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Alles, was Prinz Hendrick of St. Ives benötigt, ist eine Ehefrau und einen Erben. Denn sein Vater droht ihm, den Besitz an seinen jüngeren Bruder zu überschreiben, wenn er nicht beides innerhalb eines Jahres vorweisen kann. Keine leichte Aufgabe für einen Mann, der in der feinen Gesellschaft geächtet wird wie kein anderer. Da sein Ruf vollkommen ruiniert ist, wird er auch von den heiratswilligen Mädchen gemieden. Als er Lady Isabel of Sussex vor einem Gemälde kennenlernt und ihre Schwäche für den Maler bemerkt, kommt ihm eine Idee, wie er sie von einer Eheschließung mit ihm überzeugen könnte. Sein Plan gelingt und nur wenige Wochen später ist ihm Isabel angetraut. Doch anstatt ihr eigenes Leben weiterzuleben, so wie sie es vereinbart hatten, mischt sich Isabel immer mehr in seine Angelegenheiten ein. Allerdings kommt eine emotionale Annäherung zu seiner Frau für den Prinzen nicht in Frage. Das schreckliche Geheimnis, das er vor aller Welt zu verbergen wünscht, scheint sonst nicht länger sicher zu sein.
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Seitenzahl: 305
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Junia Swan
Roman
Copyright © 2018 Junia Swan, Salzburg
Titelbild: trueLOVErlag Independently published. Alle Rechte vorbehalten.
Für Christine (P.T.)
Über dieses Buch:
Alles, was Prinz Hendrick of St. Ives benötigt, ist eine Ehefrau und einen Erben. Denn sein Vater droht ihm, den Besitz an seinen jüngeren Bruder zu überschreiben, wenn er nicht beides innerhalb eines Jahres vorweisen kann. Keine leichte Aufgabe für einen Mann, der in der feinen Gesellschaft geächtet wird wie kein anderer. Da sein Ruf vollkommen ruiniert ist, wird er auch von den heiratswilligen Mädchen gemieden. Als er Lady Isabel of Sussex vor einem Gemälde kennenlernt und ihre Schwäche für den Maler bemerkt, kommt ihm eine Idee, wie er sie von einer Eheschließung mit ihm überzeugen könnte. Sein Plan gelingt und nur wenige Wochen später ist ihm Isabel angetraut. Doch anstatt ihr eigenes Leben weiterzuleben, so wie sie es vereinbart hatten, mischt sich Isabel immer mehr in seine Angelegenheiten ein. Allerdings kommt eine emotionale Annäherung zu seiner Frau für den Prinzen nicht in Frage. Das schreckliche Geheimnis, das er vor aller Welt zu verbergen wünscht, scheint sonst nicht länger sicher zu sein.
Über die Autorin:
Junia Swan schreibt seit ihrer Jugend leidenschaftlich gern Romane. Besonders das Genre der Liebesgeschichten hat es ihr angetan. Allerdings bevorzugt sie Charaktere mit Ecken und Kanten und begleitet diese gerne auf ihrem oftmals sehr steinigen Weg. Mit ihren Romanen möchte sie den Lesern Mut machen, niemals aufzugeben und auch in schweren Zeiten durchzuhalten. Sie selbst ist mit der Liebe ihres Lebens verheiratet und lebt in Österreich.
Prolog
Das Ticken der Uhr teilte die Stille mit ihrem Stakkato, einer Gewehrsalve gleich, in gleichmäßige Einheiten. Sie standen einander gegenüber, ihre Brustkörbe hoben und senkten sich in schneller Folge, so als hätten sie gerade einen anstrengenden Lauf hinter sich.
„Bitte, lass es mich versuchen!“
Ronald trat einen Schritt auf seinen Freund Rick zu.
„Ich weiß nicht. Ich denke nicht, dass wir es tun sollten.“
„Ein Mal, bitte. Ein einziges Mal, ich muss es einfach wissen!“
Rick schüttelte unentschlossen den Kopf.
„Wenn es jemand sieht?“
„Alle schlafen. Kein Mensch ist mehr unterwegs. Du musst keine Sorge haben, dass uns jemand entdeckt. Es wird unser Geheimnis sein.“
„Aber es ist falsch“, insistierte Rick und trat einen Schritt zurück.
Da packte Ronald seinen besten Freund am Oberarm und zerrte ihn zu sich heran. Mit der anderen Hand griff er nach dessen Kopf, zog Ricks Gesicht näher und presste seine Lippen auf den Mund des anderen. Es waren nur Sekunden, während denen sich ihre Münder berührten, denn im nächsten Moment wurde die Tür aufgestoßen und die jungen Männer fuhren auseinander.
„Ich habe doch gewusst, dass es sich lohnt, vor eurer Tür auf der Lauer zu liegen!“, stieß Ken hervor und blickte seine Mitschüler geringschätzig an. „Ihr seid widerwärtig!“
Ronald verlor alle Farbe und Rick wich vor ihm zurück, bis er die Wand in seinem Rücken fühlte.
„Es ist überhaupt nichts geschehen“, versuchte Ronald zu erklären. „Es hat nichts zu bedeuten, ziehe keine voreiligen Schlüsse!“
Hinter Ken traten noch zwei weitere Burschen in den Raum und blickten die beiden Freunde angewidert an.
„Nichts soll das gewesen sein?“, höhnte einer von ihnen. „Ein Mann küsst einen anderen. Das ist eine Todsünde! Es ist wider die Natur! Ihr werdet von der Schule fliegen!“
„Nicht, wenn ihr uns nicht verratet!“
In Ronalds Blick trat ein Ausdruck nackter Pein. Rick schloss die Augen und schluckte schwer. Ach, hätte er doch nicht zugestimmt! Hätte er Ron nur klar und deutlich erklärt, was er von seiner dummen Idee hielt! Jetzt war es zu spät! Sie beide würden von der Gesellschaft gemieden werden und Schlimmeres. Gänsehaut ließ Rick unwillkürlich schaudern.
