Das geheime Buch der Frida Kahlo - Francisco Haghenbeck - E-Book

Das geheime Buch der Frida Kahlo E-Book

Francisco Haghenbeck

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Beschreibung

Nach dem schicksalhaften Verkehrsunfall, der Fridas Leben für immer verändern sollte, bekommt sie ein kleines schwarzes Notizbuch geschenkt, das sie fortan begleitet. In ihm schreibt sie ihre Erlebnisse auf, ihre Rückschläge, Leidenschaften und Bekenntnisse. Doch in diesem Notizbuch steckt noch mehr: Ein Geheimnis, das Frida nicht für immer bewahren kann ...
Die unbändige Lebenslust einer einzigartigen Frau, ihre eindrucksvolle künstlerische Kreativität, das Gefühlschaos einer leidenschaftlichen Ehe und die Farbenpracht Mexikos – Das geheime Buch der Frida Kahlo ist ein packender Roman über das spannungsvolle Leben der berühmten Künstlerin und über ein Buch, das ein ungeahntes Geheimnis birgt.

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Seitenzahl: 382

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Francisco Haghenbeck

Das geheime Buch der

Frida Kahlo

Roman

Aus dem Spanischen von Maria Hoffmann-Dartevelle

Insel Verlag

Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel

Hierba Santa bei Editorial Planeta Mexicana.

© Francisco Haghenbeck 2009

Umschlagfotos: Nickolas Muray, Frida Kahlo mit magentarotem Schal (Detail), 1939, © Nickolas Muray Photo Archives; Sascha Wuillemet, Früchtestilleben (Detail)

ebook Insel Verlag Berlin 2010 © Insel Verlag Berlin 2010

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: HildenDesign, München, www.hildendesign.de

