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Wie ein feuerspeiender Drache, der seinen Atem schon am frühen Morgen durch Palermos Gassen bläst, so erscheint Genziana die Kaffeeröstmaschine ihrer Eltern, die wie ein Familienmitglied ist und auch einen eigenen Namen trägt: Orlando. Genzianas größter Wunsch ist es, eines Tages in der Kaffeerösterei zu arbeiten, doch dieses Privileg steht nur ihren Brüdern zu. Der Traum rückt in noch weitere Ferne, als die Bombenangriffe der Amerikaner Palermo 1943 in Schutt und Asche legen. Genziana verliert dabei ihre Eltern und für Orlando scheint es ebenfalls keine Zukunft mehr zu geben. Zu allem Überfluss verschwindet auch noch ihre Jugendliebe Medoro nach Rom, um für die Republik zu kämpfen. Doch dann erinnert sich Genziana an den alten Verkaufsschlager ihres Vaters: die geheime Röstmischung "Genziana" ...
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Für meine Mutter, die mich liebt, allerdings …
Für meinen Vater, der mich allerdings geliebt hat.
Deutsch von Verena Koskull
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Berlin Verlag erschienenen Buchausgabe
1. Auflage 2015
ISBN 978-3-8270-7778-3
Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel La miscela segreta di casaOlivares bei Mondadori, Mailand
© 2014 Arnoldo Mondadori Editore S.p.A., Milano
Für die deutsche Ausgabe
© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH Berlin 2015
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Covermotiv: Briljans/plainpicture
Datenkonvertierung: Greiner & Reichel, Köln
DIE ERWARTUNG
(1940–1943)
Du, Herr meiner Seele, dir hat vor den Frauen nicht gegraut, als du durch diese Welt zogst, im Gegenteil, du hast sie immer mit großem Mitgefühl bevorzugt und hast bei ihnen genauso viel Liebe und mehr Glauben gefunden als bei den Männern.
Teresa von Avila, Weg der Vollkommenheit
Der Drache
Orlando füllte den winzigen Laden in der Via Discesa dei Giudici fast vollkommen aus. Er war einfach riesig, so beengt es auch sein mochte. Wenn man ihn nicht kannte, konnten seine bullige Statur und sein hitziges Temperament einem Bange machen. Wusste man ihn aber zu nehmen, war er ein Segen: Er besaß ein gütiges Wesen und ein weites Herz.
Zwei sinnliche, ausladende Kurven – die eine gewölbt wie ein Bauch, die andere plateauähnlich aufragend wie ein Hinterteil – gaben ihm etwas Solides und Verlässliches. Aus dem runden Kopf ragte ein schmales, zylinderhutähnliches Rohr. Ein gedrungener, an mehreren Punkten verengter Hals verband das Haupt mit dem massigen Körper. Die Unproportioniertheit seiner Formen stand der Harmonie seiner Funktion zuwider. Er war hässlich, und sein flaches Gesicht blickte beängstigend finster drein. Je nach Röstphase fingen seine Augen an zu funkeln und zu glühen, und sein Blick bekam etwas Diabolisches, was an den in der Hitze wirbelnden Bohnen lag. »Hässlich, aber unwiderstehlich«, verteidigte ihn der alte Olivares, der seine gesamten Ersparnisse in dieses Ungeheuer gesteckt hatte.
Orlando strahlte eine geheimnisvolle Kraft aus. Tief in seinen Eingeweiden brodelte urzeitliche Energie. Der drohend verzogene Mund nahm die gesamte Breite des kantigen Kiefers ein. Die Unterlippe, ein riesiges, konkav gewölbtes Blech, stülpte sich steil nach vorn, bereit, zuzuschnappen.
Doch war dieser moderne Titanosaurus kein Fleischfresser, er liebte Holz, vertilgte Kohle und verschlang Papier. Obgleich er als autonomes Wesen unter der Knechtschaft litt, hatte er nie den Aufstand geprobt und war treu wie ein Hund. Grunzend, murrend und rasselnd tat er seine Arbeit. Nicht nur das Überleben der Familie Olivares hing von ihm ab, deren männliche Mitglieder einander seit Generationen die Kunst des Kaffeeröstens weitergaben, sondern auch das Wohl des gesamten Viertels, schließlich war die Rösterei ein wichtiger Arbeitgeber.
Doch nur einer durfte diesen mechanischen Prometheus bedienen. Gewissenhaft wie ein Arzt umsorgte Giovanni mit Handschuhen und Schmieröl den ausgeklügelten Mechanismus, der Orlando am Leben hielt, um ihn vor Verschleiß zu schützen. Sanft wischte er austretende Flüssigkeiten fort, trocknete jede Ritze und setzte alles daran, jedweden Pannen oder Störungen, die die Güte des Kaffees beeinträchtigen könnten, zuvorzukommen.
Wie bei einem Opferritual fütterte er den großen Heizkessel, auf dem der Drache thronte, mit Reisigbündeln, Obstkisten, Pappschachteln, Altpapier, trockenem Laub und Lumpen. Die Flammen mussten konstant bleiben, damit die Temperatur nicht absackte und die Röstung zur faden Dampfgarung verkam. »Hier wird Kaffee geröstet und kein Mais gekocht!«, rief Giovanni und starrte in das rote Flackern, das durch die Ritzen der Feuerung blitzte.
1
In der vormorgendlichen Stille verkündete das Prasseln der Flammen den Familien der Via Discesa dei Giudici den Tagesanbruch. Während der Drache seine Eingeweide wärmte, schleppte der Laufjunge die prallen Säcke aus dem nahe gelegenen Lager in der Via degli Schioppetieri herbei und zerrte sie über die marmornen Gehwegplatten. Ein sinnliches Schleifgeräusch erfüllte die Straße, bis die Jute über die Ladenschwelle scharrte und lautlos über den Terrazzoboden glitt.
Mit einem Schwung wurden die rohen Bohnen in den Fülltrichter gekippt, der wie ein drolliger, deckelloser Hut auf Orlandos hirnlosem Kopf saß. Ein Geruch nach frischem Salat erfüllte den Raum, brachte die Mägen der Anwesenden zum Knurren und ließ ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Bohnen vollführten einen wirbelnden Tanz, glitten geschmeidig fließend die eiserne Kehle hinab, sammelten sich in Orlandos heißem Bauch und wechselten die Farbe. Das kränkliche Grün wurde zu Gold, dann zu Kupfer und schließlich zu Bronzebraun.
Ein leises, für das ungeschulte Ohr nicht wahrnehmbares Seufzen meldete, dass die Röstung fast fertig war. Giovanni machte sich bereit. Während dieser heiklen Phase konnte die kleinste Unaufmerksamkeit alles verderben. Das Herz des Mannes und das der Maschine schlugen im Gleichtakt, keuchend, schnaufend und seufzend holten ihre Atemzüge einander ein und wurden schließlich eins.
Dort, wo die linksseitige Rundung der Metallwange in die Senkrechte überging, prangte ein kleiner, geradezu schelmisch wirkender Leberfleck im grimmigen Antlitz des Drachen. Es war der Griff des schmalen Schäufelchens, das sich wie ein langer Keil in den Drachenleib bohrte, um Probebohnen zu entnehmen und den Röstgrad zu kontrollieren. Als Giovanni mit seinen großen, kräftigen Fingern mehrmals rüttelnd daran zog, entstand ein zikadenartiges Zirpen.