Schwere Schritte näherten sich über den Flur des Eliteinternats und die nun einkehrende Ruhe ließ Unheil erahnen. Ronald wandte sich zu Rick und blickte ihm entschuldigend in die Augen, doch dieser schüttelte nur den Kopf und drehte sich von ihm fort. Wenn er daran dachte, welche Konsequenzen dieser lächerliche Versuch eines Kusses haben würde, wurde ihm bereits übel.
Es dauerte nicht lange und der Direktor stand mitten im Zimmer und lauschte den Ausführungen der jungen Ankläger. Sein Gesicht verdüsterte sich sekündlich, schließlich lief es vor Wut rot an. Als er sich zu den beiden Schuldigen drehte, wussten diese, dass es keine Möglichkeit geben würde, den Skandal abzuwenden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihre Eltern informiert wären und sie ihre Väter zur Rede stellen, während die Mütter vor Enttäuschung schluchzen würden. In diesem Moment hasste Rick seinen besten Freund aus Kindheitstagen. So sehr, dass er vor ihm ausspuckte, als Ron als erster an ihm vorbei aus dem Zimmer geführt wurde. Bis zu der Stunde, in der ihre Väter sie abholen würden, wurden sie in den Kerker gesperrt, jeder in eine eigene Zelle. Während Ronald ihm durch die verschlossenen Türen beteuerte, dass es ihm leidtäte, schwieg Rick beharrlich. Er wollte mit Ron niemals mehr ein Wort wechseln.
1. Kapitel
15 Jahre später
Der Landsitz des Dukes of St. Ives lag eingebettet in eine wundervoll angelegte Gartenanlage, in der üppige Blütenköpfe ihren Duft großzügig verströmten. Lady Isabel of Sussex warf einen nervösen Blick durch das Kutschenfenster und strich eine dunkle Haarlocke hinter ihr Ohr.
„Wie ich bereits sagte“, setzte ihre Mutter, die Countess of Sussex, an, „möchte ich, dass du den jungen Prinzen meidest. Seine Gesellschaft ist das letzte, was ich für dich möchte. Leider sind die St. Ives so einflussreich, dass wir ihre Einladung nicht ablehnen können, ohne einen Affront zu riskieren.“
„Liebe Mutter“, seufzte Sir Daniel, Isabels Bruder, „jedes Jahr die gleiche Rede. Seit ich denken kann. Wäre es möglich, die Geschehnisse, die sich vor langer Zeit zugetragen haben, endlich zu vergessen?“
„Niemals!“ Die Countess hob eine Hand empört über ihr Herz. „Der junge Prinz ist vollkommen verdorben und Isabel wird heute das erste Mal an einem Empfang in diesem schrecklichen Haus teilnehmen. Ihr Ruf darf darunter unter keinen Umständen leiden!“
In dem Moment hielt die Kutsche und die Tür wurde geöffnet. Während der Earl und die Countess ausstiegen, zwinkerte Daniel seiner Schwester aufmunternd zu.
„Lass dich von ihr nicht verunsichern! Es gibt niemanden hier, den du fürchten müsstest.“
Isabel nickte scheu und entstieg der Kutsche als letzte. Sie atmete tief durch. Prinz Hendrick war an diesem Abend ihre geringste Sorge, viel mehr fürchtete sie die Menschenmasse, die hier im Laufe der Nacht zusammenfinden würde. Seit Jahren gab es wenige Situationen, die sie so stark ängstigten wie Menschenansammlungen. Ein einzelner Prinz mit ruiniertem Ruf war wirklich harmlos. Im Foyer wurden sie vom Duke und der Duchess sowie ihren zwei ältesten Söhnen, überaus stattlichen Männern, und einer Tochter begrüßt. Isabel fragte sich insgeheim, welcher der beiden jener mit dem verwerflichen Hang zum gleichen Geschlecht war. Um ihre Mutter nicht zu brüskieren, beschloss sie, mit keinem von beiden zu tanzen. Sicher war sicher.
Im riesigen Ballsaal drückte sie sich unbehaglich gegen die Wand und stellte sich nahe neben eine große Zimmerpalme, in der Hoffnung, übersehen zu werden. Sie langweilte sich fürchterlich, während ihr Herz gleichzeitig nervös pochte. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und sie stahl sich aus dem Saal und in die nun fast leere Halle hinaus. Auf der Suche nach einem ruhigen Ort schlenderte sie einen Gang entlang. Doch jede der Türen war geöffnet und in den dahinterliegenden Salons drängten sich Gäste um Spieltische. Isabel kehrte seufzend um und erklomm die Stufen in den ersten Stock. Hoffentlich war es hier ruhiger! Tatsächlich war in diesem Stockwerk um einiges weniger Zugang. Nur vereinzelt drang ein Lachen aus einem der Zimmer. Isabel öffnete erwartungsvoll eine weitere Tür und hielt staunend inne. Der Raum war zwar beleuchtet, jedoch wirkte das Licht gedämpft. Trotzdem entdeckte Isabel die Gemälde an der Wand und hielt unwillkürlich den Atem an. Schnell schloss sie die Tür hinter sich und trat auf eines der Portraits zu. Noch bevor sie sich der näheren Betrachtung hingab, beugte sie sich zur Signatur des Künstlers: Luca Romano. Andächtig hielt sie den Atem an. Er war der Haus- und Hofmaler der königlichen Familie. Der Einfluss der St. Ives, auf deren Empfang sie sich soeben befand, wurde ihr in diesem Moment umso deutlicher bewusst. Wenn Luca Romano die Mitglieder der Familie St. Ives malte, mussten sie dem König sehr nahestehen. Atemlos trat sie zwei Schritte zurück, um das Bild eingehender zu betrachten.
„Gefällt es Euch?“
Eine tiefe Stimme wenige Meter hinter ihr riss sie aus ihrer eingehenden Musterung und sie fuhr herum. Etwas weiter hinten im Raum saß auf einem schweren Armsessel ein Mann, in der Hand ein halbvolles Glas.