eISBN 978-3-458-75020-8

www.suhrkamp.de

Inhalt

Fridas verschollenes Buch

Kapitel I

Der Bote

Obstimbiss – Pico de gallo

Ofengebackener Panela-Käse – Queso panela horneado

Sangrita

Kapitel II

Die Rezepte meiner Kinderfrau

Kürbis-Tamales – Tamales de calabaza

Ananas-Atole – Atole de piña

Krapfen mit Piloncillo-Honig – Buñuelos y miel de piloncillo

Kapitel III

Mutter Matilde

Reistrunk – Agua de horchata

Dicke Maistortillas – Gorditas de maíz

Mürbeteig-Orangen-Plätzchen (meine liebsten) – Polvorones de naranja

Kapitel IV

Die kleinen Imbisse der Cachuchas

Roter Pozole – Pozole rojo

Tostadas mit Hühnchen – Tostadas de pollo

Rote Soße – Salsa roja

Kapitel V

Das Totenfest

Totenbrot – Pan de muerto

Kapitel VI

Die Rezepte meiner Schwester Matilde

Hühnersuppe nach Tlalpan-Art – Caldo tlalpeño

Mexikanische Hühnerbrühe – Caldo mexicano de pollo

Kapitel VII

Tinas Rezepte

Pasta-Soße mit Miesmuscheln, Apfelsine und Tomate

Sardellen-Oliven-Soße

Tiramisu

Kapitel VIII

Meine Hochzeit

Schokoladen-Chili-Soße – Mole Poblano

Tamales mit Bohnen – Tamales de frijol

Mexikanischer Reis – Arroz a la mexicana

Kapitel IX

Lupes Chilis in Walnusssoße – Chiles en nogada

Kapitel X

Meine Fahrt nach Cuernavaca

Mango-Eis vom Tepozteco – Nieve de mango

Kapitel XI

Das Essen in Gringoland

Mommy Eves Apple Pie

Kapitel XII

Doctorcito Leos Rippchen

Rippchen – Costillitas

Kapitel XIII

Die Körbe für den Dicken

Mole aus Guadalajara – Mole tapatío

Kapitel XIV

Die Großstadt und ich

Spanferkel nach mexikanischer Art – Cochinita pibil

Spanferkel-Soße – La salsa de la Cochinita

Kapitel XV

Das Haus in San Ángel

Grüner Mole – Mole verde

Kapitel XVI

Leckeres für Georgia

Rindfleischeintopf – Mole de olla

Kapitel XVII

Das Essen für Trotzki und Breton

Red Snapper mit Koriander – Huachinango al cilantro

Kapitel XVIII

Rezept für Nick

Schweinelende in Tequila – Lomo al tequila

Kapitel XIX

Ein mexikanisches Frühstück

Tortillas mit Spiegeleiern – Huevos rancheros

Kapitel XX

Meine zweite Ehe

Fleischragout mit Chilis und Früchten – Manchamanteles

Kapitel XXI

Die Quesadillas aus Coyoacán

Käsetortillas – Quesadillas

Betrunkene Soße – Salsa borracha

Kapitel XXII

Tortillasuppe – La sopa de tortilla

Kapitel XXIII

Tamal in der Schüssel mit Santakraut – Tamal de cazuela en hierba santa

Kapitel XXIV

Glossar

Nahrungsmittel und Getränke, Gewürze, Gerichte

Chilisorten

In Zuneigung für Luis und Susy,denen es gelungen ist, dem LebenLeidenschaft zu entlocken

Fridas verschollenes Buch

Zu Frida Kahlos persönlichen Gegenständen gehörte auch ein kleines, schwarzes Buch, das sie »Das Wunderkrautbuch« nannte. Es enthielt eine Sammlung von Kochrezepten zur Zubereitung der Opferspeisen für den Totenaltar, welchen sie jedes Jahr am Totentag, dem »Día de los Muertos«, errichtete. Denn gemäß der mexikanischen Tradition erhalten die Toten am 2. November die göttliche Erlaubnis, die Erde zu besuchen. Dort sollen sie mit einem Altar empfangen werden, auf dem sich allerlei Gaben und schmückende Dinge befinden: Cempasúchil-Blumen, süße Brote, Fotografien voller wehmütiger Erinnerungen, Heiligenbildchen, mystischen Duft verströmende Räucherstäbchen, originell verzierte Totenköpfe aus Zuckerguss, Kerzen, die den Weg zurück ins Jenseits leuchten, und die Leibspeisen des Verstorbenen. Als das Büchlein zwischen den Gegenständen auftauchte, die das Museum in der Calle de Londres im schönen Viertel Coyoacán beherbergt, erkannte man seinen besonderen Wert und beschloss, es aus Anlass von Fridas Geburtstag im Rahmen der großen, ihr zu Ehren im Palacio de Bellas Artes veranstalteten Ausstellung erstmals zu präsentieren. Seine Existenz bestätigte, mit wie viel Leidenschaft und Hingabe sie ihre berühmten Totenaltäre errichtet hat.

Am Tag der Ausstellungseröffnung verschwand das Buch.

Kapitel I

Diese Julinacht war nicht wie so viele andere. Der Regen hatte sich in einer Ecke zusammengekauert und dem schwarzen Schleier eines ungetrübten Sternenhimmels ohne schmutzige Wolken, die sich tränenreich über den Einwohnern der Stadt entladen hätten, den Vortritt gelassen. Nur ein leiser Wind pfiff wie ein spielendes Kind zwischen den Bäumen im Garten eines prächtigen blauen Hauses, das in der warmen Sommernacht schlummerte.

In ebendieser ruhigen Nacht hallte in allen Winkeln des Dorfes Coyoacán ein gleichmäßiges Klopfen wider. Es kam von den klappernden Hufen eines Pferdes, das über das Pflaster trabte. An jeder Straßenecke warfen die Häuser mit ihren hohen Ziegeldächern das Echo seiner Hufschläge zurück, um den Bewohnern die Ankunft eines merkwürdigen Besuchers anzukündigen.

Von Neugier erfasst, denn Mexiko war mittlerweile eine moderne Stadt, die archaische Fabeln und Dorflegenden weit hinter sich gelassen hatte, unterbrachen die Einwohner von Coyoacán ihr Abendessen, um durch einen Torspalt zu blinzeln. Draußen entdeckten sie den rätselhaften Reitersmann, dem ein Luftzug »wie von Geistern und Toten« folgte. Ein Hund warf sich dem geheimnisvollen Reiter mit wütendem Gebell entgegen, das schöne weiße Ross aber ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, und schon gar nicht der Mann, der auf ihm saß: ein finsterer Geselle, über dessen braunem Rock sich zwei prall gefüllte Patronengurte kreuzten. Ein Sombrero, so groß wie eine Kirchenkuppel, saß ihm tief in der Stirn und verdunkelte sein Gesicht. Nur zwei glänzende, durchdringende Augen ließen sich zwischen den Schatten seiner Züge erahnen und ein voller Schnurrbart, der ihm zu beiden Seiten über die Wangen hinausragte. Als er vorbeigeritten kam, verschlossen die Alten ihre Türen doppelt, schoben Riegel und hängten Ketten davor, so tief saß ihre Furcht in Erinnerung an die Revolution, als Besucher wie dieser Verwüstung und Zerstörung ins Dorf getragen hatten.