Rauchschwaden verhüllten die Bohnen und ein feiner, öliger Film beschlug Giovannis Brille. Mit einer jähen Bewegung zerdrückte er eine Bohne wie eine Laus zwischen Daumen und Zeigefinger, verbrannte sich, fluchte laut, wedelte mit den Fingern und stieß das Schäufelchen mit der anderen Hand in seinen Schacht zurück. Dann legte er das Ohr horchend wie eine Hebamme an den Drachenbauch. Ein dumpfes Dröhnen erscholl, dann ein vielfaches Krack, und ein unablässiges, scharfes Peitschen erfüllte die Luft. »Es ist so weit!«, rief Giovanni, und in seiner Stimme lag ein erregtes Zittern.
Dies war der entscheidende Moment. Blitzschnell drehte Giovanni an einer Kurbel, und der Drache sperrte sein Maul auf und fing an zu spucken. Der geröstete Kaffee prasselte in eine riesige Pfanne wie Hagel aufs Straßenpflaster. Vier kräftige Schaufeln begannen sich zu drehen und durch die braunen Bohnen zu pflügen, bis ein glänzender Schimmer sie überzog. Als der Dampf verflog, erhob sich ein fröhliches, in der Rösterei »Kaffeegesang« genanntes Murmeln, das, begleitet von einem unwiderstehlichen Duft, in wenigen Sekunden zur Tür hinaus war und sich im gesamten Viertel verteilte, den Bleichlaugegestank der benachbarten Wäscherei vertrieb und sich mit dem Geruch nach Elend mischte, der aus den Mauern des Tribunali-Viertels sickerte.
Mit Schweißerhandschuhen, die ihm bis zu den Ellenbogen reichten, vergrub Giovanni die Arme in der dunklen, duftenden Masse und stieß einen sehnsüchtigen Seufzer aus: Könnte er doch in diesem Meer ertrinken. Zufrieden ließ er die Bohnen durch die Finger gleiten, pickte sich die größten heraus und steckte sie in die Taschen. Kaum hatte sich der letzte weiße Dampf verzogen, war Orlando nicht mehr das furchterregende Ungeheuer im zwielichtigen Tagesgrauen, sondern eine zitterig erschöpfte Wöchnerin. Das Feuer verglomm und der Senfton seines Panzers wechselte zu Glutorange. Seine Augen wurden matt, das zahnlose Maul war in einem seligen Lächeln geöffnet und sein Bauch grummelte und gurgelte wie nach einer Magenverstimmung.
Leer und benommen stieß der Drache ein paar letzte Rülpser aus und fiel ächzend in den Schlaf. Wie steif gewordene Gelenke knarrten die Bolzen vor sich hin, während der Laden sich mit dem geschäftigen Kommen und Gehen der Kunden belebte.
Giovanni trocknete sich den Schweiß, schlüpfte in ein sauberes Hemd, strich sich das Haar zurecht, verzog den schmalen Mund zu einem strahlenden kleinen Lächeln und stieg, die Taschen voll der besten Bohnen, die Treppe des Hauses neben der Rösterei hinauf. Viola Olivares stand ganz oben in der Wohnungstür und erwartete ihn. In einen roten, mit kleinen goldenen Stickereien verzierten Morgenmantel gehüllt, das Haar um das hübsche Gesicht zerzaust, die Lider noch halb verschlossen vor dem kommenden Tag, hielt sie ihm die hohlen Hände entgegen. Die Bohnen glitten durch ihre weißen Finger und verschwanden in der dunklen eisernen Kaffeemühle.
Eilends machte sich die versierte Kaffeesatzleserin Viola Olivares daran, eine Kanne türkischen Kaffee aufzusetzen. Ihre geheimnisvolle Gabe, das Schicksal auf dem Grund einer Tasse zu lesen, hatte ihr den Respekt des gesamten Viertels sowie den Titel »Principessa der Quattro Mandamenti« eingebracht.
2
Wrrrrruim wrrrrruim, das gedämpfte Kurbelgeräusch drang durch die noch schläfrige Stille der Wohnung. Hingebungsvoll mahlte Viola die Kaffeebohnen. Sie stand früh auf, denn noch ehe das Morgenlicht sich golden färbte, musste ihr Gebräu fertig sein.
Wruimmm wruimmmm, geschmeidig bog und streckte sie die Arme, hielt die Kurbel mit energischem Griff und zwang die Klinge, sich zu drehen. Bei jeder Umdrehung rieben die Unterlegscheiben schnalzend aufeinander und die Zähne des Mahlwerks verschränkten sich mit einem trockenen Knirschen.
Einem duftenden schwarzen Schneesturm gleich rieselte das Kaffeepulver in das hölzerne Kästchen. Das sanfte Rischeln mischte sich mit dem leisen Knistern der Laken, die über die verschwitzten Körper ihrer Kinder glitten, mit dem schweren Atem ihres Mannes, der in verbotenen Träumen schwelgte, und dem heiseren Seufzen der alten Mutter, die sich vor dem Erwachen mit ihren Toten traf.
Wruim wrrrruim, das Kurbeln verlangsamte zu einem schleppenden Marsch und erstarb schließlich in einem Raunen. Dann war es still und das trockene Klack des sich öffnenden Holzlädchens erscholl. Viola schüttete den Inhalt in die Kanne, in der schon seit geraumer Zeit das Wasser kochte. Einen Moment lang stand das Pulver in einem dichten Häufchen auf der Wasseroberfläche und löste sich dann mit einem ahnungsvollen Gurgeln auf. Als die Flüssigkeit einen verlockenden Karamellton angenommen hatte, ließ Viola sie abkühlen. Sacht und lautlos trudelten die Kaffeepartikel auf den Grund.
Ein feiner Geruch nach moderigem Laub in feuchtem, lichtlosem Unterholz, nach nasser Borke, Geranienblüten und Minze stieg davon auf, erfüllte die Küche, legte sich über Ofen und Backtrog und drängte in die Schlafzimmer, wo der Rest der Familie sich an den letzten Krumen Schlummer labte.
Behutsam hob Viola die Tasse und ihre drallen Arme vollzogen eine perfekte Kreisbewegung. Ihr mächtiger Busen ruhte auf der marmornen Tischplatte. Ihre kleinen, runden Schultern reckten sich. Freudiges Kribbeln durchrieselte ihre weiße Haut, die bei jedem Atemzug erschauderte wie das Meer bei Westwind. Viola konnte einfach nicht stillhalten, ihr nimmermüder Körper fühlte sich beglückend lebendig. Mühsam unterdrückte sie die Erregung, nippte am Kaffee, stürzte die Tasse auf ein Tellerchen und ließ beides mehrmals im Uhrzeigersinn kreisen. Ein tiefer Atemzug hob ihre Brust und ihre Lider flatterten wie Schmetterlingsflügel. Dann versenkte sie den forschenden Blick in den feuchten Kaffeesatz, um die rätselhaften Wege des Schicksals zu ergründen.
3
»Viola, was soll ich tun? Es sind zehn Sack, eine ganze Menge. Soll ich sie kaufen oder nicht?«
An diesem Morgen war Roberto Olivares mit einer fixen Idee erwacht: sämtlichen Arabica aus Äthiopien aufzukaufen – die einzige Kaffeesorte, die nach Jasmin duftete.
