruktion à la Jules Verne, hier neben der emblematischen Evokation des Löwen und der Schlange?
Jedenfalls, wenn ich die Kraft und den Mut aufbrachte, hier noch ein halbes Stündchen zu bleiben, würden die Wärter mich vielleicht nicht entdecken.
Lange blieb ich so untergetaucht, es kam mir fast endlos vor. Ich lauschte auf die Schritte der Nachzügler, auf die der letzten Wärter. Ich war versucht, mich unter die Scheibe zu kauern, um einem eventuellen kurzen Blick zu entgehen, aber dann ließ ich es lieber bleiben, denn wenn ich aufrecht stand und sie mich entdeckten, würde ich eher so tun können, als wäre ich ein zerstreuter Besucher, der ganz versunken das Wunder genoss.
Schließlich gingen die Lichter aus, und der Saal blieb im Halbdunkel. Mein Versteck wurde matt erhellt durch das Licht aus dem Bildschirm, den ich weiter betrachtete, da er nun meinen letzten Kontakt zur Welt darstellte.
Vorsicht gebot mir, noch eine Weile zu warten, stehend oder, wenn mir die Füße weh taten, hingekauert, mindestens noch zwei Stunden. Die Schließung des Museums fällt nicht mit dem Feierabend der Angestellten zusammen. Ein Schreck durchfuhr mich: und das Reinigungspersonal? Wenn sie jetzt kamen und anfingen, alles gründlich sauberzumachen, Stück für Stück? Dann überlegte ich: Das Museum öffnete morgens erst spät, sicher würden die Putzkolonnen lieber bei Tageslicht arbeiten als jetzt am Abend. So musste es sein, jedenfalls hier im Oberstock, denn ich hörte jetzt niemanden mehr. Nur ein fernes Summen, hin und wieder ein trockenes Geräusch, vielleicht eine Tür, die ins Schloss fiel. Ich musste ausharren. Es genügte, zwischen zehn und elf in die Kirche hinüberzugehen, vielleicht auch später, denn die Herren würden erst gegen Mitternacht kommen.
In diesem Moment trat eine Gruppe Jugendlicher aus der Bar La Rotonde. Ein Mädchen ging durch die Rue Conté und bog in die Rue Montgolfier. Die Gegend war nicht sehr belebt, wie würde ich es hier aushalten, Stunden um Stunden die fade Welt betrachtend, die ich hinter mir hatte? Doch wenn sich das Periskop gerade hier befand, sollte es mir dann nicht Botschaften bringen, die eine tiefere Bedeutung hatten? Mir kam das Bedürfnis zu urinieren – nicht daran denken, das sind bloß die Nerven.
Was einem alles so durch den Sinn geht, wenn man untergetaucht in einem Periskop steckt. So ähnlich muss es einem ergehen, der als blinder Passagier im Bauch eines Schiffes hockt, um nach Übersee zu emigrieren. Tatsächlich würde das Ziel meiner Reise die Freiheitsstatue sein, mit dem Diorama von New York. Sollte ich mir ein Nickerchen erlauben? Wäre vielleicht nicht schlecht. Nein, nachher wache ich zu spät auf ...
Das Schlimmste wäre jetzt eine Nervenkrise – die Panik, wenn du meinst, gleich musst du schreien. Periskop, U-Boot, festgefahren am Meeresgrund, vielleicht umkreisen dich draußen schon große schwarze Tiefseefische, und du kannst sie nicht sehen, du weißt nur, du wirst bald keine Luft mehr kriegen ...
Ich atmete mehrere Male tief durch. Konzentration. Das einzige, was dich in solchen Momenten nicht im Stich lässt, ist die pedantische »Wäscheliste«, der Merkzettel. Zurück zu den Fakten, noch mal der Reihe nach alles durchgehen, die Ursachen von den Wirkungen trennen. Ich bin hier an diesem Punkt angelangt, weil das und das geschehen ist, aus dem und dem Grund ...