An der Ecke der Calle Londres, vor einem Haus, dessen indigoblaue Fassade von seiner Besonderheit kündete, brachte der Reiter sein Pferd zum Stehen. Die großen Fenster neben der Tür sahen aus wie riesige Augenlider. Das Pferd wurde nervös, beruhigte sich aber, als der Reiter absaß und ihm liebevoll den Hals tätschelte. Nachdem er Hut und Patronengurte zurechtgerückt hatte, ging er entschlossenen Schrittes zum Tor und zog an der Glockenschnur. Augenblicklich erhellte ein elektrisches Licht den Eingang des großen Hauses und scheuchte einen Schwarm Insekten auf, die rings um die Lichtquelle ihr Ungestüm in die Nacht summten. Als Chucho, der unentbehrliche Dienstbote eines jeden ehrwürdigen Hauses, seinen Kopf zum Tor herausstreckte, blickte der Besucher ihm fest in die Augen und trat einen Schritt vor. Zitternd und nicht ohne sich mehrmals zu bekreuzigen, bat der Wächter ihn herein und betete hastig einige Ave-Marias. Wortlos und mit großen Schritten durchmaß der Besucher die Diele und gelangte in einen wunderschönen, mit kunstvoll gezimmerten Holzmöbeln, exotischen Pflanzen und Skulpturen prähispanischer Gottheiten ausgestatteten Raum. Das Haus war voller Kontraste. Erinnerungen an Schmerz und Freude, vergangene Träume und gegenwärtige Triumphe lebten hier beisammen. Jedes Ding erzählte von der Privatwelt seiner Besitzerin, die ihren Besucher in ihrem Zimmer erwartete.

Zwanglos wie jemand, der sich auskennt, lief der Ankömmling durch alle Räume. Auf seinem Weg begegnete er einer riesigen Judaspuppe mit Bäckerschnauzbart, die, statt ihrer Verbrennung am baldigen Auferstehungssonntag entgegenzusehen, seiner Besitzerin für irgendein Gemälde Modell stehen musste. Er kam vorbei an Totenköpfen aus Zuckerguss, die ihm mit ewig glücksversüßter Miene zulächelten, ließ die aztekischen Grabfiguren hinter sich sowie die Büchersammlung mit Werken von revolutionärem Gedankengut. Er durchquerte das Wohnzimmer, das Künstler beherbergt hatte, die ein Land, und politische Führer, die die Welt verändert hatten, hielt nirgends inne, weder um sich die Familienfotos der früheren Hausbewohner anzuschauen noch die farbenfrohen Gemälde, die ihm entgegensprangen wie ein von einem dunstigen Mezcal berauschter Regenbogen, bis er das holzvertäfelte Esszimmer erreichte, das sich zurücksehnte nach unbeschwertem Gelächter und lärmenden Freundesrunden.

Das Blaue Haus war ein Ort, an dem Freunde und Bekannte gern empfangen wurden, und der Reiter ein alter Bekannter der Hausherrin, weshalb die Köchin Eulalia bei seinem Anblick in die prachtvoll geflieste Küche eilte, um eine Kleinigkeit zu essen und Getränke vorzubereiten. Von all den Räumen des Hauses war die Küche das pulsierende Herz, das ein lebloses Gebäude in ein lebendiges Wesen verwandelte. Mehr als nur Wohnstatt bedeutete das Blaue Haus seiner Herrin Heiligtum, Zuflucht und Altar. Das Blaue Haus war Frida. Dort bewahrte sie die Erinnerungen an ihr Leben auf. Es war ein Ort, an dem Porträts von Lenin, Stalin und Mao Tse Tung selbstverständlich neben ländlichen Altarbildern der Jungfrau von Guadalupe hingen. Fridas gusseisernes Bett flankierten eine riesige Sammlung Porzellanpuppen, die mehrere Kriege überlebt hatten, unschuldige karmesinrote Holzautos, kubistische Ohrringe mit handförmigem Gehänge und silberne Votivgaben zur Preisung der Gunst eines Heiligen. Alles sprach von den vergessenen Wünschen jener Frau, die zu einem Leben im Bett verdammt war: Frida, die heilige Schutzpatronin der Melancholie, die Frau der Leidenschaft, die Malerin der Agonie, die ans Bett gefesselt blieb, den Blick auf ihre Spiegel gerichtet, die schweigend darum wetteiferten, wer der als Tehuana oder Zapotekin oder als Vertreterin aller mexikanischen Kulturen gekleideten Künstlerin das schönste Bild zurückwarf. Am unbarmherzigsten von allen war ein an ihrem Betthimmel angebrachter Spiegel, der sie beharrlich mit dem Thema ihres Gesamtwerkes konfrontierte: mit sich selbst.