Eigentlich wusste er genau, was zu tun war, fürs Geschäft hatte er einen guten Riecher, doch machte er keinen Schritt, ohne den Rat seiner Frau eingeholt zu haben: eine Frage des Aberglaubens. Breitbeinig stand er in der Küchentür und wartete auf Antwort. Ein leiser Luftzug drang durch die halb geschlossenen Fensterläden und ließ ihn schaudern. Noch immer lag winterliche Kälte in der Märzluft und das wollene Unterhemd wärmte ihn nur dürftig.
»Können wir nicht mal das Fenster zumachen?«, schnaubte er. Er hasste Zugluft, das kleinste bisschen genügte, schon hatte er Schnupfen. Jeden Abend musste alles hermetisch verschlossen werden, und ehe er ins Bett stieg, vergewisserte er sich höchstpersönlich, dass selbst die Schranktüren ordentlich zugedrückt waren.
Viola musste schmunzeln. »Was hast du denn?«
»Na, was wohl!« Er wurde rot. »Es zieht.«
Wenn er übellaunig war, kam man ihm besser nicht in die Quere. »Kaum zieht’s, kriege ich Fieber!«, pflegte er zu zetern, und seine Stimme drang wie Donner aus dem mentholgesättigten Dampf, den zu inhalieren ihm der Arzt verordnet hatte. »Wenn ich sterbe, werdet ihr schon sehen …«, wetterte er weiter, da ihn niemand ernst nahm. »Es sterben mehr Menschen durch Zugluft als durch Krieg!«
»Und, was ist?«, drängte er jetzt ungeduldig und schlug unwirsch das Fenster zu.
Seine Frau schwieg. Sie schien das Fragezeichen, das sich zwischen seinen einst strahlend blauen Augen formte, regelrecht zu genießen.
»Komm schon, Viola, jetzt lass dich nicht so bitten!«, drängelte er und rieb sich energisch die Oberarme.
Stumm und ungerührt starrte sie in den Kaffee, doch innerlich jubelte sie. Wie sehr sie diesen dicken, älteren, stets um sie bemühten Mann doch liebte!
»Also, was soll ich machen?«
»Mach, was du willst«, blaffte sie.
»Übertreib’s nicht! Du bist immer noch eine Frau und das heißt, du hast zu gehorchen, dich um den Haushalt zu kümmern, Kinder zu gebären und dir Hörner aufsetzen zu lassen!«
»Von wem hast du denn diesen Bockmist?«
»Vom Duce, stell dir vor«, rief Roberto und reckte den Finger gen Zimmerdecke, als rede er vom himmlischen Vater persönlich.
»Dann frag doch ihn, wie viel Kaffee du kaufen sollst.«
Roberto kratzte sich am Schädel, gähnte und sah eher verdattert als wütend aus. Wie immer machte es ihn befangen, wenn seine Frau fuchsig wurde. Außerdem bereute er es, Mussolini erwähnt zu haben, nachdem er zwanzig Jahre lang alles darangesetzt hatte, sich den Faschismus vom Leib zu halten. Ausgerechnet vor der undankbaren Viola musste er den Duce zitieren! Linkisch zog er sich die Schlafanzughosen hoch. »Das Gummi ist ausgeleiert«, knurrte er, um das Thema zu wechseln.
»Es ist ausgeleiert, aber klar doch …«, meinte Viola. »Das liegt nicht zufällig daran, dass dein Bauch dicker geworden ist?«
Mit einer Aufwallung von Stolz reckte Roberto die Schultern und wölbte die Brust.
»Ich sag’s ja.« Viola zeigte auf den Kugelbauch ihres Mannes.
»Also, bitte!«, polterte er entrüstet und stampfte mit dem Fuß auf.
»Jetzt wirst du auch noch laut, du hast wirklich keine Manieren.« Pikiert zog Viola sich den Morgenmantel zurecht und wandte ihm den Rücken zu.
»Würdest du dich um deinen Mann kümmern, wie es sich für eine anständige Frau gehört, hättest du es mir schon längst enger gemacht.«
»Du hast recht«, schnurrte sie plötzlich versöhnlich, »ich muss dir ein neues Gummi einziehen.«
Er lächelte triumphierend. »Ah, so gefällst du mir.« Vielleicht hatten seine Freunde doch recht: Frauen waren wie Eier, geschlagen schmeckten sie am besten.
»Das haben wir gleich.« Die Lippen zu einem verführerischen Lächeln halb geöffnet wie einst als süßes Mädchen, in das er sich auf den ersten Blick verliebt hatte, kam sie auf ihn zu. Einen Augenblick lang vergaß er das Geplänkel, seine Knie wurden weich und er breitete die Arme aus, um sie an sich zu ziehen. Mit einer blitzschnellen Bewegung packte Viola seine Hosen und zog sie bis zu den Knöcheln herunter. Entblößt, mit vom knappen Unterhemd nur dürftig bedecktem Schmerbauch, die Genitalien dem gnadenlosen Blick seiner Frau ausgesetzt, stand Roberto da. Er wurde rot, er zeigte sich nicht gern in Ruhestellung. Was sollte er tun? Sich bücken und die Hosen hochziehen kam einer Erniedrigung gleich, und die Genugtuung wollte er ihr nicht geben. Also blieb er reglos stehen und betete, seine Kinder mögen weiterschlafen. Unterdessen hatte sich sein Glied fröstelnd unter dem Bauch verkrochen.
»Und? Was hast du jetzt davon?«, fragte er gespielt gelassen, doch sein Fuß klopfte nervös auf den Fußboden.
Viola hätte am liebsten losgeprustet, aber zugleich spürte sie ihre Überlegenheit wanken. ›Vielleicht habe ich übertrieben‹, dachte sie und musterte sein immer röter werdendes Gesicht. Die von borstigen weißen Stoppeln überhauchten Wangen begannen zornig zu zittern.
»Kauf ihn, den Kaffee.« Sie wandte sich ab. »Jetzt ist der richtige Moment, um Vorräte anzulegen.« Violas silberhelle Stimme klingelte wie Münzen im Sparschwein.
Roberto grinste: Na, endlich! Diese Antwort hatte er hören wollen. Er mochte es nicht, wenn das Lager halbleer war, deshalb hatte er es auf diese Arabica-Säcke abgesehen. Außerdem hatte ein Freund ihm gesteckt, dass in Rom von einem neuen Krieg gemunkelt wurde: »Kaufen, hamstern, horten«, hatte er ihm bei der samstäglichen Versammlung geraten. Die Erfahrung des Abessinienkrieges hatte Roberto gereicht. Unter dem Vorwand der Autarkie war jahrelang kein Schiff in den Hafen eingelaufen, und er hatte sich mit minderwertigem Kaffee begnügen müssen.
Er seufzte erleichtert, jetzt hatte er auch die Zustimmung seiner Frau. Roberto stritt nur höchst ungern, vor allem mit ihr. Er musterte sie zufrieden: Ihre Schönheit überdauerte die Zeit.
»Aber nicht vergessen: Die Principessa bin immer noch ich«, schob Viola nach und warf ihm mit den Fingerspitzen eine Kusshand zu.
»Prinzessin oder Zauberin«, antwortete er zwinkernd. »Du hast mich behext. Heute Abend im Bett reden wir noch mal darüber.« In der Stille des Morgens klang seine Drohung wie ein Liebesversprechen.