„Verzeihen Sie“, murmelte Isabel und senkte den Blick. „Ich wollte nicht stören. Ich dachte, dieses Zimmer wäre leer.“
„Ihr stört mich nicht“, erwiderte er und erhob sich.
Als sie zögernd aufsah, bemerkte sie, dass er außergewöhnlich groß war. Langsam kam er näher, blieb jedoch einige Schritte von ihr entfernt stehen. Mit der Hand deutete er wieder auf das Portrait.
„Es ist umwerfend“, schwärmte Isabel und blickte träumerisch darauf.
„Mir scheint, Ihr kennt den Maler.“
„Nicht persönlich, aber seine Werke. Ich würde alles dafür tun, um einmal von ihm gemalt zu werden.“
Der Mann hinter ihr nickte nachdenklich und nahm einen Schluck. Verstohlen ließ er seine Augen über ihr feingeschnittenes Profil wandern. Ihre Nase war fast zierlich, mit einem kleinen störrischen Höcker, der auf eine gewitzte Persönlichkeit schließen ließ. Die hellblauen Augen der jungen Frau blickten klar und versunken und wandten ihre Aufmerksamkeit nicht für einen Moment von dem Gemälde fort. Sie schien sogar vergessen zu haben, dass er neben ihr stand. Diese Tatsache setzte in ihm eine Gedankenkette in Gang.
„Es kommt selten vor, dass eine junge Frau die Gesellschaft von Portraits den Vergnügungen eines Festes vorzieht. Was sucht Ihr hier?“
Als hätte er sie erschreckt, zuckte sie ein kleines bisschen zusammen, dann drehte sich Isabel verlegen in seine Richtung und legte den Kopf ein wenig in den Nacken, um ihn ansehen zu können.
„Ich bin nicht gerne unter Menschen“, gestand sie und als sie sah, dass sich seine Augenbrauen hoben, fuhr sie schnell fort, „ich meine, wenn es derart viele sind. Es ist so überwältigend.“
Er nickte. „Ich verstehe.“
Schüchtern lächelte sie ihn an, doch er blieb ernst und studierte ihr junges Gesicht. „Trotzdem solltet Ihr in den Saal zurückkehren. Es schickt sich nicht für eine junge Frau, allein durch die Zimmer zu streichen.“
Bei seiner Rüge errötete Isabel, während ihr Lächeln erlosch. Hastig wandte sie sich in Richtung Tür.
„Ihr habt recht, bitte verzeiht mein Eindringen“, murmelte sie und eilte aus dem Raum.
Ihr Fehlverhalten war ihr überaus peinlich und sie hoffte, dem Mann im Laufe des Abends nicht mehr zu begegnen. Sie fühlte sich wieder wie ein kleines Mädchen, das von seiner Gouvernante gescholten worden war. Meine Güte, er hatte im ersten Moment so freundlich gewirkt, sie hätte nicht erwartet, dass er sie nur Augenblicke später derart vor den Kopf stoßen würde!
Im Ballsaal begab sie sich erneut an jenen Ort, der ihr am ruhigsten schien und verfolgte mit den Augen die Paare auf der Tanzfläche.
Sie wusste nicht, wie lange sie hier gestanden war, als sie ein Gähnen nicht unterdrücken konnte. Gerade als sie sich dem Stamm der Palme zuwenden wollte, um diesen näher zu betrachten (die Holzmaserung verfügte über ein kompliziertes Muster), änderte sich die Stimmung innerhalb des Raumes. Die Tänzer verhielten ihre Schritte und starrten in Richtung Tür, während ein Raunen durch die Menge ging, Fächer gezückt wurden und Getuschel ein anschwellendes Hintergrundgeräusch bildete. Isabel reckte sich neugierig, um zu erkennen, was diesen Stimmungsumschwung bewirkt haben mochte und entdeckte jenen Mann wieder, dem sie vor dem Gemälde begegnet war. Er hatte den Kopf hoch erhoben, wodurch er noch größer wirkte und durchquerte den Raum, als würde er nicht bemerken, was um ihn herum vor sich ging. Durch die Reaktion der Leute konnte Isabel ableiten, dass es sich um Prinz Hendrick handeln musste. Kein anderer Mann rief in der Gesellschaft dieses Verhalten hervor. Erneut schoss Röte in ihre Wangen und sie wandte sich beklommen ab. Wenn ihre Mutter wüsste, dass sie mit ihm gesprochen hatte! Allein! Mit dem Mann, den man mied, ohne es offen zeigen zu können! Ihr Puls beschleunigte sich. Himmel, wenn irgendjemand erführe, dass sie mit ihm allein in einem Raum gewesen war! Alles hätte passieren können! Vollkommen außer sich atmete sie ein. Wieso war sie nur so dumm gewesen, ausgerechnet an einem Ort wie diesem allein durch die Räume zu wandeln? Immer schlimmer wurden die Selbstvorwürfe, die sie sich machte, als jemand sie plötzlich auf die Schulter tippte und sie überrascht herumwirbelte. Daniel stand direkt vor ihr und hinter ihm konnte sie Prinz Hendrick aufragen sehen. Der einschüchternde Mann blickte überaus ernst und das fand Isabel geradezu beängstigend.
„Isabel, ich möchte dir Prinz Hendrick vorstellen“, meinte Daniel und grinste schelmisch.
Während Isabels Wangen vor Scham brannten, meinte sie, jeder im Raum würde ihr Unbehagen bemerken.
„Das ist meine Schwester, Lady Isabel.“
Endlich erinnerte sie sich ihrer guten Manieren und sank in einen höflichen Knicks, während er ihre Hand nahm und sich darüber beugte. Isabel meinte, eine Welle unterdrückter Empörung durch den Raum branden zu hören und sie richtete sich wieder auf.
„Es freut mich sehr, Euch kennenzulernen“, sagte er und Isabel nickte sprachlos.