Langsam kamen mir die Erinnerungen wieder: klar, präzise und wohlgeordnet. Die Erinnerungen an die letzten drei hektischen Tage und an die letzten drei Jahre, vermischt mit denen aus der Zeit vor vierzig Jahren, wie sie mir Stück für Stück lebendig geworden waren, als ich Jacopo Belbos Elektronengehirn knackte.
Ich erinnere (und erinnerte) mich, um dem Chaos unserer verfehlten Schöpfung einen Sinn zu geben. Jetzt und hier, wie vorgestern Abend im Periskop, ziehe ich mich zusammen, kontrahiere mich zu einem fernen Punkt des Geistes, um eine Geschichte herauszupressen. Wie das Pendel. Diotallevi hatte es mir gesagt, die erste Sefirah ist Kether, die Krone, der Anfang, die ursprüngliche Leere. Als erstes schuf Er einen Punkt, und es ward das Denken, worin Er alle Gestalten entwarf ... Er war und war nicht, eingeschlossen im Namen und dem Namen entronnen, Er hatte noch keinen anderen Namen als »Wer?«, reines Verlangen, bei einem Namen genannt zu werden ... Am Anfang schrieb Er Zeichen in die Aura, eine dunkle Lohe loderte aus dem geheimsten Grund wie ein farbloser Nebel, der dem Formlosen Form gab, und kaum hatte der Nebel sich auszubreiten begonnen, bildete sich in seinem Zentrum ein Quell aus Flammen, die sich ergossen, um die niederen Sefiroth zu erhellen, hinab bis ins Reich.
Doch vielleicht war in diesem Zimzum, in diesem Rückzug und dieser Einsamkeit – sagte Diotallevi – schon die Verheißung des Tiqqun enthalten, das Versprechen der Wiederkehr.
3
In hanc utilitatem clementes angeli saepe figuras, characteres, formas et voces invenerunt proposueruntque nobis mortalibus et ignotas et stupendas, nullius rei iuxta consuetum linguae usum significativas, sed per rationis nostrae summam admiratiofern in assiduam intelligibilium pervestigationem, deinde in illorum ipsorum venerationem et arnorem inductivas.
Johannes Reuchlin, De arte cabalistica, Hagenau, 1517, III
Es war zwei Tage vorher gewesen. An jenem Donnerstagmorgen blieb ich lange im Bett und konnte mich nicht zum Aufstehen entschließen. Ich war am Mittwochnachmittag angekommen und hatte gleich im Verlag angerufen. Diotallevi lag immer noch in der Klinik, und Gudrun war pessimistisch gewesen: immer gleich, das heißt immer schlimmer. Ich traute mich nicht, ihn zu besuchen.
Auch Belbo war nicht im Büro. Laut Gudrun hatte er angerufen und gesagt, er müsse für ein paar Tage aus familiären Gründen verreisen. Seit wann hatte Belbo eine Familie? Das Seltsame war, dass er den Schreibcomputer mitgenommen hatte – Abulafia, wie er ihn inzwischen nannte – samt dem Drucker. Gudrun meinte, er hätte ihn mit nach Hause genommen, um eine Arbeit fertigzustellen. Wieso der Aufwand? Konnte er nicht im Büro schreiben?
Ich fühlte mich verwaist. Lia und das Kind würden erst in der nächsten Woche zurückkommen. Am Abend vorher hatte ich kurz bei Pilade reingeschaut, aber niemanden dort gefunden.
Das Telefon schreckte mich hoch. Es war Belbo, seine Stimme klang fern, verzerrt.