Während Roberto sich ergeben die Hosen hochzog, blickte Viola prüfend in die Tasse, sie hatte noch zahlreiche Fragen offen. Das Geschäft war zwar wichtig, aber es war Sache ihres Mannes. Die Zustimmung, die er sich von ihr erbat, war eher Jux denn Notwendigkeit. Violas Aufgabe war es, sich um die Kinder und sämtliche Scherereien zu kümmern, die damit einhergingen.
Mimosa, die Kleinste, erholte sich nur mühsam von der Grippe. Ein heftiger Husten drückte ihr die magere Brust zusammen und ließ das ganze Haus erzittern. Ein ungutes Pfeifen begleitete ihren Atem. Sie war dürr und abgezehrt, ein achtjähriges Hascherl ohne ein Gramm Fleisch auf den Knochen.
Kaum hatte man sie Viola nach der Geburt in die Arme gelegt, hatte sie gewusst, wie schwach sie war. Die Kleine hatte spinnendünne Händchen und durchscheinende, fast gelbliche Haut.
»Sie ist eben blond«, hatte die Hebamme gesagt, doch Viola hatte den Kopf geschüttelt und ihre Augen waren feucht geworden. »Tränen statt Milch?«, hatte die Frau gespöttelt und auf eine Wochenbettdepression angespielt.
»Sie ist so zerbrechlich«, hatte Viola gesagt und der Kleinen den Rotz abgewischt. ›Wenn’s kalt wird, überlebt sie keine Stunde‹, hatte sie bei sich gedacht und sich die Kleine an die Brust gelegt, ohne sie an sich zu drücken oder zu küssen, denn an kränkliche Kinder soll man das Herz nicht hängen. Und weil sie so überaus zerbrechlich war, hatte Viola sie Mimosa genannt. In ihrer Familie war es Brauch, den Mädchen Blumennamen zu geben. Bei der Namenswahl ließ sich die Mutter von der Beschaffenheit des Neugeborenen leiten.
Genziana dagegen strotzte vor Sinnlichkeit. Schon gleich nach der Geburt war sie Viola unwiderstehlich erschienen. Der rote Mund, ein zartes, pralles, von zwei runden Wangen eingerahmtes Herzchen, schien zu sagen: »Küss mich, küss mich!« Die bernsteinfarbene Haut, die festen Arme, die zu grimmigen kleinen Fäusten geballten Händchen, die dichten, geschwungenen Wimpern, die zwischen den fest zusammengekniffenen Lidern hervorlugten. Aus ihren Brustwarzen, zwei braunen, in weiche Falten gebetteten Kaffeebohnen, troff die Hexenmilch und ließ den Vater staunen.
»Bei echten Frauen ist das so: Die wird uns noch alle auf Trab halten«, hatte die Hebamme prophezeit.
Das Mädchen war ein zähes Blümchen, ein himmelblau leuchtender Enzian, der auf den Almen blüht. Viola hatte es kommen sehen: Genziana war kaum vierzehn, da wurde sie schon von einer Schar Verehrern umschwirrt, die ihr hoffnungsfroh durch das ganze Viertel folgte. Sie spielte gern mit dem Feuer.
Aber nicht nur ihre Töchter hielten Viola in Atem. Ruggero, der Älteste, hatte sich in den Kopf gesetzt, zu studieren, und stritt dauernd mit seinem Vater, der ihn bei sich in der Rösterei haben wollte. Auch Raimondo und Rodolfo hatten ständig etwas auszusetzen, doch Roberto ließ seinen Söhnen nichts durchgehen.
4
»Nun geh schon!«, pflaumte Viola ihren Mann an, der unentschlossen im Türrahmen stand. »Du weißt, dass ich allein sein muss, wenn ich im Kaffeesatz lese.«
Roberto warf ihr einen letzten Blick zu, er konnte nicht fassen, dass ausgerechnet ihm so ein unverschämtes Glück zuteilgeworden war. Viola war schon erwachsen gewesen, als er sie das erste Mal gesehen hatte, doch war sie ihm kaum älter als ein kleines Mädchen erschienen: Immerhin betrug der Altersunterschied zwanzig Jahre. Untergehakt bei ihrer Mutter war sie durch die Via Maqueda spaziert. Ein ausladender Busen lastete an ihrem kleinen Körper wie die schweren Blütenblätter am zarten Stängel eines Stiefmütterchens. Mit hochgezogenen Schultern verschränkte sie verschämt die Arme vor ihrem üppigen Busen und hielt den Kopf gesenkt, als hätte der Hals nicht genug Kraft, ihn zu tragen. Er verliebte sich auf der Stelle in sie. Doch war es weniger der unschuldige Blick unter ihren zarten Lidern, der Roberto bannte, als der Duft, den sie in der Straße zurückließ. Das Mädchen roch nach Puder und strahlte eine beruhigende Sinnlichkeit aus, die ihn trotz seines gestandenen Mannesalters bezauberte.
Er wollte sie sofort haben. Er vergaß jegliche Zurückhaltung, schlug die Ratschläge seiner eingefleischten Junggesellenfreunde in den Wind und machte ihren Eltern seine Aufwartung.
»Olivares Roberto, habe die Ehre«, sagte er mit ausladender Verbeugung.
»Die Ehre ist ganz auf unserer Seite«, antworteten sie im Chor.
Die Schwiegermutter in spe hieß Ortensia und sollte sich im Laufe der Jahre ihrer großen Anpassungsfähigkeit wegen ihres Namens als würdig erweisen. Ihr blasser Teint changierte je nach Gemütslage wie die Blüten der Hortensie, die bei unterschiedlicher Bodenbeschaffenheit ihre Farbe wechseln. Sie nahm kein Blatt vor den Mund: »Sieh dich bloß vor, sie hat einen schlechten Charakter. Sie wirkt schüchtern und zurückhaltend, hat’s aber faustdick hinter den Ohren.«
Wehmütig musterte sie ihre Tochter, die Zeit war zu schnell vergangen. Viola war zwanzig Jahre alt, doch für Ortensia war sie immer noch ein Kind.
»Das wird sich schon auswachsen.«
»Ich fürchte, es wird nur noch schlimmer. An deiner Stelle würde ich einen großen Bogen um sie machen.«
»Lassen wir sie doch selbst entscheiden«, schlug Roberto vor. »Schließlich geht es um ihr Leben.«
Mit einem koketten, vielsagenden Lächeln auf den Lippen sah Viola ihm fest in die Augen und stimmte der Verlobung zu.
Die Eltern ließen die beiden allein, damit sie über die Liebe reden konnten. Behutsam nahm Roberto sie in die Arme. Diese mühsam gezügelte Weiblichkeit, die nur darauf wartete, von ihm entdeckt und vervollkommnet zu werden, erfüllte ihn mit zehrendem Verlangen. Sie öffnete die Lippen, legte den Kopf zurück und gemeinsam versanken sie in einem Meer aus Leidenschaft. Die untergehende Sonne tanzte golden durch das Zimmer, und Violas Mund war eine glückliche Verheißung.
Am Hochzeitstag wurde Roberto von Sorge gequält. Unablässig betrachtete er sich im Spiegel und sein angejahrter, aus dem Leim gegangener Körper kam ihm abstoßend vor. Er verfluchte die üppigen Abendessen der letzten Jahre. Noch ärger stand es ums Gesicht: Die Wangen schlaff, der Schnurrbart ergraut, das Haar über der Stirn schütter.