Als der Fremde das Schlafzimmer betrat, blickte Frida ihm mit schmerzgezeichnetem Gesicht geradewegs in die Augen. Sie wirkte mager, abgezehrt und müde, viel älter als das halbe Jahrhundert, das hinter ihr lag. Der Blick aus ihren kaffeebraunen Augen kam aus weiter Ferne, verschleiert durch die starken Schmerzmittel, die sie sich spritzte, und den Tequila, in dem sie ihre enttäuschte Liebe ertränkte. Diese Augen, fast verglühte Kohlen, die einst feurig gelodert hatten, wenn Frida von Kunst, Politik und Liebe gesprochen hatte, waren jetzt fern, traurig und vor allem müde. Bewegen konnte sie sich kaum, ein orthopädisches Korsett beschränkte ihre Freiheit und hielt sie gefangen. Nur ihr eines Bein regte sich, unruhig, auf der Suche nach dem anderen, das man ihr vor wenigen Monaten amputiert hatte. Frida betrachtete ihren Besucher und erinnerte sich an ihre früheren Begegnungen, von denen jede an ein Unglück gekoppelt war. Sehnlichst hatte sie auf dieses Wiedersehen gewartet, und als ein starker Duft nach Feldern und feuchter Erde ihr Zimmer füllte, wusste sie, dass der Bote endlich ihrem Ruf gefolgt war.

Der Bote blieb neben ihr stehen und tat nichts weiter, als seinen leuchtenden Blick auf ihren schwachen, gebrochenen Körper zu richten. Sie grüßten einander nicht, denn alten Bekannten erlässt man unnötige Höflichkeitsbezeigungen. Frida hob nur den Kopf, als fragte sie, wie es denn dort, wo er herkam, so gehe, und er antwortete mit einer flüchtigen Berührung seines breitkrempigen Hutes, was bedeutete: alles in bester Ordnung. Nun rief Frida ärgerlich nach Eulalia und wies sie an, sich um den Besucher zu kümmern. Ihr Ruf klang harsch, derb. Ihr verspielter, ausgelassener Humor aus früheren Tagen war mit dem amputierten Bein begraben worden, mit den Operationen und den Qualen ihrer Krankheiten zugrunde gegangen. Gallig war jetzt ihr Umgangston.

Die Dienstbotin erschien, ein hübsch gedecktes, blumengeschmücktes Tablett in Händen, darauf ein mit Vögeln besticktes Deckchen, auf dem weiße Rosenblätter das Wort »Ella« formten: »Sie«. Auf einem Tischchen neben dem Bett stellte sie die für den Besucher bestimmte Stärkung ab: eine Flasche Tequila und einen kleinen Imbiss. Nervös, da von der Anwesenheit des Mannes beunruhigt, servierte Eulalia den Schnaps in Kristallgläsern vom gleichen Blau wie das Haus und goss jedem eine Portion Sangrita ein. Daneben stellte sie den frisch zubereiteten Obstsalat sowie einen gebackenen Panela-Käse und mehrere Zitronenviertel. Noch bevor das säuerliche, zwischen den Gesichtern hin- und herpendelnde Lächeln erstarb, war Eulalia wieder verschwunden.

Die Gegenwart des Fremden um diese nächtliche Stunde trieb Eulalia unvermeidliche Schauer über die Haut. Noch jedes Mal hatte sie dem Rest der Dienerschaft versichert, sie habe seinen Körper niemals Schatten werfen sehen. Genau wie Chucho betete deshalb auch sie eilig die nötigen Ave-Marias und Vaterunser, um den bösen Blick und die Grabesstimmung zu vertreiben.