»Was ist los? Von wo rufen Sie an? Ich dachte schon, Sie wären am Nordpol verschollen, mit Amundsen ... «
»Machen Sie keine Witze, Casaubon, die Sache ist ernst. Ich bin in Paris.«
»In Paris? Aber da sollte ich doch hin! Ich bin es, der endlich das Conservatoire besuchen muss!«
»Machen Sie keine Witze, ich sag's noch mal. Ich bin in einer Zelle ... nein, in einer Bar, na jedenfalls, ich weiß nicht, ob ich lange reden kann ... «
»Wenn Sie nicht genug Jetons haben, rufen Sie mich doch mit R-Gespräch an. Ich bleibe dran und warte.«
»Es geht nicht um Jetons. Ich bin in Gefahr.«
Er redete plötzlich sehr schnell, damit ich ihn nicht unterbrechen konnte. »Der Plan. Der Plan ist wahr. Bitte jetzt keine Gemeinplätze. Die suchen mich.«
»Aber ... wer denn?« Ich war noch nicht ganz wach.
»Die Templer! Herrgott, Casaubon, ich weiß, Sie werden's nicht glauben, aber es ist alles wahr gewesen. Die denken, ich hätte die Karte, sie haben mich in die Zange genommen, haben mich gezwungen, nach Paris zu kommen. Am Samstag um Mitternacht wollen sie mich im Conservatoire haben – am Samstag, verstehen Sie – in der Johannisnacht ... «
Er redete abgehackt, ich kam nicht mit.
»Ich will nicht hin, ich haue ab, Casaubon. Die wollen mich umbringen. Rufen Sie De Angelis an – nein, De Angelis nützt nichts, keine Polizei, bloß keine Polizei…«
»Und was dann?«
»Keine Ahnung. Lesen Sie die Disketten, an Abulafia, in den letzten Tagen habe ich alles da reingeschrieben, auch was diesen Monat passiert ist. Sie waren nicht da, ich wusste nicht, wem ich's erzählen sollte, ich hab drei Tage und drei Nächte durchgeschrieben ... Passen Sie auf, gehen Sie in mein Büro, in der Schreibtischschublade ist ein Umschlag mit zwei Schlüsseln. Der große nicht, der ist für das Haus auf dem Land, aber der kleine ist der zu meiner Wohnung in Mailand, gehen Sie hin und lesen Sie alles, und dann entscheiden Sie selbst, oder wir sprechen uns wieder – mein Gott, ich weiß nicht mehr, was ich tun soll ... «
»Okay, ich lese. Aber dann, wo finde ich Sie?«
»Ich weiß nicht, hier wechsle ich jede Nacht das Hotel. Am besten, Sie machen alles heute, und dann warten Sie in meiner Wohnung, ich versuche Sie morgen Früh wieder anzurufen, wenn ich kann. Ach ja, das Passwort.«
Ich hörte Geräusche, Belbos Stimme klang abwechselnd näher und ferner, als ob jemand versuchte, ihm den Hörer wegzureißen.
»He, Belbo! Was ist los?«
»Die haben mich gefunden! Das Passwort ... «
Ein trockener Knall, wie ein Schuss. Musste der Hörer gewesen sein, der runtergefallen und an die Wand geschlagen war, oder auf die Ablage unter dem Telefon. Ich hörte ein Keuchen. Dann das Klicken des Hörers, der eingehängt wurde. Sicher nicht von Belbo.
Ich ging sofort unter die Dusche. Ich musste wach werden. Ich begriff nicht, was los war. Der Plan sollte wahr sein? Absurd, wir hatten ihn doch erfunden! Wer hatte Belbo entführt? Die Rosenkreuzer? Der Graf von Saint-Germain, die Ochrana, die Tempelritter, die Assassinen? An diesem Punkt war alles möglich, denn alles war unwahrscheinlich geworden. Es konnte sein, dass Belbo übergeschnappt war, in der letzten Zeit war er so nervös gewesen, ich wusste nicht, ob wegen Lorenza Pellegrini oder weil ihn seine Kreatur immer mehr faszinierte – oder besser gesagt, der Plan war unsere gemeinsame Kreatur gewesen, meine, seine und Diotallevis, aber Belbo schien mittlerweile völlig von ihm besessen, weit über die Grenzen des Spiels hinaus ... Müßig, weitere Hypothesen aufzustellen. Ich ging in den Verlag, Gudrun empfing mich mit säuerlichen Bemerkungen über die Tatsache, dass sie jetzt die einzige sei, die den Laden auf Trab hielt. Ich stürmte sofort ins Büro, fand den Umschlag, die Schlüssel, eilte in Belbos Wohnung.