›Und wenn ich ihr nicht gefalle?‹, fragte er sich bestürzt. ›Wie ein Märchenprinz sehe ich nicht gerade aus.‹
Er zog den Bauch ein, der über sein Glied schlappte. Sofort richtete es sich auf, und diese leise Ahnung von Jugend, die sein aufzuckendes Genital so urplötzlich heraufbeschworen hatte, genügte, um ihn zu beruhigen.
Während der Trauungszeremonie verfiel er wieder ins Grübeln. ›Was sie wohl von mir hält?‹ Er konnte nicht ahnen, wie glücklich es die unter einem langen weißen Schleier verborgene Viola machte, dass sich dieser herrische Mann für sie entschieden hatte.
Dann kam der Moment der Wahrheit. Roberto wartete lange, ehe er sie berührte. Er fürchtete sich vor einer Abfuhr, die Demütigung hätte ihn fürs Leben gezeichnet.
»Was ist los?«, wollte Viola wissen.
Er fing an, im Zimmer auf und ab zu tigern, und räusperte sich mehrmals, als wollte er etwas sagen, schwieg dann aber. »Gefalle ich dir?«, fragte er brüsk und sein Herz raste.
In dem Moment begriff die junge Braut, welche Macht sie besaß. Sie lächelte ihn an, strahlte mit solcher Süße, dass es keine Antworten brauchte. Wie ein nasser Sack ließ sich Roberto auf ihren kleinen Körper fallen und liebte sie wie ein unbeholfener Junge. Überwältigt von der Befangenheit, die sich in den Falten dieses dicken Bauches versteckte, erwiderte sie seine schüchternen Umarmungen.
Am nächsten Morgen erwachte er als anderer Mann, strotzend vor neuer Lebenskraft und jugendlicher Energie. Die Liebe hatte wahrhaft magische Kräfte!
Entgegen den Unkenrufen der Verwandten waren die Eheleute Olivares auch nach zwanzig Jahren noch ein glückliches Paar. In Violas Armen spürte Roberto noch immer die Gewissheit des Kommenden und die Wärme des Augenblicks. Der Duft seiner Frau entfachte in ihm ein brennendes Begehren, das als sachter Schauder in der Nase begann und den ganzen Körper durchfloss. Den Tag über beherrschte ihn dieses Verlangen wie eine süße Qual, und sie jeden Abend aufs Neue im Bett vorzufinden war die reinste Freude. Roberto verlor sich im Labyrinth ihrer überbordenden Weiblichkeit, ertrank in ihren warmen Küssen und drückte sie im Schlaf mit kindlicher Inbrunst an sich – es war herrlich, sich lieben zu lassen.
Gedankenverloren und mit leerem Blick war er in der Tür stehen geblieben.
»Du bringst mich um meine wertvolle Zeit.« Violas Stimme riss ihn in die Gegenwart zurück.
»Entschuldige«, murmelte er und eine unendliche Zärtlichkeit lag in seinem Blick, denn im Laufe der Zeit ändert die Liebe ihre Sprache. Er legte eine Hand aufs Herz, warf ihr mit der anderen eine Kusshand zu, machte kehrt und zog sich die Hosen zurecht. Das Gummiband fiel ihm wieder ein. »Es ist ausgeleiert«, brummte er und verschwand schmunzelnd im Flur.
Es war noch früh, doch er hatte keine Lust mehr, sich wieder ins Bett zu legen. Herzhaft gähnend trat er an die Betten seiner Töchter und ließ den vernebelten Blick von Genzianas dichtem, glänzenden rabenschwarzen Haar zu dem dünnen, blonden Mimosas wandern. Dann trieb ihn ein dringendes Bedürfnis ins Bad.
Von der Küche aus lauschte Viola auf das Geräuschrepertoire, das ihr Mann jeden Morgen zum Besten gab. Das rhythmische Platschen, mit dem er sich wusch, war ihr bestens vertraut. Doch nicht einmal diese sonderbaren Töne, die nach einem liebeskranken Bären klangen, konnten sie von ihm abbringen. Wie ein Echo gurgelte die neapolitanische Kaffeekanne auf dem Herd.
Viola griff nach einem Topflappen und drehte die Kanne um. Das Wasser sickerte nach unten und ein kräftiger, belebender Duft entströmte der Tülle, kroch über die fettbeschlagenen Kacheln des Rauchfangs und die bunten Majoliken, durchdrang die Mauern wie dünne Gaze, wallte durch den Flur, zog in die Zimmer und verfing sich in den Vorhängen. Er wogte unter die Decken, strömte zwischen die Laken und verebbte dort zu einer sachten Brandung. Er streichelte über die Gesichter der Olivares-Sprösslinge, stieg in ihre feinen Nasen, bezwang den letzten Rest lauen Schlummers und mischte sich mit dem Geruch der Unschuld, den der Mensch kurz vor dem Erwachen verströmt.
5
Die Kirchenglocken von Santa Caterina begannen zu läuten: drei trockene Schläge, gefolgt von lebhaftem Bimmeln. Die Nonnen betraten den Chor und verteilten sich in einer langen, geordneten Reihe hinter dem vergoldeten Gitter, das sie vor zudringlichen Blicken schützte. Ein frischer Luftzug drang durch die geöffneten Fenster und wirbelte sacht durch das Kirchenschiff. Die Nonnen weiteten die von ihrer steifen Tracht beengte Brust und stimmten den Lobgesang des Herrn an.
Ein seltsames akustisches Phänomen wollte es, dass ihr allmorgendlicher Wohlgesang durch die Seitentür der Kirche auf die Piazza Bellini hinauswehte, die Via Discesa dei Giudici entlanghallte, an den Balkonen der Häuser entlangstrich und das Haus der Familie Olivares erreichte, um ihr einen himmlischen guten Morgen zu bescheren.
Genziana träumte zu fallen. Ihr Blut begann zu rasen, sie zuckte zusammen und fuhr mit einer jähen Bewegung hoch. Nervös schwang sie die Beine aus dem Bett und befreite sich ungeduldig aus den zerwühlten Laken. Sie wackelte mit den Zehen, reckte die Arme wie Flügel im Wind und huschte in ihrem dünnen Flanellhemdchen den Flur hinunter.
Jede Wohnstatt hat ein Herz, genau wie die Menschen. In der sonnigen Dachwohnung der Olivares’ war es die Küche. Dort nahmen sämtliche Familienereignisse ihren Lauf und fanden, durchdrungen von appetitlichen Wohlgerüchen, ihren Abschluss.
Genziana erreichte die Küchentür und rieb sich den letzten Schleier Schlaf aus den Augen. Wie jeden Morgen stand ihre Mutter mit der Tasse in der Hand in der Küche und hielt prüfend die Nase in den torfigen Schlack. Mit von der ständigen Näherei geschwollenen Augen, die Stirn so heftig gerunzelt, dass sich die Brauen fast berührten, studierte sie jede Windung und jeden Wirbel des staubfeinen schwarzen Pulvers, das ihr wie ein unfehlbarer Kompass den Weg wies.
»Was stehst du da rum und glotzt? Setz dich und iss«, sagte der Vater, der unversehens hinter Genziana aufgetaucht war.
Sie fuhr zusammen. Um die Kinder auf frischer Tat zu ertappen und ihrem Unfug zuvorzukommen, bewegte sich Roberto lautlos und flink.
Er setzte sich an den Tisch und begann mit genussvoll geschlossenen Augen seinen »Genziana-Kaffee« zu nippen, dessen Mischung nur er kannte. Das ganz besondere Aroma beschwor die sanften Arme einer Mutter, die Freigiebigkeit eines Vaters und das Band der sie vereinenden Liebe herauf.