Frida ergriff das Tequilaglas. In der für sie typischen Geste zog sie die zusammengewachsenen Augenbrauen hoch und setzte das Glas an die Lippen; teils um den wellenweise ihren Körper durchlaufenden Schmerz zu lindern, teils um ihrem Gast Gesellschaft zu leisten. Der Bote tat es ihr gleich, jedoch ohne die Sangrita zu kosten. Bedauerlicherweise verschmähte er auch die Häppchen, die nach einem Rezept zubereitet worden waren, das Diegos erste Ehefrau Lupe der Malerin beigebracht hatte. Frida goss sich ein zweites Glas ein. Es war nicht das erste an diesem Tag, aber es sollte das letzte ihres Lebens sein. Der Alkohol rann durch ihre Kehle und weckte ihren schläfrigen Geist.

»Ich habe dich gerufen, damit du meiner Gevatterin eine Nachricht überbringst. Ich will unsere Verabredung ändern. Dieses Jahr wird es am Totentag keinen Opferaltar geben. Ich will, dass sie morgen kommt. Sag ihr, dass ich auf eine glückliche Reise hoffe und diesmal nicht zurückkehren will.«

Frida schwieg, um dem Boten Zeit für eine Antwort zu geben, doch wie stets kam auch diesmal keine. Obgleich sie noch nie seine Stimme gehört hatte, brannte sie darauf, mit ihm zu sprechen. Er aber heftete nur seine hungrigen Augen auf sie, Augen, die um Land und Freiheit flehten. Er trank seinen letzten Tequila, wie in einem Akt der Solidarität, stellte das Glas ab und verließ sporenrasselnd das Zimmer, in dem die Künstlerin zurückblieb mit ihrem Leben, das zerstört war wie ihr Knochengerüst. Mit dem Gang eines Gutsaufsehers schritt der Bote über den Hof, durchquerte den Garten, wo Sittiche und Äffchen kreischten und die Hunde bellten, als sie seine Gegenwart bemerkten. Chucho stand am Eingang bereit und hielt das Tor offen, und dort verabschiedete sich der Bote mit einem kurzen Nicken, während der verängstigte Diener sich öfter bekreuzigte als eine Witwe am Sonntag. Der Bote stieg wieder auf sein weißes Pferd, ritt die Straße hinunter und verlor sich in der schwarzblauen Nacht.

Als Frida hörte, wie der Klang der Hufe sich im eisigen Wind entfernte, umklammerte sie die in schwarze Farbe getauchte Feder fester. Sie kritzelte einen Satz in ihr Tagebuch und verzierte ihn mit kleinen schwarzen Engeln. Mit Tränen in den Augen führte sie die Zeichnung zu Ende, klappte das Heft zu und rief abermals nach ihrer Köchin. Dann holte sie ein abgegriffenes schwarzes Büchlein aus dem Nachttisch, ein altes Geschenk aus glücklichen Tagen, als sie noch vom Leben träumen konnte. Ihre Freundin Tina hatte es ihr einige Monate vor ihrer Hochzeit mit Diego geschenkt. Neben ihren Erinnerungen hatte sie als einziges Hochzeitsgeschenk dieses Heft aufbewahrt. Sie schlug die erste Seite auf und las, unmerklich die Lippen bewegend: »Hab Mut zu leben, denn sterben kann jeder.« Dann begann sie langsam und bedächtig wie ein Bibliothekar, der eine alte Pergamentbibel vor sich hat, die Seiten zu wenden. Auf jeder einzelnen fanden sich verborgene Schätze, in Kochrezepte eingegangene Fragmente ihres Lebens, die sie wie einen köstlichen Eintopf mit poetischen Gedanken und Bemerkungen zu allen ihr wichtigen Menschen gewürzt hatte. Aus Spaß nannte sie es das »Wunderkrautbuch«; denn es enthielt die Rezepte, nach denen sie jedes Jahr die Opfergaben für den Totentag zubereitet und somit ein vor Jahren gegebenes Versprechen eingelöst hatte. Suchend blätterte sie durch die Seiten voller Zimt-, Pfeffer- und Santakrautdüften, bis sie das Rezept fand, das sie Eulalia geben wollte.

