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Wozu braucht man Feinde? Umberto Eco beschäftigt sich in seinen kurzen, pointierten Texten mit den aktuellen Fragen unserer Gegenwart – aber auch mit dem Mythos der einsamen Insel und der imaginären Astronomie, mit Themen aus Kunst, Religion, Mythos, Geographie und Geschichte. Und so gelingt es ihm, aus dem weit Auseinanderliegenden etwas ganz anderes zu machen: Stellungnahmen eines leidenschaftlichen Essayisten, dem es gelingt, den Leser genau von dem zu überzeugen, was ihm selbst am allermeisten am Herzen liegt.
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Seitenzahl: 333
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Hanser E-Book
UMBERTO ECO
Die Fabrikation
des Feindes
und andere
Gelegenheitsschriften
Aus dem Italienischen
von Burkhart Kroeber
Carl Hanser Verlag
Die Texte dieses Bandes sind eine Auswahl aus dem 2011 bei Bompiani erschienenen Band Costruire il nemico e altri scritti occasionali.
ISBN 978-3-446-24587-7
© 2011 RCS Libri S.p.A. – Bompiani Milano
Alle Rechte der deutschen Ausgabe:
© Carl Hanser Verlag München 2014
Umschlaggestaltung Peter-Andreas Hassiepen, München.
Satz: Satz für Satz. Barbara Reischmann, Leutkirch
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Kreutzfeldt digital, Hamburg
Einleitung
Die Fabrikation des Feindes
Absolut und relativ
La fiamma è bella
Auf Schatzsuche gehen
Fermentierte Wonnen
Die Embryonen außerhalb des Paradieses
Hugo, hélas! Die Poetik des Exzesses
Imaginäre Astronomien
Ich bin Edmond Dantès!
Warum man die Insel nie findet
Anmerkungen
Personenregister
Der wahre Titel dieser Schriftensammlung hätte ihr Untertitel sein sollen, also »Gelegenheitsschriften«. Nur die berechtigte Sorge des Verlegers, ein so pompös bescheidener Titel würde die Aufmerksamkeit der Leser nicht genügend anlocken, während der Titel des ersten Essays eine gewisse Neugier zu wecken vermag, hat mich schließlich zur Wahl dieses Titels bewogen.
Was ist eine Gelegenheitsschrift und welche Vorzüge hat sie? Zunächst: dass der Autor wohl nie gedacht hätte, sich einmal mit diesem Thema befassen zu müssen, aber durch die Einladung zu einer Vortragsreihe oder einem Sammelband dazu gedrängt worden ist. Das Thema hat den Autor gereizt oder zum Nachdenken über etwas gebracht, was er sonst vernachlässigt hätte – und oft ist ein Thema, das einem von außen aufgedrängt wird, ergiebiger als ein irgendwelchen inneren Launen entsprungenes.
Ein weiterer Vorzug der Gelegenheitsschrift ist, dass sie nicht zur Originalität um jeden Preis verpflichtet, sondern eher unterhaltsam sein will, für den Autor wie für den Leser. So kann sie ein klassisches Divertimento sein, eine »Gemütsergötzung« im barocken Sinne, ja sogar eine Übung in barocker Rhetorik – wie wenn die schöne Roxane den tumben Christian (und durch ihn Cyrano de Bergerac) herausfordert: »Parlez-moi d’amour.«
Am Ende der einzelnen Schriften gebe ich jeweils die Anlässe, Orte und Daten an, aber gerade um ihren Gelegenheitscharakter zu unterstreichen, fasse ich sie hier in aller Kürze zusammen: Die Essays »Absolut und relativ« und »La fiamma è bella« waren ursprünglich Abendvorträge im Rahmen der Mailänder Festwochen »La Milanesiana«, die jedes Jahr unter einem zentralen Thema stattfinden, und wenn es eine interessante Gelegenheit war, über das Absolute in einer Zeit zu sprechen, in der sich gerade der Streit über den Relativismus verschärfte, stellte das Thema des Feuers eine schöne Herausforderung dar, denn ich hätte mir nie träumen lassen, mich einmal so hingebungsvoll (entflammt) damit beschäftigen zu müssen.
»Auf Schatzsuche gehen« vereint mehrere Beiträge zum selben Thema, »Fermentierte Wonnen« war ein Vortrag auf einem Kongress über Piero Camporesi. »Die Embryonen außerhalb des Paradieses« war ebenfalls ein Vortrag, den ich 2008 in Bologna auf einer Tagung über Ethik der Forschung gehalten habe.