Genziana wusste, was für ein Geschenk es war, einer glücklichen Familie anzugehören, in der die Liebe sich frei bewegen konnte. Ihr Blick wanderte zum beleibten, friedfertigen Vater und zur zierlichen, ruhelosen Mutter. ›Wie verschieden sie sind‹, dachte sie.
»Wie kommt es, dass sie sich so gut verstehen?«, hatte sie ihre Großmutter einmal gefragt. »Sie sind wie Tag und Nacht. Mama liebt die Sonne, Papa künstliches Licht; sie mag’s gebraten, er gekocht; er träumt von grünen Wiesen und felsigen Gipfeln, sie von weißen Stränden und smaragdgrünem Wasser.«
»Zauberei«, hatte Ortensia geantwortet. »Es ist wie bei Zucker und Kaffee: Zwei Pulver, das eine ist weiß und das andere schwarz. Das eine riecht nach nichts, das andere duftet. Sie sind grundverschieden, doch gemeinsam werden sie stark und verschmelzen nur, wenn einer der beiden seinen Zustand verändert. Bei deinen Eltern ist es genauso. Hätte sich Viola am Hochzeitstag nicht verflüssigt, hätten sie sich nicht mischen können.«
»Beeil dich, sonst kommst du zu spät zur Schule«, sagte Viola und strich ihrer Tochter sanft übers Haar. Genziana steckte die Nase in ihre Tasse. »Bäh!«, rief sie nach dem ersten Schluck. »Ich will keinen Malzkaffee!« Unwirsch knallte sie die Tasse auf den Tisch.
»Trink«, befahl die Mutter.
Genziana zeigte auf die neapolitanische Kaffeekanne, der noch immer ein köstlicher Duft entströmte. »Ich will den.«
»Du bist noch zu klein für Kaffee.«
»Der ist was für gestandene Kerle. Du wirst davon nur hibbelig«, fügte der Vater hinzu und legte den Arm um die Taille der Mutter, die ihn streng anblitzte; die Zärtlichkeiten ihres Mannes waren ihr peinlich.
Nach und nach erwachte auch der Rest der Familie und mit den Stimmen der Kinder erhoben sich die Geräusche des Viertels.
6
»Nonna, wo ist mein Unterhemd?«
Violas Mutter kümmerte sich um den Haushalt. Sie wollte sich nützlich machen und sich für die Gastfreundschaft revanchieren, die ihr nach dem Tod ihres Mannes zuteilgeworden war.
»Du mit deinem Unterhemd, Raimondo! Erst gestern hast du’s gewechselt.«
»Raimondo hat sich eingeduftet, Raimondo hat sich eingeduftet, Raimondo hat sich eingeduftet!«
Ständig schienen die Jungen zu streiten, doch es war nur Fopperei.
»Rodolfo! Ruggero! Hört auf, euren Bruder zu ärgern!«
»Selber schuld. Welcher Kerl wäscht sich schon jeden Morgen und parfümiert sich wie ’ne Bordsteinschwalbe?«
»Na, na, na, ihr Rotzlöffel! Dafür stinkt ihr wie die Ziegen. Los, geht euch waschen, alle drei!«
Erst, als sich die Großmutter einen Schuh vom Fuß zog und ihn dazwischenwarf, ließen die Brüder voneinander ab. Rodolfo und Ruggero stoben davon, und Raimondo verzog sich ins Bad, um seiner peniblen Toilette nachzugehen.
Mimosa, die Kleinste, stand als Letzte auf, reckte matt die dürren Arme, wippte wie eine verängstigte Schildkröte mit dem Kopf und rieb sich mit den kleinen, blutleeren Fingern die Augen. Sie gähnte lang, während die Sonnenstrahlen durch die Fensterläden sickerten, sich auf ihr zerzaustes Haar legten und die dünnen blonden Strähnen zum Leuchten brachten. Mit einer graziösen Bewegung schlug das Mädchen das wie frisch gebügelt aussehende Laken zurück. Sie war so dünn, dass sie keine Spuren im Bett hinterließ, und dennoch machte es die Großmutter jeden Morgen mit besonderer Sorgfalt.
Mimosa stellte die knochigen Füße auf den Boden, erhob sich und reckte den mageren Körper, dessen heimlicher Drang zu erblühen verstohlen aufblitzte.
»Hier sind deine Schuhe, Mimosa, schau mal, wie hübsch die sind! Ich bin mit weißer Schuhcreme drübergegangen.«
Mimosa war der Liebling der Großmutter.
Violas Augenstern hingegen war Genziana, sie war ihr Böhnchen, ihre kleine Kaffeebohne. Diesen Spitznamen hatte ihr die schimmernde, dunkle Haut eingebracht, die ganz anders war als die ihrer Geschwister. Gegen ihre teutonisch blassen blonden Brüder war Genziana ein Klumpen Lava. Als sie noch ganz klein gewesen war, hatte Ortensia sie jeden Abend mit einem rauen Schwamm traktiert.
»Wahre Prinzessinnen sind weiß, du siehst aus wie ein Straßenbalg«, pflegte sie zu sagen, während das kleine Mädchen gegen die kratzige Behandlung protestierte. Manchmal kam sie so krebsrot aus der Badewanne, als hätte man sie gehäutet. Doch hatten auch Ortensias Bemühungen die schreckliche äthiopische Kaiserin Zauditù nicht in Schneewittchen verwandeln können.
Roberto liebte seine Kinder sehr, jedes auf seine Art.
Dennoch war die erste Tochter eine Schmach gewesen. Die drei Jungen kamen so aristokratisch daher. Mit ihrem glatten blonden Haar, den türkisfarbenen Augen und dem feinen, durchscheinenden Teint sahen sie aus wie die Nachkommen eines normannischen Prinzen. Genziana hingegen hatte olivenfarbene Haut und pechschwarze Augen.
»Dieses Kind sieht aus wie eine Türkengöre!«, hatte er naserümpfend gesagt, als sie auf die Welt kam.
»Was redest du denn da, Roberto, sie ist doch gerade erst geboren. Wenn ich sie einen Monat lang gestillt habe, wird sich die Farbe schon ändern«, hatte Viola seine dumme Bemerkung abgetan. Die Geburt war mühselig gewesen und sie hatte keine Lust zu streiten.
»Schau doch mal«, hatte er beharrt und ein angewidertes Gesicht gemacht. »Sogar auf den Armen hat sie Haare.«
»Alle Neugeborenen haben das, schließlich war sie zehn Monate im Mutterbauch. Fingernägel hat sie doch auch«, mischte Ortensia sich ein, die eine Szene vor der Hebamme vermeiden wollte. Wie konnte man so vor einer Fremden reden?
Matt und zufrieden lag die Wöchnerin im Bett und genoss die vollkommene Ruhe, die jeder glücklichen Geburt folgt. Der von seinem wertvollen Inhalt unversehens befreite Körper zog sich zurück wie das Meer bei Ebbe.
Doch Roberto ließ einfach nicht locker. Seine Tochter sehe aus wie eine Afrikanerin und er wolle sie nicht anfassen. »Sonst mache ich mich noch schmutzig!«
›Vielleicht ist er eifersüchtig‹, dachte Viola, der das alberne Gehabe ihres Mannes allmählich auf die Nerven ging. Bei aller Gutherzigkeit und Nachsicht ging sie sehr leicht in die Luft, und dann blieb einem nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis das Gewitter sich verzog. Ein trockenes Schnalzen der Lippen war der Startschuss. Wie ein sprungbereiter Panther spannte Viola jeden Muskel an, verzog giftig das Gesicht und polterte los.