»Ich habe einen wichtigen Auftrag für dich, Eulalia. Morgen wirst du dieses Gericht genau so zubereiten, wie ich es hier notiert habe. Gleich in der Frühe gehst du zum Markt und besorgst alle Zutaten. Es muss so gut werden, dass man sich die Finger danach leckt«, sagte sie und zeigte fordernd auf das Rezept. Sie hielt inne, der beklemmende Gedanke an ihr erlöschendes Leben war kaum zu ertragen, dann folgten weitere Anweisungen: »Wenn der Hahn gekräht hat, packst du ihn und tötest ihn für das Mahl.«

»Aber Frida-Kind, den armen Señor Quíquiri willst du töten?«, fragte Eulalia erstaunt. »Dein Lieblingstier, das du verwöhnt hast wie einen eigenen Sohn?«

Frida machte sich nicht die Mühe zu antworten. Sie wandte das Gesicht ab, schloss die Augen und versuchte zu schlafen. Das Heft an die Brust gedrückt, zog Eulalia sich zurück.

In ihrem Bett, das ihr Kerker war, träumte Frida von Festmahlen, von Totenköpfen aus Zucker und Bildern einer Ausstellung. Als sie erwachte, war Eulalia nicht mehr da und Stille lag über dem Haus. Sie begann, sich zu fragen, ob der Besuch des Boten, ob nicht ihr ganzes Leben mitsamt ihrem ersten Tod nur ein Streich war, den ihr die betäubenden, gegen die quälenden Schmerzen verordneten Medikamente spielten. Nach langem Grübeln aber wusste sie, dass alles stimmte. Vor lauter Wut und Angst brach sie in Tränen aus, bis der Schlaf sie schließlich einlullte und abermals aus der Wirklichkeit forttrug.

Stunden später kehrte Diego aus seinem Atelier in San Ángel zurück. Als er das Schlafzimmer betrat, um nach Frida zu sehen, schlief sie, mit schmerzverzerrtem Gesicht. Er wunderte sich, dass eine halbleere Flasche Tequila und zwei nach Alkohol riechende Gläser auf dem Nachttisch standen. Noch stutziger wurde er, als die Dienstboten ihm sagten, ihre Herrin habe keinen Besuch empfangen. Er zog seinen Schaukelstuhl heran und setze sich ans Bett seiner Frau. Behutsam ergriff er ihre Hand wie einen Gegenstand aus feinstem Porzellan und streichelte sie ganz sanft, aus Angst, ihr weh zu tun. Sein Geist durchstreifte die Jahre geteilter Erinnerungen. Er dachte zurück an das Feuer, das in diesem kleinen Körper gelodert hatte, den er lustvoll, aber auch mit der Hingabe eines Sohnes an seine Mutter geliebt hatte. Abermals genoss er die gemeinsamen Liebesnächte, deren Krönung Fridas herrliche, weiße, pfirsichgroße Brüste und ihr runder Po gewesen waren, und ihm fiel wieder ein, wie er ihn eines Tages überschwänglich gepriesen und sie, ganz die Kokette, nur geantwortet hatte: »Ein Po wie Wunderkraut, nicht wahr?« Und wie sie ihm erklärt hatte, dass ihr liebstes Wunderkraut, das Santakraut, herzförmige Blätter habe. Minutenlang weinte er über das Ende dieser Leidenschaft, die nur noch ein kaputtes Gebilde war. Und während er noch »Frida, mein Frida-Kind ...«, murmelte, übermannte ihn der Schlaf.

Am nächsten Tag, nachdem der Lieblingshahn der Malerin den Beginn des neuen Tages verkündet hatte, wie er es seit über zwanzig Jahren tat, drehte man ihm den Hals um und kochte ihn. Frida aber konnte nicht mehr von ihm kosten.

Dem ärztlichem Bericht zufolge verursachten Lungenkomplikationen ihren Tod. Mit dem Einverständnis der Behörden wurde auf Diegos Wunsch von einer Autopsie abgesehen, weshalb sich bald das Gerücht vom Selbstmord verbreitete wie der Duft eines vor sich hin köchelnden Morgenkaffees.

Die erschütternden letzten Worte, die Frida in ihr Tagebuch schrieb, lauteten: »Ich hoffe, es wird eine glückliche Reise, und diesmal will ich nicht zurückkehren.«

Der Bote

Einmal sagte er: »Wer ein Adler sein will, der fliege, wer ein Wurm sein will, der krieche, doch dann darf er sich nicht beschweren, wenn man ihn zertritt.« Das hat er nicht zu mir gesagt, ich weiß nicht einmal mehr, zu wem, aber gesagt hat er es. Man soll ihm Tequila, Sangrita und etwas zu essen anbieten, denn gewiss ist er müde von der langen Reise. Auch ich hätte die Nase voll nach einem solchen Ritt.