Kurz musterte er sie, dann drehte er sich ein wenig und ließ seinen Blick durch den Saal schweifen. Augenblicklich wandte sich jeder der anwesenden Gäste ab und tat so, als wäre er mit anderen Dingen beschäftigt.
„Ich bitte um diesen Tanz, Lady Isabel“, sprach er wieder in ihre Richtung und streckte ihr eine Hand entgegen. Sekundenlang starrte sie unschlüssig darauf. Was sollte sie tun? Es wäre vollkommen skandalös, wenn sie mit ihm tanzte! Und war sein Laster nicht ansteckend? Andererseits verbot es die Konvention abzulehnen. Zögernd reichte sie ihm ihre Hand.
„Euer Gnaden, ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.“
Er lächelte, als er auf sie hinabsah und sie zur Tanzfläche geleitete.
„Somit haben wir etwas gemeinsam. Ich ebenfalls nicht.“
Vorsichtig zog er sie in seine Arme und führte sie zwischen den anderen Paaren hindurch. Sie stellte fest, dass er ein guter Tänzer war. Seine Augen ruhten auf ihr, doch verrieten sie nichts darüber, was er dachte oder empfand. Es fühlte sich an, als wäre es nur sein Körper, der sich mit ihr drehte – sein Geist, seine Gedanken schienen weit weg zu sein. Mehrere Tänze lang hielt er sie an seiner Seite und als er sie schließlich zu Daniel zurückbrachte, glühte ihr Antlitz und sie hoffte, dass er nicht bemerkte, wie unangenehm es ihr war, sich an seiner Seite zu befinden. Galant verbeugte er sich vor ihr und die Menge teilte sich, als er den Raum verließ.
„Wie konntest du nur?“, zischte Isabel ihrem Bruder zu, der noch immer lächelte.
In diesem Moment stieg in ihr der ungute Gedanke auf, ihr Bruder könnte sich zu dem Prinzen hingezogen fühlen.
„Meine Güte, Isabel, sei doch nicht genauso oberflächlich wie der Rest in diesem Raum! Immerhin ist es der Ball, den seine Familie ausrichtet. Weshalb soll er nicht tanzen dürfen?“
„Das verbietet ihm auch keiner! Aber ausgerechnet mit mir! Ich bin … ich … ich hasse solche Veranstaltungen! Und er wirkt wie ein Magnet auf alle Augenpaare eines Raumes!“
Daniel lachte amüsiert.
„Du hast es überstanden, wie man sieht“, meinte er ungerührt und sah über ihre Schulter. „Ah, unsere Mutter steuert geradewegs auf uns zu. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, ist sie außer sich.“
Das war sie auch. Sie bohrte ihrer Tochter unauffällig einen Finger zwischen die Rippen und dirigierte sie mit einem starren Lächeln aus dem Saal. Sie kämpfte sehr darum, ihre Haltung zu bewahren.
„So befolgst du meine Anweisungen, Kind?“, fuhr sie Isabel an.
„Mutter, ich konnte nicht anders. Er forderte mich auf und ich durfte ihn nicht ablehnen!“
„Gleich vier Tänze!“
„Er ließ mich nicht gehen!“
„Dieser Mann ist krank, Isabel! Krank! Du solltest ihn meiden wie die Pest!“
Isabel befreite sich aus dem Griff der Mutter.
„Der Prinz war sehr höflich und freundlich. Aber es tut mir leid, wenn ich Euch Schande bereitet habe.“
Die Mutter seufzte schwer.
„Lass dir deinen Mantel bringen! Wir werden gehen. Ich muss nur den Rest unserer Familie davon in Kenntnis setzen.“
Daniel machte keine Anstalten, den Ball zu verlassen.
„Ich werde später heimkehren. Voraussichtlich bleibe ich über Nacht.“
Die Countess erblasste.
„Tu mir das nicht an, Daniel! Bedenke, dass wir eine Ächtung nicht von unserer Familie abhalten können, so, wie es dem Duke möglich war!“
„Schon gut, Mutter. Ich werde in einem der Gästezimmer schlafen, nicht im Bett des Prinzen.“
Die Countess und Isabel keuchten gleichzeitig auf und erröteten, während sich der Earl räusperte. Er warf seinem Sohn einen warnenden Blick zu, bevor er die Eingangshalle verließ.
„Was hältst du von ihr?“, wollte Daniel nicht einmal eine halbe Stunde später von seinem Gegenüber wissen. Hendricks Interesse an seiner Schwester war offensichtlich. Daniel konnte sich nicht erinnern, ihn jemals tanzen gesehen zu haben. Aber dass er für sein Debüt ausgerechnet Isabel gewählt hatte, war ihm äußerst rätselhaft.
„Überaus reizend, doch sehr scheu. Vielleicht wäre sie wirklich eine geeignete Kandidatin.“
Daniel goss sich einen weiteren Whiskey in sein Glas und dachte ein paar Minuten nach. Eine interessante Entwicklung!
„Allerdings ist sie sehr tugendhaft. Meine Mutter würde eine Verbindung mit dir niemals gestatten und mein Vater Isabel, nach allem was sie durchgemacht hat, unter keinen Umständen zu einer Ehe zwingen.“
„Das heißt, ich muss deine Schwester höchstselbst von einer Verbindung mit mir überzeugen?“
Daniel nickte. „Ich denke, das ist der einzige Weg, um an dein Ziel zu kommen. Allerdings wüsste ich nicht, womit du sie locken könntest.“
Rick trank einen Schluck, dann starrte er ein paar Minuten lang in sein Getränk, als würde dort eine Antwort auf ihn warten.
„Ich vielleicht schon. Zumindest ist es einen Versuch wert.“
Am Vormittag war es in der Tate-Gallery sehr ruhig und Isabel liebte es, zu dieser Zeit durch die menschenleeren Räume zu wandeln. Niemand störte sie, wenn sie in der Betrachtung eines Bildes versank. Ihre Zofe ließ sie meistens beim Eingang zurück. Diese setzte sich dann geduldig in eine nahegelegene Teestube, um dort auf sie zu warten. So unbeobachtet wie zwischen den Bildern fühlte sich Isabel sonst selten. Deswegen waren die ausgestellten Gemälde für sie wie Türen in eine andere Welt. Stundenlang konnte sie darin eintauchen und ihren Gedanken nachhängen.