Mit der Zeit hatten die Liebe zu ihrem Mann und die Mutterschaft eine besonnene Ehefrau aus ihr gemacht und vom jugendlichen Jähzorn war nur noch ein züngelndes Flämmchen geblieben, das kurz in ihrem Gesicht aufloderte und von allein wieder verlöschte. Nur selten konnten eine Geste, ein Wort zu viel oder eine Ungelegenheit die Glut vollends entfachen.
Viola hatte sich im Bett aufgesetzt.
Ortensia, die die Zornesausbrüche ihrer Tochter kannte, wurde nervös. »Jetzt waschen wir die Kleine, dann wird sie heller«, sagte sie versöhnlich.
»Misch du dich nicht ein!«, fuhr Roberto sie an. »Das ist nicht meine Tochter!«, sagte er seiner Frau ins Gesicht.
Violas Körper verkrampfte sich, als hätte sie einen epileptischen Anfall, und sie bleckte die Zähne, als wollte sie nach ihm schnappen. »Daran ist der ganze Kaffee schuld, den du mich hast trinken lassen, du verdammter Röster! Die Dämpfe aus dem Laden steigen in die Wohnung, kriechen in meine Lungen und vergiften mir das Leben, du Schlappschwanz von einem Kaufmann, du! Siehst du die Tür da? Raus mit dir, aber zuerst gibst du mir die Kleine, die bleibt bei mir!«
Die Hebamme war sprachlos, am liebsten hätte sie sich davongemacht, aber sie hatte ihr Geld noch nicht bekommen. Ortensia verdrückte sich in eine Ecke und versteckte vorsorglich die Schere. »So ein Jammer«, murmelte sie. »Statt sich über das Kindchen zu freuen …«
Mit den Armen fuchtelnd, versuchte Viola die Kleine an sich zu reißen. Es mochte der Situation geschuldet sein, doch so außer sich hatte Roberto seine Frau noch nicht erlebt. Verschreckt wich er zurück und drückte das kleine Wesen noch fester an sich. Es war eher ein Reflex denn eine Umarmung, denn noch empfand er nichts für die Kleine. Sein massiger, jähe Bewegungen nicht gewohnter Körper verlor das Gleichgewicht. Sein Becken knickte ein, sein Kopf schnellte nach vorn und seine Nase geriet in die für Neugeborene typische Speckfalte zwischen Kopf und Rumpf. Ein zarter Duft durchschauderte ihn, Zärtlichkeit ergriff sein Herz, und er klammerte sich an dieses winzige Bündel, das seine Nase noch vor seinen Augen als sein Eigen erkannte. Der Geruch brachte ihn in die Kindheit zurück, er fühlte sich klein und schutzlos. Er erinnerte sich an die duftenden Arme der Mutter, die Geborgenheit, die von ihr ausging, und ehe er es sich versah, musste er lächeln, wie benommen vor plötzlicher, unermesslicher Freude. Noch immer reckte seine Frau fordernd die Arme.
»Sie ist ein blauer Schmetterling«, rief er aus und streichelte seine Tochter. In den ans Köpfchen gewinkelten kleinen Armen hatte Roberto zwei elegante, blauschillernde Flügel gesehen. »Verzeih den Blödsinn, den ich verzapft habe«, flüsterte er der Kleinen zu, als könnte sie ihn verstehen.
Mit vor Rührung feuchten Augen bettete er sie behutsam neben seine Frau und taumelte aus dem Zimmer.
Auf der Treppe ließ er sich von den Nachbarn umarmen und beglückwünschen. Dann verschwand er im Laden und schloss sich mehrere Tage darin ein. Eines Morgens kehrte er mit einer Ölpapiertüte in den Händen in die Wohnung zurück. »Kaffee Genziana«, verkündete er stolz.
»Er duftet wie die Haut unserer Kleinen«, stellte Viola gerührt fest.
7
Der alte Ruggero Olivares, Stammvater der palermischen Röster, hatte mit Gewürzhandel angefangen und sich erst später auf Kaffee verlegt. Er war zufällig daran geraten, seine Neigungen und sein Sinn für Aromen hatten ihn dazu gebracht.
Auf dem Sterbebett versammelte er seine drei Söhne um sich und riet ihnen, sich nicht der Versuchung der Zusammenarbeit hinzugeben: »Viele Köche verderben den Brei. Jeder von euch sucht sich was Eigenes und dann geht ihr getrennte Wege.«
Daraufhin schloss er die Augen und hörte auf zu atmen. Niemand weinte, er war alt, Trennung gehörte zum Lauf der Dinge.
Roberto, der Älteste, hatte die Wahl. »Ich will Kaffee rösten«, sagte er bestimmt. Er hatte ein besonderes Näschen für diese nach Schimmel oder Gras riechenden Bohnen und kannte sich besser damit aus als jeder Afrikaner. Noch ehe sie in der Pfanne lagen, konnte er ihre fruchtigen und blumigen Noten aus der blassen Farbe ihrer Hülle lesen. Ein Blick, und er kannte ihre Fehler, Verunreinigungen und Krankheiten. Dank dem Genziana-Kaffee und der Unterstützung einiger einflussreicher Leute schlug er die Konkurrenz in wenigen Jahren aus dem Feld und befand sich in der glücklichen Lage, das Kaffeemonopol von Palermo innezuhaben.
Dem Zweitgeborenen kam der Handel mit Pfeffer und Gewürzen zu, und der Dritte entschied sich, da er keine Wahl mehr hatte, anzuheuern und in die Welt hinauszufahren. Sein letzter Brief stammte aus Afrika. Dort, zwischen Kaffeeplantagen und bronzebraunen Frauen, verlor sich seine Spur.
Die Kaufmannsrolle war Roberto bald zu eng. Er war ein Visionär, der Spuren auf der Welt hinterlassen wollte. Er träumte davon, Röstereien in der ganzen Stadt, ja, in ganz Sizilien zu eröffnen. Umgeben von Säcken und Büchern arbeitete er unermüdlich und experimentierte, probierte und erfand. Seine Beobachtungen pflegte er in schwarz eingebundenen Notizbüchern zu vermerken. Seine Handschrift war kantig und sperrig. Zuweilen waren die Worte in Silben zerhackt, als ringe er um eine schwer fassbare Idee. Die kleinen weißen Zwischenräume stellten die Denkpausen dar und die is trugen dicke, satte Punkte. Vor dem Abendessen las er alles noch einmal aufmerksam durch, klappte das Buch zu und sagte laut: »Punkt.«
»Was schreibst du?«, hatte Genziana ihn eines Abends gefragt. Irritiert hatte er aufgeschaut: »Geheimes Tagebuch«, hatte er gesagt und den Finger auf sie gerichtet. »Wehe, du liest es, das geht nur mich was an.« Sie war sofort zur Mutter gerannt. »Papa hat Geheimnisse«, hatte sie todernst gesagt. Doch statt sich von dieser Neuigkeit verstören zu lassen, hatte Viola ihr verschwörerisch zugeraunt: »Männer haben nun mal gern Geheimnisse.«
Rund ein Dutzend dieser Notizbücher lag in Robertos Schreibtischlade, eines für jedes Jahr.