Die Überlegungen zur Poetik des Exzesses bei Victor Hugo fassen drei mündliche oder schriftliche Beiträge zusammen, während das Divertimento über imaginäre Astronomien schamloserweise in zwei Versionen auf zwei verschiedenen Kongressen vorgetragen worden war, einmal vor Astronomen und einmal vor Geographen. Reine Divertimenti sind auch die im Almanacco del bibliofilo erschienenen Beiträge »Ich bin Edmond Dantès!« von 2008 und »Warum man die Insel niemals findet«, letzterer nach einem Vortrag, den ich 2010 auf einem Kongress über Inseln gehalten habe.
Um schließlich zum Titelessay dieser Sammlung zu kommen, auch »Die Fabrikation des Feindes« war ursprünglich ein Vortrag, den ich 2008 auf einem Kongress über die Literatur der Klassiker an der Universität Bologna gehalten hatte. Inzwischen wirken diese gut dreißig Seiten ein bisschen dürftig, nachdem Gian Antonio Stella das Thema glänzend auf mehr als dreihundert Seiten seines Buches Negri, froci, giudei & co. L’eterna guerra contro l’altro (»Neger, Schwule, Juden & Co. Der ewige Krieg gegen den Anderen«)1 entfaltet hat, aber sei’s drum, ich wollte sie nicht dem Vergessen anheimfallen lassen, schließlich werden auch weiterhin pausenlos Feinde fabriziert.
Vor Jahren bin ich in New York an einen Taxifahrer geraten, bei dem es mir schwerfiel, seinen Namen auf dem Schild am Armaturenbrett zu entziffern, und da erklärte er mir, er sei Pakistaner. Er fragte mich, woher ich käme, und als ich sagte, ich sei Italiener, wollte er wissen, wie viele wir sind, und war erstaunt über unsere geringe Zahl und dass unsere Sprache nicht Englisch ist.
Schließlich fragte er mich, wer unsere Feinde seien. Auf mein »Wie bitte?« erklärte er mir geduldig, er wolle wissen, mit welchen Völkern wir seit Jahrhunderten im Krieg lägen, wegen territorialer Ansprüche, ethnischer Aversionen, ständiger Grenzkonflikte und so weiter. Ich antwortete ihm, dass wir mit niemandem im Krieg lägen. Geduldig setzte er mir auseinander, er wolle wissen, wer unsere historischen Feinde seien, unsere Erbfeinde, also diejenigen, die uns umbrächten und wir sie. Ich wiederholte, dass wir keine Erbfeinde hätten, dass wir den letzten Krieg vor über fünfzig Jahren geführt haben und dass wir dabei am Anfang einen anderen Feind hatten als am Ende.
Er war nicht zufrieden. Wie kann es sein, dass ein Volk keine Feinde hat? Als ich ausstieg, gab ich ihm zwei Dollar Trinkgeld, um ihn für unseren trägen Pazifismus zu entschädigen, danach fiel mir ein, was ich ihm hätte sagen sollen, nämlich dass es nicht stimmt, dass die Italiener keine Feinde haben. Sie haben keine äußeren Feinde, jedenfalls können sie sich nie darüber einigen, welche das sein könnten, weil sie pausenlos gegeneinander Krieg führen: Pisa gegen Lucca, Guelfen gegen Ghibellinen, Norditaliener gegen Süditaliener, Faschisten gegen Partisanen, die Mafia gegen den Staat, die Regierung gegen die Richterschaft – und leider gab es damals noch nicht den Sturz der beiden Regierungen Prodi, sonst hätte ich dem Mann besser erklären können, was es heißt, einen Krieg durch friendly fire zu verlieren.
Bei genauerem Nachdenken über dieses Erlebnis bin ich jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass eines der Missgeschicke unseres Landes in den letzten sechzig Jahren gerade darin bestand, dass wir keine richtigen Feinde hatten. Die Einheit Italiens war dank der Präsenz der Österreicher zustande gekommen, Mussolini hatte sich den Konsens des Volkes sichern können, indem er es aufrief, Rache für den verstümmelten Sieg zu nehmen, für die in Dogali und bei Adua erlittenen Demütigungen, für die ungerechten Sanktionen, die uns die jüdischen »Demoplutokratien« auferlegt hatten. Bedenken wir nur, was mit den Vereinigten Staaten geschehen ist, als das Reich des Bösen verschwunden war und der große sowjetische Feind sich aufgelöst hatte. Sie riskierten den Verlust ihrer Identität, bis ihnen Bin Laden, zum Dank für die Wohltaten, die er für seine Hilfe gegen die Sowjetunion empfangen hatte, mitleidig die Hand reichte und Bush die Gelegenheit bot, sich neue Feinde zu schaffen, um das nationale Identitätsgefühl zu stärken und seine Macht zu festigen.
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