„Lady Isabel, habe ich Euch endlich gefunden!“
Eine bekannte Stimme riss sie aus ihrer Versunkenheit und als sie ihren Kopf mit einem Ruck anhob, sah sie geradewegs in die Augen von Prinz Hendrick. Erschrocken sprang sie auf und warf einen Blick um sich, in der Hoffnung, niemand würde bemerken, dass sie mit ihm sprach.
„Euer Gnaden!“
Er lächelte und beugte sich über ihre Hand. Was er wohl von ihrer Reaktion denken mochte? Meinte er, auch sie würde ihn aufgrund seiner anstößigen Neigung meiden? Es war vielmehr die Sorge ihrer Mutter, die sie zu solch unhöflichem Verhalten anstiftete. Das konnte er allerdings nicht wissen und es ihm zu sagen, wäre der schlimmste Fauxpas, den sie je begangen hätte!
„Es tut mir außerordentlich leid, Euch hier aufzuscheuchen, doch ich muss dringend mit Euch sprechen.“
„Mit mir?“ Ungläubig starrte sie ihn an. „Hier?“
Er zuckte mit den Achseln und blickte sich um.
„Es gibt keinen Ort in ganz London, der verlassener ist als dieser.“
Er machte eine auffordernde Geste zu der Bank hin, auf der sie gerade gesessen war und sie ließ sich zögernd darauf sinken. Der Prinz warf ihr einen schnellen Seitenblick zu und setzte sich dann neben sie. Kurz starrten sie schweigend vor sich hin, bis seine tiefe Stimme endlich die Stille zerschnitt.
„Mein Vater hat mir ein Ultimatum gestellt“, berichtete er plötzlich und sie drehte ihr Gesicht überrascht in seine Richtung.
„Ein Ultimatum?“
„Er droht, mich zu enterben, wenn ich nicht innerhalb eines Jahres heirate.“
Verwirrt runzelte Isabel die Stirn.
„Das tut mir leid! Aber ich verstehe nicht ...“
„Ich brauche Eure Hilfe, meine Liebe, und ich weiß, dass ich Euch mit meinem Anliegen gewissermaßen überfalle.“
Verständnislos sah sie ihm in die Augen, als er sich zu ihr drehte.
„Ich verstehe nicht ...“
Einhalt gebietend hob er eine Hand und sie verstummte.
„Meine zukünftige Ehefrau sollte, ebenso wie ich, das Verlangen haben, in Abgeschiedenheit zu leben.“
„Mylord ...“
„Ich denke, Ihr wärt hervorragend dafür geeignet!“
„Wie bitte?“
Isabel sprang erschrocken auf, doch er umfasste mit den Fingern ihr Handgelenk und zog sie mit sanftem Druck zurück an seine Seite.
„Ich bitte Euch, mich zu heiraten, Lady Isabel.“
Mit leicht geöffnetem Mund erwiderte sie vollkommen verblüfft seinen Blick.
„Euer Gnaden, es tut mir aufrichtig leid, aber ...“
„Ich würde Euch im Gegenzug unzählige Vorteile bieten.“
„Prinz Hendrick, ich sehe nicht ...“
„Zuallererst würde Luca Romano einige Portraits von Euch anfertigen.“
„Luca Romano wird mich malen?“ Begeisterung blitzte in ihren Augen auf.
„Nicht nur einmal, wenn Ihr wünscht.“
„Oh!“ Sie wandte nachdenklich den Blick ab und eine leichte Röte überzog ihre Wangen.
„Abgesehen davon wäret Ihr irgendwann die Duchess of St. Ives. Wie Ihr wisst, handelt es sich dabei um ein mächtiges Herzogtum.“
Isabel nickte geistesabwesend. Viel mehr beschäftigte sie die Vision, die vor ihrem inneren Auge aufstieg: Sie saß dem großen Romano Modell! Fast klimperte sie neckisch mit den Wimpern.
„Außerdem wäret Ihr frei zu reisen, wohin Ihr wollt, zu leben, wo es Euch beliebt, sobald wir einen Erben in die Welt gesetzt haben.“
„Einen Erben?“ Nur langsam löste sie sich aus ihren Gedankenspinnereien und wandte sich ihrem Gesprächspartner erneut zu.
„Nun ja, dies ist leider Teil der Vereinbarung. Sobald dieser Erbe geboren wurde, seid Ihr frei zu tun, wonach Euch der Sinn steht. Unser Sohn müsste allerdings bei mir bleiben, um in den Aufgaben, die seiner Stellung entsprechen, unterrichtet zu werden.“
„Aber ich verstehe nicht, wie wir ein Bett … Ich meine, ein Mann mit Euren Vorlieben ...“
Er wandte sich ab und starrte auf das Bild vor sich. Tief atmete er ein.
„Ich verspreche Euch, dass wir … die Tätigkeit, welche für eine Zeugung notwendig ist ...“
Peinlich berührt drehte sie den Kopf von ihm fort, senkte ihn und starrte auf ihre Finger, die sie ineinander verschlang.
„... eher nebensächlich und vollkommen ohne emotionale Überforderung begehen werden. In absoluter Dunkelheit und bekleidet, so weit möglich.“
Isabel schluckte unbehaglich.
„Wie gesagt, es gibt keine Pflichten für Euch, außer bei mir zu bleiben, bis der Erbe geboren ist. Danach ...“
Nun erhob er sich plötzlich und trat ein paar Schritte von ihr fort. Dabei verschränkte er die Arme hinter seinem Rücken. Als er zurückkehrte, ließ er sie nicht aus den Augen.