Geruch nach abgestandener Luft, nach ranzigen Kippen, die Aschenbecher randvoll, wohin man blickte, die Spüle in der Küche vollgepackt mit dreckigem Geschirr, der Mülleimer überquellend von leeren Konservendosen. Auf einem Regal im Arbeitszimmer drei leere Whiskyflaschen, die vierte enthielt noch zwei Fingerbreit Alkohol. Es war die Wohnung von einem, der sich die letzten Tage hermetisch darin eingeschlossen hatte, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen, nur essend, was gerade da war, um pausenlos durchzuarbeiten wie ein Verrückter, ein Süchtiger.
Es waren zwei Zimmer im ganzen, beide gesteckt voller Bücher, Stapel in jeder Ecke, und die Regale bogen sich unter der Last. Ich sah sofort den Tisch mit dem Computer, dem Drucker und dem Diskettenbehälter. Wenige Bilder an den wenigen nicht von Regalen bedeckten Flächen, und direkt über dem Tisch an der Wand ein alter Stich aus dem siebzehnten Jahrhundert, eine sorgfältig gerahmte Reproduktion, eine barocke Allegorie, die ich im vorigen Monat nicht bemerkt hatte, als ich kurz auf ein Bier heraufgekommen war, bevor ich in die Ferien fuhr.
Auf dem Tisch stand ein Foto von Lorenza Pellegrini, mit einer Widmung in winziger, etwas kindlicher Schrift. Man sah nur das Gesicht, aber der Blick, der Blick allein verwirrte mich schon. In einer unwillkürlichen Regung von Taktgefühl (oder von Eifersucht?) drehte ich das Foto um, ohne die Widmung zu lesen.
Es gab ein paar Ordner und Mappen. Ich suchte nach etwas Interessantem, aber es waren bloß Tabellen, Verlagsprogramme, Kalkulationen. Doch mitten zwischen diesen Papieren fand ich den Ausdruck einer Computerdatei, nach dem Datum zu schließen offenbar eines der ersten Experimente mit dem Word Prozessor, der filename war in der Tat »Abu«. Ich erinnerte mich an die Zeit, als Abulafia seinen Einzug in den Verlag gehalten hatte, an Belbos fast kindlichen Enthusiasmus, an Gudruns Gebrumm und Diotallevis ironische Reden.
Dass er ihn »Abu« nannte, war sicher Belbos private Reaktion auf seine Verleumder gewesen, eine Art Studentenspaß, typisch für den Neuling, aber es sagte viel über den kombinatorischen Eifer, mit dem er sich auf die Maschine gestürzt hatte. Er, der immer mit seinem blassen Lächeln behauptete, seit er entdeckt habe, dass er kein Protagonist sein könne, habe er beschlossen, ein intelligenter Zuschauer zu sein – wozu schreiben, wenn man keine ernsthafte Motivation dazu habe, lieber die Bücher der anderen umschreiben, das sei die Arbeit des guten Verlagslektors –, er hatte in der Maschine eine Art Droge gefunden, hatte die Finger über die Tastatur gleiten lassen, als variiere er auf dem alten Hausklavier über den Flohwalzer, ohne Furcht, von anderen beurteilt zu werden. Nicht dass er glaubte, damit »kreativ« zu sein – er, der solche Angst vor dem Schreiben hatte, er wusste sehr wohl, dass dies keine Kreation war, sondern Erprobung der elektronischen Effizienz, gymnastische Übung. Aber während er seine vertrauten Gespenster darüber vergaß, fand er vermutlich in diesem Spiel die Formel zum Ausleben der charakteristischen zweiten Jugend eines Fünfzigjährigen. Jedenfalls, sein angeborener Pessimismus und seine schwierige Abrechnung mit der Vergangenheit hatten sich irgendwie abgeschwächt und verflüchtigt im Dialog mit einem mineralischen, objektiven, gehorsamen, unverantwortlichen, transistorisierten Gedächtnis, dessen Unmenschlichkeit so menschlich war, dass sie ihm erlaubte, sein gewohntes mal de vivre nicht zu empfinden.