ObstimbissPico de gallo

Eines Tages, als sie guter Dinge war, erklärte mir Lupe, dass in Jalisco vor jeder Mahlzeit zunächst ein Glas Tequila getrunken und Pico de Gallo gegessen werde. In ihrem Dorf würden sich die Arbeiter, wenn sie von der Feldarbeit auf ihrem Stückchen Land zurückkämen, im Schatten der Veranda auf Lederstühle setzen und zwischen zwei Schlucken Tequila reifes Obst und Panela-Käse essen.

4 frische, geschälte Jicamas, 4 große, saftige Apfelsinen, 3 geschälte Gurken, ½ geschälte Ananas, 3 noch nicht ganz reife Mangos, 1 Kaktusfeige, 1 Bund Silberzwiebeln, 6 Zitronen, 4 grüne Chilis und grobes Salz.

Jeweils die gleiche Menge Jicamas, Apfelsinen, Gurken, Ananas, Zwiebeln und Mangos kleinschneiden. Gibt man noch Granatapfelsamen hinzu, bekommt der Pico de gallo die Farben der mexikanischen Flagge und sieht sehr, sehr hübsch aus. Mit dem Zitronensaft, den vier Chilis und einem Teelöffel groben Salzes anrichten. Oder nur mit Zitrone und Chilipulver würzen.

Ofengebackener Panela-KäseQueso panela horneado

Panela ist ein sehr leckerer, milder Weichkäse, der ursprünglich aus der Tequila-Region stammt, wo er auch heute noch anders schmeckt als der, den ich hier kaufe. Man bekommt ihn dort auf Märkten und in kleinen Läden. Manchmal hat Lupe von ihren Reisen sehr leckeren Panela mitgebracht.

1 Panela-Käse, 1 große Knoblauchzehe, ¼ Tasse frischer Koriander, ¼ Tasse frische Petersilie, ¼ Tasse frisches Basilikum, 1 Esslöffel frische Oreganoblätter, ½ Tasse Olivenöl, Salz, frisch gemahlener schwarzer Pfeffer.

Einen großen luftgetrockneten Panela-Käse in eine Tonkasserolle legen und in einer aus der gehackten Knoblauchzehe und den restlichen Zutaten bereiteten Marinade ruhen lassen. Mit Salz und Pfeffer würzen und 6 Stunden lang an einem kühlen Ort stehen lassen, zum Beispiel im Hof oder am Fenster; aber aufpassen, dass die Affen ihn nicht stibitzen! Anschließend den Käse 20 Minuten – oder mindestens so lange, bis er zu schmelzen beginnt – bei 180 Grad im Ofen backen. Noch warm servieren. Zu Tostadas oder Baguette kann man den Käse gut als Häppchen anbieten.

Sangrita

Dieses Sangritarezept habe ich auf einer Reise mit Muray kennengelernt, als er mir beibrachte, Tequila zusammen mit einem süßsauren Getränk zu trinken. Ich mag Tequila auch allein, so wie ihn harte Männer mögen, damit beeindrucke ich immer die Gringos, die Diego besuchen.

2 Ancho-Chilis, 2 Esslöffel gehackte Zwiebeln, 2 Tassen Apfelsinensaft, ½ Tasse Saft einer grünen Zitrone, Salz.

Die gegrillten, von Innenwänden und Samen befreiten Ancho-Chilis 2 Minuten lang dünsten, dann 10 Minuten ruhen lassen. Gehackte Zwiebeln mit Apfelsinen- und Zitronensaft mischen und zusammen mit den Chilis in einem Mixer oder einem Steinmörser pürieren und salzen. Nach Wunsch zusätzlich Apfelsinen-, Zitronen- oder auch Tomatensaft zugießen.

Sangrita ist die Frau. Sie ist es, die nach Gewürzen und Zwiebeln riecht und dem männlichen Tequila Farbe und Schärfe verleiht. Beide gemeinsam sind das perfekte Idyll.

Wie gern würde ich so mit meinem Dieguito zusammenleben. Aber er mag mein Freund, mein Kind, mein Geliebter, mein Kollege sein – mein Ehemann niemals. Mein zweitschlimmster Unfall nach dem Zusammenstoß mit der Straßenbahn war er.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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