„Mir persönlich liegt nichts an einer tiefen Beziehung. Ehrlich gesagt ziehe ich die Freiheit zu tun, was ich möchte, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen, vor. Genau das gestehe ich auch meiner Frau zu. Allerdings gilt es zu erwähnen, dass der Aspekt der Treue schwer wiegt. Ich wäre Euch treu, Lady Isabel und würde das gleiche von Euch erwarten.“
„Natürlich!“, flüsterte sie.
„Euer Bruder hat mir erzählt, dass Ihr malt.“
„Daniel?“ Ihr Kopf fuhr in die Höhe und ihre Blicke begegneten einander. Der Prinz nickte. Wie eng war Daniel nur mit dem Mann vor ihr befreundet?
„Ich würde Euch selbstverständlich ein Atelier einrichten.“
„Wirklich?“
„Wo immer Ihr eines haben wollt. Auch zwei oder drei an unterschiedlichen Orten. Ich verspreche es! Doch ich bitte Euch inständig, nehmt meinen Antrag an! Gestattet es mir, mit Eurem Vater zu sprechen und um Eure Hand anzuhalten! Ich bitte Euch!“
Nun sank er vor ihr auf ein Knie und ergriff ihre Hand. Seine Berührung war warm und sie wich seinem Blick nicht aus. In seinen Augen konnte sie nicht erkennen, was er dachte. Nur, dass ihm seine Worte ernst waren, war offensichtlich.
„Ich muss darüber nachdenken“, murmelte sie, löste den Blickkontakt und zog die Hand aus seinem Griff.
Sogleich richtete er sich wieder zu seiner vollen Größe auf und strich über seinen Gehrock.
„Ich habe keine Erfahrung mit Männern, wie Ihr einer seid“, gestand sie leise. „Könnt Ihr überhaupt einen Erben ...“
Ein Muskel seiner Wange zuckte, so intensiv biss er das Kiefer aufeinander.
„Ihr werdet meinen Erben unter Eurem Herzen tragen“, versprach er mit fester Stimme. „So wahr mir Gott helfe, werdet Ihr bald nach unserer Hochzeit guter Hoffnung sein.“
Unwillkürlich strich sich Isabel mit einer Hand über den Bauch.
„Ich bin ein geächteter Mann, wie Ihr wisst“, fuhr er fort. „Unter keinen Umständen möchte ich Euch vorenthalten, dass das Leben als meine Frau durchaus schwierig sein könnte. Aufgrund meiner Stellung in der Gesellschaft hat es bis jetzt niemand gewagt, mich zu brüskieren. Das wird sich auch nicht ändern. Trotzdem ...“
Er straffte die Schultern und reckte das Kinn. „... werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, damit es Euch gut geht und Ihr keinen Schaden nehmt.“
Wieder trat er direkt vor sie, ohne sie jedoch zu berühren. Fest sah er ihr in die Augen.
„Denkt über meinen Vorschlag nach“, fügte er freundlich hinzu, dann machte er eine höfliche Verbeugung. „Lady Isabel.“
Er entfernte sich, während sie ihm entgeistert nachblickte.
„Euer Gnaden“, stammelte sie noch, kurz bevor er aus ihrem Blickfeld entschwunden war.
Allein die Vorstellung, von Luca Romano gemalt zu werden, schien jede Entbehrung zu rechtfertigen. Wenn er sie malte, dann würde die Schönheit seiner Pinselführung und die Brillanz seiner Farben aus ihr eine Lady machen, eine Prinzessin und zukünftige Duchess.
Lady Isabel saß in der Fensternische ihres Zimmers auf einem großen Polster und blickte ins Freie. Starker Regen rann an den Scheiben herab und verwischte die Konturen. Aber rechtfertigte ihr sehnlichster Wunsch, von Romano porträtiert zu werden, ihre Bereitschaft, einen Mann zu heiraten, den keiner mehr als Mann bezeichnen würde? Einen Mann, der in ganz England verachtet wurde? Ihre Mutter würde in Ohnmacht fallen. Isabel seufzte. Andererseits wäre sie über den Titel der Duchess sicherlich erfreut. Ob die Countess durch die Aussicht auf eine gute Partie für ihre Tochter ihre Skrupel vergessen würde? Ach, wüsste Isabel doch mehr über den Mann, der sie vor den Traualtar führen wollte! Von seinem Aussehen hätte sie niemals auf seine Lasterhaftigkeit schließen können – er war überaus stattlich. Doch was brachte einem das gute Aussehen, wenn der Kern verdorben war? Isabel seufzte schwer. Für ihn sprach, dass er sie sicherlich nicht überanstrengen würde. Die ehelichen Pflichten hielten sich höchstwahrscheinlich in Grenzen und würden bei Zeugungserfolg ganz wegfallen. Eine durchaus angenehme Aussicht, wenn man bedachte, wie viele Frauen schicksalsergeben seufzten, wenn sie Andeutungen in diese Richtung machten!
Sicherlich würde Prinz Hendrick ihr Portrait in der Halle aufhängen oder im Salon, wo das Licht besonders gut darauf fiel! Entschlossen stand sie auf und ging zu ihrem Schreibtisch. Die Nachricht (Ihr könnt bei meinem Vater um meine Hand anhalten) war schnell geschrieben. Nur Minuten später war diese bereits auf dem Weg zu Prinz Hendrick und Isabel hielt unwillkürlich den Atem an.
2. Kapitel
Ihr Vater war äußerst verwundert, vom Prinzen um ein Gespräch gebeten zu werden. Allerdings hatte er seine Tochter mit dem Mann tanzen sehen und er war nicht dumm, seine Schlüsse daraus zu ziehen. Er zitierte Isabel zu sich, die jedoch darauf bestand zu schweigen und ihn drängte, den Prinzen zu empfangen. Deswegen saß er wenige Tage später einem Mann gegenüber, den er aus tiefstem Herzen verabscheute und den er niemals freiwillig in seinem Haus empfangen hätte. Als der Prinz sein Anliegen vorbrachte, fühlte der Earl, wie sich sein Herz schmerzhaft zusammenzog, es brannte geradezu in seiner Brust. Durch seine vorangegangenen Gedankenspiele war er in gewisser Weise vorgewarnt und diese hatten ihm möglicherweise das Leben gerettet. Innerlich bebend ließ er nach seiner Tochter schicken, die schüchtern das Arbeitszimmer betrat. Bei ihrem Eintreten erhob sich der Prinz und sie knickste, während er sich über ihre Hand beugte. Fragend, als wäre er unsicher, ob sie ihre Meinung geändert hatte, sah er sie an. Sie wagte ein beruhigendes Lächeln und drehte sich zu ihrem Vater.