Filename: Abu
Oh, welch klarer spätherbstlicher Morgen Ende November, im Anfang war das Wort, singe mir Muse den Zorn des Peliden, habe nun ach, die Frauen die Ritter die Waffen die Lieben, in alten Maeren wunders viel geseit. Punkt und Absatz geht von allein. Probieren geht über Studieren, parakalò parakalò, mit dem richtigen Programm machst du auch Anagramme, und angenommen, du hast einen ganzen Roman geschrieben über einen Südstaatler namens Rhett Butler und ein launisches Mädchen mit Namen Scarlett, und dann tut's dir leid, dann brauchst du bloß einen Befehl zu geben, und Abu verwandelt dir alle Rhett Butlers in Fürsten Andrej und alle Scarletts in Nataschas, Atlanta wird Moskau, und du hast Krieg und Frieden geschrieben.
Jetzt wollen wir mal sehen, was Abu für Sachen machen kann. Ich schreibe diesen Satz, gebe Abu den Befehl, alle »a« mit »akschuf« und alle »e« mit »üftal« zu ersetzen, und herauskommt etwas quasi fast Türkisches.
Jüftaltzt wollüftaln wir makschufl süftalhüftaln, wakschufs Akschufbu für Sakschufchüftaln makschufchüftaln kakschufnn: ich schrüftalibüftal diüftalsüftaln Sakschuftz, güftalbüftal Akschufbu sodakschufnn düftaln Büftalfüftalhl, akschufllüftal »akschuf« mit »akschufkschuf« und akschufllüftal »üftal« mit »üftakschufl« zu üftalrsüftaltzüftaln, und hüftalrakschufuskommt üftaltwakschufs quakschufsi fakschufst Türkischüftals.
O Freude, schöner Götterfunken, o Schwindel der Difference, o mein idealer Leser/Schreiber, affected by an ideal insomnia, o Finnegans Wache, o anmutiges und holdes Tier. Der Computer hilft einem nicht denken, aber er hilft einem für ihn denken. Total spirituelle Maschine. Wenn man mit dem Gänsekiel schreibt, zerkratzt man das feuchte Papier und muss dauernd die Feder ins Tintenfass tunken, die Gedanken überlagern sich, und die Hand kommt nicht nach, wenn man mit der Klappermaschine schreibt, verhaken sich die Typen, man kann nicht im Tempo der eignen Synapsen schreiben, nur im plumpen Rhythmus der Mechanik. Hier dagegen, mit ihm (ihr?) phantasieren die Finger, der Geist streift die Tastatur, die Gedanken fliegen auf goldenen Schwingen, endlich meditiert die strenge Kritische Vernunft über das Glück des ersten Anhiebs.
Un sie hmal wasich jetz mache, ich nehem diesn bolck vn ortogrfhischen Tetralogien und b fehle dr maschien, ihn zu codiffernzieren und in irrem geDachtnis z spei echern, und dannsoll sies wider Rausholen aus Irhem innnern und auf dem Minitor rproduzieren, las Strofe für irhe Sünnden.
Eben habe ich einfach blind drauflosgetippt, und jetzt habe ich diesen Block von orthographischen Teratologien genommen und der Maschine befohlen, ihre Fehler als Strafe für ihre Sünden zu wiederholen, aber diesmal habe ich sie korrigiert, und so ist es schließlich lesbar geworden, perfekt, aus Spreu habe ich reinen Weizen gewonnen.