In den frühen Dreißigerjahren kannte jeder in den vier Mandamenti Robertos Laden, er war das gleichmäßig pochende Herz im Puls der Stadt.
Zu jener Zeit glich Palermo einer adligen Signora mit rosigen Wangen, vollen Lippen, markanten Zügen und schmachtendem Blick. Hingelagert am Fuß schützender Berge, umspült von salziger und zugleich süßer See ergötzte sie sich an ihrer eigenen Schönheit. Die Bewohner waren ihre Untergebenen, jedoch keine Sklaven. Es war Platz für Solidarität und Brüderlichkeit, und das Wort »Familie« hatte noch keinen üblen Beigeschmack. Die Luft war lau, die Düfte waren fein und Palermo war zwar nicht mehr glückselig, aber immer noch eine glückliche Stadt.
Die Rösterei befand sich an einem strategischen Punkt in der Via Discesa dei Giudici. Händler und Kaufleute kamen auf ihrem Weg zum Hafen oder zu den Märkten Ballarò und Vucciria dort vorbei. Die Straße verdankte ihren Namen einer grausigen Legende. Es hieß, während der spanischen Herrschaft seien die Leichen der Richter aus dem nahe gelegenen Palazzo Pretorio, die auf Anordnung des spanischen Königs umgebracht worden waren, um die Palermer für ein schreckliches Unrecht zu entschädigen, über dasselbe marmorne Straßenpflaster geschleift worden, auf dem Roberto nun seine wertvollen Säcke stapelte.
Die Sonnenstrahlen fielen durch die unscheinbare Ladentür und ergossen sich puderig über die dunklen Holzwände. Vor der linken Wand erhob sich eine riesige moosgrüne Waage, um die sich Roberto höchstpersönlich kümmerte: Die Tara musste stimmen. Er durfte die Leute nicht über den Tisch ziehen, doch zu großzügig durfte er mit dem Gewicht auch nicht sein, denn: »Kleinvieh macht auch Mist.«
Eine lange Theke aus grobem Holz, die zwischen den Kunden und den Verkäufern stand, trennte den Raum der Länge nach entzwei. In ihrer Mitte thronte eine bauchige, mit Blumenornamenten verzierte Kasse mit schweren, runden Tasten. Irgendwann hatte Roberto die Buchführung an Signorina Carmela abgegeben, eine alte Jungfer aus dem zweiten Stock, die heimlich in ihn verliebt war und ihn niemals betuppt hätte.
Mit einer zackigen Bewegung drehte sie die Kurbel aus schwarzem Bakelit, und das schallende Ding einer kleinen Glocke hieß jede Einnahme willkommen. Klack, die Schublade schnellte auf und ließ die Münzen silbrig klimpern. Wortlos und mit fest auf das Geld gerichtetem Blick, um sich beim Kopfrechnen nicht zu vertun, gab die Kassiererin den Rest heraus, zusammen mit einer kleinen Aluminiummünze mit der Aufschrift »Olivares«, die für die Teilnahme an der zum Jahresende stattfindenden Lotterie unerlässlich war. Der Erfolg der Rösterei war auch dieser Lotterie geschuldet, bei der die glücklichen Gewinner mit Bonbons, Porzellantassen, Kaffeekannen und Kochtöpfen belohnt wurden.
Der Laden lag neben einer Färberei und mehrmals am Tag wurde der Wohlgeruch des Kaffees vom beißenden Gestank der Bleichlauge verdrängt, der die Angestellten hustend und fluchend auf die Straße trieb. Roberto hatte versucht, den Laden nebenan zu kaufen, doch die Inhaberin stellte derart astronomische Forderungen, dass sämtliche Verhandlungen im Sande verliefen und jede Diskussion in Beleidigungen und Schmähungen gegen gewesene und zukünftige Generationen mündete.
»Garstiges Weib!«, knurrte Roberto und zog sich in sein Büro zurück, um eine Tasse Kaffee zu trinken, sein Allheilmittel bei jeder Enttäuschung.
Die Angestellten der Rösterei, insgesamt sechs an der Zahl, bildeten eine strenge hierarchische Pyramide. Giovanni, genannt Bimbo, weil er den Laden mit kaum sechs Jahren betreten hatte, war ihr Vorgesetzter. Gerührt von den großen, runden Augen, mit denen er in die Welt blinzelte, als wollte er jedes Geheimnis ergründen, hatte der alte Olivares beschlossen, dass der Kleine ein besseres Leben als das im Waisenhaus von Martorana verdient hatte. Kurzerhand hatte er ihn bei sich aufgenommen und erst später festgestellt, dass die staunende Miene des Jungen heftiger Kurzsichtigkeit geschuldet war. Er hatte sich betrogen gefühlt, doch inzwischen hatte er den Bengel in sein Herz geschlossen, unmöglich konnte er ihn wieder fortschicken, also hatte er ihm eine Brille gekauft und ihn zu seinem Assistenten gemacht.
Die Arbeit begann vor Tagesanbruch. Salvuccio, der Laufbursche, holte die Säcke aus dem Lager in der Via degli Schioppettieri und zerrte sie keuchend über das Pflaster. Sein Schnaufen begleitete das Sirren der Jute auf dem Marmor. Während die Verkäufer die Dosen abstaubten und die Schubfächer aufräumten, schüttete Giovanni den Kaffee Sack für Sack in den Trichter. Er liebte seine Arbeit und außerdem verjagte der Kontakt mit den Menschen die Einsamkeit, die ihm aus dem Waisenhaus geblieben war.
Dank Robertos unternehmerischen Fähigkeiten und der einenden Kraft des Kaffees war die Rösterei Bezugspunkt für das ganze Viertel. Die Leute schauten gern auf ein Schwätzchen herein und das Geschäft blühte. Die warmherzige, freundschaftliche Atmosphäre verleitete zu Herzensbeichten und wehmütigen Erinnerungen.
Als sein Bruder im Abessinienkrieg gestorben war, hatte Roberto plötzlich eine riesige Menge Gewürze geerbt. Er hatte die Ware in die Rösterei gebracht, doch nach ein paar Wochen trieb das Durcheinander an Gerüchen die Belegschaft fast in den Wahnsinn. Zimt, Kardamom, Anis, Kurkuma, Lakritz, Safran weckten unstillbare Gelüste, beschworen sündhafte Fantasien und ließen geheimnisvolle Energien walten. Die Harmonie des Ladens stand auf der Kippe, und so hatte Roberto die wertvollen Säcke en gros verkauft.
An dem Morgen, als er das Lager ausräumte, fühlte er sich wieder mit sich selbst im Reinen. Doch als es an den Pfeffer ging, hielt sein Verkäufer Armando ihn zurück. »Den nehme ich, wenn Sie nichts dagegen haben, Chef. Ich zahle ihn in Monatsraten ab.«
»Und was willst du damit?«
»Ich mag Pfeffer.«
»Pass bloß auf. Zu viel davon und du kriegst einen knallroten Pavianarsch.«
»Keine Angst, Chef, ich weiß schon, was ich damit anstelle.«
»Wenn du mir verrätst, was du damit vorhast, kriegst du ein Kilo umsonst.«
Armando senkte den Kopf und wurde rot, wollte aber nicht damit herausrücken, und allmählich kam Roberto der Verdacht, diese Körner besäßen magische Kräfte.