„Vater, Ihr habt mich rufen lassen?“
„Setze dich“, sagte er unwirsch und sie sank auf einen Stuhl. „Ich nehme an, es ist dir bekannt, weshalb Prinz Hendrick um dieses Treffen bat.“
„Ja.“ Sie nickte. „Ich habe ihm meine Einwilligung diesbezüglich gegeben.“ Sie beugte sich etwas vor, um den Earl eindringlich zu betrachten. „Es ist mein Wunsch, Prinz Hendrick zu ehelichen und ich bitte um Eure Erlaubnis!“
Betroffen und beinahe außer sich vor Verzweiflung ließ sich ihr Vater auf den Stuhl zurücksinken.
„Aber Kind“, entgegnete er flehentlich, „du weißt nicht, was du tust! Prinz Hendrick, verzeiht meine Worte, doch ich muss sie gegenüber meiner Tochter ansprechen! Wenn du diesen Mann heiratest, stellst du dich an den Rand der Gesellschaft.“
Gleichgültig zuckte Isabel mit den Achseln. „Vater, die Gesellschaft interessiert mich nicht. Mir ist egal, was die Leute sprechen. Ich denke, der Prinz und ich passen gut zusammen. Wir fanden so manche Gemeinsamkeit.“
Nun warf sie einen schnellen Blick in Hendricks Richtung. Überrascht hatte dieser eine Augenbraue gelüpft, seine Haltung ein wenig an Spannung verloren. Als er sah, dass sie sich ihm zuwandte, lächelte er ihr aufmunternd zu.
„Ich sehe schon“, stöhnte der Earl hinter seinem Schreibtisch und fuhr sich mit einer Hand über die Augen, „Worte können hier nichts mehr ausrichten. Deine Mutter wird ...“
Er brach ab, als ihm bewusst wurde, wie unhöflich seine Einwände waren.
„Mylord, ich verspreche, Eure Tochter zu ehren. Ihr wird es an nichts fehlen.“
Der Earl wedelte verneinend mit einer Hand, unfähig auszusprechen, was ihm durch den Kopf ging.
„Isabel, bist du dir sicher?“
„Ja, Vater. Ich denke, ein jeder von uns wird seinen Nutzen aus dieser Verbindung ziehen können.“
„Euer Gnaden?“ Auffordernd sah der Earl seinen Gast an, dieser richtete sich sofort gerade auf und räusperte sich.
„Natürlich. Ich verzichte auf eine Mitgift. Im Gegenzug werde ich Lady Isabel ein kleines Gut an der englischen Küste schenken. Es soll ihr allein gehören und als Absicherung dienen.“
Überrascht blickten ihn nun Vater und Tochter an.
„Das kann unmöglich ...“, murmelte der Earl.
„Ich kenne meinen Ruf“, erwiderte der Prinz ungerührt. „Lady Isabel hilft mir. Dank ihr, Eure Zustimmung vorausgesetzt, werde ich mein Erbe nicht an meinen jüngeren Bruder verlieren, der mich über alle Maßen hasst. Ich bin Eurer Familie zu Dank verpflichtet, solltet Ihr meiner Bitte stattgeben.“
Isabel konnte ihren Blick nicht von ihm abwenden. Sie nahm seine beeindruckende Erscheinung in sich auf, ließ ihre Augen über seine maskulinen Gesichtszüge gleiten. Alles nur Fassade, dachte sie in diesem Moment, nicht eine Sekunde hat er mir einen Blick auf sein wahres Wesen gestattet. Für ihn war dieses Arrangement ein Geschäft. Seine Möglichkeit, seine Stellung zu wahren, sein Erbe zu erhalten. Sie war nur Mittel zum Zweck. Unbehagen stieg in ihr auf und sie bereute für eine Sekunde, sich darauf eingelassen zu haben.
„Gut, wenn es in deinem Sinne ist, Isabel, werde ich den Antrag annehmen.“
Sie wandte ihr Antlitz in Richtung ihres Vaters, dann nickte sie.
„Ja, Vater. Ich möchte Prinz Hendrick heiraten.“
Der Earl nickte und deutete auf die Tür.
„Du kannst gehen. Der Prinz und ich werden die Einzelheiten besprechen, die Verträge aufsetzen und den Hochzeitstermin festlegen.“
Isabel knickste vor Hendrick und verließ den Raum. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, legte sie ihre Hände auf ihr wild pochendes Herz. Nun stand es also fest, sie würde Prinz Hendrick heiraten. Einen Mann, der vermutlich niemals an ihrer Person Interesse haben würde.
Wie es sich für einen vorbildlichen Verlobten gehörte, besuchte der Prinz sie mehrmals die Woche, meistens für eine knappe Stunde. Er schickte ihr Geschenke und Blumen. Den Aufschrei der Gesellschaft, den die Nachricht ihrer Verlobung auslöste, ignorierte er mit stoischer Miene. Auch die kalten Blicke seines Vaters, der sich innerlich schon darauf vorbereitet hatte, das Herzogtum an seinen mittleren Sohn zu überschreiben, versuchte er nicht an sich heranzulassen.
Isabel vermied Empfänge tunlichst, vor den mitleidigen und gehässigen Blicken floh sie aufs Land.