Ich hätte auch bereuen und den ersten Block löschen können: ich lasse ihn hier nur stehen, um zu demonstrieren, wie auf diesem Monitor Sein und Seinsollen, Zufall und Notwendigkeit koexistieren können. Oder ich könnte den falschen Block auch nur dem sichtbaren Text entziehen und nicht dem Gedächtnis, um mir so das Archiv meiner Verdrängungen zu bewahren, aber den gefräßigen Freudianern und den Virtuosen der Varianten den Geschmack an der Konjektur zu entziehen, das Metier und den akademischen Ruhm.
Dies hier ist besser als das wahre Gedächtnis, denn das wahre Gedächtnis kann bestenfalls lernen, sich zu erinnern, nicht aber zu vergessen. Diotallevi, darin gut sephardisch, ist immer ganz versessen auf jene Paläste mit großer Freitreppe, obendrauf die Statue eines Kriegers, der eine grässliche Untat an einer wehrlosen Frau begeht, und dahinter Korridore mit Hunderten von Zimmern, jedes mit der Darstellung eines Wunders, Erscheinungen, beunruhigende Begebenheiten, beseelte Mumien, und bei jedem dieser höchst memorablen Bilder assoziiert man einen Gedanken, eine Kategorie, ein Element des kosmischen Ameublements, ja geradezu einen Syllogismus, einen enormen Sorites, Ketten von Apophthegmata, Bänder von Hypallagen, Rosen von Zeugmata, Reigen von Hystera-Protera, Logoi apophantikoi, Hierarchien von Stoicheia, Prozessionen von Äquinoktien, Parallaxen, Herbarien, Genealogien von Gymnosophisten etcetera etceterorum – o Raimundus, o Camillo, ihr brauchtet bloß eure Visionen im Geiste durchzugehen, und schon rekonstruiertet ihr die Große Kette des Seins in love and joy, denn alles, was im Universum sich spaltet, das hatte sich in eurem Geist schon zu einem Buche vereint, und Proust hätte euch nur ein Lächeln entlockt. Doch als wir einmal mit Diotallevi versuchten, eine ars oblivionalis zu entwerfen, gelang es uns nicht, die Regeln für das Vergessen zu finden. Es hat keinen Zweck, man kann sich zwar auf die Suche nach der verlorenen Zeit begeben, indem man verwehten Spuren folgt wie der kleine Däumling im Walde, aber es gelingt nicht, die wiedergefundene Zeit absichtlich zu verlieren. Däumling kommt immer wieder zurück, wie angenagelt. Es gibt keine Technik des Vergessens, wir sind immer noch bei den zufallsbestimmten Naturprozessen – Gehirnverletzungen, Amnesien, manuelle Improvisationen, was weiß ich, eine Reise, der Alkohol, die Schlafkur, der Selbstmord.
Doch Abu erlaubt nun auch kleine lokale Selbstmorde, provisorische Amnesien, schmerzlose Sprachverluste.
Wo warst du gestern, L
Nein, indiskreter Leser, du wirst es nie erfahren, aber die abgebrochene Zeile hier oben, die da so einfach im Leeren hängt, die war effektiv der Anfang eines langen Satzes, den ich geschrieben hatte, aber dann wollte ich ihn nicht geschrieben haben (und nicht mal gedacht haben), weil ich wollte, es wäre nie geschehen, was ich da geschrieben hatte. Es genügte ein Befehl, eine milchiges Licht ergoss sich über den fatalen und deplazierten Absatz, ich drückte die Löschtaste, und pffft war alles verschwunden.
Aber damit nicht genug. Die Tragödie des Selbstmörders ist, dass er, kaum hat er den Sprung aus dem Fenster getan, zwischen der siebten und sechsten Etage denkt: »O könnte ich doch zurück!« Nichts da. Nie passiert. Pflatsch. Abu dagegen ist nachsichtig, er erlaubt dir, dich zu besinnen, ich könnte meinen gelöschten Text wiederhaben, wenn ich mich rechtzeitig entschlösse, die Rückholtaste zu drücken. Welche Erleichterung! Im bloßen Wissen, dass ich, wenn ich wollte, mich erinnern könnte, vergesse ich sofort.
Ich werde nie mehr durch Bars ziehen, um fremde Raumschiffe mit Leuchtspurgeschossen zu zertrümmern, bis das Monster mich zertrümmert. Hier ist es schöner, hier kann man Gedanken zertrümmern. Der Bildschirm ist eine Galaxie aus Tausenden und Abertausenden von Asteroiden, säuberlich aufgereiht, weiß oder grün, und du bist es, der sie erschafft. Fiat Lux, Big Bang, sieben Tage, sieben Minuten, sieben Sekunden, und vor deinen Augen entsteht ein Universum in permanenter Verflüssigung, das keine präzisen kosmologischen Linien kennt und nicht mal zeitliche Fesseln. Kein Numerus Clausius hier, hier geht man auch in der Zeit zurück, die Lettern erscheinen gleichmütig, tauchen hervor aus dem Nichts und kehren brav wieder dorthin zurück, ganz wie du befiehlst, und wenn du sie löschst, lösen sie sich auf und verfügen sich wieder als Ektoplasma an ihren natürlichen Ort, das Ganze ist eine unterseeische Symphonie aus weichen Verbindungen und Frakturen, ein gelatinöser Reigen von autophagen Kometen, wie der Fressfisch in Yellow Submarine, du hältst eine Taste gedrückt, und die irreparablen Lettern flitzen rückwärts zu einem gefräßigen Wort und verschwinden in seinem Rachen, es saugt sie auf, und schlwrrldiwupp hat es sie verschlungen, und wenn du nicht aufhörst, verschlingt es sich selber, um sich an seinem eigenen Nichts zu mästen, ein Schwarzes Loch von Cheshire.
Und wenn du etwas geschrieben hast, was die Scham nicht erlaubt, dann speicherst du's einfach auf der Diskette und gibst der Diskette ein Passwort, und niemand kann dich mehr lesen. Wunderbar für Geheimagenten, du schreibst die Nachricht, sicherst sie und verschließt sie, steckst dir die Diskette in die Tasche und gehst spazieren, und nicht einmal Torquemada wird je erfahren, was du geschrieben hast, nur du weißt es und der andere (der Andere?). Selbst angenommen, du wirst gefoltert: du tust einfach so, als wolltest du gestehen und das Passwort eingeben, stattdessen drückst du auf eine verborgene Taste, und die Nachricht ist nicht mehr da.
O je, ich hatte etwas geschrieben, mein Daumen hat eine falsche Bewegung gemacht, und jetzt ist alles verschwunden. Was es war? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, ich habe kein Geheimnis enthüllt. Vielleicht beim nächsten Mal.
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Wer in den Rosengarten der Philosophen einzudringen versucht, ohne den Schlüssel zu haben, ist wie ein Mann, der ohne die Füße gehen will.
Michael Maier, Atalanta Fugiens, Oppenheim,
De Bry, 1618, Emblem XXVII
Sonst gab es nichts Ausgedrucktes. Ich musste die Disketten am Bildschirm lesen. Sie waren durchnummeriert, und so beschloss ich, es mit der ersten zu probieren. Aber Belbo hatte von einem Passwort gesprochen. Er hatte Abulafias Geheimnisse immer sehr eifersüchtig gehütet.
Tatsächlich erschien auf dem Bildschirm, kaum hatte ich den Computer eingeschaltet, eine Schrift, die mich fragte: »Hast du das Passwort?« Keine Befehlsformel, Belbo war ein höflicher Mensch.