Als sie zwei Monate später vor der Kirche darauf wartete, von ihrem Vater ins Innere geführt zu werden, meinte sie, den Prinzen nicht besser zu kennen als an jenem Tag ihrer ersten Begegnung. Das Spiel der Orgel setzte ein und sie ging am Arm des Earls den Mittelgang entlang bis hin zum Altar, vor dem der Prinz sie bereits erwartete. Er lächelte ihr aufmunternd zu und sie erwiderte diese Geste ein wenig eingeschüchtert von der eleganten Uniform, die er trug. Wenn sie nicht wüsste, wessen er sich schuldig gemacht hatte, hätte sie gemeint, den bestaussehendsten Mann ganz Englands vor sich zu haben. Selbst der Thronfolger würde neben ihm verblassen. Sein dunkelbraunes Haar war akkurat geschnitten und sorgfältig gekämmt. Das Grünblau seiner Augen wurde durch die Farben der Uniform verstärkt und diese verliehen ihnen ein Leben, das sie bis dahin in ihnen noch nicht entdeckt hatte. Er reichte ihr die Hand und sie ergriff diese und ließ sich von ihm die wenigen Schritte vor den Pfarrer führen.
„Ihr seid eine Augenweide“, flüsterte er ihr zu und Isabel war dankbar für dieses Kompliment, egal, ob er es ernst meinte oder nicht.
Bei keiner anderen Gelegenheit hatte er sich zu ihrem Aussehen geäußert. Ehrlicherweise hatte sich Isabel manchmal gefragt, ob er sie jemals als Frau wahrgenommen hatte. Konnte ein Mann mit seiner Veranlagung überhaupt die Schönheit einer Frau erkennen? War sie überhaupt schön zu nennen? In ihre Gedanken versunken, verging die Trauung wie im Nu, dank des Prinzen umsichtiger Führung verpasste sie keine der Stellen, zu denen sie etwas sagen musste. Ohne Panne war sie ihm eine knappe Stunde später bereits angetraut und als Mann und Frau (bis dass der Tod euch scheidet) strebten sie dem Kirchenausgang entgegen. Nervös umklammerte sie seinen Unterarm fester, doch er reagierte nicht darauf. Erst als sie vor der Kirche hielten, um die Glückwünsche entgegenzunehmen, legte er beruhigend eine Hand über die ihre.
„Wir haben es bald geschafft“, raunte er ihr zu. „Nur mehr das Essen und den Tanz müssen wir überstehen, dann können wir uns zurückziehen.“
Isabel nickte und wandte sich den ersten Gratulanten zu. An das gezwungene Lächeln, mit dem sie seit ihrer Verlobung mit Prinz Hendrick bedacht wurde, hatte sich Isabel schon fast gewöhnt. Doch es war schwer, sich den Kummer über die Reaktionen ihrer Familien nicht anmerken zu lassen. Ihre Mutter sprach nur das Nötigste mit ihr, der Vater war distanziert. Dem Duke konnte sie an dem Zucken seines Mundes anmerken, dass er diese Verbindung nicht guthieß und ihre künftige Schwiegermutter blickte ohnehin durch sie hindurch und war schweigsam, wie man es von ihr gewohnt war. Ihr Schwager Leonard sah sie von oben herab mit einem spöttischen Lächeln an, das seine Augen jedoch nicht erreichte. Einzig Daniel lächelte, als würde er sich über die Vermählung freuen.
Während der Fahrt in dem Automobil war sie seit jenem Tag in der Galerie das erste Mal mit ihm allein. Er saß mit Abstand neben ihr und blickte zum Fenster hinaus. Sein Schweigen war bedrückend und Isabel ballte ihre Hände zur Fäusten. Würde er niemals mit ihr sprechen, wenn es sich vermeiden ließ?
„Ich hoffe, du nimmst dir ihr Verhalten nicht allzu sehr zu Herzen“, sagte er plötzlich in die Stille hinein und die junge Braut zuckte zusammen.
„Nein“, erwiderte sie leise, „ich habe mich mittlerweile beinahe daran gewöhnt.“
„Ich bedaure es sehr, dich in diese Sache mit hineingezogen zu haben.“
„Bevor Ihr es getan habt, habt Ihr mich danach gefragt. Ich habe mich also hineinziehen lassen. Macht Euch keine Gedanken.“
Er warf ihr einen überraschten Seitenblick zu.
„Trotzdem. Ich ahne, dass junge Frauen von etwas anderem träumen, als es Euch nun widerfährt.“
„Wie gesagt, es widerfährt mir nicht. Ich habe mich dafür entschieden.“
Er hob eine Hand, als wollte er sie damit berühren, ließ diese jedoch wieder fallen und wandte sich ab. Isabels Herz zog sich zusammen.
„Wollt Ihr mir davon erzählen, was damals passiert ist?“, fragte sie plötzlich.
Überrascht fuhr er zu ihr herum. Dann lachte er bitter auf.
„Sicher nicht“, erwiderte er. „Fragt niemals wieder danach!“
„Aber Ihr seid mein Ehemann, es darf keine Geheimnisse mehr zwischen uns ...“
„Ich sagte, dass Ihr niemals mehr auf diese Sache zu sprechen kommen sollt! In keiner Stelle unseres Vertrages wurde vereinbart, dass wir keine Geheimnisse voreinander haben dürfen. Ich habe meine und Ihr habt Eure, wenn es denn in Eurem Fall welche gibt. Damit wäre in diesem Zusammenhang alles gesagt.“
Ihre Augen verengten sich, als sie ihn musterte.
„Heißt das, Ihr habt auch aktuelle Geheimnisse vor mir? Nicht nur lange zurückliegende?“
„Oh“, entgegnete er ein wenig arrogant, „ich habe sie nicht mit Datum versehen.“
Isabel blinzelte ob seines Spottes und wandte sich von ihm ab. Jede Freude daran, mit ihm zu sprechen, war ihr vergangen. Zeugte dieses Gespräch von ihrer Zukunft? Würde alles, was sie mit dem Prinzen besprechen würde, auf diese Art verlaufen? Innerlich schauderte sie. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen?